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arle Wortedrechsler
A Alter: 69 Beiträge: 61 Wohnort: im Südwesten
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A 14.09.2008 10:23 Liebe am Montag von arle
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Irgendwo habe ich mal gelesen, dass von einem Haus, in dem zwei Liebende beieinander liegen, eine gewisse Strahlung ausgeht, ein Licht, das bis ins Weltall zu sehen ist. Wenn das stimmt, dann war unser Haus letzte Nacht mit bloßem Auge von der Wega aus zu erkennen.
Vier Stunden später. Dort, wo gestern noch ein recht gut funktionierendes Gehirn brav seinen Dienst verrichtete, schlackert heute morgen eine graue Masse orientierungslos in ihrer Verankerung. Mit dem üblichen "aua au aua" erhebe ich mich mühsam aus dem Bett und wanke blind in die Küche, wo mein Schätzchen bereits über der zweiten Tasse Kaffee kauert. Eigentlich möchte ich in diesem Zustand nicht gesehen werden, aber zum Glück ist er genau so kurzsichtig wie ich, wodurch das Morgengrauen ein wenig eingedämmt wird.
Egal. Ich bin verliebt. Ich bin fröhlich. Ich bin ein Sonnenschein, auch um sechs Uhr zehn. "Guten Morgen, mein Liebster!", krächze ich und habe damit mein Tagessoll an Freundlichkeit erfüllt. "Hmpf", macht er, und ich werte das mal als ein zärtliches "ich dich auch, mein Schatz".
Einen Kaffee hätte er mir ja wenigstens mit eingießen können. Bisher war mir noch gar nicht aufgefallen, was für ein verdammter Egoist er sein kann. Ich schweige vornehm; auch, weil ich sowieso noch nicht in der Lage bin, einen vollständigen Satz zu formulieren. Aber dieses Verhalten ist mit ehernen Lettern in meinen Schädel eingebrannt, und bestimmt wird sich an einem der nächsten Tage die Gelegenheit ergeben, es noch mal hervor zu holen und ihm um die Ohren zu hauen.
Ich greife mir den Aldi-Prospekt und lasse die bunten Bilder auf mich wirken, während ich in meiner Tasse rühre. "Es hat sich schon mal einer tot gerührt", brummt er, und in diesem Augenblick hasse ich ihn. Depp. Ich hasse auch Sätze, die mit "könntest du heute vielleicht..." anfangen. Ich hasse die ganze Welt. Überhaupt: Er ist doch sonst eher wortkarg; wieso redet er jetzt ununterbrochen auf mich ein? Ich sehe selbst, dass draußen die Sonne scheint. Was noch lange nicht bedeutet, dass heute auch ein schöner Tag werden muss.
Aus dem Schlafzimmer ertönt ein deftiger Fluch, den wiederzugeben mir meine gute Erziehung verbietet. Aha. Monsieur versucht, in seine Arbeitshose zu steigen, die über den Hüften verdächtig spannt. Ein erstes zaghaftes Lächeln huscht über meine Züge. Gestern abend hat er die Hose noch repariert, ganz der emanzipierte Mann, der er nun einmal ist; sprich: Er hat einen Knopf am Träger angebracht. Leider hat er den Knopf an der Innenseite des Trägers angebracht, so dass wir nun in einer gemeinsamen, fast übermenschlichen Anstrengung versuchen, den Träger unauffällig so zu drehen, dass man ihn trotzdem anknöpfen kann. Ich denke mir, vielleicht wird der Tag heute ja doch noch ganz schön, und schaffe es fast, mein Grinsen zu verbergen. Er wirft mir einen vor Verachtung triefenden Blick zu und zischt: "Du bist so eine blöde Kuh".
Dann schaut er auf die Uhr und nimmt mich in den Arm und flüstert: "Ich will nicht weg". Und ich sage: "Komm bloß bald wieder". Und dann fällt die Tür ins Schloss. Und ich bin endlich allein.
Mit meiner dritten Tasse Kaffee und mit meiner Sehnsucht.
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Viktoria Gänsefüßchen
Beiträge: 36 Wohnort: Hamburg
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14.09.2008 11:14
von Viktoria
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Ach ja, Szene einer liebevollen, morgenmuffligen Ehe.
Ich suche jetzt mal die Kameras, die in meiner Wohnung sein müssen.
Schön hast Du es geschrieben.
_________________ Männer sollen eine Frau lieben, nicht verstehen. |
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arle Wortedrechsler
A Alter: 69 Beiträge: 61 Wohnort: im Südwesten
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Olifant Eselsohr
Beiträge: 417 Wohnort: München
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15.09.2008 13:02
von Olifant
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Hi Arle,
beinahe hätte ich dieses Goldstückchen im Blätterwald des Biographischen übersehen. Und ich muss sagen, ich bin höchst erfreut, dass es beim ‚beinahe’ geblieben ist.
Der Text lebt von den Kontrasten, finde ich. Im einen Satz sprudelt Deinen Protagonistin über vor Liebe und Freundlichkeit, im nächsten krächzt sie, dass ihr Tagessoll an Freundlichkeit damit erfüllt sei.
Klasse ist auch: „Komm bloß bald wieder!“. Und gleich darauf: „endlich allein.“
Der Liebste scheint genauso drauf zu sein, was den Text ausgewogen macht. Ich meine damit, dass endlich mal nicht der eine die Rolle der unsympathischen Miesepeters, und die andere die Rolle der ausgenutzten, liebevollen Freundin übernimmt.
Obwohl aus der Ich-Perspektive geschrieben wird, ist die Erzählerin keineswegs die Sympathieträgerin. Schon allein deswegen nicht, weil sie aus ihrer muffligen, biestigen Morgenlaune heraus reagiert, die nur allzu menschlich rüberkommt.
Tolle, gelungene Gratwanderung zwischen Liebesbeziehung und Montagmorgen-Blues!
Ebenfalls sehr gelungen finde ich Deine Formulierungen. arle hat Folgendes geschrieben: | Dort, wo gestern noch ein recht gut funktionierendes Gehirn brav seinen Dienst verrichtete, schlackert heute morgen eine graue Masse orientierungslos in ihrer Verankerung. | Sehr saftig formuliert.
Ich gehe davon aus, dass das „Morgengrauen“ ein absichtliches Wortspiel ist. Wenn nicht, ist es trotzdem gelungen.
Da Du mir keine Gelegenheit gibst, an Satzbau und Rechtschreibung herumzukritteln, habe ich verzweifelt nach einem einzigen laschen Kritikpunkt gesucht und auch gefunden. arle hat Folgendes geschrieben: | Er hat einen Knopf am Träger angebracht. Leider hat er den Knopf an der Innenseite des Trägers angebracht, so dass wir nun in einer gemeinsamen, fast übermenschlichen Anstrengung versuchen, den Träger unauffällig so zu drehen, dass man ihn trotzdem anknöpfen kann. | Ich gehe davon aus, dass Du einen Hosenträger meinst, auch wenn ich nicht weiß, wo und zu welchem Zweck da Knöpfe angebracht werden. Vielleicht ein Blaumann mit Trägern?
Das war die einzige Stelle, die weiterer Erklärung bedarf. Ansonsten geradezu perfekt, wenn auch viel zu kurz!
Guter, flotter und nicht zu langer Einstieg, lebhafter Mittelteil und passendes Ende.
Ich hoffe schwer, dass da noch was kommt.
_________________ Liebe Grüße,
Olifant |
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arle Wortedrechsler
A Alter: 69 Beiträge: 61 Wohnort: im Südwesten
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A 15.09.2008 13:46
von arle
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Ach Olifant.... Danke! So viel Lob. Fast zu viel.
Richtig! Eine Arbeitslatzhose. Ein Blau- oder wahlweise Beigemann. Kann man mal wieder sehen, wie betriebsblind man seinen eigenen Texten gegenüber doch immer wieder wird. Hätte ich aus der Arbeits- eine Latzhose gemacht, gäbe es wahrscheinlich nicht das geringste Verständnisproblem.
Weißt du, ich kann nix, aber auch gar nix erfinden; darum muss ich immer vom Leben abschreiben. Und das schreibt ja zum Glück immer wieder die eine oder andere (manchmal auch nicht gar so lustige) Geschichte. An diesem Morgen war die Latzhose beige....
Ja, mit dem Morgengrauen habe ich mir mal ein Kalauerchen gegönnt....
Ganz ganz ganz wunderbar finde ich, dass du heraus lesen konntest, wie hier eine schöne und tiefe Liebesgeschichte beschrieben wird. Genau so verstanden, wie ich es gemeint habe - das freut ungemein.
Es kommt noch was, versprochen, es kommt noch was. Vielleicht darfs auch mal was richtig Düsteres sein?
Noch mal ganz lieben Dank für deine Auseinandersetzung mit dem kleinen Text und schönste Grüße
Silvia
_________________ Am Jüngsten Tag, wenn die Posaunen schallen und alles aus ist mit dem Erdeleben, sind wir verpflichtet, Rechenschaft zu geben von jedem Wort, das unnütz uns entfallen. - J.W. Goethe |
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arle Wortedrechsler
A Alter: 69 Beiträge: 61 Wohnort: im Südwesten
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