Die Therapie

[stubelos]

Ich lebe so meine Zeit. Ich fahre mit dem
Rollstuhl spazieren. Trinke gemütlich einen
Tee. Lese die Zeitung. Und manchmal
gelingt mir dabei etwas: "Einen Satz, der
alles ernste überlebt! Eine Sekunde, die
etwas verrücktes wagt! Ein Gedanke, der
verreisen will!" Also, denke ich mir: "Mache
weiter!" Und, ich setze mich an den
Schreibtisch. Und überlege mir so: „Wie
ich die eckigen Worte finde? Und sie mit
den runden Worten bekannt mache! Wie
ich die flachen Sekunden finde? Und sie
mit bergigen Sekunden bekannt mache!
Wie ich die kantigen Tage finde? Und sie
mit den geschliffenen Tagen bekannt
mache! Und, wo der perfekte Urlaubsort
für uns alle wäre?


Ich lebe so meine Zeit. Ich sitze Stunden in
einer Ecke. Und genieße die Stille. Und
denke so über die Welt nach. Und manchmal
gelingt mir dabei etwas: „Die Tage neu zu
kleiden! Mit einem Wort etwas zu trinken!
Der Blick, der mit mir feiern will! Also denke
ich mir: "Mache weiter!" Und ich setze mich
an den Schreibtisch. Und überlege mir so:
„Wie ich die abgehobenen Wege finde? Und
sie mit den flachen Wegen bekannt mache!
Wie ich die gefalteten Servietten finde? Und
sie mit den ungefalteten Servietten bekannt
mache! Wo ich die spitzen Nadeln finde? Und
sie mit den stumpfen Nadeln bekannt mache!
Und in welches Cafe wir alle gehen könnten?
 

Dann denke ich mir: „Dieses affengeile
Leben!“ Verschwende keine Zeit! Und ich
rufe mir ein Callgirl. Und trinke ein paar
Glas Wein. Und genieße den Blödsinn im
Fernsehen. Und sage mir: "Fuck the world!"
Und alles ist Super. Und der Mond ist
riesengroß. Und die Sonne ist heiß wie noch
nie. Und, die Mächtigen holen sich einen
runter. Und sind zufrieden. Und die
Philosophen backen Kuchen. Und schweigen.
Und die Politiker sind lustig. Und verstehen.
Und alles ist Friede, Freude,  Eierkuchen. Und
die Welt ist gerettet. Und die Engel singen vor
Glück. Und jeder Tag ist Weihnachten! Und
alle sind erstaunt, wie leicht das Leben sein
kann!
 
                                       (C)Klaus Lutz

3/2014

[gold]

Hallo Klaus,

ich finde, die Rubrik Originalität ist passend gewählt.
Mir gefällt dein Text sehr gut.

Habe mich gefragt, ob du selbst im Rollstuhl sitzt.

Du schreibst nicht von der unerträglichen Schwere der Existenz, der Aussichtslosigkeit des Lebens, die Nichtbehinderte Behinderten oftmals zuschreiben und die teilweise von den behinderten Menschen auch so empfunden wird, aber nur teilweise und nicht immer.

Und: Es kann durchaus in manchen, in vielen (?) Fällen auch so sein, wie du es in deinem Gedicht beschreibst.

Mir fällt dazu die neueste Studie des Neuropsychologen Niels Birbaumer ein, der locked - in- Patienten einer Untersuchung unterzog (das ist natürlich ein anderer Personenkreis, aber trotzdem...)und mittels BMI feststellte, dass diese im Gegensatz zur Annahme ihrer Angehörigen in den meisten Fällen in dem Zustand des locked-in, angeschlossen an lebenserhaltenden Schläuchen, glücklich waren. Sicher muss man zu diesem Thema noch zahlreiche Studien durchführen um dann repräsentative valide Aussagen treffen zu können

Sehr gerne gelesen
Liebe Grüße
gold

[stubelos]

Danke für den Kommentar! Grüße Klaus