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Salz


 
 
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Cephalopode
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 30
Beiträge: 15
Wohnort: Wien


Beitrag09.10.2014 18:06
Salz
von Cephalopode
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Hallo ich habe hier eine etwas längere Geschichte. Für die, die sich von dem Umfang nicht abschrecken lassen: Ich würde mich sehr über Verbesserungsvorschläge (egal ob es sich dabei um Details oder generelle Auffälligkeiten handelt) sehr freuen.

Der Schnitt, der die Fingerkuppe mit dem Knöchel verbindet, sendet bei Berührung Signale in den Kopf. Er ist im Vergleich mit dem stechenden Schmerz, den mir das vom besagten Finger betastete Schienbein mitteilt, relativ leicht zu ignorieren.  Abermals führe ich meine Hand an mein Bein und abermals wird mir, als würden klirrend kalte Nadeln versuchen sich durch den Knochen zu nähen. Meine Annahme bestätigt sich:  Es ist gebrochen. Ans Aufstehen ist nicht zu denken. Bei so einem Sturz verwundert mich nur, dass mein Körper einen so geringfügigen Schaden davongetragen hat. Ich zücke mein Mobiltelefon. Wie erwartet habe in 2800 Metern Höhe keinen Empfang.  Vielleicht hätte ich mich nicht abseits der bekannten Bergruten durch die Geröllfelder schlagen sollen. Mit Sicherheit wird in der nächsten Zeit kein Mensch hier vorbeikommen. Rufen wäre nur ein Mittel um meine Energie zu verschwenden. Ich kann mir nicht vorstellen hier, auf dem Plateau des Hochkönigs, umringt von Fels, dem schwindenden Gletscher und den Wolken einen Ausweg aus meiner Misere zu finden. Stattdessen stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, wenn ich hier sterben, der Gletscher wieder wachsen und mich verschlingen würde. Eingeschlossen im ewigen Eis wie ein Insekt im Harz könnte mein Körper für sehr lange Zeit erhalten bleiben. Ich male mir aus, nach einer absurden Zeitspanne von jahrhunderte-jüngeren Generationen durch das Abtauen meines Grabes gefunden zu werden. Die primitive Technologie in meinem Handy und meine rote Gore-Tex Windjacke könnten bei meinen Entdeckern zur allgemeinen Erheiterung durch den Fund beitragen. Danach wäre mein Körper wohl ein Objekt der Forschung.  Wissenschaftler würden wahrscheinlich ihre Zeit und eine beträchtliche Summe an Steuergeldern damit verschwenden, mit Hilfe meiner DNA nach nicht existierenden Nachfahren zu suchen. Der Gedanke ruft in mir etwas Schadenfreude hervor.
 
„Kann ich ihnen irgendwie behilflich sein?“ Ertönt hinter mir die Frage. Der horizontale Winkel den mein Halsgelenk zur Drehung erlaubt, reicht nicht aus um hinter mich zu sehen. Da ich mich auch schlecht rühren kann, muss ich also improvisieren. Ich lege den Kopf in den Nacken, ziehe meinen Blick in die Richtung meiner Stirn und habe mäßigen Erfolg. Der Boden ist jetzt nämlich über mir und daraus ragen zwei Beine hinunter in den Himmel. An ihnen baumelt ein Mann. Er trägt schwarze Lederschuhe mit flachen Absätzen, eine schwarze Anzughose und ein weißes, bis zum Kragen zugeknöpftes Hemd. Zudem hängt an seinem Hals noch eine mit einem senfgelben Gittermuster verzierte Krawatte. Ihr Grundton ist ein sanftes lavendel. Ein Anblick, den man in hochalpinen Regionen wohl selten zu Gesicht bekommt. Die Hand des Mannes hält einen schwarzen Aktenkoffer.                     „Nun sehen sie denn nicht, dass mir mein Umstand große Schmerzen bereitet und ich nicht in der Lage bin, mich fortzubewegen? Ich wäre ihnen sehr verbunden, nein, Ich bitte sie inständig, die Bergrettung zu rufen.“, keucht ihm mein Mund die Antwort entgegen. „Hilfe zu rufen steht leider nicht zur Option. Stattdessen habe ich ein anderes Angebot für sie. Ich sorge dafür, dass sie an den Fuß des Berges gebracht werden, wo sie sich dann ein Taxi rufen können.“ „Ja in Ordnung, nur helfen sie mir!“
In einer ruhigen Bewegung  stellt der Herr im Hemd seinen Aktenkoffer auf einem Felsbrocken ab. Mit beiden Händen an den Kanten legt er ihn auf den Stein und betätigt mit den Daumen beide Verschlüsse um den Koffer zu öffnen. Der Mann zieht zwei zusammengeheftete Dokumentbögen heraus und drückt sie mir in die Hand. In der Kopfzeile steht „Salz im Fels GmbH“. Das erste Blatt trägt den Titel: Verpflichtungserklärung zur Teilnahme an der betrieblichen Führung vor Ableistung des in Anspruch genommenem Hilfsdienstes. Meine Augenbrauen müssen den Fremden von meiner Verwunderung in Kenntnis gesetzt haben, da er mit der Erklärung nicht auf meine Frage wartet.              „Sie müssen hier  und hier (Bei jedem „hier“ setzt der Mann einen Finger auf die unterste Zeile jedes Blattes) mit ihrem Namen unterschreiben um den Hilfsdienst unserer Organisation in Anspruch zu nehmen. Mit der ersten Unterschrift nehmen sie eine detaillierte Führung durch das Firmenareal an.  Unter uns, es steht ihnen frei ob sie den zweiten Teil des Vertrags unterschreiben, da die in ihm behandelte Verschwiegenheitspflicht eigentlich nur eine Formalität ist.“ Man reicht mir einen Stift und ich setze meinen Namen an das Ende des ersten Zettels. Ich falte das Papier und stecke es in meine Tasche. Der Fremde hindert mich nicht daran. „Da das nun geklärt ist werde ich sie umgehend zum Firmensekretär begleiten. Er kümmert sich um den Rest.“, wird mir von dem Angestellten zugesichert. Der Herr klatscht zweimal in die Hände. Ohne Verzug treten zwei keuchende Gestalten in weißen Overalls hinter einem nahen Felsen hervor. Zwischen ihnen tragen sie eine Bahre, auf die sie mir hinaufhelfen müssen. Sie bringen mich auf eine vierkantige Plattform aus Stein. Dort lösen sie ihre Finger von den Griffen, worauf die Trage zu Boden fällt und mir der bedauernswerte Zustand meines Beines wieder in all seiner Pracht durch den herben Polterer des Aufpralls  vor Augen geführt wird.  Die Qual lähmt für einen Augenblick mein Zwerchfell. Aus tränenden Augenwinkeln sehe ich, wie meine Träger in ihrer Gleichgültigkeit wieder im Geröllwald verschwinden. Der Herr im Hemd steht nun wieder neben mir. „Im Namen der „Salz im Fels GmbH“ möchte ich sie nun offiziell durch meinen Posten als Vizesekretär auf unserem Firmengelände willkommen heißen. Jetzt geht es abwärts.“

Die letzten Silben werden kaum vom Berg-wind erfasst, schon beginnt sich das Plateau mit rasender Geschwindigkeit zu senken. Dabei entsteht ein ohrenbetäubendes Grollen. Es klingt, als hätte jemand Walgesang mit kantigen Steinen in einen Wäschetrockner gesteckt. Nur ist es um ein vielfaches lauter. Der Vizesekretär steht mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben mir als würde er den Lärm nicht wahrnehmen, während uns der Schacht in Schwärze und Krach hüllt. Die Öffnung ober mir ist nicht mehr sichtbar. Bei dem beharrlichen  Erschüttern der Umgebung bin ich mir nicht einmal mehr sicher, dass ich mich nach unten bewege. Möglicherweise steht der Aufzug sogar still, und nur der Berg schaudert noch.  Das schattengeschwärzte Kalksediment kämpft mit sich selbst. Es lässt meine Knochen in Resonanz mitschwingen. Langsam ebbt das Beben ab und kommt zur Gänze zum Erliegen. Eine Reihe Wandlaternen flackern auf und erhellen den mit Holz ausgekleideten Korridor zu meiner Linken. Wieder ruft der Fremde durch sein Klatschen die Träger. Diesmal erscheint nur einer von ihnen. Er schiebt einen Rollstuhl. Zwei schwielige Hände umfassen meine Oberarme und ich werde wie eine Puppe auf der Sitzfläche positioniert. Dieselben Hände setzen das Gefährt in Bewegung und ich muss meine unteren Gliedmaßen auf die Beinstützen schaffen um nicht unter das Gefährt gezogen zu werden. Am Ende des Ganges öffnen sich zwei Flügel einer Tür. Ein Vorderrad stößt sich an der Schwelle und sendet den Impuls über den verletzten Ausläufer meines Rückenmarks durch die Basis meines Schädels. Meine Fingerkuppen stecken im Polster der Armlehne. Der nächste Hieb trifft mich, wie das Rad unter mir den dunklen Hartholzboden, im angrenzenden Raum.  Ein Eckzahn bricht an seinem Gegenstück. Ich schlucke den Splitter.
„Wir haben einen Besucher der Interesse an unserer Führung zeigt.“, verkündet der Vizesekretär. Erst jetzt nehme ich einen Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers wahr. Darüber heben sich  zwei ledrige Augenlider über den Rand einer Hornbrille. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du mir Bescheid geben sollst, wenn du jemanden zu mir schickst?“, schmettert uns der Mann am Schreibtisch seine Frage entgegen. Das Blut sackt aus dem Gesicht des Vizesekretärs. „Nun, ich äh…. Das… das tu ich doch gerade.“ „Geh mir aus den Augen!“ In der Peripherie meines Sichtfeldes schießt die pastellfarbene  Krawatte auf den Gang hinaus. Im Raum bleibt das Echo hastiger Schritte und ein genuscheltes „T´schuldige Chef.“ Es wird von einem „Und schließ gefälligst die Tür!“ geschluckt. Das Stofftuch in Lavendel kommt zurück und setzt das Wort in die Tat um. Die Augen des Herrn hinter dem Tisch sind nun gänzlich auf mich gerichtet. „Der Dummkopf soll sich aufhängen an dem scheußlichen Fetzen um seinen Hals. Nun gut jetzt zu ihnen. Ich besetze hier den Posten des Sekretärs und bin gleichzeitig das stellvertretende Oberhaupt unseres Betriebs. Man hat sie wohl über unsere Firmenpolitik aufgeklärt. Wenn sie nun so freundlich wären, mir den Vertrag zu überreichen.“  
Ich habe den Träger hinter mir schon vergessen und es überrascht es mich, so unvermittelt an den Tisch geschoben zu werden.  Ich bin jetzt so nahe an der Person hinter der Holzplatte, dass ich sehen kann, wie sich eine Hautschuppe von ihrer fleckigen Kopfhaut löst und im drahtigen Geflecht der spärlich gestreuten Haare hängen bleibt. Hinter mir quietschen Scharniere. Jemand hat den Raum verlassen. Meine Hand fährt seitlich meinen Körper hinab, bis sie in der Hosentasche hängen bleibt. Beim Herausfahren sind zwei gefaltete Blätter zwischen den Daumen und die ausgestreckten Finger geklemmt. Ich reiche dem Sekretär den Vertrag. Er schiebt sich mit der Rechten die Brille hoch, hält das Papier vor sein Gesicht und verzieht den Mund, bevor er es auffaltet und auf der Arbeitsfläche ausbreitet.  Wortlos blättert er zur zweiten Seite. „Die Unterschrift zur Verschwiegenheitspflicht fehlt. Das ist alles andere als gewissenhaft. So eine Schlamperei kann in diesem Betrieb nicht geduldet werden.“, höre ich ihn vor sich hinmurmeln. Blitzartig zucken seine Pupillen von der Tinte weg und treffen meinen Blick. Ich blinzle. „Der Vertrag scheint in Ordnung zu sein. Vor meinem Büro wird sie der Techniker erwarten und mit der Führung beginnen. Sie können jetzt gehen.“ Das letzte Wort wird von einem einzigen hochgezogenen Mundwinkel begleitet. Eigenhändig setze ich die Räder des Rollstuhls in Bewegung und fahre in den Korridor. Dabei achte ich auf die Türschwelle.
 
 Zu meiner linken führt eine Tür über eine Rampe abwärts in eine benachbarte Halle. Ich gleite den Aufgang hinab und befinde mich vor meterhohen Regalreihen die bis zur Decke mit Holzkisten gefüllt sind. Zumindest ist das meine Annahme, da das bleiche Licht der Leuchtröhren an der Wand hinter mit nicht ausreicht um dem Raum eine vertikale Grenze zu setzen. Auch die Enden der einzelnen Reihen sind nicht auszumachen. Schnelle Schritte und hektisches Keuchen dringen aus der Dunkelheit. Nach wenigen Sekunden sehe ich einen rostrot gekleideten Mann auf mich zu stolpern.  „Ich…!“ Der Unbekannte unterbricht seine Ansprache um nach schweren Atemzügen fortzusetzen. „…wurde soeben informiert, dass sie die Führung mitmachen. Und bitte, bitte, BITTE! Ich flehe sie an niemandem zu erzählen, dass ich sie warten habe lassen. Sehen sie, ich bin nur ein armer Techniker unter vielen in dieser Firma und brauche meinen Beruf. Aber sie scheint das wohl nicht zu interessieren. Sie sind ja nur ein Beobachter.“ Ohne auf eine Antwort zu warten schiebt er sich an mir vorbei und eilt er an mir vorbei. Wortlos folge ich ihm zwischen die Regale. Der Rollstuhl passt, wegen den hervorstehenden Kisten nur knapp zwischen die Fächer, sodass ich mit den Handflächen die Reifen wälzen muss, um mir nicht die Finger einzuklemmen. Der Staub des Bodens vermischt sich mit dem getrockneten Blut zu einem kratzigen Film auf meiner Haut und jedes Mal, wenn ein Rad an den Wänden hängen bleibt, ist mir, als würde der Weg enger werden. Die vernagelten Holzbretter zu meinen Seiten zu berühren wage ich nicht. Auf ihren Querverstrebungen lese ich in schwarzen Blockbuchstaben „Eigentum der Salz im Berg GmbH“  Vielleicht stehen die Metallgestelle auch in einem kaum merkbaren Winkel zueinander und schließen mich ein, sobald ich meinen Führer verliere. Kurz bevor uns die Dunkelheit zu verschlucken droht, zieht der Techniker eine Taschenlampe aus seinem Werkzeuggürtel und erleuchtet den schmalen Gang zwischen den Reihen.                           
 „Bleiben sie dicht hinter mir. Ich würde sie nur ungern im Finsteren verlieren. Sehen sie, die Firma muss den Großteil der Lagerhalle aus Kostengründen unbeleuchtet lassen. Und weil diese sehr groß ist, wäre die Suche nach ihnen sehr mühsam. In den Kisten hier wird übrigens das Salz gelagert.“ Ohne ein Wort zu wechseln schieben wir uns für eine Zeitspanne die wie eine Ewigkeit wirkt weiter durch den beengenden Spalt. Zum fehlenden Platz tut die Stille ihr übriges. Wären nicht die Schritte des Technikers und das abgehackte Raspeln der Griffe meiner Räder an den Kisten zu vernehmen, man könnte meinen das Gehör verloren zu haben. Erst als das Klicken der Taschenlampe vor mir meine, vom Schrappen und Stampfen in Trance versetzten Trommelfelle aus dem Takt bringt, erkenne wie ein schwacher Lichtschacht seinen Weg durch die Regale sucht. Ein Stück weiter und die lichtleere Schlucht liegt hinter mir. Der Unrat des Bodens hat meine Hände wie Schimmel bis zu den Nagelbetten befallen. Angewidert packe ich die Schmutzschicht am Handgelenk und ziehe sie in einem Stück ab. Dasselbe widerhole ich für die andere Hand und lasse die pelzigen Abdrücke neben mir auf den Boden fallen.               
Unter der Lampe auf die wir zugegangen sind, befindet sich eine Stahltür von beachtlicher Größe. In ihrer Mitte findet sich ein Rad, das dem Steuer eines Schiffes ähnelt. Der Techniker umschließt einen der Griffe des Rades mit der Hand und dreht seinen Kopf zu mir. „Im Normalfall würde ich ihnen raten, beim Durchqueren der Produktionsstätte im nächsten Raum die Hände fest auf die Ohren zu pressen. Das ist in ihrem Fall wohl leider nicht möglich. Darum müssen wir uns beeilen, sonst könnten sie zu Schaden kommen. Der Weg durch die Halle ist nicht besonders lang, trotzdem sollten sie schon vorfahren, während ich den Eingang wieder verschließe.“ Er dreht das Rad dreimal gegen den Uhrzeigersinn. Nach der dritten Umdrehung rasten die Riegel mit einem dumpfen Klicken im Mechanismus der Tür ein. Der Techniker schafft es gerade noch aus dem Weg zu springen, bevor die Stahlplatte von einem blendenden Lärm aufgestoßen wird. Ich weiß nicht, wie ich es in den Raum schaffe, denn der Krach ist von so unbeschreiblicher Lautstärke, dass ich jeden einzelnen Knochen in meinem Körper bis unter die Schädeldecke vibrieren spüre. Der Klang ist das Brüllen, Wimmern, Keifen und Heulen tausender Menschen vermischt mit dem Zischen und Rattern von unter großen Druck arbeitenden Maschinen. Keifende Düsen, begleitet durch das Schaben von Metall an Metall und im Kern sind die unzähligen Stimmen zu solch einer Kakophonie überlagert, dass sich nicht eine einzige Silbe erkennen lässt. Es scheint als würden sie sich im Inneren gigantischer Kupferkessel bekriegen und dadurch ein monströses Hämmern erzeugen. Ich presse meine Hände, so fest ich kann an die Ohren um den Lärm wenigstens zu einem Teil auszuschließen. Es gelingt mir nicht. Der donnernde Schall bricht einfach durch die Finger um sein Sperrfeuer auf den Trommelfellen zu entladen. Mir ist, als würde das geballte Leid der Menschheit auf mich einwirken. In verschwommenen Bildern sehe ich die Produktionsanlage. Mit Kabeln an der Decke befestigt, hängt eine fleischfarbene Sphäre mit unregelmäßiger Oberfläche. Von ihr gehen organische Schläuche aus die sich wie Tentakel um zylindrische Pressen wickeln, welche durch ein kompliziertes Rohrleitungssystem einen kugelförmigen Tank in der Mitte der Halle speisen. Nur dadurch, dass sich das Bild verschiebt nehme ich wahr, dass jemand meinen Rollstuhl hinter sich her und schließlich aus der Halle schleift.  Der Techniker stemmt sich gegen die zweite Stahltür und schafft es mit Mühe sie zu schließen. Der Lärm verstummt schlagartig und nur noch ein leiser Pfeifton in meinen Ohren bleibt. „Das war schon verdammt knapp, ich hab sie doch gewarnt in meiner Nähe zu bleiben!“ Ohne auf den Tadel einzugehen platze ich heraus: „Was war das für ein „Ding“ an der Decke?“  „Das weiß ich nicht und es geht mich auch nichts an. Darum kümmert sich ein anderer. Muss es mit Daten füttern oder sowas. Ich bin nur für die Pressen und Reaktionsgefäße zuständig. Wenn die Anlage nicht in Betrieb ist enthalten sie bis auf das Salz keine Rückstände.“ Antwortet er mir in einem schroffen Tonfall. „Die Führung ist zu Ende, sie haben mir schon genug Ärger eingehandelt. Gehen sie durch die Tür dort hinten und dann nach links.“ Er deutet auf die Wand hinter mir. Ich drehe mich um und fahre den Raum entlang. Dieser ist nicht besonders breit und ich finde den Ausgang auf Anhieb.

Zu meinem Erstaunen führt er mich wieder in den Korridor durch den ich in die Firma gekommen bin. Durch eine Vorwärtsdrehung des rechten Rades meines Rollstuhls wende ich mich dem Büro des Sekretärs zu und nähere mich dem Eingang, der mich wie ein beim Gähnen offen stehender Mund empfängt. Wieder verkantet sich das Vorderrad der Beinstütze an der Türschwelle und lässt mich unwillkürlich zusammenfahren. Diesmal schützt die Lippe meine Zähne. Der Sekretär hinter dem Schreibtisch deutet mir mit vier Fingern, näher zu kommen. Ich lasse ihn nicht warten. „Nun gut, sie haben die Führung schon fast hinter sich gebracht. Ich hoffe, man hat ihnen auch erklärt, wie genau die Gewinnung unserer Güter von statten geht oder?“
Ich verneine.
„Was für eine Sauerei, wozu hat man denn überhaupt Angestellte wenn man zum Schluss alles selbst machen muss. Aber damit will ich sie jetzt nicht langweilen. Zwischen uns gibt es dringlichere Angelegenheiten zu besprechen. Ist ihnen die Redewendung „Jemandem einen gesalzenen Brief schreiben“ geläufig?“
Ich bejahe.
„Der Extractor, das ist die kugelförmige Maschine die sie wohl an der Decke der Produktionsstätte bemerkt haben, lässt sich einerseits mit materiellen Dingen, wie zum Beispiel Briefen, oder aber auch mit digitalen Daten füttern. Es stellt sich nun heraus, dass er in der Lage ist, Emotionen in eine materielle Form umzuwandeln. Diese sind unser Salz. Und die negativen, die werfen besonders viel Erzeugnis ab. Dieses Verkaufen wir dann weiter an Supermarktketten, Restaurants, Fastfood Ketten und jeden, der  am Wochenende ein gut gewürztes Schnitzel essen möchte. Also sammeln wir alles, was den Menschen so belastet. Dazu gehören Drohbriefe, Beschwerdemails, Aufzeichnungen von Selbsthilfehotlines und Psychologen, und wenn jemand sich dazu entscheidet seinen Unmut in ein Sackerl zu reden und es seinen Mitmenschen vor die Tür zu stellen, dann holen wir uns auch das. Das besondere an unserem Salz ist, dass es die Information aus der es entsteht auch behält und auf seine Konsumenten überträgt. Das bedeutet, dass das kostbare Leid nicht einfach bei uns im Berg versickert, sondern gleich wieder an die nächste unbescholtene Frohnatur weitergegeben wird. Dadurch kommt unser Rohstoff außerdem unverbraucht wieder zu uns zurück. Unser Geschäftsmodell ist einfach perfekt! Doch nun zu ihnen. Alles, was sie jetzt noch tun müssen um diese Führung erfolgreich abzuschließen ist, ihre Gedanken zu unserer Firma und ihrem Aufenthalt, sowie es dazu gekommen ist auf das Blatt Papier vor sich zu schreiben.“

Mein Magen fühlt sich an als würde man ihn wie ein nasses Kleidungsstück gegen seine Enden verdrehen. Mit zusammengepressten Kiefern zische ich durch die Lücke in meiner Zahnfront: „Das kann ich nicht zulassen! Weder, dass sie meine Schmerzen an die Welt weitergeben noch, dass ihre abscheuliche Firma durch mich an weiteren Gewinn kommt. Ich weigere mich auch nur eine geschriebene Silbe in ihrem Büro zu lassen.“
Der Sekretär verzieht belustigt die Mundwinkel. „Aber wie ich sehe, haben sie keine andere Wahl, als genau das zu tun. Das schriftliche Feedback ist für das Beenden der Führung obligat. Und die Führung unvollendet zu lassen würde bedeuten, dass sie den Vertrag, welchen sie vor ihrer Ankunft unterschrieben haben, brechen. Sehen sie, wenn sie diesen Zettel nicht ausfüllen sehe ich mich gezwungen, sie wieder dorthin zurückzuschicken, woher sie gekommen sind.“
„So muss es dann wohl sein“ antworte ich trocken.
Das Gesicht des Anderen verzerrt sich zu einer wütenden Grimasse. Sein Zeigefinger formt eine Klaue und hämmert auf die im Schreibtisch eingefasste Klingel.
Ohne, das meine Augen das Eintreffen erfassen können steht nun ein Mann in ein Hemd gekleideter Mann neben dem Sekretär. Ich erkenne die Krawatte, jedoch nicht das Gesicht an dem sie hängt. „Es handelt sich um einen Vertragsbruch!“, bellt ihm der Sekretär aus unmittelbarer Entfernung ins Gesicht. Der im Hemd klatscht wieder zweimal und durch die Tür stürmt ein Träger, welcher mich ohne weitere Befehle an der Hüfte packt und über die Schulter schwingt. Mit seiner neuen Fracht stürzt er in den Gang hinaus und läuft auf den Lift zu. Kurz davor biegt er rechts in ein Treppenhaus ab und rast in Windeseile die Stufen hinauf. Er trägt mich durch eine Falltür hinauf aufs Plateau des Berges. Oben angekommen wirft er mich achtlos in eine Schlucht und verschwindet wieder. Da liege ich jetzt, umringt von Felsen, dem schwindenden Gletscher und den Wolken und hoffe, dass mich eines Tages doch noch das Eis einschließt. Ich drehe meinen Kopf und kann in der Nähe einen Stein erkennen, der einen leeren Aktenkoffer präsentiert.

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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag09.10.2014 20:39
Re: Salz
von Constantine
Antworten mit Zitat

Hallo Cephalopode,

danke für deinen Einstandstext und deine skurrile Kurzgeschichte des verschollenen Bergsteigers, der sehr prinzipientreu ist und nicht alles mitmacht. Auch wenn sein Leben daran hängt. Fein.

Was ich teilweise als schwierig sehe, ist dein Anspruch, dem Leser alles ganz genau beschreiben zu wollen und dabei verlierst du für mich an Spannung und Atmosphäre und "verhaspelst" dich mit langen Sätzen und vielen vielen Details. Da könntest du dich etwas zurücknehmen, damit deine Geschichte etwas Freiheit atmen kann und du dem Leser etwas mehr Raum für eigene Bilder lässt. Ich denke, davon würde deine Geschichte ungemein profitieren.

Zu deinem Text:
Cephalopode hat Folgendes geschrieben:


Der Schnitt, der die Fingerkuppe mit dem Knöchel verbindet, sendet bei Berührung Signale in den Kopf. <-- der Einstiegssatz könnte direkter sein. Mir ist er zu distanziert vom Protagonisten. Er ist im Vergleich mit dem stechenden Schmerz, den mir das vom besagten Finger betastete Schienbein mitteilt, relativ leicht zu ignorieren.  Abermals führe ich meine Hand an mein Bein und abermals wird mir, als würden klirrend kalte Nadeln versuchen sich durch den Knochen zu nähen. Meine Annahme bestätigt sich:  Es ist gebrochen. Ans Aufstehen ist nicht zu denken. Bei so einem Sturz verwundert mich nur, dass mein Körper einen so geringfügigen Schaden davongetragen hat. Ich zücke mein Mobiltelefon. Wie erwartet habe ich in 2800 Metern Höhe keinen Empfang.  Vielleicht hätte ich mich nicht abseits der bekannten Bergruten durch die Geröllfelder schlagen sollen. Mit Sicherheit wird in der nächsten Zeit kein Mensch hier vorbeikommen. Rufen wäre nur ein Mittel um meine Energie zu verschwenden. Ich kann mir nicht vorstellen hier, auf dem Plateau des Hochkönigs, umringt von Fels, dem schwindenden Gletscher und den Wolken einen Ausweg aus meiner Misere zu finden. Stattdessen stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, wenn ich hier sterben, der Gletscher wieder wachsen und mich verschlingen würde. Eingeschlossen im ewigen Eis wie ein Insekt im Harz könnte mein Körper für sehr lange Zeit erhalten bleiben. Ich male mir aus, nach einer absurden Zeitspanne von jahrhunderte-jüngeren Generationen durch das Abtauen meines Grabes gefunden zu werden. Die primitive Technologie in meinem Handy und meine rote Gore-Tex Windjacke könnten bei meinen Entdeckern zur allgemeinen Erheiterung durch den Fund <-- "Entdeckern" und "durch den Fund" finde ich doppeltgemoppelt. beitragen. Danach wäre mein Körper wohl ein Objekt der Forschung.  Wissenschaftler würden wahrscheinlich ihre Zeit und eine beträchtliche Summe an Steuergeldern damit verschwenden, mit Hilfe meiner DNA nach nicht existierenden Nachfahren zu suchen. Der Gedanke ruft in mir etwas Schadenfreude hervor.
 
„Kann ich ihnen Ihnen irgendwie behilflich sein?“ Ertönt hinter mir die Frage. Der horizontale Winkel(Komma) den mein Halsgelenk zur Drehung erlaubt, reicht nicht aus(Komma) um hinter mich zu sehen. Da ich mich auch schlecht rühren kann, muss ich also improvisieren. Ich lege den Kopf in den Nacken, ziehe meinen Blick in die Richtung meiner Stirn und habe mäßigen Erfolg. Der Boden ist jetzt nämlich über mir und daraus ragen zwei Beine hinunter in den Himmel. An ihnen baumelt ein Mann. Er trägt schwarze Lederschuhe mit flachen Absätzen, eine schwarze Anzughose und ein weißes, bis zum Kragen zugeknöpftes Hemd. Zudem hängt an seinem Hals noch eine mit einem senfgelben Gittermuster verzierte Krawatte. Ihr Grundton ist ein sanftes lavendel. Ein Anblick, den man in hochalpinen Regionen wohl selten zu Gesicht bekommt. Die Hand des Mannes hält einen schwarzen Aktenkoffer.
„Nun sehen sie Sie denn nicht, dass mir mein Umstand große Schmerzen bereitet und ich nicht in der Lage bin, mich fortzubewegen? Ich wäre ihnen sehr verbunden, nein, Ich bitte sie inständig, die Bergrettung zu rufen.“, keucht ihm mein Mund die Antwort entgegen. <-- sehr distanziert formuliert. Warum nicht "keuche ich ihm entgegen"?  „Hilfe zu rufen steht leider nicht zur Option. Stattdessen habe ich ein anderes Angebot für sie. Ich sorge dafür, dass sie an den Fuß des Berges gebracht werden, wo sie sich dann ein Taxi rufen können.“ „Ja in Ordnung, nur helfen sie mir!“
In einer ruhigen Bewegung  stellt der Herr im Hemd seinen Aktenkoffer auf einem Felsbrocken ab. Mit beiden Händen an den Kanten legt er ihn auf den Stein und betätigt mit den Daumen beide Verschlüsse(Komma) um den Koffer zu öffnen. Der Mann zieht zwei zusammengeheftete Dokumentbögen heraus und drückt sie mir in die Hand. In der Kopfzeile steht „Salz im Fels GmbH“. Das erste Blatt trägt den Titel: Verpflichtungserklärung zur Teilnahme an der betrieblichen Führung vor Ableistung des in Anspruch genommenem n Hilfsdienstes. Meine Augenbrauen müssen den Fremden von meiner Verwunderung in Kenntnis gesetzt haben, da er mit der Erklärung nicht auf meine Frage wartet.
„Sie müssen hier  und hier (Bei jedem „hier“ setzt der Mann einen Finger auf die unterste Zeile jedes Blattes) mit ihrem Namen unterschreiben(Komma) um den Hilfsdienst unserer Organisation in Anspruch zu nehmen. Mit der ersten Unterschrift nehmen sie eine detaillierte Führung durch das Firmenareal an.  Unter uns, es steht ihnen frei ob sie den zweiten Teil des Vertrags unterschreiben, da die in ihm behandelte Verschwiegenheitspflicht eigentlich nur eine Formalität ist.“ Man Er reicht mir einen Stift und ich setze meinen Namen an das Ende des ersten Zettels. Ich falte das Papier und stecke es in meine Tasche. Der Fremde hindert mich nicht daran. <-- warum sollte er ihn hindern? „Da das nun geklärt ist(Komma) werde ich sie umgehend zum Firmensekretär begleiten. Er kümmert sich um den Rest.“, wird mir von dem Angestellten zugesichert sichert mir der Angestellte zu. Der Herr klatscht zweimal in die Hände. Ohne Verzug treten zwei keuchende Gestalten in weißen Overalls hinter einem nahen Felsen hervor. Zwischen ihnen tragen sie eine Bahre, auf die sie mir hinaufhelfen müssen. Sie bringen mich auf eine vierkantige Plattform aus Stein. Dort lösen sie ihre Finger von den Griffen, worauf die Trage zu Boden fällt und mir der bedauernswerte Zustand meines Beines wieder in all seiner Pracht durch den herben Polterer des Aufpralls  vor Augen geführt wird.  Die Qual lähmt für einen Augenblick mein Zwerchfell. <-- sehr extern formuliert. Du könntest näher an deinen Protagonisten ran gehen. Aus tränenden Augenwinkeln sehe ich, wie meine Träger in ihrer Gleichgültigkeit wieder im Geröllwald verschwinden. Der Herr im Hemd steht nun wieder neben mir. „Im Namen der „Salz im Fels GmbH“ möchte ich sie nun offiziell durch meinen Posten als Vizesekretär auf unserem Firmengelände willkommen heißen. Jetzt geht es abwärts.“

Die letzten Silben werden kaum vom Berg-wind erfasst, schon beginnt sich das Plateau mit rasender Geschwindigkeit zu senken. Dabei entsteht ein ohrenbetäubendes Grollen. Es klingt, als hätte jemand Walgesang mit kantigen Steinen in einen Wäschetrockner gesteckt. Nur ist es um ein vielfaches lauter. Der Vizesekretär steht mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben mir als würde er den Lärm nicht wahrnehmen, während uns der Schacht in Schwärze und Krach hüllt. Die Öffnung ober mir ist nicht mehr sichtbar sehe ich nicht mehr. Bei dem beharrlichen  Erschüttern der Umgebung bin ich mir nicht einmal mehr sicher, dass ich mich nach unten bewege. Möglicherweise steht der Aufzug sogar still, und nur der Berg schaudert noch.  Das schattengeschwärzte Kalksediment kämpft mit sich selbst. Es lässt meine Knochen in Resonanz mitschwingen. <-- liest sich auch sehr extern. Langsam ebbt das Beben ab und kommt zur Gänze zum Erliegen. Eine Reihe Wandlaternen flackern auf und erhellen den mit Holz ausgekleideten Korridor zu meiner Linken. Wieder ruft der Fremde durch sein Klatschen die Träger. Diesmal erscheint nur einer von ihnen. Er schiebt einen Rollstuhl. Zwei schwielige Hände umfassen meine Oberarme und ich werde wie eine Puppe auf der Sitzfläche positioniert. Dieselben Hände setzen das Gefährt in Bewegung und ich muss hebe meine unteren Gliedmaßen auf die Beinstützen schaffen(Komma) um nicht bevor sie unter das Gefährt gezogen zu werden. Am Ende des Ganges öffnen sich zwei Flügel einer Tür. Ein Vorderrad stößt sich an der Schwelle und sendet den Impuls über den verletzten Ausläufer meines Rückenmarks durch die Basis meines Schädels. Meine Fingerkuppen stecken Ich kralle mich im Polster der Armlehne fest. Der nächste Hieb trifft mich, wie das Rad unter mir den dunklen Hartholzboden, im angrenzenden Raum.  Ein Eckzahn bricht an seinem Gegenstück und bricht mir einen Eckzahn ab. Ich schlucke den Splitter.
„Wir haben einen Besucher(Komma) der Interesse an unserer Führung zeigt.“, verkündet der Vizesekretär. Erst jetzt nehme ich einen Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers wahr. Darüber heben sich  zwei ledrige Augenlider über den Rand einer Hornbrille. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du mir Bescheid geben sollst, wenn du jemanden zu mir schickst?“, schmettert uns der Mann am Schreibtisch seine Frage entgegen.
Das Blut sackt aus dem Gesicht des Vizesekretärs. „Nun, ich äh…. Das… das tu ich doch gerade.“
„Geh mir aus den Augen!“
In der Peripherie meines Sichtfeldes schießt die pastellfarbene  Krawatte auf den Gang hinaus. Im Raum bleibt das Echo hastiger Schritte und ein genuscheltes „T´schuldige Chef.“ Es wird von einem „Und schließ gefälligst die Tür!“ geschluckt. Das Stofftuch in Lavendel <--warum diese Umschreibungen für den Vizesekretär? kommt zurück und setzt das Wort in die Tat um. Die Augen des Herrn hinter dem Tisch sind nun gänzlich auf mich gerichtet.
Der Dummkopf soll sich aufhängen an dem scheußlichen Fetzen um seinen Hals Der Dummkopf soll sich an dem scheußlichen Fetzen um seinen Hals aufhängen. Nun gut jetzt zu ihnen. Ich besetze hier den Posten des Sekretärs und bin gleichzeitig das stellvertretende Oberhaupt unseres Betriebs. Man hat sie wohl über unsere Firmenpolitik aufgeklärt. Wenn sie nun so freundlich wären, mir den Vertrag zu überreichen.“  
Ich habe den Träger hinter mir schon vergessen und es überrascht es mich, so unvermittelt an den Tisch geschoben zu werden.  Ich bin jetzt so nahe an der Person hinter der Holzplatte, dass ich sehen kann erkenne, wie sich eine Hautschuppe von ihrer der fleckigen Kopfhaut meines Gegenübers löst und im drahtigen Geflecht der spärlich gestreuten Haare hängen bleibt. Hinter mir quietschen Scharniere. Jemand hat den Raum verlassen. Meine Hand fährt seitlich meinen Körper hinab <-- sehr extern. Wie wäre es mit: Ich fahre mir seitlich hinab, bis sie ich in die Hosentasche hängen bleibt greife. Beim Herausfahren sind ziehe ich zwischen Daumen und Zeigefinger zwei gefaltete Blätter hervor zwischen den Daumen und die ausgestreckten Finger geklemmt. Ich reiche dem Sekretär den Vertrag. Er schiebt sich mit der Rechten die Brille hoch, hält das Papier vor sein Gesicht und verzieht den Mund, bevor er es auffaltet und auf der Arbeitsfläche ausbreitet.  Wortlos blättert er zur zweiten Seite. „Die Unterschrift zur Verschwiegenheitspflicht fehlt. Das ist alles andere als gewissenhaft. So eine Schlamperei kann in diesem Betrieb nicht geduldet werden.“, höre ich ihn vor sich hinmurmeln <-- da du stets in der Perspektive des Protagonisten bist, kannst du auf "hörte ich" verzichten. Wie wäre es mit: , murmelte er (vor sich hin). Blitzartig zucken seine Pupillen von der Tinte weg und treffen meinen Blick fixieren mich. Ich blinzle. „Der Vertrag scheint in Ordnung zu sein. Vor meinem Büro wird sie der Techniker erwarten und mit der Führung beginnen. Sie können jetzt gehen.“ Das letzte Wort wird von einem einzigen hochgezogenen Mundwinkel begleitet. Eigenhändig setze ich die Räder des Rollstuhls in Bewegung und fahre in den Korridor. Dabei achte ich auf die Türschwelle.
 
Zu meiner linken führt eine Tür über eine Rampe abwärts in eine benachbarte Halle. Ich gleite den Aufgang hinab und befinde mich vor meterhohen Regalreihen(Komma) die bis zur Decke mit Holzkisten gefüllt sind. Zumindest ist das meine Annahme vermute ich das/nehme ich das an, da das bleiche Licht der Leuchtröhren an der Wand hinter mit nicht ausreicht(Komma) um dem Raum eine vertikale Grenze zu setzen. Auch die Enden der einzelnen Reihen sind nicht auszumachen. <-- könntest du etwas direkter formulieren. Näher aus der Sicht deines Protagonisten. Schnelle Schritte und hektisches <-- auf eines der beiden würde ich verzichten: schnelle Schritte implizieren, dass das Keuchen hektisch ist, und hektisches Keuchen impliziert, dass die Person schnellen Schrittes unterwegs ist. Keuchen dringen aus der Dunkelheit. Nach wenigen Sekunden sehe ich stolpert einen rostrot gekleideten Mann auf mich zu stolpern „Ich…!“ Der Unbekannte unterbricht seine Ansprache um nach schweren Atemzügen fortzusetzen <-- diese Unterbrechung machst du bereits durch die Satzteilung klar. Somit bedarf er mMn keiner Erklärung und du kannst erwähnen, dass er nach Atem ringt.  . „…wurde soeben informiert, dass sie die Führung mitmachen. Und bitte, bitte, BITTE! Ich flehe sie Sie an niemandem zu erzählen, dass ich sie Sie habe warten habe lassen. Sehen sie Sie, ich bin nur ein armer Techniker unter vielen in dieser Firma und brauche meinen Beruf. Aber sie scheint das wohl nicht zu interessieren. Sie sind ja nur ein Beobachter.“ Ohne auf eine Antwort zu warten(Komma) schiebt er sich an mir vorbei und eilt er an mir vorbei. Wortlos folge ich ihm zwischen die Regale.
...



Hier mache ich einen Break. Ich denke, du siehst, worauf du achten kannst. Auf die Interpunktion, du kannst deine Geschihte nochmal auf Grammatik abchecken, ob die Satzstellungen und die Wortreihenfolgen stimmig sind. Oft bist du von den Sätzen her für mich zu weit weg von deinem Protagonisten und da könntest du versuchen die Sätze direkter zu formulieren.


Ich hoffe, es war etwas Hilfreiches für dich dabei.

LG,
Constantine
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Cephalopode
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Beitrag09.10.2014 21:18

von Cephalopode
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Hey,

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Text nicht nur durchzulesen, sondern mich auch auf die zahlreichen Fehler aufmerksam zu machen! Very Happy

Ich werde dann gleich mal beginnen, die fehlenden Beistriche zu setzen und die Rechtschreibung zu verbessern.
Bezüglich der Nähe zum Protagonisten und den zu langen Sätze muss ich mir noch etwas einfallen lassen.
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rieka
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Beitrag09.10.2014 21:54

von rieka
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Ich sehe grade, Constantin hat dir schon viel umfassender Rückmeldung gegeben, als ich das jetzt tue. Aber da ich mich auch damit beschäftigt habe, schiebe ich meine Gedanken auch mal nach:

Skurril. Ich empfand den Text anfangs lebendig, das Skurrile daran hatte mich neugierig gemacht. Dann aber langweilte es mich zunehmend mehr.  Das Skurrile ist für mich einen Zacken zu sehr ausgebaut. Kürzungen könnten vielleicht den anfänglichen  Spannungsbogen aufrechterhalten.
Dieser akribische Ausbau der Beschreibung des Schmerzes kommt mir einerseits überzeichnet, andererseits unrealistisch vor.
Ab hier
Zitat:
Zu meiner linken führt eine Tür über eine Rampe abwärts in eine benachbarte Halle. Ich gleite den Aufgang hinab

habe ich beim Lesen einen großen Absatz übersprungen, um schneller zu sehen, wie die Geschichte zu Ende geht.  
Dazu muss ich aber sagen, dass meine Einschätzung damit zusammenhängen kann, dass solche Szenen nicht ganz zu meinen Vorlieben gehören.

 
Der Schnitt, der die Fingerkuppe mit dem Knöchel verbindet, sendet bei Berührung Signale in den Kopf.
Bei diesem Satz brauchte ich eine Weile, um mich zu orientieren
Er ist im Vergleich mit dem stechenden Schmerz, den mir das vom besagten Finger betastete Schienbein mitteilt, relativ leicht zu ignorieren.  Abermals führe ich meine Hand an mein Bein und abermals wird mir, als würden klirrend kalte Nadeln versuchen sich durch den Knochen zu nähen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand mit solchen Beschwerden so ruhig analytisch denken kann. Die Symptome sind mir zu sehr auf die Fingerkuppe und den Schmerz im Schienbein konzentriert. Was ist mit der Atmung, dem Kreislauf etc.
Meine Annahme bestätigt sich:  Es ist gebrochen. Ans Aufstehen ist nicht zu denken. Bei so einem Sturz verwundert mich nur, dass mein Körper einen so geringfügigen Schaden davongetragen hat. Ich zücke mein Mobiltelefon. Wie erwartet habe in 2800 Metern Höhe keinen Empfang.  Vielleicht hätte ich mich nicht abseits der bekannten Bergruten durch die Geröllfelder schlagen sollen. Mit Sicherheit wird in der nächsten Zeit kein Mensch hier vorbeikommen. Rufen wäre nur ein Mittel um meine Energie zu verschwenden. Ich kann mir nicht vorstellen hier, auf dem Plateau des Hochkönigs, umringt von Fels, dem schwindenden Gletscher und den Wolken einen Ausweg aus meiner Misere zu finden.
Stattdessen stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, wenn ich hier sterben, der Gletscher wieder wachsen und mich verschlingen würde. Eingeschlossen im ewigen Eis wie ein Insekt im Harz könnte mein Körper für sehr lange Zeit erhalten bleiben. Ich male mir aus, nach einer absurden Zeitspanne von jahrhunderte-jüngeren Generationen durch das Abtauen meines Grabes gefunden zu werden. Die primitive Technologie in meinem Handy und meine rote Gore-Tex Windjacke könnten bei meinen Entdeckern zur allgemeinen Erheiterung durch den Fund beitragen. Danach wäre mein Körper wohl ein Objekt der Forschung.  Wissenschaftler würden wahrscheinlich ihre Zeit und eine beträchtliche Summe an Steuergeldern damit verschwenden, mit Hilfe meiner DNA nach nicht existierenden Nachfahren zu suchen. Der Gedanke ruft in mir etwas Schadenfreude hervor.

Was ist mit der Angst. Klar muss dein Prota einen klaren Kopf bewahren und kann versuchen, seine Situation wieder analytisch zu betrachten. Aber ein bisschen gegen die anschwellende Angst ankämpfen würde vielleicht etwas mehr Leben und emotionales mitschwingen in die Situation einbringen. Wenn du mehr Emotion einbauen könntest, wären vielleicht auch die skurril-sadistischen Gestalten in der Folge emotional spürbarer, ich meine damit, man könnte das Entsetzen oder die Komik in den Situationen stärker empfinden


Hier höre ich jetzt erst mal auf. Fehler, oder wie man das hier nennt, Erbsen, habe ich keine gesehen.
Grüße, rieka
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Cephalopode
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Beitrag09.10.2014 23:25

von Cephalopode
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Hallo rieka

Auch dir ein großes Dankeschön, dass du den Text (zum Großteil) gelesen mir mit Kritik aushilfst!
An dem gefühlsarmen Crashtest-Dummy der durch Zufall in eine Geisterbahn gerät muss ich wiklich etwas ändern.
Also den Schmerz (zumindest den am Anfang beschriebenen) reduzieren
und versuchen den Geisteszustand zu verdeutlichen. Das hilft mir schon weiter.

Beste Grüße
Cephalopode
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Cephalopode
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Beitrag14.10.2014 13:10

von Cephalopode
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So, hier ist nun die neue Version meiner Geschichte. Es wurden Teile umgeschrieben, ergänzt, oder Gänzlich gestrichen.
Sollte noch Interesse an dem Text bestehen, bin ich für weitere Anregungen offen, und wäre für jeden Ratschlag sehr dankbar.

Im Schockzustand fasse ich an meine Brust. Etwas darin schlägt wütend gegen die Rippen. Mit schnellen Zügen fülle ich meine Lunge. Licht dringt durch schwarzgelbe Wirbel auf die nasse Watte in meinem Kopf. Ich muss versuchen, den Schwindel abzuschütteln. „Achte auf deine Atmung! Einundzwanzig, Zweiundzwanzig, Dreiundzwanzig… “, ermahne ich mich. Zwinge Klarheit in mein Bewusstsein. Kaum zu glauben, dass ich das überlebt habe. Verdammt, mein Schienbein schmerzt ja höllisch. Unterhalb des Knies leuchtet eine Schwellung in den Farben eines orientalischen Teppichs durch die Haut. Zaghaft versuche ich es zu betasten. Kurz darauf liege ich, das unverletzte Bein fest an den Bauch gezogen, auf meiner Seite und vergrabe mit zugekniffenen Augen das Gebiss im Oberarm. Meine Annahme bestätigt sich:  Es ist gebrochen. Ans Aufstehen ist nicht zu denken. Ich zücke mein Mobiltelefon. Wie erwartet habe ich auf 2800 Meter Höhe keinen Empfang.  Vielleicht hätte ich mich nicht abseits der bekannten Bergruten durch die Geröllfelder schlagen sollen. Aber Nachsicht hilft mir jetzt auch nicht weiter. Mit Sicherheit wird in der nächsten Zeit kein Mensch hier vorbeikommen. Rufen wäre nur ein Mittel um meine Energie zu verschwenden. Ich kann mir nicht vorstellen hier, auf dem Plateau des Hochkönigs, umringt von Fels, dem schwindenden Gletscher und den Wolken einen Ausweg aus meiner Misere zu finden.

„Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“, ertönt hinter mir die Frage. Ich lege den Kopf in den Nacken, um ihren Ursprung fest zu stellen. Aus dem Boden über mir ragen zwei Beine hinunter in den Himmel. An ihnen baumelt ein Mann. Er trägt schwarze Lederschuhe mit flachen Absätzen, eine schwarze Anzughose und ein weißes, bis zum Kragen zugeknöpftes Hemd. Zudem hängt an seinem Hals noch eine mit einem senfgelben Gittermuster verzierte Krawatte. Ihr Grundton ist ein sanftes lavendel. Ein Anblick, den man in hochalpinen Regionen wohl selten zu Gesicht bekommt. Die Hand des Mannes hält einen schwarzen Aktenkoffer. „Sehen Sie denn nicht, dass es mir nicht gut geht? Mein Bein ist gebrochen. Rufen sie die Bergrettung!“, keuche ich ihm entgegen. „Hilfe zu rufen steht leider nicht zur Option. Stattdessen habe ich ein anderes Angebot für Sie. Ich sorge dafür, dass Sie an den Fuß des Berges gebracht werden, wo Sie sich dann ein Taxi rufen können.“ „Ja in Ordnung, nur helfen sie mir!“

Der Herr im Hemd stellt seinen Aktenkoffer auf einem Felsbrocken ab. Mit beiden Händen an den Kanten legt er ihn auf den Stein und betätigt die Verschlüsse, um den Koffer zu öffnen. Der Mann zieht zwei zusammengeheftete Dokumentbögen heraus und drückt sie mir in die Hand. In der Kopfzeile steht „Salz im Fels GmbH“. Das erste Blatt trägt den Titel: Verpflichtungserklärung zur Teilnahme an der betrieblichen Führung vor Ableistung des in Anspruch genommenen Hilfsdienstes.  Er beugt sich zu mir und beginnt zu erklären: „Sie müssen hier  und hier mit Ihrem Namen unterschreiben, um den Hilfsdienst unserer Organisation in Anspruch zu nehmen. Mit der ersten Unterschrift nehmen Sie eine detaillierte Führung durch das Firmenareal an.  Unter uns, es steht Ihnen frei ob sie den zweiten Teil des Vertrags unterschreiben, da die in ihm behandelte Verschwiegenheitspflicht eigentlich nur eine Formalität ist.“ Er reicht mir einen Stift und ich setze meinen Namen an das Ende des ersten Zettels. Ich falte das Papier und stecke es in meine Tasche. „Da das nun geklärt ist, werde ich Sie umgehend zum Firmensekretär begleiten. Er kümmert sich um den Rest.“, versichert mir der Angestellte. Der Herr klatscht zweimal in die Hände. Ohne Verzug treten zwei keuchende Gestalten in weißen Overalls hinter einem nahen Felsen hervor. Zwischen ihnen tragen sie eine Bahre, auf die sie mir hinaufhelfen. Sie bringen mich auf eine vierkantige Plattform aus Stein. Dort lösen sie ihre Finger von den Griffen, worauf die Trage zu Boden fällt und mir der bedauernswerte Zustand meines Beines wieder in all seiner Pracht durch den herben Polterer des Aufpralls  vor Augen geführt wird.  Die Qual lässt mich für einen Augenblick nicht atmen.
Aus tränenden Augenwinkeln sehe ich, wie meine Träger in ihrer Gleichgültigkeit wieder im Geröllwald verschwinden. Ich frage mich, was das für eine Firma sein muss, die so rücksichtslose Gestalten hervorbringt. Der Herr im Hemd steht nun wieder neben mir. „Im Namen der „Salz im Fels GmbH“ möchte ich Sie nun offiziell durch meinen Posten als Vizesekretär auf unserem Firmengelände willkommen heißen. Jetzt geht es abwärts.“ Die letzten Silben werden kaum vom Bergwind erfasst, schon beginnt sich das Plateau mit rasender Geschwindigkeit zu senken. Dabei entsteht ein ohrenbetäubendes Grollen.  Der Vizesekretär steht mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben mir als würde er den Lärm nicht wahrnehmen, während uns der Schacht in Schwärze und Krach hüllt. Ich sehe, wie die Öffnung kleiner und kleiner wird, bis kein Licht mehr meine Netzhaut trifft. Bei dem beharrlichen  Erschüttern der Umgebung bin ich mir nicht einmal mehr sicher, dass ich mich nach unten bewege. Möglicherweise steht der Aufzug sogar still, und nur der Berg schaudert noch.  Das schattengeschwärzte Kalksediment kämpft mit sich selbst. Die Vibration lässt meinen Körper bedrohlich über die Steinplatte gleiten. Augenblicklich wird mir klar, dass mir die raue Kalkwand bei so einer Geschwindigkeit die Haut von den Muskeln ziehen wird, sollte ich zu nahe kommen. Panisch tasten meine Hände den glatt geschliffenen Untergrund nach Unebenheiten ab. Sie treffen auf die Beine des Sekretärs und ich klammere mich wie ein hilfloses Kind daran fest. Langsam ebbt das Beben ab und kommt zur Gänze zum Erliegen. Erleichtert löse ich meine schweißnassen Finger von dem Hosenbein.  Eine Reihe Wandlaternen flackern auf und erhellen den mit Holz ausgekleideten Korridor zu meiner Linken. Wieder ruft der Fremde durch sein Klatschen die Träger. Diesmal erscheint nur einer von ihnen. Er schiebt einen Rollstuhl. Zwei schwielige Hände umfassen meine Oberarme und ich werde wie eine Puppe auf der Sitzfläche positioniert. Dieselben Hände setzen das Gefährt in Bewegung und ich hebe meine unteren Gliedmaßen auf die Beinstützen um nicht unter das Gefährt gezogen zu werden. Als ich den Raum am Ende des Gangs sehe wird mir plötzlich heiß. Kalter Schweiß lässt meine Unterarme mit der Armlehne verschmelzen. Obwohl ich es erahnen kann, möchte ich nicht wissen, was sich dort drinnen befindet.  Ich hätte den Vertrag nicht unterschreiben dürfen.  Ein Vorderrad stößt sich an der Schwelle, mein verletztes Bein bekommt den Impuls ab.  Ich packe die Armlehne so fest, dass sich meine Fingerkuppen durch das spröde Plastik in die Polsterung bohren.

„Wir haben einen Besucher der Interesse an unserer Führung zeigt.“, verkündet der Vizesekretär. Erst jetzt nehme ich einen Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers wahr. Darüber heben sich  zwei ledrige Augenlider über den Rand einer Hornbrille. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du mir Bescheid geben sollst, wenn du jemanden zu mir schickst?“, schmettert uns der Mann entgegen. Das Blut sackt aus dem Gesicht des Vizesekretärs. „Nun, ich äh…. Das… das tu ich doch gerade.“ „Geh mir aus den Augen!“ In der Peripherie meines Sichtfeldes schießt er auf den Gang hinaus. Im Raum bleibt das Echo hastiger Schritte und ein genuscheltes „T´schuldige Chef.“ Es wird von einem „Und schließ gefälligst die Tür!“ geschluckt. Das Wort wird in die Tat umgesetzt. Die Augen des Herrn hinter dem Tisch sind nun gänzlich auf mich gerichtet. „Der Dummkopf soll sich an dem scheußlichen Fetzen um seinen Hals aufhängen. Nun gut jetzt zu ihnen. Ich besetze hier den Posten des Sekretärs und bin gleichzeitig das stellvertretende Oberhaupt unseres Betriebs. Man hat sie wohl über unsere Firmenpolitik aufgeklärt. Wenn sie nun so freundlich wären, mir den Vertrag zu überreichen.“  

Unvermittelt beginnt der Träger, mich langsam an den Tisch zu schieben.  Ich erkenne, wie sich eine Hautschuppe von der fleckigen Kopfhaut meines Gegenübers löst und im drahtigen Geflecht der spärlich gestreuten Haare hängen bleibt. Hinter mir quietschen Scharniere. Jemand hat den Raum verlassen. Mir wird klar, dass ich jetzt mit dem Sekretär alleine bin. Zitternd fahre ich mit der Hand meinen Körper hinab und ziehe den Vertrag aus der Tasche. Ich lasse ihn auf den Tisch fallen. Der Andere schiebt sich mit der Rechten die Brille hoch und breitet das Papier vor sich aus.  Wortlos blättert er zur zweiten Seite. „Die Unterschrift zur Verschwiegenheitspflicht fehlt. Das ist alles andere als gewissenhaft. So eine Schlamperei kann in diesem Betrieb nicht geduldet werden.“, Murmelt er vor sich hin. Blitzartig zucken seine Pupillen von der Tinte weg fixieren mich. Ich blinzle. „Der Vertrag scheint in Ordnung zu sein. Vor meinem Büro wird sie der Techniker erwarten und mit der Führung beginnen. Sie können jetzt gehen.“ Das letzte Wort wird von einem einzigen hochgezogenen Mundwinkel begleitet. Erleichtert verlasse ich den Raum. Dabei achte ich auf die Türschwelle.

Vorsichtig schleppe ich mich in eine Lagerhalle, deren Regale soweit ich sehen kann mit Holzkisten gefüllt sind. Das bleiche Licht der Leuchtröhren an der Wand hinter reicht nicht, um dem Raum Grenzen zu setzen. Schnelle Schritte dringen aus der Dunkelheit. Nach wenigen Sekunden sehe ich einen rostrot gekleideten Mann auf mich zu stolpern.  „Bitte…!“ Der Unbekannte unterbricht seine Ansprache um nach schweren Atemzügen fortzusetzen. „…bitte, BITTE! Ich fleh´Sie an! Erzähln´s meinem Chef nichts von der Verzögerung. Aber jetzt müss´ ma weiter. G´statten, der Firmentechniker.“ Ohne auf eine Antwort zu warten schiebt er sich an mir vorbei. Wortlos folge ich ihm zwischen die Regale. Sie stehen so nahe beieinander, dass ich die Reifen direkt anfassen muss. Der Staub des Bodens vermischt sich mit dem klebrigen Schweiß zu einem kratzigen Film auf meiner Haut, und jedes Mal, wenn ein Rad von einer Kiste gestoppt wird, fürchte ich, stecken zu bleiben. Vielleicht stehen die Metallgestelle auch in einem kaum merkbaren Winkel zueinander und schließen mich ein, sobald ich meinen Führer verliere. Kurz bevor uns die Dunkelheit zu verschlucken droht, zieht der Techniker eine Taschenlampe aus seinem Werkzeuggürtel und erleuchtet den schmalen Gang zwischen den Reihen.                           
Betäubt durch die Totenstille des Lagerraums verliere ich jegliches Zeitgefühl. Wären nicht die Schritte des Technikers und das abgehackte Raspeln der Griffe meiner Räder an den Kisten zu vernehmen, man könnte meinen das Gehör verloren zu haben. Erst als das Klicken der Taschenlampe vor mir meine, vom Schrappen und Stampfen in Trance versetzten Trommelfelle aus dem Takt bringt, erkenne wie ein schwacher Lichtschacht seinen Weg durch die Regale sucht. Ein Stück weiter und die lichtleere Schlucht liegt hinter mir. Der Unrat des Bodens hat meine Hände, wie Schimmel, bis zu den Nagelbetten hin, überwuchert. Angewidert packe ich die Schmutzschicht am Handgelenk und ziehe sie in einem Stück ab. Dasselbe widerhole ich für die andere Hand und lasse die pelzigen Abdrücke neben mir auf den Boden fallen.               

Vor uns befindet sich eine Stahltür von beachtlicher Größe. Der Techniker umschließt einen der Griffe des Rades in ihrer Mitte mit der Hand und dreht seinen Kopf zu mir. „Normalerweise würd´ ich Ihnen raten, in der Produktionsstätte die Hände fest auf die Ohren zu drücken. Das wird bei Ihnen schwer gehen. Drum müss´ ma uns beeilen, sonst können Sie sich ordentlich weh tun. S´ is nicht b´sonderst weit, trotzdem solltn´s schon vorfahren.“ Er dreht das Rad dreimal gegen den Uhrzeigersinn. Nach der dritten Umdrehung rasten die Riegel mit einem dumpfen Klicken im Mechanismus der Tür ein. Der Techniker schafft es gerade noch aus dem Weg zu springen, bevor die Stahlplatte von einem blendenden Lärm aufgestoßen wird. Ich weiß nicht, wie ich es in den Raum schaffe, denn der Krach ist von so unbeschreiblicher Lautstärke, dass ich jeden einzelnen Knochen in meinem Körper bis unter die Schädeldecke vibrieren spüre. Der Klang ist das Brüllen, Wimmern, Keifen und Heulen tausender Menschen vermischt mit dem Zischen und Rattern von unter großen Druck arbeitenden Maschinen. Keifende Düsen, begleitet durch das Schaben von Metall an Metall und im Kern sind die unzähligen Stimmen zu solch einer Kakophonie überlagert, dass sich nicht eine einzige Silbe erkennen lässt. Es scheint als würden sie sich im Inneren gigantischer Kupferkessel bekriegen und dadurch ein monströses Hämmern erzeugen. Ich presse meine Hände, so fest ich kann an die Ohren um den Lärm wenigstens zu einem Teil auszuschließen. Es gelingt mir nicht. Der donnernde Schall bricht einfach durch die Finger um sein Sperrfeuer auf den Trommelfellen zu entladen. Mir ist, als würde das geballte Leid der Menschheit auf mich einprügeln. In verschwommenen Bildern sehe ich die Produktionsanlage. Mit Kabeln an der Decke befestigt, hängt eine fleischfarbene Sphäre mit unregelmäßiger Oberfläche. Von ihr gehen organische Schläuche aus die sich wie Tentakel um zylindrische Pressen wickeln, welche, durch ein kompliziertes Rohrleitungssystem, einen kugelförmigen Tank in der Mitte der Halle speisen. Nur dadurch, dass sich das Bild verschiebt nehme ich wahr, dass jemand meinen Rollstuhl hinter sich her und schließlich aus der Halle schleift.  Der Techniker stemmt sich gegen die zweite Stahltür und schafft es mit Mühe sie zu schließen. Der Lärm verstummt schlagartig und nur noch ein bestehender Pfeifton in meinen Ohren bleibt. „Sind´s deppert? Sie hätten vorfahren sollen!“ Ohne auf den Tadel einzugehen, platze ich heraus: „Was war das für ein „Ding“ an der Decke?“  „Das weiß ich nicht und ´s geht mich auch nix an. Das macht ein anderer. Muss es mit Daten füttern oder sowas. Ich kümmer mich nur um die Pressen und Reaktionsgefäße. Wenn die Anlage nicht in Betrieb ist enthalten sie bis auf das Salz keine Rückstände.“ Antwortet er mir in einem schroffen Tonfall. „Die Führung ist zu Ende, sie haben mir schon genug Ärger eingehandelt. Gehn´s durch die Tür dort hinten und dann nach links.“ Er deutet auf die Wand hinter mir. Ich drehe mich um und fahre den Raum entlang. Dieser ist nicht besonders breit und ich finde den Ausgang auf Anhieb. Zu meinem Erstaunen führt er mich wieder in den Korridor durch den ich in die Firma gekommen bin. Ich nähere mich dem Büro des Sekretärs, dessen Eingang mich wie ein offen stehender Mund empfängt. Diesmal empfinde ich keine Angst. Die Produktionshalle hat meine Neugier geweckt. Wieder verkantet sich das Vorderrad der Beinstütze an der Türschwelle und lässt mich unwillkürlich zusammenfahren.

Der Sekretär hinter dem Schreibtisch deutet mir mit vier Fingern, näher zu kommen. Ich lasse ihn nicht warten. „Nun gut, Sie haben die Führung schon fast hinter sich gebracht. Ich hoffe, man hat ihnen auch erklärt, wie genau die Gewinnung unserer Güter von statten geht oder?“
Ich verneine.
„Was für eine Sauerei, wozu hat man denn überhaupt Angestellte wenn man zum Schluss alles selbst machen muss. Aber damit will ich Sie jetzt nicht langweilen. Zwischen uns gibt es dringlichere Angelegenheiten zu besprechen. Ist ihnen die Redewendung „Jemandem einen gesalzenen Brief schreiben“ geläufig?“
Ich bejahe.
„Der Extractor, das ist die kugelförmige Maschine die sie wohl an der Decke der Produktionsstätte bemerkt haben, lässt sich einerseits mit materiellen Dingen, wie zum Beispiel Briefen, oder aber auch mit digitalen Daten füttern. Es stellt sich nun heraus, dass er in der Lage ist, Emotionen in eine materielle Form umzuwandeln. Diese sind unser Salz. Und die negativen, die werfen besonders viel Erzeugnis ab. Dieses Verkaufen wir dann weiter an Supermarktketten, Restaurants, und jeden, der  am Wochenende ein gut gewürztes Schnitzel essen möchte. Also sammeln wir alles, was den Menschen so belastet. Dazu gehören Drohbriefe, Beschwerdemails, Aufzeichnungen von Selbsthilfehotlines und Psychologen, und wenn jemand sich dazu entscheidet seinen Unmut in ein Sackerl zu reden, und es seinen Mitmenschen vor die Tür zu stellen, dann holen wir uns auch das. Das besondere an unserem Salz ist, dass es die Information aus der es entsteht auch behält und auf seine Konsumenten überträgt. Das bedeutet, dass das kostbare Leid nicht einfach bei uns im Berg versickert, sondern gleich wieder an die nächste unbescholtene Frohnatur weitergegeben wird. Dadurch kommt unser Rohstoff außerdem unverbraucht wieder zu uns zurück. Unser Geschäftsmodell ist einfach perfekt! Doch nun zu Ihnen. Alles, was sie jetzt noch tun müssen um diese Führung erfolgreich abzuschließen ist, ihre Gedanken zu unserer Firma und ihrem Aufenthalt, sowie es dazu gekommen ist auf das Blatt Papier vor sich zu schreiben.“

Mein Magen fühlt sich an, als würde man ihn wie ein nasses Kleidungsstück gegen seine Enden verdrehen. Mit zusammengebissenen Zähnen zische ich: „Das kann ich nicht zulassen! Weder, dass Sie meine Schmerzen an die Welt weitergeben, noch, dass Ihre abscheuliche Firma durch mich an weiteren Gewinn kommt. Ich weigere mich, auch nur eine geschriebene Silbe in ihrem Büro zu lassen.“
Der Sekretär verzieht belustigt die Mundwinkel. „Aber wie ich sehe, haben Sie keine andere Wahl, als genau das zu tun. Das schriftliche Feedback ist für das Beenden der Führung obligat. Und die Führung unvollendet zu lassen würde bedeuten, dass sie den Vertrag, welchen Sie vor ihrer Ankunft unterschrieben haben, brechen. Sehen Sie, wenn Sie diesen Zettel nicht ausfüllen sehe ich mich gezwungen, sie wieder dorthin zurückzuschicken, woher sie gekommen sind.“
„So muss es dann wohl sein“, antworte ich trocken.
Das Gesicht des Anderen verzerrt sich zu einer wütenden Grimasse. Sein Zeigefinger formt eine Klaue und hämmert auf die im Schreibtisch eingefasste Klingel.
Ohne, dass meine Augen das Eintreffen erfassen können, steht nun ein in ein Hemd gekleideter Mann neben dem Sekretär. Ich erkenne die Krawatte, jedoch nicht das Gesicht an dem sie hängt. „Es handelt sich um einen Vertragsbruch!“, bellt ihm der Sekretär aus unmittelbarer Entfernung ins Gesicht. Der im Hemd klatscht wieder zweimal und durch die Tür stürmt ein Träger, welcher mich ohne weitere Befehle an der Hüfte packt und über die Schulter schwingt. Mit mir stürzt er in den Gang hinaus und läuft auf den Lift zu. Kurz davor biegt er rechts in ein Treppenhaus ab und rast in Windeseile die Stufen hinauf. Er trägt mich durch eine Falltür hinauf aufs Plateau des Berges. Oben angekommen wirft er mich achtlos in eine Schlucht und verschwindet wieder. Da liege ich jetzt, umringt von Felsen, dem schwindenden Gletscher und den Wolken und hoffe, dass mich eines Tages doch noch das Eis einschließt. Ich drehe meinen Kopf und kann in der Nähe einen Stein erkennen, der einen leeren Aktenkoffer präsentiert.
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Constantine
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Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag16.10.2014 00:51

von Constantine
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Hallo Cephalopode,

ich habe mir diene Überarbeitung mehrmals durchgelesen, weil ich finde, da steckt eine interessante Idee und Geschichte drin, und ich versuche auf Schnellschüsse, was Ratschläge und Tipps angeht, soweit möglich zu verzichten, um der Geschichte und dem Autor gerecht zu werden. Manche Texte lassen Ideen/Anmerkungen zu "Verbesserungen" rasch folgen, andere bedürfen etwas eingehender Beschäftigung.

Es tut mir leid dir zu sagen, aber ich finde den Anfang deiner neuen Fassung eine Verschlimmbesserung im Vergleich zur ersten Fassung. Allein schon die ersten beiden Sätze gefallen mir nicht.

Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
Im Schockzustand fasse ich an meine Brust. Etwas darin schlägt wütend gegen die Rippen.

Unter "Schockzustand" verstehe ich eine Art "Gedankentaubheit", keinen klaren Gedanken fassen zu können, eher in Richtung verschrecktes Huhn oder in die andere Richtung: Starre. Das Bild deines abgestürzten Alpinisten wird sich noch für den Leser entfalten, genauso wie sein gebrochenes Bein. Das ist ok, aber "Schockzustand" in Kombination mit dem Folgesatz und dem "wütend" passt für mich leider nicht. Dazu noch das "etwas darin" (Herz?), welches zwar die von mir erwähnte "Gedankentaubheit" des Schocks streift, aber mit dem "wütend" für mich auch nicht passt.

Weiter:
Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
Mit schnellen Zügen fülle ich meine Lunge. <-- hier würde ich den Plural verwenden. Licht dringt durch schwarzgelbe Wirbel auf die nasse Watte in meinem Kopf. Ich muss versuchen, den Schwindel abzuschütteln.

Dein Protagonist ist geistesgegenwärtig. "Mit schnellen Zügen füllte ich" ist eindeutig bewusst und klar, genauso der Befehl an sich selbst, den Schwindel abzuschütteln zu versuchen. Mit Schockzustand verbinde ich dies leider nicht und für mich ergibt sich bereits in den ersten Sätzen ein schiefes Bild, welches mir den Lesespaß raubt.
Was du hier zu Beginn hast, ist eine Stresssituation für deinen Protagonisten. Er ist in der Geschichte insgesamt recht unbeteiligt, hier und da blitzt kurz eine Unsicherheit oder Angst um sein Leben auf, aber ansonsten hat er für meinen Geschmack eher eine leicht abgeklärte, analytische, teilweise sogar apathische Einstellung. Diese "Abgeklärtheit" ist einerseits ein möglicher Ansatz, andererseits nimmt das das Tempo und die Spannung aus der Geschichte. Für ungeduldige Leser ist deine Geschichte mMn nicht geeignet.
Bei deiner Geschichte muss ich ein wenig an Kafkas "Der Prozess" denken. Kennst du "Der Prozess"? Kafka schaffte es bei mir mit seiner präzisen Sprache und seiner Detailverliebtheit eine drückende Atmosphäre zu schaffen, in der sich das Individuum in einer Maschinerie verlor. Wie Josef K. so hat auch dein Protagonist keine Ahnung was ihn erwartet, in welcher Art von Bürokratie er landet. Er möchte einen Sachverhalt geklärt haben, aber es gelingt ihm nicht. In deiner Geschichte kommt bei mir leider nicht oder zu selten das Gefühl des völlig verlorenen Individuums in einer bizarren Welt auf, obwohl du alle Zutaten dafür hast. Das finde ich schade. Was dein Protagonist eher machen könnte, ist noch mehr fragen, z.B. den Sekretär. Du lässt den Sekretär reden und reden und lässt deinen Protagonisten eher passiv. Stattdessen verschenkst du deine Möglichkeit mir den Protagonisten dadurch näher zu bringen, mir sein Dilemma, dass ihm geholfen wird und doch nicht geholfen wird, zu verdeutlichen, damit ich mir Sorgen um ihn zu mache.
Diese Führung durch den Betrieb ist ein guter Ansatz, aber du könntest deinen Protagonisten drängender zeigen, dass er Schmerzen hat, ein gebrochenes Bein und ärztliche Versorgung benötigt. Er könnte fragen, ob bereits nach einem Taxi oder Krankenwagen telefoniert worden ist. Anstelle darauf eine Antwort zu erhalten, spricht der Sekretär nur von der Wichtigkeit der Führung und des Vertrags. Das gleiche könntest du dann mit dem Personal und den Trägern tun, welches ihn durch den Betrieb führt und seinem Drängen kein Gehör schenkt. Da könntest du weitermachen, dass dein Protagonist und die Leute im Betrieb aneinander vorbeireden. Ich finde, das würde die Bedrückung besser rüber bringen. Du solltest deinen Protagonisten mehr fragen lassen, anstelle zu nicken, zu blinzeln, oder stumm zuzuhören.

Ein formaler Tipp: du könntest die Blöcke deines Textes zwecks besserer Lesbarkeit aufbrechen und z.B. die direkten Reden durch neue Zeilen besser voneinander trennen.
Z.B. mit mehr Zeilentrennung:
Cephalopode hat Folgendes geschrieben:

„Wir haben einen Besucher der Interesse an unserer Führung zeigt.“, verkündet der Vizesekretär.
Erst jetzt nehme ich einen Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers wahr. Darüber heben sich zwei ledrige Augenlider über den Rand einer Hornbrille.
„Hab ich dir nicht gesagt, dass du mir Bescheid geben sollst, wenn du jemanden zu mir schickst?“, schmettert uns der Mann entgegen. Das Blut sackt aus dem Gesicht des Vizesekretärs. <-- sieht das dein Protagonist, wenn der Vizesekretär in der Peripherie des Sichtfeldes steht? Ich finde nicht und du könntest darauf verzichten. „Nun, ich äh…. Das… das tu ich doch gerade.“
„Geh mir aus den Augen!“
In der Peripherie meines Sichtfeldes schießt er auf den Gang hinaus. Im Raum bleibt das Echo hastiger Schritte und ein genuscheltes „T´schuldige Chef.“ Es wird von einem „Und schließ gefälligst die Tür!“ geschluckt.
Das Wort wird in die Tat umgesetzt.
Die Augen des Herrn hinter dem Tisch sind nun gänzlich auf mich gerichtet.
„Der Dummkopf soll sich an dem scheußlichen Fetzen um seinen Hals aufhängen. Nun gut jetzt zu ihnen. Ich besetze hier den Posten des Sekretärs und bin gleichzeitig das stellvertretende Oberhaupt unseres Betriebs. Man hat sie wohl über unsere Firmenpolitik aufgeklärt. Wenn sie nun so freundlich wären, mir den Vertrag zu überreichen.“



Cephalopode hat Folgendes geschrieben:

Der Sekretär hinter dem Schreibtisch deutet mir mit vier Fingern, näher zu kommen. Ich lasse ihn nicht warten. „Nun gut, Sie haben die Führung schon fast hinter sich gebracht. Ich hoffe, man hat ihnen auch erklärt, wie genau die Gewinnung unserer Güter von statten geht oder?“
Ich verneine.
„Was für eine Sauerei, wozu hat man denn überhaupt Angestellte wenn man zum Schluss alles selbst machen muss. Aber damit will ich Sie jetzt nicht langweilen. Zwischen uns gibt es dringlichere Angelegenheiten zu besprechen. Ist ihnen die Redewendung „Jemandem einen gesalzenen Brief schreiben“ geläufig?“
Ich bejahe.
„Der Extractor, das ist die kugelförmige Maschine die sie wohl an der Decke der Produktionsstätte bemerkt haben, lässt sich einerseits mit materiellen Dingen, wie zum Beispiel Briefen, oder aber auch mit digitalen Daten füttern. Es stellt sich nun heraus, dass er in der Lage ist, Emotionen in eine materielle Form umzuwandeln. Diese sind unser Salz. Und die negativen, die werfen besonders viel Erzeugnis ab. Dieses Verkaufen wir dann weiter an Supermarktketten, Restaurants, und jeden, der  am Wochenende ein gut gewürztes Schnitzel essen möchte. Also sammeln wir alles, was den Menschen so belastet. Dazu gehören Drohbriefe, Beschwerdemails, Aufzeichnungen von Selbsthilfehotlines und Psychologen, und wenn jemand sich dazu entscheidet seinen Unmut in ein Sackerl zu reden, und es seinen Mitmenschen vor die Tür zu stellen, dann holen wir uns auch das. Das besondere an unserem Salz ist, dass es die Information aus der es entsteht auch behält und auf seine Konsumenten überträgt. Das bedeutet, dass das kostbare Leid nicht einfach bei uns im Berg versickert, sondern gleich wieder an die nächste unbescholtene Frohnatur weitergegeben wird. Dadurch kommt unser Rohstoff außerdem unverbraucht wieder zu uns zurück. Unser Geschäftsmodell ist einfach perfekt! Doch nun zu Ihnen. Alles, was sie jetzt noch tun müssen um diese Führung erfolgreich abzuschließen ist, ihre Gedanken zu unserer Firma und ihrem Aufenthalt, sowie es dazu gekommen ist auf das Blatt Papier vor sich zu schreiben.“ <-- das ist ein sehr langer Monolog des Sekretärs,den du auf das nötigste kürzen könntest. Des Weiteren würde ich hier und da den Monolog aufbrechen und einstreuen, wie sich dein Protagonist unwohl in seinem Rollstuhl fühlt, vielleicht hin und her rutscht, in ihm die Wut aufkeimt oder er nach dem Ausgang schielt, weil er hier raus möchte. Irgendwas, um mir als Leser zu zeigen, wie er reagiert, während er Ungeheurliches vom Sekretär erfährt. Vielleicht würde mir dann die im nächsten Absatz folgende Reaktion des Protagonisten eher einleuchten. So ist mir das zu sehr abgehackt und zu statisch.

Mein Magen fühlt sich an, als würde man ihn wie ein nasses Kleidungsstück gegen seine Enden verdrehen. Mit zusammengebissenen Zähnen zische ich: „Das kann ich nicht zulassen! Weder, dass Sie meine Schmerzen an die Welt weitergeben, noch, dass Ihre abscheuliche Firma durch mich an weiteren Gewinn kommt. Ich weigere mich, auch nur eine geschriebene Silbe in ihrem Büro zu lassen.<-- in dieser Form kann ich die Reaktion deS Protagonisten icht nachvollziehen. Mir kommt das zu abgehackt, zu zerstückelt vor, anstelle mit dem Monolog des Sekretärs eingebunden und sich daraus entwickelnd.
Der Sekretär verzieht belustigt die Mundwinkel. „Aber wie ich sehe, haben Sie keine andere Wahl, als genau das zu tun. Das schriftliche Feedback ist für das Beenden der Führung obligat. Und die Führung unvollendet zu lassen würde bedeuten, dass sie den Vertrag, welchen Sie vor ihrer Ankunft unterschrieben haben, brechen. Sehen Sie, wenn Sie diesen Zettel nicht ausfüllen sehe ich mich gezwungen, sie wieder dorthin zurückzuschicken, woher sie gekommen sind.“
„So muss es dann wohl sein“, antworte ich trocken.[..]



- Auf Ausdrücke wie "ich sehe" oder "ich erkenne" und Ähnliches könntest  du verzichten, denn du beschreibst stets aus der Perspektive deines Protagonisten, somit alles was du beschreibst, sieht er automatisch und bedarf keiner erneuten Kennzeichnung.

- die weiteren Inkonsistenzen von "Sie" anstelle "sie"und "Ihnen" anstelle "ihnen" sind zu überprüfen, da stecken noch viele in deinem Text drin.

-deinem Protagonist würde etwas mehr Aktivität gut stehen. Sei es äußerlich durch mehr reden oder innerlich durch Gedanken. Das Hinterfragen, was so wichtig an dieser Führung ist, dass alle Welt im Betrieb nur davon redet, sich aber nicht um seinen Zustand und sein Wohl Sorgen macht.

Generell steckt mMn noch viel Arbeit in deiner Geschichte drin, damit mir dein Protagonist als im Zahnrad des Betriebs verlorenens Individuum rüberkommt, der nach Hilfe sucht, sie aber nicht bekommt, der redet, aber kein Gehör für seine Situation findet. Ungefähr in diesem Sinne.

LG,
Constantine
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Cephalopode
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Beitrag17.10.2014 00:51

von Cephalopode
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Hallo Constantine,

Als Allererstes muss ich dir danken, dass du meinem Text so viel von deiner Zeit, und mir Verbesserungsvorschläge und Tipps, wie ich meinen Protagonisten besser in die Geschichte einbinden könnte, geschenkt hast.

Besonders deine Ratschläge, den Protagonisten mehr mit den anderen Charakteren interagieren zu lassen, und wie ich das anstellen könnte, hilft mir schon sehr.
Und auch die Hilfestellung, die du mir bei der Perspektive gibst, werde ich in Zukunft, versuchen zu beachten.

Was mir aber am meisten geholfen hat, war, dass ich mir durch deinen ausführlichen Vergleich Josef K.´s mit meinem Protagonisten, da ich mir jetzt endlich ein wirklich klares Bild von diesem machen kann.
Es ist etwas länger her, dass ich den Prozess zum Teil gelesen habe.
Anders als bei kürzeren Erzählungen Kafkas hatte ich damals große Schwierigkeiten, mich in den Roman hineinziehen zu lassen.
Ich werde versuchen, das demnächst nachzuholen.
Du hast mir nämlich genau das gezeigt, was ich an meinem Protagonisten nicht haben möchte.
Mir ist in den letzten paar Stunden, die ich mich mit deiner Kritik, dem Protagonisten und nicht zuletzt, dem Text auseinandergesetzt habe, klar geworden, dass das, was du als "Abgeklärtheit" bezeichnest eigentlich mehr Naivität, ein Gefühl der Sicherheit und die sich daraus ergebende Zuversicht, gerettet zu werden sein sollte.
Dass ich es nicht geschafft habe, dir das Dilemma des Protagonisten zu Veranschaulichen, liegt daher wohl daran, dass ich den Protagonisten das ganze nicht als Dilemma empfinden lassen möchte.
Er sollte in dieser absurden Welt nicht verloren, sondern lediglich ein Teil von ihr sein.
Dabei kann er sich ruhig mal erschrecken, sollte sein Unbehagen aber relativ schnell wieder durch irgendwelche Ausflüchte abschütteln, und so weiter machen, wie vorher. Zirka so, als würde man sich Abends eine Doku zur Lebensmittelproduktion ansehen, und am nächsten Tag zum Frühstück Wurst essen.

Zitat:
Generell steckt mMn noch viel Arbeit in deiner Geschichte drin

Zumindest diesem Teil deines Schlusssatzes kann ich nur zustimmen. Wink

Auch das Ende meiner Geschichte muss ich jetzt umschreiben

An dieser Stelle möchte ich mich nochmals bei dir für den Denkanstoß bedanken.

Liebe Grüße
Cephalopode
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rieka
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Beitrag17.10.2014 13:26

von rieka
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Hallo Cephalopode.
Ich lese diesen Faden interessiert mit.
Die Hinweise von Constantine und deine Antwort darauf zeigen einen Aspekt auf, mit dem ich mich auch gerade auseinandersetze: nämlich den Einfluss der eigenen emotionalen Haltung, der in den Text einfließt.
Mir war, bevor ich in dieses Forum kam, nicht klar, wie stark die eigene Haltung beobachtet werden muss, wie viel Selbstreflektion beim Schreiben nötig ist. Interessante Beobachtung. Deine Auseinandersetzung mit dem Text macht dies auch wieder sehr schön deutlich.
Grüße
rieka
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Constantine
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Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag17.10.2014 14:00

von Constantine
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Hallo Cephalopode,

freut mich, dass ich dir hier und da hilfreich sein konnte.

Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
Was mir aber am meisten geholfen hat, war, dass ich mir durch deinen ausführlichen Vergleich Josef K.´s mit meinem Protagonisten, da ich mir jetzt endlich ein wirklich klares Bild von diesem machen kann.
Es ist etwas länger her, dass ich den Prozess zum Teil gelesen habe.
Anders als bei kürzeren Erzählungen Kafkas hatte ich damals große Schwierigkeiten, mich in den Roman hineinziehen zu lassen.
Ich werde versuchen, das demnächst nachzuholen.
Du hast mir nämlich genau das gezeigt, was ich an meinem Protagonisten nicht haben möchte.
Mir ist in den letzten paar Stunden, die ich mich mit deiner Kritik, dem Protagonisten und nicht zuletzt, dem Text auseinandergesetzt habe, klar geworden, dass das, was du als "Abgeklärtheit" bezeichnest eigentlich mehr Naivität, ein Gefühl der Sicherheit und die sich daraus ergebende Zuversicht, gerettet zu werden sein sollte.
Dass ich es nicht geschafft habe, dir das Dilemma des Protagonisten zu Veranschaulichen, liegt daher wohl daran, dass ich den Protagonisten das ganze nicht als Dilemma empfinden lassen möchte.
Er sollte in dieser absurden Welt nicht verloren, sondern lediglich ein Teil von ihr sein.

Dank dir. Da lag ich mit meinem Josef K.-Vergleich etwas daneben. Smile, dennoch denke ich, kannst du einiges aus dieser Kafka-Figur für deinen Protagonisten herausziehen.
Was den Sicherheitsaspekt angeht, so würde ich mehr "Herzlichkeit" der Mitarbeiter und des Sekretärs einbringen, wenn sie mit deinem Protagonisten reden. In der Art: "Möchten Sie einen Kaffee oder Tee?" oder "Sollten Sie frieren, kann Ihnen mein Mitarbeiter eine Decke besorgen."
Vielleicht auch schon eine überspitzte Freundlichkeit, die deinem Protagonisten nicht auffällt.
Was du auch noch machen könntest, ist die Interaktion mit den Mitarbeitern in der Form zeigen, dass er während der Führung vielleicht hier und da Hand anlegt, aktiver dabei ist und ein kleines Erfolgserlebnis hat. Allein schon damit würde sich dein Protagonist willkommen fühlen, angenommen fühlen und sich somit nicht verloren, sondern integriert in die Firmengemeinschaft fühlen.
Am Ende, wenn der Sekretär den eigentlichen Zweck der "Rettung" schildert, bricht dieses Zusammengehörigkeitsgefühl und Sicherheit zusammen.

Viel Erfolg bei der Überarbeitung. Ich drück dir die Daumen.

LG,
Constantine
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Cephalopode
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Beitrag20.10.2014 16:25

von Cephalopode
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Hallo nochmal

@rieka
Freut mich, das du hier doch noch etwas findest, das für dich von Interesse ist.
Für mich war mein Protagonist eigentlich nicht mehr als ein geschriebener Proxy, ein Vehikel, mit dem ich die Räumlichkeiten meiner Geschichte erkundet habe. Dass er ja eigentlich eine selbstständige Rolle spielen sollte, wäre mir ohne das Forum nicht aufgefallen.
Jetzt muss ich es irgendwie schaffen, ihm diese im Nachhinein zuzuweisen, womit ich mich eigentlich wieder von ihm distanziere.
Würde ich jetzt damit beginnen, meine Geschichte zu schreiben, würde ich nicht die Ich-Perspektive wählen um eine Distanz zwischen Protagonisten und Erzähler zu schaffen. Oder mir zumindest vorher überlegen, wie ich am besten aus der Sichtweise dieses speziellen Menschen erzählen könnte.
Es ging mir am Anfang eigentlich mehr um die Idee hinter der Geschichte, als um den Protagonisten.
Ich habe gesehen, dass du wohl ähnliche Probleme mit dem Tierpfleger in deiner Zoogeschichte hattest.

@Constantine
Das mit der Herzlichkeit (besonders im Bezug auf die überspitzte Freundlichkeit) ist keine schlechte Idee, aber ich versuche eigentlich gerade, den Protagonisten durch die Gewissenhaftigkeit und Versiertheit, mit der die Sekretäre auftreten, beeindruckt wirken zu lassen.
Zu diesem Zweck musste er jetzt auch die Verschwiegenheitspflicht unterschreiben.Dazu gebe ich mir Mühe, ihn doch deutlich aggressiver nach der Notwendigkeit des Vertrags und der Führung fragen, ihn den Konditionen seiner Rettung aber doch zustimmen zu lassen.
Außerdem versuche ich, seinen Ärger über die Inkompetenz des "niederen" Personals auszudrücken. (Die Träger, die ihn fallen lassen, der Techniker, der sich verspätet)
Ein Zugehörigkeitsgefühl möchte ich aber nicht aufkommen lassen, immerhin ist er ja nur zu Gast in der Firma.


Gruß,
Cephalopode
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Cephalopode
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Beitrag29.10.2014 21:12

von Cephalopode
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Puh, nachdem ich nun eine Woche mit mir, und eine weitere Woche mit dem Text gerauft habe, ist hier nun ein weiterer Versuch, meinem Protagonisten ein Gesicht zu geben. Ich möchte nicht behaupten, das er nicht noch ausbaufähig wäre, aber hoffentlich lässt sich eine Verbesserung erkennen. Die Dialoge wurden ausgebaut, oder zur Gänze neu geschrieben. Die Formatierung ist nun übersichtlicher, und die Inkonsistenzen in der Großschreibung der Anrede sind (hoffentlich) komplett verschwunden.

Ich kann nicht fassen, dass ich das überlebt habe.
Mir ist schwindlig, weil ich viel zu schnell Luft in meine Lungen sauge.
Licht dringt durch schwarzgelbe Wirbel auf die nasse Watte in meinem Kopf.
„Beruhig dich! Achte auf deine Atmung! Einundzwanzig, Zweiundzwanzig, Dreiundzwanzig… “, ermahne ich mich.
Zwinge Klarheit in mein Bewusstsein.
Plötzlich lässt mich ein stechendes Ziehen in meinem Bein aufstöhnen.
Ungläubig betrachte ich eine Schwellung, die unterhalb des Knies in den Farben eines orientalischen Teppichs durch die Haut leuchtet.
Zaghaft versuche ich sie zu betasten.
Kurz darauf liege ich, das unverletzte Bein fest an den Bauch gezogen, auf meiner Seite und vergrabe mit zugekniffenen Augen das Gebiss im Oberarm.
Meine Annahme bestätigt sich:  Es ist gebrochen.
Ans Aufstehen ist nicht zu denken.
Ich zücke mein Mobiltelefon. Wie erwartet habe ich auf 2800 Meter Höhe keinen Empfang.  
Vielleicht hätte ich mich nicht abseits der bekannten Bergruten durch die Geröllfelder schlagen sollen.
Blödsinn! Ich habe keinen Fehler gemacht, wenn überhaupt dann ist die Karte daran schuld.
Dieser Abhang war hier überhaupt nicht eingezeichnet.
Zweifel bringen mich jetzt auch nicht weiter.
Das Einzige, woran ich jetzt zweifeln darf, ist, dass demnächst jemand vorbeischaut und Hilfe holt. Die letzte Wegmarkierung habe ich vor zwei Stunden gesehen. Rufen wäre nur ein Mittel um meine Energie zu verschwenden. Ich bin im Arsch.

„Entschuldigen Sie bitte, kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“, ertönt hinter mir die Frage.
Ich lege den Kopf in den Nacken, um ihren Ursprung fest zu stellen.
Aus dem Boden über mir ragen zwei Beine hinunter in den Himmel. An ihnen baumelt ein Mann.
Er trägt schwarze Lederschuhe mit flachen Absätzen, eine schwarze Anzughose und ein weißes, bis zum Kragen zugeknöpftes Hemd.
Zudem hängt an seinem Hals noch eine mit einem senfgelben Gittermuster verzierte Krawatte.
Ihr Grundton ist ein sanftes lavendel.
Ein Anblick, den man in hochalpinen Regionen wohl selten zu Gesicht bekommt.
Die Hand des Mannes hält einen schwarzen Aktenkoffer.
„Wo zur Hölle kommen Sie denn her? Ach ist auch egal. Mein Bein ist gebrochen. Rufen Sie die Bergrettung!“, keuche ich ihm entgegen.
„Es tut mir sehr leid, aber Hilfe zu rufen steht leider nicht zur Option. Stattdessen habe ich ein anderes Angebot für Sie. Ich sorge dafür, dass Sie an den Fuß des Berges gebracht werden, wo Sie sich dann ein Taxi rufen können.“
 „Ja in Ordnung, nur helfen Sie mir!“

Der Herr im Hemd stellt seinen Aktenkoffer auf einem Felsbrocken ab.
Mit beiden Händen an den Kanten legt er ihn auf den Stein und betätigt die Verschlüsse.
Der Mann zieht zwei zusammengeheftete Dokumentbögen heraus und drückt sie mir in die Hand.
In der Kopfzeile steht „Salz im Fels GmbH“.
Das erste Blatt trägt den Titel: Verpflichtungserklärung zur Teilnahme an der betrieblichen Führung vor Ableistung des in Anspruch genommenen Hilfsdienstes.
Er beugt sich zu mir und beginnt zu erklären: „Sie müssen hier mit Ihrem Namen unterschreiben, um den Hilfsdienst unserer Organisation in Anspruch zu nehmen.
Mit der Unterschrift nehmen Sie eine detaillierte Führung durch das Firmenareal an.“
Er reicht mir einen Stift.
„Und was, wenn ich nicht Unterschreibe?“
„Dann muss ich Sie leider, entschuldigen sie bitte vielmals, hier liegen lassen. Ich bin in diesem Bezug an strenge Vorschriften gebunden.“
„Na gut. Ich hoffe, die Führung ist nicht zu umfangreich. Immerhin bin ich verletzt.“, antworte ich und unterschreibe den Vertrag.
Ich falte das Papier und stecke es in meine Tasche.
„Da das nun geklärt ist, werde ich Sie umgehend zum Firmensekretär begleiten. Er kümmert sich um den Rest.“, versichert mir der Angestellte.

Der Herr klatscht zweimal in die Hände.
Ohne Verzug treten zwei keuchende Gestalten in weißen Overalls hinter einem nahen Felsen hervor. Zwischen ihnen tragen sie eine Bahre, auf die sie mir hinaufhelfen.
Sie bringen mich auf eine vierkantige Plattform aus Stein.
Dort lösen sie ihre Finger von den Griffen, worauf die Trage zu Boden fällt und mir der bedauernswerte Zustand meines Beines wieder in all seiner Pracht durch den herben Polterer des Aufpralls  vor Augen geführt wird.
Aus tränenden Augenwinkeln sehe ich, wie meine Träger in ihrer Gleichgültigkeit wieder im Geröllwald verschwinden.
„Gott verdammt! Passen Sie doch auf!“, schreie ich ihnen hinterher.
Ich frage mich, was das für eine Firma sein muss, die so rücksichtslose Gestalten hervorbringt.
„Ich muss mich bei Ihnen für das Verhalten unserer Träger entschuldigen. Sie sind in letzter Zeit etwas mürrisch, weil wir ihren Antrag auf Lohnerhöhung abweisen mussten.“
„Das ist trotzdem keine Art, einen Gast zu behandeln. Mein Bein ist gebrochen. Bei so einer Behandlung werd ich ja noch zum Krüppel. Überhaupt, wie komme ich dazu, mich von so einem, so Achtlos behandeln zu lassen?  Was soll ich nur von einer Firma denken, die nicht mal ihre Träger im Griff hat?“, herrsche ich ihn mit an, während ich meine Hände in die Luft werfe um sie anschließend auf den Kopf zu legen.
„Entschuldigen Sie bitte, aber unser Betrieb ist es nicht gewöhnt, Gäste aufzunehmen. Normalerweise setzten wir unsere Träger zum Verladen der Produktionsgüter ein. Wie dem auch sei. Im Namen der „Salz im Fels GmbH“ möchte ich Sie nun offiziell durch meinen Posten als Vizesekretär auf unserem Firmengelände willkommen heißen. Jetzt geht es abwärts.“

Noch bevor ich weiteren Einwand erheben kann, beginnt sich das Plateau mit rasender Geschwindigkeit zu senken.
Dabei entsteht ein ohrenbetäubendes Grollen.  
Der Vizesekretär steht mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben mir als würde er den Lärm nicht wahrnehmen, während uns der Schacht in Schwärze und Krach hüllt.
Ich sehe, wie die Öffnung kleiner und kleiner wird, bis kein Licht mehr meine Netzhaut trifft.
Bei dem beharrlichen  Erschüttern der Umgebung bin ich mir nicht einmal mehr sicher, dass ich mich nach unten bewege.
Möglicherweise steht der Aufzug sogar still, und nur der Berg schaudert noch.  
Das schattengeschwärzte Kalksediment kämpft mit sich selbst.
Die Vibration lässt meinen Körper bedrohlich über die Steinplatte gleiten.
 Augenblicklich wird mir klar, dass mir die raue Kalkwand bei so einer Geschwindigkeit die Haut von den Muskeln ziehen wird, sollte ich ihr zu nahe kommen.
Panisch tasten meine Hände den glatt geschliffenen Untergrund nach Unebenheiten ab.
Sie treffen auf die Beine des Vizesekretärs und ich klammere mich wie ein hilfloses Kind daran fest.
Es gefällt mir kein Bisschen, mich in dieser erniedrigenden Position halten zu müssen, aber immerhin überstehe ich so die Fahrt, ohne mir weitere Verletzungen zuzufügen.
Langsam ebbt das Beben ab und kommt zur Gänze zum Erliegen.
Erleichtert löse ich meine schweißnassen Finger von dem Hosenbein.  
„Dieser Aufzug ist ja lebensgefährlich! Muss der so zittern?“
„Leider muss er das. Entschuldigen Sie bitte die Unannehmlichkeiten während der Fahrt. Wir haben schon mehrmals versucht, die Basisplatte durch ein weicheres Material auszutauschen, nur ist diese dann nicht mehr in der Lage, sich durch den Kalkstein zu fräsen.“

Eine Reihe Wandlaternen flackern auf und erhellen den mit Holz ausgekleideten Korridor zu meiner Linken.
Wieder ruft der Fremde durch sein Klatschen einen Träger, welcher einen Rollstuhl neben mich schiebt.
Ohne auf weitere Anweisungen zu warten beugt er sich zu mir herunter und versucht mir auf den Rollstuhl zu helfen.
Mit großer Mühe drücke ich ihn, unter Einsatz meiner Unterarme, von mir.
Ihn wieder zu sehen scheint mir wie ein schlechter Scherz.
„Aber sicher nicht! Schicken Sie ihn weg! Der hat schon genug Schaden angerichtet.“, gebe ich dem Vizesekretär zu verstehen.
Nach einer weiteren halbherzigen Entschuldigung entlässt er durch das erneute Zusammenschlagen seiner Handflächen den Träger.
Ohne weiter auf mich, mich, der ich mit gebrochenem Bein am Boden liege, zu achten, geht der Vizesekretär  auf den Gang hinaus, dreht sich um, und bittet mich, ihm zu folgen.
„Sagen Sie mal, es kommt mir langsam so vor, als versuchten Sie ja richtig, mich wütend zu machen! Helfen Sie mir gefälligst! Alleine komme ich da nicht rauf.“
Schon wieder entschuldigt sich der Kerl bei mir und ich kann fühlen, wie mein Magensaft langsam zu brodeln beginnt.
Während er die Seite mit dem verletzten Fuß stützt, bugsiere ich mein Becken auf die Sitzfläche des Rollstuhls.
„Jetzt können wir aber weiter. Das Büro liegt am Ende des Ganges.“
Als könnte ich die Flügeltür mit der goldenen Aufschrift „Sekretariat“ vor uns übersehen.

Hinter seinem Schreibtisch wartet der Sekretär, ein hutzeliges Männchen, dessen spinnwebenartiges Haar wie ein Lorbeerkranz die fleckige Glatze ziert.
Erst scheint es so, als würde er uns nicht bemerken, sowie wir uns ihm nähern, reißt er aber auf einmal seinen Kopf in die Höhe.
„Ah, da sind Sie ja, Herr Simsek!“, seine Stimme überschlägt sich fast.
„Und wie ich sehe, haben Sie auch unseren Gast mitgebracht, Herr Simsek. Das ist ja sehr erfreulich!“
Der Alte wendet sich an mich: „Wissen Sie, wir sind sehr stolz auf unseren Herrn Simsek. Er erledigt seine Aufgaben als mein Stellvertreter immer gewissenhaft und gibt sich so große Mühe, unseren Gästen eine angemessene Behandlung zukommen zu lassen. Nicht wahr, Herr Simsek?“
Der Vize steht nun über den Tisch gebeugt neben mir und seufzt ein: „Jawohl, Herr Sekretär.“, während ihm der Greis mit den vordersten Gliedern der gekrümmten Finger sanft die Wange streichelt.
„Das kann nicht deren Ernst sein.“, denke ich. „Die sollten besser aufhören, sich gegenseitig in den Arsch zu kriechen und sich lieber um mich kümmern.“
Entnervt ziehe Ich den Vertrag aus meiner Hosentasche und klatsche ihn auf den Tisch.
„Passen Sie mal auf, mir ist ziemlich egal, wie stolz Sie auf Ihren…“
„Aber warum denn? Der Herr Simsek ist ein vielversprechender Neuzugang in…“
„Lassen Sie mich gefälligst ausreden!“, schreie ich dem Sekretär entgegen, stampfe mit dem Fuß auf, und schreie daraufhin noch lauter.
Die Miene des Alten verhärtet sich zunehmend, während der Vizesekretär in schallendes Gelächter ausbricht.
Er wischt sich eine Träne aus dem Auge.
„Entschuldigen Sie bitte,…“
„Behalten Sie Ihre leeren Entschuldigungen! Ich habe es satt, mich mit Ihrem Gerede abspeisen lassen zu müssen! Und Sie, Sie Wichtigtuer. Ich kann Sie nicht ernst nehmen, wenn Sie nicht sofort aufhören, diesen inkompetenten Vollidioten zu verhätscheln. Es ist doch offensichtlich, dass es ihn kein Bisschen interessiert, wie es mir hier geht! Mir ist egal, was sie mir hier zeigen wollen, ganz gleich, was sie produzieren. Ich möchte das Ganze nur so schnell wie möglich hinter mich bringen, um endlich von diesem verdammten Berg runter zu kommen.“
Kaum hat der Sekretär das gehört, springt er auf und fährt seinen Untergebenen an:
„Was kommt mir denn da zu Ohren, Herr Simsek? Ihr Gast ist mit Ihrem Verhalten ihm gegenüber nicht zufrieden! Da habe ich Sie zu früh gelobt, Herr Simsek! Verschwinden Sie! Scheren Sie sich aus meinem Büro! Weg! Weg mit Ihnen!“
Er fuchtelt mit der Hand durch die Luft, als würde er ein lästiges Insekt verscheuchen, während der Vizesekretär, den Kopf zwischen die Schultern geklemmt, auf den Gang hinaus stürmt.
„Na Bumm. Dass der alten Kadaver noch so eine Auffassungsgabe besitzt hätte ich mir nicht gedacht. Diese Firma hat ja doch eine Führungskraft!“, denke ich.
Der Sekretär setzt sich, und wendet seinen noch immer rot angelaufenen Kopf zu mir.
„Doch nun zu Ihnen. Dem Anschein nach sind Sie nur aus Notwendigkeit, und nicht aus eigenem Interesse hier, darum will ich mich kurz fassen. Wenn sie das Büro verlassen, wird in der Halle auf der linken Seite des Ganges ein Techniker auf Sie warten.“
Endlich versteht mich hier mal einer.

Es sind jetzt schon mehrere Minuten vergangen. Und noch immer bin ich allein in dieser grauenhaft finsteren Lagerhalle. Das bleiche Licht der Leuchtröhren an der Wand hinter reicht nicht einmal, um dem Raum Grenzen zu setzen.
Eine Minute gebe ich dem Techniker noch, dann fahr ich wieder ins Büro und pfeif´ diesen Sekretär zusammen.
Anscheinend hat er seine Mitarbeiter doch nicht unter Kontrolle. Ich hab immerhin einen verdammten Vertrag unterschrieben.
Endlich dringen schnelle Schritte aus der Dunkelheit zu mir.
Nach wenigen Sekunden sehe ich einen rostrot gekleideten Mann auf mich zu stolpern.  „Bitte…!“ Der Unbekannte unterbricht seine Ansprache um nach schweren Atemzügen fortzusetzen. „…bitte, BITTE! Ich fleh´Sie an! Erzähln´s meinem Chef nichts von der Verzögerung. Aber jetzt müss´ ma weiter. G´statten, der Firmentechniker.“
Ohne auf eine Antwort zu warten schiebt er sich an mir vorbei.
„Moment mal! So geht das nicht. Sie können nicht allen Ernstes erwarten, dass ich mir, nach allem, was ich hier durchgemacht habe, auch noch über Ihre Verspätung einfach so hinwegsehe. Das werde ich nicht. Ich werde dem Sekretär alles erzählen. Immerhin werden Sie hier ja bezahlt.“
Meine Worte müssen den Techniker wohl an der richtigen Stelle getroffen haben.
Mit großen Augen entgegnet er mir: „Bitte, Herr, tun´s das nicht! Ich werd hier bezahlt, ´s is richtig, aber die lassen mich hier hackeln bis ich am Abend noch hier in dieser Halle vor Erschöpfung umfalle. Nach vier Stunden Schlaf darf ich dann aufstehen und weiterhackeln. Wissen´s, eigentlich müsst ich heute noch acht hydraulische Verladerampen reparieren. Durch Sie geht sich das jetzt vorn und hinten nicht aus. Für jeden Fehler kürzen´s ma das Gehalt, und dabei brauch ich das Geld für meine Familie. Bitte, sagen´s dem Chef nix!“
Da ich keine Lust darauf habe, mir weitere Ausflüchte anzuhören, willige ich also darauf ein, nichts von seiner Nachlässigkeit zu erzählen, und nehme mir fest vor, es dem Sekretär trotzdem zu berichten.
Nicht, weil ich mich über die Verspätung ärgere, sondern, weil ich der Meinung bin, dass für das ordentliche Funktionieren einer Firma so etwas einfach gemeldet gehört. Ja, genau deshalb.
Außerdem übertreibt der Kerl doch maßlos.

Also Folge ich ihm zwischen die Regalreihen.   
Sie stehen so nahe beieinander, dass ich die Reifen direkt anfassen muss.
Der Staub des Bodens vermischt sich mit dem klebrigen Schweiß zu einem kratzigen Film auf meiner Haut, und jedes Mal, wenn ein Rad an einer Kiste gestoppt wird, fürchte ich, stecken zu bleiben.
Vielleicht stehen die Metallgestelle auch in einem kaum merkbaren Winkel zueinander und schließen mich ein, sobald ich meinen Führer verliere.
Kurz bevor uns die Dunkelheit zu verschlucken droht, zieht der Techniker eine Taschenlampe aus seinem Werkzeuggürtel und erleuchtet den schmalen Gang zwischen den Reihen.                           
Betäubt durch die Totenstille des Lagerraums verliere ich jegliches Zeitgefühl.
Wären nicht die Schritte des Technikers und das abgehackte Raspeln der Griffe meiner Räder an den Kisten zu vernehmen, man könnte meinen das Gehör verloren zu haben.
Erst als das Klicken der Taschenlampe vor mir meine, vom Schrappen und Stampfen in Trance versetzten Trommelfelle aus dem Takt bringt, erkenne wie ein schwacher Lichtschacht seinen Weg durch die Regale sucht.
Ein Stück weiter und die lichtleere Schlucht liegt hinter mir.
Der Unrat des Bodens hat meine Hände wie Schimmel bis zu den Nagelbetten befallen.
Angewidert packe ich die Schmutzschicht am Handgelenk und ziehe sie in einem Stück ab.
Dasselbe widerhole ich für die andere Hand und lasse die pelzigen Abdrücke neben mir auf den Boden fallen.               

Vor uns befindet sich eine Stahltür von beachtlicher Größe.
Der Techniker umschließt einen der Griffe des Rades in ihrer Mitte mit der Hand und dreht seinen Kopf zu mir. „Normalerweise würd´ ich Ihnen raten, in der Produktionsstätte die Hände fest auf die Ohren zu drücken. Das wird bei Ihnen schwer gehen. Drum müss´ ma uns beeilen, sonst können Sie sich ordentlich wehtun. S´ is nicht b´sonderst weit, trotzdem solltn´s schon vorfahren.“
Er dreht das Rad dreimal gegen den Uhrzeigersinn.
Nach der dritten Umdrehung rasten die Riegel mit einem dumpfen Klicken im Mechanismus der Tür ein.
Der Techniker schafft es gerade noch aus dem Weg zu springen, bevor die Stahlplatte von einem blendenden Lärm aufgestoßen wird.
Ich weiß nicht, wie ich es in den Raum schaffe, denn der Krach ist von so unbeschreiblicher Lautstärke, dass ich jeden einzelnen Knochen in meinem Körper bis unter die Schädeldecke vibrieren spüre.
Der Klang ist das Brüllen, Wimmern, Keifen und Heulen tausender Menschen vermischt mit dem Zischen und Rattern von unter großen Druck arbeitenden Maschinen.
Keifende Düsen, begleitet durch das Schaben von Metall an Metall und im Kern sind die unzähligen Stimmen zu solch einer Kakophonie überlagert, dass sich nicht eine einzige Silbe erkennen lässt. Es scheint als würden sie sich im Inneren gigantischer Kupferkessel bekriegen und dadurch ein monströses Hämmern erzeugen.
Ich presse meine Hände, so fest ich kann an die Ohren um den Lärm wenigstens zu einem Teil auszuschließen. Es gelingt mir nicht.
Der donnernde Schall bricht einfach durch die Finger um sein Sperrfeuer auf den Trommelfellen zu entladen.
Mir ist, als würde das geballte Leid der Menschheit auf mich einprügeln. In verschwommenen Bildern sehe ich die Produktionsanlage.
Mit Kabeln an der Decke befestigt, hängt eine fleischfarbene Sphäre mit unregelmäßiger Oberfläche. Von ihr gehen organische Schläuche aus die sich wie Tentakel um zylindrische Pressen wickeln, welche, durch ein kompliziertes Rohrleitungssystem, einen kugelförmigen Tank in der Mitte der Halle speisen.
Nur dadurch, dass sich das Bild verschiebt nehme ich wahr, dass jemand meinen Rollstuhl hinter sich her und schließlich aus der Halle schleift.  

Der Techniker stemmt sich gegen die zweite Stahltür und schafft es mit Mühe sie zu schließen.
Der Lärm verstummt schlagartig und nur noch ein bestehender Pfeifton in meinen Ohren bleibt. „Sie hätten vorfahren sollen!“
Ohne auf den Tadel einzugehen, platze ich heraus: „Was fällt Ihnen eigentlich ein? Da drinnen ist es ja mordsgefährlich. Wollen Sie mich umbringen? Aus welchem Grund haben Sie mich da überhaupt durchfahren lassen?“  
„Die Produktionshalle gehört zur Führung. Ich bin verpflichtet Ihnen die zu zeigen. Sie schalten die Maschinen erst wieder in acht Stunden aus.“, antwortet er mir, während er mit dem Handrücken Schweißperlen von seiner Stirn wischt.
„Wer schaltet die Maschinen aus?“
„Wir nennen sie „die Fütterer“. Sie füttern die Anlage. Jetzt muss ich aber weiter. Hinter Ihnen ist die Tür, die sie wieder zum Büro des Sekretärs bringt.“  
Er deutet auf die Wand hinter mir.
Ich drehe mich um und fahre den Raum entlang.
Dieser ist nicht besonders breit und ich finde den Ausgang auf Anhieb.
Zu meinem Erstaunen führt er mich wieder in den Korridor durch den ich in die Firma gekommen bin.

Ich nähere mich dem Büro des Sekretärs, dessen Eingang mich wie ein offen stehender Mund empfängt.
Der Alte sitzt mit einem 64-Zähne-Grinsen hinter dem Schreibtisch und deutet mir, näher zu kommen.
Ich lasse ihn nicht warten. Hoffentlich fasst er sich auch dieses Mal kurz.
„Nun gut, Sie haben die Führung schon fast hinter sich gebracht. Ich hoffe, man hat Ihnen auch erklärt, wie genau die Gewinnung unserer Güter von statten geht oder?“
Ich verneine.
Er zieht seine dünnen Augenbrauen zusammen und schüttelt missbilligend den Kopf.
„Was für eine Sauerei, wozu hat man denn überhaupt Angestellte wenn man zum Schluss alles selbst machen muss. Aber damit will ich Sie jetzt nicht langweilen. Zwischen uns gibt es dringlichere Angelegenheiten zu besprechen. Ist Ihnen die Redewendung „Jemandem einen gesalzenen Brief schreiben“ geläufig?“
Ich bejahe.
„Nun, der Extractor, das ist die kugelförmige Maschine an der Decke unserer Fertigungshalle, ist in der Lage, menschliche Emotionen in eine Materielle Form umzuwandeln. Diese ist unser Salz.“
„Schön und gut, aber, was hat das mit mir zu tun? Warum würden Sie meine Notsituation ausnutzen, mich vertraglich binden, und ihren Betriebsalltag umzustellen, nur um mir zu zeigen, wie Sie Salz gewinnen?“
„Lassen Sie mich noch ausreden. Sie werden gleich erfahren, warum wir Sie zu uns geholt haben. Wissen Sie, negative Emotionen werfen besonders viel Erzeugnis ab. Darum sammeln wir genau diese. Als Brief, oder in virtueller Form durch Beschwerdemails bei Firmen, oder auch aus privaten Blogs. Das Medium ist uns nicht wichtig. Hauptsache, jemand hat seinem Leid eine Form verliehen.“
„Ich gebe zu, das ist ein sehr effizientes Geschäftsmodell. Beeindruckend, wie Sie das nehmen, was in der Gesellschaft nicht mehr gebraucht wird, und wie Sie daraus etwas Nützliches machen.“, muss ich ihm zugestehen.
Jetzt hat der Alte doch mein Interesse geweckt.
„Ja, und es kommt noch besser! Das besondere an unserem Salz ist, dass es die Information aus der es entsteht auch behält und auf seine Konsumenten überträgt.“
„Das ist ja... . Moment, was genau meinen Sie damit, dass das Salz seine „Information“ überträgt?“
„Ich meine, dass das Leid nicht einfach bei uns im Berg versickert. Nein, es wird nur umgewandelt und kann gleich an die nächste unbescholtene Frohnatur weitergegeben werden.
Und dadurch besteht die Möglichkeit, das es zu uns zurück kommt.“
„Ungeheuerlich! Und Sie wollen jetzt bestimmt, dass ich Ihnen meine Wut hier lasse, damit Sie sie an die Welt verfüttern können? Deshalb haben Sie mich diesem Vizesekretär ausgesetzt! Deshalb haben Sie mir mit Ihrer Führung so viele Scherereien gemacht! Sie wollen jetzt meine Gefühle ernten. Das werde ich nicht zu lassen!“
„Beruhigen Sie sich erstmal. Es war nie unsere Absicht, sie als Rohstoff zu missbrauchen. Sehen Sie, unserem Betrieb mangelt es an qualifizierten Fachkräften in Managementbereich. Wir hatten gedacht, dass jemand wie Sie dafür bestens geeignet wäre. Die Führung hat lediglich dazu gedient, Ihnen die Missstände in der Arbeitsmoral unserer Mitarbeiter aufzuzeigen, und der Vertrag war notwendig, da Sie uns ja Freiheitsberaubung vorwerfen könnten. Sie könnten sofort mit einem  Jahresgehalt von 65.000€ Netto einsteigen. Was sagen sie?“
Das Angebot ist verlockend, zugegeben, es würde mich reizen, im Betrieb für mehr Ordnung zu sorgen.
Aber in Anbetracht dessen, was ich mir hier gefallen lassen musste, was würde ich von mir denken, es anzunehmen? Ein Arschkriecher wäre ich, genauso wie dieser Vizesekretär.
Eigentlich ist es eine Frechheit, mich überhaupt diesen Missständen auszusetzen.
Ich werde diese Firma bekämpfen, für das, was ich hier durchgemacht habe.

Deshalb antworte ich: „Ich werde nicht für Sie Arbeiten. Ganz im Gegenteil. Ich werde, sobald ich hier raus bin mit allen Mitteln gegen vorgehen. Ich werde der Welt erzählen, wie Sie hier das Salz der Leute vergiften!“
„Nun gut, wenn Sie das unbedingt möchten. Der Vizesekretär wird Sie nun zum Ausgang bringen. Sie können gerne versuchen, unserer Firma zu schaden. Es wird Ihnen nicht gelingen.“, gibt er mir, immer noch lächelnd, zu verstehen.
Mit Sicherheit grinst er nur, um mich zu verunsichern.
Um mir mein Unterfangen aussichtslos erscheinen zu lassen.
Ich darf jetzt nicht den Schwanz einziehen.
Dem wird das Lachen noch vergehen, wenn erst die Menschen erfahren, was für ein grauenhafter Betrieb hier geführt wird, und man anfängt, sich über die Salz im Berg GmbH zu beschweren.
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Constantine
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Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag30.10.2014 13:42

von Constantine
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Hallo Cephalopode,

deine Überarbeitung lässt sich mMn sehen und hat sich im Großen und Ganzen gelohnt. Du bist deinem Protagonisten näher gekommen, hast ihn aktiver gemacht, ihn mit den anderen Personen mehr interagieren lassen und nun empfinde ich ihn auch mehr als eine Person denn als ein Dummy. Prima.

Du hast im Text noch einige Verschreiber, wie z.B. fehlende Pronomen oder Ähnliches. Ist nicht viel und ich denke, du findest die Sätze, wenn du dir deinen Text in Ruhe durchliest.

Ein kosmetischer Einwand zu deinem Text:
Was ich als zu viel sehe, sind nun die vielen Absätze nach fast jedem Satz. Das streckt deine Geschichte unnötig und hier und da unterbricht es in den Beschreibungen den Lesefluss, wenn ich nach (fast) jedem Satz einen neuen Absatz beginne. Beschreibungen oder Passagen, die zusammengehören, könntest du auch als Passage zusammenfassen.

Nun inhaltlich:
Ich beschränke mich auf das Ende, weil mir das als größter Punkt aufgefallen ist. Zum Ende hin wird dein Protagonist bzw. wirst du mMn zu geschwätzig. Du kaust das Vorhaben deines Protagonisten mehrfach durch und ich finde, du machst dir damit den Schluss deiner Geschichte kaputt.

Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
„Beruhigen Sie sich erstmal. Es war nie unsere Absicht, sie als Rohstoff zu missbrauchen. Sehen Sie, unserem Betrieb mangelt es an qualifizierten Fachkräften in Managementbereich. Wir hatten gedacht, dass jemand wie Sie dafür bestens geeignet wäre. Die Führung hat lediglich dazu gedient, Ihnen die Missstände in der Arbeitsmoral unserer Mitarbeiter aufzuzeigen, und der Vertrag war notwendig, da Sie uns ja Freiheitsberaubung vorwerfen könnten. Sie könnten sofort mit einem  Jahresgehalt von 65.000€ Netto einsteigen. Was sagen sie?“
Das Angebot ist verlockend, zugegeben, es würde mich reizen, im Betrieb für mehr Ordnung zu sorgen. <-- ist dein Protagonist auf Stellensuche? Was ist er von Beruf und würde er seinen Job dafür aufgeben? Passt für mich nicht.
Aber in Anbetracht dessen, was ich mir hier gefallen lassen musste, was würde ich von mir denken, es anzunehmen? Ein Arschkriecher wäre ich, genauso wie dieser Vizesekretär.
Eigentlich ist es eine Frechheit, mich überhaupt diesen Missständen auszusetzen.
Ich werde diese Firma bekämpfen, für das, was ich hier durchgemacht habe.

Deshalb antworte ich: „Ich werde nicht für Sie Arbeiten. Ganz im Gegenteil. Ich werde, sobald ich hier raus bin mit allen Mitteln gegen vorgehen. Ich werde der Welt erzählen, wie Sie hier das Salz der Leute vergiften!“
„Nun gut, wenn Sie das unbedingt möchten. Der Vizesekretär wird Sie nun zum Ausgang bringen. Sie können gerne versuchen, unserer Firma zu schaden. Es wird Ihnen nicht gelingen.“, gibt er mir, immer noch lächelnd, zu verstehen.
Mit Sicherheit grinst er nur, um mich zu verunsichern.
Um mir mein Unterfangen aussichtslos erscheinen zu lassen.
Ich darf jetzt nicht den Schwanz einziehen.
Dem wird das Lachen noch vergehen, wenn erst die Menschen erfahren, was für ein grauenhafter Betrieb hier geführt wird, und man anfängt, sich über die Salz im Berg GmbH zu beschweren.

In rot markiert schreibst du eigentlich dreimal das gleiche. Das würde ich deutlich kürzen.
Unbegreiflich ist mir nun der Wechsel zum Jobangebot an deinen Protagonisten(in cyan). Was die Missstände im Managementbereich angeht, unterminiert sich der Sekretär damit ja auch selbst, weil er zum Managementbereich gehört und unfähig ist, seine Mitarbeiter zu führen bzw. seine Anweisungen delegieren zu lassen.
Das Dilemma, dass dein Protagonist nach Verlassen der Firma in den Tod geht, kommt für mich nicht so richtig raus (in violett). Ausgang könnte auch der Fuß des Berges sein, wo dein Protagonist sich ein Taxi rufen könnte, oder? Wenn du die Vertragskonditionen zurücknimmst, muss das für den Leser klar sein, nicht aber für deinen Protagonisten, dass er wieder zurück zur Absturzstelle gebracht werden wird.
Mit gefiel das Ende deiner ersten Fassung besser, dass dein Protagonist als "Salzlieferant" dienen könnte. Die Änderung zum Management kommt für mich etwas konstruiert.

Ich denke, beim Zieleinlauf deiner Geschichte müsstest du nochmal nachfassen.

LG,
Constantine
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Cephalopode
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Beitrag30.10.2014 23:01

von Cephalopode
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Hallo Constantine,

Nochmals vielen Dank, das du dir die Zeit nimmst, auf meinen Text einzugehen!

Ich finde es aber etwas verwirrend, dass du das zu ausführlich beschriebene Vorhaben meines Protagonisten als störend empfindest, obwohl ich es trotz diesem nicht geschafft habe, das neue Ende klar genug darzustellen.

Das Stellenangebot habe ich gebraucht, um dem Sekretär einen Vorwand zu geben, unter dem er den Protagonisten in die Firma gebracht hat.
Das ist vielleicht nicht optimal gelöst, und ich hoffe, dass ich eine Alternative finde, aber etwas besseres ist mir, so banal das auch klingt, zu dem Zeitpunkt nicht eingefallen.
Aber für eine Firma, die Missetaten im Industriellen Maßstab begeht um ihren Gewinn zu machen scheint es mir einfach zu kleinlich, den Betrieb für einen Tag aufzuhalten, um eine einzelne Person wütend zu machen, und aus einem einzelnen Beschwerdebrief, Salz zu gewinnen.
Dir wird vielleicht aufgefallen sein, dass mein Protagonist jetzt eigentlich ein ziemlicher Ungustl ist und dessen Motive ausschließlich dem eigenen Wohlergehen dienen.
Er beschwert sich nicht, dass die Firma Leid mit NaCl-Geschmack verkauft, sonder darüber, dass er so schlecht behandelt wurde.
Dass er öffentlich einen großen Wirbel um die Firma machen möchte liegt daran, dass er doch etwas naiv, und jähzornig ist. Es soll so etwas wie sein persönlicher Rachefeldzug sein.
Und genau darauf setzt der Sekretär.
Weil er an das Salz denkt, dass die Firma gewinnen kann, wenn sich erst die ganze Welt über diese aufregt.

Bleibende Fehler und kosmetische Missgeschicke werde ich natürlich versuchen zu beheben.
Für den Schluss muss ich mir allerdings noch mehr einfallen lassen.

Liebe Grüße,
Cephalopode
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Constantine
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Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag31.10.2014 15:04

von Constantine
Antworten mit Zitat

Hallo Cephalopode,

Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
Das Stellenangebot habe ich gebraucht, um dem Sekretär einen Vorwand zu geben, unter dem er den Protagonisten in die Firma gebracht hat.
Das ist vielleicht nicht optimal gelöst, und ich hoffe, dass ich eine Alternative finde, aber etwas besseres ist mir, so banal das auch klingt, zu dem Zeitpunkt nicht eingefallen.

Zu Beginn weiß der Sekretär nicht, ob der Protagonist ein geeigneter Manager wäre oder nicht, oder? Was du tun könntest wäre: Zuerst mag der Sekretär im Protagonisten einen Wut-Lieferanten sehen. Das kann er auch offen im letzten Gespräch erwähnen. Aber aufgrund des beobachteten Verhaltens bzw. aufgrund dessen charakterlicher Qualitäten überdenkt der Sekretär sein Vorhaben und sieht im Protagonisten einen nützlichen Mitarbeiter, dem er eine Stelle anbietet.


Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
Aber für eine Firma, die Missetaten im Industriellen Maßstab begeht um ihren Gewinn zu machen scheint es mir einfach zu kleinlich, den Betrieb für einen Tag aufzuhalten, um eine einzelne Person wütend zu machen, und aus einem einzelnen Beschwerdebrief, Salz zu gewinnen.

Was du noch zusätzlich in deine Geschichte integrieren könntest, wären weitere Besucher wie dein Protagonist, die ihm auf dem Weg durch die Firmenräume begegnen. Diese Besucher sind auch in Begleitung von Trägern/Technikern. Damit würdest du die Firma etwas mehr beleben und ihre Emotionslieferanten-Rekrutierung etwas mehr ausbauen und auch industrieller effektiver erscheinen lassen.

Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
Dir wird vielleicht aufgefallen sein, dass mein Protagonist jetzt eigentlich ein ziemlicher Ungustl ist und dessen Motive ausschließlich dem eigenen Wohlergehen dienen.

Dieser Teil deiner Überarbeitung des Charakters deines Protagonisten gefällt mir und ist für mich nachvollziehbar. Dein Protagonist hat ein gebrochenes Bein, aber die Mitarbeiter der Firma interessiert dies anscheinend nicht. Sein Unmut ist verständlich und dir gut gelungen zu transportieren.
 
Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
Er beschwert sich nicht, dass die Firma Leid mit NaCl-Geschmack verkauft, sonder darüber, dass er so schlecht behandelt wurde.

Ich würde den Satz mit dem verlockenden Angebot, und dass ihn die Arbeit reizen könnte, streichen. Ich würde auch die mehrfachen Wiederholungen, was dein Protagonist tun nicht tun wird bzw. tun möchte, z.B. die Firma bekämpfen = mit allen Mitteln gegen die Firma vorgehen = (mehr oder weniger auch) beschweren. Vielleicht die letzte Passage etwas mehr auf den Punkt formulieren, auch mit mehr Wut deines Protagonisten, er schimpft wie ein Rohrspatz und der Sekretär lächelt nur wissentlich und lässt den Protagonisten zum Ausgang führen. So etwas würde mir reichen, um die Firma/den Sekretär siegessicher erscheinen zu lassen und den Protagonisten als opfer seiner Emotionen die Konsequenz seiner Handlung garnicht erkennen.


Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
Für den Schluss muss ich mir allerdings noch mehr einfallen lassen.

Als schwierig sehe ich nun diese Emotions-Extraktion und Verkauf von "Emotions-Salz", welches die extrahierte Emotion im Salz-Konsumenten auslöst und somit potenziert. Eigentlich dürfte die Firma florieren ohne Ende, Gewinne abwerfen und die Arbeitssituation der Mitarbeiter verbessern, oder?
Du schreibst
Cephalopode hat Folgendes geschrieben:
„Ich muss mich bei Ihnen für das Verhalten unserer Träger entschuldigen. Sie sind in letzter Zeit etwas mürrisch, weil wir ihren Antrag auf Lohnerhöhung abweisen mussten.“
Warum musste der Antrag abgewiesen werden? Wenn man mit der Arbeitsweise unzufrieden ist, warum werden die Mitarbeiter nicht entlassen und durch Motiviertere ersetzt? Oder wäre dies die Aufgabe des neuen Managers? Worin besteht genau die Aufgabe des Sekretärs?
Was die Emotion Wut angeht, so gibt es auf der Welt reichlich Krisenherde und Kriegsgebiete, in denen die Wut sehr dominant ist. Du sprichst bei negativen Emotionen mehr von Leid der Menschen als von Wut. Wo ist da für dich der Unterschied? Ich finde Leid zu allgemein. Leid ist keine Emotion, aber Trauer, Schmerz, Angst, Wut. Diese Emotionen sind nicht rein negativ, denn ich finde, sie sind psychologisch wichtig und haben positive Effekte. Ich finde es schwierig, Emotionen als rein negativ zu betiteln. Der Grund, der diese Emotionen hervorruft, kann in den meisten Fällen negativer Natur sein, Bedrohung, Gewalt, Existenzängste, Ungerechtigkeiten. Ich denke, da müsste der Mechanismus der Firma bzw. der Sprachduktus des Sekretärs zum Ende hin etwas präzisiert werden.

Vielleicht ist von meinen Anmerkungen etwas Hilfreiches dabei. Aber ich möchte dennoch nochmal betonen, ich finde, deine aktuelle Überarbeitung ist eindeutig eine Verbesserung und nimmt mich als Leser besser mit in deine Geschichte. Deine Arbeit hat sich zum Besseren deiner Geschichte gelohnt.

LG,
Constantine
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Cephalopode
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Beitrag02.11.2014 19:56

von Cephalopode
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Hallo Constantine,

Zitat:
Was die Emotion Wut angeht, so gibt es auf der Welt reichlich Krisenherde und Kriegsgebiete, in denen die Wut sehr dominant ist. Du sprichst bei negativen Emotionen mehr von Leid der Menschen als von Wut. Wo ist da für dich der Unterschied? Ich finde Leid zu allgemein. Leid ist keine Emotion, aber Trauer, Schmerz, Angst, Wut. Diese Emotionen sind nicht rein negativ, denn ich finde, sie sind psychologisch wichtig und haben positive Effekte. Ich finde es schwierig, Emotionen als rein negativ zu betiteln. Der Grund, der diese Emotionen hervorruft, kann in den meisten Fällen negativer Natur sein, Bedrohung, Gewalt, Existenzängste, Ungerechtigkeiten. Ich denke, da müsste der Mechanismus der Firma bzw. der Sprachduktus des Sekretärs zum Ende hin etwas präzisiert werden.


Danke, dass du mich darauf aufmerksam machst.
Meine Grundidee war eigentlich, dass die Firma ihr Salz ausschließlich aus Beschwerden generiert.
In diesen spielt eben Wut eine tragende Rolle, da durch diese ja die Frustration, der Person, die die Beschwerde hervorbringt, ausgedrückt wird.
In meiner ersten Fassung der Geschichte hat der Protagonist zwar sehr gelitten, wirklich wütend wurde er aber nicht.
Daher musste ich das Ressourcenspektrum der Firma gezwungenermaßen etwas ausdehnen.
Ich denke, dass ich das jetzt wieder rückgängig machen, und die Funktion der Firma eingrenzen kann.
Das hilft mir schon sehr.
Um noch bei den Emotionen zu bleiben.
Natürlich sind diese wichtig, aber, wie du geschrieben hast, werden diese durch ein (meistens) passendes Ereignis hervorgerufen. Sie können es einem erleichtern, auf eben dieses Ereignis angemessen zu reagieren. Hier haben wir allerdings Salz, dessen Einnahme Wut auslöst. Hier ist die emotionale Reaktion doch eher unpassend. Die betroffene Person wäre einem, in den meisten Fällen als negativ empfundenen, Gefühlszustand ausgesetzt, und würde wahrscheinlich versuchen, sich Erleichterung zu verschaffen.

Zitat:
Als schwierig sehe ich nun diese Emotions-Extraktion und Verkauf von "Emotions-Salz", welches die extrahierte Emotion im Salz-Konsumenten auslöst und somit potenziert. Eigentlich dürfte die Firma florieren ohne Ende, Gewinne abwerfen und die Arbeitssituation der Mitarbeiter verbessern, oder?

Das ist ein berechtigter Einwand.
Wenn ich die Firma jetzt ihr Salz ausschließlich aus Beschwerden gewinnt, müssten diese erst formuliert, und an betreffende Organisationen geschickt werden.
Nicht jeder Konsument würde die dem Salz entnommene Wut in formelle Beschwerden stecken.

Zitat:
Was du noch zusätzlich in deine Geschichte integrieren könntest, wären weitere Besucher wie dein Protagonist, die ihm auf dem Weg durch die Firmenräume begegnen. Diese Besucher sind auch in Begleitung von Trägern/Technikern. Damit würdest du die Firma etwas mehr beleben und ihre Emotionslieferanten-Rekrutierung etwas mehr ausbauen und auch industrieller effektiver erscheinen lassen.

Die Idee ist nicht schlecht, nur passt sie leider nicht in die Geschichte. Ich müsste dann nämlich erklären, warum die anderen Besucher in diese Firma, die eigentlich keinen Besuch empfängt, gelangt sind. Sie würden sich nicht so wie der Protagonist in einer Notlage befinden und wären nicht auf die Hilfe der Firma angewiesen.

Zum Stellenangebot:
Ich hatte nicht vor, den Sekretär das Angebot ernst meinen zu lassen. Es war lediglich ein falscher Vorwand, um dem Protagonisten nicht den eigentlichen Grund seiner Teilnahme an der Führung zu verraten. Er soll ja denken, er würde mit seinem „auf die Firma aufmerksam machen“ etwas bewirken.
Ich würde lieber versuchen, da eine geeignete Alternative zu finden, als das Angebot weiter auszubauen.

Danke, für deinen ausführlichen Kommentar. Er war durchaus hilfreich.

LG,
Cephalopode
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