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denLars Gast
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30.11.2006 19:06 Stimmen in der Stille von denLars
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Stimmen in der Stille
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Die Neptuna schnitt wie ein Pfeil durch die azurblauen Fluten des Ozeans. Gicht tummelte sich um ihren Bug und der Wind blähte die weißen Segel auf, sodass der Mast unter seiner Last ächzend knarzte.
Eine frische Brise wehte über den endlos wirkenden Ozean und trug den Geruch von Salz und dem Schweiß der Matrosen mit sich, doch zwischen diesen Gerüchen war noch ein anderer Duft:
Der Duft von fernen, schwehlenden Feuern, von blanken Klingen, von Angst und von Mut.
Dies war der Geruch des Abenteuers.
Er umspielte die Neptuna und sauste kurz durch die Masttakelagen, doch schon bald verflüchtigte er sich wieder so schnell, wie er gekommen war.
Ich will erzählen, wohin uns dieser Duft führte. Ich will erzählen, wie er uns auf die Insel führte, auf der sich unser aller Schiksal entscheiden sollte.
Ich, ich bin Nicholas James Ryan, aus Irland stammender Zeichner und Illustrator.
Sieben Monate vor diesen tragischen und unerklärlichen Geschehnissen, war ich in Dublin auf die Neptuna, ein britisches Postschiff zugestiegen, das mich in den Westen, in die neue Welt bringen sollte.
Zurückgelassen hatte ich meine Geliebte und unser Kind ,das sie mir erst in einem Brief gestand, als wir bereits Spanien hinter uns hatten und damit alle Hoffnung auf baldige Wiederkehr gestorben war.
Trotz der Wehmut darüber, dass ich meinen Sohn nie aufwachsen sehen würde und ihn in seinen jungen Jahren zeichen können würde, war mein Herz voller Hoffnung und Frohmut.
In der Neuen Welt brauchte man immer Künstler wie mich, wie gerne ließen sich doch die hohen Kolonialherren porträtieren.
Ich würde Geld verdienen und mit schönen Kleidern für meine Frau, Spielsachen für meinen Sohn und einer Menge Geld im Gepäck wiederkehren.
Also übte ich jeden Tag einige Stunden auf dem Schiff, was hätte ich auch anderes tun sollen, und zeichnete Möwen, Wellenberge, die Crew des Schiffes und karibische Inseln, auf die ich nur einen Blick aus der Ferne erhaschen konnte.
Durch die langen Stunden auf Deck war meine ansonsten blasse Haut braungebrannt, meine braunen Haare verfärbten sich immer mehr ins Blonde und durch mangelnde Hygiene fielen mir drei Zähne aus.
Nichtsdesto trotz schien alles so gut zu werden, so schön. Die Welt war voller Hoffnung für mich.
Doch all dies endete an einem Tag. Es war der 17. Juli. 1749.
Lasst mich berichten, von den unheimlichen Ereignissen dieses Tages...spürt die Brise, die Angst und die Dunkelheit, hört die Rufe, hört die Schreie...riecht den Duft des Abenteuers!
*
Der Kohlenstift in meiner Hand fuhr über das Bild. Schraffierte, schattierte und zeichnete Linien und Flächen.
Kritisch begutachtete ich die Zeichnung der Neptuna, die ich gerade aufs Papier meines Zeichenblockes gebracht hatte.
Ein plötzliches Kreischen und Miauen riss mich aus der Zeichenwut.
Verwirrt hob ich meinen nackten Oberkörper an und blickte aus meiner Hängematte, die im dunklen, feuchten Rumpf des Schiffes aufgehängt war.
"Ginger!"rief ich vergnügt, als ich die rote Katze des Kapitäns erblickte, die mit einer Ratte, die sie gerade erledigt hatte, vorbeistolzierte.
Ich wollte mich schon wieder in meine Hängematte legen und mich meiner Zeichnung zuwenden, da öffnete sich plötzlich die Luke zum Rumpf und helles Sonnenlicht fiel in die düsteren Katakomben des Schiffes.
Verärgert über die weitere Ruhestörung legte ich meine Zeichnung beiseite und blinzelte gegen die Sonnenstrahlen an.
Ein massiger Hüne stieg die knarzende Treppe in den Rumpf hinab und schloss die Luke hinter sich.
"Little Jim!"begrüßte ich den Hünen. "Was gibt's?"
Der Riese, der auf den ironischen Namen "Little Jim" hörte, trat in den Schein der flackernden Öllampe, die ich neben meiner Hängematte entzündet hatte.
Er war ein Schwarzer mit freundlichen, von langer Arbeit in der Sonne verzerrten Zügen und tiefliegenden, berechnenden Augen.
Er war einst ein Sklave auf den amerikanischen Kaffeeplantagen gewesen. Ich wusste nur, dass er dem Captain einst das Leben gerettet haben musste, worauf dieser ihn freigekauft hatte.
Doch Little Jim war schweigsam und allen Weißen gegenüber feindselig und so berichtete er mir nie von den wahren Umständen seiner Befreiung.
"Der Captain will dich sprechen!"forderte mich Little Jim auf.
Ich sah ihn kurz verwirrt an, da ich mir nicht vorstellen konnte, was Captain Callahan von mir wollte, folgte dem Hünen dann aber in Richtung Luke.
*
Als ich, Little Jim folgend, aus dem Zwielicht des Schiffsrumpfes emporstieg, umfing mich das Rauschen des Wassers, der Geruch nach Salz und das knarzende Schwanken des Schiffes.
Der Himmel war so azuritblau, wie das Wasser, sodass es schwer war, den Horizont wahrzunehmen. Alles schien ein einziger, blauer Kosmos zu sein.
Matrosen liefen geschäftig über das Deck, Befehle wurden gebrüllt, es roch nach Schweß.
Ron Swain, der Schiffsjunge und mit 15 Jahren jüngster Mann an Bord, hangelte sich an einem dicken Hanfseil vom größten der fünf Masten.
"Hey, Mister Ryan!"grüßte er mich lächelnd und winkte mir zu.
Ich erwiderte seinen Gruß und bemerkte, wie ihm Little Jim einen strafenden Blick zuwarf.
Ron senkte den Kopf und machte sich daran, Seile zu ordnen und über einen Haken am Mast zu hängen.
Little Jim lief weiter über das Deck in Richtung eines Aufbaus, der sich am Bug des Schiffes befand und in dem die Kajüte des Kapitäns war.
Immer wieder blickte er hinauf aufs Meer, mit Augen voller Beunruhigung und Anspannung.
Ich ließ kurz meine Augen über das Deck schweifen.
Die Seeleute waren merkwürdig schweigsam und nervös. Bedrückende Stille lag über dem Schiff, wo ansonsten anzügliche Scherze gemacht wurden und oft lautes Lachen schallte.
Doch als Little Jim und ich uns der Kajüte des Kapitäns näherten, hörte ich plötzlich aufgebrachtes Stimmengewirr und wütende Rufe, die aus der Kajüte drangen.
Little Jim klopfte gegen die Tür zur Kajüte-die Stimmen verstummten.
Die Schritte von stiefelbewehrten Füßen ertönten, dann schwang die Tür knarzend auf und entblößte eine gedrungene Gestalt mit großem, schwarzen Hut, die uns nervös anblickte.
"Reinkommen! Schnell! Beide!"forderte uns Captain Callahan mit seiner flüsternden, rauschigen Stimme auf. Er hatte die Angewohnheit, immer so leise zu sprechen. Meistens musste man seine Ohren spitzen und ganz nah an seinen Mund kommen, um seine Worte zu verstehen.
Little Jim und ich betraten den Raum und der Captain schloss die Tür hinter uns, wobei mich sein Blick kurz streifte.
Besorgte, dunkle Augen blickten mich aus dem wettergegerbten, von einem roten Bart umgebenen Gesicht an, dem etwas archaisches zugrunde lag.
Wegen seines wallenden, roten Bartes nannten ihn viele auf dem Schiff heimlich "Barbarossa", wie einst der deutsche Kaiser Friedrich hieß.
Die Kajüte wurde nur von dem schummrigen Licht einer Talgkerze erhellt, die auf einem Tisch in der Mitte des kleinen Raumes, direkt neben einer Seekarte stand.
Um den Tisch herum standen die drei obersten Maate, deren Gesichter von dem flackernden Licht in diffuse Schatten getaucht wurden.
Zum einen war da Rob "Lazy" Jonsen, der erste Maat und der Mann, dem der Captain am meisten vertraute. Er war ein schweigsamer, unangenehmer Zeitgenosse, mit dunklen, flackernden Augen und langen schwarzen Haaren.
Für seine Brutalität und seiner regen Nutzung der Peitsche war er unter dne Männern gefürchtet. Es hieß, dass er einst Soldat gewesen war und in der Armee seelisch zu Grunde gegangen war.
Neben ihm stand, die Arme vor der Brust verschränkt, Billy "The Priest" Duncan, ein raubeiniger, alter Schotte aus den Highlands, der früher Priester gewesen war und aus unbekannten Umständen an Bord gekommen war.
Er zitierte gerne aus der Bibel und versuchte die Crew von ihren Sünden zu erlösen. Er war leicht depressiv und redete davon, dass er bald sterben und ins Reich Gottes eingehen würde.
Der 3. Maat saß auf einem Holzschemel und warf dem Captain böse Blicke zu.
Sein Name war Abe Simmin, er war fast 50 und wohl der Mann an Bord, der am längsten zur See fuhr.
"Ich war schon auf See, da habt ihr Landratten noch in die Windel geschissen!"pflegte er immer mürrisch zu sagen.
Abe war äußerst abergläubisch. Er mied Gewässer, von denen es hieß, dass dort Seeungeheuer lauerten oder Nymphen, die Schiffsbesatzungen zu sich riefen um sie in Strudel zu locken.
Er war ständig mit dem Captain und den beiden anderen Maaten auf Kriegsfuß, was meistens in größeren Wortgefechten endete.
Callahan packte mich am Arm und zog mich in einen Nebenraum, in dem seine Koje war.
Mit zittrigen Händen schloss er die Tür.
Ächzend ließ er sich auf sein Bett nieder und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
"Callahan!"begann ich.
Er öffnete wieder die Augen und wirkte kurz so, als hätte er mich vergessen.
"Ah, Mr. Ryan!"flüsterte er.
"Sie sind neben Little Jim, dem kleinen Ron und meinen bieden obersten Maaten der einzige, dem ich in diesem Vipernnest vertrauen kann."
"Ich verstehe nicht, Captain..."Er nahm eine halbvolle Flasche Rum die neben dem Bett stand und führte sie zum Mund.
Nach drei großen Schlücken stellte er die Flasche wieder auf den Boden und sah mich an.
"Wir haben in der gestrigen Nacht den 46° Breitengrad überschritten!"verkündete er mit flüsternder, unheilsschwangerer Stimme.
Ich verstand nicht.
"Wir befinden uns mitten im Bermudadreieck!"
In diesem Moment hätte ich vielleicht aufschreien oder entsetzt gucken sollen, doch ich tat keins von beiden. Natürlich hatte ich Geschichten vom Bermudadreieck gehört.
Geschichten von verschwundenen Schiffen mitsamt Besatzung, Untiefen, Seeungeheuern und mysteriösen Ereignissen.
Doch es beunruhigte mich komischerweiße nicht, dass ich mich nun mitten darin befand. Es war doch nur Seemannsgarn, genau wie all die anderen Schauergeschichten.
"Und wo liegt jetzt das Problem?"fragte ich Callahan.
"Mein dritter Maat, Abe Simmin, meutert und durch seine Schauergeschichten hat er die ganze Crew auf seiner Seite!"
Eine bevorstehende Meuterei klang nun schon etwas beunruhigender und ich spürte, wie mir ein kurzer Schauer den Rücken hinablief.
"Was wollen sie tun?"
"Sie wollen einfach nur umkehren! Doch wenn wir diese Ladung nicht austragen, sind wir ruiniert! Und das alles nur wegen einem Schauermärchen!"
Ich überlegte kurz.
Wenn wir umkehren würden, könnte ich meine Geliebte noch rechtzeitig wiedersehen. Von daher war es gar nicht so schlecht.
"Ich lasse ihnen die freie Wahl? Wenn sie sich auf meine Seite stellen, garantiere ich ihnen meinen Schutz, Mr. Ryan! Ich weiß nicht, was passiert, wenn sie sich auf Abe's Seite stellen!"
"Ich helfe ihnen!"
entschied ich nach kurzem Zögern und tat damit den größten Fehler an diesem Tage.
Im selben Moment zersplitterte Holz, die Tür zu der Kabine flog auf, traf mich an der Schläfe und ließ mich nach hinten auf die Holzbohlen krachen.
Mein Rücken und meine Glieder schmerzten, mein Kopf brummte.
Ich sah kurz auf und erkannte eine verschwommene Gestalt, die mich packte und aus dem Raum zerrte.
Fortsetzung folgt...
Weitere Werke von denLars:
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MosesBob Gehirn²
Administrator Alter: 44 Beiträge: 18339
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30.11.2006 19:22 Re: Stimmen in der Stille von MosesBob
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Meine Hochachtung! Das ist ein toller, ausdrucksstarker Text. Vor allem die Personenbeschreibungen gefallen mir sehr gut: Sie sind detailliert und sehr bildhaft. Alles in allem finde ich diesen Text um Längen besser als die von mir so sehr kritisierten Päderasten-Lyrics.
Klitzekleine Verbesserungsvorschläge:
denLars hat Folgendes geschrieben: | Die Neptuna schnitt wie ein Pfeil durch die azurblauen Fluten des Ozeans. Gicht tummelte sich um ihren Bug und der Wind blähte die weißen Segel auf, sodass der Mast unter seiner Last ächzend knarzte. |
Hier würde ich entweder nur ?ächzte? schreiben doer ?ächzte und knarzte?. Liest sich flüssiger.
denLars hat Folgendes geschrieben: | Verwirrt hob ich meinen nackten Oberkörper an |
Ich würde sagen, es reicht, wenn er seinen Oberkörper hob. Das ?an? würde ich weglassen. Liest sich auch flüssiger
denLars hat Folgendes geschrieben: | Immer wieder blickte er hinauf aufs Meer, mit Augen voller Beunruhigung und Anspannung.
Ich ließ kurz meine Augen über das Deck schweifen. |
2x Augen. Nimm den Blick, der über das Deck schweift.
denLars hat Folgendes geschrieben: | Fortsetzung folgt... |
Wehe nicht
_________________ Das Leben geht weiter – das tut es immer.
(James Herbert)
Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)
Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
(Laotse) |
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Angel Wortedrechsler
Alter: 50 Beiträge: 82 Wohnort: Im schönen Bayernlande
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30.11.2006 19:47
von Angel
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Hallo.
Ich kann MosesBob nur zustimmen: einerseits, was die Punkte betrifft, die er kritisierte, andererseits, was seinen Kommentar auf Zitat: | Fortsetzung folgt... | angeht.
Dein Text liest sich sehr shön, flüssig, man taucht in die Atmosphäre ein... riecht geradezu die salzige Seeluft... spürt die Planken unter den Füßen...
Macht Lust auf mehr...
Angel
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George III Wortedrechsler
G
Beiträge: 60
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MosesBob Gehirn²
Administrator Alter: 44 Beiträge: 18339
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01.12.2006 11:10
von MosesBob
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George III hat Folgendes geschrieben: | Bin gespannt was folgt
Eine Korrektur:
Gicht tummelte sich um ihren Bug und der Wind blähte die weißen Segel
Meinst du die Gischt?
Gicht ist eine schmerzhafte Krankheit. |
Das ist mir ja gar nicht aufgefallen! Wie geil ist das denn?! Es lebe der Rechtschreibfehler!!!
_________________ Das Leben geht weiter – das tut es immer.
(James Herbert)
Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)
Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
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Lady Anch Eselsohr
L
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