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Kapitel 4 - Südindien 2/2


 
 
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kydu
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 45
Beiträge: 29
Wohnort: zu weit weg


Der Fluch Von Arabien
Beitrag10.11.2008 15:39
Kapitel 4 - Südindien 2/2
von kydu
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich kletterte auf den großen Felsen und sah mich erschöpft um. Die Aussicht von hier oben war wirklich umwerfend und man bekam einen guten Überblick über die ganze Gegend.
Raihan, der mich nachgeklettert war, pumpte ordentlich nach Luft, kniete sich vor mir auf den Boden und sah mich von unten herauf erstaunt an. “ Was ist los Kyra? Was um Himmelswillen suchst du hier?“
Ich war ziemlich enttäuscht, wollte mir das aber nicht anmerken lassen und sah deshalb nicht zu Raihan, sondern hinaus aufs offene Meer. „Nichts! Hier ist Nichts als Sand. Was sollte man hier schon erwarten, außer Sand, Steinen und nochmals Sand?“
Raihan kannte mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ich versuchte ihm etwas vorzumachen. „Wenn du mir nicht sagst, was du suchst, kann ich dir auch nicht helfen. Also raus mit der Sprache!“
„Mach dir bitte keine Mühe wegen mir.“ wehrte ich sein Angebot ab. „Vielleicht wäre es ja besser, wenn wir wieder nachhause reiten würden.“ Insgeheim wäre ich sehr froh darüber gewesen, so einfach und unbeschadet aus der ganzen Sache davon gekommen zu sein. Und zuhause hätte ich meiner Mutter ohne zu lügen in die Augen gucken und  berichten können, dass ich hier war und alles Menschenmögliche versucht hatte, um der Geschichte auf den Grund zu gehen.
Aber Raihan ließ nicht locker. „Du bist doch hier, weil du nach etwas suchst. Und das hast du noch nicht gefunden. Willst du jetzt einfach so aufgeben? Ich hätte dich ganz anders eingeschätzt.“
„Nein, aufgeben will ich nicht. Kommt gar nicht in Frage!“ Raihan hatte mit seinem Vorwurf meinen Stolz und Ehrgeiz geweckt.
„Ok, gut.“ meinte mein Begleiter. „Also nochmal: Nach wem oder was suchen wir eigentlich hier genau?“
Ich wanderte nervös über den Hügel hin und her. „Nach was suchen wir eigentlich genau?“ schoss es mir durch den Kopf. Wenn ich wirklich die Auserwählte war, hatte Felestra gewusst, dass ich eines Tages hier her kommen würde. Sie hätte mir aber dann auch einen Hinweis hinterlassen, was ich hier genau zu tun hatte. Ich überlegte und ging in Gedanken nochmals die Geschichte in meinem Buch durch, aber darin stand nichts, was mir jetzt weiter helfen konnte. Da ging es nur um den Fluch, um Liebe und um Amir ... Amir? Schlagartig fiel mir ein, dass ich ja gestern, als ich einen kurzen Blick auf die Schrift, die auf seinem Grab eingraviert war, werfen konnte, etwas wie „Du sollst dem Licht folgen“ zu entziffern glaubte. Aber warum sollte ausgerechnet Amir mir ein Zeichen geben? Er hatte doch noch nicht mal gewusst, dass es irgendwann eine Auserwählte geben würde. Und falls doch … welches Licht konnte er in diesem Falle wohl meinen? Ich kramte in meinen Taschen und holte rasch mein Handy heraus. Das Bild, das ich von Amirs Grab geschossen hatte, war glücklicherweise gespeichert und die Inschrift erstaunlich gut zu erkennen. Sie war trotzdem nicht leicht zu entziffern, aber ich kriegte es hin. Diesmal war ich vorsichtiger und sprach die Worte nicht aus, die ich las, um zu verhindern, dass Raihan etwas davon mitbekam. Auf Amirs Grab war folgender Text zu lesen:

„Komm, nimm dich seiner an,
und bringe ihn auf sichere Bahn.
Erleuchte ihm den rechten Weg,
den ohne dich er niemals geht.
Suche das Licht und sei stark,
dann zeigt es dir die richtige Fahrt.“

Ich las diese Zeilen wieder und wieder, aber sie gaben keinen Sinn, jedenfalls nicht für mich.
„Kyra?“
Ich hatte Raihan, der immer noch wie angewurzelt auf seinem Platz stand, fast vergessen. Er  holte tief Luft, sah mich an und meinte schließlich: „Kyra, Kyra, Kyra. Du bist und bleibst mir ein echtes Rätsel.”
Ich zuckte mit den Schultern und lächelte ihn an. „Das macht doch Frauen erst interessant, oder?“
„Ich mag dich wirklich gerne, Kyra. Aber du vertraust mir nicht.”  
„Raihan!“ antwortete ich, „Ich kenne dich doch kaum, wir sehen uns erst zum dritten mal und ich soll dir einfach so vertrauen?”
„Du bist hier, weil es für dich wichtig ist. Und ich bin hier, weil du für mich wichtig bist. Auch wenn du das noch nicht mitgekriegt haben solltest.”
Ich nickte und wurde wahrscheinlich ein wenig rot im Gesicht. „Doch, das habe ich mitgekriegt.”
„Außerdem“, fuhr Raihan fort, „bin ich Archäologe und es ist mein Job, hinter Geheimnisse zu kommen. Auch hinter deines.“ und legte seine Hand auf meine Schulter.

“Aha! Und was hat der große Archäologe bis jetzt herausgefunden?”
„Nun, dein Geheimnis dreht sich ganz offensichtlich um König Amir. Hab ich recht?”
Ich lächelte. „Ja, aber das was ja auch nicht schwer zu erraten.“
„Gut. Nächster Versuch: Dieser Felsen hier hat auch etwas mit ihm zu tun, richtig?”
Ich nickte, aber wurde ernster.
„Und – du wirst mich jetzt gleich für verrückt halten – du kannst etwas, was außer dir niemand kann. Du kannst klangonisch lesen! Habe ich recht?“
Ich sah ihm in die Augen und grinste. „Das hättest du wohl gerne, damit ich es dir beibringen kann. “
Er nahm seine Hand von meiner Schulter, ging um mich herum und ich sah an seinem Gesichtsausdruck, dass er sehr nachdenklich war.
„Was hat dieser Platz mit Amir zu tun? Sag es mir bitte. Hat sich vielleicht seine große, unbekannte Liebe von diesem Felsen hinuntergestürzt?“  
„Nein, das hat sie nicht.” In dem Moment, als die Worte meinen Mund verlassen hatten, wusste ich, dass das keine geschickte Antwort gewesen war.
„Woher willst du das wissen Kyra, woher weißt du das?” bohrte Raihan nach.
Ich wollte ihn irgendwie ablenken, schaute zum Himmel und sah, dass es langsam dunkel wurde. „Wir müssen jetzt zurück!“

„Ich hatte recht, du kannst klangonisch, oder?” meinte Raihan, als wir langsam nebeneinander zurückritten. „Keine Angst, ich werde schon noch hinter dein Geheimnis kommen.“
„Niemals!“  Ich versuchte ernst zu bleiben, schaffte es aber nicht und musste kichern.

Als wir die Pferde abgerieben und in den Stall seines Onkels gebracht hatten, begleitete mich Raihan zu meinem Mietwagen zurück.
„Woher kommst du eigentlich?“
„Aus London. Ich bin nur mit einer Freundin für einen kurzen Urlaub hier.”
„Schade. Wie lange bleibst du noch?”
„Leider nur vier Tage.“
„Das ist ja nicht mehr allzu lange.“
„Ja, ich weiß.“
„Ähmm ... Falls du in diesen vier Tagen noch mal Zeit und Lust haben solltest mich zu sehen, schau doch einfach im Museum vorbei. Ich bin ab morgen wieder in der Stadt und würde mich freuen, wenn wir zusammen essen gehen würden.“
„Es tut mir wirklich leid, Raihan.“  antwortete ich. „Ich kann deine Einladung nicht annehmen, weil ich die letzten Tage, die ich hier bin, noch etwas erledigen muss.”
Raihan war sichtlich enttäuscht. „Naja, ist ja deine Sache.“ Er zog einen Zettel und einen Kugelschreiber aus seiner Tasche und schrieb mir seine Handynummer auf. „Vielleicht änderst du deine Meinung noch.”
Ich nahm den Zettel, steckte ihn ein und fuhr in die Stadt zurück.

Wie immer in den letzten Tagen war ich völlig am Ende, als ich in mein Hotelzimmer kam. Doch heute war Alira nicht alleine, anscheinend hatte sie Herrenbesuch. Und tatsächlich stand  ein junger Mann auf der Terrasse. Als Alira bemerkte, dass ich wieder zuhause war, kam sie rasch auf mich zu und fing an zu flüstern. „Hallo mein Schatz. Oh Gott, siehst du heute wieder übel aus!”
„Danke, sehr nett von dir.“ flüsterte ich zurück. „Und wer ist der Typ da draußen?“.
„Och, keine Ahnung. Ist mir zugelaufen. Ich glaube, er heißt Jordan oder Johann. Jedenfalls so ähnlich.“
„Aha. Und weiter?”
„Nichts weiter…”
„Du willst doch nicht hier in unserem Bett … ich meine, du hast doch nicht vor mit ihm …”
„Psssssst … nicht so laut! Hör mal wir sind doch hier, um uns zu amüsieren, oder etwa nicht? Ich bin es jedenfalls.”
„Ok, ok. Mach doch, was du willst und von mir aus auch mit wem du willst. Ich gehe jetzt jedenfalls ins Bett. In unser Doppelbett. Ich will nur noch schlafen und dabei nicht gestört werden, ok?“
Alira war ziemlich erbost, weil sie befürchtete ich könnte ihrem Tete-a-Tete einen Strich durch die Rechnung machen. „Jetzt hör mir mal zu Kyra! Ich bin hier, weil ich Spaß im Leben haben möchte. Ganz im Gegenteil zu dir!”
„Was soll denn das jetzt wieder heißen?”
„Das soll heißen, dass du seit Jahren keine richtige Verabredung mehr hattest. Und ich wette, dass du den attraktiven Typen, der dich neulich nachhause gebracht hat, auch schon wieder abserviert hast.“
„Was geht dich das an? Und außerdem weißt du, dass hier nicht zum Vergnügen hergekommen bin, sondern eine gefährliche Mission erfüllen soll.”
„Ach ja, du glaubst also wirklich noch immer an den Quatsch?“
„Ja ... nein ... ich weiß es nicht.”
„Wieso vergisst du diesen Unfug, oh Entschuldigung, ich meine natürlich deine Mission, nicht mal für einen Moment und genießt endlich ein wenig das Leben? Und bitte hör damit auf, immer so verkrampft zu sein, Kyra! Kein Wunder, dass die Männer einen großen Bogen um dich machen, so schräg wie du drauf bist. Wenn das so weiter geht, kriegst du nie einen ab und wirst einsam und alleine sterben. Und weißt du was, Kyra? Wenn du dich weiter so aufführst, dann bist du mich auch bald los …”
Ich wurde so sauer auf sie, dass ich keinen klaren Gedanke mehr fassen konnte. Weshalb warf mir Alira solche Gemeinheiten an den Kopf? Wütend schrie ich sie an: „Ich bin überhaupt nicht verkrampft. Aber im Gegenteil zu dir, springe ich nicht mit jedem Typen, der sich nicht schnell genug auf die Bäume retten kann, gleich in die Kiste. Und weißt du was, Alira? Ich mache was aus meinem Leben. In zehn Jahren bin ich Chefärztin während du noch immer in einer billigen Absteige kellnern musst, um deine ganzen unehelichen Bälger füttern zu können. Und ja, vielleicht finde ich keinen Mann, aber ich habe wenigsten Anstand und Würde und weiß, wer ich bin.“ Nachdem ich meinen Wutausbruch beendet hatte, rannte ich weinend aus dem Zimmer und aus dem Hotel hinaus. Eine ganze Weile saß ich in meinem Mietwagen und war immer noch sehr durcheinander. Alira war doch meine beste Freundin. Wie konnte sie nur so gemein zu mir sein?

Ich ging nicht wieder in mein Zimmer hinauf. Erstens, weil ich Alira jetzt nicht sehen wollte und zweitens, da ich mir vorstellen konnte, was die beiden da oben jetzt gerade trieben. Also starte ich den Motor und fuhr los. Ohne Ziel und Zeitgefühl kreuzte ich für eine ganze Weile durch die Stadt, bevor mir plötzlich Raihan in den Sinn kam. Ich hatte ja seine Handynummer, aber es war bereits mitten in der Nacht und ich wollte ihn um diese Zeit nicht stören. Ich fuhr zum Museum und parkte meinen Wagen direkt an der Stelle, an der ich mich vor ein paar Tagen mit Raihan getroffen hatte. Ich konnte ihn wirklich nicht anrufen. Oder doch? Immerhin war er der Einzige, den ich hier kannte. Außer Alira natürlich, aber die war bestimmt noch mit ihrem neuen Lover beschäftigt. Schließlich fasste ich mir ein Herz,  wählte die Nummer auf dem Zettel, es klingelte und eine verschlafene Stimme meldete sich mit einem leicht irritierten „Hallo?”
„Ähmmm, Raihan” sagte ich und bummerte dabei leicht mit dem Kopf gegen das Lenkrad.
„Ja, so nennt man mich und wem habe ich die Ehre zu sprechen?“
„Oh Gott!“, dachte ich mir „Der Typ hat sogar im Halbschlaf noch mehr Humor als die meisten anderen Männer wenn sie hellwach sind. „Entschuldige bitte, ich wollte nicht stören. Tut mir leid, dich geweckt zu haben. Schlaf einfach weiter.”
„Kyra? Bist du das, Kyra?”
„Nein … ja … eigentlich schon. Ich bin es.“
„Ist alles in Ordnung mit dir?” Raihan klang ziemlich besorgt.
„Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt  - ich denke nicht.”
„Ok, Kyra. Sag mir wo du bist und ich komme sofort zu dir.”
„Nein, das will ich nicht. Ich meine, das musst du nicht. Ich würde schon wollen, dass du kommst, aber…” Du meine Güte, ich stotterte wie ein Teenager beim ersten Rendezvous.
„Wo bist du?“ unterbrach Raihan ziemlich bestimmend mein Gejammer.
„Neben dem Museum.”
„In fünf Minuten bin ich bei dir.“
„Ok.“
Ich legte auf und wartete. Keine fünf Minuten später (er hatte nicht nur Humor, er war also auch noch pünktlich!) fuhr sein Wagen vor und Raihan stieg aus. Ich ebenfalls und da standen wir nun, ohne ein Wort zu sagen und schauten uns in die Augen.
„Was ist passiert, Kyra?”
„Ich habe mich heftig mit meiner Freundin gestritten. Sie macht gerade mit irgendeinem wildfremden Kerl in unserem Hotelzimmer rum und ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Ich kenne doch hier niemanden … außer dir.“
Er lächelte so süß, wie ich noch nie einen Mann lächeln gesehen hatte. „Na dann, komm mit!“
„Wohin?”
„Zu mir.”
„Zu dir! Ähmmm ... nein!” Doch dann musste ich an Aliras Worte von vorhin denken. Ich war wirklich verkrampft. Raihan schien mein Unbehagen zu bemerken. „Hoffentlich hast du mich jetzt nicht missverstanden. Das tät mir furchtbar leid, denn ich wollte dich nicht kränken.“
„Ja, aber warum …“
„Meine Mutter wartet zuhause auf uns. Ich habe ihr von dir erzählt und gesagt, dass du traurig bist und da hat sie etwas Leckeres für dich gekocht.“
„Ach so.“ Irgendwie bedauerte ich es sogar, dass ich mich geirrt hatte, aber eine anständige Mahlzeit war jetzt auch nicht verkehrt, denn ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Also antwortete ich: „Sehr gerne. Und ich muss mich entschuldigen. Ich bin in letzter Zeit so …” doch ich fand das richtige Wort nicht, das beschrieb, wie ich eigentlich war und zuckte mit den Schultern. „Ach, keine Ahnung. Lass uns einfach gehen, damit das Essen nicht kalt wird. Was gibt es denn?”
„Das ist eine Überraschung!“ Raihan öffnete mir sehr galant die Autotür (Humor, pünktlich und jetzt auch noch höfflich!) und wir fuhren los.

Als wir bei ihm daheim angekommen waren, bemerkte ich dass Raihans Haus etwas oberhalb der Stadt auf einem kleinen Hügel lag und man von hier aus eine herrliche Aussicht auf das nahgelegenen Meer haben musste. Ich konnte das zwar aufgrund der Dunkelheit nicht überprüfen, aber das gleichmäßige Rauschen der Wellen war gut zu hören und klang, als ob es nur einen Steinwurf entfernt war. Raihan schloss die Haustüre auf und bat mich herein. Ich schaute mich um. Die Einrichtung gefiel mir. Sie war zwar völlig anders wie meine zuhause, aber irgendwie hatte sie etwas Besonders.
Raihan begann zu flüstern. „Komm bitte hier entlang.“
„Wieso flüsterst du eigentlich?“ sprach ich vorsichtshalber genau so leise zurück. „Ich dachte, deine Mutter weiß, dass wir kommen und erwartet uns.”
Raihan zeigte demonstrativ langsam auf ein großes Sofa, das mitten im Wohnzimmer stand und grinste: „Darf ich dir bitte meine Mama vorstellen?“ Ich verkniff mir mein Lachen, weil ich die alte Dame, die da so friedlich schlief, nicht wecken wollte.
Raihan nahm meine Hand und führte mich leise in das Obergeschoss.
Hier war es zwar nicht ganz so geräumig wie unten, aber dafür gab es einen riesigen Balkon. Raihan drückte einen Schalter und im Nu wurde der Balkon in ein romantisches Licht von dutzenden bunter Glühbirnen getaucht. Auch wenn ich so etwas normalerweise kitschig fand, musste ich zugeben, dass mir diese Beleuchtung gefiel. Ich setzte mich in eine Hollywoodschaukel und Raihan holte uns etwas zu trinken, bevor er neben mir Platz nahm.
„Ich liebe diesen Balkon! Diese Ruhe tut mir einfach gut, egal was ich für Probleme habe, hier kann ich immer abschalten. Deswegen habe ich dich auch hier rauf gebracht.“
„Und ich dachte schon, du wolltest nur ein schnelles Abenteuer mit mir.“ sagte ich leise.
„Ach, vergiss es einfach.“
Wir schaukelten eine ganze Weile lang langsam hin und her, bis Raihan unser Schweigen beendete. Er sah zum Himmel hinauf und meinte: „Schau dir nur mal den Mond an! Wunderschön, nicht? In zwei Tagen haben wir Vollmond, das bedeutet übrigens, dass nach dem alten Kalender, wie er zu König Amirs Zeiten verwendet wurde, auch ein neues Jahr beginnen würde.“
Ich starrte den schon ziemlich runden Mond an und überlegte. Vielleicht hatte dieses besondere Datum ja eine Bedeutung für meine Mission? Ich rechnete und mir fiel auf, dass der Vollmond und damit der Beginn des neuen Jahres genau 15 Tage nach meinem Geburtstag stattfinden würden. Das hieß, dass ich heute völlig umsonst zum einsamen Felsen in der Wüste gefahren war. Erst in zwei Tagen war das entscheidende Datum! „Mann, bin ich doof!“ musste ich in Gedanken über mich selber lachen. Raihan bemerkte scheinbar mein Grinsen. „Siehst Du, es geht dir schon besser.“
„Ja, danke. Du hattest wohl recht, der Platz hier hat eine heilende Wirkung. Kann aber auch sein, dass mir deine Gegenwart gut tut. Aber wahrscheinlich liegt es einfach am Alkohol …”
Raihan grinste und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche. „Wahrscheinlich eine Mischung aus allen drei Gründen.“
„Du solltest diesen Balkon hier an traurige Menschen vermieten und dafür Eintritt verlangen. Damit könntest du eine Menge Geld verdienen.“
„Hmmm ...“ Raihan überlegte. „Da hast du durchaus was Wahres gesagt. Und weil das so ist, fange ich gleich bei dir damit an.”
„Oh ho! Was verlangst du denn von mir?” fragte ich ihn lächelnd.
„Einen Gefallen!“
„Einen Gefallen?”
„Du schuldest mir folgendes: Irgendwann, ich weiß nicht genau, wann das sein wird, werde ich dich um etwas bitten und du darfst dazu nicht nein sagen. Egal was es ist!“
Anscheinend war es wirklich der Alkohol, der mich langsam benebelte, denn ich stimmte seinem Vorschlag zu.“Ok! Irgendwann werde ich dir eine Bitte erfüllen. Egal was sie sein wird. Abgemacht!“
Wir schaukelten weiter, Raihan tauchte uns fast gleichmäßig hypnotisierend mit seinem Fuß an, und blickten in den klaren Sternenhimmel hinauf. Irgendwann musste ich dabei eingeschlafen sein, denn am nächsten Morgen machte ich meine Augen in einem völlig fremden Bett auf. Ziemlich verkatert, aber gar nicht so müde wie sonst – ich hatte heute das erste Mal seit Tagen nicht vom schwarzen Krieger geträumt – richtete ich mich auf und sah mich um.

Raihans Mutter, die wohl mitbekommen hatte, dass ich soeben aufgewacht war, steckte ihren Kopf vorsichtig zur Türe herein und wünschte mir mit einem höflichen Lächeln einen guten Morgen.
Ich erwiderte „Guten morgen!” Aber es war mir irgendwie peinlich, hier zu sein. Ich kannte diese Frau ja gar nicht, hatte sie noch nie gesehen. Doch halt, gestern, schlafend und schnarchend auf ihrem Sofa. Sie sah ihrem Sohn sehr ähnlich, das erkannte ich auf den ersten Blick. Die schmalen Lippen, das kleine Kinn, die verschmitzten Augen… Die alte Dame zeigte mir den Weg zum Bad und zog sich dann diskret nach unten zurück. Wo Raihan war, wusste ich nicht.

Ich stand vorm Spiegel und sah, dass meine Haare völlig wirr in alle Richtungen standen. Ich versuchte sie mit einem Kamm und etwas Wasser einigermaßen zu bändigen, was mir erstaunlicherweise sogar gelang. Ich putzte mir die Zähne, wusch mich und ging nach unten.

Raihans Mutter hatte Frühstück gemacht.
„Setzen sie sich bitte.“
„Danke, das ist sehr nett von ihnen. Wo ist denn Raihan?“
„Der musste heute ganz früh raus und ist schon im Museum.” Sie schenkte mir Kaffee und setzte sich mir gegenüber an den Tisch. „Wissen sie, Raihan hat noch nie eine Frau mit nachhause gebracht. Sie müssen also für ihn etwas ganz Besonderes sein.”
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten hätte sollen. Schließlich hatte er mich doch mit zu sich genommen, weil ich sonst nirgendswo hin gekonnt hatte. Ich lächelte sein Mutter deshalb nur an und trank einen Schluck Kaffee.  „Ich habe ihren Sohn vor vier Tagen im Museum kennengelernt. Er hat mich rumgeführt und einige besondere Ausstellungsstücke gezeigt.“
Als ich zu Ende gefrühstückt hatte, bedankte ich mich und stand auf, denn ich wollte so schnell wie möglich hier weg. Ich hatte Angst, wenn ich noch länger bleiben würde, dass Raihans Mutter mir gleich einen Ehevertrag zur Unterzeichnung vorlegen würde. Doch sie hielt mich zurück. „Bitte bleiben sie doch noch. Raihan wollte, dass sie auf ihn warten. Er wird in ungefähr einer Stunde wieder hier sein.“
„Ähmmm, nein ich kann nicht länger bleiben. Es tut mir leid. Würde sie ihm bitte ausrichten, dass ich ihn heute noch anrufen werde?“
Sie versuchte noch ein paar Mal mir ihren Willen aufzudrängen und mich aufzuhalten, aber zu meinem Glück gelang ihr das nicht und ich machte mich aus dem Staub.

Ich nahm mir ein Taxi und ließ mich zum Hotel zurückbringen. Die ganze Fahrt über überlegte ich, was ich Alira sagen sollte. Mir war ihrer Freundschaft äußerst wichtig, auch wenn sie mich gestern sehr verletzt hatte. Aber ich war ja ebenfalls nicht gerade freundlich zu ihr gewesen. Wir hatten da beide ein paar Dinge gesagt, die wir so sicher nicht gemeint hatten und die uns beiden mittlerweile bestimmt schrecklich leid taten.

Im Hotel angekommen ging ich sofort auf unser gemeinsames Zimmer und sah mich um. Alira war nicht da. Dafür fand ich einen Zettel von ihr, den sie auf den kleinen Kühlschrank neben der Bar gepinnt hatte.


„Liebe Kyra!
Ich habe Dir gestern ein paar ganz dumme Sachen an den Kopf geworfen. Das hätte ich nicht tun dürfen. Glaub mir, Du bist meine beste Freundin und ich will nicht länger mit ansehen müssen wie einsam Du bist, weil Du alle Männer verscheuchst.

Aber Deine Vorwürfe an mich waren auch nicht ohne. Du hast mich verletzt, mit dem, was Du gesagt hast. Du hast ja irgendwie Recht, wenn Du findest, dass ich zu wenig an meine Zukunft denke. Aber Du, mein Schatz, denkst nur daran und lebst dadurch nie im Hier und Jetzt.

Ich kann vergessen, was Du gesagt hast. Noch nicht. Natürlich will ich Dich nicht als Freundin verlieren und ich hoffe, wir beide kriegen das irgendwann wieder alles geregelt. Aber das braucht Zeit und momentan habe ich ehrlich gesagt keine Lust, länger hier mit dir zu bleiben. Deshalb bin ich in der Nacht zurückgeflogen. Ich hoffe, Du verstehst das und bist mir nicht böse?

Bis bald,

Alira

P.S.: Wahrscheinlich bereue ich meinen Entschluss, wenn ich zuhause wieder von meinen Neffen gequält werde, recht schnell.“


Ich war Alira nicht böse. Jedenfalls nicht sehr. Sie hatte ja irgendwie Recht, aber andererseits war das Leben ist nun mal hart und man musste sich durchsetzten und manchmal eben auch Opfer bringen, um an sein Ziel zu gelangen. Dessen war ich mir schon damals, als ich mein Medizinstudium begonnen hatte, bewusst gewesen. Ich war eine Kämpferin, die nicht so schnell aufgab. Und das sollte auch kein jahrtausendealter Fluch oder ein schwarzer Krieger in meinen Träumen ändern.

Jetzt, da ich wieder allein war, hatte ich Zeit und die nötige Konzentration meine Mission richtig anzugehen. Ich nahm das Buch zur Hand und las mir die Geschichte nochmals langsam und gründlicher, als je zuvor, durch. Aus irgendeinem Grund hatte ich so ein Gefühl, als ob ich dabei bisher etwas Wichtiges übersehen haben könnte.
Doch ich fand nichts. Auch nach dem dritten Lesen war ich so schlau wie zuvor. Dann fiel mir wieder die Inschrift auf Amirs Sarg ein. Ich holte mein Handy und las die Wörter laut vor:

„Komm, nimm dich seiner an…“ „Puh!“ seufzte ich, denn ich war mir im Klaren darüber, dass ich nichts mit dieser Inschrift anfangen konnte. Wen sollte ich denn zum Beispiel annehmen? Um diesen Text zu verstehen, brauchte ich Raihans Hilfe, das stand eindeutig fest. Er würde mir meine Geschichte auch sicher glauben, spätestens wenn ich ihm das Buch gezeigt hatte. Natürlich bestand die Gefahr, dass er mit der Sache an die Öffentlichkeit gehen würde, um an Reputation als Archäologe gewinnen zu können. Ich wusste ja, wie ehrgeizig und wie besessen er geradezu war, das Geheimnis um König Amir zu lüften. Dennoch schien er mir ein sehr netter Typ zu sein. Ich mochte ihn sehr, das musste ich mir zugestehen und langsam vertraute ich ihm auch. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.

Ich beschloss deshalb, Raihan einzuweihen, packte das Buch in meinem Rucksack und fuhr zum Museum. Vielleicht würde er mir zumindest ein paar entscheidende Fragen beantworten können. Ich war mir aber noch nicht sicher, ob ich ihm wirklich Alles anvertrauen konnte.

Raihan war heute jedoch nirgends im Museum zu finden und als ich nach ihm fragte, bekam ich nur die Auskunft, dass er schon vor Stunden weggegangen war. Ich verließ das Museum, setzte mich auf die Treppen vor dem Eingang und rief ihn mit meinem Handy an. Raihan war sichtlich erfreut, meine Stimme zu hören, auch wenn er enttäuscht war, dass ich heute Morgen nicht auf ihn gewartet hatte. Wir machten aus, uns in zwei Stunden in einer Bar ganz in der Nähe des Strandes zu treffen.

„Hi Kyra!” Raihan gab mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange, als er (wieder mal) äußerst pünktlich an unserem Treffpunkt erschien. Ich war schon länger hier, weil ich nicht wusste, wie ich sonst die Zeit totschlagen sollte und hatte deshalb auf ihn warten müssen.
„Hallo Raihan. Danke, dass du Zeit für mich hast.”
Der Barkeeper schien Raihan wohl gut zu kennen, denn er brachte uns zwei  Cocktails, ohne dass wir sie bestellt hatten. „Die gehen aufs Haus, alter Freund.” lächelte der Mann hinter dem Tresen und stellte uns die Drinks hin.
„Du kennst hier anscheinend wirklich so gut wie jeden?” fragte ich ihn gelassen.
„Naja“, antwortete Raihan. „Jeden nicht, aber der Barkeeper hier ist ein guter Kumpel von mir. Ich musste vor … Moment … vor rund drei Jahren nämlich seine Ehe retten.“
„Ach ja, interessant. Dann bist du also nicht nur Archäologe, Museumsaufsicht, Fremdenführer und Seelentröster sondern auch noch Ehetherapeut?“
„Tja, das war so: Seine Frau kam ziemlich oft ins Museum, war sozusagen ein Stammgast dort. Da habe ich sie übrigens kennengelernt. Sie hat fünf Kinder und wie sich herausstellte, besuchte sie das Museum nicht wegen ihrem Interesse an Geschichte und Kultur sondern vielmehr, weil sie hier einfach für ein, zwei Stunden ihre Ruhe hatte. Jedenfalls mochte ich sie. Eines Tages hatte ihr Mann den Hochzeitstag übersehen, anscheinend nicht zum ersten Mal. Sie muss ihm daraufhin eine furchtbare Szene gemacht haben und drohte, ihn zu verlassen. Er wusste nicht mehr weiter und ist hilfesuchend zu mir gekommen. Ich habe seine Frau angerufen und ihr gesagt, dass wir am Abend dieses Tages eine besondere Ausstellung im Museum hätten, die sie unbedingt sehen musste. Sie wollte zwar erst nicht, aber ich konnte sie überreden. In der Zwischenzeit habe ich in einen Raum im Museum einen Esstisch und Stühle stellen lassen, alles wunderschön dekoriert und meine Mutter hat ein Festmahl gekocht. Am Abend, als die Frau dann gekommen ist, haben wie so getan, als ob das eine Überraschung zum Hochzeitstag ihres Ehemannes gewesen sei, die er schon lange geplant gehabt hätte. Sie hat uns das geglaubt, zumindest hat sie uns das glauben lassen, ist ihm um den Hals gefallen und die Ehe war gerettet.
„Ha, ha. So einer bist du also? Finde ich aber echt nett von dir, dass du ihm so geholfen hast.”
„Man tut, was man kann.“ antwortetet er und zog dabei beide Augenbrauen etwas hoch. „Und? Wie sieht es zwischen dir und deiner Freundin aus? Ist wieder alles in Ordnung?“
„Naja, sie ist heute in der Nacht nachhause geflogen. Ich finde nicht, dass man da unbedingt von einer Versöhnung sprechen kann.“
„Sie wird sich bestimmt bei dir melden, wenn du auch wieder zuhause bist. Wirst schon sehen.“
„Das hoffe ich.” Raihan tat mir einfach gut. Er war so verständnisvoll und hatte Charakter.
„Entschuldige bitte nochmals, dass ich dich heute Morgen mit meiner Mutter allein gelassen habe. Ich hatte etwas sehr Dringendes zu erledigen.”
„Du musst dich nicht entschuldigen. Und deine Mutter ist ja ganz nett.”
„Hmmm … nett ist sie, das stimmt. Wahrscheinlich sogar zu nett. Sie hat dich bestimmt mit ihrem „Das ist also meine zukünftige Schwiegertochter Blick“ aus dem Haus gejagt. Oder etwa nicht?“
Als Raihan das gesagt hatte, konnte ich mich nicht zurückhalten und musste ziemlich lachen. „Ja, da ist was dran. Sie hat mich schon ziemlich genau unter die Lupe genommen.“
Raihan schüttelte den Kopf. „Ich habe es geahnt. Sie kann nicht anders.“ Er winkte dem Barmann, dem er die Ehe gerettet hatte und bestellte uns noch einen Drink. Und schon kam er angedackelt, mit zwei Gläsern in der Hand und einem fetten Grinsen im Gesicht. „Einen Drink für die hübsche Lady und einen für den Archäologen, der es endlich geschafft hat, sich mit einer Frau zu beschäftigen, die nicht schon seit 1000 Jahren tot und begraben ist.“
Während ich versuchte, mir mein Kichern zu verkneifen, warf Raihan ihm einen ziemlich bösen Blick zu. „Danke für den Drink. Und komm ja nicht wieder zu mir, wenn du das nächste Mal deinen Hochzeitstag vergisst.”
Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so gelacht hatte.
Raihan lachte zwar mit mir, aber trotzdem war ihm das Ganze auch ein wenig peinlich. Denn wahrscheinlich hatte der Barkeeper mit seinem Witz gar nicht so daneben gelegen. „Jetzt glaubst du bestimmt, dass ich ein Langweiler bin, der es nicht schafft, eine Verabredung mit einer schönen Frau zu bekommen.“ verteidigte er sich auch gleich eine Spur zu ernst. „Kannst mir ruhig die Wahrheit sagen, wenn du das so siehst.“
Ich wurde wieder ernster. „Hey, du hast doch gerade eine Verabredung mit einer schönen Frau!  Und dass du viel Zeit mit deiner Arbeit verbringst, finde ich gut. Archäologie ist dein Leben und was gibt es Besseres, als das Hobby zum Beruf zu machen?“
Ich bemerkte, dass ich wohl ins Schwarze getroffen hatte, denn Raihan strahlte mich förmlich vor Zufriedenheit an. „Welchen Job hast du eigentlich?” fragte er mich schließlich.
„Ich bin Chirurgin und arbeite an einem Krankenhaus in London.“
„Nein, du machst jetzt Witze, oder? … Ich meine, du bist doch viel zu jung für eine Ärztin. Obwohl …“
„Hey! Aber ich nehme das jetzt einfach mal als Kompliment.”
„Hmm, nein ich glaube dir das schon. Aber, und bitte entschuldige die Frage, wieso hat eine britische Ärztin ein so große Interesse an König Amir? Ich werde einfach nicht schlau aus dir.“
„Er war mal vor langer Zeit mein Patient und ich wollte mal nachgucken, wie es ihm jetzt so geht.“ antwortete ich ihm kichernd.
„Ach so. Und ich dachte schon, du würdest etwas von König Amir wissen, ein Geheimnis zum Beispiel, das sonst niemand kennt.”
„Ich verstehe! Und wenn das wirklich so wäre, wolltest du es mir herauslocken und damit an die Öffentlichkeit gehen. Dann würdest du im Rampenlicht stehen und kämmst endlich als Archäologe groß raus. Habe ich recht mit meiner Vermutung? Ich habe recht, Raihan und das weißt du auch.”
Raihan sah mich schweigsam und äußerst enttäuscht an. „So denkst du also von mir! Dann ist es wohl besser, wenn ich jetzt gehe.“
Aber ich hielt ihn zurück. „Raihan, ich kenne dich doch gar nicht richtig. Wie soll ich dir denn da vertrauen?“
Er setzte sich wieder hin. „Weißt du Kyra, ich bin Archäologe. Wie du vorhin richtig bemerkt hast, liebe ich meinen Beruf. Das bedeutet aber nicht, dass ich bei jeder Entdeckung gleich eine Pressekonferenz einberufe. Du hast keine Ahnung davon, was ich alles weiß und geheim halte. Bitte glaube mir das. Denn manchmal ist es besser, wenn man sein Wissen für sich behält“
„Ja“, antworte ich ihm, „ich verstehe was du meinst.”
Raihan drehte sich zu mir und sah mir tief in die Augen. „Kyra, ich vertraue dir. Ehrlich. Und ich will, dass du mir auch vertraust. Deshalb werde ich dir auch den Umschlag zeigen, den mir ein befreundeter Museumsdirektor heute aus Dubai geschickt hat. Wir beide sind alte Freunde und sozusagen Weggefährten auf der Suche nach König Amirs Geheimnis.“ Er öffnete seine Tasche, nahm einen braunen Umschlag heraus und gab ihn mir. „Hier bitte. Mach es auf.”
Ich war verblüfft und fragte Raihan, was in dem Päckchen sein würde.
„Mach den Umschlag auf und du siehst es!”
Ich tat, was er wollte und zog ein gefaltetes Blatt aus dem Kuvert heraus. Raihan beobachtet mich dabei sehr genau, anscheinend war er auf meine Reaktion gespannt. Auf dem Blatt war ein Medaillon abgebildet. Es war das gleiche, wie auf meinem Buch. Ich blieb gelassen, auch wenn mir das ziemlich schwer fiel. „Aha.“ Ich versuchte, mich naiv und unwissend zu präsentieren. „Sehr schön! Aber was ist das?”
„Das meine Liebe“, Raihan verfiel beinahe wieder in seinen Tonfall als Museumsführer, „ist das sagenumwobenen Medaillon von König Amir.“
„Tatsächlich?“
„Ja. Er trug es immer um den Hals, aber als er von einer Reise nach Arabien zurückkehrte, hatte er es nicht mehr.”
„Vielleicht“, spielte ich noch immer das Unschuldslamm, „hat er es ja verloren oder es wurde ihm gestohlen?”
„Nein Kyra, das glaube ich nicht.”
Ich sah mir die Abbildung nochmals ganz demonstrativ an. „Was soll so besonders daran sein. Gut, es gehörte König Amir, aber der hatte bestimmt einen Haufen Schmuck, Ketten und Amulette.“
„Tja, da hast du sicher recht. Aber im Gegensatz zu seinen anderen Juwelen soll dieses Medaillon Zauberkräfte besessen haben!“
Ich musste lachen. „Zauberkräfte? Simsalabim … dreimal schwarzer Kater … Du glaubst doch nicht etwa an so was, oder doch?”
Raihan nahm mir das Blatt aus der Hand und sah es sich genau an. „Ich habe jedenfalls sehr lange auf dieses Abbildung warten müssen. Aber jetzt weiß ich endlich, wie das Medaillon ausgesehen hat. Für mich ist das wieder ein Teil mehr in dem Puzzle, das ich zusammensetzen muss, um das Rätsel von König Amir zu lösen.”
Raihan konnte nicht wissen, dass ich mir gerade das Selbe gedacht hatte. Oder ahnte er es bereits? Ich kämpfte mit mir. Sollte ich es wagen und ihm endlich die ganze Wahrheit beichten? Die Zeit drängte schließlich und ich brauchte Unterstützung für meine Mission, das war mir schon klar. Und in den nächsten zwei Tagen würde ich definitiv keine bessere Hilfe finden als Raihan. Also fasste ich mir endlich ein Herz. „Raihan, hör mir bitte gut zu! Was wäre, wenn ich dir jetzt sage, dass ich im Besitz des echten Medaillons bin?”
„Ganz einfach. Ich würde es dir nicht glauben.“
„Du bist Archäologe. Glauben steht bei euch doch immer vor Wissen.”
Er lächelte und meinte: „Ok, gehen wir einmal nur kurz davon aus, dass du die Wahrheit sagst. Dann erkläre mir bitte zuerst mal, woher du das Medaillon hast.”
„Ist wohl so eine Art Familienerbstück. Amir hat es meiner Ururururgroßmutter zu ihrer Vermählung geschenkt.“
Raihan lachte kurz, dann wurde er wieder ernster. “Das wäre eine gute Geschichte für Hollywood. … Und ich bin fast darauf reingefallen.“
„Raihan, ich konnte das zuerst selbst alles nicht glauben, aber auf Amirs Rüstung im Museum ist der Name meine Vorfahrin eingraviert. FELESTRA. Ich kann nämlich Klangonisch.”
„Und du solltest in dem Film die weibliche Hauptrolle spielen.”
„Die große, geheime Liebe von König Amir war meine Vorfahrin und die hieß Felestra.“
„Ein guter Titel wäre: „Der Fluch von Arabien“
„Felestra und Amir haben sich das letzte Mal auf dem einsamen Hügel an der Küste getroffen. Nur deswegen wollte ich dort hin.”
„Dann …“, Raihan machte eine kurze Pause, „… dann musst du die Auserwählte sein!”

Für einen Moment stockte mir der Atem. Ich war auf so ziemlich Alles gefasst gewesen, aber nicht darauf.
Raihan schmunzelte sichtlich stolz und zufrieden, dass er mich so kalt erwischt hatte. „Schon gut. Jetzt beruhig dich bitte wieder. Wie gesagt, ich weiß viel mehr, als ich veröffentlich habe.“ Er winkte den Barkeeper heran.“Ich glaube, wir brauchen jetzt etwas Stärkeres. Bitte zwei Wodka pur.“
Ich setzte das Glas an, nahm einen großen Schluck daraus und hatte sogleich ein Gefühl, innerlich zu verbrennen. So ein scharfes Zeug war ich einfach nicht gewohnt.
Raihan anscheinend schon. Er klopfte mir auf den Rücken. „Geht’s wieder?“
„Naja. Ich denke, es muss wohl.“
„Also, mein Großvater hat vor vielen Jahren damit angefangen sich für Amirs Geschichte zu interessieren. Er nahm auf seinen Erkundungen fast immer meinen Vater mit. Leider konnten die beiden nicht viel herausfinden, nur dass es eine arabische Frau gegeben haben musste, in die der König einst schrecklich verliebt gewesen sein muss. Ich erbte sozusagen die Forschung über Amir und konnte mit den Jahren auch so Einiges erforschen. Ich war als junger Mann für fünf Jahre in Arabien. Eines schönen Tages fand ich etwas, für mich damals völlig Unvorstellbares. Es handelte sich dabei um das Schwert König Amirs. Du weißt schon, es ist das Schwert, das in unserem Museum ausgestellt ist. Aber das eigentlich Unvorstellbare an dem Fund war gar nicht das Schwert. Vielmehr fand ich damit eine Art Botschaft.” Raihan hielt kurz inne, bevor er weiter sprach. „Ja, man könnte es eine Botschaft nennen.“
„Was war das für eine Botschaft?”
„Das darf ich dir nicht sagen. Aber danach wusste ich, dass es irgendwann eine Auserwählte geben wird. Ich habe aber nicht so bald mit ihr gerechnet und dass die Auserwählte jetzt neben mir sitzt und sich an einem Wodka verschluckt, das finde ich … wooooow! ... Besser kann ich es einfach nicht formulieren.” Raihan musste lachen.
„Du weißt dann sicher auch über den Fluch bescheid?”
„Ja, aber das ist auch kein großes Geheimnis. Der Fluch wird von vielen alten Quälen erwähnt.”
„Und weißt du auch, wer den Fluch heraufbeschworen hat?”
„Nein, leider nicht. Darüber halten sich die Aufzeichnungen merkwürdigerweise alle bedeckt.“
„Na wer wohl? Es war Amir, dein geliebter König Amir!”
„Nein, das glaube ich nicht.“
„So, das glaubst du nicht. Und wer bitte hat dann deiner Meinung nach den Fluch ausgelöst?”
„Ich hatte immer vermutet, dass seine geheime Geliebte …“
„Mein Gott …“, unterbrach ich ihn. „Wenn bei euch Typen ein Problem auftaucht, dann muss immer eine Frau daran schuld sein.“  
„Ist doch auch meistens so der Fall, oder?“
„Du verdammter Macho! Aber jetzt ganz im Ernst – was sollen wir jetzt unternehmen?“
Raihan legte sich zurück und überlegte. „Hmm, …“ meinte er schließlich, „wenn du die Auserwählte bist, dann solltest du gefälligst auch den Fluch beenden.”
„Ach nee!“ lächelte ich und stieß Raihan in die Seite. „Ich soll so einfach mir nichts, dir nichts einen jahrhundertealten Fluch beenden. Das liegt ja auf der Hand, aber ich Dummkopf wäre alleine gar nicht auf diese Idee gekommen.” Raihan stieß mich auch in die Rippen und wir lachten.
„Kannst du mir bitte mal das Medaillon zeigen?”
Ich schaute mich um und fand, dass eine Bar kein guter Platz dafür war.
„Natürlich, aber nicht hier. Komm, lass uns zahlen.
Raihan nickte zustimmend und rief den Barmann.

Wir fuhren zu dem Haus seines Onkels in die Wüste hinaus, denn Raihan hielt es für am klügsten, wenn wir wieder zum einsamen Felsen gehen würden.



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Wenn die Liebenden fallen, die Liebe fällt nicht,
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
-Dylan Thomas-
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