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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Das fehlende Puzzlestück.


 
 
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samurai70
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S
Beitrag12.06.2015 08:04
Das fehlende Puzzlestück.
von samurai70
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Das fehlende Puzzlestück.

Marie-Louise starrte vor sich hin. Einfach so.
Die Gedanken schwirrten verirrt und haltlos durch ihren Kopf. Das Atmen fiel ihr schwer. Irgendwie bekam sie keine Luft mehr.

Es war kalt im Raum. Sie inspizierte die Platten auf dem Fussboden. Die Fugen waren alt,  rissig und grau. Die Platten waren sicher einmal weiss gewesen. Nun waren sie weiss-dreckig und abgelatscht. Das Muster war nicht einheitlich. Es gab grosse Plattenstücke und kleine Plattenstücke. Irgendwie bunt und weiss-dreckig durcheinander gemischt. Es sah aus, als ob der Fliesenleger vor seiner Arbeit  drei Flaschen Wodka getrunken hatte. Und es sah aus, als  ob er einfach alle Reste von weissen Platten die er irgendwo aufgegabelt hatte, frisch-fröhlich-besoffen zusammengesetzt hatte. Es sah aus wie ein Puzzle. Ein besoffenes weiss-dreckiges Plattenpuzzle. Jedes Plattenstück war anders – und gehörte doch irgendwie zum andern.

Es gingen viele Menschen durch diesen Raum. Alte, Jugendliche, vielleicht manchmal sogar Kinder. Rein und raus. Fast jeden Tag. Es gab keine Heizung. Das war extra so. Der Raum war nicht für einen langen Aufenthalt bestimmt. Es gab auch keine bequemen Stühle mit Kissen. Es gab nur zwei klapprige und harte Klappstühle aus dunklem Nussbaumholz. Und eine kleine, etwas vermoderte  Bank stand in einer Ecke, wahrscheinlich eine alte Kirchenbank.  Es gab auch keine Zeitschriften. Pornohefte waren hier ebenso fehl am Platz wie die Tageszeitung. Hier wurde sehr selten gelesen, wenn überhaupt.  Gebetet wurde in diesem Raum schon eher: zu Gott, zu Buddha, zu Allah oder sonst zu irgendwem.

Marie-Louise hielt nicht viel von Gott. Vom Beten auch nicht. Als Klein Marie-Louise mit langen braunen Zöpfen, glänzenden Augen und voller Vorfreude ministrieren gehen wollte – hatte ihr der altbackene Priester in weissem langen Priestergewand lapidar gesagt: Frauen haben vorne am Altar nichts verloren! Und basta. Da gab es keine Widerrede. Der Priester hatte gesprochen.  Und Klein-Marie Louise sagte gar nichts mehr. Sie verliess enttäuscht und mit hängendem Zopfenkopf die Kirche.

Von diesem Zeitpunkt an hat Marie-Louise aufgehört zu beten. Definitiv. Warum sollte sie zu jemandem beten, dessen Bodenpersonal sie nicht vorne am Altar haben wollte, nur weil ihr ein ganz bestimmtes Stück in der Hose fehlte? Das verstand Klein-Marie-Louise damals einfach nicht.

Marie-Louise fröstelte. Sie zog ihren feinen, violetten Seidenschal enger um ihren schlanken Hals. Er hatte die gleiche Farbe wie den Steinanhänger, der an einem feinen Silberkettchen über ihrem Herzen baumelte. Der Anhänger, ein dunkelvioletter Amethyst, hatte ihr Papa geschenkt. Violett war Papa’s Lieblingsfarbe - und auch die Lieblingsfarbe von Marie-Louise.

Sie nahm plötzlich einen undefinierbaren Geruch war. So eine Mischung aus Waldtannenduft Marke Billigdiscounter, Kloschüssel und sonst noch irgendeiner Essenz. Sie sah hinten in der Ecke einen Raumduft in Form einer kleinen, grünen Plastiktanne stehen. Wahrscheinlich sollte dieser WC-Tannenduft den anderen komischen Duft überdecken.

Sie starrte auf die Glasscheibe, die sich vor ihr befand. Es war so eine Art grosses Fenster.

Sie legte ihre zitternden Hände auf die Glasscheibe. Sie wollte Kontakt aufnehmen mit dort drüben. Die Scheibe war eiskalt.  

Plötzlich überkam es sie: es fing bei ihren Zehenspitzen an und bahnte sich ohne Wenn und Aber durch ihren ganzen Körper. Wie ein Stromstoss durchbrach es ihre Seele und hörte mittendrin in ihrem Herzen auf. Die Tränen schossen aus ihr heraus. Sie konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Es schüttelte und rüttelte sie. Sie schlug ihren Kopf gegen die Glasscheibe. Immer und immer wieder. Es hörte nicht auf zu regnen – ihre Seele, ihr Herz sie weinten bittere Tränen. Tränen der Verzweiflung, Tränen der Wut, Tränen des Nicht-Verstehens – Tränen der Liebe.
 
Es quietschte. Die schwere Holztüre zum Raum öffnete sich. Ein Mann kam rein.  Wortlos nahm er Marie-Louise an die Hand. Sie setzten sich auf die beiden klapprigen Klappstühle. Und sie schauten gemeinsam durch das grosse Glasfenster.

Ein älterer, süditalienischer Mann mit blassem Teint lag auf der anderen Seite des Fensters. Seine Haare waren durch die Zeit und das Leben ergraut. Seine Augen waren geschlossen. Er hatte einen wunderschönen Anzug an. Dunkelbau mit feinen beigen Streifen und aus edlem Stoff. Und eine violette Kravatte mit dezentem Blumenmuster. Und braune Schuhe hatte der Mann an, seine Sonntagsschuhe, extra noch schnell geputzt für den Anlass. In seinen gefalteten, blass-gelben Händen lag eine wunderschöne, dunkelrote  Rose mit samtenen Blütenblättern. Und einen klassischen Ring aus gelbem Gold hatte er an seinem linken Ringfinger. Einen Ehering  - Für ein Versprechen.

Marie-Louise war es eiskalt. Sie hatte das Gefühl, dass ihr ganzes Blut in ihren Adern gefroren war. Die einzige Wärme, die sie im Moment noch spürte waren die warmen Hände des Mannes, der  immer noch wortlos ihre Hand hielt.  

Marie-Louise starrte den Mann im dunklen Anzug und violetter Blumenkravatte an. Sie kannte ihn nur zu gut. Dieser Mann hatte ihr immer wundervolle Gute-Nacht-Geschichten erzählt als sie klein war. Dieser Mann hatte sie immer zum Lachen gebracht. Dieser Mann hatte ihr viel Liebe und viel  Wärme gegeben. Dieser Mann fehlte Marie-Louise jetzt so schrecklich.

Vor exakt drei Tagen um 10.30 Uhr an einem wunderbaren Frühlingstag hatte sich dieser Mann mit violetter Kravatte erschossen. Mit einer Pistole. Ihr geliebter Papa. Einfach so.   

Der Bestatter legte ihr seinen Arm um ihre Schultern. Er versuchte, sie zu trösten. Aber das war unmöglich in diesem Moment. Marie-Louise war einfach nur untröstlich traurig.

Sie senkte ihren Kopf und sah auf den dreckig-weissen Plattenboden des beschwipsten Fiesenlegers im Aufbahrungsraum. Sie entdeckte in einer Ecke einen dunklen Fleck. Ein Plattenstück fehlte im Plattenpuzzle. Niemand hatte es ersetzt. Es hatte eine ganz spezielle Form. Es würde sehr schwierig werden, ein genau gleiches Stück zu finden, da war sich Marie-Louise ganz sicher.

Und es würde immer fehlen, dieses spezielle Plattenstück im Puzzle – denn es war einzigartig…

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Papa Schlumpf
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Beitrag12.06.2015 20:23

von Papa Schlumpf
Antworten mit Zitat

Liebe Samurai,
Du zeigst uns da einen sehr innigen Text voller Ideen. Glückwunsch!
Die suizidale Note trifft nicht auf mein Wohlwollen (was man bei mir nicht anders erwarten kann), zumal mir die dramaturgische Funktion des Selbstmords nicht einleuchtet. Es gibt so viele schöne andere Möglichkeiten, jemanden zu Tode kommen zu lassen. Aber gut, das soll sich nicht zum Gegenstand des Kommentars  auswachsen.
Ich las kürzlich in einem Ratgeber: Immer das richtige Verb! Das freilich strengt ganz schön an, weil sich dieses verflixte Wort tarnt, um nicht Verwendung zu finden, es stielt sich heimtückisch aus unserem Hirnskasten und wir müssen mit viel Akribie danach suchen. Verwenden statt dessen erst einmal "haben" und "sein", geht immer. Klingt aber Scheiße.
Aber beginnen wir vorn.
Zitat:
Marie-Louise starrte vor sich hin. Einfach so.
Nachdem sich mir eröffnete, wo die Fliesen so schlecht aussehen, nehme ich das der Marie-Louise nicht mehr ab. Wir können den Leser in die Irre führen, aber wir dürfen ihn nicht belügen. In der Aufbahrung starre ich nicht einfach so vor mich hin.
Zitat:
Die Gedanken schwirrten verirrt und haltlos durch ihren Kopf.
Ich glaube, weniger zeigt hier mehr, "verirrt" oder "haltlos", wobei mir beides nicht wirklich treffend erscheint (was dem Verb zusteht billigen wir auch dem Adjektiv zu). Wenn aber die beiden die Ehre erlangen, so steht "verirrt" besser als Zweites.
Fünf deiner ersten sechs Sätze im zweiten Absatz besitzen eine Gemeinsamkeit: das Prädikat. Das klingt überhaupt nicht gut. Schauen wir mal.
Zitat:
Es war kalt im Raum.
Eigentlich akzeptabel. Man könnte freilich von im Raum herrschender Kälte sprechen, aber gut.
Zitat:
Die Fugen waren alt, rissig und grau.
Das nennt man Behauptung. Wir tun gut daran, wenig zu behaupten und viel zu relativieren. "Die Fugen sahen ... aus."

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samurai70
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S
Beitrag12.06.2015 20:53
danke papa schlumpf
von samurai70
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hoi papa schlumpf

danke für dein feedback! dieses ist sehr hilfreich für mich - zumal ich - was das schreiben anbelangt - definitiv noch nicht richtig sattelfest bin.

grammatik, verbformen....ich merke, dass ich noch viel zu lernen habe!

danke auch für den input wegen der verbform. da muss ich in zukunft besser darauf achten!

dass man in einem aufbahrungsraum nicht vor sich hinstarrt...ich weiss nicht recht. ich persönlich starre eigentlich viel vor mich hin ohne wahrzunehmen, was sich vor mir befindet...aber mit der kombination gleichzeitig die fugen zu inspizieren, ist das - da hat du recht - irgendwie unglaubwürdig. das würde sogar ich nicht zustande bringen, auch nicht mit vier augen. ich werde es in meinem text noch ändern.

so, lieber papa schlumpf: herzlichen dank nochmals für deine gute und konstruktive kritik!

liebe grüsse aus der schweiz, samurai


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Papa Schlumpf
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Beitrag12.06.2015 21:00

von Papa Schlumpf
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Liebe Samurai,
EDIT: Entschuldige, da floh mich doch wirklich der unfertige Kommentar, hier nun das komplette Exemplar.

Du zeigst uns da einen sehr innigen Text voller Ideen. Glückwunsch!
Die suizidale Note trifft nicht auf mein Wohlwollen (was man bei mir nicht anders erwarten kann), zumal mir die dramaturgische Funktion des Selbstmords nicht einleuchtet. Es gibt so viele schöne andere Möglichkeiten, jemanden zu Tode kommen zu lassen. Aber gut, das soll sich nicht zum Gegenstand des Kommentars  auswachsen.
Ich las kürzlich in einem Ratgeber: Immer das richtige Verb! Das freilich strengt ganz schön an, weil sich dieses verflixte Wort tarnt, um nicht Verwendung zu finden, es stielt sich heimtückisch aus unserem Hirnskasten und wir müssen mit viel Akribie danach suchen. Verwenden statt dessen erst einmal "haben" und "sein", geht immer. Klingt aber Scheiße.
Aber beginnen wir vorn.
Zitat:
Marie-Louise starrte vor sich hin. Einfach so.
Nachdem sich mir eröffnete, wo die Fliesen so schlecht aussehen, nehme ich das der Marie-Louise nicht mehr ab. Wir können den Leser in die Irre führen, aber wir dürfen ihn nicht belügen. In der Aufbahrung starre ich nicht einfach so vor mich hin.
Zitat:
Die Gedanken schwirrten verirrt und haltlos durch ihren Kopf.
Ich glaube, weniger zeigt hier mehr, "verirrt" oder "haltlos", wobei mir beides nicht wirklich treffend erscheint (was dem Verb zusteht billigen wir auch dem Adjektiv zu). Wenn aber die beiden die Ehre erlangen, so steht "verirrt" besser als Zweites.
Fünf deiner ersten sechs Sätze im zweiten Absatz besitzen eine Gemeinsamkeit: das Prädikat. Das klingt überhaupt nicht gut. Schauen wir mal.
Zitat:
Es war kalt im Raum.
Eigentlich akzeptabel. Man könnte freilich von im Raum herrschender Kälte sprechen, aber gut.
Zitat:
Die Fugen waren alt, rissig und grau.
Das nennt man Behauptung. Wir tun gut daran, wenig zu behaupten und viel zu relativieren. "Die Fugen sahen ... aus."  
Zitat:
Die Platten waren sicher einmal weiss gewesen. Nun waren sie weiss-dreckig und abgelatscht. Das Muster war nicht einheitlich.
Vorschlag: "Die Platten wiesen sicher einmal eine weiße Glasur auf. Nun sahen sie weiß-dreckig und abgetreten aus. Das Muster wirkte nicht einheitlich (konfus, durcheinander)" Auf "abgelatscht" verzichtete ich, weil dieser Trivial-Ausdruck nicht in den Stil passt, den die Geschichte sonst auszeichnet.
Du siehst, dass durchaus mehr als "war" in diesen Sätzen stehen kann. Und die große Schwäche Deines Textes konnte ich Dir so zeigen.
Ich fand da noch ein paar Kleinigkeiten, wenn ich sie wiederfinde, zeige ich noch darauf.  
Zitat:
Sie wollte Kontakt aufnehmen mit dort drüben.
Dort drüben gehört nicht zu den Sternstunden. Wie klingt: der anderen Seite?
Zitat:
Es schüttelte und rüttelte sie.
Weniger zeigt mehr, siehe oben. "rüttelte" kann albern wirken. Und gerade in dieser intensiven Szene, die mir ansonsten sehr gelungen scheint.
Zitat:
Holztüre
verwenden wir im Allgemeinen nicht, weil nur landschaftsspezifisch. Ohne "e" gehört die Tür ins Hochdeutsch.  
Zitat:
klapprigen Klappstühle.
Ich weiß, Stabreim, ein Mittel, wie schon oben die verirrt schwirrenden. Doch passt das hier wirklich? Ein Stück weiter das "gelbe Gold" wirft diese Frage genauso auf.
Zitat:
Sie hatte das Gefühl, dass ihr ganzes Blut in ihren Adern gefroren war.
Ich kann nicht anders. "Sie überkam das Gefühl, dass das Blut in ihren Adern gefror." Stimmt nicht ganz mit der Vorlage überein, in jedem Fall solltest Du auf das "ganze" verzichten.
Zitat:
die warmen Hände des Mannes, der immer noch wortlos ihre Hand hielt.
Klingt mir irgendwie nicht, Hände - Hand. "die Wärme des Mannes ,,,"?
Zitat:
Der Bestatter legte ihr seinen Arm um ihre Schultern.
"ihr" brauchst Du nicht, striche ich.
Dieser feine Verweis, das Gleichnis vom Fehlenden, Einzigartigen empfand ich als gewissermaßen Sahnehäubchen, so kaum merklich, schüchtern fast. Ich weiß nicht, ob der Bezug stärker gebunden nicht doch verliert. Lassen wir die anderen sprechen.
Es freute mich. Man liest sich.
P. S.


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samurai70
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S
Beitrag12.06.2015 21:12
danke nochmals nr 2
von samurai70
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hoi papa schlumpf

danke für deinen zweiten teil. ich muss ihn morgen in ruhe studieren. ich habe vorher ein glas wein getrunken... nicht dass ich jetzt besoffen bin wie der fliesenleger, aber meine gedanken sind im moment auch etwas am umherschwirren. Laughing

ich melde mich morgen -  so beim überfliegen deiner antwort sind wieder sehr gute inputs dabei!

einen schönen abend!


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tokidoki
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Beitrag13.06.2015 00:24
Re: Das fehlende Puzzlestück.
von tokidoki
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Hallo Samurai,

mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen. Man kann den Schmerz von Marie-Louise gut mit/nachempfinden.

Du verwendest fast nur Hauptsätze. Der Ein- oder Andere Nebensatz an der richtigen Stelle könnte den Lesefluss ein wenig erleichtern. Aber zu viel würde die depressive Stimmung wiederum zerstören.

Das ß magst du wohl nicht so, es fehlt in deinem Text völlig.

Vieles hat Papa Schlumpf bereits angesprochen, ich habe dir mal markiert was mir sonst noch so aufgefallen ist.  

samurai70 hat Folgendes geschrieben:
Das fehlende Puzzlestück.

Marie-Louise starrte vor sich hin. Einfach so.
Die Gedanken schwirrten verirrt und haltlos durch ihren Kopf. Das Atmen fiel ihr schwer. Irgendwie bekam sie keine Luft mehr.

Es war kalt im Raum. Sie inspizierte die Platten auf dem Fussboden. Die Fugen waren alt,  rissig und grau. Die Platten waren sicher einmal weiss gewesen. Nun waren sie weiss-dreckig und abgelatscht. Das Muster war nicht einheitlich. Es gab grosse Plattenstücke und kleine Plattenstücke. Irgendwie bunt und weiss-dreckig durcheinander gemischt. Es sah aus, als ob der Fliesenleger vor seiner Arbeit  drei Flaschen Wodka getrunken hatte. Und es sah aus, als  ob er einfach alle Reste von weissen Platten die er irgendwo aufgegabelt hatte, frisch-fröhlich-besoffen zusammengesetzt hatte. Es sah ein bisschen zu oft  aus wie ein Puzzle. Ein besoffenes weiss- usw. dreckiges Plattenpuzzle. Jedes Plattenstück war anders – und gehörte doch irgendwie zum andern.

Es gingen viele Menschen durch diesen Raum. Alte, Jugendliche, vielleicht manchmal sogar Kinder. Rein und raus. Fast jeden Tag. Es gab keine Heizung. Das war extra so. Der Raum war nicht für einen langen Aufenthalt bestimmt. Es gab auch keine bequemen Stühle mit Kissen. Es gab nur zwei klapprige und harte Klappstühle aus dunklem Nussbaumholz. Und eine kleine, etwas vermoderte  Bank stand in einer Ecke, wahrscheinlich eine alte Kirchenbank.  Es gab auch keine Zeitschriften. Pornohefte waren hier ebenso fehl am Platz wie die Tageszeitung. Hier wurde sehr selten gelesen, wenn überhaupt.  Gebetet wurde in diesem Raum schon eher: zu Gott, zu Buddha, zu Allah oder sonst zu irgendwem.

Marie-Louise hielt nicht viel von Gott. Vom Beten auch nicht. Als Klein Marie-Louise mit langen braunen Zöpfen, glänzenden Augen und voller Vorfreude ministrieren gehen wollte – hatte ihr der altbackene Priester in weissem im weißen langen Priestergewand lapidar gesagt: Frauen haben vorne am Altar nichts verloren! Und basta. Da gab es keine Widerrede. Der Priester hatte gesprochen.  Und Klein-Marie Louise sagte gar nichts mehr. Sie verliess enttäuscht und mit hängendem Zopfenkopf Was ist ein Zopfenkopf? die Kirche.

Von diesem Zeitpunkt an hat hatte Marie-Louise aufgehört zu beten. Definitiv. Warum sollte sie zu jemandem beten, dessen Bodenpersonal sie nicht vorne am Altar haben wollte, nur weil ihr ein ganz bestimmtes Stück in der Hose fehlte? Das verstand Klein-Marie-Louise damals einfach nicht.

Marie-Louise fröstelte. Sie zog ihren feinen, violetten Seidenschal enger um ihren schlanken Hals. Er hatte die gleiche Farbe wie den der Steinanhänger, der an einem feinen Silberkettchen über ihrem Herzen baumelte. Der Den Anhänger, ein dunkelvioletter Amethyst, hatte ihr Papa geschenkt. Violett war Papa’s Lieblingsfarbe - und auch die Lieblingsfarbe von Marie-Louise.

Sie nahm plötzlich einen undefinierbaren Geruch war. So eine Mischung aus Waldtannenduft Marke Billigdiscounter, Kloschüssel passt nicht so gut in dein Sprachbild. Meinst du wirklich den Fäkal-Geruch, oder eher den typischen Reinigerdurft? Wie wäre es dann mit Toilettenreiniger?  und sonst noch irgendeiner Essenz. Sie sah hinten in der Ecke einen Raumduft in Form einer kleinen, grünen Plastiktanne stehen. Wahrscheinlich sollte dieser WC-Tannenduft den anderen komischen Duft überdecken.

Sie starrte auf die Glasscheibe, die sich vor ihr befand. Es war so eine Art grosses Fenster.

Sie legte ihre zitternden Hände auf die Glasscheibe. Sie wollte Kontakt aufnehmen mit dort drüben. Die Scheibe war eiskalt.  

Plötzlich überkam es sie: es fing bei ihren Zehenspitzen an und bahnte sich ohne Wenn und Aber unaufhaltsam? durch ihren ganzen Körper. Wie ein Stromstoss durchbrach es ihre Seele und hörte mittendrin in ihrem Herzen auf. Die Tränen schossen aus ihr heraus. Sie konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Es schüttelte und rüttelte sie. Sie schlug ihren Kopf gegen die Glasscheibe. Immer und immer wieder. Es hörte nicht auf zu regnen – ihre Seele, ihr Herz sie weinten bittere Tränen. Tränen der Verzweiflung, Tränen der Wut, Tränen des Nicht-Verstehens – Tränen der Liebe.
 
Es quietschte. Die schwere Holztüre zum Raum öffnete sich. Ein Mann kam rein trat ein? Wortlos nahm er Marie-Louise an die Hand. Sie setzten sich auf die beiden klapprigen Klappstühle Die Klappstühle hast du bereits im oberen Abschnitte beschrieben . Und sie schauten gemeinsam durch das grosse Glasfenster.

Ein älterer, süditalienischer Mann mit blassem Teint lag auf der anderen Seite des Fensters. Seine Haare waren durch die Zeit und das Leben durch ein langes Leben mit der Zeit? ergraut. Seine Augen waren geschlossen. Er hatte einen wunderschönen Anzug an. Dunkelbau mit feinen beigen Streifen und aus edlem Stoff. Und eine violette Kravatte mit dezentem Blumenmuster. Und braune Schuhe hatte der Mann an, seine Sonntagsschuhe, extra noch schnell geputzt für den Anlass. In seinen gefalteten, blass-gelben Händen lag eine wunderschöne, dunkelrote  Rose mit samtenen Blütenblättern. Und einen klassischen Ring aus gelbem Gold hatte er an seinem linken Ringfinger. Einen Ehering  - Für ein Versprechen.

Marie-Louise war es eiskalt. Sie hatte das Gefühl, dass ihr ganzes Blut in ihren Adern gefroren war. Blut in den Adern zu Eis gefroren war? Die einzige Wärme, die sie im Moment noch spürte waren die warmen Hände des Mannes, der  immer noch wortlos ihre Hand hielt. die Ihre hielt?  

Marie-Louise starrte den Mann im dunklen Anzug und violetter Blumenkravatte mit w an. Sie kannte ihn nur zu gut. Dieser Mann hatte ihr immer wundervolle Gute-Nacht-Geschichten erzählt als sie klein war. Dieser Mann hatte sie immer zum Lachen gebracht. Dieser Mann hatte ihr viel Liebe und viel  Wärme gegeben. Dieser Mann fehlte Marie-Louise jetzt so schrecklich.

Vor exakt drei Tagen um 10.30 Uhr an einem wunderbaren Frühlingstag hatte sich dieser Mann mit violetter Kravatte erschossen. Mit einer Pistole. Ihr geliebter Papa. Einfach so.   

Der Bestatter legte ihr seinen Arm um ihre Schultern. Er versuchte, sie zu trösten. Aber das war unmöglich in diesem Moment. Marie-Louise war einfach nur untröstlich traurig.

Sie senkte ihren Kopf und sah auf den dreckig-weissen Plattenboden des beschwipsten Fiesenlegers im Aufbahrungsraum. Sie entdeckte in einer Ecke einen dunklen Fleck. Ein Plattenstück fehlte im Plattenpuzzle. Niemand hatte es ersetzt. Es hatte eine ganz spezielle Form. Es würde sehr schwierig werden, ein genau gleiches Stück zu finden, da war sich Marie-Louise ganz sicher.

Und es würde immer fehlen, dieses spezielle Plattenstück im Puzzle – denn es war einzigartig…


Eine gelungene Geschichte, ich habe sie sehr gerne gelesen. Mehr davon Smile

Schönen Abend
tokidoki
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tokidoki
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Beitrag13.06.2015 00:35

von tokidoki
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Eines noch, beim Antworten auf Kritik brauchst du nicht den Haken für Fortsetzung zu setzen. Deine Geschichte ist doch abgeschlossen Wink
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samurai70
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S
Beitrag13.06.2015 10:59
danke tokidoki
von samurai70
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hoi tokidoki

danke auch dir für deine inputs! es freut mich, dass auch dir meine geschichte gefallen hat.

es ist schon komisch, was anderen alles auffällt, wenn sie meinen text lesen - wahrscheinlich sehe ich manchmal vor lauter buchstaben die richtigen wörter nicht mehr. und daher ist eure kritik hier sehr hilfreich!! Exclamation

1. das mit den wiederholungen: sie sah, es sah aus, etc. . wie gesagt, dass ist mir selber gar nicht aufgefalllen. ich werde es auf jeden fall noch ändern!

2. abschnitt nr. 4. ein zopfenkopf: das wort ist eine eigenkreation von mir...ich werde es ändern. ich meinte damit einfach klein marie-louise's kopf mit den zwei zöpfen.

3. wie ich sehe, habe ich relativ viele fallfehler. eine schwäche von mir! ich muss in zukunft besser darauf achten. danke, für den hinweis! ich werde das auch noch korrigieren.

4. ja die liebe kloschüssel....aber irgendwie gefiel mir dieses etwas abgedroschene wort in meinem text. obwohl du hast schon recht, es passt irgendwie nicht und vielleicht habe ich es gerade deswegen gewählt...mal, schauen, ich werde das wort evtl. ein bischen ummodelieren. vom geruch her meinte ich schon eher den typischen reinigungsduft.

5. ja das rüttelte beim schüttelte ist zuviel. es stört und ich werde es ebenfalls in den papierkorb werfen.

6. krawatte schreibt man mit w...mhhh, das ist ein grober schnitzer von mir. jetzt verstehe ich, warum das wort unserem gerold gar nicht gefallen  hat...und ich dumbatz verstand nicht warum. für mich schrieb man krawatte einfach mit v.

also, danke nochmals für deine sehr hilfreichen ratschläge!

noch eine frage: wenn ich den text nun korrigiere, kann ich ihn im forum in der korrigierten version wieder einstellen? wenn ja, wo?

danke auch wegen dem hacken setzen am schluss, das wusste ich nicht.

liebe grüsse aus der schweiz

samurai


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samurai70
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S
Beitrag13.06.2015 11:38
für papa schlumpf
von samurai70
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hoi papa schlumpf,

da bin ich wieder. habe meinen rausch ausgeschlafen Embarassed

1. das wegen dem prädikat: ist mir gar nicht aufgefallen, dass das komisch klingen könnte. ich werde daran noch etwas herumschleifen. danke für den input!

2. das mit dem aussehen der fugen. ich werde das auch noch ändern. danke für den hinweis, wegen dem relativieren von behauptungen, das ist ein guter tipp!

3. auf der "anderen seite" tönt definitiv besser als "dort drüben". ich werde das ändern.

4. ja, das rüttelte kommt raus. das schüttelte reicht vollkommen!

5. das mit der holztüre ohne e wusste ich nicht. vielleicht merkt man hier, dass ich aus der schweiz bin? schweizerdeutsch und hochdeutsch sind  manchmal zwei verschiedene paar schuhe.

6. das gefrorene blut in den adern: ich werde das noch etwas umformulieren. danke für den hinweis.

7. zuviele "hände mit hand". du hast hier auch recht. tönt nicht gut. ich ändere es.

8. das "ihr" streiche ich definitiv. (der bestatter legte seinen arm um ihre schultern). das reicht völlig und abgesehen davon liebe ich sahnehäubchen!

danke für deine tollen ratschläge!

ich habe zwar tokidoki schon gefragt, aber du weisst das bestimmt auch: wenn ich die korrekturen und anpassungen gemacht habe, würde sich marie-louise sicher freuen in etwas formvollendeter montur wieder im forum aufzukreuzen...wo kann ich den text dann einstellen?

liebe grüsse aus der schweiz.

samurai


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tokidoki
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Beitrag13.06.2015 23:49

von tokidoki
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Hallo Samurai,

du kannst deinen korrigierten Text hier in diesen Thread stellen.
Da du ihn selber erstellst hast, findest du unter dem Fenster, in dem du die Antworten schreibst, noch zwei kleine Kontrollkästchen:
Fortsetzung
Neue Version

Wenn du deine neue Version postest, setzt du entsprechend den Haken. Dann wird in deiner ersten Version direkt am Anfang ein Link zu deiner bearbeiteten gesetzt.

Falls du aber einfach nur einen Kommentar kommentierst, lässt du beide Felder leer.

lg
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Papa Schlumpf
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Beitrag14.06.2015 20:50

von Papa Schlumpf
Antworten mit Zitat

Liebe Samurai,
besser als Tokidoki kann ich es auch nicht sagen.
Es freut mich, dass die Kommentare Dir weiter helfen. Was den Meinen anbelangt, so nimm nicht alles bar; folge mir nie ohne Kritik, denn sonst gerätst Du in Gefahr, böse Fehler in den Text zu fabrizieren. Wortwiederholungen zum Beispiel, darauf achte ich nicht, wenn ich kommentiere und nebenbei koche oder ähnlicher Ablenkung unterliege, und meist lese ich nicht nochmal zur Kontrolle.
Aber gut, ich freue mich auf die Neue Version.
P. S.


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samurai70
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Beitrag15.06.2015 08:46
für papa schlumpf und tokidodi
von samurai70
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Hoi zäme!

danke für den tipp wegen dem einstand für die korrigierte textversion.

ich bin dabei den Text zu überarbeiten und werde ihn nachher wieder hier im Forum platzieren.

gruss aus der schweiz

samurai


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Beitrag18.06.2015 16:28
Das fehlende Puzzlestück. Version Nr. 2
von samurai70
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Marie-Louise stand alleine in einem kleinen, düsteren Raum. Es war kalt und ungemütlich.

Die Gedanken schwirrten verirrt durch ihren Kopf. Das Atmen fiel ihr schwer, irgendwie bekam sie keine Luft mehr.

Marie-Louise sah auf den gekachelten Fussboden und  inspizierte die Platten. Die Fugen waren grau und sahen alt und rissig aus. Die Platten hatten früher wahrscheinlich eine weisse Farbe. Nun waren sie weiss-dreckig und abgewetzt. Das Plattenmuster war nicht einheitlich. Es gab grosse Plattenstücke und kleine Plattenstücke. Irgendwie bunt und weiss-dreckig durcheinander gemischt. Es machte den Eindruck, als ob der Fliesenleger vor seiner Arbeit drei Flaschen Wodka getrunken hatte. In seinem beschwipsten Zustand  setzte er dann alle Reste von weissen Platten - die er irgendwo aufgegabelt hatte - frisch-fröhlich-besoffen zusammen. Es sah aus wie ein Puzzle. Ein besoffenes weiss-dreckiges Plattenpuzzle.  Jedes Plattenstück war anders – und gehörte doch irgendwie zum andern.

Es gingen viele Menschen durch diesen Raum. Alte und jüngere Menschen, vielleicht manchmal sogar Kinder. Rein und raus. Fast jeden Tag. Es gab keine Heizung. Das war extra so. Dieser Raum war nicht für einen langen Aufenthalt bestimmt. Es gab auch keine bequemen Stühle mit Kissen. Es gab nur zwei harte Klappstühle aus dunklem Nussbaumholz. Und eine kleine, etwas vermoderte Sitzbank aus Holz stand in einer Ecke, wahrscheinlich eine alte, ausgediente Kirchenbank.  Es gab auch keine Zeitschriften. Pornohefte waren hier ebenso fehl am Platz wie die Tageszeitung. Hier wurde nur selten gelesen - wenn überhaupt.  Gebetet wurde in diesem Raum schon eher: zu Gott, zu Buddha, zu Allah oder sonst zu irgendwem.

Marie-Louise hielt nicht viel von Gott. Vom Beten auch nicht. Als Klein Marie-Louise mit langen braunen Zöpfen, glänzenden Augen und voller Vorfreude ministrieren gehen wollte – hatte ihr der altbackene Priester im weißen, langen Priestergewand lapidar gesagt: Frauen haben vorne am Altar nichts verloren! Und basta. Da gab es keine Widerrede. Der Priester hatte gesprochen. Und Klein-Marie Louise sagte gar nichts mehr. Sie verließ enttäuscht und mit hängendem Kopf die Kirche.

Von diesem Zeitpunkt an hat Marie-Louise aufgehört zu beten. Definitiv. Warum sollte sie zu jemandem beten, dessen Bodenpersonal sie nicht vorne am Altar haben wollte   und dass nur weil ihr ein ganz bestimmtes Stück in der Hose fehlte? Das verstand Klein-Marie-Louise einfach nicht.
Marie-Louise fröstelte, eine leichte Gänsehaut überzog ihre Arme. Die kleinen, dunklen Härchen auf ihren Unterarmen stellten sich wie eine kleine  Armee auf, die sie verteidigen wollten – vor was eigentlich? Sie zog den feinen, violetten Seidenschal enger um ihren Hals. Violett war übrigens die Lieblingsfarbe von ihrem Papa. Der Schal hatte die gleiche Farbe des Steinanhängers, der an einem feinen, silbernen Kettchen über ihrem Herzen baumelte. Den Anhänger, ein dunkelvioletter Amethyst, hatte Papa ihr geschenkt. Einfach so.

Marie-Louise nahm plötzlich einen undefinierbaren Geruch wahr. So eine Art Mischung aus Waldtannendufterfrischer, Toilettenreiniger und sonst noch irgendeiner Essenz. Sie sah hinten in der Ecke einen Raumduft in Form einer kleinen, grünen Plastiktanne Marke Billigdiscounter stehen. Wahrscheinlich sollte dieser WC-Tannenduft den anderen komischen Duft überdecken.

Sie starrte auf die Glasscheibe, die sich vor ihr befand. Es war so eine Art großes Fenster.

Sie legte ihre zitternden Hände auf die Glasscheibe. Sie wollte Kontakt aufnehmen mit der anderen Seite. Die Scheibe war kalt und undurchdringbar.  

Plötzlich überkam es sie: es fing bei ihren Zehenspitzen an und bahnte sich unaufhaltsam durch den ganzen Körper. Wie ein Stromstoß durchbrach es ihre Seele und hörte mittendrin im Herzen auf. Die Tränen schossen unaufhaltsam aus ihr heraus. Sie konnte nicht mehr aufhören zu weinen.  Mehrere riesige Wellen voller Tränen überschwemmten ihre Seele. Sie schlug aus lauter Verzweiflung ihren Kopf gegen die Glasscheibe. Immer und immer wieder. Es hörte nicht auf zu regnen – ihre Seele, ihr Herz sie weinten bittere Tränen. Tränen der Wut, Tränen des Nicht-Verstehens – Tränen der Liebe.  

Es quietschte. Die schwere Holztür zum Raum öffnete sich. Ein Mann in schwarzem Anzug trat ein. Wortlos nahm er Marie-Louise an die Hand. Sie setzten sich auf die beiden Klappstühle. Der Mann - immer noch ihre Hand haltend-  schaute zusammen mit ihr durch das Glasfenster.  

Ein älterer, süditalienischer Mann mit blassem Teint lag auf der anderen Seite. Seine Haare waren durch die Zeit des Lebens ergraut. Seine Augen waren geschlossen. Er hatte wunderschöne lange und schwarze Wimpern. Er hatte einen festlichen Anzug an. Dunkelblau mit feinen, beigen Streifen und aus edlem Stoff. Dazu ein makellos weißes Hemd. Und er trug eine Krawatte mit dezentem Blumenmuster: filigrane, linden-grüne Blumen räkelten sich auf violettem Grund. Die braunen, glänzenden Schuhe die er trug - es waren seine Sonntagsschuhe – wurden extra noch schnell geputzt für den Anlass. In seinen gefalteten Händen lag eine wunderschöne, dunkelrote  Rose mit samtenen Blütenblättern. Durch die Feuchtigkeit hatten sich feine Wasserperlen auf den Rosenblättern gebildet, die wie kleine, kostbare  Kristalle funkelten. An seinem linken Ringfinger trug er einen klassischen, glänzenden Ring aus Gold. Einen Ehering   Für ein Versprechen.

Marie-Louise wurde es nun richtig kalt. Es überkam sie das Gefühl, als ob das Blut in ihren Adern zu Eis gefroren war. Die einzige Wärme - die sie im Moment noch spürte - war die Hand des Mannes im schwarzen Anzug - der immer noch wortlos neben ihr sass.   

Marie-Louise starrte den Mann auf der anderen Seite des Fensters an. Sie kannte ihn nur zu gut. Dieser Mann hatte Klein Marie-Louise wunderbare Gute-Nacht-Geschichten erzählt, jeden Abend. Dieser Mann hatte sie immer zum Lachen gebracht. Dieser Mann hatte ihr viel Liebe und Wärme gegeben. Und genau dieser Mann fehlte Marie-Louise jetzt einfach schrecklich.

Vor exakt drei Tagen um 10.30 Uhr an einem wunderbaren Frühlingstag, hat sich dieser Mann mit geblümter Krawatte erschossen. Mit einer Pistole. Ihr Papa. Einfach so.   

Der Bestatter legte seinen Arm um ihre Schultern. Er versuchte sie zu trösten. Aber das war schwierig in diesem Moment. Sie war einfach nur untröstlich traurig.

Marie-Louise senkte den Kopf und sah auf den dreckig-weißen Plattenboden des beschwipsten Fiesenlegers im Aufbahrungsraum. In einer Ecke entdeckte sie einen dunklen Fleck. Ein Plattenstück fehlte im Plattenpuzzle. Niemand hatte es bis jetzt ersetzt. Es hatte eine ganz spezielle Form. Es sah aus wie ein großes V. Es würde fast unmöglich sein, ein genau gleiches Stück zu finden, da war sich Marie-Louise fast sicher.
  
Und es würde immer fehlen, dieses spezielle Plattenstück im Puzzle – denn es war einfach einzigartig…


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tokidoki
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Beitrag23.06.2015 21:05

von tokidoki
Antworten mit Zitat

Hallo Samurai,

bin endlich dazu gekommen, deine Überarbeitung zu lesen.
Die Geschichte hat mir vorher schon gut gefallen, und sie gefällt mir immer noch. Laughing
Du hast die Kritikpunkte gut geändert. Daumen hoch²

schönen Abend noch
tokidoki
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samurai70
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S
Beitrag24.06.2015 19:25
für tokidoki
von samurai70
pdf-Datei Antworten mit Zitat

hoi tokidoki

danke für die "blumen"!

liebe grüsse aus der schweiz.


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Papa Schlumpf
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Beitrag25.06.2015 21:28

von Papa Schlumpf
Antworten mit Zitat

Hallo, Samurai,
Deine Geschichte finde ich deutlich runder als im ersten Versuch.
Trotzdem, Du verwendest noch immer "Sein (war)" und "haben (hat)" im Übermaß, Du kannst an sehr vielen Stellen treffendere Vokabeln finden.
"von was" versetzte mir fast einen Schlag, "wovon" hielt ich für angebrachter.
Bei dem schönen Stand, den Du erreichtest mit der Geschichte, ließ ich sie eine Weile ruhen, um mit frischer Aufmerksamkeit noch einmal drüber gehen zu können. Also dann, man liest sich.
P. S.


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samurai70
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Beitrag26.06.2015 20:44
für papa schlumpf
von samurai70
pdf-Datei Antworten mit Zitat

hoi papa schlumpf

danke für deine inputs! werde versuchen die hat's und war's durch andere wörter zu ersetzen.

dieses forum ist super, denn man wird mit konstruktiver kritik konfrontiert, die mich wirklich weiter bringt!

danke nochmals und lieber gruss aus dem schweizerländli!

samurai


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