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femme-fatale233 Füßchen
Alter: 31 Beiträge: 1913 Wohnort: München
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29.06.2014 21:00 Dort unten von femme-fatale233
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Wenn man die Tage vergisst, vergisst man auch das Warten. Da ist kein Kalender, dessen Abreißblättchen die Wochen mit sich fort tragen, keine Uhr, auf der die Zeiger die immer gleichen Bahnen entlangstreichen, ohne auch nur die Spur einer Bewegung zu hinterlassen. Keine Zeit – kein Warten. Anfangs, freilich, ist es schwer: Man sitzt nur da mit nichts außer sich selbst zur Unterhaltung und horcht. Wenn es draußen regnet, hört man, wie die Tropfen auf dem Asphalt aufschlagen und fragt sich, ob es wohl zehn, zwanzig oder dreißig Minuten waren, die der Himmel die Straßen ertränkt hat. Man singt im Kopf Melodien von Popsongs vor sich hin, immer und immer wieder, doch es wird nicht später. Es verändert sich nichts, die Lieder lassen nichts geschehen – sie ziehen einfach nur in flüchtigen Fetzen durch die Gedanken und verhindern für ein paar Minuten, dass man wahnsinnig wird. Irgendwann, wenn man sich an jeder einzelnen Ecke des Raumes entlang getastet hat und die wenigen Geräusche kennt, die zu einem hinunter dringen, kommt die Stille. Sie ist entsetzlich. Sie ist plötzlich. Es gibt auf einmal nichts mehr, womit man sich zerstreuen kann – die Finger haben alles gesehen, was da ist, die Gedanken einem jede Illusion verschafft, jeden Traum geträumt, jede Erinnerung abgespielt, die man hatte. Man schweigt einfach nur und möchte gleichzeitig schreien, weil es nichts gibt. Doch worüber soll man noch schreien, wenn einen niemand hört, wenn nicht mal jemand die Gebärde des Klagens sieht in all dieser Dunkelheit? Man ist da und man ist mit sich und diese Ich, das sonst so geschwätzig zu plaudern weiß, zeigt sich nun sprachlos. Es fordert schweigend seinen Platz ein, lässt einen nicht entkommen, egal wie sehr man es versucht. Irgendwann, wenn der Kampf dagegen das Blut in den Adern müde gemacht hat und das Gefühl sich nicht mehr ängstigt, beginnt sie: Die Zeit der Zeitlosigkeit. Man liegt einfach nur da und amtet und kann nicht mehr sagen, ob bereits Wochen oder Monate vergangen sind, ob man gerade eben geschlafen hat oder schon Tage lang wacht, die Begriffe, die Richtlinien dafür sind einem fremd geworden. Es ist egal, ob man etwas jetzt oder später tut, weil es in diesem beruhigenden Dunkel eben nur das Jetzt gibt, das so flüchtig ist, dass es genauso das Früher oder das Danach sein könnte. Und irgendwann, in der Mitte dieses Strudels von Nichts, stellt es sich ein – das Kribbeln in den Zehen, das Kitzeln der Nasenspitze, das unkontrollierte, laute Lachen, weil man weiß, dass man glücklich ist. Glücklich. Ein komisches Wort, das man früher so oft gebrauchte und jetzt, wo es da ist, nicht mehr zu benennen weiß. Man blickt der absoluten Finsternis in all ihrer Kargheit entgegen und weiß plötzlich, dass Glück sich genau so anfühlen muss. Und dann, verwandelt sich die Dunkelheit: Erst sind es nur Funken, die wie Glühwürmchen durch den Raum zucken, dann, vorsichtig kommen die Farben, erst blau, dann grün, dann rot und schließlich all ihre bunten Gemische, die sich wie in einem Film zu Bildern zusammensetzen. Zunächst kann man sie nicht fassen, es sind Bilder vom Anfang des Denkens wie der erste Mensch sie empfunden haben muss, der jemals richtig sah. Sie verschwinden wieder, neue tauchen auf, betören die Augen ein bisschen, verblassen wieder oder werden von anderem überlagert. Allmählich erkennt man es dann: Das etwas, das zu Dingen wird. Dort ist ein Mensch, da eine Blume, hier ein Fluss. Immer genauer wird das Bild, die Details werden so zahlreich, dass sie an Zahl verlieren, es leuchtet hell und heller. Doch gerade dann, wenn jenes Bild perfekt ist, mit schönster Kraft erstrahlt, man alles weiß – oder zumindest zu wissen glaubt – dann beginnt es zu verblassen. Die Farben werden matschig, laufen ineinander wie das Acryl auf der Mischpalette eines Malers, die Dinge, eins so schön geformt, verzerren sich zu seltsamen Gebilden. Ein Mensch überlagert da den anderen – sie sind zwei und eins und doch nicht einig, der eine lacht, der andere weint, es nicht mehr zu trennen. Man weiß nicht ein, noch aus in der Plötzlichkeit dieses Chaos, hat keine Antwort, auf das was das geschieht. Man schließt die Augen wieder, um ja nicht mehr zu sehen, um all diese Verwirrung verschwinden zu lassen, doch im Kopf tobt sie weiter, verfolgt einen in Gedankenkammern, die man bisher nie betreten hat, und eröffnet auch dort das Kino der Grausigkeiten mit seinen Schreckbildern. Schließlich, wenn man lange genug in hineingestarrt hat in all das, beginnt der Kopf wieder zu singen: Erst nur ein paar Takte, dann ganze Lieder. Die belanglosen Schlager, mit denen man schon einmal die Zeit vertrieben hat. „Hölle Hölle Hölle“ oder „Ein Stern, der deinen Namen trägt“. Hauptsache Geräusche. Geräusche, die Zeit aus ihrem Schlaf aufwecken, die das Erleben wieder in ein Vorher und ein Nachher einteilen. Die in Takten und Strophen Ordnung schaffen, kleine Einheiten, an denen man sich orientieren kann, während man den schauderhaften Bildern in seinem Kopf entgegen blickt. Und wenn man nur lange genug singt, dann ist es bald so laut in den Gedanken, das für Sehen gar kein Platz mehr ist, dass die Bildchen langsam kleiner werden, bis man sie schließlich vergisst. So sehr vergisst, dass man auch das Singen vergisst. Dass man wieder nur dasitzt in der kargen Dunkelheit eines Kellers und erneut zu warten beginnt. Und wenn nun der Regen fällt oder ein Vogel zwitschert und man plötzlich wieder weiß, wie lang er zwitschert, dann steht man auf, tastet sich zur Tür vor. Das Eisen ihrer Griffe ist kalt auf der Haut. Behutsam dreht man die schweren Hebel, die den Raum bisher verschlossen hielten, bis sie auf einmal quietschend aufspringen. Man macht einen Satz zurück, stolpert dabei fast ein bisschen und zieht die Bunkertür ein Stückchen auf. Eine ungekannte Luft weht einem entgegen, man macht einen Schritt hinaus, tastet sich nach dem Lichtschalter, findet ihn, drückt ihn runter. Zwei Sekunden später: Gleißende Helligkeit, der ekelhafte kühle Schein einer Neonröhre, der alles, was man sieht verblendet. Das Glück hat man in dieser Sekunde verloren: während man so ins Licht tritt, sieht man noch für einen Moment die Dinge in jener Herrlichkeit aufflackern, die einen in der Finsternis so betört hat, um sie dann endgültig zu vergessen. Um nur noch die seltsamen Mischwesen zu sehen, die einem das Neonlicht zeigt. Es ist der Tag nach dem Krieg. Und wäre nicht Zeit vergangen da unten im Keller, er sähe genauso aus, wie der Tag bevor alles begann. Neon – alles gleich. Man macht den letzten Schritt hinaus, schließt die Tür hinter sich. So, glaube ich, muss sich Geburt anfühlen.
Weitere Werke von femme-fatale233:
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saher Leseratte
Alter: 39 Beiträge: 154 Wohnort: baiuvarische Großstadt
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30.06.2014 13:05
von saher
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Bedrückende Beschreibung. Hätte vielleicht besser untergliedert werden können, weil es so recht schwer zu genießen ist.
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KeTam Ungeduld
Alter: 49 Beiträge: 4947
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30.06.2014 17:53
von KeTam
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*grübel* Doch, ... muss mal schaun.
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Nihil { }
Moderator Alter: 34 Beiträge: 6039
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01.07.2014 09:33
von Nihil
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Die Formatierung ist vom Teufel persönlich.
Sieht man davon ab, ist das ein eindringlicher Gedankenstrom, in dem klar wird, dass es nicht nur um die Figur herum dunkel ist, sondern auch vor allem in ihm, wenn man so will: in der Welt sicher auch.
Hoffentlich kommt noch ein ausführlicherer Kommentar. Ich weiß aber nicht, wie viel Zeit und Gelegenheit ich habe und will erstmal sichergehen, dass meine Punkte auch zählen.
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Eredor Dichter und dichter
Moderator Alter: 32 Beiträge: 3415 Wohnort: Heidelberg
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01.07.2014 13:56
von Eredor
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Hallo! Aus Zeitgründen werde ich nur in wenigen Sätzen meinen Eindruck wiedergeben. Möglicherweise kann ich nach dem Wettbewerb näher zu meiner Stellung Bezug nehmen.
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Eigentlich wollte ich den Text aufgrund der Formatierung verweigern, in die Tonne klopfen und nie wieder auch nur eines Blickes würdigen. Ganz ehrlich. Egal wie knapp die Zeit ist. Mach Absätze! Was alles andere angeht: Genialer Text. Ich liebe ihn, und ich liebe dich. Wer auch immer du sein magst.
***
lg Dennis
_________________ "vielleicht ist der mensch das was man in den/ ersten sekunden in ihm sieht/ die umwege könnte man sich sparen/ auch bei sich selbst"
- Lütfiye Güzel |
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Piratin Exposéadler
Alter: 58 Beiträge: 2186 Wohnort: Mallorca
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01.07.2014 15:33
von Piratin
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Hallo Inko,
ein langer Text! Ein paar Absätze würden das Lesen am Bildschirm leichter machen. Zum Inhalt muss ich sagen, dass mich auch beim vierten Lesen die Unlogik stört, dass der Prota (der nicht wirklich einer ist, weil er im nebulösen "man" verschwindet) im Bunker den Regen draußen hört. Das hat mich jedesmal verwirrt. Das Ende ist vorhersehbar und nicht wirklich überraschend und das der Lichtschalter außerhalb des Bunkers ist, finde ich ungewöhnlich. War der Prota ganz alleine dort und wie wurde die Luftversorgung und Nahrung geregelt? Es entsteht der Eindruck bei mir, dass der Schlußsatz zuerst da stand und dann die Geschichte auf ihn zu geschrieben wurde.
Durch das neue Bewertungssystem leider nicht in den 10 Besten, die Punkte bekommen.
Viele Grüße
Piratin
_________________ Das größte Hobby des Autors ist, neben dem Schreiben, das Lesen. |
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shatgloom Eselsohr
Beiträge: 372 NaNoWriMo: 27985 Wohnort: ja, gelegentlich
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01.07.2014 18:27
von shatgloom
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Es war für mich nicht einfach, diesen Text zu lesen - so ohne Absätze dahinratternd. Ich wollte nicht aufhören, zu lesen, da es mich dann doch interessiert und gefesselt hat.
Aber mit dem letzten Satz hat es dann für mich nicht mehr funktioniert.
Sobald ich das gelesen hatte, habe ich den Text nach Hinweisen auf Geburt zerpflückt. (Was vom Autor sicher nicht beabsichtigt war, er/sie schreibt ja nur, dass er/sie glaubt, dass sich Geburt so anfühlt).
Es liegt sicher an mir, aber leider habe ich diesen Text nicht so ganz verstanden. Schade, aber er ist bei mir auch nicht in den top ten.
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Constantine Bücherwurm
Beiträge: 3311
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01.07.2014 19:15
von Constantine
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Danke für deinen Beitrag. Dein Text ist inhaltlich sehr verworren, Sinn und Sinnlosigkeit von Zeit, Warten, Vergangenheit, Gegenwart und all das ohne Absätze. Dein Klotz an Text verbaut sich vieles, viel blabla und am Ende bleibt bei mir auch nach mehrmaligem Lesen nichts hängen.
Leider hat es deine Geschichte nicht in meine Top 10 geschafft. Es tut mir leid.
Merci beaucoup.
LG,
Constantine
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Vogel Eselsohr
Beiträge: 436
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01.07.2014 22:31
von Vogel
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Wow, der Text hat es in sich. Sehr intensiv, sehr verstörend. Genial, der Gedanke, dass man im Dunkel auch Glück fühlt. Mutig und völlig gelungen die Perspektive. In perfekter Balance das Ende: etwas hoffnungsvoll, ziemlich geheimnisvoll, neugierisierend. Etwas anstrengend, dass es keine Absätze gibt. Was ich etwas schade fand, war, dass die halluzinierten Bilder nicht benannt wurden. Da blieb der Text so im Abstrakten. Völlig konkret zu werden, hätte zugegebenermaßen vielleicht das Geheimnis genommen, aber ich könnte mir konkrete und doch geheimnisvolle Bilder vorstellen, die der Gefangene sieht.
Bis jetzt der beste Text, eindeutig!
Gruß
Vogel
Edit: PS, ich dachte erst, die Vorgabe mit dem nächsten Moment Licht ist nicht eingehalten, aber man kann es so interpretieren, dass die ganzen Gedanken als Zusammenfassung der Kellerzeit in einem Moment geschehen.
_________________
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nebenfluss Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5982 Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
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03.07.2014 20:44
von nebenfluss
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<allgemeine_Vorbemerkung>
Viele FFF-Beiträge, zu wenig Zeit. Textarbeit kann ich da kaum leisten, aber doch jedem einen kurzen Eindruck hinterlassen.
Da es vorkommen kann, dass ein wohlwollender Kommentar mit einer effektiven 0-Punkte-Wertung kollidiert ...
... ein paar Worte zu meiner Punktvergabe im neuen Bewertungssystem. Als Grundlage habe ich jeweils nach Antworten zu zwei Fragenkomplexen gesucht, die ich für die letztendlich relevanten in diesem Wettbewerb halte:
1.Wie fertig wirkt der Text? Hat die Zeit gerade ausgereicht, um eine Idee zu entwerfen, oder konnte diese noch ausgearbeitet und in ansprechende Prosa gegossen werden? Kommt die Geschichte zu einem runden Abschluss oder liest sie sich, als sei mittendrin abgebrochen und abgeschickt worden? Würde ich mich ärgern, sie in dieser Form in der Prosa-Werkstatt zu finden? Oder würde ich sie sogar im Feedback akzeptieren?
2.Wie stark wurde das Thema „Stahlbetonzeit – Neonlicht“ integriert? In den Vorgaben stand ja nicht „Schreibe eine Geschichte, in der irgendwann Stahlbeton und Neonlicht erwähnt werden“. Wird deutlich, warum der Stahlbeton namensgebend sein könnte für eine bestimmte Zeit (z. B. einen Lebensabschnitt), ein Zeitalter oder auch Zeit generell, aus der Sicht des Protas? Sind Stahlbeton und Neonlicht beliebige Zutaten oder tragende Elemente, die eine eigentümliche Atmosphäre schaffen? Ergibt sich die Wirkung durch eine zwingende Verbindung zwischen diesem Raum, diesem Licht und dieser Zeit?
Mein 'Urteil' dazu wird sich natürlich auch in den Kommentaren niederschlagen. Es würde mich aber zu sehr einengen, nun statisch die Fragen abzuarbeiten. Deshalb die Kommis in gewohnter Form.
</allgemeine_Vorbemerkung>
Sehr interessant natürlich für mich, wenn ich mit meinem eigenen Beitrag vergleiche. Da sitzt jemand allein im Bunker (bei dir während des Krieges, bei mir danach - entsprechend mit fast entgegengesetzter Aussage), was mich bei dir natürlich fragen lässt: Warum eigentlich alleine?
Aber diese Frage ist nicht wichtig für diese Geschichte, die mich beeindruckt in ihrem leicht psychotischen Auf und Ab der Stimmungslagen. Die absatzlose Formatierung passt (optisch) zum Stahlbeton und dem ununterbrochenen "stream of conciousness" (wenn ich den Begriff mal etwas ungenau benutzen darf). Der Wechsel ins Ich im letzten Satz erklärt die Zeit im Bunker für ein Hirngespinst, ein Gedankenexperiment. Finde ich eigentlich schade. Andererseits ließen sich Krieg und Bunker dadurch auch metaphorisch verstehen (womit auch das Alleinsein nicht mehr irritiert).
Insgesamt hat mich der Text sehr überzeugt.
Platz 5 in meinem persönlichen Ranking.
LG
_________________ "You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson) |
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Rainer Zufall Klammeraffe
Alter: 70 Beiträge: 801
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04.07.2014 11:33
von Rainer Zufall
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Hallo,
ich hatte Schwierigkeiten mit deinem Text. Du benutzt zum Teil sehr eindringliche schöne Bilder, kannst das . was mit einem Menschen passiert, der in ständiger Dunkelheit ist, nachvollziehbar machen, aber mir ist einfach zu wenig Geschichte um deine Gedanken.
Wenn du genügend Zeit gehabt hättest, um stärker zu kürzen und zu verdichten, vielleicht das Auf und Ab der Empfiindungen auch durch den Satzbau noch ein bisschen zu unterstreichen, insgesamt stärker zu verdichten, dann sähe die Sache schon ganz anders aus.
Viele Grüße
Zufall
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halcyonzocalo Einsamer Trancer
Alter: 34 Beiträge: 1202 Wohnort: Irgendwo im Nirgendwo
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04.07.2014 14:16
von halcyonzocalo
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Für meinen Geschmack ein recht solider Text, der mit einigen schönen sprachlichen Bildern aufwartet. Durch das völlige Fehlen von Absätzen finde ich ihn allerdings schwer zu lesen, aber das soll nicht so sehr ins Gewicht fallen. Vor allem der letzte Satz mit dem Vergleich zur Geburt ist sehr gelungen. Insgesamt ganz ordentlich; mal sehen, ob es am Ende für Punkte reicht.
_________________ Die minimaldeterministische Metaphernstruktur mit ihrer mytophoben Phrasierung spiegelt den ideeimmanent abwesenden Bedeutungsraum. |
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Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
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04.07.2014 15:30
von Mardii
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Hallo Guy/Girl,
ich komme zuerst zu den Fragen, die der Texr bei mir aufwirft. Ich befinde mich mit dem Erzähler zunächst in vollkommener Finsternis. Gut, das wird mir erst nach einigen Sätzen klar, aber es ist schon der Gedankenführung zu entnehmen, dass sich jemand sehr in Dunkelheit fühlt. Meine erste Frage war: Ist der Erzähler blind? Darauf brachte mich sein Herumtasten in den Räumen. Ich glaubte, er sei erst als Erwachsener blind geworden und erinnere sich noch an Einiges aus seiner sehenden Zeit.
Erst weiter fortgeschritten im Text, erkannte ich, dass es sich um jemand, der eingesperrt war, handelte. Er hatte sich selbst eingesperrt , um sich zu schützen. MIr wurde nicht klar, dass er nur wartete, bis ein Angriff zu Ende war.
Das führt mich zu meiner nächsten Frage: Welcher Art Krieg hatte stattgefunden? Du schreibst, es sah alles wieder wie vorher aus. War es ein Angriff mit biologischen Waffen? Und verursacht ein solcher Angriff nicht Zerstörungen, die anders sichtbar werden?
Daraus ergibt sich für mich eine andere Frage: Hat es überhaupt einen Angriff gegeben und ist der Erzähler eher vor Angst in den Bunker geflohen?
Eine Variante wäre eine Luftschutz-Übung. War es das? Musste er in den Bunker und dort eine gewisse Zeit aus Sicherheitsgründen ausharren?
Der Schlussatz bringt nun den überraschenden Vergleich mit einer Geburt. Im ersten Moment wirkt das sehr stark auf mich. Erst nach einigen Sekunden fallen mir die Kalenderblätter (eine besonders gelungene Methapher am Anfang der Geschichte) wieder ein und anderes. Da erst wird mir bewusst, dass es sich auf die Wendung: Sich wie neu geboren fühlen, bezieht. Aber das nimmt diesem SAtz nicht seine Stärke. Man atmet gemeinsam mit dem Erzähler auf und es ist der Schluss der Geschichte.
Der Text gefällt mir sehr, weil er in mir eine Kette von Gedanken auslöst, die ich jetzt nicht die Zeit habe darzulegen. Er sprengt quasi die Wettbewerbszeit.
Hm, das wird eine schwierige Entscheidung.
Liebe Grüße
Mardii
_________________ `bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully |
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Malaga Klammeraffe
Beiträge: 826
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04.07.2014 21:17
von Malaga
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Das ist mein Favorit.
Zuerst dachte ich: nur Mittelfeld, hatte noch dramatischere Texte bevorzugt und die "Mauerartigkeit" des Textes hat mich auch etwas geschreckt, aber jetzt muss ich sagen: die Mauer passt zum Inhalt.Die Sprache ist super, hat einen Sog.
Inhaltlich. Der Einbruch der Farben und des Glücksgefühls empfand ich als Bruch, aber es mag wohl authentisch sein.
Man kann sicher daran feilen, aber so auf die Schnelle ...
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niko Eselsohr
Alter: 66 Beiträge: 233 Wohnort: Göttingen
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05.07.2014 12:24
von niko
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diesen text empfinde ich als sprachlich richtig gut. gleeich der erste satz zieht mich in die geschichte rein. vor allem aber wird ein gefühl ausgeschüttet, dass sich 1:1 über den leser legt.
solche machart gefällt mir extrem gut!!!
beste grüße - niko
_________________ Ein Gedicht auf dem Hintergrund der Biographie des Autors zu interpretieren ist so, als würde man einem schwimmenden Schiff das Wasser nehmen. (NJK) |
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Einar Inperson Reißwolf
Beiträge: 1675 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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06.07.2014 00:04
von Einar Inperson
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Hallo,
schön, dass du wieder da bist.
Ein Text, der durch wunderbare Sätze überzeugt. Sätze, die treffend von diesem Ort, von den Empfindungen erzählen. Ein Text der ebenfalls in der Auswahl für die 10 dabei war. Natürlich. Es ist ein starker Text.
Aber es gibt eine Vorgabe. Zitat: | (2) Der Text muss in völliger oder weitgehender Dunkelheit beginnen, die unmittelbar darauf durch einen Lichtschein teilweise oder ganz aufgehellt wird. |
Die Dunkelheit erschließt sich, wenn man den ganzen Text gelesen hat. Da kann man aber schon drüber diskutieren. Welcher Lichtschein aber diese Dunkelheit unmittelbar darauf erhellt? Das Glück? Möglich. Ist aber damit eine Unmittelbarkeit gegeben?
Da die anderen Vorgaben stimmig in den Text eingebunden sind, hätte es aufgrund dieser Grenzwertigkeit nur ein Feder Abzug gegeben.
In der Entscheidungssituation habe ich dann Texte gewählt, die weniger Zweifel bezüglich der Vorgabe für mich bereithielten.
Dies ist übrigens nicht der Text, zu dem ich an anderer Stelle schwadronierte.
_________________ Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch
Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
Einar Inperson in Anlehnung an Aris Kalaizis
si tu n'es pas là, je ne suis plus le même
"Ehrfurcht vor dem Leben" Albert Schweitzer |
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Jenni Bücherwurm
Beiträge: 3310
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06.07.2014 18:51
von Jenni
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Die Beschreibung des Wartens und des Erinnerns in dunkler Einsamkeit finde ich gelungen. Schöne Formulierungen, allein schon der erste Satz.
Mir ist nicht ganz klar, wie ich das Setting verstehen soll: War der Mensch jahrelang im Bunker, es war Krieg, und jetzt ist der Krieg zu Ende?
Oder passiert das vielleicht nur in seiner Vorstellung und es ist ein Versuch, dieses Gefühl nachzuvollziehen?
Interessanter Text, leider ganz subjektiv nicht so ganz in meine Top 10 geschafft.
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holg Exposéadler
Moderator
Beiträge: 2396 Wohnort: knapp rechts von links
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07.07.2014 09:57
von holg
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Das fängt sehr stark an. Ein packendes, genaues hinsehen in den Geist der Dunkelheit.
Her wird's dann seltsam:
Zitat: | tastet sich nach dem Lichtschalter, findet ihn, drückt ihn runter. Zwei Sekunden später: Gleißende Helligkeit, der ekelhafte kühle Schein einer Neonröhre, der alles, was man sieht verblendet. Das Glück hat man in dieser Sekunde verloren: während man so ins Licht tritt, sieht man noch für einen Moment die Dinge in jener Herrlichkeit aufflackern, die einen in der Finsternis so betört hat, um sie dann endgültig zu vergessen. Um nur noch die seltsamen Mischwesen zu sehen, die einem das Neonlicht zeigt. Es ist der Tag nach dem Krieg. Und wäre nicht Zeit vergangen da unten im Keller, er sähe genauso aus, wie der Tag bevor alles begann. Neon – alles gleich. Man macht den letzten Schritt hinaus, schließt die Tür hinter sich. So, glaube ich, muss sich Geburt anfühlen. |
und ich kann nicht mehr folgen. Es geht hinaus. Dort ist ein Lichtschalter. Neonlicht erleuchtet. Also doch nicht draussen. Oder ist draußen ebenso dunkel wie im Keller, im Bunker, am Tag nach dem Krieg. Und Geburt? Dazu ist es ein wenig zu wenig.
Aber bis auf das Ende: Alle Achtung!
_________________ Why so testerical? |
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Honig Gänsefüßchen
Beiträge: 42 Wohnort: NRW
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07.07.2014 13:49
von Honig
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<- großer Freund von Endzeitgeschichten, so eine klaustrophobische Bunkergeschichte ist genau nach meinem Gusto. Sehr schön geschrieben, Favorit!
_________________ @kerstinhonig |
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Merope Klammeraffe
Beiträge: 715 Wohnort: Am Ende des Tals
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07.07.2014 15:18
von Merope
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Schwer lesbar - ohne jegliche Gliederung.
Der Text kleist um sich selbst.
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gold Papiertiger
Beiträge: 4943 Wohnort: unter Wasser
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07.07.2014 21:19
von gold
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hallo Inko,
mir ist das zu viel Beschreibung, vermisse die Pointe.
LG gold
_________________ es sind die Krähen
die zetern
in wogenden Zedern
Make Tofu Not War (Goshka Macuga)
Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso) |
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ErieBee Gänsefüßchen
E
Beiträge: 45
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E 07.07.2014 23:19
von ErieBee
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Das ist für mcih einfach keine Kurzgeschichte, eher so etwas wie eine philosophische Abhandlung. Vielleicht bin ich hier zu streng, aber bei mir bist du deshalb - sorry - aus der Bewertung gefallen.
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