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Teil 35 Schlaflose Nächte


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag04.07.2008 16:06
Teil 35 Schlaflose Nächte
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Die Mittel für meinen Weg zum Haus wirkten, aber nicht sehr lange. Ich ging immer seltener heim zum Schlafen, lieber lag ich auf der unbequemen Couch im Internetcafe in der Warteecke.

Als ich dann doch nach einigen schlaflosen, Moskito-gequälten Nächten heim ging zum Schlafen, heulten die Hunde den Mond an. Das ganze Konzert zog sich etwa zwei Stunden hin. Ich hatte den Eindruck, nun war dies der letzte Heuler. Weit gefehlt. Ein Hund vom Nachbargrundstück begann sein jämmerliches Gebell und wieder stimmten alle anderen mit ein. An Schlaf war nicht zu denken.
Kaum eingenickt, wurde ich gegen 4.00 Uhr erneut aus dem Schlaf gerissen. Ein Fahrzeug hielt auf dem Grundstück, natürlich nicht ohne noch einmal Gas zu geben. Eine ganze Schar Kinder musste angekommen sein. Sicher traf sich gerade die ganze Stadt auf unserem Grundstück, solchen Lärm konnten nur 80.000 Menschen verursachen.
Nach einer halben Stunde war etwas Ruhe eingekehrt. Mir fielen die Augen zu. Doch dann, wieder jäh aus dem Schlaf gerissen, gegen 4.30 Uhr begann eine Schar Kinder vor dem Schlafzimmerfenster zu spielen, zu toben, zu lärmen. Anscheinend fanden gerade die Olympischen Spiele vor meinem Fenster statt. Ich versuchte die Meldungen der Ohren zu ignorieren, um dem Schlaf eine Chance zu geben. Dieser Versuch missglückte. Langsam wurde ich sauer. Nach einer weiteren halben Stunde mit diesem ohrenbetäubenden Lärm schrie ich sinnvoller Weise laut auf Deutsch "Ruhe". Was normalerweise keiner in Madagaskar verstehen würde. Nach einer offensichtlichen Schrecksekunde, wurde dann der Massensport doch etwas leiser fortgeführt.
Ich bin sehr kinderlieb, aber sportliche Veranstaltungen vor meinem Schlafzimmer morgens 4.30 Uhr lagen doch außerhalb meiner Toleranzgrenze.

In den folgenden Nächten, die noch immer unerträglich warm waren, zog ich die Couch im Internetcafe trotz Moskitos vor.
Jan schlief in seinem Zimmer oder war ausgegangen. Sebastian war im Haus und ich versuchte auf dieser schmalen Bambuscouch Schlaf zu finden. Moskitos freuten sich auf mein Blut und ich fand keine Ruhe. Also stand ich wieder auf, setzte mich an den Computer und surfte im Internet.

Ich fand wieder Kontakt zu Sven, einem Freund. Er begann zur "Madagaskar-Sammelstelle" zu werden. Alle Dinge, die ich per Internet in Deutschland organisierte oder kaufte, wurden an Sven geschickt und er sorgte für den Versand nach Madagaskar.
Er sammelte auch Computer und fehlende Ersatzteile, um sie zu uns zu schicken.
Allerdings stellte sich schnell heraus, dass er kein großes Versandgenie war. Denn die Post von Madagaskar konnte so manchen Härtetest der Stiftung Warentest in den Schatten stellen. Die Computer kamen teilweise als Trümmer an und die schlechte Verpackung tat ihr Übriges.

In der Poststation wurde ich eines Tages Zeuge eines solchen Härtetests. Zwei Arbeiter trugen einen Karton mit einer Banderole "Vorsicht Glas". Sie ließen ihn fallen. Es klirrte. Sie lachten. Sie ließen sie ihn noch einmal fallen und noch einmal gab es Grund zur Heiterkeit.

Hassan, der Schamane sagte mir immer wieder fast auf den Tag genau, wann die Pakete eintreffen würden und behielt jedes Mal Recht. Auch wenn ein Paket noch gar nicht abgeschickt war, er wusste es.
So sagte mir Hassan im September: „Die Pakete werden kommen.“
„Wann?“
„Noch diese Woche.“
Am Freitagnachmittag kam ich von Rondro von einem Termin und mir fielen Hassans Worte ein.
"Es ist Freitagnachmittag. Der Schamane sagte, bis Ende dieser Woche kommt das Paket an, dann muss er sich aber beeilen."
Kaum hatte ich den Satz beendet, kam ein Mitarbeiter der Post auf uns zu gestürmt und rief „Ein Paket aus Deutschland ist da! Sie müssen sich beeilen,denn der Zollbeamte hat gleich Feierabend. Er wartet auf euch.“
Die Mitarbeiter der Post kannten mich schon. Als der Zollbeamte in einem der Pakete ein Päckchen Kaffee hervor kramte, nahm ich es ihm aus der Hand und küsste das Päckchen. Alle lachten. Ich sagte: "Jungs, macht mich glücklich und gebt mir mein Paket." Rondro übersetzte es wörtlich. Alle lachten mit mir. Ich gab mein obligatorisches "Cadeau" (Geschenk) als Dankeschön und der Zollbeamte war zufrieden. Sie gaben mir mein Paket, kramten noch ein paar deutsche Worte hervor und freuten sich, dass ich sie verstand.

Am Abend des gleichen Tages saß ich wieder einmal wegen Schlaflosigkeit am Computer. Plötzlich funkte es in einer Stromverteilerdose und es begann brenzlich zu riechen. Ich hatte Angst, es könnte zu einem Elektrobrand kommen und wollte nicht heimgehen. Ich war beunruhigt. So etwas wie eine Sicherung, oder Sicherungskasten gab es nicht.
Am anderen Morgen sprach ich mit dem Vermieter, woraufhin er einen Handwerker holte. Das Universalgenie, öffnete sämtliche Verteilerdosen außer dieser einen, zerrte alle Kabel heraus und ließ dann die gesamte Stromversorgung zusammenbrechen. Er versprach am nächsten Morgen zu kommen und zu reparieren.
Der nächste Tag war ein Sonntag und natürlich passiert nichts. Wir waren ein Wochenende ohne Strom und natürlich ohne Einnahmen. Doch das interessierte keinen.

Am Montag holte Rondro einen Elektriker, der die Reparatur vornehmen sollte.
„Ich habe den Vermieter getroffen.“ berichtete sie. „Der Patron ist mit diesem Handwerker nicht einverstanden. Er ist ihm zu teuer.“
„Weiß der Elektriker, was ein Sicherungskasten ist?“
„Ja, ich habe ihn gefragt. Er hat einen neuen mitgebracht.“
„Dann ist es mir egal, was der Patron sagt. Dann zahlen wir das selbst. Ich habe Angst, dass mir hier alles abbrennt.“
Wir bekamen nun einen modernen niegelnagelneuen Sicherungskasten.

Das "Universalgenie" kam und sah sich diesen neuen Kasten staunend an. Ich stellte mich davor und achtete darauf, dass er sich den Stromleitungen nur mit max. einem Meter Abstand näherte. Sein Talent für Chaos hatte ich ja bereits kennen gelernt.

Ich bemerkte, wie ich mehr und mehr das Heute lebte und gelassener wurde. Viele Kleinigkeiten regten mich nicht mehr auf. Ich begegnete ihnen mit Gelassenheit.
Ich hatte Vertrauen und Glauben. Dies gab mir Kraft und vor allen Dingen Zuversicht und Gewissheit, dass „alles gut wird“.
Wir fahren auf unserer Straße, haben die Freiheit ab zu biegen oder weiter zu fahren. Doch das Tempolimit und die Hinweisschilder gibt ein anderer vor…
Und ich bin dankbar. Dankbar für das Erlebte, für die Erfahrungen, die ich machen durfte. Dankbar für die kleinen Dinge, die so wunderbar sind und die wir gern übersehen.
Anstatt über ein Problem oder einen Umstand zu klagen und zu murren, sollten wir dankbar sein.

Fordert mich ein Widerstand dazu auf, ihn zu überwinden, bin ich dankbar für den Wind. Denn ich brauche ihn, um fliegen zu lernen.
An einem Montag kam Rondro ganz aufgeregt. Sie erzählte heiter: „Stelle dir vor, am Wochenende hat es gebrannt. Einige Häuser sind niedergebrannt.“
„Aber das Gouverneursamt hat doch eine Feuerwehr. Ich sehe sie jeden Tag. Ganz neu. Wird jeden Morgen geputzt. Ca. 40 Jungs stehen dann daneben und machen ihre Übungen.“
„Ja, diese Feuerwehr kam auch, aber es gab keine Hydranten und man konnte keine Wasserquelle anschließen. In Tsaramandroso ist das Meer zu weit weg.“ lachte sie.
Ich schüttelte den Kopf. So etwas müssten die Verantwortlichen doch vorher wissen.
„So eine schöne Feuerwehr.“
„Ja“, lachte Rondro „sehr schön. ... Aber alle Häuser sind abgebrannt.“
„Schade die ganzen Übungen umsonst.“ Ich dachte an die leidtragenden Familien, staunte über die Gedankenlosigkeit der Verwaltung und konnte mir ein Grinsen dennoch nicht verkneifen.
Es erinnerte mich irgendwie an die Schildbürgergeschichten.


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