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Gedanken vor dem Aufstehen


 
 
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stefka
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Beiträge: 72



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Beitrag27.03.2015 22:46
Gedanken vor dem Aufstehen
von stefka
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Gedanken vor dem Aufstehen

Der Wecker ging um 4.43 Uhr.  Nachdem ich ihn schnell abgewürgt hatte, lag ich mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und döste... Einzelne Vogelstimmen sickerten in mein noch dämmerndes Bewusstsein, wurden bald zahlreicher und differenzierter und vereinigten sich in ihrer klaren Präsenz zu einer Symphonie, die mir einen höchst angenehmen Zustand bescherte. " Der frühe Vogel fängt..." , bevor ich den Satz zu Ende denken konnte, leuchteten 3 gelb-rote Ziffern hinter meinen geschlossenen Augen auf. 4.43. Ein foto-memorischer Effekt. Der optische" Nachhall" meiner Netzhaut auf das nur wenige Sekunden zuvor erfasste Bild der digitalen Weckzeit. Warum hatte ich nochmal 4.43 Uhr für heute eingestellt? Es fiel mir nicht schwer, das zu rekonstruieren. 4.41 Uhr und 4.42 Uhr wären zu früh gewesen. Jede Minute ist schließlich kostbar. Um 4.44 Uhr wäre ich mit jenen geweckt worden, die aus Zwanghaftigkeit oder dem Glauben an Zahlenmystik immer Ziffernketten, wie 4.44, 5.55 usw. einstellen. Es wären wohl nicht sehr viele gewesen, doch natürlich versuchte ich, jede Schnittmenge zu vermeiden.4.45 Uhr hätte mich unweigerlich in die große Gruppe der Viertel-Stunden-Takter gebracht, gleichzeitig auch in die etwas kleinere der 5-Minuten-Takter und war somit aus dem Rennen. 4.46 Uhr- 4.49 Uhr wäre noch annehmbar gewesen,wenn ich nicht gewusst hätte, dass 79 Minuten  zur entspannten Erledigung meiner morgendlichen Verrichtungen bis zur Abfahrt um 6.02 Uhr quasi ideal waren und es mit weniger Zeit doch schon etwas knapp geworden wäre. Jede Zeit danach wäre definitiv zu spät gewesen und hätte mich zudem gefährlich nahe an 5 Uhr und damit an eine Hauptweckzeit geführt.

Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass der "moderne" Mensch dazu neigt, sein Leben an immer gleichen Fixzeiten auszurichten und ständig bemüht ist, es mit sich wiederholenden Takten und Zeitintervallen zu koordinieren? Sei es zur Vereinfachung des Daseins oder aus Gewohnheit - mir ist es jedenfalls ein Graus! Millionen im gleichen Land, Milliarden in der gleichen Zeitzone, die wie eine Herde Vieh, wie willenlose Roboter, wie gehirnamputierte Zombies zur gleichen Zeit schlafen, aufstehen, anfangen zu arbeiten, essen, sicht entleeren, aufhören zu arbeiten, trinken, sich fortpflanzen und nach dem Spätfilm wieder schlafen. Gruselig! Ich bekomme Beklemmungen bei der Vorstellung, dass ein Arbeiter oder Angestellter 40 Jahre oder mehr noch nie seine Weckzeit ändern musste. Die Weckzeit als Fixstern, als Fundamentale, als unumstößliche Koordinate des Lebens! Was hier für andere ein Inbegriff für Konstanz und Stabilität sein mag, ist für mich der Inbegriff des"lebenden Toten." Wenn die innere Uhr einen weckt, der Magen sich pünktlich meldet und die Müdigkeit sich wie auf Knopfdruck einstellt, dann hat eine Art Entmenschlichung stattgefunden und der Autopilot hat übernommen. Millionen, die zur gleichen Zeit das Gleiche tun, sind unterbewusst vernetzt und generieren ein morphogenetisches Feld, das jeden Gleichtakt und jedes Mittun erleichtert und gleichzeitig jedes " gegen den Strom schwimmen " stark erschwert!

Doch, ja , ich gebe es zu! Ein ataktischer Umgang mit der Zeit verhilft mir zu  Eigenständigkeit und Individualität und gibt  mir das Gefühl, ein bewusster Mensch zu sein, der sich nicht zur willenlosen Marionette machen lässt. Doch es gibt nicht mehr viele meines Schlages...


..."der frühe Vogel fängt heute auch schon vor 5  an," dachte ich und stand auf.

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Gewürz
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 34
Beiträge: 187



Beitrag28.03.2015 01:10

von Gewürz
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Hi Stefka,

ich würde mich gerne an einer Kritik üben, die ich aber noch nicht so oft gegeben habe. Ich schreib einfach mal was mir so dazu eingefallen ist.

Irgendwie störe ich mich gleich am ersten Satz. Der Wecker ging. Vielleicht kann man das anders schreiben. Ok, wenn ich so darüber nachdenke fällt mir spontan auch nichts ein, ich sage ja selbst: Mein Wecker geht um sechs. Deshalb kann ich nicht wirklich eine Erklärung abgeben, warum mich das stört. Ich bin einfach über den Satz gestolpert. Wohl Geschmacksache Wink
Allerdings habe ich mich generell mit den ersten zwei drei Zeilen schwer getan. Etwas holprig an manchen Stellen, wo ich einfach mehr als einmal drüber schauen musste.
Danach finde ich es sehr flüssig und anschaulich und konnte mich gut in die Ich-Person reinversetzen.
Doch dann der Bruch aus der Szene heraus. Die Frage lässt mich natürlich sofort nachdenken und ich verlier den Bezug zu dem "Ich" und denke überhaupt nicht mehr über die Situation selbst nach. Trotzdem finde ich es sind ein paar schöne Gedankengänge.

Der Satz, Ja, ich gebe es zu passt für mich überhaupt nicht in die Situation. Vielleicht gibt es da eine bessere Lösung um wieder auf das Ich aufmerksam zu machen.

Also wie gesagt. Ich habe nicht viel Übung im Kritik geben was solche Texte angeht, deshalb habe ich ja gesagt, ich schreib mal das was mir einfällt. Vielleicht ist es trotzdem hilfreich.

Liebe Grüße


_________________
Für jeden Grund zu lügen gibt es einen besseren die Wahrheit zu sagen.

Halbwesen - Diener zweier Welten, Hybrid Verlag, 2018

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Nina
Geschlecht:weiblichDichterin


Beiträge: 4996
Wohnort: Berlin


Beitrag28.03.2015 11:24
Re: Gedanken vor dem Aufstehen
von Nina
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stefka hat Folgendes geschrieben:
Gedanken vor dem Aufstehen

Der Wecker ging um 4.43 Uhr.  

(Nein, der Wecker geht nicht. Er klingelt, er zwitschert oder ähnliches, aber er geht nicht.)

Nachdem ich ihn schnell abgewürgt hatte, lag ich mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und döste...  

(Abgewürgt - das ist wohl Geschmackssache, aber ich halte auch diese Formulierung für "schlampig". Abschalten, Ausschalten. Das "auf dem Rücken" kann im Grunde drin bleiben, ich halte es allerdings für keine wesentliche Information. Das Wesentliche ist eher, dass der Ich-Erzähler liegen blieb. Aber, wie gesagt, das ist Geschmackssache.)

Einzelne Vogelstimmen sickerten in mein noch dämmerndes Bewusstsein, wurden bald zahlreicher und differenzierter und vereinigten sich in ihrer klaren Präsenz zu einer Symphonie, die mir einen höchst angenehmen Zustand bescherte.

(Singen die Vögel tatsächlich schon um 04.43? Ich kann mich irren, aber meiner Erinnerung nach "schlafen" die Vögel da auch noch).

" Der frühe Vogel fängt..." , bevor ich den Satz zu Ende denken konnte, leuchteten 3 gelb-rote Ziffern hinter meinen geschlossenen Augen auf. 4.43.

(Hier würde ich annehmen, dass inzwischen Zeit vergangen ist, da der Erzähler schon eine Weile vor sich hin denkt. Du stellst hier eine Theorie auf, die sich auf die Weckzeit bezieht, insofern verstehe ich Deine Herangehensweise. Mich hat es hier dennoch irritiert, weil ich dachte: Es muss doch später sein.)

Ein foto-memorischer Effekt. Der optische" Nachhall" meiner Netzhaut auf das nur wenige Sekunden zuvor erfasste Bild der digitalen Weckzeit. Warum hatte ich nochmal 4.43 Uhr für heute eingestellt?

(nochmal - in der letzten Frage kann m.E. gestrichen werden).

Es fiel mir nicht schwer, das zu rekonstruieren. 4.41 Uhr und 4.42 Uhr wären zu früh gewesen. Jede Minute ist schließlich kostbar. Um 4.44 Uhr wäre ich mit jenen geweckt worden, die aus Zwanghaftigkeit oder dem Glauben an Zahlenmystik immer Ziffernketten, wie 4.44, 5.55 usw. einstellen. Es wären wohl nicht sehr viele gewesen, doch natürlich versuchte ich, jede Schnittmenge zu vermeiden.4.45 Uhr hätte mich unweigerlich in die große Gruppe der Viertel-Stunden-Takter gebracht, gleichzeitig auch in die etwas kleinere der 5-Minuten-Takter und war somit aus dem Rennen. 4.46 Uhr- 4.49 Uhr wäre noch annehmbar gewesen,wenn ich nicht gewusst hätte, dass 79 Minuten  zur entspannten Erledigung meiner morgendlichen Verrichtungen bis zur Abfahrt um 6.02 Uhr quasi ideal waren und es mit weniger Zeit doch schon etwas knapp geworden wäre. Jede Zeit danach wäre definitiv zu spät gewesen und hätte mich zudem gefährlich nahe an 5 Uhr und damit an eine Hauptweckzeit geführt.

(Hier werden die zwanghaften Gedanken des Ich-Erzählers formuliert. Die anfängliche Situation, dass jemand früh aufsteht, was wie ein "ganz normales frühes Aufstehen wirkt", verändert sich hier durch die seltsamen Gedanken des Protas = Charakterisierung).

Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass der "moderne" Mensch dazu neigt, sein Leben an immer gleichen Fixzeiten auszurichten und ständig bemüht ist, es mit sich wiederholenden Takten und Zeitintervallen zu koordinieren?

(Hier bricht auch in meinen Augen der Text durch die Frage. Ein Bruch ist grundsätzlich nicht schlecht in einer Geschichte, aber hier ist er nicht förderlich, wenn Du mich fragst. Denn: Die Geschichte bewegt sich weg vom Ich-Erzähler und nun versucht "der Text", den Leser mit einzubeziehen. Besser fände ich es, würden diese Gedanken "einfach weiter geführt vom Ich-Erzähler", d.h. wenn es als weitere Behauptung aufgestellt würde: "Der moderne Mensch neigt dazu, sein Leben an immer gleichen Fixzeiten ..." usw. So bliebe man beim Ich-Erzähler und in der Geschichte drin. Mit der Frage wird man herausgeworfen.)

Sei es zur Vereinfachung des Daseins oder aus Gewohnheit - mir ist es jedenfalls ein Graus! Millionen im gleichen Land, Milliarden in der gleichen Zeitzone, die wie eine Herde Vieh, wie willenlose Roboter, wie gehirnamputierte Zombies zur gleichen Zeit schlafen, aufstehen, anfangen zu arbeiten, essen, sicht entleeren, aufhören zu arbeiten, trinken, sich fortpflanzen und nach dem Spätfilm wieder schlafen. Gruselig!

(Warum "Millionen im gleichen Land" und nicht weiter: Millionen in der ganzen Welt - das ist doch nicht aufs eigene Land beschränkt. In der ganzen Welt haben Menschen feste Tagesabläufe, oder?)

Ich bekomme Beklemmungen bei der Vorstellung, dass ein Arbeiter oder Angestellter 40 Jahre oder mehr noch nie seine Weckzeit ändern musste. Die Weckzeit als Fixstern, als Fundamentale, als unumstößliche Koordinate des Lebens! Was hier für andere ein Inbegriff für Konstanz und Stabilität sein mag, ist für mich der Inbegriff des"lebenden Toten."

(Der Ich-Erzähler steigert sich immer weiter hinein in sein abstruses Weltbild. Es ist so übersteigert und hineingesteigert, dass der Ich-Erzähler mich, je weiter der Text sich in dieser eigenwilligen Interpretation der "um-die-gleichen-Zeit-Aufsteher" ergeht, verliert. Auch wenn ich denke: Ich bin auch froh, keinen so festen Lebensplan zu haben, kann ich mich nicht mit dem Ich-Erzähler identifizieren oder es lesen und denken: Interessant. Sondern eher: Was für ein Spinner. Das darf ja grundsätzlich sein, es geht ja nicht darum, dass ein Konsenz über dieselbe Sichtweise da sein muss, andererseits frage ich mich, ob es dem Text dienlich ist, wenn der Protagonist so einseitig gezeigt wird. Besser fände ich es, wenn er nicht nur "schwarz" sähe/wäre, sondern eben auch Facetten hat, die ihn sympathisch und irgendwie "identifizierbar" machen. Er übertreibt hier und das macht er, je weiter der Text sich ausbreitet, immer mehr. Nichts weiter. Meines Erachtens täte es dem Text gut, wenn er noch ein paar andere Facetten einbringen würde).

Wenn die innere Uhr einen weckt, der Magen sich pünktlich meldet und die Müdigkeit sich wie auf Knopfdruck einstellt, dann hat eine Art Entmenschlichung stattgefunden und der Autopilot hat übernommen.

(Die innere Uhr ist meines Erachtens nicht abhängig davon, wann jemand "üblicherweise" zur Arbeit / Schule etcpp. aufstehen muss. Es ist etwas Unabhängiges davon, wenn Du mich fragst. Etwas sehr Menschliches und jedem Menschen Eigenes. Es ist beispielsweise total egal, wann ich zur Arbeit aufstehe, meine innere Uhr ist wie festgetackert an eine eigene Uhr. Die innere eben. Das wollte ich nur mal kurz erwähnt haben, wobei es dem Ich-Erzähler natürlich freigestellt ist, zu denken, was er will.)

Millionen, die zur gleichen Zeit das Gleiche tun, sind unterbewusst vernetzt und generieren ein morphogenetisches Feld, das jeden Gleichtakt und jedes Mittun erleichtert und gleichzeitig jedes " gegen den Strom schwimmen " stark erschwert!

(Es wird immer absurder. Man ist drin in der merkwürdigen Welt des Ich-Erzählers, der irgendwie verschwörerisch zu denken scheint. Was will der Text?)

Doch, ja , ich gebe es zu! Ein ataktischer Umgang mit der Zeit verhilft mir zu  Eigenständigkeit und Individualität und gibt  mir das Gefühl, ein bewusster Mensch zu sein, der sich nicht zur willenlosen Marionette machen lässt. Doch es gibt nicht mehr viele meines Schlages...


..."der frühe Vogel fängt heute auch schon vor 5  an," dachte ich und stand auf.


(Diese Selbstbeweihräucherung am Ende ist möglich als Textende, mir stößt sie auf. Der Text wirkt auf mich abgerissen und nicht zu Ende gedacht. Er liest sich wie eine Anklage an die Welt, die doch gefälligst auch mal zu unterschiedlichen Uhrzeiten aufstehen sollen, sich eine individuelle Weckzeit aussuchen sollen. Alle anderen sind Idioten und willenlose "Schafe", nur der Ich-Erzähler weiß. Das ist mir persönlich zu wenig. Wie ich oben schon schrieb, braucht der Ich-Erzähler meines Erachtens mehr Tiefe in seinem Charakter. Er wirkt plakativ und einseitig.

Die Frage: Was will der Text ist für mich die Frage. Aufrütteln, eine Geschichte erzählen, Mitleid erwecken? Was will er? Im Moment sehe ich quasi einen Schreihals vor mir, der die Welt aufwecken möchte. War das Deine Idee?

Was mir, wegen der "Ausgewogenheit" noch einfiele, wäre, wenn der Ich-Erzähler, der hier so flammend seine Rede hält, sich selbst am Ende "outet", d.h. dass er erkennbar wird, durch seinen gelebten Widerspruch. Irgendwas fehlt ihm bzw. dem Text. Ich meine, ich denke mal, dass es viele gibt, die sagen: Jeden Tag dasselbe tun, das ist nichts für mich, zu langweilig, zu leblos, zu unlebendig, so in der Art. Weil der Prota aber dermaßen überreizt ist in seinen Vorstellungen stößt er m.E. die Leser ab, dabei könnte er diese "gewinnen", wenn an seinen Gedanken etwas wäre, dass man tatsächlich ins Nachdenken kommt und seine Gedanken nicht als "Spinnerei" abtut. Weißt Du, wie ich es meine? Der Charakter ist noch nicht "rund", weder der des Protas, noch der, des Textes.

So wie er ist, ist er noch nicht "rund".

Ich hoffe, es war etwas Brauchbares für Dich dabei.

LG
Nina


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Einar Inperson
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Wohnort: Auf dem Narrenschiff


Beitrag28.03.2015 12:35
Re: Gedanken vor dem Aufstehen
von Einar Inperson
Antworten mit Zitat

Nina hat Folgendes geschrieben:

[color=red](Singen die Vögel tatsächlich schon um 04.43? I


Nicht die Vögel, sondern je nach Art. Die Amsel ist dann schon aktiv, das Rotkehlchen bereits etwas früher und dies sind noch nicht einmal die ersten.

Sorry für OT


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Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
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G.T.
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G

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Beiträge: 680



G
Beitrag28.03.2015 14:38

von G.T.
Antworten mit Zitat

Zunächst zum Positiven: Das Thema ist interessant. Daraus könnte man was machen.
Nun zum Negativen: Es wurde bisher nichts daraus gemacht.
Der Text ist einfach nur oberflächlich, und die Anklage des Ich-Erzählers gegen den ganzen Rest der Welt, sein Preisen der eigenen Individualität macht einen Text, der interessante Reflexionen enthalten könnte, zu einer nervigen Selbstbespiegelung.

Was mich grundsätzlich stört ist die mangelnde Differenzierung. Es wird vom "modernen Menschen" geredet, der sein Leben taktet, von "Millionen", die alle alles zur gleichen Zeit tun - ich fasse das mal als Hyperbel auf, und hoffe, dass es von dir auch so intendiert war.
Aber ein hyperbolischer Text langweilt mich irgendwann.
Die Theorien des Protas sind zu einseitig und zu leicht lässt sich ihnen widersprechen. Das stört, weil ich zugleich den Eindruck habe, dass der Text will, dass mich die Gedanken des Protas überzeugen.
Ich widerspreche schon, wenn es heißt, Millionen würden zur gleichen Zeit aufstehen. Es gibt unterschiedliche Tagesabläufe. Ein Opernsänger muss seinen Wecker nicht auf 6:00 stellen, ein Krankenpfleger, der Nachtdienst hat, ebenfalls nicht. Das Berufsleben mag durchgetaktet sein, aber diesen Sachverhalt auf die Formel, alle würden zur selben Zeit dasselbe tun, herunterzubrechen, verkürzt die Realität unangemessen.

Zitat:
Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass der "moderne" Mensch dazu neigt, sein Leben an immer gleichen Fixzeiten auszurichten und ständig bemüht ist, es mit sich wiederholenden Takten und Zeitintervallen zu koordinieren?

Hier stirbt der Prota und ein neuer Erzähler spricht zu einer undefinierten Lesermasse. Ob das so gut ist?
Aber zum Inhalt: Wie kommst du auf die Idee, dass "sich wiederholende Takte und Zeitintervalle" nur im Tagesablauf des modernen Menschen vorkommen?
Was mir wirklich fehlt, ist eine Differenzierung zwischen Taktung und Ritual. Als ich den Text las musste ich spontan denken: Na und? Früher stand man mit den Hahnenschrei auf. Seit Jahrhunderten richten sich Menschen nach den Kirchenglocken, nach den Jahreszeiten, nach religiösen Feiertagen - eine Taktung als solche kann man doch nicht dem "modernen Menschen" unterstellen, denn auch Rituale, die es in allen Kulturen gibt, haben etwas mit einer Gliederung des Lebens und des Alltags zu tun.
Wo beginnt die Taktung, ungesund zu werden? Wo beginnt sie, das Individuum unangemessen einzuschränken? Denn die Taktung als solche kann ja auch hilfreich sein. Sie kann so etwas wie Halt spenden.
Das wäre eine Perspektive, die den Text bereichern könnte.
Nicht sofort draufhauen auf den "modernen Menschen", sondern ein bisschen sensibler den Prota überlegen lassen, wo die Taktung beginnt und wo sie aufhört.
Dann wirkt er auch nicht mehr wie ein kleiner Narziss, sondern wie ein reflektierter Erdenbürger.

Würde mich über eine Überarbeitung, die irgendwie mehr in die Tiefe geht, sehr freuen. Denn wie gesagt: Das Thema ist super. Wink
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stefka
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Beitrag28.03.2015 14:52

von stefka
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Vielen Dank an Gewürz und vor allem an Nina für die ausführliche  Kritik! Ich versuche mal, auf euch beide einzugehen und die Geschichte etwas näher zu beleuchten...

 Für mich stellt sie das Psychogramm eines Menschen dar, der mit seinen fixen Ideen und seinem kruden Weltbild wahrscheinlich als Psychopath und Paranoiker einzustufen ist. Vielleicht ähnlich einem modernen Don Quichotte, vielleicht ähnlich einem  radikal Gläubigen.

 Das Eintauchen in seine abstruse Welt soll den Leser natürlich mitnehmen und natürlich auch befremden und vor den Kopf stoßen. Die Worte " Wecker ging" und "abwürgen" sind bewusst lapidar und schlampig gewählt. Einerseits um den Leser gleich hellhörig werden zu lassen, andererseits um einen Kontrast zu  der Beschreibung des Vogelkonzerts hervorzurufen. Da nämlich kann die Identifizierung des Lesers stattfinden, da wird Gefühl mit" schönen "Worten beschrieben. Danach steigt man nur noch mit ihm abwärts.
Die Brüche sollen zeigen, dass der Prota in seinem "gerechten Zorn" auch gehört werden möchte. Er appelliert an seine Umgebung (den Leser) und zeigt gleichzeitig, dass er ja reflektiert und deswegen nicht verrückt ist. Diese Zeit- oder Rollensprünge des Protas verdeutlichen seine Schizophrenie. Die Selbstüberhebung ist, glaube ich, typisch für die Diagnose des Protas.

Millionen im Land, Milliarden in der Zeitzone - es geht ihm um die tatsächliche Gleichzeitigkeit, nicht um überall ähnliche Abläufe !

So ungefähr war die Idee.

Vielleicht wäre der Text anders gelesen worden, wenn er in einer anderen Rubrik erschienen wäre. Sience-Fiction oder Fantasy waren mir aber zu klischeemäßig dafür. Auf jeden Fall ist er Fiktion. Ich freue mich, dass er Nina mit in seine verdrehte Welt mitgenommen hat, das ist ja schon mal was! Wie ich ihn jetzt allerdings rund und in sich schlüssig hinbekommen soll... da bräuchte ich wohl noch Hilfe !

                                                          LG   Stefka

PS   @ Nina:
Ich bin ja noch ein Greenhorn in Sachen Textarbeit. Das viele Rot hat mich direkt an die Schulzeit erinnert und ist natürlich negativ besetzt. So ganz komme ich daher nicht umhin, zu denken, dass der Text eher für die Tonne ist...
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stefka
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Beitrag28.03.2015 15:19

von stefka
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... nachdem ich jetzt auch G.T.s Kommentar gelesen habe (danke Dir!), bin ich versucht, den Titel zu ändern, um garnicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, ICH würde da reden oder mich sonstwie mit dem Prota gemein machen. Es ist und bleibt Fiktion und der Prota eine Kunstfigur, deren unstimmige  und verdrehte Ansichten zwar mein Werk, aber nichts sind, wofür ich persönlich Rechenschafft ablegen müsste...

Natürlich bleibt die Frage, ob der Text unter anderen Vorzeichen anders gelesen wird, oder ob ihm schlicht einfach zu viel fehlt...

Vielleicht nenne ich ihn: Einblicke in die Welt eines Verrückten
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Nina
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Beitrag28.03.2015 16:12

von Nina
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Hallo stefka,

Du hast ein paar gute Ideen zum Text gehabt, aber meines Erachtens hat das in der Umsetzung nicht funktioniert. Dafür ist er zu einseitig, der Prota, da hat auch nicht die Beschreibung des Vogelkonzertes geholfen, das ist zu wenig. Die "schlampige" Sprache zu Beginn hat mir eher gezeigt, dass der Autor "schlampig" gearbeitet hat, als dass es mir einen Hinweis auf dem Prota oder die Geschichte gegeben hätte.
Die rote Farbe habe ich übrigens gewählt, um Dir das Lesen meiner Textkommentare zu erleichtern. Ich hatte es vorher nämlich "Ton in Ton" und ich dachte dauernd: Wo ist der Kommentar hin? *g*
Freut mich, dass ich helfen konnte.

LG
Nina

Edit: Für die Tonne ist der Text nicht. Die Rahmenhandlung, dass der Prota aufwacht und über das, was in der Welt geschieht nachdenkt, kann ja bleiben. Aber an der Charakterisierung des Protas müßtest Du m.E. noch arbeiten.
Der Titel müsste meinetwegen nicht geändert werden. Der Hase liegt ganz woanders im Pfeffer.

Smile


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Nina
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Beitrag28.03.2015 16:34
Re: Gedanken vor dem Aufstehen
von Nina
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Einar Inperson hat Folgendes geschrieben:
Nina hat Folgendes geschrieben:

(Singen die Vögel tatsächlich schon um 04.43?


Nicht die Vögel, sondern je nach Art. Die Amsel ist dann schon aktiv, das Rotkehlchen bereits etwas früher und dies sind noch nicht einmal die ersten.

Sorry für OT


Danke Einar und gar nicht offtopic.
Dann habe ich vor meinem Fenster in den Bäumen nur Langschläfermodelle. Smile


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Nina
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Beitrag28.03.2015 20:39

von Nina
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Noch mal ich.

Stefka, Du schmeißt hier wahllos mit psychologischen Zuschreibungen um Dich. Er ist für mich weder das eine, noch das andere von Dir erwähnte. Wenn ich nur "grob" durch die von Dir erwähnten (möglichen) Diagnosen gehe:
Als Psychopathen empfinde ich den Prota nicht. Ein Psychopath ist in der Regel ein sehr intelligenter Mensch, hoch gebildet uvm. und hat für mich keine Ähnlichkeit mit Deinem Prota.
An Schizophrenie leidend empfinde ich ihn auch nicht, er ist ja nicht zwei Personen, sondern einer.
Und Paranoid ist er auch nicht, da er sich ja nicht verfolgt fühlt (oder habe ich was nicht mitbekommen?), sondern genervt ist von der Blödheit der Umwelt (und seine eigene Beschränktheit nicht sieht).

Mir ist nicht klar gewesen, dass "der Spinner" (Verzeihung) gehört werden möchte. Er liegt in seinem Bett und denkt irgendwelche Dinge über Gleichzeitigkeit in Menschenleben nach. Wer soll ihn da hören? Die Vögel draußen? Wenn Du das möchtest, muss er irgendwie Kontakt zur Außenwelt aufnehmen - das findet hier aber nicht statt. Den Weg, den Du hier gewählt hast, d.h. den Leser direkt anzusprechen, halte ich hier für nicht gut gelöst. An den Reaktionen auf genau diesen Bruch wird, finde ich, deutlich, dass es beim Leser nicht funktioniert, weil Du ihn hier verlierst. Der Prota könnte Kontakt zur Außenwelt aufnehmen, innerhalb der Geschichte. Das könntest Du ja mal probieren.

Ansonsten sag mal, inwiefern Du konkret Hilfe zur Überarbeitung bzw. Ausarbeitung brauchst. Vielleicht hab ich ja noch die ein oder andere Idee oder jemand anders.


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stefka
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Beitrag28.03.2015 22:21

von stefka
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Liebe Nina,
ich kann da einiges von annehmen! Ich muss nochmal in mich gehen, wo ich mit dem Prota eigentlich hin will. Ist er jetzt nur ein harmloser Spinner, oder befindet er sich an einer Schnittstelle zum Wahnhaften oder steht er auf und läuft Amok ?
Er ist da wohl etwas unklar geraten... gerne hätte ich gehabt, dass der Leser ein feines Unbehagen verspürt und selber abwägen muss, was er dem gestörten Prota alles zutrauen kann...

Psychophaten müssen allerdings nicht gebildet sein, ein Schizophrener nicht offenkundig aus 2 Persönlichkeiten bestehen und ein Paranoiker nicht wirklich vor etwas davonlaufen. Diese Begriffe sind heute weit gefächert und um sie geht es mir ja auch gar nicht. Der Prota sollte befremdlich wirken ohne dem Leser eine sichere Taxierung zu ermöglichen und ihn mit in eine verzerrte Realität nehmen... ich schau einfach mal...und danke für Dein Hilfsangebot!
                                                                   Gruß   Stefka
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