18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Biografisches
Ausgeraucht

 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Tiefgang
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 43
Beiträge: 1139
Wohnort: Hamburg
DSFo-Sponsor


Und ständig fließt Musik aus meiner Stromgitarre
Beitrag13.09.2008 01:49
Ausgeraucht
von Tiefgang
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ausgeraucht


Der Weg ins Molotow führte über eine schmale Treppe runter in den Veranstaltungskeller. Unten angekommen, wurde man von einem echten Delikatclub empfangen. Hamburger Szenenkult vom Feinsten. Polygoner Zuschnitt, verschachtelt, nicht zu eng, zwei Bars und das Interior mit viel Liebe verziert. An den rotbemalten Wänden hingen Plakate, um die Tanzfläche rum waren zahlreiche Buntlichter an Drahtseilen gespannt und inmitten eine unscheinbar dicke Discokugel. Dazwischen wurden 70-iger-Jahre Tapeten und einige kleine Gimmicks sowie weißumrandete rote Sterne drapiert. Es wirkte gewachsen, nicht in Eile zusammengestückelt und hatte Flair. Mir fiel sofort die witzig aussehenden Eisenkäfigkonstruktion ins Auge, hinter welcher der Mischer Platz nahm.

Ich wollte mir noch Zigaretten besorgen, Live-Nahrung eben. Dabei fiel mir ein, dass es in Hamburg zum einen Zigaretten nur an Automaten, nie am Tresen gab und zum anderen, dass man bei diesen für den Kauf eine EC-Karte oder EU-Führerschein zwecks Altersauthorisierung benötigte. Beides hatte ich natürlich nicht vor Ort und so musste ich zur nähst gelegenen Tanke marschieren. Dabei kam mir die Frage in den Sinn, ob sich ein Führerscheinentzug so womöglich auch auf den Rauchkonsum auswirken könnte. Keine EC-Karte, kein Führerschein, keine Zigaretten - so einfach war das.

Zurück im Molotow standen schon Marathon, die Vor-Vorband, auf der Bühne. The Kooks haben wohl eine wahre Lawine losgetreten, dachte ich und hörte aufmerksam zu. Es war jedoch nicht derart fesselnd, sodass ich die Zeit nutzen konnte, um beim Merchandise-Stand vorbeizugucken.
Dort stießen mir sofort die 4 Exemplare der auf 1.000 Stück limitierten ersten The Kilians EPs ins Auge.
Nur 1000 Stück, dachte ich, wie cool, so eine musst du haben! und so fragte ich emsig:
Sind das schon die letzten 4 übrigen Stücke der EP?
Der junge, blond gelockte, Kiliansshirt-tragende Kerl hinter der Bierbank guckte mich verdutzt an:
Nein, wenn du eine haben willst, dann bekommst du das zweite überhaupt verkaufte Stück.Er fing an zu grinsen. Ich auch:
Alles klar, her damit!
Er streckte mir die EP, ich ihm das Geld rüber, während ich sein Shirt näher musterte:
Habt ihr das nur in Schwarz?
Leider ja und so diskutierten wir noch kurz über die passendere Farbwahl zu dem weiß-violetten Kilians-Logo, bis ich mich wieder in Richtung Bühne aufmachte.

Noch immer standen die Marathons am Holzdeck. Das einzig Beeindruckende bei den Marathons war die Stimme des Sägers. Diese wirkte, als wäre er in den London-Suburbs geboren, hätte dort seine erste Zigarette geraucht, das erste mal Whiskey probiert und seine Unschuld verloren. Sie wirkte richtig authenthisch. Der Rest allerdings war Sub-Standard und so füllte sich der Saal erst, während die Marathons schon ihren Abtritt vorbereiteten.

Der Umbau zwischen den Bands war nett geregelt. Die ohnehin gnomenhafte Bühne wurde mit einem braunen Fetzen verhüllt, dahinter die Artisten völlig unverhüllt eigentlich, Instrumente stimmend, Verstärker und Effektgeräte einstellend, Klinkenstecker und stromverkabelnd. Gute Lösung, dachte ich, hat was!

Der Vorhang lüftete sich und der junge Kiliansänger eröffnete in Altmanier: Wir fangen einfach mal mit einer Rückkopplung an. Und so ging es schnell zur Sache, man konnte sich des Mittippens kaum entziehen.
Wie üblich fiel mein Blick erst zuletzt auf den Drummer. Er trug ein Grand-Hotel-Van-Cleef-Shirt. Ein typischer Stockschwinger; im Hintergrund Grimassen schneidend, die Zunge durch den Mund kegelnd, während er Ansätze zum mitsingen zeigte und der Band durch mitfieberndes Kopfnicken den nötigen Rhythmusrückhalt gab. Schlagzeuger eben. Meist unterschätzt, meist unbemerkt und das Rückgrat jeder Band. Bricht er weg, wird die Combo bewegungsunfähig. Ähnlich dem Bassisten. Diese Zwei, die Unauffälligsten sind es, die entscheiden, ob die Masse mithüpft, mitwippt oder schlicht abschlafft.

Ich konzentrierte mich wieder auf den Sänger. Gerade Abitur gemacht, meinte er. Jung also, war er, aber umso professioneller, abgeklärter und vereinnahmender wirkte er. Er schnallte sich eine Gitarre um und leitete den letzten Song der Killians ein:
Wir werden immer gefragt, warum wir mit DREI Gitarren spielen. Das hat ZWEI Gründe. ERSTENS können wir es nicht anders und ...
Vielleicht Kalkül, vielleicht Zufall, jedenfalls gefiel mir diese Erklärung.
The Kilians, eine in sich schlüssige, gut harmonierende Truppe, die das Zeug hatte, vielleicht auch mal die großen Bühnen beschallen zu dürfen.

Danach wieder das lustige Umbautreiben bis Pale anfing, gut anfing, schnell. Hüft- und kopffedernd verfolgte ich das Geschehen. Doch schon nach den ersten Stücken die symptomatische Aussage des Leadsängers:
Vorhin sagte ein Mädchen zu mir: Ich freue mich schon riesig, aber bitte spielt auch die alten Sachen. Ich sagte nur: keine Chance.
Er zupfte kurz auf der Klampfe rum und fuhr fort:
Ok, dann haben wir uns gedacht, spielen wir doch einfach unseren schlechtesten Song.
Weit gefehlt. Das war euer bester, Jungs. Rockig und energetisch. Das was danach folgte war immer noch hörenswert, sicherlich, aber eben bei weitem nicht mehr so konzertreif. Ich bin Pale-Fan, kein Zweifel, aber was sich da vor meinen Augen abspielte, war ein lehrbuchmäßiger Ablauf des Band-Phänomens, sich zwanghaft weiterentwickeln zu müssen. Der Trieb: Altes ist scheiße, Neues muss anders und ausgefallener und Hauptsache kompliziert sein, wurde live auf der Bühne vorzelebriert.

Die erste Pale-LP war einfach gestrickt, aus dem Bauch heraus, zum mitgehen und mit Herz. Mit Herz war auch das zweite Album, nur zum einen langsamer und zum anderen einfach überproduziert. Der Verlierer dieser Entwicklung war wieder mal der Groove. Ich erinnerte mich an ähnlich geführte, bandinterne Diskussionen und auch an den Rat des Eferdinger Musikurgesteins Eddie, den er uns damals im zarten Alter von 16 mitgab:
Hauptsache es grooved!
Er hatte es geschafft, den Kern von Musik pointiert in nur drei Worten auszudrücken. Grooven muss es.

Pale allerdings schien das nicht zu interessieren. Die Bühnenperformance war mehr und mehr überdeckt von zahlreichen übergestikulierten Körperschlenkern des Sängers, der zudem oftmals noch um Ruhe aufforderte. Bei einem Konzert um Ruhe bitten, der Sargnagel, das war ein No-Go der ganz fiesen Sorte, besonders bei einem Rockkonzert.

Fast allerdings hätte er noch die Kurve gekriegt, als er meinte: Wir haben doch noch was Altes für euch. ... Pause ... Christian, der ist richtig alt und singt jetzt den nächsten Song für euch.
Doch die restlichen Stücke, die Pale spielte, erinnerten mich eher an Joggen mit Musik. Töne zum weggleiten, einfach fließend durch die Gegend schwimmen, zwar schön, verträumt, musikalisch gut, aber eben nicht rotzig genug. Viele dieser Bands kriegen ja nochmals die Kurve und kommen zum Wesentlichen zurück. So auch bei Heinz aus Wien. Deren erstes Album war dreckig, rockig, gut. Zweites wurde dann allerdings in Seattle vom ehemaligen Nirvanaproduzent aufgenommen. Das Resultat: Überproduktion, zuwenig Dreck und nah am Lieblosen.

Den Rest des Konzertes verbrachte ich gemütlich im hinteren Drittel des Raumes. Ich steckte mir eine Zigarette an, inhalierte einige male tief und driftete während „take me out, bouncers“ hinfort. Tiefe Züge in denen ich den glimmenden Spitzkegel des Unheils anstarrte.
Desto kräftiger man einsaugt, desto schneller erlischt sie, dachte ich, kurz berauscht und schnell zu Ende. Das konnte nicht alles sein., grübelte ich. Die Lebensparabel im Hinterkopf ein letzter tiefer Zug und dann am Boden ausgedämpft.

Danach musste ich an den Auftritt selbst denken: Die Band ‚Marathon’ war die Zigarette, die bald schon mal geraucht werden wird, zuerst jedoch noch gedreht werden muss. Papers und Tabak lagen noch lose nebenher. Die Kilians hingegen waren frisch entzündet, man konnte sie tief einsaugen und sich berauschen lassen. Pale allerdings, die sah ich dem Filter bedrohlich nahe kommen, beinahe ausgeraucht.

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen Skype Name
Maria
Geschlecht:weiblichEvolutionsbremse

Alter: 52
Beiträge: 5998

DSFo-Sponsor Ei 1
Ei 4


Beitrag07.10.2008 14:36

von Maria
Antworten mit Zitat

Hey Tiefgang,

so gänzlich unbefleckt...

Ich fang mal direkt an.

Zitat:
eine unscheinbar dicke Discokugel.

Unscheinbar dick. Ich möcht nicht sagen, es wäre ein Widerspruch… aber es passt mir nicht zusammen, ich weiß nicht genau was gemeint ist. Dick im Sinne von riesengroß und unscheinbar, dass sie in der anderen Deko nicht zur Geltung kommt?



Zitat:
Dabei kam mir die Frage in den Sinn, ob sich ein Führerscheinentzug so womöglich auch auf den Rauchkonsum auswirken könnte. Keine EC-Karte, kein Führerschein, keine Zigaretten - so einfach war das.

Ich hoffe doch mal nicht, dass man bei einem Führerscheinentzug auch gleich die EC-Karte mit abgeben muss? Das wäre mal ne Maßnahme - da fährt keiner mehr angeschickert oder bei rot über die Ampel. Die Herleitung hinkt mir also... Auch wenn ich Dir im Prinzip recht geben muß: die Anti-Raucher-Kampagne zieht seltsame Kreise.

Zitat:
Zurück im Molotow standen schon Marathon, die Vor-Vorband, auf der Bühne. The Kooks haben wohl eine wahre Lawine losgetreten, dachte ich und hörte aufmerksam zu.

Aufmerksam zuhören ist mir hier zu wenig. Würde für eine Lesung besser passen. Ein weiterer Hinweis auf die Musikrichtung, oder was dich hier an die Kooks erinnert wäre toll. Sind sie zu seicht, zu leise, zu laut oder langweilig?


Zitat:
während die Marathons schon ihren Abtritt vorbereiteten.

Besser ist der Abgang… Abtritt ist eine Latrine oder eben Toilette *g


Zitat:
Und so ging es schnell zur Sache, man konnte sich des Mittippens kaum entziehen.

Was genau meintest Du mit „Mittippen“...  den Fuß auf den Boden, die Finger auf der Luftgitarre.
Mensch. Beschreib doch wie Du Dich bewegt hast. Oder beinahe bewegt hast  Laughing
Einzelne Takte, die einen endlich zwingen, ein Bein zu bewegen, ein weiterer Takt, der die anfängliche Steifheit vertreibt und man lockerer wird und der Rhythmus durchs Blut gluckert, die Gelenke weichkocht und man Bock kriegt sich ein Bier zu bestellen. Man lachen möchte. Mehr Leben - eben.


Es liest sich leider wie ein Aufsatz, den man Dir aufgetragen hat zu schreiben.
Du beschreibst viel vom technischen Ablauf (nicht nur im Sinne der Tontechnik), wie Du EP’s kaufen gehst, wie Du zur Tanke gehst, Kippen holen, wie die Band umbaut, abbaut, die Bühne verlässt. Aber zu wenig gefühltes oder Beobachtetes, ich möchte sogar sagen Interessantes wink
Wie war Deine Laune, die Stimmung allgemein? War es voll? Konnte man richtig feiern, oder war es insgesamt eher mäßig und das Geld geradeso wert?

Bei einem Konzert-Review in einer Musikzeitung z.B. wünsche ich mir neben der musikalischen Bewertung, dass ich eine Idee von der Stimmung bekomme. Bei einer Beschreibung eines Abends, der eher Erzählung sein soll, möchte ich daneben auch die verrauchte Luft riechen können, den Schweiß und das Parfum der anderen Gäste, dass ich Bock krieg auf die Musik und Zappeln. Oder ist das Konzert Nebensache? Dann brauche ich aber einen guten Grund für den eigentlichen Stoff. Ich hab im Grunde genommen darauf gewartet, dass noch was kommt - bzw. Du aus Dir raus kommst. Es wirkt sehr zurückgenommen, fast so als wärst Du nicht dabei gewesen.

Die Idee mit der Zigarette find ich gut – vielleicht hättest Du sie als roten Faden zu jedem Auftritt rauchen können? die Unterschiede der Band, eine art Spannungsbogen über die Qualiäten der Bands und den unterschiedlichen Schwingungen... hoffe Du weißt was ich mein.

Einige dieser statischen Abläufe rausnehmen (EP-Kauf z.B. – was sind EPs überhaupt?) und mehr von Deiner Lust, Bock, Hormone, Musik und Stimmung rein und dann wird dem Text mehr Leben eingehaucht.

smile
Mariah


_________________
Give me sweet lies, and keep your bitter truths.
Tyrion Lannister
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Skype Name
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Biografisches
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Ausgeraucht
von Hallogallo
Hallogallo Werkstatt 0 16.08.2018 15:28 Letzten Beitrag anzeigen

EmpfehlungBuchBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlung

von Rosanna

von jon

von Nayeli Irkalla

von Enfant Terrible

von d.frank

von seppman

von Nemo

von Rike

von Maria

von Ralphie

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!