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sandaliye Schneckenpost
S Alter: 32 Beiträge: 7 Wohnort: Berlin
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S 19.11.2008 15:14 Paule und Ich - Auf ewig ein Paar ? von sandaliye
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Paule und ich – Auf ewig ein Paar ?
Für Paule war es jetzt Zeit zu gehen. „Paule verpiss dir!!“, würde Nina jetzt sagen und gleich danach eine ihrer patentierten Grimassen schneiden. Ach ja, Nina ist ein verrücktes Mädchen.
„Sie sind ein starker junger Mann, eine örtliche Betäubung sollte ausreichen“, sagte der Arzt. Örtliche Betäubung, wenn mir ein Loch in die Nasennebenhöhle gebohrt werden soll ?
„Wenn sie meinen“, erwiderte ich. Du kannst mich nicht loswerden, und selbst wenn, dann werde ich wieder kommen!
„Halts Maul du verdammter Wichser, verschwinde endlich!!!!“
Es war eigentlich nicht meine Absicht gewesen, aber ich hatte es laut ausgesprochen.
Nein, ich hatte geschrien, ausgesprochen laut geschrieen. „
Geht es ihnen gut“, meldete sich die Krankenschwester zu Wort, die ihren Platz direkt neben dem Onkel Doktor eingenommen hatte. Ganz ruhig, bald ist Paule Geschichte, dachte ich mir.
Tatsächlich sagte ich: „Ja, ja mir geht es gut, alles bestens… Ich war nur in meiner Gedankenwelt.“ LÜÜGNER !!! „Halts Maul Dreckssack, bald bist du Geschichte…“ Diesmal, sprach ich es nicht laut aus.
Der Raum war verdunkelt worden, hier arbeitete man mit künstlichem Licht. War es rot? Das war es. An der Wand mir gegenüber, befand sich ein Schrank, so breit, dass 2 Menschen hätten reinpassen können.
Oder Schafe. Lila Schafe, die laut Nina „Sweet Home Alabama“ sangen. Ich habe dir noch gar nicht erzählt wer Paule ist oder?
Na gut, dann wollen wir das hiermit mal tun. Paule ist ein Monster.
Bald würde ich Paule war ein Monster sagen können. Jedenfalls, Paule haust in meiner linken Oberkieferhöhle und richtet dort Unheil an.
Ärzte nennen ihn chronische bzw. chronisch-polypoide Substanz. Die normalen Menschen nennen so etwas Tumor. „Der ist aber nicht aggressiv“, hatte man mir versichert, „sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“ Von wegen.
Paule gab es schon immer, nur war er jetzt größer und mächtiger. So mächtig, dass er meine linke Nasenhälfte lahm gelegt hatte, und auch Auge und Ohr bedrohte. Die Bohrung war nun erfolgreich abgeschlossen und der Arzt verlangte nach dem „Sauger“.
Er würde Paule jetzt einfach raussaugen und dann wäre alles vorbei. Von wegen! Der Schrank wurde kräftig durchgeschüttelt und gab grässliche Geräusche von sich, aber – welche Wunder – er hielt stand. Die Schwester blieb stehen. Auch der Arzt stand still, er schaute in Richtung Schrank. Ich ebenfalls. Wieder zappelte der Schrank heftig und diesmal wurden die Türen regelrecht aus den Angeln gesprengt und knallten – eine links, eine rechts – an die Wand.
Was mit den Türen geschah blieb aber uninteressant, was aus dem Schrank ans Tageslicht kam, war viel interessanter. Es war ein auf zwei Beinen gehendes lila Schaf. Kein Fell, quasi nackt, Beide Hände seitlich in den Taschen. Das war ein Kostüm, ganz klar. NINA.
„Nina, wie bist du hier rein gekommen“, fragte ich amüsiert. Du weißt ganz genau, das dass nicht Nina ist. Hier habe ich das Sagen, Schätzchen… Paule lachte. Er hatte doch tatsächlich gelacht.
Los bring den Scheiß hier zu Ende! Sprach er mit dem Schaf? Anscheinend, denn es nickte. Einen Moment lang, hegte ich die Hoffnung, dass Schaf wäre ein Kostüm in dem Nina steckte und das sie gleich anfangen würde Sweet Home Alabama zu singen.
Die Lautsprecher an der Decke (hatte ich die übersehen?) spielten eine Melodie ab, die bedeutete: Achtung Gefahr!
Die, die man in jedem Action-Film zu hören bekommt. Das Schaf zog seine Hände(!) aus den Taschen, mitsamt 2 Pistolen.
Die eine richtete er auf den Doc, die andere auf die Schwester, die jetzt Ähnlichkeit mit Nina hatte. Sie ist Nina du Hammel... Mein Kopf brummte, drohte zu explodieren. Ich wollte schreien, aber Mund, Hals und Zunge waren allesamt trocken wie Staub.
Jetzt sprach wieder Paule, diesmal aus den Lautsprechern. Sowohl Onkel Doktor als auch die Krankenschwester (Nina!), standen da, als würden Millionen von Kaugummis an ihren Schuhsohlen kleben.
„Tu es“, sagte Paule. Tu es! Hatte das nicht Daniel immer gesagt? Das Schaf schoss zuerst auf den Doktor, dann auf Nina (ich war mir sicher, dass es Nina war). Paule sprach erneut. Nein, diesmal flüsterte er. Das hier ist mein Spiel Baby… Ich gewinne, du verlierst. Ich konnte mich nicht bewegen. Teils weil ich schockiert war, aber auch, weil ich an den OP-Tisch gekettet war. Wie? Wenn ein Schaf aus einem Schrank schlüpft und auf Befehl eines Tumors („der ist aber nicht aggressiv…“) das OP-Team ermordet, dann kling das doch wie die selbstverständlichste Sache der Welt. Findest du nicht auch?
„Du kannst gehen“, befahl Paule (wieder aus den Lautsprechern) und das Schaf beging Selbstmord. Es legte beide Pistolen am Kopf an und drückte zeitgleich ab. Das Schaf hatte seinen Kopf weggesprengt. Gehirnmasse und Blut klatschten an die Decke, an die Wände und auf den Boden.
Ich weinte. Wie ein Baby, dem man seinen Lutscher weggenommen hat. Wir bleiben auf ewig ein Paar und niemand wird das verhindern können, Schätzchen.
Als ich aufwachte, hallten Paules Worte noch immer in meinem Kopf. Wir bleiben auf ewig ein Paar… Mein Oberteil war wie in Schweiß getränkt, meine Haare verklebt. Ich zittere am ganzen Körper, noch immer.
Alles war nur ein Traum, geht es mir durch den Kopf. Von wegen! Es mag sein, dass es keine lila Schafe gibt, die es auf das OP-Personal abgesehen hat. Es ist auch nicht so, dass Paule aus Lautsprechern spricht, die an irgendwelchen Wänden befestigt sind.
Aber Paule gibt es wirklich und zu mir redet er, vor allem wenn ich nachts nicht schlafen kann und einfach nur daliege. Er lässt auch meine Leistungsfähigkeit sinken, z.B. in der Schule oder beim Sport.
Er sorgt auch dafür, dass meine Konzentration sinkt. Aber vor allem, raubt mir Paule meine Lebensfreude. Es gibt viele die von Paule wissen, aber nur wenige die mich unterstützen, mich aufbauen.
Mir dabei helfen, mich gegen Paule zu stellen. Nina zum Beispiel. Ich glaube deshalb mag Paule sie nicht. Ich wette, Vincent mag er auch nicht, weil Vincent einem gute Laune macht, auch wenn Paule am Werke ist und bombastische Kopfschmerzen heraufbeschwört.
Oder Desiree (keine Ahnung wo der Accent hinkommt), die quasi durchgehend Lebensfreude ausstrahlt und keine ja!-Schokolade mag, Sie sagt, ich soll Paule nicht auf die leichte Schulter nehmen, aber trotzdem immer positiv denken und das Leben genießen.
Aber Paule ist mächtig. Paule schwächt mich und ich fühle mich ihm unterlegen. Wegen Paule tu ich Sachen, die ich sonst nicht getan habe. Ich weine, ja das tu ich. Wegen der Schmerzen.
Aber auch vor Wut, Wut gegenüber mir selbst, weil ich in Selbstmitleid verfalle, auch jetzt. Paule manipuliert auch meine Gedanken. Ich denke ständig an –zig Sachen, die vor, während oder nach der OP schief gehen können. Ich denke nur noch an Paule. Paule, Paule und wieder Paule. Paule hier, Paule dort.
In der letzten Woche bin ich drei Mal ohne Schultasche zur Schule gegangen. Ich mache keine Hausaufgaben mehr, und im unterricht bleibe ich passiv, weil Paule sonst stänkert.
Nach außen hin versuche ich mich stark zu zeigen, als wäre das eine Kleinigkeit und würde spurlos an mir vorbei gehen. Millionen Witze werden Gerissen („Wenn du stirbst, werden wir schon trauern").
Aber keiner denkt sich, was wenn das dem Jungen wehtut? Scheiß drauf. Ist auch besser so, ich will nicht bemitleidet werden. Aber das alles gelingt nicht immer. Ich breche mitten in Physik zusammen, oder muss öfters aus dem Unterricht („Darf ich aufs Klo?“), um mich dann draußen auf die Bank zu legen, weil sich alles dreht.
In den Weihnachtsferien (oder vielleicht auch später) ist es dann soweit, dann wird sich Paule hoffentlich auf ewig verpissen.
Das ich bis heute nicht völlig im Meer „Selbstmitleid“ untergegangen bin, verdanke ich größtenteils Vincent, und Nina natürlich. Nina das lila Schaf. Ohne Zweifel auch Desiree (jaja, der Accent), mit ihrer ansteckenden Euphorie und Lebensfreude.
Da löst sich die schlechte Laune quasi in Luft auf. Mir fällt gerade auf, dass ich Julia vergessen habe. Sorry Julia.
Sie war die erste, die von Paule erfahren hat. Ich danke Gott dafür, dass er mir erlaubt hat, mit euch Bekanntschaft zu machen.
Auch wenn ich Vincent bis zur 9.Klasse nicht richtig leiden konnte, mag ich ihn heute umso mehr. Ach ja, Paule ? Bye bye Schätzchen…
Von wegen ?
16.11.2008
02:33 Uhr
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