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Der Umweg


 
 
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MT
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 52
Beiträge: 1090
Wohnort: Im Süden (Niedersachsens)


Beitrag15.10.2014 13:30
Der Umweg
von MT
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Tachchen zusammen,

auch wenn ich mich - beruflich bedingt - leider immer wieder rar hier mache - die Hoffnung, weiter zu schreiben, habe ich noch nicht endgültig beerdigt. Auf der Festplatte liegt einiges, von dem ich meine, es könnte sie ein Weiterschreiben lohnen.

Hier der Anfang einer Erzählung, die auf geschätzt 100-150 Seiten angelegt war/ist. Der Protagonist und seine Ehefrau "gönnen" sich eine Eheauszeit, weil vor allem er meint, die wahre Liebe fehle inzwischen. Doch dann kommt alles ganz anders...

Würdet Ihr weiterlesen wollen?



Der Umweg

Es matscht und schlickt, wenn die Hufe der Holsteiner ins Watt stampfen. Sie scheinen den Weg zu kennen, wie an einer unsichtbaren Leine bewegen sie sich vorwärts, stolz und stur und wissend, so dass die Peitsche, die der Kutscher neben mir in den Himmel hält, wie eine überflüssige Touristenattraktion wirkt. Die Wangen des Mannes sind gerötet, ein blonder, schon allmählich ins Grau changierender Bart leuchtet vor dunklem Septemberhimmel. Hinter mir, auf der Bank der Kutsche, liegt mein Koffer. Ich habe ihn jahrelang nicht benutzt, es bestanden keine Anlässe. Wenn wir in den Urlaub fuhren, taten wir es mit dem Wagen, auf dem Dach eine große Reisebox, in die unsere Kleidung, Handtücher und allerlei anderes Zeug geschmissen wurden, die Kleidung zuvor in Plastiktüten verstaut. Nur in den vergangenen Monaten habe ich meinen Koffer gebraucht. Oft sogar.
„Und, erste Mal?“, fragt mich der Fahrer, der seit einer viertel Stunde, die wir jetzt zusammen im Watt unterwegs sind, kein einziges Wort gesprochen hat.
„Was meinen Sie? Die Wattwagenfahrt hier?“
„Nee, Neuwerk“, brummt er. Dann greift er in die Seitentasche seiner Joppe, holt eine Tabakspfeife hervor und brennt sie an.
Wir zwei müssen ein seltsames Gespann abgeben, ein bisschen wie Stan Laurel und Oliver Hardy. Er der kleine Dicke, ich der Dünne aus der Stadt, eingepackt in einen viel zu engen, hellbraunen Mantel, in dem ich friere, und über den sie hier draußen vermutlich nur den Kopf schütteln.
„Ich wollte immer mal mit meiner Frau im Leuchtturm übernachten“, sage ich.
„Und?“, macht er.
„Was, und?“
„Wo ist sie?“
„Wer?“
„Ihre Frau, wer sonst?“
Allmählich steigt der Wasserspiegel. Ein paar letzte Sonnenstrahlen schaffen es ab und an, sich durch die dunklen Wolken zu mogeln, dann fallen sie aufs Meer und lassen es funkeln, als würde es zu Leben erweckt. Aus dem Sapschen der Pferdehufe im Schlick ist jetzt ein wässernes Plitschen geworden, während die dünnen Räder der Kutsche durch die zurückkommende Nordsee sirren.
Ich schließe den obersten Knopf meines Stadtmantels und sehe zur Uhr. Gleich halb neun, es wird dunkel.
„Wie weit ist es noch“, will ich von dem Mann an meiner Seite wissen.
Der Rauch seiner Pfeife steigt auf. Als er sie aus dem Gesicht nimmt, wird das zerkaute Mundstück erkennbar.
„Moment dauert’s noch“, sagt er und schon steckt er die Pfeife zurück in den Mund.
Meine Lippen schmecken salzig und irgendwie nach Muschelkalk und Tang. Wir konnten uns stundenlang am Meer aufhalten, du und ich. Wenningstedt, weißt du noch? In jenem Jahr im Februar schneite es auf der Insel. Wir gingen am Strand spazieren bis es dunkel wurde, du in meinem Arm, wir hatten die Wollmützen tief ins Gesicht gezogen und später in der Kneipe am Kliff Grog bestellt. Und dann dieses viel zu kleine Bett in unserem Hotelzimmer, es machte uns nichts aus, wir waren unverletzbar, wir hatten in Drachenblut gebadet.
Plötzlich bleiben die Pferde stehen. Von einer Minute zur anderen stoppen sie ihren Gang und damit unsere Fahrt. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Masche meines Wattführers ist. Vielleicht will er mich, den Schnösel aus der Hansestadt, das Fürchten lehren, denn er ist die Ruhe selbst, scheint sich nicht einmal bemüßigt zu fühlen, von seinem Platz aufzustehen und die zwei störrischen Zeitgenossen vor uns zum Weitergehen anzutreiben.
„Was ist los, warum halten wir?“ Bei meiner Frage versuche ich ganz unbesorgt zu wirken. Doch wenn ich es recht bedenke, dürften es noch gut zwei Kilometer sein, die uns von den am Horizont schwach aufscheinenden Lichtern hinter den Fenstern der Häuser trennen. Die Wassertemperatur schätze ich auf höchstens dreizehn Grad, und der Höhe nach dürfte es inzwischen bis zu den Knien reichen.
„Die haben Schiss vor der Flut“, nuschelt der Mann mit Pfeife zwischen den Zähnen und ist ganz beschäftigt damit, ein Streichholz an der Schachtel anzureißen, um erneut den Tabak zum Glimmen zu bringen.
Er weiß, was er tut, ganz sicher. Das rede ich mir jetzt ein, das muss ich mir einreden, sonst nimmt der Druck in der Brust viel zu sehr zu. Wenn der Kerl allerdings nicht augenblicklich in irgendeine Handlung verfällt, die wenigstens den Anschein erweckt, als sei sie ein Anfang zur Lösung unseres Problems, drehe ich ihm den Hals um.
„Für Pferde, die andauernd durchs Watt marschieren, ist es ein wenig ungewöhnlich, dass sie Angst vor Wasser haben, meinen Sie nicht?“
Er dreht seinen Kopf wie in Zeitlupe zu mir rüber.
„Vor Wasser nicht, nur vor Flut“, sagt er und sieht wieder nach vorn.
Als ich aufstehe und zu meinem Koffer auf die hintere Bank klettern will, greift er nach meinem Arm.
„Setzen Sie sich, geht gleich weiter.“
Für einen Moment verharre ich in meinen Bewegungen und sehe zu dem Kerl hinab. Ich frage mich, womit ich es verdient habe, dass mich dieser kleine, dicke, alte Wattführer, der mindestens so störrisch ist, wie seine beiden Gäule, behandelt, als sei ich ihm vollkommen gleichgültig, und ich sträube mich gegen den Gedanken, dass es tatsächlich so sein könnte. Ich setze mich wieder. Plötzlich sieht er mich an und schmunzelt.
„Gleich wird‘s den beiden zu kalt an den Fesseln, dann ist Pause zu Ende. Kälte siegt über Angst, tut sie immer.“
Tatsächlich vergeht nach seinen Worten nur ein Augenblick, bis die Tiere sich wieder in Bewegung setzen. In diesem Moment durchfährt ein warmer Schauer meinen Körper, aber mehr als ein „Alle Achtung!“ lasse ich mir trotz dieses Gefühls der nahenden, warmen Gaststube nicht abringen.

Der Turm ist größer, als ich ihn mir vorgestellt habe, ein mächtiger, in den Nachthimmel ragender Backsteinbau, der seit Jahrhunderten den Seefahrern sicheres Geleit bietet und den Menschen an Land bis heute Zufluchtsort bei Sturmfluten ist. Sein Leuchtfeuer allerding scheint mir recht schwach zu sein, wie ein gebündelter heller Nebel zieht er seine Kreise, sticht aber nicht weit auf See hinaus.
„Ist nur noch zur Schau.“ Der Kutscher, der gerade meinen Koffer von der Rückbank bugsiert, hat offenbar gemerkt, dass ich etwas verwundert nach oben sehe.“
„Was heißt das?“
„GPS heißt das, unsern Leuchtturm braucht man nicht mehr, jedenfalls nicht für da draußen.“ Der Mann nickt rüber aufs tiefschwarze Meer.
Durch einen steinernen Aufgang mit Wendeltreppe, in dem der Geruch von nassem Beton und Zigaretten hängt, gelange ich in einen Raum im ersten Stock. Warmes Licht und ein knisterndes Kaminfeuer empfangen mich. Es riecht nach Grünkohl und Bratkartoffeln, sofort reagiert mein Magen mit einem Knurren. Meine Brillengläser beschlagen, als ich die Brille abnehme, verschwimmt alles für einen kurzen Moment vor mir, bis es sich allmählich ordnet. Im Gastraum sitzen ein paar Leute an den Holztischen, auf denen Kerzen flackern und essen und trinken Bier. Boden, Decken und Wände sind vollständig mit Kiefernholz ausgekleidet, man könnte meinen, man befinde sich in einer Skihütte. Nur die hellblauen Tischdecken und die weißen, gerafften Gardinen an den Fenstern, die Bilder mit Meeres- und Schiffsmotiven und die Fangnetze, Fender und Tauchglocken, die unter der Decke hängen, legen untrügliches Zeugnis dafür ab, dass ich mich in Friesland befinde, auch wenn Neuwerk politisch zu Hamburg gehören mag.
Mein Kutscher hat es sich nicht nehmen lassen, mein Gepäck nach oben zu tragen, jetzt steht der kleine, dicken Mann neben mir und schnauft wie ein Walross. Ich setzte meine Brille wieder auf. Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn, die er mir zuliebe in dunkle Falten gezogen hat. Irgendwie mag ich ihn.
Die Frau an der Rezeption, fast noch ein Mädchen mit kurz geschorenem schwarzen Schopf und einem Ring in der Unterlippe, weist mir das Zimmer mit der Nummer 203 zu, im obersten Stock, direkt unter dem Raum, in dem das verantwortungslose Leuchtfeuer seine Runden dreht. Sie überreicht mir den Schlüssel, während ich ein Formular mit meinen persönlichen Daten ausfülle, das ich ihr anschließend über den Holztresen schiebe.
„Dann nochmals: Herzlich willkommen, Herr Petersen.“ Sie liest meinen Namen von dem Blatt ab und streckt mir ihre Hand entgegen; eine Geste, die ich hier in diesem Turm, auf der Insel und überhaupt von diesem Mädchen, das meine Tochter sein könnte, als viel zu förmlich empfinde. Als ich einschlage und sie erneut auf den Zettel schaut, stutzt sie.
„Oh, Sie haben vergessen die Dauer Ihres Aufenthalts anzugeben.“
Ich befreie mich aus ihrem Händedruck.
„Muss man das denn angeben?“
Sie nickt.
„Wegen der Weitervermietung und Reservierungen und so.“
„Ah, verstehe. Dann tragen Sie bitte erst einmal zwei Wochen ein. Danach schauen wir mal.“
Ich weiß, dass ihr meine Antwort nicht gefallen kann, dennoch lächelt sie weiter und trägt den 06. Oktober als Abreisedatum nach. Beim Umdrehen überlege ich, ob ich überhaupt so lange bleibe.
Mein treuer Gefährte und Kutscherlenker hat bis eben ausgeharrt, jetzt will er wieder meinen Koffer greifen.
„Bitte lassen Sie nur, ich schaffe den Rest allein.“
Er starrt mich an, als hätte ich ihn beleidigt, und in dieser Pose, ein enttäuschter Mann, der sich vielleicht Trinkgeld erhofft hat, will ich ihn nicht stehen lassen.
„Mögen Sie einen Köm mit mir trinken?“ Kaum habe ich die Frage gestellt, erhellen sich seine Gesichtszüge. Er nickt, und ich muss mir eingestehen, dass mir ein wenig Gesellschaft heute Abend nicht unlieb ist.
„Suchen Sie uns schon Mal einen Tisch aus, ich bin gleich bei Ihnen, bringe nur eben den Koffer hoch.“
Ohne ein Wort trottet er hinüber in den Gastraum. Als ich schon auf der Treppe bin, sehe ich, wie das Mädchen an der Rezeption ihm zuzwinkert. In diesem Moment wird mir klar, wie allein ich bin.



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lupus
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Beitrag15.10.2014 17:24
Re: Der Umweg
von lupus
Antworten mit Zitat

Servus Nordmann,

freu mich, dich wieder zu lesen.

Du fragst danach, ob wir - in dem Fall ich halt - weiterlesen würde/n.

Sprachlich ist wie immer nix auszusetzen. Das ist einwandfreies Deutsch, da holpert nix, da sind keine Fehler drin, die Sätze funktionieren, variieren. Alles bestens.

Inhaltlich ist das jetzt nach deiner Einführung nicht gerade meins, aber das sagt gar nix, ich hab schon so viel gelesen, was nicht meins war und dann war ich ganz begeistert. Ich bin mir nicht sicher - du schreibst von 150/200 Seiten - ob das Grundthema nicht einfach zu früh eingeführt wird, ob du da nicht ein bisserl mit der Tür ins Haus fällst. Vielleicht irre ich mich ja, aber im  nächsten oder übernächsten Kapitel beginnt dann die Rückblende 'wie es dazu kam'. Das ist jetzt an sich ja noch kein Problem, aber ich für meinen Teil würd erst einmal den Prota einführen, ohne gleich das problem zu nennen. Und wenn, dann mit de, letzten Satz - der gefällt mir gut - aber den Dialog über die Frau und den gedanklichen Rückblick (noch da zu mit 'Du') würd ich für's erste weglassen, zumal du damit dem letzten Satz seine Wirkung nimmst. Und irgendwie: du schreibst deinen ungestressten, 'langsamen', ruhigen Stil. Dem entsprechend denk ich mir, wär es auch klug das Thema langsam und ruhig aufzubauen, es entstehen, wachsen zu lassen. Mir persönlich ist das, was ich jetzt schon weiß zu explizit.

Mir ist klar: du Nordländer weißt natürlich wie's dort ausschaut. Ich hab keine Ahnung (sagen wir einmal). Noch immer nicht. Kann mir noch kein Bild machen. Aber ich hab ganz viel darüber gelernt, welche Geräusche Pferdehufe machen können. Wink Zu viel für meinen Geschmack.

Also gleich einmal die Antwort: ja, würd ich - aber schon einmal mit Zurückhaltung und sehr kritisch, weil mich der Anfang zwar nicht rausgeschmissen, aber auch nicht gefangen genommen hat.

jetzt noch ein paar Erbsen:

MT hat Folgendes geschrieben:


Der Umweg

Es matscht und schlickt, wenn die Hufe der Holsteiner ins Watt stampfen. Sie scheinen den Weg zu kennen, wie an einer unsichtbaren Leine bewegen sie sich vorwärts, stolz und stur und wissend, so dass die Peitsche, die der Kutscher neben mir in den Himmel hält, wie eine überflüssige Touristenattraktion wirkt. [toller Beginn ... spannende Satzstruktur, Interpunktion, gute Länge ]Die Wangen des Mannes sind gerötet, ein blonder, schon allmählich ins Grau changierender Bart leuchtet vor dunklem Septemberhimmel. [das irritiert mich: es ist also schon Abend? der HImmel ist dunkel, aber der Bart leuchtet - das ist entweder zu viel oder das Bild hängt schief] Hinter mir, auf der Bank der Kutsche, liegt mein Koffer. Ich habe ihn jahrelang nicht benutzt, es bestanden keine Anlässe [ich würd kein Anlass schreiben, einer hätte nämlich gereicht, um das jahrelang zu unterbrechen]. Wenn wir in den Urlaub fuhren, taten wir es mit dem Wagen, auf dem Dach eine große Reisebox, in die unsere Kleidung, Handtücher und allerlei anderes Zeug geschmissen wurden, die Kleidung zuvor in Plastiktüten verstaut. ['in der wir alles nötige verstauten - was du schreibst ist mE einfach zu genau, unnötig genau ... und 'Zeug' passt irgendwie nicht hier her] Nur in den vergangenen Monaten habe ich meinen Koffer gebraucht. Oft sogar.
„Und, erste Mal?“, fragt mich der Fahrer, der seit einer während der viertel Stunde, die wir jetzt zusammen [ =klar] im Watt unterwegs sind, kein einziges Wort gesprochen hat.
„Was meinen Sie? Die Wattwagenfahrt hier?“
„Nee, Neuwerk“, brummt er. Dann greift er in die Seitentasche seiner Joppe, holt eine Tabakspfeife hervor und brennt sie an.
Wir zwei müssen ein seltsames Gespann abgeben, ein bisschen wie Stan Laurel und Oliver Hardy. Er der kleine Dicke, ich der Dünne aus der Stadt, eingepackt in einen viel zu engen, hellbraunen Mantel, in dem ich friere, und über den sie hier draußen vermutlich nur den Kopf schütteln. [yep ... klingt gut ... nur würd ich ein 'werden' anhängen]
„Ich wollte immer mal mit meiner Frau im Leuchtturm übernachten“, sage ich.
„Und?“, macht er.
„Was, und?“
„Wo ist sie?“
„Wer?“
„Ihre Frau, wer sonst?“
Allmählich steigt der Wasserspiegel. Ein paar letzte Sonnenstrahlen schaffen es ab und an, sich durch die dunklen Wolken zu mogeln, dann fallen sie aufs Meer und lassen es funkeln, als würde es zu Leben erweckt. Aus dem Sapschen der Pferdehufe im Schlick ist jetzt ein wässernes Plitschen geworden, während die dünnen Räder der Kutsche durch die zurückkommende [schön] Nordsee sirren.
Ich schließe den obersten Knopf meines Stadtmantels und sehe zur [/s] [auf die??][/b] Uhr. Gleich halb neun, es wird dunkel. [das steht jetzt schon 2 x da]
„Wie weit ist es noch“, will ich von dem Mann an meiner Seite wissen.
Der Rauch seiner Pfeife steigt auf. Als er sie aus dem Gesicht nimmt, wird das zerkaute Mundstück erkennbar.
„Moment dauert’s noch“, sagt er und schon steckt er die Pfeife zurück in den Mund.
Meine Lippen schmecken salzig und irgendwie nach Muschelkalk und Tang. Wir konnten uns stundenlang am Meer aufhalten, du und ich. Wenningstedt, weißt du noch? In jenem Jahr im Februar schneite es auf der Insel. Wir gingen am Strand spazieren bis es dunkel wurde, du in meinem Arm, wir hatten die Wollmützen tief ins Gesicht gezogen und später in der Kneipe am Kliff Grog bestellt. Und dann dieses viel zu kleine Bett in unserem Hotelzimmer, es machte uns nichts aus, wir waren unverletzbar, wir hatten in Drachenblut gebadet.
Plötzlich bleiben die Pferde stehen. Von einer Minute zur anderen stoppen sie ihren Gang und damit unsere Fahrt. [und: ein Bremsweg von einer Minute is schon recht lang, oder? Und was is mit 'plötzlich?; und warum schreibst du zwei Mal/eigentlich drei Mal, dass die Pferde stehen bleiben?] Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Masche meines Wattführers ist. Vielleicht will er mich, den Schnösel aus der Hansestadt, das Fürchten lehren, denn er ist die Ruhe selbst, scheint sich nicht einmal bemüßigt zu fühlen, von seinem Platz aufzustehen und die zwei störrischen Zeitgenossen vor uns zum Weitergehen anzutreiben.
„Was ist los, warum halten wir?“ Bei meiner [der/dieser? - das das der Prota fragt ist klar] Frage versuche ich ganz unbesorgt zu wirken. Doch wenn ich es recht bedenke, dürften es noch gut zwei Kilometer sein, die uns von den am Horizont schwach aufscheinenden Lichtern hinter den Fenstern der Häuser [aus 2 km Entfernung nicht feststellbar bestenfalls erahnbar] trennen. Die Wassertemperatur schätze ich auf höchstens dreizehn Grad, und der Höhe nach dürfte es inzwischen bis zu den Knien reichen.
„Die haben Schiss vor der Flut“, nuschelt der Mann mit Pfeife zwischen den Zähnen und ist ganz beschäftigt damit, ein Streichholz an der Schachtel [is klar] anzureißen, um erneut den Tabak zum Glimmen zu bringen.
Er weiß, was er tut, ganz sicher. Das rede ich mir jetzt ein, das muss ich mir einreden, sonst nimmt der Druck in der Brust viel zu sehr zu. Wenn der Kerl allerdings nicht augenblicklich in irgendeine Handlung verfällt, die wenigstens den Anschein erweckt, als sei sie ein Anfang zur Lösung unseres Problems, drehe ich ihm den Hals um. [ich bin verwirrt: ich fand den Typen bis jetzt nicht wirklich unsympathisch oder abweisend - ein bisserl wortkarg halt, aber nicht ungut; vielleicht hast du weniger transportiert als du wolltest? und: willst du den Prota irgendwie charakterisieren? Als Mega-Feigling oder so? Mein Gott steht er halt ein bisserl]
„Für Pferde, die andauernd durchs Watt marschieren, ist es ein wenig ungewöhnlich, dass sie Angst vor Wasser haben, meinen Sie nicht?“
Er dreht seinen Kopf wie in Zeitlupe zu mir rüber.
„Vor Wasser nicht, nur vor Flut“, sagt er und sieht wieder nach vorn.
Als ich aufstehe und zu meinem Koffer auf die hintere Bank klettern will, greift er nach meinem Arm.
„Setzen Sie sich, geht gleich weiter.“
Für einen Moment verharre ich in meinen Bewegungen und sehe zu dem Kerl hinab. Ich frage mich, womit ich es verdient habe, dass mich dieser kleine, dicke, alte Wattführer, der mindestens so störrisch ist, wie seine beiden Gäule, behandelt, als sei ich ihm vollkommen gleichgültig, und ich sträube mich gegen den Gedanken, dass es tatsächlich so sein könnte. Ich setze mich wieder. Plötzlich [WW zu knapp] sieht er mich an und schmunzelt.
„Gleich wird‘s den beiden zu kalt an den Fesseln, dann ist Pause zu Ende. Kälte siegt über Angst, tut sie immer.“
Tatsächlich vergeht nach seinen Worten nur ein Augenblick, bis die Tiere sich wieder in Bewegung setzen. In diesem Moment durchfährt ein warmer Schauer meinen Körper, aber mehr als ein „Alle Achtung!“ lasse ich mir trotz dieses Gefühls der nahenden, warmen Gaststube nicht abringen. [Gefühl der nahenden Gaststube??]

Der Turm ist größer, als ich ihn mir vorgestellt habe, ein mächtiger, in den Nachthimmel ragender Backsteinbau, der seit Jahrhunderten den Seefahrern sicheres Geleit bietet und den Menschen an Land bis heute Zufluchtsort bei Sturmfluten ist. Sein Leuchtfeuer allerding scheint mir recht schwach zu sein, wie ein gebündelter heller Nebel zieht er seine Kreise, sticht aber nicht weit auf See hinaus.
„Ist nur noch zur Schau.“ Der Kutscher, der gerade meinen Koffer von der Rückbank bugsiert, hat offenbar gemerkt, dass ich etwas verwundert nach oben sehe.“
„Was heißt das?“
„GPS heißt das, [ (-: ]unsern Leuchtturm braucht man nicht mehr, jedenfalls nicht für da draußen.“ Der Mann nickt rüber aufs tiefschwarze Meer.
Durch einen steinernen Aufgang mit Wendeltreppe, in dem der Geruch von nassem Beton und Zigaretten hängt, gelange ich in einen Raum im ersten Stock. Warmes Licht und ein knisterndes Kaminfeuer empfangen mich. Es riecht nach Grünkohl und Bratkartoffeln, sofort reagiert mein Magen mit einem Knurren. Meine Brillengläser beschlagen, als ich die Brille abnehme, verschwimmt alles für einen kurzen Moment vor mir, bis es sich allmählich ordnet. Im Gastraum sitzen ein paar Leute an den Holztischen, auf denen Kerzen flackern und essen und trinken Bier [die Kerzen Flackern und essen und trinken Bier Wink hm, schon klar was du meinst, aber erst wenn man bei 'Bier' angekommen ist, davor reagier ich zumindest mit einem 'wie bitte?']]. Boden, Decken und Wände sind vollständig mit Kiefernholz ausgekleidet, man könnte meinen, man befinde sich in einer Skihütte. Nur die hellblauen Tischdecken und die weißen, gerafften Gardinen an den Fenstern, die Bilder mit Meeres- und Schiffsmotiven und die Fangnetze, Fender und Tauchglocken, die unter der Decke hängen, legen untrügliches Zeugnis dafür ab, dass ich mich in Friesland befinde, auch wenn Neuwerk politisch zu Hamburg gehören mag.
Mein Kutscher hat es sich nicht nehmen lassen, mein Gepäck nach oben zu tragen, jetzt steht der kleine, dicken Mann neben mir und schnauft wie ein Walross. Ich setzte meine Brille wieder auf. Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn, die er mir zuliebe in dunkle Falten gezogen hat. Irgendwie mag ich ihn. [und das und den Satz mag ich]
Die Frau an der Rezeption, fast noch ein Mädchen mit kurz geschorenem schwarzen Schopf und einem Ring in der Unterlippe, weist mir das Zimmer mit der Nummer 203 zu, im obersten Stock, direkt unter dem Raum, in dem das verantwortungslose [gefällt mir]Leuchtfeuer seine Runden dreht. Sie überreicht mir den Schlüssel, während ich ein Formular mit meinen persönlichen Daten ausfülle, das ich ihr anschließend über den Holztresen schiebe.
„Dann nochmals: Herzlich willkommen, Herr Petersen.“ Sie liest meinen Namen von dem Blatt ab und streckt mir ihre Hand entgegen; eine Geste, die ich hier in diesem Turm, auf der Insel und überhaupt von diesem Mädchen, das meine Tochter sein könnte, als viel zu förmlich empfinde. Als ich einschlage und sie erneut auf den Zettel schaut, stutzt sie.
„Oh, Sie haben vergessen die Dauer Ihres Aufenthalts anzugeben.“
Ich befreie mich aus ihrem Händedruck.
„Muss man das denn angeben?“
Sie nickt.
„Wegen der Weitervermietung und Reservierungen und so.“
„Ah, verstehe. Dann tragen Sie bitte erst einmal zwei Wochen ein. Danach schauen wir mal.“
Ich weiß, dass ihr meine Antwort nicht gefallen kann [warum nicht? 2 Wochen Fix- Einnahme - wer freut sich da nicht?] , dennoch lächelt sie weiter und trägt den 06. Oktober als Abreisedatum nach. Beim Umdrehen überlege ich, ob ich überhaupt so lange bleibe.
Mein treuer Gefährte und Kutscherlenker hat bis eben ausgeharrt, jetzt will er wieder meinen Koffer greifen.
„Bitte lassen Sie nur, ich schaffe den Rest allein.“
Er starrt mich an, als hätte ich ihn beleidigt, und in dieser Pose, ein enttäuschter Mann, der sich vielleicht Trinkgeld erhofft hat, will ich ihn nicht stehen lassen.
„Mögen Sie einen Köm mit mir trinken?“ Kaum habe ich die Frage gestellt, erhellen sich seine Gesichtszüge. Er nickt, und ich muss mir eingestehen, dass mir ein wenig Gesellschaft heute Abend nicht unlieb ist.
„Suchen Sie uns schon Mal einen Tisch aus, ich bin gleich bei Ihnen, bringe nur eben den Koffer hoch.“
Ohne ein Wort trottet er hinüber in den Gastraum. Als ich schon auf der Treppe bin, sehe ich, wie das Mädchen an der Rezeption ihm zuzwinkert. In diesem Moment wird mir klar, wie allein ich bin. [ Mir wird klar, wie allein ich bin. ... das reicht, is direkter und du hast schon ein paar mal 'Moment und Augenblick' und es ist klar, dass das in diesem Moment passiert]


Ich finde da sind ein paar Redundanzen drin, die die G'schicht langatmiger wirken lassen, als sie ist.

Aber nach nochmaligem Lesen: ja, weiterlesen würd ich vorerst.

lg
w


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lg Wolfgang

gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben

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"Ich bin leicht zu verführen. Da muss nur ein fremder Mann herkommen, mir eine Eiskugel kaufen und schon liebe ich ihn, da bin ich recht naiv. " (c) by Hubi
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Saga
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Beitrag15.10.2014 19:03

von Saga
Antworten mit Zitat

Ich sehe gerade, dass du schon eine Antwort bekommen hast, die einige der Textstellen aufgreift, die mir auch aufgefallen sind - aber da ich sonst nicht ganz das Gleiche anzumerken habe, werde ich meinen Kommentar nicht mehr verändern, sondern ihn so einstellen, wie er eben gerade fertig geworden ist. Außerdem, lese ich, sind wir in zwei Punkten genau entgegengesetzter Meinung Smile

Der Titel gefällt mir, und ja - ich würde weiterlesen wollen. Wenn angedeutet wird, dass „alles ganz anders kommt“, würde mich interessieren, wie sich der Aufenthalt im Watt entwickelt.

Der Einstieg mit der Kutschfahrt gefällt mir. Die abendliche Nordsee bildet einen passenden Hintergrund für den melancholischen Mann. Im Gespräch mit dem Kutscher werden nebenbei die wesentlichen Eckpunkte der Geschichte gesetzt.
Das Tempo ist ruhig und die Geschichte lässt sich Zeit. Das passt alle sehr gut zu dem Mann, der eigentlich nicht wirklich weiß, wo er jetzt hin will.

Woran ich noch arbeiten würde, ist die Sprache.
Die Geschichte fängt langsam an, und da ist viel Zeit für schöne und ausführliche Formulierungen. Das dürfen dann ruhig auch ein paar Sätze mehr sein. Was mir auffällt, ist, dass du zu viel in einen einzigen Satz hineinstopfst, und sich dadurch die einzelnen Eindrücke gegenseitig aufheben.

Zum Beispiel:
Zitat:
Die Wangen des Mannes sind gerötet, ein blonder, schon allmählich ins Grau changierender Bart leuchtet vor dunklem Septemberhimmel.

Das sind einfach zu viele Farben – gerötet, blond, ins Grau changierend, dunkel – und wenn man mit dem Satz durch ist, leuchtet da rein gar nichts, und der schöne Septemberhimmel ist für die Katz´. Es wäre deutlicher, wenn zunächst einmal klar wäre, dass die Sonne scheint. Blond leuchtet – Grau eher nicht. Ich würde mich für eine Farbe entscheiden. Und dass der Himmel dunkel ist – obwohl noch die Sonne scheint – dafür würde ich mir auch ein bisschen mehr Zeit nehmen, und ihn nicht nur mit „vor dunklem Septemberhimmel“ abstrahieren. Der dunkle Himmel ist doch wunderbar als Illustration für den Gemütszustand des Mannes zu gebrauchen. Er könnte zum Beispiel hochsehen und einen Gedanken daran verschwenden, dass ihm der dunkle Himmel auf die Seele drückt.
Und: Wieso schreibst du nicht einfach „schon allmählich Grau werdender Bart“? Den Ausdruck „changierend“ aus der Sicht eines Beobachters zu benutzen, wirkt ein bisschen überkandidelt – es sei denn, der Mann in der Kutsche ist so.

Ähnliches gilt für:
Zitat:
Wenn wir in den Urlaub fuhren, taten wir es mit dem Wagen, auf dem Dach eine große Reisebox, in die unsere Kleidung, Handtücher und allerlei anderes Zeug geschmissen wurden, die Kleidung zuvor in Plastiktüten verstaut.

Wozu das Anhängsel „die Kleidung zuvor in Plastiktüten verstaut.“ Die Erinnerung hätte mehr Wirkung, wenn du sie erzählen würdest, statt sie in einem einzigen Satz „abzuhaken“, noch dazu „von rückwärts“. Da berichtet der Reisende, dass er den Koffer schon lange nicht mehr benutzt hat. Bis man dann im nächsten Satz endlich bei der Reisebox ankommt, ist der Eindruck des Koffers – also der Grund, warum der Mann überhaupt von der Art der früheren Reisen erzählt – schon fast wieder vergessen. Es entsteht beim ersten Lesen der Eindruck: Ich brauchte keinen Koffer, weil wir mit dem Wagen fuhren. Ganz zu schweigen von den Plastiktüten, also die eigentliche Information, wieso er keinen Koffer brauchte, die dem Leser bis zum Schluss vorenthalten wird.
Nur um dir ein Beispiel zu geben, wie es eingängiger wäre: Wenn wir in Urlaub fuhren, verstauten wir unsere Kleidung einfach in Plastiktüten und warfen sie zusammen mit den Handtüchern in die Reisebox auf dem Dach unseres Wagens.

Ich bin außerdem über ein paar Ausdrücke gestolpert, die mir schief vorkamen:

Zitat:
... es bestanden keine Anlässe.

Ich bin mir nicht 100% sicher, aber ich meine, „es gab/bestand kein/en Anlass“ wäre die gewöhnliche Form. Wenn schon Plural, kämen mir „Gründe“ richtiger vor.
Zitat:
ein wässernes Plitschen

Schon das „Plitschen“ ist ungewöhnlich – ich würde „wässrig“ vorstellen. „Wässern“ als Adjektiv schafft im Zusammenhang mit „Plitschen“ eher Kopfzerbrechen als ein Bild – jedenfalls in meinem Kopf.
Im Übrigen gilt für den ganzen Satz das Gleiche wie oben schon gesagt – Sapschen, Plitschen, Sirren – das ist zwar alles lautmalerisch, aber zu dicht gedrängt. Man ist mehr mit „Verstehen wollen“ beschäftigt, als dass man die Geräusche tatsächlich „hören“ würde.
Zitat:
... man befinde sich in einer Skihütte.

Ich würde sagen, es heißt, man „befände“ sich in einer Skihütte.
Zitat:
Ich schließe den obersten Knopf meines Stadtmantels und sehe zur Uhr.

Vielleicht sprichst du ja einen Dialekt, in dem man das so sagen würde, aber gewöhnlich bedeutet „zur Uhr sehen“, dass sie irgendwo an der Wand hängt, oder sich an einem Kirchturm befindet. Sonst sieht man „auf die Uhr“.
Zitat:
eingepackt in einen viel zu engen, hellbraunen Mantel

Ich nehme an, es soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der Mantel im Verhältnis zu dem, was die Wattbevölkerung trägt, komisch eng wirkt. So wie es da steht, entsteht aber der Eindruck, dass der Mantel seinem Träger tatsächlich zu klein/zu eng ist.
Zitat:
und lassen es funkeln, als würde es zu Leben erweckt.

Das könntest du mit Vorteil streichen. Als Leser fragt man sich, was damit gesagt werden soll und der erste Eindruck des funkelnden Wassers verblasst. Denn: wieso deutet „funkelndes Wasser“ darauf hin, dass es lebt? Vielleicht belebt es den Mann, der es sieht?
Zitat:
... Als er sie aus dem Gesicht nimmt (die Pfeife)

Das klingt nicht schön. Erinnert an flapsige Sprüche wie „Nimm deinen Rüssel aus meinem Gesicht!“
Zitat:
Plötzlich bleiben die Pferde stehen. Von einer Minute zur anderen stoppen sie ihren Gang und damit unsere Fahrt.

„Plötzlich“ ist nicht „von einer Minute zur anderen“, sondern eben: JETZT. Das passt zeitlich nicht zusammen und stiftet Verwirrung.
Zitat:
„Was ist los, warum halten wir?“ Bei meiner Frage versuche ich ganz unbesorgt zu wirken.

Jetzt, wo ein Hauch von Gefahr in der Luft ist, kannst du das Tempo etwas anziehen. „Ich versuche, unbesorgt zu wirken.“
Zitat:
Das rede ich mir jetzt ein, das muss ich mir einreden, sonst nimmt der Druck in der Brust viel zu sehr zu.

So, wie es da steht, nimmt man es dem Mann nicht ab. Zum einen: Der Kutscher würde ebenfalls ersaufen, wenn die Pferde nicht langsam mal hinmachen. Da er ein erfahrener Kutscher ist, mit grauem Bart, der auch Touristen herumfährt (das weiß der Leser aus dem ersten Abschnitt), kann der Leser davon ausgehen, dass keine wirkliche Gefahr besteht. Also: Entweder ist der Reisende besonders hysterisch – vielleicht, weil er Städter ist - oder er nutzt die Pause, bis die Pferde sich besonnen haben, zu einer philosophischen Überlegung zum Thema „Angst vor der Flut/Angst zu ertrinken“, die ihm in seiner momentanen Einsamkeit vielleicht ebenfalls recht nahe ist.
Zitat:
Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn, die er mir zuliebe in dunkle Falten gezogen hat. Irgendwie mag ich ihn. 

Wieso zieht der Kutscher dem Mann zuliebe die Stirn in Falten? Und wieso sind die Falten dunkel? Das ist ein mir völlig unbegreiflicher Satz. Ich verstehe nicht, was du mir damit erzählen möchtest.
Zitat:
das verantwortungslose Leuchtfeuer

Das ist zwar im Prinzip eine gute Idee – aber der Begriff „verantwortungslos“ wird so ausschließlich in aktiver und nicht passiver Bedeutung gebraucht, dass man stutzt und den Satz zweimal lesen muss, bevor man den Sinn begreift.
Zitat:
Ich weiß, dass ihr meine Antwort nicht gefallen kann, dennoch ...

Warum nicht? Immerhin bleibt er zwei volle Wochen und er hat ein Datum bestimmt, genauso wie sie es wollte.

So wie ich das sehe, würde dein Erzählstil ungemein davon profitieren, wenn du dich wirklich in den Protagonisten hineinversetzt, und das Geschehen aus seiner Seelenverfassung heraus schilderst. So, wie der Text jetzt ist, klingt er, als ob die äußeren Umstände von außen her „mit dem Strich gebürstet“ werden sollen, damit sie zur Hauptperson und ihrer Stimmung passen. Dadurch wirkt die Sprache oft etwas gezwungen.

Am besten gefällt mir dieser Abschnitt:
Zitat:
Meine Lippen schmecken salzig und irgendwie nach Muschelkalk und Tang. Wir konnten uns stundenlang am Meer aufhalten, du und ich. Wenningstedt, weißt du noch? In jenem Jahr im Februar schneite es auf der Insel. Wir gingen am Strand spazieren bis es dunkel wurde, du in meinem Arm, wir hatten die Wollmützen tief ins Gesicht gezogen und später in der Kneipe am Kliff Grog bestellt. Und dann dieses viel zu kleine Bett in unserem Hotelzimmer, es machte uns nichts aus, wir waren unverletzbar, wir hatten in Drachenblut gebadet.

Da bist du ganz und gar im Kopf des Protagonisten, das ist unmittelbar und direkt und man kann seine Melancholie spüren.
Wenn ich dir einen Tipp geben darf: Behalte das Gefühl hinter diesem Abschnitt im Gedächtnis, und schreib den gesamten Text noch einmal, indem du alles – die Kutschfahrt, das zurückkommende Meer, die drohende Flut, den dunklen Himmel, die letzten Sonnenstrahlen, die Gaststube – mit den Augen des einsamen Protagonisten siehst. Ich denke, dann würde es dir noch besser gelingen, den Leser ins Watt zu entführen.

Die Idee ist schön, und der Text geht in die richtige Richtung – er muss nur zurechtgerückt werden, damit er einen auch wirklich mitnimmt.

Lg, Saga


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MT
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Beitrag21.10.2014 19:09

von MT
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Hey, danke, Ihr zwei! Und entschuldigt die späte Antwort! Ich werde Eure Anmerkungen weitgehend übernehmen.

Wolfgang, vielleicht hast Du recht und ich sollte nicht schon mit dem Themenanriss ums Eck kommen, nicht im ersten Kapitel. Auf der anderen Seite habe ich damit bei den 13 Tagen gute Erfahrungen gemacht. Ein bisschen (!) anfüttern, mehr nicht?! Ich weiß noch nicht genau. Aber Du gehst von 150 bis 200 Seiten aus, es sollen jedoch höchstens 150 werden... Oder doch breiter anlegen? Ich muss mal sehen.

Danke nochmal an Euch!

LGMT


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Siegfried Lenz
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