Reizwortgeschichte

[Uibui]

Die Reizwörter sind zwar schon recht alt, aber ich hoffe, es darf trotzdem noch damit geschrieben werden

Er zog sich die Einmalhandschuhe von den Händen, warf sie in den Mülleimer und trat durch die automatische Tür in den Warteraum. Das grelle Neonlicht blendete ihn für einen Moment. Er sah die Ehefrau des Patienten auf einem der Stühle sitzen, vor ihr auf dem Tisch die obligatorischen zerfledderten Zeitschriften. Das Gesicht in den Händen verborgen saß sie da, als wollte sie die Welt hier draußen aussperren. Paul Hagen seufzte. Er hasste diese Momente. Das wurde einem im Medizinstudium nicht beigebracht. Aber es gehört leider dazu. Er setze sich auf den Stuhl neben sie.
»Frau Gruber, es tut mir sehr leid. Ihr Mann hat es leider nicht geschafft. Wir haben es nach dem Herzstillstand nicht mehr geschafft, ihn wiederzubeleben. « Frau Gruber blickte auf und schaute mich aus verweinten Augen an.
»Er trank gerade einen Schluck Glühwein und dann… der ganze Glühwein verschüttet«, murmelte sie.
Paul legte ihr eine Hand auf den Arm.
»Es tut mir Leid, sie damit zu belästigen. Aber war ihr Mann Organspender? « Frau Gruber blinzelte verwirrt.
»Nein, ich glaub nicht, dass er jemals etwas gespendet hat. « Jetzt war es an Paul, verwirrt zu blinzeln.
»Äh, nein Frau Gruber. Ich meine, ob ihr Mann nach seinem Tod seine Organe spenden wollte. «
Frau Grubers Augen hellten sich auf.
»Ach, so natürlich. Wenn die mir die Nummer von dem Spendenkonto geben, werden wir natürlich etwas spenden. Es ist ja für eine gute Sache, nicht wahr? Ich muss nur mit Peter sprechen. Mein Mann, wissen Sie. Er kümmert sich bei uns die Finanzen. Er sammelt auch altes Blechspielzeug. Sagt, das wäre eine echte Wertanlage. Für mich ist das ja alles Kinderkram, aber vielleicht verstehe ich auch einfach nichts davon. «
Paul atmete tief durch.
»Frau Gruber, ihr Mann ist gerade verstorben. Er hatte einen Herzstillstand. Sie selbst haben den Notarzt gerufen. « Doch Frau Gruber schien in ihrer eigenen Welt zu sein.
»Wissen Sie, im nächsten Sommer wollen wir nach Lourdes. Kennen Sie Lourdes? Das ist ein Wallfahrtsort in Frankreich. Dort ist eine Quelle, der heilende Kräfte zugesprochen werden. Peter hat es doch am Herzen. Vielleicht hilft es ja wirklich. Was meinen Sie? Als Arzt? «

[Gefühlsgier]

Ich glaube, die Reizwörter sind trotzdem noch willkommen. Ich sehe da kein Verfallsdatum drauf

Eine schöne Geschichte hast du geschrieben.
Hier fließen Lustig und Traurig ziemlich ineinander über und es ist dir gelungen, beides realistisch miteinander zu verknüpfen.

Gerne gelesen!

[Uibui]

Danke für deinen Kommentar

Freut mich, das es gefallen hat... es hat auch ne ganze Weile gedauert, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war

LG

[Kateli]

Doch, finde ich auch, ist gut gelungen!
Wenn ich mir nur die "Reizworte" so anschaue, ist es keine leichte Sache, sie auf so kurzer Distanz so ineinanderfließen zu lassen, dass es nicht völlig abwegig und herbeikonstruiert erscheint. Das hast du geschickt gelöst, indem du die Verwirrung und/oder Realitätsverweigerung der guten Frau Gruber schamlos ausgenutzt hast
Gute Idee, sehr flüssig umgesetzt. Gefällt mir!

[Uibui]

Hey Kateli..

Vielen Dank!

Ja, ich bin wirklich ein Lump, dass ich die arme Frau und ihren Zustand für diesen Text ohen mit der Wimper zu zucken für meine Zwecke missbraucht habe

Die Worte waren wirklich nicht so einfach zusammenzubringen. Musste mehrmals neu starten.

Viele Grüße

[Lichtfrau]

Hi,
deine Reizwortgeschichte gefällt mir richtig gut. Sie liest sich flüssig und  ich war sehr gespannt, wie es weitergeht. Ich finde, du hast es fantastisch gemacht. Danke fürs Lesen!

[rieka]

Immer wieder faszinierend, welch unterschiedliche Szenen aus den Reizwörtern entstehen.
Du hast die Aufgabe spannend gelöst. Ich habe deinen Text gerne gelesen.
Wie schon oben gesagt, die Verknüpfung von traurig und lustig, die allmählich deutlicher werdende Realitätsverweigung ist gelungen.

[Rodge]

Moin, moin,

sehr schöner Text, eine Klitzekleinigkeit fiel mir dennoch auf:  "Wir haben es nach dem Herzstillstand nicht mehr geschafft, ihn wiederzubeleben", würde ein Arzt nicht sagen, da es so klingt, als sei es das Versagen der Ärzte (das müssen sie auch sagen, wenn sie es verbockt haben, da das sonst Klagen nach sich ziehen würde). Du könntest es stattdessen evtl. schreiben:
wir haben alles menschliche mögliche getan, aber leider... "

Grüße
Rodge

[Uibui]

Hallo Hab es nach langer Zeit mal wieder geschafft, hier reinzuschauen und war freudig überrascht, dass noch ein paar weitere Forumsbewohner meine kurze Schreibübung gelesen haben...

@Lichtfrau und rieka: Freut mich sehr, dass Euch die Geschichte gefallen hat. Das motiviert doch immer wieder aufs Neue

@Rodge: Danke für deinen Hinweis Ich denke, du hast Recht. Ein Arzt würde wahrscheinlich nie auch nur den geringsten Zweifel an seinem Können aufkommen lassen!

Viele Grüße,

Uibui