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Adams Apfel


 
 
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Rowling's Stone
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 33
Beiträge: 21



Beitrag07.11.2014 16:22
Adams Apfel
von Rowling's Stone
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Nun, nachdem ich mich gerade ganz frisch vorgestellt habe, möchte ich auch gleich einen Auszug aus meinem neuen Krimi hier einstellen. Es handelt sich um die ersten vier (Word)Seiten des Romans, aber fühlt euch bitte nicht genötigt alles zu lesen- nur gerade so viel, wie ihr braucht, um zu kritisieren Smile

Los geht's:

Vergessen ist nicht Vergeben

Irina betrat das auf den Namen ‚Rising Hope‘ getaufte Hospital, ironischerweise mit dem Gefühl sich akkumulierender Verzweiflung. Die Umstände mussten sie ihr so deutlich ins Gesicht gemeißelt haben, dass selbst die abgestumpfte, dickhäutige Empfangsdame bei ihrem Anblick eine mitfühlende Mine aufsetzte.
„Guten Tag, ich bin Irina Murphy. Mein Mann, Adam Murphy- er ist vor drei Tagen eingeliefert worden. Können Sie mir bitte die Zimmernummer geben?“
„Aber natürlich. Das ist…Augenblick….ah ja, Zimmer 309.“ Sie hielt Irina mit einer großen, tätschelnden Hand zurück.
 „Äh, wie ich den Akten entnehme, wurde ihr Mann gestern aus der Intensivstation entlassen. Sie können ihn also sicher schon bald wieder mit nach Hause nehmen!“
Die Empfangsdame versuchte ein Lächeln. Ganz offensichtlich hatte sie das Gefühl, Irina müsse beruhigt werden. Doch ihre Worte vergrößerten nur deren Angst und sie eilte mit einem unverbindlichen Kopfrucken davon. Hätte die Empfangsdame geahnt, was Irina wirklich dachte, wäre ihr dieser seltene Anflug von Empathie ganz sicher im dicken Hals steckengeblieben.
Warum, Gott, warum? Warum konntest du ihn nicht endlich von mir nehmen? Warum kannst du ihn denn nicht endlich sterben lassen? Solche und ähnliche Gedanken spukten Irina durch den Kopf, seit sie der zweite Anruf aus dem Krankenhaus innerhalb einer Woche ereilt hatte. Das erste Mal war es vor drei Tagen gewesen, um sie darüber zu informieren, dass ihr Mann einen schweren Unfall erlitten habe und nun in Lebensgefahr schwebe. Das zweite Mal, gestern Morgen, übermittelte man ihr die vermeintlich frohe Botschaft, dass ihr Mann über den Berg sei und sie ihn noch am Nachmittag besuchen kommen könne. Irina hatte sich betrogen gefühlt. Wütend. Hoffnungslos. Zwei herrliche Nächte lang, hatte sie sich der Illusion hingegeben, bald ein Adam-loses Leben zu führen. Ein solches wäre natürlich in erster Linie gewaltfrei gewesen. Wenn es sie und die Kinder vermutlich auch vor ein paar finanzielle Probleme gestellt hätte. Zumindest in der Anfangszeit, bis sie ihr Hausfrauendasein gegen eine bezahlte Arbeit eingetauscht hätte.
Der Unfall wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, um sie und die Kinder aus Adams Klauen zu befreien. Doch dann rief dieser rücksichtslose Arzt an und teilte ihr in einem unverschämt stolzen Tonfall mit, dass ihr Mann überlebt hatte. Als ob das sein glorreicher Einfall gewesen wäre. Und als ob das ein Grund gewesen wäre, stolz auf sich zu sein. Irina war allerdings nicht am selben Tag ins Krankenhaus gefahren. Sie hatte diese lästige Pflicht so lange hinausgezögert wie es nur ging, ohne Aufsehen oder unnötiges Getratsche zu provozieren. In ihrem Umfeld wimmelte es nur so vor Sensationslüsternen (eingeschlossen ihrer fanatisch religiösen Familie) die auf Sonderbarkeiten lauerten, wie Kröten, auf fette Fliegen. Und natürlich wäre es sonderbar gewesen, für eine fürsorgliche, liebende Ehefrau, dem schwer verletzten Gatten nicht so schnell wie möglich einen Krankenbesuch abzustatten. Den Kindern hatte Irina nichts von der Sache erzählt. Sie glaubte nicht einmal, dass sie sich fragten, wo ihr Vater gerade steckte. Das war eine der Situationen in der es sich auszahlte, dass sie an seine Abwesenheit gewöhnt worden waren oder an den Umstand, dass er sie wie Luft behandelte.
Zimmer 305. 306. 307….Mit jedem weiteren Aufsetzen ihrer Stilettos (auf die sie trotz des Schneematsches nicht hatte verzichten wollen) auf dem glänzenden Linoleumboden, pochte ihr Herz heftiger. Vor ein paar Jahren noch war Irina eine imposante Erscheinung gewesen. Groß, auffallend schlank, mit dichtem, dunklem Haar, das ihr rassiges Gesicht mit dem olivfarbenen Teint und den vollen Lippen einrahmte. Wäre sie nicht Hausfrau und Mutter geworden, hätte sie vermutlich eine Karriere als internationales Model anstreben können. Hätte. Doch die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorbeigezogen und mittlerweile litt sie unter ihre Größe, mit der sie mehr mitleidige Blicke als nötig auf sich zog. Sie hatte in jedem Jahr ein Kilo zugelegt, seit sie Adam geheiratet hatte und das Geld, das er ihr eingebracht hatte, hatte ihren einst schlichten Stil, in protzige Dekadenz verwandelt. Hübsch war sie immer noch, nur spürte sie es nicht mehr. 308. Die Gerüche nach Pflastern und Desinfektionsmittel, (das Leute aus zahlreich angebrachten Spendern abzapften, weil es ihnen ein Gefühl von Kontrolle inmitten von unkontrollierbaren Schicksalen verlieh), wirkten wie ein Zündstoff auf Irinas Panik. Die Ärzte hatten Adam eine Amnesie attestiert. Diese Aussicht spendete ihr Trost, doch verglichen mit seinem möglichen Tod, wirkte sie nur noch wie eine unzulängliche Entschädigung. Auch konnte sie nicht so recht daran glauben, dass ein harmloses Nichts, die schwerwiegenden Erinnerungen ihres Mannes verdrängt haben sollte. Es war natürlich eine verlockende Vorstellung. Doch gewisse Dinge konnte man nun mal nicht vergessen. Und sie war sich sicher, dass seine Triebe, sobald er wieder ihr Gesicht erblickte, schlagartig zurückkehren würden. Und selbst wenn nicht, nach spätestens ein paar Monaten würde sein Gedächtnis mit Sicherheit wieder rehabilitiert sein. Und dann würde alles zu Irinas unerträglicher Realität zurückkehren. Dieser Gedanke verursachte ihr derartig heftige Übelkeit, dass er sie zu einem trockenen Würgen zwang. Sie presste sich die Hand auf den Mund. 309. Sie holte mehrmals tief Luft und zog ihre Wollmütze vom Kopf, die noch gesprenkelt von schmelzenden Schneeflocken war, so wie ihr Tweedmantel, den sie allerdings anbehielt. Da schon die Überdosis Beruhigungstabletten nicht half, die sie bereits vor der Fahrt eingenommen hatte, versuchte sie es gar nicht erst mit ihren autosuggestiven Mantras und betrat ohne weiteres Zögern den Raum. Er war sehr groß (Adam war Privatpatient), hell und passte somit ganz und gar nicht in das düstere Szenario, welches Irina sich für das Wiedersehen mit ihrem Mann ausgemalt hatte. Während sie auf das Bett zuging, klammerte Irina sich an ihre winzige Gucci-Handtasche, als sei diese ein Rettungsanker, der sie jederzeit wieder in sichere Entfernung befördern konnte. Adam war wach und sah aus dem Fenster. Sobald er ihre Anwesenheit bemerkte wandte er den Kopf und Irina zuckte zusammen, als sie sein Gesicht sah. Das passte schon eher in ihre apokalyptischen Fantasien, die sich den ganzen Vormittag über in ihrem Kopf zusammengebraut hatten. Starke Schwellungen ließen die verhassten Züge auf angenehme Weise verschwimmen. Seine sonst makellose, bleiche Haut war ungewöhnlich gerötet und übersät von zahlreichen, kleineren Krusten und Hämatomen. Um Adams Kopf wand sich ein feister, weißer Verband, der seine dichten, schwarzen Haare verbarg. Auf Schläfenhöhe wies der Verband einen unappetitlich eitrigen bis blutigen Farbverlauf auf. Sein linker Arm lag eingegipst und wie ein nutzloses Anhängsel auf einem dicken Kissen. Adams Augen, die ihm etwas Mongolisches Verliehen, waren stark verquollen. Diese glänzenden, stechend grünen Mandeln blieben ungewohnt leer, als sie Irina erfassten und in Adams Mimik regte sich kein Merkmal des Wiedererkennens. Nur seine hohen Wangenknochen stachen wie immer daraus hervor, als wollten sie ihre Unverwüstlichkeit beweisen.
„Hallo…“, krächzte er und klang dabei so heiser, als könnte dieses unspektakuläre Wort das Erste sein, was er seit drei Tagen sagte. Unbeholfen deutete er auf den Stuhl neben seinem Bett. Irina verspürte nicht das geringste Verlangen dort Platz zu nehmen.
„Hallo, Adam…“, antwortete sie zaghaft, ohne sich zu rühren. Ihr Blick fiel auf den Nachttisch auf der anderen Bettseite. Darauf tummelte sich ein fulminantes Arsenal an Dingen, mit denen man versuchte einen Mann mittleren Alters aufzuheitern. Eine Schachtel Zigarren im Churchill-Format, ein teurer, französischer Wein- zweifelsohne Geschenke von Adams Galeristen, der vermutlich schon krank vor Sorge war, um sein bestes Pferd im Stall. Irina kam der komische Gedanke, dass Hector Monrow, mit Spitznamen Al, eine musterhafte Ehefrau abgegeben hätte- ganz im Gegensatz zu ihr.
Zudem fanden sich dort noch ein aufgeplusterter Strauß rotleuchtender Chrysanthemen und eine Variation herzförmiger Pralinen. Irina fand, das dies doch nach etwas mehr als bloßer Höflichkeitsbezeugung aussah, doch ihr war schleierhaft, von wem diese Präsente stammen mochten. Adam hatte einen unüberschaubaren Freundeskreis. Als er sich stöhnend aufrichtete und sie mit einem Blick ansah, dem man viel eher einem kranken Welpen zugetraut hätte, verwarf Irina ihre Gedanken.
„Man hat mir gesagt, dass …dass meine Frau kommen würde…sind Sie…ich meine…bist du…bist du, Irina?“

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Lotta
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 58
Beiträge: 260
Wohnort: Wunderland


Beitrag07.11.2014 20:30

von Lotta
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Hallo Rowling´s Stone,

ich hab jetzt mal nicht auf die Erbsen geguckt. Ich finde den Text für mich wunderbar lesbar, flüssig, und .... spannend geschrieben.
Wann gibt´s Nachschlag? Ich will jetzt echt wissen, wie es weitergeht. So hat mich selten ein Text gefesselt.
Meine Zeit ist grad bemessen, also hab ich hintereinander weggelesen, und bin begeistert.

Liebe Grüße, Lotta
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Rowling's Stone
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 33
Beiträge: 21



Beitrag07.11.2014 20:41

von Rowling's Stone
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Wow, vielen Dank für die überwältigend positive Kritik, Lotta! Smile Ich stelle gerne auch einen Nachschlag ein (bis dato habe ich 50 Seiten geschrieben...der Plot steht komplett) - jedoch würde ich gerne noch ein bisschen auf weitere Kritik warten und dann sukzessive mehr einstellen, damit ich nicht gleich alles Pulver verschieße oder es zu viel wird - bin aber echt happy, dass es sich anscheinend spannend ließt und sogar flüssig - bisher war ja mein größtes Problem, dass ich zu langatmig schrieb...
dankesehr nochmal und falls dir doch noch ein paar Erbsen unterkommen- immer her damit! Very Happy
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Floki
Geschlecht:männlichSchneckenpost
F


Beiträge: 11
Wohnort: München


F
Beitrag07.11.2014 23:53
Re: Adams Apfel
von Floki
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Hi Rowling's Stone (cooler Name)! smile

Mir hat dein Text recht gut gefallen, er ist flüssig zu lesen und mit einigen gut gelungenen Formulierungen. Ein paar kleinere Dinge sind mir aufgefallen, die vor allem die Zeichensetzung betreffen.

Rowling's Stone hat Folgendes geschrieben:

Vergessen ist nicht Vergeben

Irina betrat das auf den Namen ‚Rising Hope‘ getaufte Hospital, (hier passt, finde ich, kein Komma) ironischerweise mit dem Gefühl sich akkumulierender Verzweiflung. Die Umstände mussten sie ihr so deutlich ins Gesicht gemeißelt haben, dass selbst die abgestumpfte, dickhäutige Empfangsdame bei ihrem Anblick eine mitfühlende Mine aufsetzte.
„Guten Tag, ich bin Irina Murphy. Mein Mann, Adam Murphy(LEERZEICHEN)- er ist vor drei Tagen eingeliefert worden. Können Sie mir bitte die Zimmernummer geben?“
„Aber natürlich. Das ist…(LEERZEICHEN)Augenblick….(LEERZEICHEN)ah ja, Zimmer 309.“ Sie hielt Irina mit einer großen, tätschelnden Hand zurück. (Ich verstehe hier nicht, wie eine "tätschelnde Hand" etwas zurückhalten kann. So wie ich es verstehe ist ein Tätscheln eine eher flüchtige Berührung, daher kann ich mir als Leser nicht vorstellen, wie du das meinen könntest.)
 „Äh, wie ich den Akten entnehme, wurde ihr Mann gestern aus der Intensivstation entlassen. Sie können ihn also sicher schon bald wieder mit nach Hause nehmen!“
Die Empfangsdame versuchte ein Lächeln.(Ich würde das eher anders formulieren, vielleicht: "versuchte zu lächeln" oder "versuchte sich an einem Lächeln") Ganz offensichtlich hatte sie das Gefühl, Irina müsse beruhigt werden. Doch ihre Worte vergrößerten nur deren Angst und sie eilte mit einem unverbindlichen Kopfrucken(Ich kann mir hier leider wieder nicht so ganz bildlich vorstellen, wie das aussehen soll. Gibt es vielleicht ein anderes Wort, das die Bewegung treffender beschreibt?) davon. Hätte die Empfangsdame geahnt, was Irina wirklich dachte, wäre ihr dieser seltene Anflug von Empathie ganz sicher im dicken Hals steckengeblieben.
Warum, Gott, warum? Warum konntest du ihn nicht endlich von mir nehmen? Warum kannst du ihn denn nicht endlich sterben lassen? Solche und ähnliche Gedanken spukten Irina durch den Kopf, seit sie der zweite Anruf aus dem Krankenhaus innerhalb einer Woche ereilt hatte. Das erste Mal war es vor drei Tagen gewesen, um sie darüber zu informieren, dass ihr Mann einen schweren Unfall erlitten habe und nun in Lebensgefahr schwebe. Das zweite Mal, gestern Morgen, übermittelte man ihr die vermeintlich frohe Botschaft, dass ihr Mann über den Berg sei und sie ihn noch am Nachmittag besuchen kommen könne. Irina hatte sich betrogen gefühlt. Wütend. Hoffnungslos. Zwei herrliche Nächte lang,(Hier kein Komma) hatte sie sich der Illusion hingegeben, bald ein Adam-loses Leben zu führen. Ein solches wäre natürlich in erster Linie gewaltfrei gewesen. Wenn es sie und die Kinder vermutlich auch vor ein paar finanzielle Probleme gestellt hätte. Zumindest in der Anfangszeit, bis sie ihr Hausfrauendasein gegen eine bezahlte Arbeit eingetauscht hätte.
Der Unfall wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, um sie und die Kinder aus Adams Klauen zu befreien. Doch dann rief dieser rücksichtslose Arzt an und teilte ihr in einem unverschämt stolzen Tonfall mit, dass ihr Mann überlebt hatte. Als ob das sein glorreicher Einfall gewesen wäre. Und als ob das ein Grund gewesen wäre, stolz auf sich zu sein. Irina war allerdings nicht am selben Tag ins Krankenhaus gefahren. Sie hatte diese lästige Pflicht so lange hinausgezögert wie es nur ging, ohne Aufsehen oder unnötiges Getratsche zu provozieren. In ihrem Umfeld wimmelte es nur so vor Sensationslüsternen (eingeschlossen ihrer fanatisch religiösen Familie) die auf Sonderbarkeiten lauerten, wie Kröten,(Hier kein Komma) auf fette Fliegen. Und natürlich wäre es sonderbar gewesen, für eine fürsorgliche, liebende Ehefrau, dem schwer verletzten Gatten nicht so schnell wie möglich einen Krankenbesuch abzustatten. Den Kindern hatte Irina nichts von der Sache erzählt. Sie glaubte nicht einmal, dass sie sich fragten, wo ihr Vater gerade steckte. Das war eine der Situationen in der es sich auszahlte, dass sie an seine Abwesenheit gewöhnt worden waren oder an den Umstand, dass er sie wie Luft behandelte.
Zimmer 305. 306. 307….(LEERZEICHEN)Mit jedem weiteren Aufsetzen ihrer Stilettos (auf die sie trotz des Schneematsches nicht hatte verzichten wollen) auf dem glänzenden Linoleumboden,(Hier kein Komma) pochte ihr Herz heftiger. Vor ein paar Jahren noch war Irina eine imposante Erscheinung gewesen. Groß, auffallend schlank, mit dichtem, dunklem Haar, das ihr rassiges Gesicht (Einerseits kommt mir der Begriff "rassig" ziemlich ausgelutscht vor, andererseits verstehe ich ganz offen gesagt auch nicht, was genau ich mir darunter vorzustellen habe - rein logisch gesehen könnte das alles mögliche bedeuten) mit dem olivfarbenen Teint und den vollen Lippen einrahmte. Wäre sie nicht Hausfrau und Mutter geworden, hätte sie vermutlich eine Karriere als internationales Model anstreben können. Hätte. Doch die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorbeigezogen und mittlerweile litt sie unter ihre Größe, mit der sie mehr mitleidige Blicke als nötig auf sich zog. Sie hatte in jedem Jahr ein Kilo zugelegt, seit sie Adam geheiratet hatte und das Geld, das er ihr eingebracht hatte, hatte ihren einst schlichten Stil,(Hier kein Komma) in protzige Dekadenz verwandelt. Hübsch war sie immer noch, nur spürte sie es nicht mehr. 308. Die Gerüche nach Pflastern und Desinfektionsmittel, (das Leute aus zahlreich angebrachten Spendern abzapften, weil es ihnen ein Gefühl von Kontrolle inmitten von unkontrollierbaren Schicksalen verlieh),(Du solltest dich hier entscheiden, ob du Kommata oder Klammern benutzen möchtest - beides zusammen passt nicht) wirkten wie ein Zündstoff auf Irinas Panik. Die Ärzte hatten Adam eine Amnesie attestiert. Diese Aussicht spendete ihr Trost, doch verglichen mit seinem möglichen Tod,(Hier kein Komma) wirkte sie nur noch wie eine unzulängliche Entschädigung. Auch konnte sie nicht so recht daran glauben, dass ein harmloses Nichts,(Auch hier wieder kein Komma wink) die schwerwiegenden Erinnerungen ihres Mannes verdrängt haben sollte. Es war natürlich eine verlockende Vorstellung. Doch gewisse Dinge konnte man nun mal nicht vergessen. Und sie war sich sicher, dass seine Triebe, sobald er wieder ihr Gesicht erblickte, schlagartig zurückkehren würden. Und selbst wenn nicht, nach spätestens ein paar Monaten würde sein Gedächtnis mit Sicherheit wieder rehabilitiert sein. Und dann würde alles zu Irinas unerträglicher Realität zurückkehren. Dieser Gedanke verursachte ihr derartig heftige Übelkeit, dass er sie zu einem trockenen Würgen zwang. Sie presste sich die Hand auf den Mund. 309. Sie holte mehrmals tief Luft und zog ihre Wollmütze vom Kopf, die noch gesprenkelt von schmelzenden Schneeflocken war, so wie ihr Tweedmantel,(Hier bin ich etwas gestolpert. Ich würde es eher so formulieren: "die genau wie ihr Tweedmantel noch von schmelzenden Schneeflocken gesprenkelt war") den sie allerdings anbehielt(würde ich nicht extra erwähnen). Da schon die Überdosis Beruhigungstabletten nicht half, die sie bereits vor der Fahrt eingenommen hatte, versuchte sie es gar nicht erst mit ihren autosuggestiven Mantras und betrat ohne weiteres Zögern den Raum. Er war sehr groß (Adam war Privatpatient), hell(Ich glaube hier müsste noch ein Komma hin, bin mir aber nicht ganz sicher; alternativ würde ich ansonsten schreiben: "sehr groß und hell und passte somit") und passte somit ganz und gar nicht in das düstere Szenario, welches Irina sich für das Wiedersehen mit ihrem Mann ausgemalt hatte. Während sie auf das Bett zuging, klammerte Irina sich an ihre winzige Gucci-Handtasche, als sei diese ein Rettungsanker, der sie jederzeit wieder in sichere Entfernung befördern konnte. Adam war wach und sah aus dem Fenster. Sobald er ihre Anwesenheit bemerkte wandte er den Kopf und Irina zuckte zusammen, als sie sein Gesicht sah. Das passte schon eher in ihre apokalyptischen Fantasien, die sich den ganzen Vormittag über in ihrem Kopf zusammengebraut hatten. Starke Schwellungen ließen die verhassten Züge auf angenehme Weise verschwimmen. Seine sonst makellose, bleiche Haut war ungewöhnlich gerötet und übersät von zahlreichen, kleineren Krusten und Hämatomen. Um Adams Kopf wand sich ein feister, weißer Verband, der seine dichten, schwarzen Haare verbarg. Auf Schläfenhöhe wies der Verband einen unappetitlich eitrigen bis blutigen Farbverlauf auf. Sein linker Arm lag eingegipst und wie ein nutzloses Anhängsel auf einem dicken Kissen. Adams Augen, die ihm etwas Mongolisches Verliehen, waren stark verquollen. Diese glänzenden, stechend grünen Mandeln blieben ungewohnt leer, als sie Irina erfassten und in Adams Mimik regte sich kein Merkmal des Wiedererkennens. Nur seine hohen Wangenknochen stachen wie immer daraus hervor, als wollten sie ihre Unverwüstlichkeit beweisen.
„Hallo…“, krächzte er und klang dabei(würde ich weglassen, nimmt dem Satz nur seine Direktheit) so heiser, als könnte dieses unspektakuläre Wort das Erste sein(eher: "als sei dieses unspektakuläre Wort das Erste"), was er seit drei Tagen sagte. Unbeholfen deutete er auf den Stuhl neben seinem Bett. Irina verspürte nicht das geringste Verlangen dort Platz zu nehmen.
„Hallo, Adam…“, antwortete sie zaghaft, ohne sich zu rühren. Ihr Blick fiel auf den Nachttisch auf der anderen Bettseite. Darauf tummelte sich ein fulminantes Arsenal an Dingen, mit denen man versuchte(KOMMA) einen Mann mittleren Alters aufzuheitern. Eine Schachtel Zigarren im Churchill-Format, ein teurer, französischer Wein(LEERZEICHEN)- zweifelsohne Geschenke von Adams Galeristen, der vermutlich schon krank vor Sorge war, um sein bestes Pferd im Stall (besser: "krank vor Sorge um sein bestes Pferd im Stall war"). Irina kam der komische Gedanke, dass Hector Monrow, mit Spitznamen Al, eine musterhafte Ehefrau abgegeben hätte(LEERZEICHEN)- ganz im Gegensatz zu ihr.
Zudem fanden sich dort noch ein aufgeplusterter Strauß rotleuchtender Chrysanthemen und eine Variation herzförmiger Pralinen. Irina fand, das(s) dies doch nach etwas mehr als bloßer Höflichkeitsbezeugung aussah, doch ihr war schleierhaft, von wem diese Präsente stammen mochten. Adam hatte einen unüberschaubaren Freundeskreis. Als er sich stöhnend aufrichtete und sie mit einem Blick ansah, dem man viel eher einem kranken Welpen zugetraut hätte, verwarf Irina ihre Gedanken.
„Man hat mir gesagt, dass (KEIN LEERZEICHEN)(LEERZEICHEN)dass meine Frau kommen würde…(LEERZEICHEN)sind Sie…(LEERZEICHEN)ich meine…(LEERZEICHEN)bist du…(LEERZEICHEN)bist du, Irina?“


Ich hoffe, das hilft etwas weiter. Insgesamt hat mir die Geschichte bisher gut gefallen, ich finde die Idee mit den Zimmernummern als Countdown gut. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
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Rowling's Stone
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 33
Beiträge: 21



Beitrag08.11.2014 00:04

von Rowling's Stone
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Floki, vielen lieben Dank für deine so ausführliche Kritik! Smile

Also, wie mir scheint, habe ich ja ein ausgewachsenes Komma-Problem! Ich hatte ja schon immer das Gefühl der Unsicherheit was Kommata angeht, aber jetzt sehe ich tatsächlich, dass es nicht nur ein Gefühl ist- da sollte ich wohl nochmal was Lernen! Danke dafür!

Was das 'unverbindliche Kopfrucken' angeht: vor meinem geistigen Auge sah ich da ein ganz deutliches Bild dazu, aber wenn der Leser es nicht sehen kann, hab ich wohl schlecht oder unzureichend formuliert...ich werd nach was Besserem suchen und es preisgeben, sobald ich es gefunden habe Smile

Danke nochmal für die Unterstützung!!

P.S Achso genau: zur 'tätschelnden Hand': stimmt eigentlich. Ich dachte mir eher, dass die Hand sie erst zurückhält und anschließend tätschelt und ich das so in einem Atemzug nennen könnte? Very Happy
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Jack Burns
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 54
Beiträge: 1444



Beitrag08.11.2014 00:58

von Jack Burns
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Hallo R.S.
Herzlich Willkommen im Forum.
Schön, dass Du hier bist, auf dass wir von einander lernen mögen.

Zu Deinem Text kann ich leider nicht viel Gutes sagen. In Details möchte ich mich nicht verlieren, sondern lieber auf Grundsätzliches eingehen.
Zum Inhalt:
Für ein Skript der Serie Verbotene Liebe o. ä. klingt es ganz gut.
Vielleicht bin ich zu kritisch, auch zu mir selbst, aber ich denke immer: Man sollte etwas Interessantes zu erzählen haben, wenn man eine Geschichte schreibt. Der Plot kommt mir sehr abgedroschen vor. Dieses Amnesie-Thema funktioniert nur noch als Gag in Parodien.
Da ich nicht weiß, wie es weitergeht, obgleich ich es ahne, möchte ich mich weiterer Kommentare enthalten.

Zum Stil:
Du hast Recht: es ist noch zu langatmig. Einige inhaltliche Wiederholungen und künstlich geschraubte Formulierungen erschweren den Lesefluss.  Und Du benutzt so einige Füllworte. Zwar vermittelst Du dadurch ziemlich deutlich Irinas Perspektive, aber auf Romanlänge könnte es nerven.
Was mich persönlich sehr stört, sind vor allem diese (in Klammern) beigefügten Kommentare - als ob mir ständig jemand etwas erklärt. Wenn es wichtig ist, dann baue es in den fließenden Text ein oder streiche es einfach. (Mir doch egal, ob sie Stilettos, trotz des Wetters trägt)
Grundsätzlich ist mir die Zielgruppe nicht ganz klar. Ich meine, wenn es für junge Leserinnen - 14 bis Anfang 20er - gedacht ist, dann ist der Stil wohl ganz in Ordnung.  Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass Du Dich auch von Deiner Namensschwester beeinflussen lässt.
Ich hoffe Folgendes kommt als unterstützend gemeinter Rat an: Ich hab das erste H.P. Buch gelesen und war erschüttert.
Mein Fazit: Das hatte nur wegen der guten Grundidee, der jungen Zielgruppe und dem professionellen Marketing so gut funktioniert. Literarisch ist es ... (böses Wort einfügen)
Wobei ich nur von der deutschen Übersetzung ausgehen kann.

Also ich empfehle dringend andere Vorbilder, als die bewusste Dame.

Damit soll es genug der Schelte sein.
Oops, da war noch was:  Große Fehler sprangen mich nicht an. Und die Satzkonstruktionen sind zumeist sehr gut gelungen; ansprechend und abwechslungsreich. Erzähllust habe ich erkannt und ich glaube, Du hast mehr Talent, als es in diesem Text deutlich wird.

Das ist nur eine von vielen Meinungen. Andere sehen das vielleicht nicht so streng.
Ich wünsche weiterhin Spaß am Schreiben und viel Kreativität.

Grüße, Martin
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Lotta
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 58
Beiträge: 260
Wohnort: Wunderland


Beitrag08.11.2014 10:01

von Lotta
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Hier endlich mein post. Sorry.

Hallo Jack Burn,

uuuiii, so verschieden kann es sein - ich kenne z.B. keinen einzigen Teil von HP. Ich habe mal versucht, in den "Stein der Weisen" hineinzukommen, und nach dreißig Seiten legte ich es weg. Das war vor Jahren, und ich hab vergessen, was da stand.

Ich bin kein Fan von Fantasy-Romanen.
Und hier war ich sofort drin.
Um mir ein Urteil bilden zu können, müsste ich wissen, wie´s weitergeht...

Da ich keinen HP Band oder Film kenne, mit Millionenfacher Leserschaft, bin ich wahrscheinlich kein so wirklicher Maßstab als Kritikerin.

LG., Lotta
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Gine
Geschlecht:weiblichEselsohr

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Beiträge: 494
Wohnort: Berlin
DSFo-Sponsor


Beitrag08.11.2014 10:48

von Gine
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Nochmals Hallo, liebe Stone! smile

Hmmm.. die Wahrnehmung ist wirklich eine recht interessante Sache.

Jack Burns hat meiner Meinung nach Recht mit dem, was er zuletzt gesagt hat:

'...Große Fehler sprangen mich nicht an. Und die Satzkonstruktionen sind zumeist sehr gut gelungen; ansprechend und abwechslungsreich. Erzähllust habe ich erkannt und ich glaube, Du hast mehr Talent, als es in diesem Text deutlich wird.'

Meine Schwierigkeiten mit dem Text betreffen, wie so oft, eher die Dynamik der Story.

Sie in das Haus gehen zu lassen und die ganze Vorgeschichte einfach nur gedanklich zu erzählen erscheint mir als der falsche Weg, eine Geschichte erlebbar zu machen.

Ich weiß, dass das Unterbringen von Fakten oft ein großes Problem darstellt. Dies lebhaft zu lösen, darin zeigt sich das Talent. Cool

Möglich wäre zum Beispiel: Der Roman fängt erst am Krankenbett an. Sehr persönlich. Der Leser hat gar keine andere Wahl, als sich mit einer der Personen zu verbrüdern. Fakten kann man immer irgendwie unterbringen.

Eine andere Möglichkeit wäre, den Roman viel früher beginnen zu lassen; vielleicht sogar mit stroboskopartigen Szenen, die letztlich zu dieser Situation geführt haben. Sehr avantgardistisch. Embarassed

Generell glaube ich, dass man von Dir durchaus noch 'Großes' erwarten darf.

So, ich merke gerade, ich quatsche wieder zu viel. Wink

In diesem Sinne
liebe Grüße
die Gine


_________________
'Manchmal zweifle ich daran, dass ich überhaupt existiere.'
'Aus gutem Grund.'
'Wie meinst du das?'
'Ich habe dich erfunden.'
'Glaub ich nicht.'
'Ich weiß.'
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Klemens_Fitte
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Beiträge: 2934
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Beitrag08.11.2014 11:09

von Klemens_Fitte
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Guten Morgen, Rowling’s Stone.

Ich habe deinen Text schon gestern gelesen, wollte aber erstmal meine Gedanken dazu ein wenig ordnen; mein Eindruck deckt sich mit den Kommentaren von Jack Burns und Gine. Um’s aber nochmal mit eigenen Worten zu sagen: Du kannst schreiben, findest gute, noch nicht 'abgenutzte' Formulierungen und Bilder – jetzt gilt es, das Ganze 'einzudampfen' und auf das zu konzentrieren, was der Dynamik der Erzählung dienlich sein kann.

Gine hat Folgendes geschrieben:
Sie in das Haus gehen zu lassen und die ganze Vorgeschichte einfach nur gedanklich zu erzählen erscheint mir als der falsche Weg, eine Geschichte erlebbar zu machen.


Das sehe ich auch so. Der ganze Abschnitt ab
Zitat:
Warum, Gott, warum?

schreit: Exposition; ich habe den Eindruck, hier bedient sich die Autorin des inneren Monologs ihrer Figur nur, um mir, dem Leser, möglichst lückenfrei die Ausgangslage darzulegen. So funktioniert, zumindest für mich, Immersion nicht.

Das hier

Gine hat Folgendes geschrieben:
Möglich wäre zum Beispiel: Der Roman fängt erst am Krankenbett an. Sehr persönlich. Der Leser hat gar keine andere Wahl, als sich mit einer der Personen zu verbrüdern. Fakten kann man immer irgendwie unterbringen.


wäre doch eine viel bessere Wahl, finde ich. Wenn du deine Protagonistin zeigst, wie sie ihrem Mann am Krankenbett gegenübertritt, wie sich in ihrer Interaktion mit ihm eine Reserviertheit, vielleicht sogar Angst ausdrückt, fragt sich der Leser automatisch, woher diese ungewöhnliche Haltung kommt. Er ist interessiert und bereit, sich auf den Charakter deiner Protagonistin einzulassen und, im besten Fall, sich in ihn einzufühlen. Und das kannst du erreichen, ohne sie gedanklich monologisieren zu lassen.

Kann natürlich sein, dass du in eine ganz andere Richtung möchtest; dann darfst du mein Geschreibsel ignorieren.

Gruß,
Klemens


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Rowling's Stone
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 33
Beiträge: 21



Beitrag08.11.2014 12:44

von Rowling's Stone
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So viel Kritik, juhuu, danke an alle! Okay, einer nach dem andern- also erstmal:
Grüß dich, Jack Burns,
erst einmal Dank für deine umfassende und hilfreiche Kritik!
Ich glaube bezüglich des Plots hast du mich leider missverstanden, denn anhand der ersten vier Romanseiten kann dieser, meiner Meinung nach, weder beurteilt noch erahnt werden (zumindest wenn sich der Autor die Mühe gemacht hat, eine vernetzte Story zu kreieren.) Mein Plot umfasst 6 Seiten (mit Vorgeschichte 11), daher weiß ich, dass der Beginn der Geschichte glücklicherweise keine treffsicheren Prognosen der Haupthandlung zulässt. Die Amnesie spielt auch nur eine marginale Rolle, aber scheint wohl leider ein Klischee zu beleben.
Ich verstehe den Bezug zu Verbotene Liebe und muss gestehen, dass ich während des Plotschaffens des Öfteren Atmosphäre-Schnipsel aus Desperate Housewives im Gefühl hatte – könnte man jetzt auch darüber streiten, ob das ein Unding ist. Ich hätte zwar gerne für eine erwachsene Zielgruppe geschrieben, aber anscheinend ließt es sich verhältnismäßig doch zu juvenil/infantil? Aber ich dümpele tendenziell auch im seichten Unterhaltungsgewässer umher, was aber Erwachsene ja nicht ausschließen müsste…
Zum Stil: Rowling ist tatsächlich mein stilistisches Vorbild, obwohl ich schon gespürt habe, dass sie literarisch heftig umstritten oder von  manchen auch verteufelt ist. Ich mag literarisch ahnungslos sein, aber ihr Stil überzeugte mich fast durchgehend (nicht nur in HP, sondern auch in ihren anderen Romanen), daher habe ich lange versucht, sie zu imitieren und von ihr zu lernen…auch die Klammern habe ich von ihr ‚geerbt‘- haha. Es ist möglicherweise Geschmackssache, wobei ich nun schon des Öfteren gehört habe, dass Leute genervt von Klammereinschüben sind- aber ich persönlich steh da irgendwie drauf- kommt natürlich auch auf den Inhalt der Klammer an Smile Das mit den Stilettos z.b, das ist etwas, das ich einfach unterhaltsam finde, am Rande zu erfahren- aber ich verstehe auch, dass man es auch einfach nur völlig uninteressant finden kann…die Frage ist, ob es sich die Waage hält oder ob es hauptsächlich uninteressant gefunden wird und ob ich mich dann der Mehrheit oder meiner eigenen Überzeugung beugen sollte…ich bin da auch noch recht wankelmütig und unsicher was solche Dinge angeht, daher bin ich froh über jede Kritik und dieses Forum…
 Ich habe ja zum Beispiel vor einiger Zeit mal den Versuch unternommen ‚etwas Gescheites‘ zu lesen und mich auf Kafka gestürzt- zumindest habe ich mich darauf gestürzt, bevor ich wusste, wie dröge und langatmig sein Stil geraten ist- so eine Unverschämtheit darf ich  mir als Ahnungslose erlauben Very Happy (das ist das Unbeschwerte daran!) Ich habe 60 Seiten vom ‚Prozess‘ durchgehalten, aber das war wirklich eine Qual… was mir wirklich sehr gefallen hat, war zum Beispiel Goethes Faust- aber stilistisch ist das heutzutage in einem Roman natürlich nicht machbar….
Um in die zeitgenössische Schiene zurückzukehren: Juli Zeh – ihre Geschichten mag ich sehr, aber ihren Stil finde ich eher r anstrengend, da natürlich hochtrabend intellektuell und man hat in jedem zweiten Satz das Gefühl, als habe sie es sich zum persönlichen Ziel gemacht, ihre Leserschaft mit der Nase in ihr erfolgreich durchlittenes Literaturstudium hineinzudrücken. Man lernt dabei, spürt dies aber auch deutlich- es ist natürlich auch nicht so sehr im Unterhaltungssektor angesiedelt.

Grüße! Smile
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Rowling's Stone
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Beitrag08.11.2014 13:03

von Rowling's Stone
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Hi liebe Gine, hallo Klemens Smile

Die Idee den Roman anders beginnen zu lassen mit einer direkten  Handlung und persönlichen Atmosphäre am Krankenbett, gefällt mir wirklich sehr gut! Smile
Und das stört mich jetzt insofern, als dass ich schon so meine Schwierigkeiten hatte, den passenden Beginn für die Geschichte zu finden und schon des Öfteren umgeschrieben und auch schon 40-50 Seiten aus jenem Grund verwerfen musste…natürlich sollte ich mir wohl diese Mühe machen, wenn es sich lohnt und das ganze dadurch aufgewertet werden kann..ich  bin mir nur noch nicht sicher, ob das dann auch klappt- also, ob ich das so hinbekomme – da müsste ich mal rumexperimentieren- auf alle Fälle vielen Dank für den tollen Einfall und Eure Mühe für diese hilfreiche Kritik!
Ich glaube ich habe anfangs nicht bedacht, dass so viel innerer Monolog entstehen wird, wenn ich die Story mit der Ankunft im Krankenhaus beginne – aber das passiert dann natürlich auf dem Weg unweigerlich. Würdet ihr sagen, dass ein innerer Monolog generell nicht so gelungen oder mitreißend wirkt, wie eine direkte Handlung oder ist das nur abhängig davon, an welcher Stelle man ihn verwendet? Vielleicht verwende ich grundsätzlich zu viele innere Monologe- hab ich voerher nicht bewusst bemerkt!
LG!
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Klemens_Fitte
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Beitrag08.11.2014 13:16

von Klemens_Fitte
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Hallo nochmal smile

Rowling's Stone hat Folgendes geschrieben:
Würdet ihr sagen, dass ein innerer Monolog generell nicht so gelungen oder mitreißend wirkt, wie eine direkte Handlung oder ist das nur abhängig davon, an welcher Stelle man ihn verwendet?


Das hängt, glaube ich, von vielen Faktoren ab. Es gibt Bücher, die fast komplett aus einem inneren Monolog (eher einer Art Gedanken- und Bewusstseinstrom) bestehen – "Auslöschung" von Thomas Bernhard fällt mir spontan ein – die trotzdem, oder besser: genau deshalb funktionieren und mitreißen.

Da ist es an dir zu entscheiden, welche Art Geschichte du schreiben und wie du sie erzählen willst. Ich hatte bei diesem Ausschnitt – mehr kann ich ja nicht bewerten – den Eindruck, der innere Monolog wurde hier nur eingesetzt, um den Leser möglichst lückenlos über die Ausgangssituation zu informieren. Und da gibt es, finde ich, bessere Möglichkeiten, einerseits die nötigen Infos zu liefern und dem Leser andererseits genügend "Lücken" zu bieten, durch die er in den Text einsteigen bzw. sich selbst, sein Interesse und seine Empathie, einbringen kann.

Das ist aber, nochmal, nur meine subjektive Meinung. Was zu deiner Geschichte passt, wirst du es nur durchs Umschreiben herausfinden – und selbst wenn du die Änderungen dann wieder verwirfst, würde ich das nicht als umsonst bezeichnen, weil es dir in jedem Fall ein genaueres Bild von deinem Text und dem, was du ihm zumuten kannst und was nicht, ermöglicht.


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Einar Inperson
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Beitrag08.11.2014 14:10

von Einar Inperson
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Hallo Stone,

nur kurz.
Ich bin anderer Meinung, was deinen Einstieg angeht. Mir gefällt das.

Wenn ich mit dem Zehntausend (Ein Wettbewerb hier im dsfo)durch bin, gerne mehr.


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Lotta
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Beitrag08.11.2014 14:21
Re: Adams Apfel
von Lotta
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Hallo Rowling´s Stone,

ich frage mich grad, ob es gut oder schlecht ist, von J.K. Rowling noch nichts gelesn zu haben. Aber eine Sache finde ich gut - du hast eine unbedarfte Leserin vor dir.

Edit! Jetzt, wo ich es bei Einar lese. Das war mir doch das Wichtigste. Ich finde den Einstieg sehr gut. Ich würde den nicht ändern.
 
Ansonsten, ich schrieb ja gestern von "überflogen", und schau jetzt mal genauer drauf.


Rowling's Stone hat Folgendes geschrieben:


Vergessen ist nicht Vergeben

Irina betrat das auf den Namen ‚Rising Hope‘ getaufte Hospital, ironischerweise mit dem Gefühl sich akkumulierender Verzweiflung.
Hier stolpere ich. Das "ironischerweise" passt für mich nicht mit "zunehmender Verzweifflung" zusammen. Ich musste mehrmals die Passage lesen um  zu begreifen.
Und somit stolpere ich in den zweiten Satz:
 Die Umstände mussten sie ihr so deutlich ins Gesicht gemeißelt haben, (Der Teilsatz hat für mich irgendwie einen Knoten - vielleicht: "Die Umstände mussten deutlich in ihr Gesicht gemeißelt sein?")
dass selbst die abgestumpfte, dickhäutige Empfangsdame bei ihrem Anblick eine mitfühlende Mine aufsetzte.
„Guten Tag, ich bin Irina Murphy. Mein Mann, Adam Murphy- er ist vor drei Tagen eingeliefert worden. Können Sie mir bitte die Zimmernummer geben?“
„Aber natürlich. Das ist…Augenblick….ah ja, Zimmer 309.“ Sie hielt Irina mit einer (evtl. "ihrer tätschelnden Hand. Dass sie zwei davon hat, weiß ich, und ob es die Linke oder Rechte ist, ist für mich nebensächlich.) großen, tätschelnden Hand zurück.
 „Äh, wie ich den Akten entnehme, wurde ihr Mann gestern aus der Intensivstation entlassen. Sie können ihn also sicher schon bald wieder mit nach Hause nehmen!“
Die Empfangsdame versuchte ein Lächeln. Ganz offensichtlich hatte sie das Gefühl, Irina müsse beruhigt werden. Doch ihre Worte vergrößerten nur deren Angst und sie eilte mit einem unverbindlichen Kopfrucken davon. Hätte die Empfangsdame geahnt, was Irina wirklich dachte, wäre ihr dieser seltene Anflug von Empathie ganz sicher im dicken Hals steckengeblieben.

Warum, Gott, warum? Warum konntest du ihn nicht endlich von mir nehmen? Warum kannst du ihn denn nicht endlich sterben lassen?
Solche und ähnliche Gedanken spukten Irina durch den Kopf, seit sie der zweite Anruf aus dem Krankenhaus innerhalb einer Woche ereilt hatte. Das erste Mal war es vor drei Tagen gewesen, um sie darüber zu informieren, dass ihr Mann einen schweren Unfall erlitten habe und nun in Lebensgefahr schwebe. Das zweite Mal, gestern Morgen, übermittelte man ihr die vermeintlich frohe Botschaft, dass ihr Mann über den Berg sei und sie ihn noch am Nachmittag besuchen kommen könne. Irina hatte sich betrogen gefühlt. Wütend. Hoffnungslos. Zwei herrliche Nächte lang, hatte sie sich der Illusion hingegeben, bald ein Adam-loses Leben zu führen.
Ein solches wäre natürlich in erster Linie gewaltfrei gewesen.
Ich würde das "natürlich" weglassen.
Wenn es sie und die Kinder vermutlich auch vor ein paar finanzielle Probleme gestellt hätte. Zumindest in der Anfangszeit, bis sie ihr Hausfrauendasein gegen eine bezahlte Arbeit eingetauscht hätte.
Glaubst du, dass sie an so was gerade denkt? Ich vermute, in ihrem Kopf hämmert "Befreiung!! Bitte, Bitte!"

Ansonsten habe ich nichts weiter zu meckern. Ich habe mit dem "Denken" der Prota kein Problem, ganz im Gegenteil.
Der Unfall wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, um sie und die Kinder aus Adams Klauen zu befreien. Doch dann rief dieser rücksichtslose Arzt an und teilte ihr in einem unverschämt stolzen Tonfall mit, dass ihr Mann überlebt hatte. Als ob das sein glorreicher Einfall gewesen wäre. Und als ob das ein Grund gewesen wäre, stolz auf sich zu sein. Irina war allerdings nicht am selben Tag ins Krankenhaus gefahren. Sie hatte diese lästige Pflicht so lange hinausgezögert wie es nur ging, ohne Aufsehen oder unnötiges Getratsche zu provozieren. In ihrem Umfeld wimmelte es nur so vor Sensationslüsternen (eingeschlossen ihrer fanatisch religiösen Familie) die auf Sonderbarkeiten lauerten, wie Kröten, auf fette Fliegen. Und natürlich wäre es sonderbar gewesen, für eine fürsorgliche, liebende Ehefrau, dem schwer verletzten Gatten nicht so schnell wie möglich einen Krankenbesuch abzustatten. Den Kindern hatte Irina nichts von der Sache erzählt. Sie glaubte nicht einmal, dass sie sich fragten, wo ihr Vater gerade steckte. Das war eine der Situationen in der es sich auszahlte, dass sie an seine Abwesenheit gewöhnt worden waren oder an den Umstand, dass er sie wie Luft behandelte.
Zimmer 305. 306. 307….Mit jedem weiteren Aufsetzen ihrer Stilettos (auf die sie trotz des Schneematsches nicht hatte verzichten wollen) auf dem glänzenden Linoleumboden, pochte ihr Herz heftiger. Vor ein paar Jahren noch war Irina eine imposante Erscheinung gewesen. Groß, auffallend schlank, mit dichtem, dunklem Haar, das ihr rassiges Gesicht mit dem olivfarbenen Teint und den vollen Lippen einrahmte. Wäre sie nicht Hausfrau und Mutter geworden, hätte sie vermutlich eine Karriere als internationales Model anstreben können. Hätte. Doch die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorbeigezogen und mittlerweile litt sie unter ihre Größe, mit der sie mehr mitleidige Blicke als nötig auf sich zog. Sie hatte in jedem Jahr ein Kilo zugelegt, seit sie Adam geheiratet hatte und das Geld, das er ihr eingebracht hatte, hatte ihren einst schlichten Stil, in protzige Dekadenz verwandelt. Hübsch war sie immer noch, nur spürte sie es nicht mehr. 308. Die Gerüche nach Pflastern und Desinfektionsmittel, (das Leute aus zahlreich angebrachten Spendern abzapften, weil es ihnen ein Gefühl von Kontrolle inmitten von unkontrollierbaren Schicksalen verlieh), wirkten wie ein Zündstoff auf Irinas Panik. Die Ärzte hatten Adam eine Amnesie attestiert. Diese Aussicht spendete ihr Trost, doch verglichen mit seinem möglichen Tod, wirkte sie nur noch wie eine unzulängliche Entschädigung. Auch konnte sie nicht so recht daran glauben, dass ein harmloses Nichts, die schwerwiegenden Erinnerungen ihres Mannes verdrängt haben sollte. Es war natürlich eine verlockende Vorstellung. Doch gewisse Dinge konnte man nun mal nicht vergessen. Und sie war sich sicher, dass seine Triebe, sobald er wieder ihr Gesicht erblickte, schlagartig zurückkehren würden. Und selbst wenn nicht, nach spätestens ein paar Monaten würde sein Gedächtnis mit Sicherheit wieder rehabilitiert sein. Und dann würde alles zu Irinas unerträglicher Realität zurückkehren. Dieser Gedanke verursachte ihr derartig heftige Übelkeit, dass er sie zu einem trockenen Würgen zwang. Sie presste sich die Hand auf den Mund. 309. Sie holte mehrmals tief Luft und zog ihre Wollmütze vom Kopf, die noch gesprenkelt von schmelzenden Schneeflocken war, so wie ihr Tweedmantel, den sie allerdings anbehielt. Da schon die Überdosis Beruhigungstabletten nicht half, die sie bereits vor der Fahrt eingenommen hatte, versuchte sie es gar nicht erst mit ihren autosuggestiven Mantras und betrat ohne weiteres Zögern den Raum. Er war sehr groß (Adam war Privatpatient), hell und passte somit ganz und gar nicht in das düstere Szenario, welches Irina sich für das Wiedersehen mit ihrem Mann ausgemalt hatte. Während sie auf das Bett zuging, klammerte Irina sich an ihre winzige Gucci-Handtasche, als sei diese ein Rettungsanker, der sie jederzeit wieder in sichere Entfernung befördern konnte. Adam war wach und sah aus dem Fenster. Sobald er ihre Anwesenheit bemerkte wandte er den Kopf und Irina zuckte zusammen, als sie sein Gesicht sah. Das passte schon eher in ihre apokalyptischen Fantasien, die sich den ganzen Vormittag über in ihrem Kopf zusammengebraut hatten. Starke Schwellungen ließen die verhassten Züge auf angenehme Weise verschwimmen. Seine sonst makellose, bleiche Haut war ungewöhnlich gerötet und übersät von zahlreichen, kleineren Krusten und Hämatomen. Um Adams Kopf wand sich ein feister, weißer Verband, der seine dichten, schwarzen Haare verbarg. Auf Schläfenhöhe wies der Verband einen unappetitlich eitrigen bis blutigen Farbverlauf auf. Sein linker Arm lag eingegipst und wie ein nutzloses Anhängsel auf einem dicken Kissen. Adams Augen, die ihm etwas Mongolisches Verliehen, waren stark verquollen. Diese glänzenden, stechend grünen Mandeln blieben ungewohnt leer, als sie Irina erfassten und in Adams Mimik regte sich kein Merkmal des Wiedererkennens. Nur seine hohen Wangenknochen stachen wie immer daraus hervor, als wollten sie ihre Unverwüstlichkeit beweisen.
„Hallo…“, krächzte er und klang dabei so heiser, als könnte dieses unspektakuläre Wort das Erste sein, was er seit drei Tagen sagte. Unbeholfen deutete er auf den Stuhl neben seinem Bett. Irina verspürte nicht das geringste Verlangen dort Platz zu nehmen.
„Hallo, Adam…“, antwortete sie zaghaft, ohne sich zu rühren. Ihr Blick fiel auf den Nachttisch auf der anderen Bettseite. Darauf tummelte sich ein fulminantes Arsenal an Dingen, mit denen man versuchte einen Mann mittleren Alters aufzuheitern. Eine Schachtel Zigarren im Churchill-Format, ein teurer, französischer Wein- zweifelsohne Geschenke von Adams Galeristen, der vermutlich schon krank vor Sorge war, um sein bestes Pferd im Stall. Irina kam der komische Gedanke, dass Hector Monrow, mit Spitznamen Al, eine musterhafte Ehefrau abgegeben hätte- ganz im Gegensatz zu ihr.
Zudem fanden sich dort noch ein aufgeplusterter Strauß rotleuchtender Chrysanthemen und eine Variation herzförmiger Pralinen. Irina fand, das dies doch nach etwas mehr als bloßer Höflichkeitsbezeugung aussah, doch ihr war schleierhaft, von wem diese Präsente stammen mochten. Adam hatte einen unüberschaubaren Freundeskreis. Als er sich stöhnend aufrichtete und sie mit einem Blick ansah, dem man viel eher einem kranken Welpen zugetraut hätte, verwarf Irina ihre Gedanken.
„Man hat mir gesagt, dass …dass meine Frau kommen würde…sind Sie…ich meine…bist du…bist du, Irina?“

Und hier kann ich den Plumps in ihrem Herzen regelrecht hören.

Liebe Grüße, Lotta
.
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Rowling's Stone
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Beitrag08.11.2014 20:08

von Rowling's Stone
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Liebe Lotta,
vielen Dank, auch für diese ausführliche Beurteilung! Also ich finde es sehr spannend und auch irgendwie beruhigend, dass es so verschiedene Meinungen gibt (so ist für jeden was dabei!)… und natürlich für mich sehr schön, dass dir der Anfang so gut gefällt…
also das‘ironischerweise‘ war so gemeint, dass die Frau zwar einerseits verzweifelt ist, aber andererseits mit diesem negativen Gefühl ein Gebäude mit so einem positiven Namen („steigende Hoffnung“) betritt und das sollte quasi die Ironie sein…vielleicht ein bisschen missverständlich formuliert?
Dann: Die Umstände mussten sie (sie= die Verzweiflung) ihr deutlich ins Gesicht…so war das eigentlich gemeint…
Das mit der finanziellen Lage, ist vielleicht tatsächlich sekundär angesichts Irinas Qualen unter ihrem Mann…aber sie muss trotzdem daran denken, allein schon wegen der Kinder mit denen sie ja nicht einfach so auf der Straße stehen kann…andererseits hat sie ja auch eine Familie- von der sie allerdings vermutlich verstoßen werden würde, wenn sie den Mann verlässt  - oh Mann, ich habs meiner Prota aber auch echt schwer gemacht – die Arme Very Happy
LG!

Hi Klemens Smile heute habe ich lang hin und her sinniert, wie ich den Anfang anders gestalten könnte. Nun bin ich fast zu dem Fazit gekommen, dass es aufgrund mehrerer Handlungsbedingter Faktoren zwangsläufig schlechter zu erzählen wäre, wenn ich den Roman schon direkt am Krankenbett beginnen würde… auch wenn ich die Idee gut fand und sie mir viel zum Denken gibt…ist auch eine Überlegung wert für andere Gelegenheiten, mal  verschiedene Perspektiven oder Momente für eine Szene durchzuspielen, bevor man sie aufschreibt… Grüße!

Einar Inperson,
freut mich sehr, dass der Anfang dir so gefällt und würde echt gern mehr hören – auf jeden Fall erstmal noch viel Erfolg beim Wettbewerb! Smile
Ich mag meinen Anfang auch so und bin beruhigt, dass sich da Gleichgesinnte finden…
LG
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Jack Burns
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Beitrag09.11.2014 06:07

von Jack Burns
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Hallo Miss Stone

Mein Rat zum Umgang mit den Kritiken: ernst nehmen, wirken lassen und dann in Dich reinlauschen, ob Du es nachvollziehen kannst. Tatsächlich gibt es viele Punkte über die sich auch Profis niemals einig sein werden. Da musst Du eigene Regeln aufstellen.
Solche Details, wie die Klammereinschübe kommen bei jedem Leser anders an. Wenn Du es beim Lesen magst, dann steh dazu und lass Dich nicht beirren. Vielleicht fand ich das mit 20 auch cool - kann mich nicht erinnern. Zumindest las ich sehr gerne Stephen King und verstehe jetzt nicht mehr warum. Ich glaube, je mehr man liest um so kritischer wird man. Vor allem in Hinblick auf Stereotype. Der Fluch des Alters: man kennt alles schon.

Jedenfalls bin ich sicher, dass literarischer Anspruch und Unterhaltung kein Widerspruch sein muss. Jack London ist das klassische Beispiel. Und letztens hab ich Siegfried Lenz gelesen, ich denke, einer der Besten im deutschsprachigen Raum. Der hatte auch Stil, ohne auf intellektuell zu machen. Ich bleib aber stur: an Rowling sollte man sich nur orientieren, wenn man Märchen für Kids schreiben will. Wenn ich als doofer Laie schon unzählige Perspektiv-, Zeit- und Ausdrucksfehler finde, dann wirft das kein gutes Licht auf das Niveau ihrer Arbeit. Hängt auch davon ab, welchen Anspruch man an sich selbst als Autor hat.

Kafka ist übrigens eine Dimension, für die man wohl selbst etwas kaputt sein muss,um sie zu erfassen. Wenn man sich dem unbedarft nähern will, empfehle ich die Kurzgeschichten mit Interpretationshilfe. Gibt es als Abitur Material. Ich bin erst mit über dreißig reif dafür gewesen.

Nützliche Tipps zu Details hast Du bereits bekommen - lass ich vorerst stecken. Schreib mal weiter! Will wissen,ob die Geschichte mich noch überrascht.

Grüße, Martin
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Rowling's Stone
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Beitrag09.11.2014 12:16

von Rowling's Stone
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Martin,
jede Kritik gleichermaßen ernstzunehmen grenzte wohl an Schizophrenie - irgendwann muss man sich entscheiden.

Apropos Schizophrenie: ‚kaputt sein‘ ist kein Zustand, der vom Alter abhängt, sondern vom Erlebten, vor dem auch junge Jahre nicht schützen.
Das Morbide und Destruktive lebt im Inhaltlichen. Nicht das schreckte mich ab, sondern Kafkas Stil: wie gesagt, verschraubt, langatmig - zumindest in der Geschichte, die ich von ihm laß.
Der Tipp mit der Interpretationshilfe mag nett sein, allerdings nur dann sinnvoll, wenn man Deutungsprobleme hat… und die hatte ich schon zu Abiturzeiten nicht Wink

Vielleicht bin ich ein noch (…gewünschten Superlativ einsetzen…) Laie, aber Perspektiv-, Zeit- und Ausdrucksfehler habe ich zumindest nicht bewusst in Erinnerung, wenn ich an Rowling denke… ihre an ein erwachsenes Publikum adressierten Romane beispielsweise habe ich teilweise mit Begeisterung gelesen. Zumindest sollte man sie selbst lesen, um sie gerecht beurteilen zu können.

Nenn es Genügsamkeit, doch reicht es mir, wenn ein Text flüssig, durchdacht und ansprechend formuliert ist. Das ist für mich Indiz genug, dass einer schreiben kann und ich brauche keine gestelzten Wortpirouetten oder aus Sätzen erbaute Mount Everests, von denen sich der vom Schwindel gepackte Leser in eine Parabel-Manie stürzt.
Dazu fällt mir ein: Walter Moers - mag ich auch sehr.
 
Bisher gibt es 50 Seiten meines Krimis und ich hoffe es geht bald Blockadefreier voran, als in jüngster Zeit Wink

Beste Grüße
Stone
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Einar Inperson
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Beitrag09.11.2014 13:08

von Einar Inperson
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Hallo Stone,

so, da will ich mal meine Lesegefühl skizzieren.

Zunächst steigst du für mich schon direkt in die Geschichte ein. Gleich im ersten Satz verortet sich dein Text. Krankenhaus. Aha, Sorge um (ob es nun zwingend akkumulierende Verzweiflung sein muss) einen geliebten Menschen. Kurze Zeit später schon die, gegen die Erwartung stehende, Aufklärung. Der Leser wird nicht an der Nase herumgeführt. Die Situation ist klar.

In meinem Lesen dient deine Einführung nicht dazu, schnell Fakten an den Leser zu bringen, für mich transportiert dein Einstieg die Stimmung des Textes.

Sehr gut daran festzumachen, dass du es dir verkniffen hast, diesen Abschnitt mit einer Pointe abzuschließen. Denn tatsächlich ist Irina über die Amnesie vorab informiert. Gut, dass du es hier nicht um des Effektes Willen verschweigst.

Für mich ist Irina bisher eine glaubhafte Protagonisten.

Manche Anmerkungen zu Satzstellung und Formulierungen hast du bereits erhalten. Zum Teil stimme ich den Anmerkungen zu, zum Teil nicht unbedingt. Du wirst schon wissen, was du umsetzen willst.

Von mir nur eine kleine Pingeligkeit. Vielleicht findest du eine elegantere Lösung - oder lässt es, wie es ist. Wink

Rowling's Stone hat Folgendes geschrieben:
Zudem fanden sich dort noch ein aufgeplusterter Strauß rotleuchtender Chrysanthemen und eine Variation herzförmiger Pralinen. Irina fand, das dies doch nach etwas mehr als bloßer Höflichkeitsbezeugung aussah, doch ihr war schleierhaft, von wem diese Präsente stammen mochten.


Dein Roman wird ein Krimi. Ein Rätsel deutest du schon an, obwohl dieses Rätsel den Leser noch nicht an Krimi denken lässt, vielleicht ist es auch gar kein Element des Krimis. Das kann man an diesem Stück nicht festmachen.

Noch ein Wort zu deiner Namensgeberin. Ich bekenne mich. Wer es schafft, die ganze Welt (und Hype allein schafft das nicht) in den Bann zu ziehen, muss schon eine ganze Menge richtig gemacht haben. Obwohl die ersten Kapitel des ersten HP Bandes mich auch schwer erschüttert haben.

Noch ein Wort zu den Einschüben in Klammern. Die sind auch nicht meins. Aber das ist persönlicher Geschmack. So etwas, vermute ich mal, wird dein potentieller Verlag schon unter dem Aspekt der Verkäuflichkeit mit dir klären.


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Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
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Lotta
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Beitrag10.11.2014 07:50

von Lotta
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Guten Morgen Rowling´s Stone,

Rowling's Stone hat Folgendes geschrieben:
Irina betrat das auf den Namen ‚Rising Hope‘ getaufte Hospital, ironischerweise mit dem Gefühl sich akkumulierender Verzweiflung.


Das "ironischerweise" sagt mir gleich im ersten Satz, was los ist und nimmt mir die Spannung.
Beim nochmaligen Lesen ist mir noch was eingefallen - ich würde die Spannung aufrechterhalten, indem ich sparsam mit "Irina will den sterben sehen", rausrücke. Unter anderem den "Gott-Satz"...

Herzlichen Gruß, Lotta
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Rowling's Stone
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Beitrag16.11.2014 19:51

von Rowling's Stone
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Lieber Einar Inperson,
danke für deine ausführliche Kritik!

Du hast Recht, ich bin mir auch  nicht sicher, ob das Fremdwort ‚akkumulierend‘ im ersten Satz nicht zu hochgegriffen ist, aber irgendwie fällt es mir so schwer, es zu streichen…ich klammer mich manchmal an Fremdwörter….

Genau, der Effekt sollte auch gar nicht durch die Amnesie entstehen, sondern dadurch, dass man spürt, dass Irina ihren Mann in hohem Maße fürchtet und, dass er an seinem Unfalltag etwas Bedeutendes erlebt haben muss…
Ich freu mich jedenfalls sehr, dass du mir die Irina so abkaufst und auch den Anfang gelungen findest.
Oh ja, gut dass du mich aufmerksam machst- normalerweise vermeide ich ja Wiederholungen, aber ab und zu übersieht man ja leider Einiges, grade wenn man so oft vor dem Bildschirm klebt …

Welches Rätsel wird für dich eigentlich im Beginn sichtbar und wieso würdest du sagen, ist es nicht Krimi-typisch? Smile

Ehrlich? Das finde ich interessant, dass einen HP-Liebhaber ausgerechnet der erste Band erschüttert hat. Vielleicht liegt es auch am Lesealter... Als ich den ersten Band verschlang, war ich erst zarte 11, haha! Immer gleichalt, wie Harry Wink Aber Rowlings Erzählkunst in der HP Welt steigerte sich schon bei zunehmender Handlung…

Ich wünschte, ich hätte einen potentiellen Verlag- bin auf der Suche Wink
Danke nochmal!
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Rowling's Stone
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Beitrag16.11.2014 19:53

von Rowling's Stone
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Liebe Lotta, entschuldige die späte Antwort! Da muss ich jetzt mal drüber nachdenken ob das passen würde, die Spannung an der Stelle noch weiter auszudehnen durch Weglassen dieser konkreten Informationen- Problematisch ist es finde ich, da man sich oftmals mit Informationen auch verzettelt, wenn man sie nicht rechtzeitig einstreut...danke für die Idee und Kritik! Smile
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Rowling's Stone
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Beitrag29.11.2014 18:37
Adams Apfel Part II
von Rowling's Stone
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Hallo liebe Kritiker und Forumsmitglieder Smile

jetzt dachte ich wird es mal Zeit eine Fortsetzung von meinem ersten Einstandsstück einzustellen und bin gespannt was ihr dazu sagt. Ich bedanke mich an dieser Stelle nochmal für für jede ehrliche, fleißige Kritik beim ersten Mal. Smile Wie gesagt, ein Krimi und aktuell schreibe ich auf Seite 63. Das hier ist jetzt Seite 5-11, bin also da nicht mehr ganz drin gedanklich, aber hab versucht es aktuell nochmal zu überarbeiten- viel Vergnügen (hoffentlich)!

Irinas Knie gaben nach und sie ließ sich nun dankbar auf den Stuhl sinken. Entgeistert starrte sie ihren Mann an. Er konnte sich tatsächlich nicht erinnern. Er war ein unbeschriebenes Blatt! Und wie er sie ansah- wie ein ungekannt infantiles Wesen! Wo war der berechnende, kühle Mensch, den sie kannte? Irina versuchte so gut es ging ihr Innenleben zu verbergen und schenkte ihm das erste ernstgemeinte Lächeln seit Jahren.
„Adam, natürlich bin ich das. Ich bin ja so froh…“
„Ich bin auch froh dich zu sehen!“, vervollständigte er ihren Satz, auch wenn es nicht das war, was sie im Sinn gehabt hatte. Er schien eine gewisse Erleichterung zu verspüren und lächelte ihr freundlich zu.
„Wie geht es dir?“ Irina betrachtete seine Blessuren mit unverhohlener Abscheu. Sie erinnerten sie unweigerlich an die ungewöhnlichen, ja abstoßenden Akte, die als ein unästhetisches, aber scheinbar unverwüstliches Band des Zusammenhalts zwischen ihr und Adam fungiert hatten und von die sie nur ein einziges, beschämendes Mal ihrer Schwester gegenüber angedeutet hatte.
„Die Schmerzen lassen langsam nach…“ Sein nüchterner Ton nahm dem Satz jegliche Wehleidigkeit. Sein Zögern ließ allerdings erkennen, dass ihm etwas anderes auf der Zunge lag. Irinas wachsame Augen schienen ihm den nötigen Ruck zu geben, um es auszuspucken. „Ich glaube, dass…“ Impulsiv sah er sich nach möglichen Lauschern um und senkte die Stimme.
„…dass ich verfolgt werde. Ich hab ständig dieses Gefühl, dass mir eine unsichtbare Hand im Nacken sitzt… und…dass ich nicht allein bin, selbst wenn ich es bin!“
Irina war verblüfft. So eine blumige Ausdrucksweise kannte sie von Adam nicht. Und schon gar nicht derartig offenherzige Mitteilungen.
„Hast du mit den Ärzten darüber gesprochen?“
Plötzlich lächelte er. „Ich weiß was sie mit einem machen, wenn man ihnen so etwas erzählt. Ich würde nach dem Krankenhausaufenthalt aber gern nach Hause kommen und nicht in eine Gummizelle…“
Irina zwang sich zu einem Lachen. Selbst in ihren eigenen Ohren klang es falsch. Nur gut, dass er ihre Gedanken nicht lesen konnte.
„Jetzt wo ich dich wirklich vor mir habe…“ Er legte den Kopf schief. „…du darfst es nicht falsch verstehen, aber… du bist nicht meine Frau.“ Es klang wie eine banale Feststellung, die kaum den bedeutungsschweren Inhalt erfasste. „Als sie mir gesagt haben, dass ich verheiratet bin, habe ich das für einen Scherz gehalten. Später fand ich diese Nachricht ganz wunderbar…“ Seine Augen leuchteten auf.
„Ich konnte nur nicht glauben, dass ich meine eigene Frau vergessen haben sollte. Ich war mir sicher, dass ich dich wiedererkennen würde. Aber jetzt sehe ich dich an und …und ich empfinde nichts. Ich kenne dich nicht!“
Adam sah traurig aus. Seine Worte verursachten einen Schmerz, den Irina nicht hatte kommen sehen. Sie presste die Lippen aufeinander, bis es weh tat, damit es den Schmerz übertünchte.
„Vielleicht könntest du deinen Kindern etwas anderes erzählen…“, stieß Irina mit brüchiger Stimme hervor, nicht anklagend.
„Oh Gott, ich habe Kinder? Eigene Kinder?“ Tränen sammelten sich nun in Adams Augen und Irina fühlte sich merkwürdig schuldig.
„Zwei, ja? Söhne?“
„Eine Tochter und einen Sohn. Anuschka ist neun und Ansgar elf…“
Adam begann leise zu weinen und Irina fühlte sich seltsam leer bei diesem Anblick. Schließlich hob sie zu einem schwachen Versuch der Beruhigung an.
„Die Ärzte sagen-“ Doch Adam ließ sie nicht zu Wort kommen. Unter Schluchzern würgte er hervor:
„Ich weiß, was sie…was sie…sagen…nach einem Schleudertrauma ist das ganz normal…ich…ich soll…soll geduldig sein…a-aber es fühlt sich wirklich falsch an.“
Nun hatte er sich wieder gefasst und klang wütend.
„ Nicht so, als hätte ich es bloß vergessen! So, als hätte ich es nie erlebt! Da muss es doch einen Unterschied geben! So, als hätte man mich einfach aus meinem alten Leben gerissen- “ Adam machte eine Handbewegung, als topfe er eine Pflanze um. „…und in ein fremdes Leben hineingesteckt.“
„Verstehst du?“, fügte er hoffend hinzu. Irina nickte schwach, doch insgeheim wusste sie, dass natürlich nur die Nachwirkungen des Unfalls aus ihrem Mann sprachen. Posttraumatische Belastungsstörung, nannten sie so etwas doch in Fachkreisen, oder? Zumindest hatte sie den Begriff schon ein paar Mal in den letzten Tagen aufgeschnappt, wenn sie in den Fluren nah an den Kolonien vorbei patrouilliert war, in denen die Ärzte immer zusammenstanden. Wie verschworene Sektenmitglieder, durch die weißen Kittel und ihrer ganz eigenen Sprache deutlich abgesetzt von der unwissenden Herde.
Sie glaubte zwischen Adams Sorgenfalten all die Fragen zu erkennen, die sich in den letzten Tagen dort angesammelt haben mussten. Sie konnte förmlich spüren, wie er ihr Gesicht mit seinen Augen abtastete, versuchte jedes Detail in sich aufzusaugen, bis die Dinge endlich wieder ihren angestammten Platz einnehmen würden. Doch das geschah nicht und bald ließ er sich frustriert in sein Kissen fallen und verzog das Gesicht vor Schmerz.
„Ich kann mich noch nicht mal an meine eigene Frau erinnern! An meine….Kinder!“
Irina fühlte sich so befangen wie eh und je in Adams Gegenwart. Die Situation schien so verschroben. Dieser Mann wollte die Existenz seiner Kinder beweinen? Das eigen Fleisch und Blut, das er jahrelang wie überflüssige Accessoires, wie Fremdkörper in einem viel zu großen Haus behandelt hatte?
„Du …du brauchst nur etwas Zeit…und dann-“, stotterte Irina, weil die alte Angst sie dazu trieb, ihren Mann beruhigen zu wollen. Sie stand auf und schritt ans Fenster, damit sie ihn nicht weiter ansehen musste.
Dann wird alles wieder wie früher, hätte sie beinah gesagt, biss sich jedoch auf die Zunge. Ihren schlimmsten Alptraum würde sie nicht laut aussprechen. Es erschien ihr wie eine gefährliche Gebetsformel. Und wenn sie nur so tat, als wäre nie etwas gewesen, vielleicht konnten sie dann wirklich von vorn anfangen. Ein neues, jungfräuliches Leben beginnen. Die Stille ließ den Raum zwischen Adam und ihr, auf ein unangenehm intimes Maß schrumpfen, daher zwang sich Irina sie mit nutzlosem Geplauder zu füllen.
„Ich…ich hab dir gar nichts mitgebracht, Liebling…aber ich sehe, Al hat sich ja schon um dich gekümmert…“ Sie konnte spüren, dass Adam sie verwirrt anstarrte. Das hätte er auch mit intaktem Gedächtnis getan, weil sie ihn schon seit mindestens zehn Jahren nicht mehr Liebling genannt hatte. Irina öffnete das Fenster, obwohl draußen noch immer die frostige Kälte des Januars herrschte.
„Wer ist Al?“
Irina zögerte. Die Verantwortung der erste Mensch zu sein, der mit dem amnestischen Adam nach seinem Koma sprach, war ihr bewusst. Doch vielmehr lag ihr ihre Entscheidung ihn nicht anzulügen, die sie längst getroffen hatte, wie eine Bleikugel im Magen. Es war gewiss eine sehr verlockende Vorstellung gewesen ein bisschen göttlicher Architekt in Adams Leben zu spielen und es nach ihrem Belieben umzudekorieren, durch das simple Verschweigen von Tatsachen. Doch sie konnte es nicht tun. Sie hätten umziehen müssen, vor der Wahrheit fliehen, wie gefahndete Sträflinge. Ein kläglicher Pyrrhussieg, wo doch Adams Erinnerung jederzeit zurückkehren konnte. Und wie groß wäre dann wohl seine Wut auf Irina? Nein, sie musste ehrlich zu ihm sein.
„Irina? Wer ist Al?“, wiederholte er und ließ sie ertappt zusammenzucken.
„Oh, entschuldige bitte…Al ist dein Galerist. Du kennst ihn schon viele Jahre.“ Der schmale Fensterspalt rationierte die eisige Luft die hereindrang und Irina sog sie gierig ein.
„Mein Galerist? Bin ich…bin ich ein Künstler?“
Nun wand sie sich wieder um, mit leuchtendem Gesicht.
„Und was für einer. Ein Superstar. Und das ist nicht als Floskel gemeint.“
„Oh…“ Bei dem Gedanken an so ein aufmerksamkeitsbehaftetes Dasein schien Adam mulmig zu werden. Sein Blick glitt besorgt in die Ferne, was Irina verwunderte, denn angesichts seiner früheren Obsession für Ruhm und Reichtum hätte sie eine andere Reaktion erwartet. Dann platzte es plötzlich aus ihm heraus:
„Ich weiß nicht mehr, was ich davor gemacht habe! Ich meine vor dem Unfall…aber da ist dieses nagende Gefühl…“ Er krallte seine gesunden Finger in die Decke und seine Lippen wurden zu einer weißen Linie.
„Es war wirklich…wirklich wichtig! Weißt du etwas darüber? Waren wir zusammen?“
Er streckte plötzlich die gesunde Hand nach Irina aus, als habe er Angst in einem Sumpf des Vergessens zu ertrinken und sie wich gewohnheitsmäßig zurück. Binnen Sekunden änderte sie ihre Meinung und schloss seine Hand in ihre. Plötzlich fühlte sie sich berauscht von einem nie dagewesenen Machtempfinden. Zum ersten Mal in ihrer Beziehung hatte sie ihn in der Hand. Buchstäblich. Einen guten Moment lang kostete sie seine Hilflosigkeit aus. Sie täuschte vor, über seine Frage nachdenken zu müssen.
„Du warst mit Al zusammen.“, antwortete sie schließlich wahrheitsgemäß. „Es gab etwas Geschäftliches zu besprechen und…er hat dich zu sich eingeladen. Du hast sehr früh das Haus verlassen- Al wohnt 40 Kilometer entfernt- und du hast mich mittags angerufen…du wolltest bald wieder zurück sein. Und dann…“ Sie ließ seine Hand wieder los. „Du weißt ja, was dann passiert ist“, schloss sie mit leiser Stimme und sah auf ihre Schuhspitzen.
„Mit Al…“, wiederholte er einige Male, als müsse er die Information wiederkäuen, damit sein Hirn sie verwerten konnte.
„Ich erinnere mich einfach nicht mehr!“, schrie er und verbarg das Gesicht in seiner gesunden Hand, in der er seine Wut erstickte. Irina zuckte erneut zusammen. Sie hatte nicht geahnt, welche Auswirkungen die Amnesie haben würde. Der Begriff allein war ihr recht unscheinbar vorgekommen. Harmlos. Wie trügerisch. Die Ärzte hatten ihr nur gesagt, dass sie ihm Zeit lassen solle. Dass sie ihm möglichst viele Impulse offerieren solle, damit die Erinnerungen so schnell wie möglich zurückkehren konnten. Dabei hatte sie an eine brave Hausfrau denken müssen, die ihrem Mann eine Auswahl ihrer besten, selbstgebackenen Pasteten auf einem Silbertablett serviert. Und sie hatte im Stillen gedacht, dass es nicht viel gab, wovon sie ihm erzählen wollte. Nicht Vieles, woran er sich erinnern sollte. Aber ihn nun so leiden zu sehen, empfand Irina als unerwartet kräftezehrend. Ja, er tat ihr Leid. Trotz allem. Denn sie hatte das Gefühl, dass dieser Mann, der da vor ihr kauerte nicht für seine vergangenen Taten verantwortlich gemacht werden konnte. Wie konnte sie ihn für etwas hassen, dass aus seinem Herzen getilgt worden war? Aber war es das wirklich? Konnte der Unfall ihn reingewaschen haben? Wiedergeboren? Sie musste ihm einfach diese Chance geben. Ihm, ihren Kindern, sich selbst. Auch wenn die Angst vor seinem zurückkehrenden Erinnerungsvermögen für unbestimmte Zeit wie ein Damoklesschwert über ihr hängen würde.
Adam sah sie mit tränennassem, verzerrtem und hochrotem Gesicht an und erinnerte sie an einen Säugling, der zu lange gebrüllt hatte.
„Tust du mir einen Gefallen?“
Diese einfachen Worte trafen die Frau wie eine schwere Faust in den Magen. Zu oft hatte Adam sie an sie gerichtet und niemals hatte es sich um eine Bitte gehandelt. Bei ihm waren diese Worte nur ein Euphemismus für den Zwang, den er ihr auferlegte. Stets hatten diese Worte etwas Schlimmes prophezeit. Ohne Vorwarnung stürzte Irina in das kleine Bad, neben der Tür. Sie musste sich übergeben. Sie glaubte auch nicht, dass es ihr besonders lautlos gelang. Doch was machte es schon. Wenn sie wieder an diesem Punkt angelangt waren, brauchten sie  kein Theater mehr zu spielen, konnten ihre Rollen ablegen, wie alte, verschlissene Häute und ihre hässliches Innenleben zeigen.
Irina ließ sich eiskaltes Wasser über die Pulsadern laufen, über die Hände und presste sie sich schließlich in den heißen Nacken. Das tat gut. Zittrig sank sie auf dem geschlossenen Klodeckel in sich zusammen und schloss die Augen. Der Thron der Feiglinge. Sie wollte lieber den Rest ihres Lebens auf diesen fünf Quadratmetern ausharren, als Adam wieder unter die Augen zu treten. Als er nach ihr rief, zuckte sie heftig zusammen und kehrte in die Realität zurück. Natürlich musste sie den Schutz dieses Bades wieder aufgeben und der Dringlichkeit in Adams Stimme nach zu urteilen, musste sie sofort. Sie warf noch rasch einen Blick in den Spiegel und erschrak über das, was er ihr als Spiegelung vorsetzte. Ihr Gesicht hatte die Blässe einer Leiche angenommen und die Augenringe traten darauf deutlich hervor. Der Zeitpunkt kein Makeup zu tragen war denkbar ungünstig gewählt. Doch für diesen Besuch hatte sie nicht hübsch sein wollen. Sie verließ das Bad mit mechanischen Bewegungen und kurz spielte sie mit dem Gedanken einfach auf den Flur hinauszurennen. Dort wimmelte es nur von Patienten und der Krankenhausbelegschaft und Adam würde ihr nicht folgen können. Aber das wäre eine sinnlose Flucht, denn schließlich würde er sie doch kriegen. Er kriegte sie immer. Und besser sie machte ihn nicht wütend, so kurz bevor er wieder nach Hause zurückkehrte. Als sie sich wieder Adam gegenüber auf den Stuhl setzte, fühlte sie sich wie eine seelenlose Puppe.
„Geht es dir nicht gut? Bist du krank?“
Die seelenlose Puppe konnte weder Adams Besorgnis noch sein Mitgefühl wahrnehmen, denn sie kannte so etwas nicht. Sie kannte nur Folter und Erniedrigung und darauf wartete sie jetzt gebannt, wie ein zu treuer Hund. Mit apathischem Blick und starrem Rückgrat existierte sie scheinbar sinnlos vor sich hin, bis die Sache vorbei sein würde.
„Irina?“ Adam setzte sich mühsam auf und schob seinen geschundenen Körper bis an den Bettrand, setzte sich dort hin, der seelenlosen Puppe gegenüber. Jetzt würde er sie gleich packen und das tun, was er tun musste. Adams Arm näherte sich Irina, scheinbar wie in Zeitlupe. Als er jedoch nichts weiter tat, als behutsam ihre Hand zu greifen, bröckelte die spröde Fassade der Puppe und Irina trat wieder in ihren Körper ein. Sämtliche angestauten Emotionen der vergangenen Stunden entluden sich nun in einem heftigen Weinkrampf, den sie nur aus sich herauslassen konnte, weil Adam sie in den Arm nahm. Ganz eindeutig handelte es sich wohl um eine Täuschung, eine Fata Morgana ihres überhitzten Gemütes. Vielleicht hatte er sie in Wahrheit auch schon halbtot geprügelt. Aber in der Scheinwelt, in der Adam ihr gerade sanft über den Rücken strich und seinen Kopf auf ihre Schulter legte, konnte und durfte sie weinen.
„Ich wollte dich vorhin bitten, mich in den Arm zu nehmen. Ich fühle mich so verlassen…so ausgestoßen…“, flüsterte Adam mit gebrochener Stimme, dicht an ihrem Ohr. Irina erwiderte seine Umarmung nun. Ja, dies war eindeutig eine Täuschung, eine Illusion…

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