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Blickwinkel


 
 
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Kanezzo
Geschlecht:männlichWortedrechsler
K

Alter: 32
Beiträge: 83
Wohnort: Gießen


K
Beitrag22.12.2013 18:41
Blickwinkel
von Kanezzo
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Hallo,

mich würde sehr interessieren, was ihr aus dem folgenden Text für euch herauslest. Ob die "eigentliche" Thematik der Geschichte, so, wie ich sie mir gedacht hatte bei euch ankommt, oder ob sich vielleicht ein ganz eigenes Bild bei euch ergibt.

Mich interessieren eure Gedanken sowie natürlich auch inhaltliche und formale Verbesserungsvorschläge.

Blickwinkel



1


Es war ein Montag. Ein grausamer Montag – aber wann war ein Montag schon gut?
Das Wochenende war vergangen und wieder erstreckte sich eine viel zu lange Woche vor ihm. Er hatte keine Lust – nie und zu keiner Zeit.
Seine Fingernägel gruben sich in das kalte Leder des Lenkrads, jedes Mal, wenn er an einer der unendlichen Ampelschlangen zum Stehen kam.
Im Auto war es kalt. Er drehte die Heizung auf die höchstmögliche Stufe - und noch weiter. Schon lange war der Drehknopf, an welchem man die Temperatur der Heizung einstellen konnte kaputt, dennoch sah er es nicht ein, in eine Werkstatt zu fahren. Irgendeinen pickligen Möchtergernmechaniker gab es doch immer, der ihm versuchte sein Geld aus der Tasche zu ziehen, indem er an seinem Auto irgendwelche Wehwehchen diagnostizierte.
Seine Lippen waren bereits blau angelaufen, als er den Stadtrand erreichte und auf die Autobahn auffuhr.
Er fuhr recht schnell, sodass die Tachonadel die Hundertdreißiger-Marke nicht unterschreiten konnte, dachte er doch, so stünden seine Chancen besser, dass er auf dem Weg zur Arbeit in einen Unfall verwickelt werden würde. In Gedanken, war sein Auto schon oft von der Fahrbahn abgekommen, hatte sich überschlagen, um einen Baum gewickelt und ihn als ein amorph-fleischliches Wesen  zurückgelassen. Doch die Wirklichkeit spielte ein anderes Spiel, in dem er die Marionette war, mit der der liebe Gott zu spielen gedachte. Offensichtlich folterte Gott gerne.
Nein, die Realität hatte andere Pläne mit ihm, die offensichtlich nicht an seiner tagtäglichen Arbeit vorbeiführen durften. Eine grausame Arbeit, die ihn all seine Kraft kostete und ihn jeden Abend zurück auf sein durchgesessenes Sofa zwang. Zu billigem Rotwein,Salzstangen und einem Fernsehprogramm, welches in den letzten Jahren so erbärmlich und niveaulos geworden war, wie man es nie für möglich gehalten hatte. Arbeitslose Hobbymütter, die ihre Töchter auf der puffroten Oliver Geißen Couch anschrieen, weil sie mit dem Vater ihres Nachbarjungen geschlafen hatten. Eine Welt, die keine anderen Probleme zu haben schien. Eine Welt, die zum kotzen war.

Nach etwa zwanzig Minuten war er angekommen. Er rollte in jene Einfahrt, die durch ein rostiges, blaues Schild mit der Aufschrift „Lehrerparkplatz“ gekennzeichnet war. Dann kam er zum Stehen.
Trotz der Eiszeit, die im Innern seines Autos herrschte, wollte er nicht aussteigen, doch ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass es bereits kurz vor acht Uhr war. Er hatte also keine Wahl – wiedereinmal.

Als er den Flur des Schulgebäudes entlanglief, erwachte in ihm erneut der Wunsch, eine gesichtslose Kreatur, würde eine Waffe zücken und ihn einfach erschießen. Ihm ein Gift injezieren, oder tödliche Bakterien in seinen Kaffe schütten. Aber nein, er war verdammt auf Erden zu wandeln, bis ihm sein eigenes Schicksal dahinraffte und wie immer war ihm sein Schicksal viel zu langsam.
Eine Frau kam ihm entgegen, eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee in der einen, einen Stapel Akten in der anderen Hand haltend. Ihr Schaufensterpuppen-Lächeln ließ die Halsschlagader des Mannes aufquillen. Ein einfaches Kopfnicken hätte genügt, ein kurzer Blick, aber doch kein Lächeln. An einem Montag lächelte man nicht. Erst recht nicht in seiner Gegenwart. Auch nicht er selbst – vor allem nicht er selbst.
„Wer lächelt, der weint auch“, hatte ihm sein Vater damals oft entgegen geschrien, immer wenn er ihn im alten Schuppen mit dem Brecheisen verdrosch. Am Anfang war es ihm schwergefallen, sein Lächeln zu verbergen. Heute jedoch war es ihm ein Leichtes – hatte er diese Angewohnheit doch bereits vor Jahren abgelegt.

Der Schwarze Marmor unter seinen Füßen schien zu einem Fließband zu verschwimmen. So konnte er nicht stehen bleiben, wurde immer weitergetragen, bis er sich schließlich vor einer großen, mit Lack beschichteten Tür wiederfand.
Er öffnete. Ein Brei aus verquollenem Lachen, schniefenden Rotznasen und überdrehter Handymusik schwabte ihm entgegen.
Ein Haufen Schüler, die ihm nicht das geringste bedeuteten. Er kannte sie nicht. Und wollte sie nicht kennen. Es waren Gesichter ohne Ausdruck. Stimmen ohne Melodie. Bloße Hirne, die es zu formen galt.


2


Nichts bewegte sich mehr. Kein nervöses Zucken, kein Strampeln, kein Klopfen. Keine Finger, die am Mäppchen spielen, keine Füße, die ungeduldig auf dem Boden tippeln.
Der Junge saß in einer der hintersten Reihen, dort, wo man sich gut verstecken konnte. Er sah alles, doch niemand sah ihn.
In der Sekunde als sein Lehrer durch die Tür getreten war, hatten sich die Körper seiner Mitschüler verändert. Sie saßen jetzt ganz gerade da. Richteten ihre Blicke nach vorn.
Der Lehrer war durch die Reihen hindurchgegangen und legte jetzt seine Tasche auf das hölzerne Pult. Er sagte etwas, doch der Junge konnte seine Worte nicht hören. Zu sehr war er auf das fixiert, was er beobachtete. Jede Bewegung, jeden Schritt, jedes Wort, jeden Wimpernschlag. Die Hände, die Füße, die Beine, die Ohren, die Augen, die Lippen, die Nase, die Stirn, die Haare, die Nägel, der Schweiß, die Zähne. Der Junge sog jede kleinste Bewegung des Lehrers in sich auf.
So sehr er ihn sah, so sehr wünschte er sich, sein Lehrer würde ihn sehen. Nur ein einziges Mal.
Immerzu beobachtete der Junge ihn. Seine müden Augen, die diese Traurigkeit und Sehnsucht innehatten. Sein Mund, dessen Winkel schlaff nach unten hingen, als hätte er das Lachen verlernt.
Nur eines konnte der Junge nicht sehen: Die Gedanken. Was dachte er bloß? Der Mann, der ihm so nahestand, ohne es zu wissen. Dem er so gerne all seine Sorgen erzählt hätte, wenn dieser ihn nur danach fragte. Aber vielleicht war es besser so, ohnehin, der Junge sprach nicht gern. Beim Sprechen konnte man Fehler machen.
„Aus seinen Fehlern lernt man“, hatte seine Mutter mal gesagt. Doch vielleicht war ihm nicht nach Lernen, vielleicht war ihm einfach nur nach diesem Moment.

„Hey Glupschi!“, zischte es von rechts, „hey, psst!“
„Er starrt schon wieder“, lachte es von links.
„Hey Glupschi, starr doch mal hier drauf!“
Einer seiner Tischnachbarn schob ihm eine Zeitschrift hin. Sein Blick ließ ab von seinem Lehrer und senkte sich zu Tisch. Was er erblickte, war eine nackte, vollbusige Blondine, die sich auf einem Motorrad räkelte. Er empfand sie nicht als sonderbar hübsch.
„Geile Titten was?“, lachte es von beiden Seiten.
„Ja,....hammer.“, stammelte der Junge so unglaubwürdig, wie es kaum ein Junge seines Alters bei einem solchen Anblick vermochte.
„Ach stimmt ja, unser Glupschi steht ja nur auf alte Säcke, die langweilige Scheiße labern. Na dann starr mal weiter Glupschi“
Der Junge verzog die Mundwinkel. Er fühlte sich ertappt, enttarnt. Unnormal. So wie gestern Abend.

Offensichtlich hatte sein Lehrer die Geräusche in der hintersten Reihe vernommen, kam er doch jetzt in Windeseile auf ihn zu geschossen. Er entdeckte das Heft, riss es ihm vom Tisch und ergoss seinen Ärger über dem Haupte des Jungen.


3


Ein Weinen drang aus dem Zimmer des Jungen an ihr Ohr. Es war inzwischen Mitternacht und er hatte sich bereits vor Stunden zu Bett begeben.
Die lockigen Haare vom Schlaf noch ganz zerzausten, erhob sich die Frau aus dem Bett und schlüpfte in die warmen Wollpantoffeln. Sie hatte vergessen die Heizung anzustellen und das Zimmer war von der Nacht recht ausgekühlt.
Sie warf sich ihren Morgenmantel über und schlurfte aus der Tür.

Im Zimmer des Jungen angekommen, saß er auf dem Bett. Die Arme hingen schlaff an ihm herunter, der Kragen seines T-shirts war bereits ganz nass unter den Tränen, die er offensichtlich geweint hatte. Verquollene Augen blickten ihr entgegen. Sie setzte sich auf den Rand des Bettes und nahm ihn in die Arme.
„Etwa wieder ein Albtraum?“, fragte sie besorgt und drückte seine verschwitze Stirn an ihren weichen Morgenmantel.
Er sagte Ja und meinte Nein.
Und als er das so sagte, weinte er noch stärker. Er rang nach Luft und es war ihr, als krampften seine Lungen.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte die Mutter ernsthaft besorgt.
„Ich weiß es nicht.“, sagte der Junge - wahrheitsgemäß.



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Jack Burns
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Beitrag23.12.2013 00:18

von Jack Burns
Antworten mit Zitat

Hallo Kanezzo,

formal ist der Text sehr gut. Ich habe bei einmaligem Lesen keine Rechtschreib- oder Grammatikfehler entdeckt. Auch die Gestaltung mit den Absätzen ist sehr ansprechend.

Der Wechsel der Perspektive vom Lehrer zum Jungen ist nachvollziehbar und passt an dieser Stelle. Der nächste Wechsel zur Mutter ist mir zu viel.

Bei der Thematik bin ich mir unsicher. Das Innenleben des Lehrer beschreibst Du sehr deutlich: Burn-out, Misanthropismus, Depression...
Der Junge empfindet wahrscheinlich homosexuelle Gefühle...das Ignorieren des Sex-Heftes scheint darauf hin zu deuten.
Es könnte aber auch einfach die Sehnsucht nach einer Vaterfigur, nach einem erwachsenen Freund sein.
Nur will der Charakter des Lehrers nicht dazu passen: Wer will denn so einen Griesgram zum Freund? Und wahrscheinlich auch nicht zum Sexualpartner.
Und dadurch wird es für mich etwas unglaubwürdig.
Geht die Geschichte noch weiter?

Einige Formulierungen gefallen mir nicht so gut. Das führe ich auf meinen persönlichen Geschmack zurück, deshalb sag ich nichts weiter dazu; es sei denn, Du bestehst darauf. Wink

Viele Grüße und frohe Weihnacht!
Martin


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Monster.
How should I feel?
Creatures lie here, looking through the windows.
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Kanezzo
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Alter: 32
Beiträge: 83
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K
Beitrag23.12.2013 00:42

von Kanezzo
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Hallo Martin,

soweit erst einmal vielen Dank für dein Feedback.

Der Wechsel hin zur Mutter soll zweierlei Funktionen haben:
Zum einen dient er dazu den Titel "Blickwinkel" weiter zu stützen, zum anderen soll es tatsächlich die homosexuellen Gefühle des Jungen deutlicher werden lassen - freilich nicht zu deutlich. Ich möchte, dass man durchaus darauf kommen kann, dass sich aber auch gerne und gut eine andere Interpretation hereindenken lässt.
Und so, wie du mir deine Gedanken beschreibst, ist das wohl (zumindest bei dir) gelungen.

Das was du über den Lehrer sagst stimmt womöglich "Wer will so einen Griesgram zum Freund?" Wahrscheinlich sollte ich das noch ein bisschen besser herausstellen.
Eigentlich ist es eben so gedacht, dass der Junge das "mehr" hinter dieser Person sieht. Fernab von all dem Unmut, der von dem Lehrer ausgeht.

Die Geschichte soll Teil eines Wettbewerbs werden, daher geht es so in dieser Form nicht weiter. Der Text darf nur 1.300 Wörter haben, was mir (durch Zufall, wie ich ehrlich dazu sagen muss) bis aufs Wort genau geglückt ist Smile

Im Roman, an dem ich zurzeit arbeite, geht es aber um eine sehr ähnliche Thematik.

An deinen Formulierungsvorschlägen wäre ich sehr interessiert.
Natürlich muss man ja nicht immer alle davon auch für seinen Text verwenden, aber oft kommt es doch vor, dass die eine oder andere Formulierung dabei ist, der ich sehr gut zustimmen kann.
Daher - sehr gerne.

Dir auch frohe Festtage und ein schönes neues Jahr! smile


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Harald
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Beitrag23.12.2013 01:01
Re: Blickwinkel
von Harald
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Kanezzo hat Folgendes geschrieben:



1


Es war ein Montag. Ein grausamer Montag – aber wann war ein Montag schon gut?
Das Wochenende war vergangen und wieder erstreckte sich eine viel zu lange Woche vor ihm. Er hatte keine Lust – nie und zu keiner Zeit.
Seine Fingernägel gruben sich in das kalte Leder des Lenkrads, jedes Mal, wenn er an einer der unendlichen Ampelschlangen zum Stehen kam.
Im Auto war es kalt. Er drehte die Heizung auf die höchstmögliche Stufe - und noch weiter. Schon lange war der Drehknopf, an welchem man die Temperatur der Heizung einstellen konnte(Komma) kaputt, dennoch sah er es nicht ein, in eine Werkstatt zu fahren. Irgendeinen pickligen Möchtergernmechaniker gab es doch immer, der ihm versuchte(Komma) sein Geld aus der Tasche zu ziehen, indem er an seinem Auto irgendwelche Wehwehchen diagnostizierte.
Seine Lippen waren bereits blau angelaufen, als er den Stadtrand erreichte und auf die Autobahn auffuhr.
Er fuhr recht schnell, sodass die Tachonadel die Hundertdreißigermarke nicht unterschreiten konnte, dachte er doch, so stünden seine Chancen besser, dass er auf dem Weg zur Arbeit in einen Unfall verwickelt werden würde. In Gedanken(kein Komma) war sein Auto schon oft von der Fahrbahn abgekommen, hatte sich überschlagen, um einen Baum gewickelt und ihn als ein amorph-fleischliches Wesen  zurückgelassen. Doch die Wirklichkeit spielte ein anderes Spiel, in dem er die Marionette war, mit der der liebe Gott zu spielen gedachte. Offensichtlich folterte Gott gerne.
Nein, die Realität hatte andere Pläne mit ihm, die offensichtlich nicht an seiner tagtäglichen Arbeit vorbeiführen durften. Eine grausame Arbeit, die ihn all seine Kraft kostete und ihn jeden Abend zurück auf sein durchgesessenes Sofa zwang. Zu billigem Rotwein,Salzstangen und einem Fernsehprogramm, welches in den letzten Jahren so erbärmlich und niveaulos geworden war, wie man es nie für möglich gehalten hatte. Arbeitslose Hobbymütter, die ihre Töchter auf der puffroten Oliver Geißen Couch anschrieen, weil sie mit dem Vater ihres Nachbarjungen geschlafen hatten. Eine Welt, die keine anderen Probleme zu haben schien. Eine Welt, die zum kotzen war.

Nach etwa zwanzig Minuten war er angekommen. Er rollte in jene Einfahrt, die durch ein rostiges, blaues Schild mit der Aufschrift „Lehrerparkplatz“ gekennzeichnet war. Dann kam er zum Stehen.
Trotz der Eiszeit, die im Innern seines Autos herrschte, wollte er nicht aussteigen, doch ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass es bereits kurz vor acht Uhr war. Er hatte also keine Wahl – wiedereinmal.

Als er den Flur des Schulgebäudes entlanglief, erwachte in ihm erneut der Wunsch, eine gesichtslose Kreatur, würde eine Waffe zücken und ihn einfach erschießen. Ihm ein Gift injezieren, oder tödliche Bakterien in seinen Kaffe schütten. Aber nein, er war verdammt auf Erden zu wandeln, bis ihm sein eigenes Schicksal dahinraffte und wie immer war ihm sein Schicksal viel zu langsam.
Eine Frau kam ihm entgegen, eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee in der einen, einen Stapel Akten in der anderen Hand haltend. Ihr Schaufensterpuppen-Lächeln ließ die Halsschlagader des Mannes aufquillen. Ein einfaches Kopfnicken hätte genügt, ein kurzer Blick, aber doch kein Lächeln. An einem Montag lächelte man nicht. Erst recht nicht in seiner Gegenwart. Auch nicht er selbst – vor allem nicht er selbst.
„Wer lächelt, der weint auch“, hatte ihm sein Vater damals oft entgegen geschrien, immer wenn er ihn im alten Schuppen mit dem Brecheisen verdrosch. Am Anfang war es ihm schwergefallen, sein Lächeln zu verbergen. Heute jedoch war es ihm ein Leichtes – hatte er diese Angewohnheit doch bereits vor Jahren abgelegt.

Der Schwarze Marmor unter seinen Füßen schien zu einem Fließband zu verschwimmen. So konnte er nicht stehen bleiben, wurde immer weitergetragen, bis er sich schließlich vor einer großen, mit Lack beschichteten Tür wiederfand.
Er öffnete. Ein Brei aus verquollenem Lachen, schniefenden Rotznasen und überdrehter Handymusik schwabte ihm entgegen.
Ein Haufen Schüler, die ihm nicht das geringste bedeuteten. Er kannte sie nicht. Und wollte sie nicht kennen. Es waren Gesichter ohne Ausdruck. Stimmen ohne Melodie. Bloße Hirne, die es zu formen galt.


2


Nichts bewegte sich mehr. Kein nervöses Zucken, kein Strampeln, kein Klopfen. Keine Finger, die am Mäppchen spielen, keine Füße, die ungeduldig auf dem Boden tippeln.
Der Junge saß in einer der hintersten Reihen, dort, wo man sich gut verstecken konnte. Er sah alles, doch niemand sah ihn.
In der Sekunde als sein Lehrer durch die Tür getreten war, hatten sich die Körper seiner Mitschüler verändert. Sie saßen jetzt ganz gerade da. Richteten ihre Blicke nach vorn.
Der Lehrer war durch die Reihen hindurchgegangen und legte jetzt seine Tasche auf das hölzerne Pult. Er sagte etwas, doch der Junge konnte seine Worte nicht hören. Zu sehr war er auf das fixiert, was er beobachtete. Jede Bewegung, jeden Schritt, jedes Wort, jeden Wimpernschlag. Die Hände, die Füße, die Beine, die Ohren, die Augen, die Lippen, die Nase, die Stirn, die Haare, die Nägel, der Schweiß, die Zähne. Der Junge sog jede kleinste Bewegung des Lehrers in sich auf.
So sehr er ihn sah, so sehr wünschte er sich, sein Lehrer würde ihn sehen. Nur ein einziges Mal.
Immerzu beobachtete der Junge ihn. Seine müden Augen, die diese Traurigkeit und Sehnsucht innehatten. Sein Mund, dessen Winkel schlaff nach unten hingen, als hätte er das Lachen verlernt.
Nur eines konnte der Junge nicht sehen: Die Gedanken. Was dachte er bloß? Der Mann, der ihm so nahestand, ohne es zu wissen. Dem er so gerne all seine Sorgen erzählt hätte, wenn dieser ihn nur danach fragte. Aber vielleicht war es besser so, ohnehin, der Junge sprach nicht gern. Beim Sprechen konnte man Fehler machen.
„Aus seinen Fehlern lernt man“, hatte seine Mutter mal gesagt. Doch vielleicht war ihm nicht nach Lernen, vielleicht war ihm einfach nur nach diesem Moment.

„Hey Glupschi!“, zischte es von rechts, „hey, psst!“
„Er starrt schon wieder“, lachte es von links.
„Hey Glupschi, starr doch mal hier drauf!“
Einer seiner Tischnachbarn schob ihm eine Zeitschrift hin. Sein Blick ließ ab von seinem Lehrer und senkte sich zu Tisch. Was er erblickte, war eine nackte, vollbusige Blondine, die sich auf einem Motorrad räkelte. Er empfand sie nicht als sonderbar hübsch.
„Geile Titten was?“, lachte es von beiden Seiten.
„Ja,....hammer.“, stammelte der Junge so unglaubwürdig, wie es kaum ein Junge seines Alters bei einem solchen Anblick vermochte.
„Ach stimmt ja, unser Glupschi steht ja nur auf alte Säcke, die langweilige Scheiße labern. Na dann starr mal weiter Glupschi“
Der Junge verzog die Mundwinkel. Er fühlte sich ertappt, enttarnt. Unnormal. So wie gestern Abend.

Offensichtlich hatte sein Lehrer die Geräusche in der hintersten Reihe vernommen, kam er doch jetzt in Windeseile auf ihn zu geschossen. Er entdeckte das Heft, riss es ihm vom Tisch und ergoss seinen Ärger über dem Haupte des Jungen.


3


Ein Weinen drang aus dem Zimmer des Jungen an ihr Ohr. Es war inzwischen Mitternacht und er hatte sich bereits vor Stunden zu Bett begeben.
Die lockigen Haare vom Schlaf noch ganz zerzausten, erhob sich die Frau aus dem Bett und schlüpfte in die warmen Wollpantoffeln. Sie hatte vergessen die Heizung anzustellen und das Zimmer war von der Nacht recht ausgekühlt.
Sie warf sich ihren Morgenmantel über und schlurfte aus der Tür.

Im Zimmer des Jungen angekommen, saß er auf dem Bett. Die Arme hingen schlaff an ihm herunter, der Kragen seines T-shirts war bereits ganz nass unter den Tränen, die er offensichtlich geweint hatte. Verquollene Augen blickten ihr entgegen. Sie setzte sich auf den Rand des Bettes und nahm ihn in die Arme.
„Etwa wieder ein Albtraum?“, fragte sie besorgt und drückte seine verschwitze Stirn an ihren weichen Morgenmantel.
Er sagte Ja und meinte Nein.
Und als er das so sagte, weinte er noch stärker. Er rang nach Luft und es war ihr, als krampften seine Lungen.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte die Mutter ernsthaft besorgt.
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Harald

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Kanezzo
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Beitrag23.12.2013 01:22

von Kanezzo
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Danke Harald, habs direkt korrigiert Wink

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Harald
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Beitrag23.12.2013 01:22
Re: Blickwinkel
von Harald
Antworten mit Zitat

Kanezzo hat Folgendes geschrieben:



1


Es war ein Montag. Ein grausamer Montag – aber wann war ein Montag schon gut?
Das Wochenende war vergangen und wieder erstreckte sich eine viel zu lange Woche vor ihm. Er hatte keine Lust – nie und zu keiner Zeit.
Seine Fingernägel gruben sich in das kalte Leder des Lenkrads, jedes Mal, wenn er an einer der unendlichen Ampelschlangen zum Stehen kam.
Im Auto war es kalt. Er drehte die Heizung auf die höchstmögliche Stufe - und noch weiter. Schon lange war der Drehknopf, an welchem man die Temperatur der Heizung einstellen konnte(Komma) kaputt, dennoch sah er es nicht ein, in eine Werkstatt zu fahren. Irgendeinen pickligen Möchtergernmechaniker gab es doch immer, der ihm versuchte(Komma) sein Geld aus der Tasche zu ziehen, indem er an seinem Auto irgendwelche Wehwehchen diagnostizierte.
Seine Lippen waren bereits blau angelaufen, als er den Stadtrand erreichte und auf die Autobahn auffuhr.
Er fuhr recht schnell, sodass die Tachonadel die Hundertdreißigermarke nicht unterschreiten konnte, dachte er doch, so stünden seine Chancen besser, dass er auf dem Weg zur Arbeit in einen Unfall verwickelt werden würde. In Gedanken(kein Komma) war sein Auto schon oft von der Fahrbahn abgekommen, hatte sich überschlagen, um einen Baum gewickelt und ihn als ein amorph-fleischliches Wesen  zurückgelassen. Doch die Wirklichkeit spielte ein anderes Spiel, in dem er die Marionette war, mit der der liebe Gott zu spielen gedachte. Offensichtlich folterte Gott gerne.
Nein, die Realität hatte andere Pläne mit ihm, die offensichtlich nicht an seiner tagtäglichen Arbeit vorbeiführen durften. Eine grausame Arbeit, die ihn all seine Kraft kostete und ihn jeden Abend zurück auf sein durchgesessenes Sofa zwang. Zu billigem Rotwein,(Leerzeichen) Salzstangen und einem Fernsehprogramm, welches in den letzten Jahren so erbärmlich und niveaulos geworden war, wie man es nie für möglich gehalten hatte. Arbeitslose Hobbymütter, die ihre Töchter auf der puffroten Oliver Geißen Couch anschrieen, weil sie mit dem Vater ihres Nachbarjungen geschlafen hatten. Eine Welt, die keine anderen Probleme zu haben schien. Eine Welt, die zum kKotzen war.

Nach etwa zwanzig Minuten war er angekommen. Er rollte in jene Einfahrt, die durch ein rostiges, blaues Schild mit der Aufschrift „Lehrerparkplatz“ gekennzeichnet war. Dann kam er zum Stehen.
Trotz der Eiszeit, die im Innern seines Autos herrschte, wollte er nicht aussteigen, doch ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass es bereits kurz vor acht Uhr war. Er hatte also keine Wahl – wieder(Leerzeichen) einmal.

Als er den Flur des Schulgebäudes entlanglief(kein Komma) erwachte in ihm erneut der Wunsch, eine gesichtslose Kreatur(kein Komma) würde eine Waffe zücken und ihn einfach erschießen(Komma) ihm ein Gift injeizieren, oder tödliche Bakterien in seinen Kaffee schütten. Aber nein, er war verdammt(Komma)   auf Erden zu wandeln, bis ihmn sein eigenes Schicksal dahinraffte und wie immer war ihm sein Schicksal viel zu langsam.
Eine Frau kam ihm entgegen, eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee in der einen, einen Stapel Akten in der anderen Hand haltend. Ihr Schaufensterpuppen-Lächeln ließ die Halsschlagader des Mannes aufquiellen. Ein einfaches Kopfnicken hätte genügt, ein kurzer Blick, aber doch kein Lächeln. An einem Montag lächelte man nicht. Erst recht nicht in seiner Gegenwart. Auch nicht er selbst – vor allem nicht er selbst.
„Wer lächelt, der weint auch“, hatte ihm sein Vater damals oft entgegen geschrien, immer wenn er ihn im alten Schuppen mit dem Brecheisen verdrosch. Am Anfang war es ihm schwergefallen, sein Lächeln zu verbergen. Heute jedoch war es ihm ein Leichtes – hatte er diese Angewohnheit doch bereits vor Jahren abgelegt.

Der Schwarze Marmor unter seinen Füßen schien zu einem Fließband zu verschwimmen. So konnte er nicht stehenbleiben, wurde immer weitergetragen, bis er sich schließlich vor einer großen, mit Lack beschichteten Tür wiederfand.
Er öffnete. Ein Brei aus verquollenem Lachen, schniefenden Rotznasen und überdrehter Handymusik schwabppte ihm entgegen.


So weit mal die Suche nach den "nicht vorhandenen" Fehlern …

 Wink

Sorry, sind noch einige mehr …


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Vogel
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Goldene Neonzeit


Beitrag23.12.2013 01:37
Re: Blickwinkel
von Vogel
Antworten mit Zitat

Hi,

ich bin nicht sehr gut im Interpretieren von Texten. Aber nachdem ich den anderen Kommentar gelesen habe, finde ich das Thema Homosexualität recht plausibel. Vor allem das:
Zitat:
ich weiß es nicht, sagte er wahrheitsgemäß
würde gut zu dem Thema passen. Allerdings nimmt zunächst der Lehrer viel Raum ein, beim dieses Thema keine so große Rolle spielt. Verbindendes Element war für mich zunächst nur die Traurigkeit und Einsamkeit. Außerdem dachte ich dauernd an Amoklauf und dachte: was wenn mal ein Lehrer Amok läuft? Die leiden oft sehr unter den Schülern, die könnten auch mal Amok laufen. Beim Stau dachte ich nämlich auch schon an Falling down.
Insgesamt hat mir der Text gut gefallen. Er ist traurig, ohne kitschig zu sein. An der ein oder anderen Stelle war es mir ein bisschen zu dick aufgetragen. Vor allem, dass er mit einem Brecheisen verprügelt wurde (ich meine, dass ist schon eher eine Mordwaffe, hätte ein Gürtel nicht gereicht?) und auch dass e nicht lächeln soll (ich stelle mir eher vor, dass Kinder solcher Eltern fürs Weinen bestraft werden). Außerdem war es mir etwas zu viel innerer Monolog. Ich hätte es eleganter und lesbarer gefunden, wenn mehr durch Handlung gezeigt worden wäre.

Details:

Zitat:
Ein grausamer Montag – aber wann war ein Montag schon gut?

Das klingt für mich ein bisschen ironisch, passt nicht zur völligen Trostlosigkeit, die noch kommt.

Zitat:
Schon lange war der Drehknopf, an welchem man die Temperatur der Heizung einstellen konnte kaputt, dennoch sah er es nicht ein, in eine Werkstatt zu fahren.

Komma nach konnte. Außerdem würde ich zwei Sätze draus machen.

Zitat:
Irgendeinen pickligen Möchtergernmechaniker gab es doch immer, der ihm versuchte sein Geld aus der Tasche zu ziehen, indem er an seinem Auto irgendwelche Wehwehchen diagnostizierte.

Das ihm würde ich nach versuchte setzten und dazwischen ein Komma. Außerdem finde ich das nicht ganz logisch. Das Auto hat ja offensichtlich schon ein Wehwehchen.

Zitat:
Er fuhr recht schnell, sodass die Tachonadel die Hundertdreißiger-Marke nicht unterschreiten konnte, dachte er doch, so stünden seine Chancen besser, dass er auf dem Weg zur Arbeit in einen Unfall verwickelt werden würde.

Seltsame Formulierung. Die Nadel zeigt halt die Geschwindigkeit an. Aber dass sie die 130 nicht unterschreiten kann, klingt komisch. Auch hier würde ich zwei Sätze machen.


Zitat:
In Gedanken, war sein Auto schon oft von der Fahrbahn abgekommen, hatte sich überschlagen, um einen Baum gewickelt und ihn als ein amorph-fleischliches Wesen  zurückgelassen.

Das Komma nach Gedanken ist zu viel.

Zitat:
Eine grausame Arbeit, die ihn all seine Kraft kostete und ihn jeden Abend zurück auf sein durchgesessenes Sofa zwang.

Grausame Arbeit klingt für mich eher, als sei seine Tätigkeit grausam ( Schlächter oder so), nicht als sei es für ihn grausam.
Zitat:

Als er den Flur des Schulgebäudes entlanglief, erwachte in ihm erneut der Wunsch, eine gesichtslose Kreatur, würde eine Waffe zücken und ihn einfach erschießen.

Das Komma nach Kreatur ist zu viel.

Zitat:
Ihm ein Gift injezieren,

injizieren

Zitat:
Eine Frau kam ihm entgegen, eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee in der einen, einen Stapel Akten in der anderen Hand haltend.

Woher soll er wissen, dass der Kaffee frisch aufgebrüht ist?

Zitat:
Ihr Schaufensterpuppen-Lächeln ließ die Halsschlagader des Mannes aufquillen.

Aufquellen müsste es heißen, aber das passt auch nicht. Anschwellen wohl eher.


Zitat:
Am Anfang war es ihm schwergefallen, sein Lächeln zu verbergen. Heute jedoch war es ihm ein Leichtes – hatte er diese Angewohnheit doch bereits vor Jahren abgelegt.

Macht etwas stutzig, dass er so viel Lächeln zu verbergen hatte, bei der Kindheit. Außerdem nicht ganz logisch: wenn er sich das Lächeln abgewöhnt hat, gibt es auch nichts zu verbergen. Und zuletzt: man könnte "Angewohnheit" auch auf das Verbergen beziehen.

Zitat:
Er öffnete. Ein Brei aus verquollenem Lachen, schniefenden Rotznasen und überdrehter Handymusik schwabte ihm entgegen.

schwappte

Zitat:
Er sagte etwas, doch der Junge konnte seine Worte nicht hören. Zu sehr war er auf das fixiert, was er beobachtete.

Wundert mich. Wenn er ihn so bewundert (?), dann wird er ihm doch jedes Wort von den Lippen ablesen.

 
Zitat:
Die Hände, die Füße, die Beine, die Ohren, die Augen, die Lippen, die Nase, die Stirn, die Haare, die Nägel, der Schweiß, die Zähne. Der Junge sog jede kleinste Bewegung des Lehrers in sich auf.

Zu viel, viel zu viel. Außerdem sind da diverse Dinge dabei, die sich nicht bewegen.




Zitat:
Er empfand sie nicht als sonderbar hübsch.

Besonders meinst Du. Sonderbar heißt seltsam.

Zitat:
„Ja,....hammer.“, stammelte der Junge so unglaubwürdig, wie es kaum ein Junge seines Alters bei einem solchen Anblick vermochte.

Kein Punkt nach Hammer.

Zitat:
Der Junge verzog die Mundwinkel. Er fühlte sich ertappt, enttarnt. Unnormal. So wie gestern Abend.

Beim zweiten Lesen finde ich das mit der Homosexualität nun sehr plausibel.

Zitat:
Er entdeckte das Heft, riss es ihm vom Tisch und ergoss seinen Ärger über dem Haupte des Jungen.

Über dem Haupte klingt sehr gewählt. Falsch ist das nicht, aber klingt etwas nach Stilbruch.

Zitat:
Die lockigen Haare vom Schlaf noch ganz zerzausten, erhob sich die Frau aus dem Bett und schlüpfte in die warmen Wollpantoffeln.

Zerzaust. Aber auch hier: wenn die Szene aus Sicht der Mutter geschrieben ist, wird sie das Zerzauste eher nicht bemerken.

Zitat:
Sie hatte vergessen die Heizung anzustellen und das Zimmer war von der Nacht recht ausgekühlt.

recht ist an dieser Stelle ein überflüssiges Füllwort.

Zitat:
Im Zimmer des Jungen angekommen, saß er auf dem Bett.

Der Satz funktioniert so nicht, weil sich das Subjekt ändert.


Zitat:
„Was ist denn mit dir los?“, fragte die Mutter ernsthaft besorgt.
„Ich weiß es nicht.“, sagte der Junge - wahrheitsgemäß.

Das ernsthaft kommt mir zuviel vor: niemand zweifelt noch an ihrer Ernsthaftigkeit. Wieder der Punkt nach nicht zu viel (guck Dir noch mal die Zeichensetzung bei direkter Rede an).
Das "wahrheitsgemäß" ist ein Bruch in der Perspektive (die Mutter kann das nicht wissen), den ich an dieser Stelle aber absolut in Ordnung finde, weil er eine Betonung darstellt.


Jetzt wo ich den Text noch mal durchgearbeitet habe, gefällt er mir noch besser. Ich interpretiere ihn jetzt so: der Junge entdeckt seine Homosexualität und dabei entwickelt er Gefühle für einen Mann, der in seiner Bitterkeit gar nicht merkt, dass es Menschen geben kann, denen er etwas bedeutet.

Gruß
Vogel


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Kanezzo
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K
Beitrag23.12.2013 01:54

von Kanezzo
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Ach Vogel,
ich bin sehr dankbar für all die Arbeit, die du dir gemacht hast!
Es sind viele Vorschläge dabei, denen ich sehr gut zustimmen kann smile
Danke, dass du mir hilfst, den Text noch ein wenig "besser" zu machen.

Und noch viel schöner, dass dir zum Ende eben diese Interpretation kam, die der meinen entspricht smile

Schöne Feiertag!

Kanezzo.


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~Wer A sagt muss nicht auch B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.~ B. Brecht
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Jack Burns
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 54
Beiträge: 1444



Beitrag23.12.2013 10:16

von Jack Burns
Antworten mit Zitat

Hallo

Zum Glück hat Harald noch ein mal kontrolliert Smile
Ich sollte erwähnen, dass ich mit Kommastellung und Getrennt-schreibung seit der Reform auf Kriegsfuß stehe.

Hier noch einige Gedanken:
Ein kleiner Hinweis darauf, dass der Junge hinter die unfreundliche Fassade blicken kann, würde seine Gefühle für den Lehrer plausibler machen.
Ein bisschen weniger Lehrer-Perspektive und dafür mehr von dem, was im Jungen vor sich geht.

Unschöne Formulierungen:
 
Zitat:
Er drehte die Heizung auf die höchstmögliche Stufe - und noch weiter. Schon lange war der Drehknopf, an welchem man die Temperatur der Heizung einstellen konnte kaputt,


Wie kann er aufdrehen, wenn der Knopf kaputt ist? Außerdem klingt der zweite Satz ungeschickt. Ich würde nur sagen, dass die Heizung nicht richtig funktioniert.

Zitat:
Nein, die Realität hatte andere Pläne mit ihm, die offensichtlich nicht an seiner tagtäglichen Arbeit vorbeiführen durften

...die ihn nicht an seiner täglichen Arbeit vorbeiführten


Zitat:
doch ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihm,

klingt mir zu abgedroschen. Wüsste auf die  Schnelle keinen Vorschlag.

Zitat:
ließ die Halsschlagader des Mannes aufquillen.

Das ist mir zu, tja, hmm... zu dick aufgetragen. Da sehe ich einen Typen der gleich durchknallt. Aber richtig!

 
Zitat:
Am Anfang war es ihm schwergefallen, sein Lächeln zu verbergen. Heute jedoch war es ihm ein Leichtes – hatte er diese Angewohnheit doch bereits vor Jahren abgelegt.


Er hatte die Angewohnheit, sein Lächeln zu verbergen, vor Jahren abgelegt? Mir ist klar, was Du meinst. Aber es klingt unklar. Außerdem verbirgt er sein Lächeln nicht, wenn er sowieso nicht lächeln will.
Zitat:
hatten sich die Körper seiner Mitschüler verändert.

Das klingt nach Body-Morphing. Du meinst ihre Körperhaltung.

Zitat:
doch der Junge konnte seine Worte nicht hören.

Ich denke er hörte die Worte. Wahrscheinlich konnte er ihren Sinn, ihre Bedeutung nicht erkennen.

Zitat:
Dem er so gerne all seine Sorgen erzählt hätte, wenn dieser ihn nur danach fragte.

Und hier würde ich ansetzen: Warum würde er ihm alles erzählen? Fühlt er eine innere Verbundenheit? Wegen der Traurigkeit?  Dann könnte ich besser verstehen, was den Jungen zu ihm zieht.
Zitat:

Hey Glupschi, starr doch mal hier drauf!“

das würde man so nicht sagen. "Guck Dir das mal an" oder ähnlich.

 Er empfand sie nicht als sonderbar hübsch.
Das passt nicht. Eher: besonders oder sonderlich

Zitat:
stammelte der Junge so unglaubwürdig, wie es kaum ein Junge seines Alters bei einem solchen Anblick vermochte.

Ich glaube, hier verzettelst Du Dich. Also er lügt so schlecht, wie es kein Jugendliche könnte? Bin nicht sicher was Du sagen willst.

Zitat:
ergoss seinen Ärger über dem Haupte des Jungen.

wieder eine Phrase. Und hier passt der Stil nicht.

So das reicht erst mal als Kritik.
Wie gesagt, das muss alles nicht falsch sein. Es sind nur die Dinge, die ich als störend empfand.
Mit Verbesserungen tu ich mich schwer. Ich kämpfe selbst noch um jede gelungene Formulierung.

Gutes Gelingen und Erfolg beim Wettbewerb!
Martin


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Monster.
How should I feel?
Creatures lie here, looking through the windows.
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Papagena
rara avis


Beiträge: 697
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Ei 8


Beitrag23.12.2013 14:13

von Papagena
Antworten mit Zitat

Hallo Kanezzo!

Ich weiß nicht viel, gerade diese Art Prosa betreffend, aber ich lass dir gerne meinen Eindruck hier. Ich habe die anderen Kommentare (noch) nicht gelesen und beziehe mich auf deinen nackigen Text.

Zuerst möchte ich dir zu deiner Entscheidung gratulieren, die Erzählung aus verschiedenen Perspektiven zu schildern, weil sie mit ihrem minimalistische Plot dadurch meiner Meinung nach gewinnt.

Ich mag die nachhängenden Satzteile, die du nach dem Gedankenstrich anschließt. Nachhängende Gedanken sind natürlich und passen hier gut, befinden wir uns doch im Kopf der jeweiligen Person. Aber deswegen solltest du sie als etwas Besonderes behandeln und sie nur dort anfügen, wo sie etwas aussagen. Ich greife mal Beispiele heraus (und hoffe, du kannst aus meinen Anmerkungen etwas Allgemeineres ableiten):

Zitat:
Es war ein Montag. Ein grausamer Montag – aber wann war ein Montag schon gut?


Ich kann kaum sagen, warum mir das gefällt. Außer vielleicht, weil das „stimmt“. Du denkst, du sagst gerade was Gehaltvolles, um sofort danach den Kopf zu schütteln. „Richtig, Montage sind immer doof, warum erwähne ich das überhaupt, streich einfach, was ich gerade gesagt habe.“ Das ist menschlich, so sind Gedanken und das gefällt mir.

Zitat:
Er hatte keine Lust – nie und zu keiner Zeit.


Tja, das Problem ist, das ist sofort in der nächsten Zeile und dadurch wirkt es nicht so stark. Und irgendwie sagt es noch mal das Gleiche aus, wie die Zeile oben drüber, finde ich. Das ist Reflexion à la „Ich fühle mich jetzt schlecht und ich fühle mich immer schlecht.“

Zitat:
Seine Fingernägel gruben sich in das kalte Leder des Lenkrads, jedes Mal, wenn er an einer der unendlichen Ampelschlangen zum Stehen kam.


Chronologie beachten: Erst hält er, dann gräbt er. Wenn du es so rum schreibst, machst du es dem Leser schwerer zu folgen.

Zitat:
Schon lange war der Drehknopf, an welchem man die Temperatur der Heizung einstellen konnte kaputt, dennoch sah er es nicht ein, in eine Werkstatt zu fahren. Irgendeinen pickligen Möchtergernmechaniker gab es doch immer, der ihm versuchte sein Geld aus der Tasche zu ziehen, indem er an seinem Auto irgendwelche Wehwehchen diagnostizierte.


Warum er nicht in die Werkstatt fahren will, ist schon so gut wie klar, bevor du es erläuterst. Dementsprechend ist mir die Erklärung zu lang. Klar, sie ist auch Exposition und zeigt, was der Charakter so denkt und fühlt, aber das könntest du geschickter, interessanter einflechten. So, wie der Satz jetzt steht, „weiß“ ich schon, was er aussagt, und überfliege ihn in Folge.
Hier also eher kurz, wenn du mich fragst.

„… dennoch sah er es nicht ein, in eine Werkstatt zu fahren. Betrüger, allesamt.“

(Nur, um mal eine mögliche Richtung auzuzeigen.)

Gleiches ist mir bei dem niveaulosen Fernsehprogramm aufgefallen. Diese Bemerkung ist so ausgelutscht, dass ein langer Satz völlig unnötig ist, das anzumerken. (Selbst in Gedanken. wink )

By the way, zu welchem Zeitpunkt lief die Oliver Geissen Show denn im Abendprogramm?! Shocked

Zitat:
„Wer lächelt, der weint auch“, hatte ihm sein Vater damals oft entgegen geschrien, immer wenn er ihn im alten Schuppen mit dem Brecheisen verdrosch.


Das hab ich als Beispiel rausgegriffen für die Stellen, da du Hintergrundgeschichte andeutest. Ich finde gut, dass du sie jeweils nur anreißt. Du solltest dir aber immer genau überlegen, wie viele oder wie wenig Informationen du dem Leser an die Hand gibst. Lässt du Dinge zu offen und man kann sich als Leser keinen Reim drauf machen, dann ist das nicht unbedingt förderlich. Des Lesers Gedanken schweifen ab oder er ist so verwirrt, weil keine weiteren Hinweise mehr kommen, dass er die Lektüre unterbricht, vielleicht im Text zurückgeht, um zu finden, was er überlesen hat. Vielleicht.
Ich sage das auch nur, weil ich bei oben zitiertem Satz kurz halten musste (ich empfand es nicht als „Fehler“). Das fiel mir spontan dazu ein.
Oder hier:

Zitat:
Der Junge verzog die Mundwinkel. Er fühlte sich ertappt, enttarnt. Unnormal. So wie gestern Abend.


Was war gestern Abend? Du weckst Interesse, aber gibst keinerlei Hinweise, was vorgefallen ist. Das kann gut oder schlecht sein, in jedem Fall solltest du deine Entscheidungen bewusst treffen.
(Und ich will nicht anzweifeln, dass du das tust. Ich schreibe das wirklich nur auf, weil ich darüber nachgedacht hab. Das ist keine Kritik, bloß ein Gedanke, wenn man so will.)

Es passiert nicht viel in deiner Geschichte, es ist völlig okay, alltägliche Situationen darzustellen, „slice of life“. Mich stört deine Wahl der Situation mit dem Pornoheft. Das ist Klischee. Sobald der andere Junge ihm das Heft unter die Nase hält, ahnt man schon, dass der Unschuldige den Ärger bekommt. Da würde ich mir was anderes aussuchen.
Zudem – und das mag zum Minimalismus passen – blendest du vorm Höhepunkt ab. Beziehungsweise fasst du dann narrativ zusammen. Du schreibst aus Sicht eines Jungen, der endlich, endlich die gewünschte Aufmerksamkeit des Lehrers erhält, und erwähnt wird das in einem Nebensatz?! Wie gesagt, passt einerseits und andererseits auch gar nicht. Finde ich.

Zum Thema Perspektive. Da du mit Perspektiven arbeitest, müssen die sitzen. Schnitzer fallen da sofort auf. Ich greife mal Beispiele heraus, die mir spontan ins Auge springen. Ich würde da aber den ganzen Text nach abklopfen.

Zitat:
Einer seiner Tischnachbarn schob ihm eine Zeitschrift hin. Sein Blick ließ ab von seinem Lehrer und senkte sich zu Tisch.


Du erwähnst, dass es eine Zeitschrift ist, bevor der Junge überhaupt hingesehen hat.

Zitat:
Die lockigen Haare vom Schlaf noch ganz zerzausten, erhob sich die Frau aus dem Bett und  


Das ist zu weit weg. Wenn du aus Sicht der Frau schilderst und in ihrem Kopf bist, dann ist Erwähnung der zerzausten Haare unlogisch, es sei denn, sie sähe sie im Spiegel oder so.
Achte immer auf deine Erzähldistanz. Guckst du von außen auf die Person oder bist du in deren Kopf? Dann versetz dich komplett in die Person und schildere nur, was sie wahrnimmt und darüber denkt. Mehr nicht. (Aber auch nicht alles, was sie so denkt. wink )

Den Dialog finde ich authentisch. Schuljungen. Rolling Eyes   wink

So weit mein erster Eindruck.

Gruß
Papagena smile


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Kanezzo
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Beitrag26.12.2013 18:20

von Kanezzo
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Hallo Leute,

nochmals ein riesengroßes Dankeschön für all die Anmerkungen!
Ich sitze derzeit an einer neuen Version.

@Papagena, nur ganz kurz zu einer deiner Anmerkungen:

Zitat:
Was war gestern Abend? Du weckst Interesse, aber gibst keinerlei Hinweise, was vorgefallen ist. Das kann gut oder schlecht sein, in jedem Fall solltest du deine Entscheidungen bewusst treffen.


Mit der Anmerkung mit "gestern Abend" wollte ich eigentlich erreichen, dass der Leser dies ggf. noch mit auf den 3. Part bezieht. Das ist natürlich kein "Muss", aber soll eine mögliche Interpretation bieten.
Das Part 3 quasi den vorherigen Abend darstellt. Oder eben den Abend danach. Oder vielleicht "jeden" Abend.....
Das ist dem Leser überlassen. Soll lediglich eine mögliche Interpretation bieten.

So, das wollte ich nur grade noch loswerden Smile

Euch allen auch weiterhin noch schöne Feiertage!


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