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Teil 38 Die vergessene Insel


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag18.07.2008 10:45
Teil 38 Die vergessene Insel
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Bei Allianz Francais wurde umgebaut, der Termin zur Entscheidung über die Vergabe der Räume, zog sich hin.
Wenn hier jemand einen Termin nannte zum Ende des Monats, konnte man getrost noch einen Monat dazu rechnen. Es lag am Material oder Werkzeug oder an der Hitze. Wer konnte das schon so genau sagen?

Die Madagassen sind Künstler im Improvisieren. Ein Lumpen wurde genommen anstatt eines Pinsels. Ein Stein ersetzte den Hammer.

Auf einer Straße sah ich den Beginn von Straßenarbeiten. Drei Madagassen begannen mit einem normalen Hammer die Teerdecke aufzuklopfen. Geht nicht? Nach einer Woche sah man schon Erfolge!

Die Straßen und Fußgängerwege waren ein Kapitel für sich. Über Schlaglöcher muss man ja nicht mehr reden. Wer hier freiwillig 20 Km/h fuhr, der sagt auch nichts mehr zu den Straßen im Osten Deutschlands.
Aber hier hatte man Löcher sogar auf dem Fußgängerweg. Mitten auf dem Weg 2m tiefe Löcher. Nicht gekennzeichnet, nicht abgesperrt. Abends nicht beleuchtet. Ratsam war es, nach Einbruch der Dunkelheit nur dort zu laufen, wo es etwas beleuchtet war. Jeder dunkle Schatten auf dem Weg könnte genauso gut ein Loch in der Straße sein.
Mit dem Auto nachmittags oder abends durch die vollen Straßen zu fahren, war sehr anstrengend, denn Pousse Pousse Fahrer, Radfahrer, Fußgänger kreuzten immer wieder deinen Weg und gaben nicht Acht. Rückspiegel oder Beleuchtungen im Dunkeln gab es nicht.

Ich hatte Werbeartikel von einer Firma im Gepäck für Kinder. Reflektoren in Form eines Teddybären, die man an einer Jacke befestigen konnte. Ich fragte meine Mädchen, ob sie Kinder in der Familie haben. Nein, aber sie würden gern so einen Reflektor für sich selbst haben. Für was? Na, am Fahrrad oder an der Handtasche. Aha. Warum nicht ?

Das Krankenhaus hier in Majunga konnten wir von innen bewundern, als Gunter sich eine Bänderzerrung zu zog. Es war ein trauriger Anblick. Mir schien, es fehlte an allem. Verbandsmaterial ebenso wie Spritzen, technische Geräte, Wissen und Hygiene.
Das Bein wurde geröntgt. Es wurde weder etwas abgedeckt oder sonst irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Sind ja nur Strahlen, die kann man nicht sehen.
Die Apparaturen erinnerten an die 60-er Jahre. Hygiene war ohnehin ein Fremdwort hier und das bei der Hitze.
Das Universitätskrankenhaus der Stadt Mahajanga versorgt die gesamte Region Boeni, das heisst eine Fläche von 153 788 km2.
Das entspricht der Grösse von ZWEIMAL BAYERN.
Es bietet 350 Betten.
Die 291 Mitarbeiter des Krankenhauses bewältigten im Jahr 2004: 15506 Aufnahmen, 84533 Tage Krankenhausaufenthalt
792 Geburten, 2673 chirurgische Eingriffe.
(Die Fotos sind aus Januar 2007)


Der Umkleideraum der Chirurgen

Meine Erkenntnis aus diesem Erlebnis: bei Operation sofort nach Reunion (die Nachbarinsel, gehört zu Frankreich, also zu Europa) oder nach Deutschland. Hier keinesfalls eine OP.
Lieber Gott verschone mich!
Wenn ich daran denke, was in Deutschland alles weggeworfen wird, weil es zu alt oder unansehnlich ist. Ich habe gehört, dass in den deutschen Krankenhäusern viele Hilfsmaterialien ständig aussortiert werden, damit veraltete Dinge nicht mehr verwendet werden.


Die Decke in der Notaufnahme

Die Kinderstation. Nun.
Eines Tages kam in unser Internetcafe eine Kundin, eine deutsche Ärztin. Sie war auf einer Rundreise durch Madagaskar. Ich half ihr, die Mails abzurufen. Sie wollte vom Krankenhaus erzählen, was sie gesehen hat. Sie weinte nur. Ich konnte kaum verstehen, was sie sagte.
„…und die Kinder…" weitere Worte gingen im Schluchzen unter.

Ich hatte im Internet Firmen angeschrieben, die medizinische Einrichtungen ausstatten mit Geräten und gebeten, sie mögen veraltete Geräte nicht wegwerfen. Sie mögen mir schreiben, wenn sie etwas haben, wir organisieren die Abholung oder den Versand. Es kam keine Reaktion. Auch Ärzte reagierten nicht.

Jeder, der das Wort "Madagaskar" hört, denkt an das Lied, "Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord".
Das könnte man auch heute noch singen. Denn es gibt sie hier noch, die Pest. Auch Lepra gibt es hier noch.
Mir schien, bei all den Aktionen "Brot für Afrika" usw. wurde Madagaskar vergessen.


Die Schlafsäle

Ich habe bereits erwähnt, dass 60% der Bevölkerung Analphabeten waren. Woher sollten sie wissen, wie man Ansteckung vermeidet, wie man sich schützen kann, welche Tiere Krankheiten übertragen.

Auch Aids ist ein Thema. Allerdings habe ich auf einer Webseite gelesen, dass in Afrika Aids weniger durch Ansteckung verbreitet wird, mehr durch die hygienischen Verhältnisse in den medizinischen Einrichtungen. Seit ich das Krankenhaus gesehen habe, glaube ich das.

Eine Hilfsorganisation kam nach Majunga, so wurde mir von Rondro berichtet. Sie wollten eine Aufklärungskampagne starten, gegen Aids. Sie wollten anregen, Kondome zu verwenden. Sie gaben auf. Es gab wenig Interesse für ihre Vorträge.
Was in dieser Zeit in der Bevölkerung diskutiert wurde, war, dass diese künstlichen Dinger krank machen werden, denn Chemie, das kann nicht gut sein.
Unwissenheit.

Die GTZ hat sich etwas einfallen lassen. Eine Art Puppentheater klärt auf.
Mittlerweile ist das Thema AIDS jedem bekannt und Kondome werden nicht mehr abgelehnt.

Im madagassischen TV konnte man neuerdings Werbefilmchen sehen, die als Zeichentrickfilm zeigen, wie ein junges Paar ein Kind erwartet und weil sie Gemüse essen und auch Obst, bekommen sie ein gesundes Kind.
Toll. Die Sendung mit der Maus.
Dieser Spot würde in Deutschland dem Niveau eines Films für das Vorschulalter entsprechen.

Die Madagassen ernährten sich zu einseitig. Es gibt jeden Tag Reis, Reis und Reis. Dazu Fisch oder Zebufleisch, wenn man es sich leisten kann. Sie sind der Meinung, Reis enthalte alles, was der Mensch braucht.

Wir unterhielten und diskutierten oft über diese Probleme. Meiner Meinung nach half einfache Aufklärung, Wissen und Kontakte ins Ausland, eine bewusste gesunde Ernährung und normale Hygiene zu fördern.

Da die Kinder die Zukunft eines Landes sind, gilt unser Interesse den Kindern, der kommenden Generation. Ich hatte die Idee, Kontakte zu fördern.
Das heißt, für Kinder über das Internet Mailfreundschaften zu organisieren, vielleicht Städtepartnerschaften oder zumindest Schulen, die Kontakte finden, um diese Mauern der Ausgegrenztheit zu überwinden.

Die Kinder in Madagaskar lernen in den Schulen französisch. Ich könnte mir vorstellen, dass es deutschen Schülern eine Hilfe in diesem Fach wäre, eine Mail -oder Brieffreundschaft zu führen. Schulen könnten alte Französisch - Lehrbücher schicken und sicher würden beide Seiten von diesem Kontakt profitieren.

Doch all meine Bemühungen blieben fruchtlos. In Deutschland scheint man Angst zu haben, jemand könnte etwas wollen, wo doch der Etat der deutschen Schulen schon so schmal ist.
Oder lag es an solchen Dingen wie Ignoranz und Gleichgültigkeit?
Der Ausspruch: "Wissen ist Macht". Kann erweitert werden: "Wissen kann Leben erhalten".

Apotheken gab es hier jede Menge. Die Medikamente waren für uns billig, für die Madagassen unerschwinglich. Meine Behandlung damals gegen die Malaria hatte 130.000 FMG gekostet. Das war der halbe Monatslohn von Georgina.
Aspirin kostete umgerechnet 2 Euro, doch für einen Madagassen war das ein Tageslohn.
Die Miete einer Steinhütte mit Wellblechdach kostete ca. 100.000 FMG. Da blieb nicht viel zum Leben, wenn dann auch noch kleine Mäuler zu stopfen sind.
Die Holzkrücken, Gehhilfen, für Gunter hatten 140.000 FMG gekostet, dazu die Behandlung. Insgesamt waren es ca. 300.000 FMG. Das war mehr als Georgina im Monat verdiente.
Sie wäre bei einem Unfall natürlich abgesichert gewesen, da sie bei uns versichert war. Aber wäre sie arbeitslos oder nicht versichert (das wird nicht von allen Arbeitgebern geleistet) wäre sie zum Schamanen gegangen, der mit Kräutern und Naturmedizin helfen kann.

Der Oktober 2003 war ein Monat, der vielleicht weniger Aufregung brachte, mehr Zuversicht, mehr Freude über das Erreichte, aber auch mehr Gewissheit, dass wir auf dem "richtigen" Weg sind.

Meine Spaziergänge ans Meer gaben mir immer wieder Momente des Erstaunt Seins über die Farbenpracht und Dramatik, mit der die Sonne sich vom Tag verabschiedete.
An manchen Abenden hatte ich das Gefühl, ich sei zum ersten Mal hier. Ich lächelte und nahm wie zum ersten Mal die Schönheit der Umgebung in mich auf.

Ich hatte in den zurückliegenden Wochen nur noch Computer, Anträge, Formulare und sich vor uns auftürmende Arbeit gesehen. Ich war umgeben gewesen von Schönheit, hatte mich aber so daran gewöhnt, dass ich sie nicht einmal mehr bemerkte.

"Es ist erstaunlich, welche Bedeutung ein Stück Himmel haben kann." (Shel Silverstein)

Im Haus wohnte noch Sebastian. Ich hatte keine Ambitionen mehr, es gemütlich herzurichten.
Im Internetcafé zog der Alltag ein. Der Kampf um Vertragserfüllung mit dem Internetprovider ging weiter, die Stromausfälle nervten und vieles wurde Routine.

Die Ausschreibung um die Räume bei Allianz Francaise bot Stoff für neue Träume.
Wenn wir beim Franzosen saßen, malten wir uns aus, wie es eingerichtet sein würde, welche Veranstaltungen, wie es organisiert werden könnte.
Neue Aufbruchsstimmung machte sich breit.

In einer schönen Mondnacht schaute ich zum Himmel. Die Galaxien waren überwältigend und schienen zum Greifen nah. Spürte die ruhige gleichmäßige Bewegung der Planeten, des Mondes, der Sterne, des Universums. Ich war mit all dem verbunden. Ich gehorchte einem Rhythmus, der tiefer reicht und verlässlich ist.
"And god is on your side"
("The sparrows and the nightingales” Wolfsheim)


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Fotos privat



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