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Vom Hörensagen


 
 
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2934
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag08.12.2013 13:19
Vom Hörensagen
von Klemens_Fitte
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Hallo meine Lieben,

jetzt habe ich mich doch dazu durchgerungen, hier mal etwas von mir zu veröffentlichen; ist so etwas wie der Prolog zu einem Buch, an dem ich gerade schreibe. Ich hoffe mal, dass mein 'Einstand' nicht zu lange geraten ist, aber kürzen wollte ich auch nichts.

Gruß,
Klemens

____

Ihre Geschichte beginnt am Ende, mit dem letzten Satz Sommerreifen, der den Kontakt zum Asphalt verliert und für den Bruchteil einer Sekunde frei über der Böschung steht.
Noch Tage später wird man die frisch vernarbte Spur der beiden Fahrrillen sehen können, schnurgerade, gezogen vom Fuß der Böschung bis zu einem am Wiesenrand stehenden Geräteschuppen, dessen windschiefe Gestalt sich, von der Straße aus gesehen, hinter den Stamm einer Birke duckt.
Die Frage, weshalb das Automobil die Straße verlassen hatte und ausgerechnet hier zu seinem abrupten Halt gekommen war, wird sie später zugunsten vermeintlich irrelevanter Details unbeantwortet lassen: Es ist neblig an diesem Morgen, wird sie sich erinnern, möglicherweise auch an den Qualm, der dem Motorraum entweicht. Tropfen von Tauwasser rinnen die Birkenblätter entlang und schlagen mit hohlem Klang auf den Boden einer Regentonne. Hinter einem Stück Wellblech ragt das metallene Schlangennest einer Rolle Stacheldraht hervor – anhand der Fotografien, die man später anfertigen und ihr vorzeigen wird, wird sie lediglich zu Protokoll geben, sich am Stacheldraht die Hosenbeine aufgerissen zu haben, als sie ihr Bündel hinterm Schuppen deponiert habe, zwischen vermoderten Holzlatten und rostigen, von Luftgewehrpatronen durchsiebten Blechdosen. Alles Andere, wird sie später sagen, sei ihr entfallen.
Als es getan ist, setzt sie sich wieder ans Steuer und schließt ihre zitternden Finger um die starre und nutzlos gewordene Lenkvorrichtung. Ein nasser Fleck auf dem Fahrersitz drückt sich durch den Stoff ihres Hosenbodens und verliert sich in der Taubheit ihres Unterleibs. Der Rückspiegel wirft ihr einen kritischen Blick zu, wirft ihr den kritischen Augenblick zurück, der sich damals, vor Jahrzehnten, ins Zyklopenauge der Kameralinse gerichtet hatte, in der Fotografie aus der Guten Zeit verewigt worden war:

Blumen im Haar, ausgezupfte, handverlesene Blütenblätter im Mund wie gestrandete Schiffe auf einer frech herausgestreckten Landzunge … die Mädchenbeine in ihrem ersten Paar Gummistiefel, rosafarben, ein Geschenk der Großeltern, die Zeit ihres Lebens praktisch veranlagte Menschen gewesen waren … aus akurat angelegten Schützengräben kratzt der Weizen die Erde unter ihren Stiefelsohlen auf, mit spröden, tastenden Fingern; das blonde Auge zu einer Ähre zusammengekniffen, gen Himmel zielend … Sonnenflecken im Polaroidpapier, die der Vater, am Stubentisch sitzend, mit einem glimmenden Zigarettenstummel ins Fotoalbum brennt … schwarze Pupillen wie Einschusslöcher aus dem Luftgewehr … – Der kritische Augenblick, eingefangen, gepflückt und zum Trocknen ins Fotoalbum aus der Guten Zeit gepresst: Der hausgeborene, lumpengepackte Säugling, die Haut nach der Geburt so dunkel, dass der Vater außer sich gerät, aus der Stube flüchtet – „Des is' net meins“ – der von der Großmutter im Wiegeschritt besungene Arme Teufel, der Täufling, in den Armen des Taufpaten, vom Regen in die Taufe kommend …

Es wird für die spätere Auswertung unerheblich bleiben, wann und ob überhaupt sie die Sonnenblende herunterklappt und das Papierfach leert, in dem sich zu diesem Zeitpunkt ein, zwei Dokumente, das Bild des Heiligen Christopher und die später von ihr erwähnte Fotografie aus der Guten Zeit befinden; die Momente, die soeben verstreichen, werden sich möglicherweise später, aus ihrer lückenhaften Erinnerung heraus, mit der Betrachtung dieser Fotografie aus der Guten Zeit oder mit der Betrachtung der eigenen Reflexion im Rückspiegel füllen lassen, mit flüchtigen Gedanken, die in keinem Gutachten Platz finden und sich mangels Relevanz in Rauch auflösen oder in den Rauch mischen werden, der weiterhin dem Motorraum entweicht.
Nach einigen Minuten, die sich in der späteren Schilderung zu einer leeren, aber sorgfältig bemessenen Zeitspanne addiert haben werden, löst sie ihre Hände wieder vom Lenkrad und tippt den Hilferuf einer schlussendlich verworfenen SMS in ihr Mobiltelefon.

Von der Stelle aus, an der das Automobil zu seinem abrupten Halt gekommen war, bildet die Böschung der Dorfstraße den Horizont, hinter dem es zu dämmern beginnt; wie Scherenschnitte heben sich die Wegekreuze vom fahlen Himmel ab, die Wanderkapellen, die Kreuzwegstationen, die mit Blumen und Kerzen versehenen Bildstöcke und Heiligenfiguren, Heiligemariamuttergottes mit ihren nackten Zehen und ihrem eisernen Heiligenschein, Unddiefruchtdeinesleibesjesu, das Bündel zwischen Holzlatten und zerschossenen Blechdosen, „Des is' net meins“, und so weiter … – Hinter einem lautlos summenden Elektrozaun fahren komatöse Rinder ein, zwei Fußbreit aus dem Schlaf und drehen ihre massigen Schädel Richtung Dorf, in dessen Schlafstuben von der Dämmerung aufgeschreckte Schatten aus dem Herrgottswinkel poltern. Glocken schlagen in die Luft, ein verwitterter Bildstock fällt rücklings, wie ein Betrunkener, in den Acker, begräbt eine Reihe knickender Strohhalme unter sich und stirbt seinen barocken Tod. Die Flugbahnen früher Vögel zerschneiden seinen letzten, himmelwärts gerichteten Blick. Man wird ihn Tage später wieder aufrichten; ohne groß Fragen zu stellen oder ihm den Prozess zu machen wird man ihm einen Strick um den Hals legen und ihn zum Stehen bringen, man wird ihm die Erdknollen und den Feldmauskot abklopfen, und in einigen Tagen wird ihn, wie jedes Jahr, die Himmelfahrtsprozession passieren.

Die Scheibenwischer stehen auf Hab-Acht-Stellung, dem Hartplastik des Lenkrads steht kalter Schweiß auf den Poren. Sie atmet das süßliche Aroma des Aschenbechers ein, den Geruch der Sitzpolster, der sich mit ihrem eigenen vermischt hat.
Bevor sie endlich aussteigen und sich auf den Weg ins Dorf machen wird, verharrt ihr Blick noch einige Zeit im Fluchtpunkt der Horizontlinie – ihrer späteren Schilderung wird man entnehmen können, dass dieses Zögern dem Überschreiten einer endgültigen Grenze vorangeht – sie sieht sich an der Hand der Mutter aus dem Dorf gezogen, mit unsicheren Kinderschritten dem Kadaver einer überfahrenen, mitten auf dem Weg liegenden Blindschleiche ausweichen, als Teil des Himmelfahrtskommandos, das in ein paar Tagen wieder die Hügelkuppe erklimmen und am Bildstock kehrt machen, der aus einem Lautsprecher knarzenden Stimme des Pfarrers folgend den Bogen zum Dorf schlagen wird, und wie jedes Jahr wird der Viehbauer auch diesmal wieder über seine Wiese abkürzen, aus der er wenige Tage zuvor das liegengebliebene Auto gezogen haben wird, und erst dann werden ihm die mittlerweile trockenen Lumpen auffallen, die zwischen Holzlatten und Blechdosen an seinem Schuppen liegen, wenige Schritte entfernt von der Stelle, an der die Spur der Fahrrillen zu einem abrupten Ende kommt.

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Lupo
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 364
Wohnort: Pegnesien


Beitrag08.12.2013 14:56
Kalt schwitzendes Lenkrad
von Lupo
Antworten mit Zitat

Endlich mal wieder jemand, der sich an die Regeln des Forums hält!
Sei und bleibe willkommen, lieber Klemens!

Deine fünf Einstiegswörter sind mir Blickfang genug, um zunächst ein bisschen weiter zu lesen, noch ein bisschen, und schließlich zu Ende.
Während des Lesens überkommt mich ein déjà vu, das kenne ich doch, woher denn nur?
Wie auch immer, Dein Spannungsaufbau funktioniert bei mir in der Weise, dass ich weiter lesen möchte.
Doch für diesen Wunsch hätten mir weitaus weniger Ankündigungen ausgereicht - locker die Hälfte!
Die vielen metaphorischen Einschübe hätte ich mir, so passend sie auch sein mögen, für spätere Textabschnitte gewünscht, denn hier, zu Anfang, liegt mir einzig an den Auskünften über das Thema, über den Konflikt und an den Fragestellungen.
Wenig glücklich bin ich auch über die reichlich verwendeten Adjektive, an denen ich im Einzelnen wenig auszusetzen habe, die mir aber mein eigenes Bild von der Szene zu sehr gängeln; heißt: streichen, was verzichtbar ist!
Mit dem halben Wortmaterial würde der Prolog ebenso funktionieren - sogar eindringlicher.

Wetten?  Lupo.
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Mark_Brandis
Geschlecht:männlichWortedrechsler
M

Alter: 52
Beiträge: 86
Wohnort: München


M
Beitrag08.12.2013 15:06

von Mark_Brandis
Antworten mit Zitat

Hallo Klemens,

Dein Text gefällt mir sehr gut. Nur eine Sache stört mich persönlich.

Warum schreibst Du im Präsens? Vielleicht ist das modern, aber ich habe es da lieber "klassisch". Ich würde alles in der Vergangenheitsform schreiben.

Das ist aber vielleicht auch nur Geschmackssache.


Viele Grüße
M.B.
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2934
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag08.12.2013 16:12

von Klemens_Fitte
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@ Lupo

vielen Dank fürs Lesen und Antworten. Woran du dich beim Lesen erinnert fühlst, kann ich dir leider auch nicht sagen - zumindest hatte ich beim Schreiben keine spezielle Vorlage im Kopf.

Ich hatte mir schon gedacht, dass die Bezeichnung 'Prolog' für mehr Verwirrung als Klarheit sorgen wird, aber mir fiel keine bessere ein. Im Grunde ist es so, dass im fertigen Buch jedem Kapitel ein solcher Prolog hintangestellt wird (ja, ich bin mir des Widerspruchs bewusst). In Länge und Inhalt sind diese Abschnitte der eigentlichen erzählenden Handlung sozusagen gleichwertig - das ist alles schwer zu erklären, aber ich hoffe, dass es im fertigen Text Sinn ergibt.

Hinzu kommt, dass alles, was du hier als 'Vorgreifen' bezeichnest, in der eigentlichen Handlung gar nicht vorkommt - die liegt zwischen den vorangegangen und den vorgreifenden Stellen des Prologs.

Eigentlich ist dieses Buch eher ein Experiment darüber, wie man eine Geschichte erzählen kann, als eine klassische Erzählung. Auch der Titel erschließt sich erst in einem späteren Teil, den ich die Tage wohl in der 'Werkstatt' posten werde, weil ich mich daran ziemlich abmühe.

Ach ja, vielleicht kannst du mir ein, zwei Beispiele nennen für Adjektive, die du für überflüssig hältst - ich versuche meist, etwas ungewöhnliche, assoziative Beschreibungen zu verwenden, um eben zwar starke, aber keine abgedroschenen Bilder zu schaffen; kann auch gut sein, dass ich offensichtliche Fehler nicht mehr sehe, weil ich schon zu nahe am Text bin.

@ Mark

auch dir zunächst danke fürs Lesen.

Ja, ich glaube, das mit der Zeitenfrage ist eine Geschmackssache; mir jedenfalls kommt es immer sofort 'falsch' vor, wenn ich in der Vergangenheitsform schreibe.
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hobbes
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Beitrag09.12.2013 18:31

von hobbes
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Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben:
Ich hatte mir schon gedacht, dass die Bezeichnung 'Prolog' für mehr Verwirrung als Klarheit sorgen wird, aber mir fiel keine bessere ein. Im Grunde ist es so, dass im fertigen Buch jedem Kapitel ein solcher Prolog hintangestellt wird (ja, ich bin mir des Widerspruchs bewusst). In Länge und Inhalt sind diese Abschnitte der eigentlichen erzählenden Handlung sozusagen gleichwertig - das ist alles schwer zu erklären, aber ich hoffe, dass es im fertigen Text Sinn ergibt.

Ah, gut zu wissen. Der Text gefällt mir nämlich, ich habe mich allerdings gerade gefragt, ob ich - wenn es in dem Stil weitergehen würde - tatsächlich auch weiterlesen würde. Ich glaube eher nicht, auf Dauer wäre mir das zu viel an Beschreibung, Andeutungen und Bildern.
Aber wenn die "eigentliche" Geschichte anders erzählt wird, dann könnte mir das auch "im Großen" gefallen.
Nichtsdestotrotz stimme ich Lupo zu, wenn er meint, weniger ist mehr. Der Text, wie er jetzt ist, so schön seine Einzelteile für sich genommen sind - in der Länge ist es mir fast zu viel für das, was ich erfahre.
Ich habe gerade überlegt, was du kürzen könntest, finde das aber ziemlich schwer zu beantworten, weil ich nicht weiß, was wichtig ist, was ich unbedingt wissen muss.
Und das ist ein bisschen auch mein Problem als Leser, das sind zwar starke Bilder, aber so viele, dass ich fast schon ein wenig überfordert bin und mich frage, was nun das eigentliche ist, was ich in dieser Szene erfahren muss. Ich vermute, das Lumpenbündel in Kombination mit „Des is' net meins“, sicher bin ich mir aber nicht.

Den ersten Satz finde ich jedenfalls höchst gelungen, der hat mich sofort in diesen Text hineingezogen. Das Automobil hat mich wieder hinausgeworfen - warum dieses eher altmodische Wort, warum kein Auto? In eine Zeit, in der die Fahrerin eine SMS in ihr Mobiltelefon tippt, scheint mir das nicht hineinzupassen.

Ich werde jedenfalls nach dem anderen Teil, den du erwähnt hast, Ausschau halten smile
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Wortsalat
Geschlecht:weiblichSchneckenpost


Beiträge: 7
Wohnort: Köln


Beitrag09.12.2013 22:00

von Wortsalat
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Gratulation! Das hat Potential. Du solltest auf jeden Fall weiter daran arbeiten.

Es gibt nur wenige "Ausrutscher", an denen ich mich beim Lesen störe, einen Tipp möchte ich dir aber gerne geben, ohne mich an Details aufzuhängen: Versuche, kürzere Sätze zu schreiben! Im normalen Buchsatz wären deine Sätze teilweise 3-4 Zeilen lang – das macht es dem Leser schwer, den Überblick zu behalten. Vor allem weil du ihn ja augenscheinlich gerne noch etwas im Dunkeln lassen möchtest wink
Viele deiner Sätze könnte man problemlos "halbieren", ohne dabei deinem Text deine persönliche Note zu nehmen oder seine "Stimmung" zu ändern.

Ich freue mich auf mehr! smile


_________________
Der Stift ist das schwerste Werkzeug der Welt.
(Robert Wilson)
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2934
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag09.12.2013 23:05

von Klemens_Fitte
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@ hobbes

Freut mich, dass mein Text deine Neugierde geweckt hat. Ich bin mir dessen bewusst, dass die Flut an Bildern und Beschreibungen den Leser etwas überfordern kann - allerdings ist auch keines meiner sogenannten 'Lieblingsbücher' ein klassischer Pageturner; die 'Leichtigkeit des Lesens' war mir schon immer suspekt. Bei meinen bisherigen Werken habe ich den Lesern immer den Ratschlag gegeben, das Buch nicht von vorne bis hinten lesen zu wollen, sondern immer mal reinzuschauen, ein paar Absätze zu lesen und sacken zu lassen - dafür bot sich auch immer die sehr fragmentarische inhaltliche Form an.

Ich zähle Plot und Charakterzeichnung nicht gerade zu meinen Stärken, und 'Vom Hörensagen' ist nur ein erster Versuch in die Richtung, eine klassische Erzählung zu schreiben.

Ach ja, und das Automobil, das war eine Gefühlsentscheidung; ich finde, das Wort klingt einfach richtiger, auch wenn es 'vom Kopf her' vielleicht zunächst unpassend erscheint.

@ Wortsalat

Auch dir danke fürs Lesen. Ja, ich neige zu langen Sätzen, versuche das aber einzuschränken, indem ich eher Reihungssätze statt Schachtelsätzen verwende - macht den Satz nicht kürzer, aber stört den Lesefluss nicht so sehr.

Ich werde den Text aber nochmal daraufhin durchgehen.

Gruß
Klemens
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2934
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag27.12.2013 09:54

von Klemens_Fitte
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Hallo meine Lieben,

endlich sind Christbaumverkauf und Feiertage vorbei und ich habe wieder Zeit fürs Forum. Meine knappe Freizeit in den letzten Tagen habe ich dazu genutzt, meinen Text ein wenig zu überarbeiten - Ziel war, ein paar sprachliche Stolpersteine zu entfernen und den Text zu straffen, ohne seine Eigenständigkeit aufzugeben. Ich hoffe, das ist mir einigermaßen gelungen.

Danke schonmal für eure Reaktionen auf die erste Version, nicht nur, weil sie mir bei der Überarbeitung hilfreich waren, sondern auch, weil sie mir überhaupt erst Lust gemacht haben, mich noch einmal mit einem Text zu befassen, an dem ich schon seit zwei Jahren schreibe (schon wieder so ein langer Satz, ts ts).

Herzlich,
Klemens

__

Ihre Geschichte beginnt am Ende, mit dem letzten Satz Sommerreifen, der den Kontakt zum Asphalt verliert und für den Bruchteil einer Sekunde frei über der Böschung steht.
Noch Tage später wird man die frisch vernarbte Spur der beiden Fahrrillen sehen können, schnurgerade, gezogen vom Fuß der Böschung bis an einen windschiefen Geräteschuppen, der sich, von der Straße aus gesehen, am Wiesenrand hinter den Stamm einer Birke duckt.

Die Frage, weshalb das Automobil die Straße verlassen hatte und ausgerechnet hier zu seinem abrupten Halt gekommen war, wird sie später zugunsten irrelevanter Details unbeantwortet lassen: Kälte, Nebel. Qualm, der dem Motorraum entweicht. Tropfen von Tauwasser rinnen die Birkenblätter entlang und schlagen mit hohlem Klang auf den Boden einer Regentonne. Hinter einem Stück Wellblech ragt das metallene Schlangennest einer Rolle Stacheldraht hervor – anhand der Fotografien, die man später anfertigen und ihr vorzeigen wird, wird sie lediglich zu Protokoll geben, sich am Stacheldraht die Hosenbeine aufgerissen zu haben, als sie ihr Bündel hinterm Schuppen deponiert habe, zwischen morschen Holzlatten und rostigen, von Luftgewehrschüssen durchsiebten Blechdosen. Alles Andere, wird sie später sagen, sei ihr entfallen.
Als es getan ist, setzt sie sich wieder ans Steuer und schließt ihre zitternden Finger um die starre Lenkvorrichtung. Nässe drückt sich vom Fahrersitz durch ihren Hosenboden und verliert sich in der Taubheit ihres Unterleibs. Der Rückspiegel wirft ihr einen kritischen Blick zu, wirft ihr den kritischen Augenblick zurück, den sie damals, vor Jahrzehnten, in die Kameralinse gerichtet hatte:

Blumen im Haar, ausgezupfte, handverlesene Blütenblätter im Mund wie gestrandete Schiffe auf einer frech herausgestreckten Landzunge … die Mädchenbeine in ihrem ersten Paar Gummistiefel, rosafarben, ein Geschenk der Großeltern, die Zeit ihres Lebens praktisch veranlagte Menschen gewesen waren … aus akurat angelegten Schützengräben kratzt der Weizen die Erde unter ihren Stiefelsohlen auf, mit spröden, tastenden Fingern; das blonde Auge zu einer Ähre zusammengekniffen, gen Himmel zielend … Sonnenflecken im Polaroidpapier, die ihr Vater, am Stubentisch sitzend, mit einem glimmenden Zigarettenstummel ins Fotoalbum brennt … schwarze Pupillen wie Einschusslöcher aus dem Luftgewehr … – Der hausgeborene, lumpengepackte Säugling, die Haut nach der Geburt so dunkel, dass der Vater außer sich gerät, aus der Stube stürmt – „Des is' net meins' – der von der Großmutter im Wiegeschritt besungene Arme Teufel, der Täufling, in den Armen des Taufpaten, vom Regen in die Taufe kommend …

Es wird für spätere Auswertung irrelevant sein, wann und ob überhaupt sie die Sonnenblende herunterklappt und das Papierfach leert, in dem sich zu diesem Zeitpunkt ein, zwei Dokumente, das Bildnis des Heiligen Christopher und die später von ihr erwähnte Fotografie aus der Guten Zeit befinden – die Momente, die soeben verstreichen, werden sich später, aus ihrer lückenhaften Erinnerung heraus, mit der Betrachtung dieser Fotografie aus der Guten Zeit oder mit der Betrachtung ihrer eigenen Reflexion im Rückspiegel füllen lassen, mit flüchtigen Gedanken, die in keinem Gutachten Platz finden und sich mangels Relevanz in Rauch auflösen oder in den Rauch mischen werden, der weiterhin dem Motorraum entweicht.
Nach einigen Minuten, die sich in der späteren Schilderung zu einer leeren, aber sorgfältig bemessenen Zeitspanne addiert haben werden, löst sie ihre Hände wieder vom Lenkrad und tippt den Hilferuf einer schlussendlich verworfenen SMS in ihr Mobiltelefon.

Von der Stelle aus, an der das Automobil zu seinem abrupten Halt gekommen war, bildet die Böschung der Dorfstraße den Horizont, hinter dem es zu dämmern beginnt; wie Scherenschnitte heben sich die Wegekreuze vom fahlen Himmel ab, die Wanderkapellen, die Kreuzwegstationen, die Bildstöcke und Heiligenfiguren, Heiligemariamuttergottes mit ihren nackten Zehen und ihrem eisernen Heiligenschein, Unddiefruchtdeinesleibesjesu, das Bündel zwischen Holzlatten und zerschossenen Blechdosen, „Des is' net meins“, und so weiter … – Hinter einem lautlos summenden Elektrozaun fahren komatöse Rinder ein, zwei Fußbreit aus dem Schlaf und drehen ihre massigen Schädel in Richtung Dorf. Glocken schlagen ins Leere. Ein verwitterter Bildstock fällt rücklings, wie ein Betrunkener, in den Acker, begräbt eine Reihe knickender Strohhalme unter sich und stirbt seinen barocken Tod. Die Flugbahnen früher Vögel zerschneiden seinen letzten, himmelwärts gerichteten Blick. Man wird ihn Tage später wieder aufrichten; ohne groß Fragen zu stellen oder ihm den Prozess zu machen wird man ihm einen Strick um den Hals legen und ihn zum Stehen bringen, man wird ihm die Erdknollen und den Feldmauskot abklopfen, und in einigen Tagen wird ihn, wie jedes Jahr, die Himmelfahrtsprozession passieren.

Die Scheibenwischer stehen auf Hab-Acht-Stellung, dem Hartplastik des Lenkrads steht kalter Schweiß auf den Poren. Sie atmet das süßliche Aroma des Aschenbechers ein, den Geruch der Sitzpolster, der sich mit ihrem eigenen vermischt hat.
Bevor sie endlich aussteigen und sich auf den Weg ins Dorf machen wird, verharrt ihr Blick noch einige Zeit im Fluchtpunkt der Horizontlinie – ihrer späteren Schilderung wird man entnehmen können, dass dieses Zögern dem Überschreiten einer endgültigen Grenze vorangeht – sie sieht sich an der Hand der Mutter aus dem Dorf gezogen, mit unsicheren Kinderschritten dem Kadaver einer überfahrenen, mitten auf dem Weg liegenden Blindschleiche ausweichen, als Teil des Himmelfahrtskommandos, das in einigen Tagen wieder die Hügelkuppe erklimmen und am Bildstock kehrt machen wird; im Gleichschritt der Ministrantenfüße werden sie den Bogen zum Dorf schlagen, und wie jedes Jahr wird der Viehbauer auch diesmal wieder über seine Wiese abkürzen, aus der er wenige Tage zuvor das liegengebliebene Auto gezogen haben wird, und erst dann werden ihm die mittlerweile trockenen Lumpen auffallen, die zwischen Holzlatten und Blechdosen an seinem Schuppen liegen, wenige Schritte entfernt von der Stelle, an der die Spur der Fahrrillen zu einem abrupten Ende kommt.

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hobbes
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Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
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Beitrag27.12.2013 22:16

von hobbes
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Hi,

mir gefiel es ja eh schon. Gefällt mir immer noch. Könnte jetzt nicht auf Anhieb sagen, was anders ist, habe aber den Eindruck, es liest sich leichter, besser. Wobei dieser Eindruck natürlich auch daher stammen könnte, dass ich zum wiederholten Mal lese.

Besonders mag ich die komatösen Rinder und den umfallenden Bildstock. Da denke ich an den Film Wer früher stirbt ist länger tot von Marcus H. Rosenmüller und höre im Hintergrund schon die Blaskapellendramatik smile
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Klemens_Fitte
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Beitrag28.12.2013 11:11

von Klemens_Fitte
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Hallo hobbes,

freut mich, dass der Text dir (immer noch) gefällt. Es sind zugegebenermaßen nur Details, aber wenn aus

Zitat:
Ein nasser Fleck auf dem Fahrersitz drückt sich durch den Stoff ihres Hosenbodens


Zitat:
Nässe drückt sich vom Fahrersitz durch ihren Hosenboden


wird, oder aus

Zitat:
der aus einem Lautsprecher knarzenden Stimme des Pfarrers folgend


Zitat:
im Gleichschritt der Ministrantenfüße


wird, dann dient das, hoffe ich, schon dem Lesefluss. Ich werde die Tage mal das erste Kapitel in die 'Werkstatt' einstellen, denn das hat noch viel Arbeit nötig.

Gruß,
Klemens
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Klemens_Fitte
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Beitrag02.01.2014 16:44
Vom Hörensagen, Kapitel Eins
von Klemens_Fitte
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Hallo meine Lieben,

nachdem ich im 'Einstand' schon den Prolog zu meinem aktuellen Werk gepostet habe, hier nun Kapitel Eins. Wie andernorts erwähnt, hat dieser Teil etliche Metamorphosen hinter (und vor) sich, und mittlerweile bin ich an einem Punkt, an dem ich vielleicht die kritische Distanz zum Text verloren habe. Daher freue ich mich über jedwede Rückmeldung.

Weitere Erläuterungen spare ich mir für später.

Herzlich,
Klemens

__

EINS

Am Morgen hatte man sie abgeholt.

Stabat Mater dolorosa – Christi Mutter stand mit Schmerzen, werde ich später in mein Notizbuch eintragen und damit meine Schilderung des heutigen Morgens beginnen, an dem wir beide – sie, am Stubenfenster stehend und ich, auf der Eckbank sitzend – das Auftauchen des Automobils an der Biegung der Dorfstraße erwarten.

Gleich zu Beginn hattest du ihr versprechen müssen, keine Geschichte draus zu machen.

Später werde ich meine Schilderung mit dem Stabat Mater beginnen, denn soeben hat sie, den Blick unbeirrt aus dem Fenster und somit auf die Biegung der Dorfstraße gerichtet, zum wiederholten Mal am heutigen Morgen die Weihwasserschale erwähnt, die in den, wie sie es ausdrückt, tönernen Armen einer Jungfrau Maria an der Stubentür gehangen habe. Genauer gesagt, sagt sie zum wiederholten Mal, habe diese Muttergottes mit der Weihwasserschale von einem Nagel am Türrahmen gehangen – Bei dem Kreuz und weint von Herzen, werde ich später in mein Notizbuch eintragen – direkt unter dem Kruzifix mit dem, wie sie es ausdrückt, bleiernen Heiland, das ja, wovon ich mich mit eigenen Augen überzeugen könne, noch heute am Türrahmen der Stubentür hänge.

Später wirst du der Kusine vom Rosenkranz schreiben, der im großelterlichen Schlafzimmer gehangen hatte.

Obwohl sie seit Jahr und Tag durch diese Stubentür ein und aus gehe, wie sie es ausdrückt, sei ihr das Verschwinden der Muttergottes mit der Weihwasserschale erst kürzlich aufgefallen, dabei müsse diese Muttergottes mit der Weihwaserschale schon seit Jahr und Tag verschwunden sein, über Jahr und Tag müsse diese Muttergottes mit der Weihwasserschale lediglich eine Einbildung, das Überbleibsel einer kindlichen Erinnerung gewesen sein, das ihr jetzt, nach Jahr und Tag, wieder in den Sinn gekommen sei. Seit ihr kürzlich die leere Stelle am Türrahmen der Stubentür aufgefallen sei, sagt sie, ohne den Blick von der Biegung der Dorfstraße abzuwenden, lasse ihr der Gedanke an die Muttergottes mit der Weihwasserschale keine Ruhe mehr, mehr noch, dieses abrupte Auftauchen der Muttergottes vor ihrem, wie sie es ausdrückt, geistigen Auge bringe sie mittlerweile Nacht für Nacht um den Schlaf. Und auch jetzt, sagt sie, dränge diese Muttergottes mit der Weihwasserschale ja geradezu gewaltsam in das Geständnis, das sie eigentlich vor mir habe ablegen wollen, was doch, wie sie es ausdrückt, das Mindeste sei. Es sei doch das Mindeste, sagt sie, mir gegenüber ein umfassendes Geständnis abzulegen, denn immerhin sei ich es, der mit ihr zusammen auf das Automobil warte, das sicherlich jeden Moment an der Biegung der Dorfstraße auftauchen werde.

Hätte nicht jede Äußerung deinerseits dieses Geständnis verfälscht?

Im Weihwasser dieser Weihwasserschale, fährt sie fort, habe die Mutter jedes Mal, kaum sei sie nach Hause gekommen, ihre Finger befeuchtet, das Befeuchten er Finger mit Weihwasser sei für die Mutter stets das Erste gewesen, worauf sie, die Mutter, beim Nachhausekommen geachtet habe. Noch bevor sie, die Mutter, mit beiden Füßen über die Türschwelle getreten sei, sagt sie, habe sie auch schon ihre Finger in der Weihwasserschale gehabt, die vom Weihwasser triefenden Finger habe die Mutter dann in einer stummen Bewegung zur Stirn geführt und alles Weitere, alles Unausgesprochene mit einem triefnassen Kreuzzeichen hinter der Stirn verschlossen.

Augenblicklich hatte sich dir das Bild eines Tabernakels aufgedrängt.

Es sei dieser stets gleich gebliebene Ablauf, der ihr heute wieder lebendig vor die Augen trete, sagt sie, so sehr habe er sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Vor ihrem, wie sie es ausdrückt, geistigen Auge sehe sie also immerzu diese stumm ausgeführte Bewegung, dieses Sich-Bekreuzigen, miit dem die Mutter stets alles Weitere, alles Unausgesprochene ausradiert habe, mit dem die Mutter all ihre kindlichen Fragen ausradiert und wegradiert habe, jede einzelne dieser Fragen, die sie mir heute noch mühelos aufzählen könne. Ob Weihwasser giftig sei, habe sie die Mutter beim Nachhausekommen gefragt, ob kleine Kinder bei der Taufe erschreckten, ob sie fürchteten, ertrinken zu müssen, ob sie um ihr Leben schrieen. Auch, ob der Pfarrer schon einmal vor Schreck einen dieser um sein Leben schreienden Täuflinge habe fallen lassen, habe sie die Mutter gefragt, die Mutter aber sei wie immer stumm geblieben, habe sich wortlos, wie immer, mit ihren weihwässrigen Fingern bekreuzigt und sei in die Küche gegangen, um das Essen für die Gäste zu richten.

Was erweckt mehr Misstrauen, hattest du dich gefragt, gläubiges oder ungläubiges Staunen?

Auch später, sagt sie, sei jedwede Aussprache mit der Mutter in den leeren Raum zwischen Tür und Angel gefallen, auch später habe es für die Mutter stets etwas zu tun gegeben, habe es stets Wichtigeres gegeben, und so sei letzten Endes über Jahr und Tag in ihrem Elternhaus alles Weitere, alles Unausgesprochene stets mit Schweigen bedacht worden, mit Schweigen sogar abgestraft worden, wie ihr kürzlich bewusst geworden sei, und eben darum sei es doch mehr als verständlich, wenn sie jetzt das Bedürfnis oder, genauer gesagt, den Drang verspüre, endlich einmal alles Weitere, alles Unausgesprochene auf den Tisch zu bringen, wie sie es ausdrücken wolle. Es sei, sagt sie, jetzt endlich an der Zeit, all das auf den Tisch zu legen, was über Jahr und Tag unter den Tisch gekehrt worden sei, angefangen bei den beiden Frauen, der leiblichen und der heiligen Mutter. Denn letzten Endes, sagt sie, sei das Bild dieser Muttergottes, das ihr neuerdings immer wieder vors geistige Auge trete, auch nur Ausdruck eines tieferliegenden Problems. Um endlich reinen Tisch zu machen, wie sie es ausdrückt, müsse ihr Geständnis zwangsläufig bei den schlaflosen Nächten beginnen, die ihr diese beiden Frauen, die leibliche und die heilige Mutter, bereiteten, und müsse sie eben erwähnen, dass sie schon seit Wochen kein Auge mehr zutun könne, dass sie stets mit kalten Füßen und zugeschnürter Kehle ins Dunkel starre.

Ist das Wort 'Wahrheit' tatsächlich gefallen?

Um bei der Wahrheit zu bleiben, um alles der Reihe nach zu erzählen, sagt sie, müsse ihr Geständnis doch zwangsläufig mit all diesen bisher unausgesprochenen Tatsachen beginnen, denn sonst könne sich doch keiner ein vollständiges Bild dieser Wahrheit und, was noch wichtiger sei, kein vollständiges Bild ihrer Lage machen. Solange kaum einer die Hintergründe kenne, sagt sie, bleibe doch das allgemeine Bild von ihr nicht nur ein unvollständiges, sondern ein ganz und gar falsches. Nur aus diesem Grund, dass eben keiner die Hintergründe kenne, seien ja derzeit diese unvollständigen und somit falschen Behauptungen über sie in Umlauf, und auch ich sei doch, wie sie annehmen müsse, erst zurückgekommen, als ich von der ebenso unvollständigen und somit falschen Geschichte mit ihrem Vater gehört habe.

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hobbes
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Beitrag17.01.2014 01:01

von hobbes
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So. Jetzt aber.
Puh. Verdammt anspruchsvoll, um nicht zu sagen: anstrengend.

Da ist einmal das Hin und Her(springen) zwischen den Zeitpunkten (am Morgen, später, gleich zu Beginn, kürzlich, am heutigen Morgen, ...).

Dann die indirekte Rede in Zusammenhang mit langen, verschachtelten Sätzen.

Dann noch unglückliche Kombinationen, wie z.B. hier:
Zitat:
Genauer gesagt, sagt sie zum wiederholten Mal,


Dann die verschiedenen Erzählebenen, einmal der Bericht und dann das "Du" dazwischen.

Es gefällt mir immer noch. Aber ich komme nicht mit, ich schaffe es nicht, die Geschichte beim Mitlesen in meinem Kopf entstehen zu lassen, ständig bleibe ich hängen und frage mich erneut, wo ich gerade war und wie das alles zusammenpasst. Ich komme am Ende des Satzes an und der Anfang ist schon längst weg. Nicht immer und überall, aber doch gehäuft, so dass es mir irgendwann keine Freude mehr macht und ich aufgebe.

...

Nochmal gelesen und in der Mitte angefangen. Da finde ich es nicht mehr ganz so verwirrend. Hm. Vielleicht liegt es auch an der Uhrzeit.
Ich komme einfach morgen noch einmal hier vorbei.
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Klemens_Fitte
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Beitrag17.01.2014 09:18

von Klemens_Fitte
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Hallo hobbes,

vielen Dank fürs (erneute) Lesen. Ich hatte schon befürchtet, der Text könnte zu sperrig oder zu langweilig sein, um hier kommentiert zu werden – einen Teil dieser Befürchtungen hast du ja bestätigt.

Ursprünglich hatte ich das erste Kapitel in der 'Werkstatt' gepostet, weil ich mir darüber im Klaren bin, dass hier noch Einiges an Arbeit vor mir liegt. Ich möchte den Leser zwar heraus-, aber nicht überfordern. Wobei zumindest die verschiedenen Zeitebenen zwar beibehalten, später allerdings nicht mehr so oft vermischt werden – der Anfang ist wahrscheinlich deshalb überladen, weil hier erstmal die gesamte Situation etabliert werden muss; da die sich aber im weiteren Verlauf nicht ändert, wird’s für den Leser (etwas) einfacher.

Die 'Du'-Passagen sind erst kürzlich hinzugekommen – ich wollte damit dem Leser ein paar (auch optische) Zäsuren bieten und den restlichen Text ein wenig gliedern.

Natürlich kann der Eindruck entstehen, dass ich hier eine einfache Geschichte unnötig kompliziert erzähle, aber ich hatte leider noch nie ein Interesse daran, einen konventionellen Roman zu schreiben (unter meinen sogenannten Lieblingsbüchern habe ich da andere Vorbilder); letztendlich ist "Vom Hörensagen" da nur ein weiteres Experiment.

Darf ich fragen, was genau dir "immer noch gefällt"? Dann könnte ich in der Richtung weiterarbeiten.

Ich werde demnächst noch zwei weitere Passagen einstellen, vielleicht wird dann ersichtlich, wohin die Reise geht.

Danke nochmals,
Klemens
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hobbes
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Beitrag17.01.2014 10:39

von hobbes
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Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben:
..., aber ich hatte leider noch nie ein Interesse daran, einen konventionellen Roman zu schreiben ...

Streich doch bitte das leider smile Ich hoffe, du hast jetzt nicht den Eindruck, ich würde mir mehr Konventionalität wünschen. Stimmt nämlich nicht.

Was mir gefällt:
Das ist zum einen die Stimmung, die du erzeugst. So eine melancholische Bedrohung. Dann mag ich, dass du Fragen bei mir aufwirfst und mir nicht einfach linear aufzeigst, wer die Personen sind, was die miteinander zu tun haben und was genau passiert ist. Außerdem interessiert mich das Thema, diese verquere(?) Religiosität.
Und ich mag auch die Art, wie du das erzählst. Das Bedrohliche kommt vermutlich auch daher, dass es rückblickend erzählt wird und mit einer gewissen Langsamkeit, einer Lust an den Einzelheiten, das verleiht dem Ganzen so einen speziellen Ernst, der in seiner Ernsthaftigkeit an sich auch schon wieder bedrohlich auf mich wirkt.

Ich hab's jetzt noch einmal gelesen und gemerkt, dass ich fast immer, wenn - nennt man das in der Form auch Inquits? Also sowas:
Zitat:
wie sie es ausdrückt

Zitat:
sagt sie,

Das wirft mich fast immer raus. Aus dem Bericht und zurück zu der Frage: Wer erzählt da und wann, wie ist das im Ablauf einzuordnen?
Brauchst du diese Einwürfe unbedingt? Ich glaube nicht, zumindest nicht so oft.

Am "kompliziertesten" finde ich diesen Abschnitt:
Zitat:
Später werde ich meine Schilderung mit dem Stabat Mater beginnen, denn soeben hat sie, den Blick unbeirrt aus dem Fenster und somit auf die Biegung der Dorfstraße gerichtet, zum wiederholten Mal am heutigen Morgen die Weihwasserschale erwähnt, die in den, wie sie es ausdrückt, tönernen Armen einer Jungfrau Maria an der Stubentür gehangen habe. Genauer gesagt, sagt sie zum wiederholten Mal, habe diese Muttergottes mit der Weihwasserschale von einem Nagel am Türrahmen gehangen – Bei dem Kreuz und weint von Herzen, werde ich später in mein Notizbuch eintragen – direkt unter dem Kruzifix mit dem, wie sie es ausdrückt, bleiernen Heiland, das ja, wovon ich mich mit eigenen Augen überzeugen könne, noch heute am Türrahmen der Stubentür hänge.

Das orangefarbene sind all die Schlüsselwörter, bei denen ich hängenbleibe, um das alles in einen Zeitablauf einzupassen. Noch dazu wird dieser Abschnitt von einem "Gleich zu Beginn" und "Später" eingerahmt.
Und dummerweise ist das auch noch einer der ersten Absätze, also die Stelle, an der sich oft entscheidet, ob man weiterlesen will oder nicht. Hättest du mich nicht mit dem Prolog geködert, wäre ich vermutlich ausgestiegen.

Wie gesagt, ich will dir bestimmt nicht deine Art, zu schreiben, ausreden, außerdem ist das sowieso nur mein persönlicher Leseeindruck, andere sehen es vielleicht/vermutlich wieder ganz anders.
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Klemens_Fitte
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Beitrag17.01.2014 17:51

von Klemens_Fitte
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hobbes hat Folgendes geschrieben:
Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben:
..., aber ich hatte leider noch nie ein Interesse daran, einen konventionellen Roman zu schreiben ...

Streich doch bitte das leider smile Ich hoffe, du hast jetzt nicht den Eindruck, ich würde mir mehr Konventionalität wünschen. Stimmt nämlich nicht.


Keine Sorge, das kam so auch nicht rüber. Das leider war eher Ausdruck meiner ganz persönlichen schreiberischen Sinnkrise.

Der von dir zitierte Absatz liest sich jetzt übrigens so:

Zitat:
Den Blick unbeirrt aus dem Fenster und somit auf die Biegung der Dorfstraße gerichtet, erwähnt sie zum wiederholten Mal am heutigen Morgen die Weihwasserschale, die in den, wie sie es ausdrückt, tönernen Armen einer Jungfrau Maria an der Stubentür gehangen habe. Genauer gesagt sei diese Muttergottes mit der Weihwasserschale unter das Kruzifix am Türrahmen genagelt gewesen – Bei dem Kreuz und weint von Herzen, werde ich später in mein Notizbuch eintragen – unter dem, wie sie es ausdrückt, elendigen Kruzifix mit dem bleiernen Heiland, das ja immer noch am Türrahmen der Stubentür hänge, weil es ihr unmöglich sei, sich davon zu trennen.


Auch darunter setze ich mal ein "Work in progress".
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Klemens_Fitte
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Beitrag21.01.2014 13:00

von Klemens_Fitte
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So, jetzt muss ich doch mal gegen die Forenetikette verstoßen und meinen eigenen Beitrag wieder nach oben holen - wenn auch mit frischem Material, nämlich dem 'Epilog' zum ersten Kapitel.

Wäre schon, wenn sich jemand die Mühe macht und mir ein Feedback hinterlässt.

Gruß,
Klemens

__

Der Satz, den ich nie schrieb, handelt ohnehin von etwas Anderem. Etwa von Krokodilstränen aus Kerzenwachs, die auf den Wangen auskühlen und erstarren. Oder davon, wie unsere Finger ins Leere stoßen.

Ins Dunkel der Schlafstube hinein sagt sie, es graue ihr vor dem Morgen, vor dem Moment, in dem das Automobil für jeden sichtbar an der Biegung der Dorfstraße auftauchen werde. Sie sagt, es graue ihr vor dem Geschwätz der Leute.
Später werde ich dieser Aussage, die unserem Schweigen vorangeht, eine Erzählung folgen lassen oder ein Gespräch, das wir in Wahrheit nie geführt haben – aus meinen alten, längst vergessenen und später wieder hervorgekramten Notizen werde ich mir etwas zusammenreimen: Ich erzähle ihr vorm Einschlafen, dass man in einigen Gegenden Afrikas von Hexen weiß, die des nachts in den Wipfeln jener Bäume sitzen, in deren Schatten sich tagsüber die Dorfbewohner aufhalten.
In ihren Händen, so heißt es, halten diese Hexen die Fäden eines fein gewobenen Spinnennetzes, das sie zuvor über der schlafenden Welt ausgebreitet haben – verrät ihnen nun ein Ruck dieser Fäden das entfernte Öffnen eines Fensters, einer Tür, dann sind sie gewarnt und können ungesehen in der Finsternis verschwinden.

Seit ich diese Passage in einem meiner sogenannten geliebten Bücher entdeckt und sofort in eines meiner sogenannten Notizbücher übertragen habe, frage ich mich, worüber diese Hexen sich unterhalten, in all den Nächten, die sie in den Kronen von Malven und Akazien verbringen; er schrieb nichts darüber, vermutlich, weil es keiner genau zu sagen weiß.
Sprechen sie Flüche oder Verwünschungen aus? Können sie mit ihren Augen die Schwärze der Nacht durchdringen, können sie, in die Dunkelheit starrend, ihre schlafenden Opfer fixieren, wie es nächtliche Raubvögel tun? Können sie mit dem Finger auf die Hütte desjenigen zeigen, den sie mittels einer blutigen Hahnenfeder, eines in den Weg gelegten Hühnerknochens behexen werden?

Diese geflüsterte Erzählung werde ich später erfinden, damit sie unsere Stille vor dem Einschlafen ausfüllen und ihrem Grauen vor dem Geschwätz der Leute einen Sinn geben kann. Vor ihrem geistigen Auge, werde ich später schreiben, breite ich eine Szenerie aus, in der sie sich nackt in den Staub der Steppe geworfen sieht, ihre Fesseln in den Schraubzwingen unmenschlicher Hände, über sich die kraushaarigen Hexenhäupter und eine erbarmungslos lodernde Sonnenscheibe. Mit langen, kunstvoll an ihre Scham gelegten Fingern kitzeln diese Hexen ihre geheimen Sehnsüchte aus ihr heraus, deren miserables Flüstern sie im Wind verstreuen, damit er den Samen der üblen Nachrede ins Dorf trägt.

Stattdessen starre ich ins Dunkel, bis mir, wie so oft, vom Ertrinken träumt.

Kopfüber tauche ich aus fallenden Wassern auf. Ein Wind ergreift mich. Ich öffne die vom Salz verkrusteten Augen und sehe unter mir das Dorf mit seinen erloschenen Fenstern: Der Ozean ist der Nachthimmel, aus dem ich stürze. Die Dorfeiche senkt das Gorgonenhaupt ihrer Krone übers Soldatendenkmal und lässt die Erinnerung an die Gefallenen zu Stein erstarren. Rundherum drängen sich die Bauernhäuser mit ihren rheumatischen, unter der Last der Jahre ächzenden Rücken. Mit den Armen die Schornsteine umklammernd sinke ich der Länge nach auf ihre Dachfirste, ich ersetze ihr fehlendes Rückgrat durch meine Wirbelsäule. Ich atme den langsamen Atem von morschem Holz, hänge seufzend in den Balken ihrer Viehställe und nagle mich selbst ans Kreuz ihrer Giebel. Als böser Geist fahre ich albträumenden Pferden in die Glieder und lasse sie nach hinten austreten, gegen die hölzernen Bohlen. Ich blähe ihre Nüstern und stoße als Dampfwolke in die beißende Kälte der Nachtluft. Ich scheuche die Ratten aus ihren Löchern und mache die Hühner fuchsteufelswild. Ich grabe mich in die Erde am Soldatendenkmal und überwintere, knospe, wachse zum mahnenden Beispiel heran.
Die Kinder rufen: Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?

Ruckartig erwache ich aus meinem Traum, den ich mir später aus der Passage eines nie veröffentlichten Buches zusammenbasteln werde, den ich mir von einer Figur leihen werde, die eigentlich wenig Ähnlichkeit mir mir aufweisen sollte.
Ich schließe die Seiten des Buches, das mir aus den Händen gefallen und auf die Brust gerutscht ist – das Buch, das ich gar nicht bei mir habe, in dem ich nur der späteren Schilderung zuliebe vorm Einschlafen werde lesen müssen, weil mir seine Anwesenheit so verführerisch folgerichtig erscheinen wird.
Sie liegt neben mir. Hinter den Jalousien dämmert der Morgen.

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hobbes
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Beitrag21.01.2014 13:18

von hobbes
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Ich schon wieder. Zähl mich zu deinen Fans smile
Je mehr ich lese, desto weniger verstehe ich. Ist aber völlig egal. Manchmal gibt es diese Geschichten, in die man einfach eintauchen kann, ganz ohne alles/etwas zu verstehen oder verstehen zu wollen.

Wenn ich wollte, könnte ich noch etwas über meine (trotz Lesegenuss) auch hier wiederkehrenden Probleme mit dem Text schreiben, will ich aber nicht. Momentan will ich lieber einfach nur genießen.

Davon abgesehen bin ich ebenfalls höchst neugierig auf weitere Meinungen.
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Gast







Beitrag21.01.2014 13:45

von Gast
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Hallo, jetzt muss ich mich doch kurz melden und meiner Freude Ausdruck verleihen. Juppie! Das haben wir hier eher selten, Texte, zu denen man immer wieder kommt, jedes mal mehr sieht; die mich mitnehmen, zurücklassen, in denen Autor selbst zurückkehrt, mich wieder aufscheucht, weiter mitnimmt. Diese innere Spannung, das Ausholen, das langsame Aufbauen einer Geschichte, die Umwege ... alles in eine Sprache verpackt, die jede Gefahr der Langeweile einfach ausschließt. Ich kann dir leider im Moment kein ausführlicheres Feedback geben, es geht einfach nicht, aber ich hoffe, es nachholen zu können. Vorerst: Danke fürs Posten,
Lorraine
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Klemens_Fitte
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Beitrag21.01.2014 14:27

von Klemens_Fitte
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@ hobbes

Wow, mein erster Fan außerhalb von Familie und Freundeskreis. Ich fühle mich, nein, ich bin geehrt.

Zitat:
Je mehr ich lese, desto weniger verstehe ich.


Ich denke, einige Probleme ergeben sich einfach aus dem Umstand, dass ich hier immer nur Ausschnitte einstelle. Im fertigen Text sollte sich dann schon ein einigermaßen schlüssiges Bild ergeben.

Zitat:
Ist aber völlig egal. Manchmal gibt es diese Geschichten, in die man einfach eintauchen kann, ganz ohne alles/etwas zu verstehen oder verstehen zu wollen.


Das hast du schön gesagt. Es ist natürlich nicht meine Absicht, den Leser zu verwirren - aber die meisten meiner sogenannten Lieblingsbücher zeichnen sich auch nicht durch eine nachvollziehbare Handlung aus, sondern eher durch ihre sprachliche Umsetzung; sollte ich da mit meinem Text mal hinkommen, bin ich schon zufrieden.

@ Lorraine

Ich muss gestehen, beim Lesen deines Postings hat mein Herz einen kleinen Sprung gemacht. Ich bin immer sehr skeptisch, was Lob angeht, aber zwischen all den Umformungen, die der Text schon hinter sich hat, tut so eine Rückmeldung einfach mal gut. Danke dafür.
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Assy
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Beitrag21.01.2014 16:44

von Assy
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Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben:
Hallo meine Lieben,

endlich sind Christbaumverkauf und Feiertage vorbei und ich habe wieder Zeit fürs Forum. Meine knappe Freizeit in den letzten Tagen habe ich dazu genutzt, meinen Text ein wenig zu überarbeiten - Ziel war, ein paar sprachliche Stolpersteine zu entfernen und den Text zu straffen, ohne seine Eigenständigkeit aufzugeben. Ich hoffe, das ist mir einigermaßen gelungen.

Danke schonmal für eure Reaktionen auf die erste Version, nicht nur, weil sie mir bei der Überarbeitung hilfreich waren, sondern auch, weil sie mir überhaupt erst Lust gemacht haben, mich noch einmal mit einem Text zu befassen, an dem ich schon seit zwei Jahren schreibe (schon wieder so ein langer Satz, ts ts).

Herzlich,
Klemens

__

Ihre Geschichte beginnt am Ende, mit dem letzten Satz Sommerreifen, der den Kontakt zum Asphalt verliert und für den Bruchteil einer Sekunde frei über der Böschung steht.
Noch Tage später wird man die frisch vernarbte Spur der beiden Fahrrillen sehen können, schnurgerade, gezogen vom Fuß der Böschung bis an einen windschiefen Geräteschuppen, der sich, von der Straße aus gesehen, am Wiesenrand hinter den Stamm einer Birke duckt.

Die Frage, weshalb das Automobil die Straße verlassen hatte und ausgerechnet hier zu seinem abrupten Halt gekommen war, wird sie später zugunsten irrelevanter Details unbeantwortet lassen: Kälte, Nebel. Qualm, der dem Motorraum entweicht. Tropfen von Tauwasser rinnen die Birkenblätter entlang und schlagen mit hohlem Klang auf den Boden einer Regentonne. Hinter einem Stück Wellblech ragt das metallene Schlangennest einer Rolle Stacheldraht hervor – anhand der Fotografien, die man später anfertigen und ihr vorzeigen wird, wird sie lediglich zu Protokoll geben, sich am Stacheldraht die Hosenbeine aufgerissen zu haben, als sie ihr Bündel hinterm Schuppen deponiert habe, zwischen morschen Holzlatten und rostigen, von Luftgewehrschüssen durchsiebten Blechdosen. Alles Andere, wird sie später sagen, sei ihr entfallen.
Als es getan ist, setzt sie sich wieder ans Steuer und schließt ihre zitternden Finger um die starre Lenkvorrichtung. Nässe drückt sich vom Fahrersitz durch ihren Hosenboden und verliert sich in der Taubheit ihres Unterleibs. Der Rückspiegel wirft ihr einen kritischen Blick zu, wirft ihr den kritischen Augenblick zurück, den sie damals, vor Jahrzehnten, in die Kameralinse gerichtet hatte:

Blumen im Haar, ausgezupfte, handverlesene Blütenblätter im Mund wie gestrandete Schiffe auf einer frech herausgestreckten Landzunge … die Mädchenbeine in ihrem ersten Paar Gummistiefel, rosafarben, ein Geschenk der Großeltern, die Zeit ihres Lebens praktisch veranlagte Menschen gewesen waren … aus akurat angelegten Schützengräben kratzt der Weizen die Erde unter ihren Stiefelsohlen auf, mit spröden, tastenden Fingern; das blonde Auge zu einer Ähre zusammengekniffen, gen Himmel zielend … Sonnenflecken im Polaroidpapier, die ihr Vater, am Stubentisch sitzend, mit einem glimmenden Zigarettenstummel ins Fotoalbum brennt … schwarze Pupillen wie Einschusslöcher aus dem Luftgewehr … – Der hausgeborene, lumpengepackte Säugling, die Haut nach der Geburt so dunkel, dass der Vater außer sich gerät, aus der Stube stürmt – „Des is' net meins' – der von der Großmutter im Wiegeschritt besungene Arme Teufel, der Täufling, in den Armen des Taufpaten, vom Regen in die Taufe kommend …

Es wird für spätere Auswertung irrelevant sein, wann und ob überhaupt sie die Sonnenblende herunterklappt und das Papierfach leert, in dem sich zu diesem Zeitpunkt ein, zwei Dokumente, das Bildnis des Heiligen Christopher und die später von ihr erwähnte Fotografie aus der Guten Zeit befinden – die Momente, die soeben verstreichen, werden sich später, aus ihrer lückenhaften Erinnerung heraus, mit der Betrachtung dieser Fotografie aus der Guten Zeit oder mit der Betrachtung ihrer eigenen Reflexion im Rückspiegel füllen lassen, mit flüchtigen Gedanken, die in keinem Gutachten Platz finden und sich mangels Relevanz in Rauch auflösen oder in den Rauch mischen werden, der weiterhin dem Motorraum entweicht.
Nach einigen Minuten, die sich in der späteren Schilderung zu einer leeren, aber sorgfältig bemessenen Zeitspanne addiert haben werden, löst sie ihre Hände wieder vom Lenkrad und tippt den Hilferuf einer schlussendlich verworfenen SMS in ihr Mobiltelefon.

Von der Stelle aus, an der das Automobil zu seinem abrupten Halt gekommen war, bildet die Böschung der Dorfstraße den Horizont, hinter dem es zu dämmern beginnt; wie Scherenschnitte heben sich die Wegekreuze vom fahlen Himmel ab, die Wanderkapellen, die Kreuzwegstationen, die Bildstöcke und Heiligenfiguren, Heiligemariamuttergottes mit ihren nackten Zehen und ihrem eisernen Heiligenschein, Unddiefruchtdeinesleibesjesu, das Bündel zwischen Holzlatten und zerschossenen Blechdosen, „Des is' net meins“, und so weiter … – Hinter einem lautlos summenden Elektrozaun fahren komatöse Rinder ein, zwei Fußbreit aus dem Schlaf und drehen ihre massigen Schädel in Richtung Dorf. Glocken schlagen ins Leere. Ein verwitterter Bildstock fällt rücklings, wie ein Betrunkener, in den Acker, begräbt eine Reihe knickender Strohhalme unter sich und stirbt seinen barocken Tod. Die Flugbahnen früher Vögel zerschneiden seinen letzten, himmelwärts gerichteten Blick. Man wird ihn Tage später wieder aufrichten; ohne groß Fragen zu stellen oder ihm den Prozess zu machen wird man ihm einen Strick um den Hals legen und ihn zum Stehen bringen, man wird ihm die Erdknollen und den Feldmauskot abklopfen, und in einigen Tagen wird ihn, wie jedes Jahr, die Himmelfahrtsprozession passieren.

Die Scheibenwischer stehen auf Hab-Acht-Stellung, dem Hartplastik des Lenkrads steht kalter Schweiß auf den Poren. Sie atmet das süßliche Aroma des Aschenbechers ein, den Geruch der Sitzpolster, der sich mit ihrem eigenen vermischt hat.
Bevor sie endlich aussteigen und sich auf den Weg ins Dorf machen wird, verharrt ihr Blick noch einige Zeit im Fluchtpunkt der Horizontlinie – ihrer späteren Schilderung wird man entnehmen können, dass dieses Zögern dem Überschreiten einer endgültigen Grenze vorangeht – sie sieht sich an der Hand der Mutter aus dem Dorf gezogen, mit unsicheren Kinderschritten dem Kadaver einer überfahrenen, mitten auf dem Weg liegenden Blindschleiche ausweichen, als Teil des Himmelfahrtskommandos, das in einigen Tagen wieder die Hügelkuppe erklimmen und am Bildstock kehrt machen wird; im Gleichschritt der Ministrantenfüße werden sie den Bogen zum Dorf schlagen, und wie jedes Jahr wird der Viehbauer auch diesmal wieder über seine Wiese abkürzen, aus der er wenige Tage zuvor das liegengebliebene Auto gezogen haben wird, und erst dann werden ihm die mittlerweile trockenen Lumpen auffallen, die zwischen Holzlatten und Blechdosen an seinem Schuppen liegen, wenige Schritte entfernt von der Stelle, an der die Spur der Fahrrillen zu einem abrupten Ende kommt.


Hallo Klemens,

ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.

Der komplette erste Absatz ist einfach nur genial. Am liebsten würde ich allein für den ersten Satz einen gewissen Herren, dessen "Ilsebill salzte nach "premiert wurde, vom Podest stoßen und dich eigenhändig drauf hieven, aber nur, wenn du aus dem Wort "steht" ein "schweben" oder ähnliches machst!

Aber dann.....

Für mich persönlich alles zusammen too much. Zu viele Bilder, und das in einer rasanten Abfolge, dass mir meine Gehirnwindungen anschwellen und anfangen zu glühen!
Nach und nach, aber im Endeffekt relativ schnell klicke ich mich raus, um nicht elendig an einer Überreizung des Hirns zu krepieren!

Du hast einen tollen, umfangreichen Wortschatz, mit dem du geschickt spielst, aber was nützt das, wenn dir die Leser abspringen und du am Ende der Böschung alleine hinunter schaust?

Trotzdem, dein Text ist toll und irgendwie lese ich weiter, aber befürchte, dass ich mich spätestens nach zehn Seiten verabschiede, weil dein Input zu gewaltig ist - ich zu viele Sätze ein zweites Mal lesen muss!

Viel Glück
Assy
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Klemens_Fitte
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Beitrag21.01.2014 20:19

von Klemens_Fitte
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Hallo Assy,

danke fürs Lesen. Ich hoffe, dass deine Gehirnwindungen sich inzwischen wieder entspannt haben und die Balance zwischen Anstrengung und Vergnügen nicht zu sehr in Schieflage geraten ist.

Assy hat Folgendes geschrieben:
Der komplette erste Absatz ist einfach nur genial. Am liebsten würde ich allein für den ersten Satz einen gewissen Herren, dessen "Ilsebill salzte nach "premiert wurde, vom Podest stoßen und dich eigenhändig drauf hieven, aber nur, wenn du aus dem Wort "steht" ein "schweben" oder ähnliches machst!


Hm, dann muss ich Herrn Grass wohl doch den Vortritt lassen - 'steht' gibt ziemlich genau das Motiv wieder, das ich haben wollte: ein Standbild. 'Schweben' ginge eher Richtung Zeitlupe. Zumal ein 'stehender Reifen' ein ebensolcher Begriff ist, ein 'schwebender' dagegen ...

Zitat:
Aber dann.....

Für mich persönlich alles zusammen too much. Zu viele Bilder, und das in einer rasanten Abfolge, dass mir meine Gehirnwindungen anschwellen und anfangen zu glühen!
Nach und nach, aber im Endeffekt relativ schnell klicke ich mich raus, um nicht elendig an einer Überreizung des Hirns zu krepieren!


Ich denke, es kommt sehr auf die eigenen Lesegewohnheiten an; ich lese beispielsweise nie im Bett oder zum Entspannen, ich mag es, wenn ich von Texten gefordert werde, wenn ich beim Lesen 'überwältigt' bin. Und außer der fixen Idee, selbst einmal solche Texte schreiben zu können, interessiert mich am Schreiben nichts.

Zitat:
Du hast einen tollen, umfangreichen Wortschatz, mit dem du geschickt spielst, aber was nützt das, wenn dir die Leser abspringen und du am Ende der Böschung alleine hinunter schaust?


Ich bin mir dessen bewusst, dass ich hier ein Nischenprodukt schaffe. Und so, wie ich seit Jahren keinen Krimi oder Fantasyroman über die ersten Seiten hinaus gelesen habe, wird es vielen Leuten auch bei meinen Texten gehen.

Zitat:
Trotzdem, dein Text ist toll und irgendwie lese ich weiter, aber befürchte, dass ich mich spätestens nach zehn Seiten verabschiede, weil dein Input zu gewaltig ist - ich zu viele Sätze ein zweites Mal lesen muss!


Wenn du möchtest, kannst du ja mal die Stellen anführen, die dich überfordern, dann sehe ich mir die nochmal genauer an.

Zitat:
Viel Glück
Assy


Vielen Dank.
Klemens
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Amy Pathfinder
Schneckenpost
A


Beiträge: 9



A
Beitrag23.01.2014 15:54
Gewaltige Bilder
von Amy Pathfinder
Antworten mit Zitat

Ich habe deinen Einstand gelesen und war im ersten Moment gefangen von der Geschichte.
Gerade der Einstieg ist wunderbar.

Ich bin von dem Moment an überfordert gewesen, als du begonnen hast den Schwerpunkt auf die religiösen ...ja wie soll ich das sagen..wie hieß gleich das Teil was sie umgefahren hat.... zu lenken.

ich habe dann in deinem ersten Kapitel weitergelesen und nach dem wunderbaren Einstieg folgten bei mir nur noch morbide böse Bilder und ich las für meinen Geschmack zu oft das Wort Weihwasser.

Ich hatte auf einmal kein klares Bilder der Situation mehr.

Ich selbst liebe lange Sätze...ich finde sparsam eingesetzt erzeugen sie viel Spannung.
Bei dir ist mir zu viel Spannung die nicht weiß wo sie hinführen soll.

Ich weiß nicht, welchen Eindruck ich haben soll.


Aber echt... der Anfang ist super...schön...verzweifelt...einsam...jo
Gerade das Spiel mit den Zeiten....

...was geschehen wird....was gerade ist....was war...

mag ich besonders gerne.

Ich glaube ich kann nachvollziehen wie es sich anfühlt so viel mitteilen zu wollen...doch zu viele Worte können auch erschrecken und ich weiß da gar nicht mehr, auf was ich antworten könnte.

Lg Amy
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