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Lyrik als Medizin?

 
 
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silesio
Eselsohr

Alter: 89
Beiträge: 237
Wohnort: Dubai


Beitrag17.02.2015 21:57
Lyrik als Medizin?
von silesio
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Menschen sind bekanntlich nicht immer gesund, frisch, stark, sondern voll Schmerzen, traurig, geschwächt, verzweifelt, ängstlich usw. Sie haben seit je nach immer neuen Gegen- und Heilmitteln gesucht: Kräuter, Pillen, Spritzen, Operationen, Hypnose, Meditation, Gebet, Ekstase u. v. m.

   Meine Frage: Wie weit kann man auch Dichtung, passiv genossen oder aktiv ausgeübt, nach dem Motto „Man nehme…“ als Heilmittel anderen oder sich selbst verordnen?
   silesio


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Nina
Geschlecht:weiblichDichterin


Beiträge: 5000
Wohnort: Berlin


Beitrag22.02.2015 10:14

von Nina
Antworten mit Zitat

Die Poesie heilt die Wunden, die der Verstand schlägt. (Novalis)

Wie man die Poesie verordnen kann? Gar nicht. Man kann sie allenfalls empfehlen, sogar sich selbst. Doch nicht jedes Gedicht ist zum Trost geeignet, manches reißt eher Wunden auf, als dass es sie schließt, aber dann, wieder andere, spenden Trost. Es kommt wohl darauf an, wen oder was man liest und wie man es liest.

Michael Krüger war es, der empfahl, jeden Tag ein Gedicht zu lesen. Er las vor seinen Verlagskonferenzen ein Gedicht vor, sozusagen als Einstieg. Auf einer Lesung stellte er die Frage in den Raum, wie es wohl wäre, würde im Bundestag von Frau Merkel ein Gedicht vorgelesen, bevor dort die Reden beginnen.

Dichtung kann verändern. Nicht nur den, der schreibt, auch den, der liest. Aber diese Veränderung verlangt vielleicht eine Offenheit, ein Aufgeschlossensein und vielleicht ist es manchmal auch so, dass es das Gedicht ist, das aufschließt und öffnet.

Ich denke übrigens, dass Dichtung für alle ist, nicht nur für die Gebrochenen, Traurigen oder Leidenden. Wer ist schon dauerhaft stark? Aber vielleicht ist nicht jede Dichtung etwas für jeden bzw. für jeden Moment.

Ich lese sehr viele Gedichte. Ich habe da ein paar Dichter/innen (ca. 250 Gedichtbände), zu denen ich mich hinwende, und manchmal sind es auch Gedichte, die ich selbst geschrieben habe. Bei mir ist das Lesen von Gedichten nicht abhängig davon, wie es mir geht, ich lese sie, wenn mir danach ist. Ich nehme meine Dosis an Gedichten zu mir, wann immer etwas in mir sagt: Jetzt. Und ich kann nur sagen: Es hilft.


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gold
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Beiträge: 4936
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Beitrag22.02.2015 10:44
Re: Lyrik als Medizin?
von gold
Antworten mit Zitat

silesio hat Folgendes geschrieben:
Menschen sind bekanntlich nicht immer gesund, frisch, stark, sondern voll Schmerzen, traurig, geschwächt, verzweifelt, ängstlich usw. Sie haben seit je nach immer neuen Gegen- und Heilmitteln gesucht: Kräuter, Pillen, Spritzen, Operationen, Hypnose, Meditation, Gebet, Ekstase u. v. m.

   Meine Frage: Wie weit kann man auch Dichtung, passiv genossen oder aktiv ausgeübt, nach dem Motto „Man nehme…“ als Heilmittel anderen oder sich selbst verordnen?
   silesio


Guten Morgen, Silesio,

ich denke, man kann einem Menschen Dichtung dann als "Heilmittel" empfehlen, wenn man merkt bzw. weiß, dass dieser bereits Zugang dazu hat.
Ist dieser nicht gegeben, wird man als Empfehlender bei seinem Gegenüber eher auf Granit beißen (Widerstand erzeugen) und u. U. vielleicht sogar das Gegenteil bewirken.

Sich selbst Dichtung zu verordnen, halte ich auch für problematisch, da der Begriff verordnen für mich impliziert, dass ich mich dazu zwingen muss und das ist - meiner Erfahrung nach - für die Funktion eines Heilmittels für meine Psyche nicht gerade hilfreich.

LG
Gold

Edit: Zu deiner Formulierung "Lyrik als Medizin?" Ich würde dies auf Prosa und auf Lyrik beziehen.


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silesio
Eselsohr

Alter: 89
Beiträge: 237
Wohnort: Dubai


Beitrag22.02.2015 11:33

von silesio
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Nina, du hast natürlich recht, Lyrik ist als solche nicht einheitlich, nicht einmal eindeutig. Die Bandbreite ist schier unermesslich, man kann sie also nicht bei bestimmten Krankheitsbildern verschreiben wie Aspirin oder Valium, obwohl etwa Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke meiner Ansicht nach durchaus wieder auf Trab bringen könnte.

Deine Akzentverschiebung von Heilen zu Verändern leuchtet mir ein. Dass Gedichte aufschließen und öffnen, das meine ich eigentlich, darauf lege ich auch wert, vielleicht von meiner tiefsten Überzeugung her, dass alles Schreiben und damit auch Geschriebene irgendwie ein Prozess der Veredelung oder Zähmung ist, der Versuch, ein Chaos (besser) in den Griff zu bekommen, sei es das Chaos der Liebe, sei es das des Schmerzes und der Verzweiflung. Lyrik ist damit ein Zeichen geschehener Veränderung, das seinerseits Veränderung in Gang setzen kann.

Erlaube mir noch eine persönliche Bemerkung: Deine Ausführungen empfinde ich als äußerst angenehm und hilfreich zugleich: Kenntnisreich, aber nicht erschlagend oder erstickend; persönlich, aber offen und öffnend; sachlich, aber nicht langweilig.
silesio


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silesio
Eselsohr

Alter: 89
Beiträge: 237
Wohnort: Dubai


Beitrag22.02.2015 11:45

von silesio
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Gold, selbstverständlich kann ich nicht jedem x-beliebigen Menschen Lyrik verschreiben - und ich meine wirklich Lyrik - so wie ein Arzt nach Lehrbuch Pillen, Salben und dergleichen verschreibt.

Trotzdem möchte ich bei dem Begriff "Verordnen" bleiben. Wenn einer partout alles besser weiss, dann ist übrigens auch ein Arzt machtlos. Aber warum nicht: Man nehme einmal am Tag oder morgens und abends ein Gedicht?!
silesio


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Willebroer
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5437
Wohnort: OWL


Beitrag22.02.2015 15:13

von Willebroer
Antworten mit Zitat

Musik- und Tanztherapie sind ja längst Allgemeingut und überraschen keinen mehr.

Aber auch die Bibliotherapie - wie es offiziell heißt - gibt es seit ca. 50 Jahren.

Ein paar Beispiele finden sich hier:

http://www.wdr5.de/sendungen/leonardo/service/servicepsychologie/poesielindertkrisen100.html

http://www.wdr5.de/sendungen/scala/bibliotherapie100.html

Oder mit Bilderbüchern:

http://www.wdr5.de/sendungen/leonardo/service/servicebildung/bilderbuchapotheke100.html

An positiven Erfahrungen fehlt es also nicht. Aber es wird schwierig sein, eine echte medizinische Wirkung zu objektivieren.
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gold
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Beiträge: 4936
Wohnort: unter Wasser
DSFo-Sponsor


Beitrag22.02.2015 16:14

von gold
Antworten mit Zitat

Willebroer hat Folgendes geschrieben:
Musik- und Tanztherapie sind ja längst Allgemeingut und überraschen keinen mehr.

Aber auch die Bibliotherapie - wie es offiziell heißt - gibt es seit ca. 50 Jahren.

Ein paar Beispiele finden sich hier:

http://www.wdr5.de/sendungen/leonardo/service/servicepsychologie/poesielindertkrisen100.html

http://www.wdr5.de/sendungen/scala/bibliotherapie100.html

Oder mit Bilderbüchern:

http://www.wdr5.de/sendungen/leonardo/service/servicebildung/bilderbuchapotheke100.html

An positiven Erfahrungen fehlt es also nicht. Aber es wird schwierig sein, eine echte medizinische Wirkung zu objektivieren.


Hach, da fällt mir ein: auf meinem Nachttisch (da liegt es gut) liegt ein Geheft:

Jürgen vom Scheidt

Schreiben
als Selbsterfahrung
Psychotherapie
und Meditation

Aquarius Publikation Nr. 114


...hab´ich ganz vergessen!!! Embarassed


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Gast







Beitrag22.02.2015 17:00

von Gast
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Willebroer hat Folgendes geschrieben:
Aber es wird schwierig sein, eine echte medizinische Wirkung zu objektivieren.


Ein Schritt in diese Richtung sind vielleicht die Untersuchungen, die sich mit der Wirkung des Vortrags von Hexametern auf den Herz- und Atemrhythmus beschäftigen?! Da habe ich im Dezember einen kurzen Eintrag drüber geschrieben beim Verserzähler, sprich: hier.

"Sollten Ärzte ihren Herzpatienten jetzt Gedichtbände statt Tablettenpackungen verschreiben?" findet man da zum Beispiel (und einen Link zum Artikel auf welt.de, aus dem der Satz stammt) - da ist also doch was dran ...
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Einar Inperson
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1675
Wohnort: Auf dem Narrenschiff


Beitrag22.02.2015 17:25

von Einar Inperson
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Schaut man sich Psalmen an, findet man schon einige mit befreiender Wirkung. Natürlich, wenn man möchte. Smile

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Mardii
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Beiträge: 1774



Beitrag22.02.2015 17:32

von Mardii
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Zitat:
Ein Schritt in diese Richtung sind vielleicht die Untersuchungen, die sich mit der Wirkung des Vortrags von Hexametern auf den Herz- und Atemrhythmus beschäftigen?!


Aus eigener Erfahrung kann ich die Wirkung von rhythmischem Sprechen und Singen bestätigen. Ob es auch etwas mit dem Versmass zu tun hat, habe ich bisher nicht weiter verfolgt.
Der Artikel ist jedenfalls aufschlussreich.
Neben der atemtherapeutischen Wirkung gibt es eh noch die psychologische Wirkung vorn Gedichten aus dem Erkenntnisgewinn. Das schreibe ich auf alle Fälle Liebeslyrik zu. Aber auch Gedichte, die das Denken bereichern und darüber hinaus führen, haben einen positiven Effekt.


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Ridickully
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Nina
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Beiträge: 5000
Wohnort: Berlin


Beitrag23.02.2015 00:23

von Nina
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silesio hat Folgendes geschrieben:
Erlaube mir noch eine persönliche Bemerkung: Deine Ausführungen empfinde ich als äußerst angenehm und hilfreich zugleich: Kenntnisreich, aber nicht erschlagend oder erstickend; persönlich, aber offen und öffnend; sachlich, aber nicht langweilig.


Ich freue mich sehr darüber, danke.

Zu dem anderen schreib ich noch was, aber nicht heute.

LG
Nina


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Föterich
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
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Beiträge: 16



F
Beitrag03.08.2015 01:24

von Föterich
Antworten mit Zitat

Bukowski sagt, er würde nur schreiben um sich den Arsch zu retten... zu sehen ob ers noch drauf hat
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