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Teil 32 Seebestattung


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag18.06.2008 12:12
Teil 32 Seebestattung
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Der Juli 2003 in Deutschland war außergewöhnlich heiß, lasen wir im Internet. Hier in Majunga war tropischer Winter mit sehr erträglich Temperaturen und angenehmer Luftfeuchte.

Unser Internetcafe entwickelte sich. Die Einnahmen gingen sprunghaft nach oben, waren aber noch nicht ausreichend, um alle Kosten zu decken. Dennoch sahen wir den Erfolg nicht nur in den Zahlen der Buchhaltung.
Segler von Südafrika empfahlen uns weiter. In einem Hotel wurde einem Gast gesagt, er möge zu uns gehen mit seinen Fotos, wir hätten einen guten Service und würden ihm helfen können.
"Da werden Sie geholfen" hätte Verona gesäuselt.
Viel Anerkennung schlug uns entgegen und umso mehr strengten wir uns an und überlegten immer wieder, was wir noch verbessern konnten.

Aus meinem zweiten Bausparvertrag floß Geld und ich bezahlte davon nicht nur den Lebensunterhalt, sondern investierte weiter in das Internetcafe. Die nächsten Monate waren gesichert.
Frau Katze machte mir Sorgen. Sie nahm kein Futter mehr auf. Ich glaubte, es sei seelisch, da ich immer weniger Zeit für sie hatte und wartete ab. Als sie dann sogar das Trinken verweigerte, wurde ich unruhig und bemühte mich um sie, rannte jede freie Minute heim zu ihr.
Eines Abends sah ich Flecken auf dem Boden, Urin mit Blut. Im Internet recherchierte ich, was es sein könnte und bekam Kontakt zu einem Schweizer Tierarzt. Ferndiagnosen sind schwer und unsicher, dennoch bestätigte er meinen Verdacht: Katzenseuche.
Sie hatte alle Impfungen. Mit so einer Infektion hatte ich nicht gerechnet.
Der Arzt gab mir Hinweise auf Medikamente und den benötigten Wirkstoff. Am folgenden Tag bestellte ich sie in der Apotheke.
Ich war nicht nur besorgt, ich war erschrocken. Gedanken, ob es richtig war, sie mitzunehmen gingen mir immer wieder durch den Kopf. Tod und Abschied beschäftigten mich.

Aus dem Tagesgeschehen klinkte ich mich aus und verbrachte meine Zeit bei ihr, trotz Jans Unverständnis.
Zeitweise lag sie ganz normal auf meinem Schoß, ließ sich kraulen. Dann ganz plötzlich wand sie sich in Schmerzanfällen. Die kleinen erschrockenen Augen, weit aufgerissen sahen mich an.
Ich war hilflos in diesen Momenten, ratlos und verzweifelt.

Endlich, die Medizin ist angekommen. Zwei Tage lang hatte ich Hoffnung. Sie nahm Futter an und trank. Die Schmerzanfälle wurden weniger. Ich war so oft bei ihr, wie es möglich war. Auf einer Decke auf meinem Bett hatte ich ihr ein Lager eingerichtet. Sie war schwach, genoß meine Nähe und sogar ein Schnurren kam durch. Sie suchte meine Nähe und ich gab ihr soviel ich hatte.

Am Abends des dritten Tages musste ich noch einmal ins Internetcafe. Gegen 17, 30 Uhr verließ ich das Haus und kehrte gegen 22.00 Uhr zurück.
Sofort nach Betreten des Hauses suchte ich sie und fand sie tot, kalt, starr vor meinem Bett liegend.
Ich rannte wieder aus dem Zimmer. Als könnte ich das Gesehene ungeschehen machen und den Film noch einmal abspulen. Ging wieder hinein. Sie lag noch immer da. So lief ich ratlos zwischen Wohnzimmer und Schlafzimmer hin und her.
Als ich mich gefangen hatte, schaute ich sie mir an. Wie in aller Welt kam sie dorthin? Sie war zu schwach allein zu laufen. Ihr Körper hatte eine Wunde am Kopf, die mir Rätsel aufgab.
Ich wusste nicht, was sie in den letzten Minuten erlebte. Es tat mir unendlich Leid, dass ich nicht bei ihr war, als sie ging.
Im Wohnzimmer fand ich Spuren eines Kampfes. Bluttropfen markierten den Weg ins Schlafzimmer. Ich hatte einen schlimmen Verdacht, aber dies änderte nichts an der Situation, dass sie nun gegangen war.
Ich fuhr mit dem Transporter zurück ins Internetcafe zu Jan in der Hoffnung, er würde mir helfen. Wohin mit dem toten Tier? Vergraben ging nicht, wir hatten keine Schaufel. In eine Kiste und diese Nacht erst einmal draußen abstellen, dieser Gedanke grauste mir. Nachts streunten allerlei Tiere umher auf der Suche nach Nahrung.
Jan kam widerstrebend mit ins Haus, hatte ich ihn doch gerade beim Chat mit "Anna" unterbrochen.
Als er sie liegen sah, meinte er teilnahmslos „Du musst sie einpacken.“
„Ich habe in meinem Leben noch nie ein totes Tier angefasst, Jan“ Nun lief ich wieder verzweifelt zwischen Frau Katze im Schlafzimmer und Jan im Wohnzimmer hin und her.
Ich wurde hysterisch, weinte laut und klagte minutenlang. Schließlich überwand ich mich und fasste sie an.
Dieser kalte schwere Kadaver, der starr und steif war, hatte nichts mehr mit dem weichen, schmiegsamen und warmen Körper zu tun. Ich stand unter Schock.
Was ich liebte hatte sich verwandelt in einen Gegenstand ohne jedes Leben.
Ich legte sie in ihre Decke und steckte sie zusammen damit in einen großen Müllbeutel, den wir noch aus Deutschland hatten. Immer wieder rede ich selbst auf mich ein, dass es nur ihr toter Körper ist und nicht Frau Katze. Irgendwann konnte ich ihr sogar die Augen schließen.
Immer wieder wollte ich sie streicheln, jedes mal wieder traf mich das Entsetzen über diese kalte Starre.
Endlich war es getan. Nun ging ich zurück ins Wohnzimmer.
„Ich kann sowieso nichts mehr tun...“ meinte Jan. Er nahm den Transporter und fuhr zurück.
Als er verschwunden war, merkte ich, dass er sich heimlich die letzte Cola aus dem Kühlschrank gegriffen hatte. Feiner Mensch!

Sebastian kam. Ich erzählte ihm unter Tränen, was sich ereignet hatte. Er sah sie sich noch einmal an, soweit es die "Verpackung“ zuließ. Auch er rätselte über die Kopfverletzung. Wir beschlossen uns am nächsten Morgen bei Tageslicht noch einmal alles genauer anzusehen.
Jetzt jedoch mussten wir den Kadaver "entsorgen".
Bei diesen Temperaturen dürfte es nicht lange dauern, bis der Verwesungsprozeß einsetzte und Insekten sich angezogen fühlten.
Wir beschlossen eine Seebestattung, da mangels Schaufel, die Erdbestattung ausfiel.
Also nahm Sebastian den Beutel und wir zogen zu Fuß los, Richtung Meer.
Ein Taxifahrer brachte uns zu einer Stelle, die wir als günstig erachteten. Die Strömung würde sie hinaus tragen.
Da standen wir mitten in der Nacht auf einer kleinen Brücke am Meer und konnten uns nicht trennen. Immer wieder liefen wir hin und her. Tränen liefen, wir lagen uns in den Armen. Sebastian zitterte. Wir waren verzweifelt und mussten doch tun, was getan werden musste.
Dann endlich ließ er sie über die Brüstung fallen.
Ein dumpfer Aufprall; dann tauchte sie ins schwarze Nass. Die Strömung riss sie hinaus ins Meer. Ich setzte mich an den Straßenrand und zündete eine Zigarette an. Saß auf einem Stein und dachte an die Zeit mit Frau Katze. Sebastian war aufgeregt und verarbeitete seine Gefühle, in dem er ununterbrochen redete. Wir waren beide verwirrt, lagen uns wieder in den Armen und weinten. Ich weiß nicht mehr, wer da wen trösten wollte. Dieses Erlebnis wühlte uns auf, verband uns.

Plötzlich hielt neben uns ein Taxi. Cecil, Sebastians Freundin, winkte fröhlich und rief, wir sollen einsteigen, sie sei auf dem Weg ins „San Antonio“. Wir schauten uns kurz an und stiegen ein. Ein Bier konnten wir jetzt gut vertragen, vielleicht würden wir danach ruhiger sein.
Aber diese Partyatmosphäre war nicht das richtige Klima für uns und so fuhren wir nach einem Bier heim.

In dieser Nacht nahm ich auf meine Weise Abschied, steckte Kerzen an, betete für sie, schaute mir Fotos an, redete mit ihr, als wäre sie noch da und bat sie, wie auch immer, wieder zu kommen. Ich bat sie um Vergebung, dass ich nicht bei ihr war, sie nicht beschützen konnte.

Von diesem Tage an, war das Heimkommen ein anderes, keine Frau Katze, die wartete. Schon auf dem Weg nach Haus vermisste ich sie. Das Erwachen am Morgen war ein anderes.
Sie war nicht mehr da. Immer wieder dachte ich an sie und es brauchte lange, sich daran zu gewöhnen.
Doch ich hielt mich immer weniger im Haus auf. Bald kochte ich in der Küche des Internetcafes und ging nur noch zum Schlafen ins Haus.



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