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DasrothaarigeMädchen Erklärbär
D Alter: 43 Beiträge: 3
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D 20.11.2014 11:57 Reizwortgeschichte von DasrothaarigeMädchen
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Ich habe mich zum Einstand hier gleich mal an der Reizwortgeschichte versucht. Finde ich eine tolle Übung! Freue mich auf Kritik und eure Meinung dazu.
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Der Glühwein bahnte sich seinen Weg durch die Scherben und sickerte allmählich in die Fugen des alten Dielenbodens. Mit Einmalhandschuhen, Eimer und Lappen bewaffnet machte sie sich daran, dem Chaos Herr zu werden. Die Scherben würde sie auflesen, den roten Saft aufwischen können. Doch etwas, das zwischen den geborstenen Porzellanteilen und der klebrigen Brühe lag, war unwiederbringlich kaputt gegangen. Der süße Duft von Zimt und Nelken lag in der Luft, ein kleiner Widerstand gegen die Kälte, die sie frösteln ließ. Kinderkram hätte man es nennen können, einen kleinen Wutausbruch, der vielleicht, wie sonst, in einer unausgesprochenen Versöhnung enden würde. Doch da war dieser Blick in seinen Augen gewesen. Verachtung, nicht einmal mehr Hass war es gewesen. Vielleicht wäre Hass noch ein Ausdruck von Liebe gewesen, während die Verachtung, mit der er sie strafte, nun von Gleichgültigkeit zeugte. Die Verachtung eines Mannes, der ihr einst die große Liebe geschworen hatte.
Was hatte fortbestanden von dieser Liebe? Als junges Mädchen hatte sie sich die Liebe als ein riesiges, bauchiges Fass vorgestellt, das immer gefüllt bliebe, ganz gleich, wie oft man daraus schöpfte. Übrig geblieben war im Laufe der Zeit nur eine alte Tasse, die, erst mit fast unsichtbaren Sprüngen behaftet, nun, wie ihr ganzes Leben, in Scherben vor ihr lag. Als hätte man sie von einem Jahre andauernden Herzstillstand wiederbelebt, hatte der Knall, als das Gefäß den Boden getroffen hatte, sie wachgerüttelt. Etwas, das schon vor langer Zeit erstarb – oder vielleicht nie wirklich zu leben begonnen hatte – war nun endgültig vorbei.
Mit jeder Scherbe, die sie auflas, kehrte eine neue Art von Ruhe in ihr ein. Es schien, als sammelte sie mit jedem Stück einen Teil ihrer Selbst wieder ein, den sie über die Jahre verloren hatte. Als wäre der Eimer, in dem die Scherben nun landeten, ein kleiner Wallfahrtsort des Abschieds, aber auch des Neubeginns. Sie würde aus den Einzelstücken kein Ganzes mehr zusammensetzen können. Aber vielleicht würde etwas Neues entstehen, wenn die Zeit reif dafür wäre. Vielleicht wäre die Liebe nicht länger nur ein Spendenkonto, auf das sie unaufhörlich einzahlte, ohne jemals etwas ausbezahlt zu bekommen. Der Glühwein hinterließ rote Spuren auf ihren Händen. Längst war er kalt geworden.
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Liebe Grüße
Das rothaarige Mädchen
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Klemens_Fitte Spreu
Alter: 41 Beiträge: 2902 Wohnort: zuckerstudio waldbrunn
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20.11.2014 14:13 Re: Reizwortgeschichte von Klemens_Fitte
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Hallo nochmal.
Kurze Rückmeldung von mir: Gefällt mir sehr, was du aus der Aufgabenstellung gemacht hast – nämlich eine kompakte und trotzdem gehaltvolle, eigenständige Geschichte zu machen. Manchen Leser schreckt vielleicht die Häufung von Hilfsverben ab, die Distanz, die damit geschaffen wird – aber mir gefällt der Ton, den du hier anschlägst. Ein paar Anmerkungen habe ich dir in den Text geschrieben.
Gruß,
Klemens
DasrothaarigeMädchen hat Folgendes geschrieben: | Der Glühwein bahnte sich seinen Weg durch die Scherben und sickerte allmählich in die Fugen des alten Dielenbodens. Mit Einmalhandschuhen, Eimer und Lappen bewaffnet machte sie sich daran, dem Chaos 'Chaos', dessen man Herr werden muss, ist mir persönlich ein zu starker Ausdruck für ein paar Scherben und verschüttete Flüssigkeit. Herr zu werden. Die Scherben würde sie auflesen, den roten Saft aufwischen können. Doch etwas, das zwischen den geborstenen Porzellanteilen und der klebrigen Brühe lag, war unwiederbringlich kaputt gegangen. Der süße Duft von Zimt und Nelken lag Ich bin kein grundsätzlicher Feind von Wortwiederholungen, denke, dass sie, bewusst eingesetzt, einen Text aufwerten können; hier passt mir aber das erste 'lag' von Ausdruck her nicht so ganz; etwas liegt zwischen Scherben und Flüssigkeit – wie muss ich mir dieses Dazwischenliegen vorstellen? in der Luft, ein kleiner Widerstand Ein Duft als 'Widerstand' gegen die Kälte? 'Widerstand' kenne ich entweder als passive Eigenschaft, trotz eines verändernden Einflusses im derzeitigen Zustand zu verharren, sich nicht zu verändern (Wiktionary) oder als aktives 'Auflehnen' – beides passt mir nicht zum 'Duft' gegen die Kälte, die sie frösteln ließ. Kinderkram hätte man es nennen können, einen kleinen Wutausbruch, der vielleicht, wie sonst, in einer unausgesprochenen Versöhnung enden würde. Doch da war dieser Blick in seinen Augen gewesen. Verachtung, nicht einmal mehr Hass war es gewesen. Vielleicht wäre Hass noch ein Ausdruck von Liebe gewesen, während die Verachtung, mit der er sie strafte, nun von Gleichgültigkeit zeugte. 'Verachtung' und 'Gleichgültigkeit' sind für mich nicht synonym. Wenn ich jemanden verachte, dann bin ich ihm vielleicht nicht wohlgesonnen, aber gleichgültig ist er mir eben auch nicht, oder? Die Verachtung eines Mannes, der ihr einst die große Liebe geschworen hatte.
Was hatte fortbestanden von dieser Liebe? Als junges Mädchen hatte sie sich die Liebe als ein riesiges, bauchiges Fass vorgestellt, das immer gefüllt bliebe, ganz gleich, wie oft man daraus schöpfte. Gefällt mir, dieses Bild. Übrig geblieben war im Laufe der Zeit nur eine alte Tasse, die, erst mit fast unsichtbaren Sprüngen behaftet, nun, wie ihr ganzes Leben, in Scherben vor ihr lag. Die vielen Kommata in diesem Satz zerhackstückeln mE den ansonsten richtig schönen Sprachrhythmus, der deinen Text auszeichnet. Als hätte man sie von einem Jahre andauernden Herzstillstand wiederbelebt, hatte der Knall, als das Gefäß den Boden getroffen hatte, sie wachgerüttelt. Etwas, das schon vor langer Zeit erstarb erstorben war? – oder vielleicht nie wirklich zu leben begonnen hatte – war nun endgültig vorbei.
Mit jeder Scherbe, die sie auflas, kehrte eine neue Art von Ruhe in ihr ein. Inwiefern ist diese Art der Ruhe 'neu'? 'Neu' im Sinne von 'nie gekannt', oder nur situativ? Es schien, als sammelte sie mit jedem Stück einen Teil ihrer Selbst wieder ein, den sie über die Jahre verloren hatte. Als wäre der Eimer, in dem die Scherben nun landeten, ein kleiner Wallfahrtsort des Abschieds, aber auch des Neubeginns. Sie würde aus den Einzelstücken kein Ganzes mehr zusammensetzen können. Aber vielleicht würde etwas Neues entstehen, wenn die Zeit reif dafür wäre. Vielleicht wäre die Liebe nicht länger nur ein Spendenkonto, auf das sie unaufhörlich einzahlte, ohne jemals etwas ausbezahlt zu bekommen. Gefällt mir auch. Der Glühwein hinterließ rote Spuren auf ihren Händen. Längst war er kalt geworden. |
_________________ 100% Fitte
»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer) |
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lilli.vostry Wortschmiedin
Beiträge: 1219 Wohnort: Dresden
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20.11.2014 16:20 aw:Reizwortgeschichte von lilli.vostry
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Hallo, Rothaariges Mädchen,
gefällt mir gut diese kleine vorweihnachtliche Liebesgeschichte aus Reizwörtern, aus der Spendenkonto am Ende unschön herausragt.
Sprachlich kann man sicher noch dran feilen, z.B. der Duft "lag in der Luft"... hing in der Luft (da schwerlos) fände ich treffender.
Der Mittelteil erscheint mir zu dick aufgetragen, dass nun angesichts einer zerbrochenen Tasse und eines kalten Blicks, gleich ihr ganzes Leben in Scherben liegt... Das würde ich diffiziler schreiben. Das Bild an sich ist auch schon recht abgenutzt.
Für mich braucht es diesen Mittelteil auch gar nicht.
Ohne wäre der Text noch dichter, atmosphärischer.
Ein Text jedenfalls, der Lust auf mehr macht von Dir zu lesen.
Viele Grüße,
Lilli
_________________ Wer schreibt, bleibt und lebt intensiver |
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lilli.vostry Wortschmiedin
Beiträge: 1219 Wohnort: Dresden
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20.11.2014 16:23 aw: von lilli.vostry
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.... kleiner Zusatz von mir: Das Bild mit der Liebe als bauchiges Fass ist sehr schön; nur die anderen etwas ausschweifenden Formulierungen mit der Tasse kann man m.E. kürzen.
Viele Grüße,
Lilli
_________________ Wer schreibt, bleibt und lebt intensiver |
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DasrothaarigeMädchen Erklärbär
D Alter: 43 Beiträge: 3
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DasrothaarigeMädchen Erklärbär
D Alter: 43 Beiträge: 3
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Klemens_Fitte Spreu
Alter: 41 Beiträge: 2902 Wohnort: zuckerstudio waldbrunn
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21.11.2014 11:30 Re: Reizwortgeschichte von Klemens_Fitte
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Moin.
DasrothaarigeMädchen hat Folgendes geschrieben: | - Die relativ vielen Hilfsverben fallen mir jetzt erst richtig auf, darauf muss ich besser achten! |
Hm, da habe ich mich vielleicht unglücklich ausgedrückt. Ich persönlich habe keine Probleme mit Hilfsverben und verwende sie selbst, wo sie benötigt werden, ohne Skrupel. Ich meine, wenn du eine Begebenheit aus der Vorvergangenheit schilderst, dann gehören Hilfsverben eben dazu. Ich weiß aber, dass manche das als schlechten Stil oder umständliche Sprache ankreiden. Da musst du entscheiden, ob du damit leben kannst oder nicht.
DasrothaarigeMädchen hat Folgendes geschrieben: | - Der "Widerstand" ist tatsächlich wohl nicht ganz treffend, vielleicht wäre ein "Trost" oder "wie eine warme Weihnachtserinnerung" die bessere Formulierung (?) |
Puh, ich tue mich immer schwer mit konkreten Vorschlägen; vielleicht auch bildete einen angenehmen Kontrast zur Kälte, die … … hm, so ganz passt das auch nicht. Wenn du magst, kannst du ja noch ein bisschen rumprobieren, gibt ja schließlich für alles den passenden Ausdruck
Noch eins: ich würde lilli.vostry insofern widersprechen, dass die Geschichte ohne den Mittelteil für mich nicht mehr so gut funktionieren würde; erst der Mittelteil hilft mir ja szs, die 'Tragweite' des Geschehens zu erfassen. Man könnte vielleicht die genaue Verbindung von Fass und Tasse nochmal überdenken – so, wie es jetzt da steht, schrumpft das Fass mit der Zeit zu einer Tasse zusammen; passender fände ich, wenn die Tasse das Gefäß wäre, mit dem aus dem Fass geschöpft wurde und das nun zerbrochen ist, heißt, das Fass gibt es immer noch, aber es gibt keine Möglichkeit, an den Inhalt zu kommen, ohne ihn zu verschwenden. Ergibt das irgendwie Sinn?
Ach ja, das hier
lilli.vostry hat Folgendes geschrieben: | Sprachlich kann man sicher noch dran feilen, z.B. der Duft "lag in der Luft"... hing in der Luft (da schwerlos) fände ich treffender. |
sehe ich auch so.
Gruß,
Klemens
_________________ 100% Fitte
»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer) |
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