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Sissi Fuß Eselsohr
Beiträge: 385 Wohnort: zwischen vielen Büchern
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23.11.2014 23:00 Reizwortgeschichte - Der Praktikant von Sissi Fuß
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– Glühwein
– Kinderkram
– Herzstillstand
– Einmalhandschuhe
– Spendenkonto
– Wallfahrtsort
Was hatte ihn nur dazu getrieben, Medizin zu studieren? Tim schloss fröstelnd den obersten Knopf seiner Winterjacke und zog den Schal höher. Es war klirrend kalt, als er das Krankenhaus verließ. Sein Atem bildete weiße Wölkchen, seine Schuhe versanken im Schneematsch, der das Pflaster in den engen Altstadtgassen bedeckte. Seit einer Woche arbeitete er als Praktikant in dem kleinen Krankenhaus, das so idyllisch in diesem Wallfahrtsort im Voralpenland lag. Die Kollegen aus seiner Schicht hatten ihn eingeladen, mit ihnen allen auf den Weihnachtsmarkt, der an diesem Wochenende eröffnet worden war, zu gehen. Schon von weitem konnte er die Musik hören, das Duftgemisch von Glühwein, Lebkuchen, Flammkuchen, Bratäpfeln und vielem mehr riechen. Nach allem, was er in dieser Woche erlebt hatte, hatte er nicht wirklich Freude an den bunten Lichtern, der Musik. Oberflächlicher Tand, Kinderkram. Wie sollte er das genießen? Ein Drama nach dem anderen spielte sich in der Notaufnahme ab, wo er zur Zeit als Assistent eingesetzt wurde. Blut, Schmerzen, Tränen, Verzweiflung und Tod. Manchmal reichte es, für ein Kind, dessen gebrochener Unterarm geschient wurde, einen der Einmalhandschuhe aufzublasen und ein lustiges Gesicht darauf zu malen. Schwieriger war es zu ertragen, hilflos daneben zu stehen, als der Oberarzt der Frau eines Patienten sagen musste, dass ihr Mann nach dem Herzstillstand trotz aller Bemühungen nicht gerettet werden konnte. Tim entdeckte seine Kollegen am Glühweinstand. Wie konnten sie lachen, fröhlich und unbeschwert sein, nach all dem, was sie täglich leisten und ertragen mussten? "Da bist du ja, Tim. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr", begrüßte ihn Mascha, eine der Schwestern, lächelnd. Sie war nicht viel älter als er, machte ihre Arbeit zuverlässig und kompetent. "Ich wäre auch fast nicht gekommen. Ich bin ziemlich müde", erwiderte Tim. Mascha reichte ihm einen Becher Glühwein, dessen Duft würzig in seine Nase stieg. "Danke. Was kostet der?" fragte Tim und kramte in seiner Manteltasche nach Kleingeld. "Nein, lass mal. Du bist eingeladen. Das ist heute mein letzter Tag hier. Morgen reise ich ab." "Du reist ab? Wohin denn?" fragte Tim überrascht.
"Ins Trainingscamp für meinen Einsatz in Liberia." Sie sagte das ganz ruhig und gelassen. Tim konnte es nicht fassen. Sie hatte sich zum Kampf gegen Ebola gemeldet? Diese tückische Seuche, die täglich Menschenleben forderte? "Warum tust du das?" Mascha lächelte. "Ich finde, jeder sollte helfen, so gut er kann. Ich bin Krankenschwester und kann mehr tun als nur eine Überweisung auf ein Spendenkonto veranlassen." "Hast du keine Angst, dich anzustecken?" "Nein. Das ist mein Beruf, Tim. Pflegen und helfen, das kann ich und das wird dort gebraucht."
Dieses Gespräch ging Tim noch im Kopf herum, als er später in seinem Appartement im Bett lag und schlaflos in die Dunkelheit starrte. Mascha hatte eine Entscheidung getroffen, die er bewunderte. Sie war so sicher, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Beneidenswert.
_________________ Die Inspiration ist überall. Sie muss dich nur beim Arbeiten finden.
Pablo Picasso |
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Nipf Erklärbär
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Beiträge: 3
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N 24.11.2014 19:27
von Nipf
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Hallo Sissi Fuß,
Deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Es gelang mir mühelos, neben Tim zu stehen und all seine Zweifel zu spüren. Ich war dabei, in der Notaufnahme, als man dem Kind einen Ballon gebastelt hat und wollte der armen Frau, die solch schweren Verlust erlitten hatte, ein Taschentuch reichen! Chapeau!
Das Ende läßt mich aber auf eine Geschichte mit Mascha hoffen.
Folgende Dinge sind mir persönlich aufgefallen:
Zitat: | Die Kollegen aus seiner Schicht hatten ihn eingeladen, mit ihnen allen auf den Weihnachtsmarkt, der an diesem Wochenende eröffnet worden war , zu gehen. |
Dieser Zwischensatz hat mich aus meinem Lesefluß gebracht und mich stolpern lassen.
Zitat: | Schwieriger war es zu ertragen, hilflos daneben zu stehen, als der Oberarzt der Frau eines Patienten sagen musste, dass ihr Mann nach dem Herzstillstand trotz aller Bemühungen nicht gerettet werden konnte. |
Mehrere kürzere Sätze hätten hier einen schöneren Effekt und wären nicht so schwierig zu lesen. Ohne die Verschachtelung käme die Tragik des geschilderten Moments besser zum Tragen.
Und dann gab es noch eine Wiederholung, die mir aufgefallen ist:
Zitat: | Nach allem, was er in dieser Woche erlebt hatte, hatte er nicht wirklich Freude an den bunten Lichtern, der Musik. |
Vielen Dank für die Geschichte!
Liebe Grüße,
Nicole
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Emmy Gänsefüßchen
Alter: 65 Beiträge: 30 Wohnort: Ruhrgebiet
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24.11.2014 20:32
von Emmy
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Hallo Sissi Fuß,
auch mir hat die Geschichte gut gefallen. Keines der Reizwörter wirkte deplaziert, sie liest sich flüssig und ist thematisch interessant. Alles zusammen eine runde Sache. Erstaunlich für mich, dass du sie einfach anhand dieser Wörter erschaffen hast.
Rein sprachlich hätte ich allenfalls dasjenige anzumerken, was Nicole (Nipf) bereits erwähnte.
LG,
Emmy
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Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
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24.11.2014 20:54
von Mardii
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Hallo Sissi Fuß,
deine Geschichte gefällt mir außerordentlich gut. Die Reizwörter hast du gut in die Geschichte eingebaut, man bemerkte sie kaum, wären sie nicht kursiv gestellt.
Mit verschachtelten Sätzen habe ich keine Probleme, sie machen für mich einen schönen Sprachfluss.
Sissi Fuß hat Folgendes geschrieben: | Nach allem, was er in dieser Woche erlebt hatte, hatte er nicht wirklich Freude an den bunten Lichtern, der Musik. |
Das zweite hatte kannst du vermeiden, indem du ein starkes Verb benutzt: ... ,freute er sich nicht wirklich an den bunten Lichtern, der Musik.
LG Mardii
_________________ `bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully |
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Sissi Fuß Eselsohr
Beiträge: 385 Wohnort: zwischen vielen Büchern
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26.11.2014 08:33
von Sissi Fuß
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Vielen Dank für eure Kommentare. Es freut mich sehr, dass euch die Geschichte gefallen hat. Sie ist irgendwie ganz von selbst entstanden, als ich die Reizwörter gelesen habe. Schachtelsätze - ja, das ist so eine Macke von mir. Ich bemühe mich, sie kurz zu halten, aber ganz ohne kann ich, glaube ich, nicht schreiben. Die Wortwiederholung mit zweimal "hatte" habe ich selbst überlesen, danke für den Tipp und die vorgeschlagene Alternative.
_________________ Die Inspiration ist überall. Sie muss dich nur beim Arbeiten finden.
Pablo Picasso |
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