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Gefühlsgier Eselsohr
Alter: 30 Beiträge: 421
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23.05.2015 10:00 [Übung – Wo sich die Muse versteckt] offene und geschlossene Türen von Gefühlsgier
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Neue Version »
Aufgabe: Alles kann Dich inspirieren. Egal ob Lied, Songtext, Gedicht, Film, Roman oder Kunstwerk - Ideen lassen sich überall finden. Schreibe eine Geschichte auf Grundlage eines anderen Werks!
Ich habe "Coma White" von Marilyn Manson als Vorlage zu dieser kleinen Geschichte genutzt und versucht damit das Bild zu skizzieren, welches ich jedes Mal in meinem Kopf habe, wenn ich es höre. Ich hoffe, es mir einigermaßen gelungen, es halbwegs greifbar zu machen und dass es nicht zu irritierend ist, dass jemand aus der Gegenwart über ein Vergangenheitserlebnis berichtet.
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Da saß ich also. Mit blutunterlaufenen Augen sammelte ich auf dem Boden die letzten Synapsenreste ein , während ich mich mit aufgeschrammten Knien dem Rest des Flimmerns und Pulsierens hingab, das noch vor wenigen Stunden vor meinen Augen und dem sehnsuchtsverkrampften Muskel in meiner Brust kursierte, wütete. Ein Wahn, der stets ohne einen Sinn nach etwas giert, das schon längst nicht mehr vorhanden ist. Ich bin ein Flur mit vielen Türen, von denen die meisten bereits in ihre Schlösser gefallen sind.
Das Bild, dass ich abgab, war nichts weiter als ein Rest meiner Versuche, hinter meine verschlossenen Türen zu schauen und daran zu denken, wie es wäre, sie vollständig zu öffnen. Der Erfolg variiert und ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die in sich viel zu komplex sind um sie halbwegs verständlich zu erläutern, doch jedenfalls habe ich mir meine Wege geschaffen und mein Alltag bietet mir viele Möglichkeiten, nicht daran zu denken, dass es auf längere Sicht umgekehrt der Fall sein kann.
Als ich aufstehen wollte, um die Wohnungstür zu schließen, versagte mein Körper und ich sank zurück auf die kalten Fliesen des Küchenbodens, auf den durch das Fenster schwach das frühe Morgenlicht fiel.
Ich fragte nach ihnen, flüsterte und rief leise einige Namen, doch sie waren gegangen, auf dem Küchentisch standen ihre leeren Gläser. Nur die Wohnungstür haben sie offen gelassen.
Ich lehnte meinen Kopf gegen den Schrank, der meinen Körper davon abhielt, wie ein nasses Handtuch auf dem Boden zusammenzusinken. Als ich tief einatmete, vernahm ich ein leichtes Brennen in meiner Kehle. Ich schluckte, doch mein Mund war trocken und meine Lippen klebten fest aufeinander. Als ich sie vorsichtig löste, bemerkte ich den leichten Geschmack von Blut und wurde der fast schon schmerzhaften Anspannung in meinem Unterkiefer bewusst. Nicht zum ersten Mal drohte ein starker Druck, meinen Brustkorb zu sprengen. Jedes Mal an derselben Stelle und mittlerweile selbst dann, wenn ich auf diese Art bei mir bin, wie sie gesellschaflich verstanden wird. Er ist zu einer Art Wegbegleiter geworden, der manchmal auftritt und mich daran erinnert, was ich mir wohl bereits alles angetan hatte.
Ich wusste nicht, wie lange ich brauchte, um mich aufzurichten und auf unsicheren Beinen einige Schlücke aus dem Wasserhahn zu trinken. Nicht, wie lange es dauerte, bis ich die Wohnungstür geschlossen hatte und wieder in der Küche stand.
Als ich wieder die Zähne aufeinanderpresste, den Krampf in meinem Unterkiefer spürte noch einen Schluck aus dem Wasserhahn trank, sagte ich mir, dass es das letzte Mal sei. Das bereits 27. letzte Mal.
"Du musst es auch anders schaffen, sonst bist du irgendwann weg. Weg."
Erneut beschlich mich die vertraute Angst davor, mich schlafen zu legen und anschließend aufzuwachen. In der Ferne ertönte ein leises Schluchzen, es drang durch mein Ohr in mich, durch meinen Körper und in den Augen brannte es. Der aufdringliche Laut erklang erneut und meine Sicht verschwamm. Ich hatte wohl die Wohnungstür doch nicht richtig geschlossen. Das Schluchzen sollte draußen bleiben.
_________________ "Exhaustion pays no mind to age or beauty. Like rain and earthquakes and hail and floods."
Haruki Murakami - "Dance Dance Dance"
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Stefanie Reißwolf
Beiträge: 1743
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23.05.2015 10:44 Re: [Übung – Wo sich die Muse versteckt] offene und geschlossene Türen von Stefanie
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Die Geschichte geht echt unter die Haut, sie ist sehr intensiv.
Gefühlsgier hat Folgendes geschrieben: | Als ich tief einatmete, vernahm ich ein leichtes Brennen in meiner Kehle. |
Ein paar Kleinigkeiten lassen sich verbessern:
"vernehmen" bedeutet hören, nicht fühlen.
Außerdem gibt es ein paar Rechtschreibfehler und einige Kommas mehr täten dem Text auch ganz gut.
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Gefühlsgier Eselsohr
Alter: 30 Beiträge: 421
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23.05.2015 11:03
von Gefühlsgier
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Hallo Stefanie,
danke für dein Feedback. Mir fällt es oft sehr schwer, mich längere Zeit zu konzentrieren, weswegen ich immer wieder Fehler übersehe .
Vorallem Sachen, die mir in Kommentaren dann doch wieder auffallen.
Mit dem Komma bin ich mir manchmal nicht so sicher. Magst du mir vielleicht etwas helfen und mir sagen, wo du meinst, dass da eines hinkommt?
Das wäre echt lieb von dir.
Auch für deine Anmerkung zu "vernehmen" danke ich dir. Da war ich mal wieder nicht achtsam. Ich wollte hier zwar etwas variieren und frage mich jetzt: wie konnte das passieren?(na toll, das reimt sich auch noch) . Ich werde es in der Bearbeitung durch ein "einfaches" spüren ersetzen und vertraue mal meiner Beschreibung des Inhaltes soweit, dass es ihr keinen Abbruch tut.
glg
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Lilly_Winter Eselsohr
Alter: 43 Beiträge: 250 Wohnort: Dortmund
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23.05.2015 11:10
von Lilly_Winter
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Ich kann mich Stefanie nur anschließen, sehr intensiv.
Manchmal sind mir die Sätze etwas zu lang. Ich denke der Text würde an Kraft gewinnen, wenn ab und an ein kurzer Satz kommt, wenn du Sätze teilst.
Zitat: | Als ich aufstehen wollte, um die Wohnungstür zu schließen, versagte mein Körper und ich sank zurück auf die kalten Fliesen des Küchenbodens, auf den durch das Fenster schwach das frühe Morgenlicht fiel. |
Dieser Satz gefällt mir nicht. Vielleicht: Ich wollte aufstehen, die Wohnungstür schließen, doch mein Körper versagte, sank zurück auf die kalten Fliesen.
Auf den Teil mit dem Morgenlicht würde ich verzichten.
Das aber nur meine Meinung
lg Lilly
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Gefühlsgier Eselsohr
Alter: 30 Beiträge: 421
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23.05.2015 11:16
von Gefühlsgier
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vielen Dank, liebe Lily_Winter.
Ich werde es mir merken und diesen Satz auch von dir übernehmen, wenn das für dich in Ordnung ist. Ich habe oft die Angst, dass das bei mir total...unbeholfen klingt, wenn ich zu kurze Sätze verwende und versuche manchmal, die Informationen "zusammenzufassen". Nun gut, das hier war auch eine recht spontane Aktion, an der ich aber gerne weiterarbeiten möchte.
Jetzt wo du es mit dem Morgenlicht auf den Fliesen sagst, merke ich es selbst: für die Beschreibung überflüssig.
glg
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Einar Inperson Reißwolf
Beiträge: 1675 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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23.05.2015 11:19
von Einar Inperson
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Nur ganz kurz.
Den Text kann man nicht lesen, den erlebt man, ohne ihn zu begreifen.
Das nur im schnellen Vorbeigehen
_________________ Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch
Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
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Lilly_Winter Eselsohr
Alter: 43 Beiträge: 250 Wohnort: Dortmund
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23.05.2015 11:22
von Lilly_Winter
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Ist in Ordnung
Ich kenne das Problem, ich habe auch immer das Gefühl, dass ich zu kurz angebunden bin und lese mir meine Texte bestimmt 100x selbst laut vor
lg Lilly
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Stefanie Reißwolf
Beiträge: 1743
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23.05.2015 11:43 Re: [Übung – Wo sich die Muse versteckt] offene und geschlossene Türen von Stefanie
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Gefühlsgier hat Folgendes geschrieben: |
Da saß ich also. Mit blutunterlaufenen Augen sammelte ich auf dem Boden die letzten Synapsenreste ein, während ich mich mit aufgeschrammten Knien dem Rest des Flimmerns und Pulsierens hingab, das noch vor wenigen Stunden vor meinen Augen und in dem sehnsuchtsverkrampften Muskel in meiner Brust kursierte, wütete. Ein Wahn, der stets ohne einen Sinn nach etwas giert, das schon längst nicht mehr vorhanden ist. Ich bin ein Flur mit vielen Türen, von denen die meisten bereits in ihre Schlösser gefallen sind.
Das Bild, dass ich abgab, war nichts weiter als ein Rest meiner Versuche, hinter meine verschlossenen Türen zu schauen und daran zu denken, wie es wäre, sie vollständig zu öffnen. Der Erfolg variiert und ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die in sich viel zu komplex sind komma um sie halbwegs verständlich zu erläutern, doch jedenfalls habe ich mir meine Wege geschaffen und mein Alltag bietet mir viele Möglichkeiten, nicht daran zu denken, dass es auf längere Sicht umgekehrt der Fall sein kann.
Als ich aufstehen wollte, um die Wohnungstür zu schließen, versagte mein Körper und ich sank zurück auf die kalten Fliesen des Küchenbodens, auf den durch das Fenster schwach das frühe Morgenlicht fiel.
Ich fragte nach ihnen, flüsterte und rief leise einige Namen, doch sie waren gegangen, auf dem Küchentisch standen ihre leeren Gläser. Nur die Wohnungstür haben sie offen gelassen.
Ich lehnte meinen Kopf gegen den Schrank, der meinen Körper davon abhielt, wie ein nasses Handtuch auf dem Boden zusammenzusinken. Als ich tief einatmete, vernahm ich ein leichtes Brennen in meiner Kehle. Ich schluckte, doch mein Mund war trocken und meine Lippen klebten fest aufeinander. Als ich sie vorsichtig löste, bemerkte ich den leichten Geschmack von Blut und wurde der fast schon schmerzhaften Anspannung in meinem Unterkiefer bewusst. Nicht zum ersten Mal drohte ein starker Druck kein komma meinen Brustkorb zu sprengen. Jedes Mal an derselben Stelle und mittlerweile selbst dann, wenn ich auf diese Art bei mir bin, wie sie gesellschaflich verstanden wird. Er ist zu einer Art Wegbegleiter geworden, der manchmal auftritt und mich daran erinnert, was ich mir wohl bereits alles angetan hatte.
Ich wusste nicht, wie lange ich brauchte, um mich aufzurichten und auf unsicheren Beinen einige Schlucke aus dem Wasserhahn zu trinken. Nicht, wie lange es dauerte, bis ich die Wohnungstür geschlossen hatte und wieder in der Küche stand.
Als ich wieder die Zähne aufeinanderpresste, den Krampf in meinem Unterkiefer spürte und noch einen Schluck aus dem Wasserhahn trank, sagte ich mir, dass es das letzte Mal sei. Das bereits 27. letzte Mal.
"Du musst es auch anders schaffen, sonst bist du irgendwann weg. Weg."
Erneut beschlich mich die vertraute Angst davor, mich schlafen zu legen und anschließend aufzuwachen. In der Ferne ertönte ein leises Schluchzen, es drang durch mein Ohr in mich, durch meinen Körper und in den Augen brannte es. Der aufdringliche Laut erklang erneut und meine Sicht verschwamm. Ich hatte wohl die Wohnungstür doch nicht richtig geschlossen. Das Schluchzen sollte draußen bleiben. |
Wie gesagt nur ein paar Kleinigkeiten. Wahrscheinlich hättest du sie selbst gefunden. Leg solche Texte ein, zwei Tage in die (virtuelle) Schublade und schau noch mal drüber, dann passt es.
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Tjana Reißwolf
Alter: 63 Beiträge: 1791 Wohnort: Inne Peerle
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23.05.2015 11:49
von Tjana
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Ein auf mich sehr tief wirkender Text.
- tiefgründig
- mich tief hineinziehend
Zuerst markierte mein Kopf die wechselnde Nutzung unterschiedlicher Zeitformen. Beim Weiterlesen fragte er mich nicht mehr. Fühlte nur noch.
Dies hat mir besonders gefallen:
Zitat: | Ich bin ein Flur mit vielen Türen, von denen die meisten bereits in ihre Schlösser gefallen sind. |
LG
Tjana
_________________ Wir sehnen uns nicht nach bestimmten Plätzen zurück, sondern nach Gefühlen, die sie ins uns auslösen
In der Mitte von Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten (Albert Einstein) |
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HI Hansen Schneckenpost
Alter: 53 Beiträge: 8 Wohnort: Ferschweiler
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26.05.2015 17:16
von HI Hansen
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Sehr stark und intensiv, wie schon von Anderen geschrieben.
Die Zahl 27 taucht auf. Soso
Nach dem Satz "Ein Wahn, der stets ohne einen Sinn nach etwas giert, das schon längst nicht mehr vorhanden ist", wäre eine schöne Gelegenheit, den aktuellen Zustand zu reflektieren.
Im dritten Absatz erscheint die offene Wohnungstür. Auch wenn im vierten Absatz dieser Zustand quasi erklärt wird, wäre im dritten Absatz die Möglichkeit die offene Tür als einen großen Unsicherheitsfaktor einzuführen.
Im vierten Absatz werden Gläser erwähnt. Welche Gläser? Feiere die Objekte im Text.
Liebe Grüße, HI
_________________ the narcotics don't work. |
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Gefühlsgier Eselsohr
Alter: 30 Beiträge: 421
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26.05.2015 17:28
von Gefühlsgier
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vielen Dank, Hl.
Ja, aber die 27 ist eher Zufall und ohne große Bedeutung. Da fällt mir aber ein, dass ich sie in meiner Überarbeitung ausschreiben werde. Über die anderen Punkte, die du schon nanntest, werde ich mir auch noch Gedanken machen.
Mit den Gläsern meinte ich die, aus denen die Gäste meines Protas getrunken haben. Vielleicht sollte ich das auch noch besser verdeutlichen.
glg
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Gefühlsgier Eselsohr
Alter: 30 Beiträge: 421
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30.05.2015 03:16
von Gefühlsgier
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Da saß ich also.
Mit blutunterlaufenen Augen sammelte ich auf dem Boden die letzten Synapsenreste ein und gab mich mit aufgeschrammten Knien dem Rest eines unsteten Wechselspiels des Flimmern und Pulsierens hin, welches wenige Stunden zuvor in dem sehnsuchtsverkrampfenden Muskel in meiner Brust kursierte, wütete. Ein Wahn, der stets ohne Sinn nach etwas giert, das schon längst nicht mehr vorhanden ist.
In bin ein Flur mit vielen Türen, von denen die meisten bereits in ihre Schlösser gefallen sind. Das Bild, das ich abgab, war nichts weiter als ein Rest eines weiteren Versuches, hinter verschlossene Türen zu schauen. Ich will sie vollständig zu öffnen, wenn es auch nur für Stunden möglich ist. Der Erfolg variiert und ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die für eine halbwegs verständliche Erklärung zu komplex sind. Doch ich habe mir Wege geschaffen, meinem Ziel näher zu kommen und mein Alltag bietet mir viele Möglichkeiten, nicht daran zu denken, dass es auf längere Sicht umgekehrt der Fall sein könnte.
Ich wollte aufstehen und die Wohnungstür schließen, doch mein Körper versagte, sank auf die kalten Fliesen. Ich fragte nach ihnen, flüsterte und rief leise einige Namen, doch sie waren gegangen. Auf dem Küchentisch standen ihre Gläser. Die Wohnungstür haben sie offen gelassen. Der Schrank, an den ich mich lehnte, hielt meinen Körper davon ab, wie ein nasses Handtuch auf dem Boden zusammenzusinken. Als ich einatmete, spürte ich ein Brennen in meiner Kehle. Ich schluckte, doch mein Mund war trocken und meine Lippen klebten fest aufeinander. Als ich sie vorsichtig löste, bemerkte ich den leichten Geschmack von Blut und wurde der fast schon schmerzhaften Anspannung in meinem Unterkiefer bewusst, die sich langsam nach unten ausbreitete, bis ein starker Druck meinen Brustkorb zu sprengen drohte. Ich kenne ihn. Jedes Mal ist er an derselben Stelle und mittlerweile selbst dann, wenn ich auf diese Art bei mir bin, wie sie gesellschaftlich verstanden wird. Er ist zu einer Art Wegbegleiter geworden, der manchmal auftritt und mich daran erinnert, was ich mir wohl bereits alles angetan habe.
Ich wusste nicht, wie lange ich brauchte, um mich aufzurichten und auf unsicheren Beinen einige Schlucke aus dem Wasserhahn zu trinken. Nicht, wie lange es dauerte, bis ich die Wohnungstür geschlossen hatte und wieder in der Küche stand. Als ich anfing, meine Zähne aufeinanderzudrücken und ihre Flüchen aneinander zu reiben, trank ich erneut aus dem Wasserhahn und sagte mir, dass es das letzte Mal sei. Das bereits 27. letzte Mal.
Erneut beschlich mich die vertraute Angst davor, einzuschlafen und anschließend aufzuwachen. In der Ferne ertönte ein leises Schluchzen. Es drang durch mein Ohr, in mich, durch meinen Körper hindurch. In meinen Augen brannte es. Der aufdringliche Laut erklang erneut und meine Sicht verschwamm. Ich hatte wohl die Wohnungstür doch nicht richtig geschlossen. Das Schluchzen sollte draußen bleiben.
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Einar Inperson Reißwolf
Beiträge: 1675 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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30.05.2015 07:32
von Einar Inperson
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Gefühlsgier hat Folgendes geschrieben: |
eines unsteten Wechselspiels des Flimmerns und Pulsierens hin, |
Hallo Gefühlsgier,
oben eine kleine Erbse.
Der neue Text ist dichter, scheint mir. Aber die Bedrohlichkeit, die in sperrigen Passagen der ersten Version sichtbar, offensichtlich gemacht ist, fehlt. Ist das nun besser? Es ist anders. Würde der Leser das Fehlende in diesem Text erkennen?
Den ersten und den letzten Absatz lese ich jetzt neu. Ob richtig oder nicht, ist keine Frage. Man interpretiert vieles aus seinem eigenen Denken in andere Texte. Sehr interessante Erkenntnis und nichts Neues, aber hier wieder einmal deutlich geworden. Man führt sich selbst auf eine Fährte, der man dann nicht mehr entkommt.
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HI Hansen Schneckenpost
Alter: 53 Beiträge: 8 Wohnort: Ferschweiler
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30.05.2015 11:15
von HI Hansen
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Die neue Version erscheint mir dringlicher, mit höherem inneren Druck auf Seiten des Protas.
Insofern empfinde ich beide Texte, obwohl die Worte fast identisch sind, als komplett unterschiedlich. Text 1 gibt mir das Gefühl eines langsamen Aufgebens. In Text 2 entsteht durch die Verdichtung der Anschein eines inneren Aufbrausens, eines höheren Blutdrucks.
Das so zu schaffen, empfinde ich als stark.
_________________ the narcotics don't work. |
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Nachtmeister Gänsefüßchen
Alter: 40 Beiträge: 21 Wohnort: Eine weit, weit entfernte Galaxie...
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30.05.2015 16:37
von Nachtmeister
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Eine gelungene Schreibübung.
Es liest sich ziemlich flüssig,
es ist intensiv und lässt den Leser näher rücken.
Die eingeworfenen Gedanken,
Überlegungen und Vergleiche vermitteln den aufgewühlten Geist des Prota
während der Körper nicht mithalten kann.
Der Text regt an und lässt Interpretationsfreiraum.
Hat mir gefallen.
_________________ "Sir, we're surrounded"
"EXCELLENT! Now we can attack in ANY direction!"
----------------
"Erfahrung ist eine nützliche Sache,
leider macht man sie meist
nachdem man sie brauchte"
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Gefühlsgier Eselsohr
Alter: 30 Beiträge: 421
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30.05.2015 16:47
von Gefühlsgier
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Vielen Dank für die Kommentare zu der neuen Version. Da mir drei Fehler doch noch entwischt sind, habe ich sie bereinigt. Auch eine unliebsame Wiederholung. Schreibübung hin oder her, das hier liegt mir irgendwie am Herzen
Ahja: vielen Dank für den Hinweis auf den ersten Fehler, Einar.
Da saß ich also.
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Ich wusste nicht, wie lange ich brauchte, um mich aufzurichten und auf unsicheren Beinen einige Schlucke aus dem Wasserhahn zu trinken. Nicht, wie lange es dauerte, bis ich die Wohnungstür geschlossen hatte und wieder in der Küche stand. Als ich anfing, meine Zähne aufeinanderzudrücken und ihre Flächen aneinander zu reiben, trank ich erneut aus dem Wasserhahn und sagte mir, dass es das letzte Mal sei. Das bereits 27. letzte Mal.
Erneut beschlich mich die vertraute Angst davor, einzuschlafen und anschließend aufzuwachen. In der Ferne ertönte ein leises Schluchzen. Es drang durch mein Ohr, in mich, durch meinen Körper hindurch. In meinen Augen brannte es. Der aufdringliche Laut erklang erneut und meine Sicht verschwamm. Ich hatte wohl die Wohnungstür doch nicht richtig geschlossen. Das Schluchzen sollte draußen bleiben.
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Gaukelwort Leseratte
Beiträge: 123 Wohnort: Hiernichtdort
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31.05.2015 11:41
von Gaukelwort
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Hallo Gefühlsgier,
ich kenne sie auch. Die innere Allee der Türen. Und auch das Bestreben die Geschlossenen zu öffnen, und das Dahinter zu erblicken. Oder zumindest einen Blick durch ihre Schlüssellöcher zu werfen. Viele meiner Türen habe ich geöffnet. Mit Schlüsseln, mit verbogenen Drahtbügeln, mit Liedern oder Zaubersprüchen. Nur gewaltsam aufgebrochen habe ich noch keine.
Auch die Versuchung der verbotenen Türen klingt in deinem Text mit. Ihr Ruf, ihr Reiz und auch die mit diesen Türen verbundenen, noch unbekannten Konsequenzen...
Ich bin diesen Gedanken von dir gerne gefolgt – tue es noch. Wäre der Text ein Bild, ich würde es bei mir aufhängen.
Handwerklich bin ich ja in der Lyrik daheim und kann daher nur Kleinigkeiten beitragen. Da ich aber ein sehr „visueller“ Leser bin, der sich in die Situationen hinein ließt, stolpere ich manchmal über kleine, von mir empfundene „Unstimmigkeiten“. Es gibt in solchen Dingen kein richtig oder falsch. Ich will dich also nur zu einem gemeinsames Betrachten aus einem neuen Blickwinkeln einladen. Wie gesagt es sind Kleinigkeiten. Und auch nur die äußeren Welt betreffend. Die wichtige innere Welt deiner „Geschichte“ ist für rundherum stimmig.
Du schreibst.
Zitat: | „....und gab mich mit aufgeschrammten Knien...“ |
später
Zitat: |
„...Ich wollte aufstehen und die Wohnungstür schließen, aber mein Körper versagte, sank auf die kalten Fliesen....“ |
Aufgeschrammte Knie in einer Wohnung erzeugen in mir ein Bild von einem groben Teppich oder Ähnlichem. Die Fliesen kamen dann überraschen und passten nicht recht zu meinem Bild. Fliesen sind eher glatt und lassen mich an rutschen denken. (Ich weiß, dass man sich auch auf Fliesen z.B. die (schweißfeuchten) Knie aufrubbeln kann, aber der erste Lesegedanke hat mich hier kurz stutzen lassen.
Ich sinke also wieder zu Boden. Meine offene Knie berühren die kalten Fliesen...
Und hier fehlt mir dann ein erneutes Aufstehen, denn drei Sätze weiter lehne ich unvermittelt kraftlos am Schrank.
Zitat: | „Der Schrank, an den ich mich lehnte, hielt meinen Körper davon ab, wie ein nasses Handtuch auf dem Boden zusammenzusinken.“ |
Dieser Vergleich wirkt auf mich zudem leider auch etwas ungewollt komisch. Das „gelehnt“ passt nicht zum Handtuch. Entweder sollte ich an dem Schrank „hängen“ (so richtig mit Festhalten) - dann passt das zu dem hängenden Handtuch. Z.B. „...der Schrank an dem ich mich festkrallte...“ Oder du solltest vielleicht einen anderen Vergleich suchen.
Ein „angelehntes“ nasses Handtuch bleibt in meinem Kopf nicht aufrecht am Schrank stehen.
Sodele das wars auch schon. Wie gesagt nur Kleinigkeiten.
Vielen Dank für diesem sehr packenden und gelungenen Einblick in das Reich der Inneren Türen und Tore. Und den kaum (be)greifbaren und (in Worte) fassbaren Bereich des „Dahinter“.
LG
Gaukelwort
_________________ Sei was du scheinen möchtest! |
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Gefühlsgier Eselsohr
Alter: 30 Beiträge: 421
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02.06.2015 12:39
von Gefühlsgier
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Hallo Gaukelwort,
ich bin sehr erstaunt, dass dir diese kleine Geschichte so gefällt. Eigentlich wollte dir schon am Sonntag oder zumindest gestern darauf antworten, aber ich habe es Zeit- und motivationstechnisch leider nicht mehr geschafft.
Zu den Punkten:
Zitat: | Zitat:
„....und gab mich mit aufgeschrammten Knien...“ |
Das, was ich beschreibe, ist sozusagen eine Momentaufnahme. Vielleicht ist das für dich nicht so stimmig, weil die Stelle am Anfang steht, als man vieles weder weiß noch vielleicht erahnt (das übrige Befinden, die Gäste, die zuvor noch in der Wohnung waren) - so mögen die Fliesen und die Knie widersprüchlich klingen. Mich als Leser hätte diese Information aber nicht gestört, weil ich mir automatisch auch eine Vorgeschichte zu allem denke - das war hier auch intendiert. Vor der Momentaufnahme ist etwas passiert, sogar einiges. Man kann es sich denken, eigentlich ist das ziemlich offensichtlich. Aber es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, wie man sich eine solche Abschürfung zuziehen kann. Ein Teppichboden wäre eine, wie du es sagst, aber auch ein Sturz(in einer solchen Situation sogar sehr wahrscheinlich) wäre denkbar, etc... Ich will hier aber keine Denkanweisungen geben.
Zitat: | Zitat:
„...Ich wollte aufstehen und die Wohnungstür schließen, aber mein Körper versagte, sank auf die kalten Fliesen....“
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Zitat: | Zitat:
„Der Schrank, an den ich mich lehnte, hielt meinen Körper davon ab, wie ein nasses Handtuch auf dem Boden zusammenzusinken.“ |
Okay. Ich dachte zuerst, dass ich mich hier richtig unglücklich ausgedrückt hätte (nicht wegen dem Handtuch, sondern aufgrund "sinken-und mehr sinken"), las den Abschnitt erneut und fand es dann doch nicht so bedenklich: mein Prota sank, nachdem er sich fast aufgerichtet hatte, wieder zurück in die Ausgangsposition vom Anfang, lehnte sich jedoch an, um die Körperhaltung nicht vollständig zu verlieren. Verzeih, falls ich anscheinend indirekt erwartet hatte, man könne dem Bild der Situation vor meinen eigenen Augen folgen. Das ist eine echt lästige Angewohnheit, an der ich versuche zu arbeiten. Zum Handtuchvergleich: die Handtücher, die mir in die Badewanne gefallen sind und die ich anschließend auf den Boden legte, waren auch nur noch...platt, völlig ohne Haltung. Wie denn auch? Das Anlehnen an den Schrank sollte nur bezwecken, dass der Körper hier halt hat, dass eben das nicht eintritt. Tut mir leid, dass ich dir das nicht ausreichend vermitteln konnte. Vielleicht ist der Vergleich vom Klang her nicht schön, aber es soll auch keine schöne, angenehme Situation beschreiben.
Vielen Dank, dass du dich mit dem Text befasst hast. Nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich hier eigentlich nichts mehr wirklich verändern möchte. Ich habe schon an einigen Ecken Änderungen vorgenommen und bin schon von den Ausgangsgeschichte abgewichen und so macht es für mich auch mehr Sinn. Viel mehr würde mMn zu viel verfremden und verzerren.
Worüber ich aber nachdenke ist, das mit dem Sinken irgendwie noch abzuwandeln. Da möchte ich mir aber noch ein paar Meinungen einholen, ob die Stelle "allgemeiner" wirklich so unstimmig klingt.
glg
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Haruki Murakami - "Dance Dance Dance"
~
Some people live in Hell
Many bastards succeed
But I, I've learned nothing
I can't even elegantly bleed
out the poison blood of failure
"Swans - Failure"
~
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