Mein Wille geschehe!

[Soraja]

Meine lieben Geschlechtsgenossinnen, kennt ihr das, dieses Gefühl, als würde man in eine andere Welt eintreten? Eine Welt, bunt wie ein Kaleidoskop mit winzigen Menschen darin? Ich empfinde immer so beim Betreten eines dieser Nagelstudios, die zu neunundneunzig Komma neun Prozent "USA Nails" heißen und von kleinen, aus meiner Sicht sogar winzigen Frauen mit leisen Piepsstimmen geführt werden. In der Mehrzahl sind es wohl Vietnamesinnen, die stets lächeln. Unerschrocken und selbstbewusst, wie immer betrete ich also einen dieser Läden, der mit Unmengen von billigen, künstlichen Blumen in den unnatürlichsten Farben, die es gibt, verschönt wurde. Nicht zu vergessen die Lichterketten, die um alles gewunden sind, was auch nur ansatzweise einfarbig ist. Das neonfarbene Wasserfallgemälde in 3D-Optik als I- Tüpfelchen an der Wand. Natürlich weiß ich durch meine Reisen nach Thailand, dass Asiatinnen es bunt und verspielt lieben, und dennoch, diese Menge an Bunt und Künstlich erschreckt mich jedes mal aufs Neue.

Nun aber zum Eigentlichen: Mit meinem Betreten springt auch sogleich eine dieser stets lächelnden, geradezu niedlichen Frauen auf, zeigt mit der Hand zu einem freien Platz und sagt: "Hallo sitz Dich", Sie lächelt, ich lächle "Ja danke". Wir sitzen uns nun gegenüber, an einem dieser kleinen Tische. Sie nimmt meine Hände, betrachtet sie und fragt lächelnd: "Heute Nägel mit Mustel?“ "Nein danke, kein Muster, ich möchte nur naturfarbenes Gel." Ich lächle zurück. Lächeln erscheint mir zwingend notwendig für eine gute Verständigung, denn sie tun es immer und das muss ja etwas zu bedeuten haben. Wir lächeln uns erneut an, und das Schauspiel beginnt.

Finger für Finger wird jetzt von ihr das alte Gel von meinen Nägeln entfernt. Bei Nagel drei, schaut sie mich lächelnd an und sagt: "Ich kann ganz schöne Mustel, guckst du hiel."Aus einer Schublade des Tisches zieht sie eine Palette mit ungefähr fünfzig abschreckend bunten, von ihr selbst bemalten Kunstnägeln, die sie mir lächelnd entgegen hält. Ich lächele zurück, bestaune die Vielfalt und Schönheit ihrer Muster und bedanke mich erneut für ihre Mühe. Bleibe aber dabei, dass ich kein Muster möchte, und bestärke das Ganze durch den Zusatz, dass ich im Gefängnis arbeite, mit jungen Männern, und da kann ich nicht so auffällige Muster auf den Fingernägeln haben. "Ah so, du albeitest Gefängnis, ja?" Sie lächelt, ich lächle: "Ja, genau".

Sie nimmt ihre Arbeit an meinen Händen wieder auf, und ich weiß, nun habe ich einige Minuten Ruhe, denn sie setzt den bunt gemusterten Mundschutz auf und beginnt mit einer elektrischen Maschine an meinen Fingernägeln zu feilen. Meine Gedanken schweifen ab, und ich beschäftige mich mit dem Abendbrot. Nudeln mit Gemüse, Nudeln mit Fleisch, oder doch lieber Salat, und wenn Salat, dann nur Salat oder Salat mit Brot und vielleicht auch ein bisschen Hähnchen?

In Verbindung mit einem wunderbaren Lächeln kommt von ihr auch schon erneut die Frage: "Du albeitest Gefängnis, da musst du dezent Nagel haben ja?" Ich lächele "Ja, genau so ist es." Leises Gemurmel und Gekicher entfacht sich zwischen diesen flinken kleinen Frauen. Ich bin sicher sie tuscheln über mich, aber das ist mir egal, Hauptsache kein Muster.Meine Nägel sind inzwischen gut bearbeitet, und es fehlt im Grunde nur noch das naturfarbene Gel und danach das Glanzgel. Ich bin guter Dinge, dass Alles zu meiner Zufriedenheit laufen wird. Da kommt eine zweite Kleine zu uns an den Tisch, die mit einem herzerweichenden Lächeln sagt:" Flau kuckst Du hiel", sie hält mir eine neue Palette mit Mustern hin, die sie dezent findet. "Dies Mustel ganz dezent auch für Gefängnis:" Lächelnd und doch schon einigermaßen hilflos erkläre ich ihr, dass sie natürlich recht hat und dass diese Muster wirklich dezenter sind als die anderen, aber eben doch noch farblich zu aufwendig für mich. Sie lächelt mich an und sagt: "Ah so, zu viele Falben ja?" "Ja, leider", ich lächele und nicke betrübt vor mich hin in der Hoffnung, dass sie jetzt endlich macht was ich will: NATURFARBENE Nägel.

Sie senkt den Kopf wieder über meine Hände und macht noch irgendwas, was ich aber nicht sehen kann, weil die Lampe genau vor meiner Nase hängt. Plötzlich reißt sie den Kopf wieder hoch, lächelt und sagt: "Ich mach dil Mustel von nul eine Falbe, das dezent und nicht bunt". Sie strahlt über ihr ganzes Gesicht ob ihres genialen Einfalls, und ich breche innerlich zusammen. Ich bin besiegt, ich bin besiegt, was kann ich jetzt noch erwidern ohne sie zu verletzten, wo sie doch nun seit mehr als einer Stunde versucht mich mit einem Muster auf meinen Nägeln zu verschönen.

Eigentlich möchte ich ihr sagen, nein, nein, nein ich stehe nicht auf Muster!!! Muster gehen mir auf die Nerven!!! Ich bin auch nicht der Typ Frau, der kleine Blümchen, auch nicht nur in weiß, auf den Nägeln trägt. Sollte ich aber doch Wider Erwartend jemals ein Muster haben wollen, werde ich selbsttätig auf Sie zukommen, verstanden???

Doch ich sage mit dem Lächeln einer Besiegten: "Ach ja, wie schön, dann machen wir es so."Sie strahlt mich an. Wiederholt noch drei Mal, wie schön das aussehen wird und beginnt voll Freude mir weiße Blümchen auf die Nägel zu malen. Als sie fertig ist kommen all die anderen Zwergenfrauen und bestaunen meine Nägel und kichern und freuen sich und sagen immer wieder: "Sehl dezent, keine Falbe nicht bunt, gut auch für Gefängnis, sehl schön sieht aus." Ich lächele brav, bezahle 10€ mehr als sonst für das wunderbare Muster und nehme mir vor‚ für den nächsten Besuch eine sichere Strategie gegen Muster zu entwickeln. Angelina

[Mark_Brandis]

Hallo Soraja,
ich bin zwar keine Geschlechtsgenossin, aber der Text hat mir super gefallen.

Ich habe mich förmlich mitgeärgert und wäre gerne aufgestanden und hätte die Damen durchgeschüttelt und gerufen: "Nein, keine Muster, KEINE MUSTER, zefix luja Sakrament!!"

Viele Grüße
M.B.

[Soraja]

Hallo Mark,

Danke für den Balsam und einen schönen zweiten Advent wünsche ich Dir.

[gold]

hallo Soraja, es gibt übrigens schon eine Soraya hier im Forum aber mit Y

"hallo, sitz dich" herrlich

JA du schreibst aus dem richtigen Leben!: wie oft hab´ich mir schon einen unpassenden Haarschnitt aufschwatzen lassen. Zuletzt  erst vorige Woche passiert:
"Wieso? das passt doch. Ich habe die Seite doch schon gestuft."
"Ja, aber, die ist noch zu dick."
"Ach was, schau mal, hier siehst du doch, wie sie gestuft sind!" (wir haben schon im Sandkasten gespielt, daher das Du)
"Ja, aber...."
Nach zehn weiteren Minuten nur des Stylens- ich:" ja, danke, das hast du super gemacht!"
Was ich hiermit sagen will, ich finde, du hast diesen ewigen, immer wieder kehrenden Konflikt des Nicht wollens und dann des Wollen Müssens wunderbar beschrieben.
Und auch die Athmosphäre, sowie die Personen.
Hat Spaß gemacht, deine Geschichte zu lesen!

Liebe Grüße
und herzlich willkommen!
gold

[Cailyn]

Hallo Soraja,

mir hat dein Text sehr gefallen, du kannst sehr mitreißend erzählen. Du plauderst vor dich hin und es bleibt spannend.

Ich hätte nur eine Kleinigkeit anzumerken, die mich persönlich gestört hat:

[Soraja]

Das macht mir Mut euch ab und an etwas zum Lesen zu geben! Danke!

Das mit den Satzzeichen sieht mein Mann auch so.
LG

[Nicki]

Bis auf ein paar kleine Erbsen, die ich aber jetzt nicht aus dem Text klauben möchte, es sei denn, du möchtest Detailkritik, habe ich mich köstlich amüsiert. Jetzt werde ich jedes Mal, wenn meine Mutter meint: "Kind, warum hast du so viele uni Sachen im Kleiderschrank?" daran denken, dass ich auch keine Mustel mag.

[Soraja]

Hallo Nicki,

ich bin sehr an konstruktiver Kritik in Hinblick auf mein handwerkliches Können interessiert.

Kirstin hat das mit den Satzzeichen geschrieben und ich habe das jetzt schon
mehrfach gehört, deshalb werde ich wohl in Zukunft davon abgehen, sie so zu verwenden.

[Jack Burns]

Hallo Soraja,

Du schreibst locker und amüsant. Eine detaillierte und glaubwürdige Schilderung einer alltäglichen Situation. Die sprachliche Gestaltung passt hervorragend zum Inhalt. Und, was mir besonders gefällt, man kann das Erlebnis auch auf eigene Erfahrungen übertragen. Sei es, dass man mit einer Hose aus dem Geschäft kommt, die man eigentlich nicht wollte oder nach dem Friseurbesuch selbst noch einmal Hand anlegen muss.

Was mir nicht so gefällt, sind die seltsamen Absätze. Das wirkt auf mich, als ob die Autorin ihre Schaffenspausen abgebildet hätte. Bei den Dialogen wiederum fehlen mir die Absätze.

Hier ein paar persönliche kritische Worte:
Meinen ersten Leseversuch habe ich nach dem ersten Satz abgebrochen. Dieses direkte Ausschließen aus der "Frauenwelt" hat mich sofort genervt.
Ein historischer Roman wird ja auch nicht nur für Geschichtsprofessoren geschrieben.
zweiter Punkt: ein wiederkehrendes Humor-Element sind die kleinen, mit hoher Stimme sprechenden, Asiatinnen.
Das ist eine Gratwanderung. Zwischen dem freundlichen Amüsieren über kulturelle Unterschiede und dem arroganten Abwerten ist es manchmal nur ein kleiner Schritt. In meinen Augen kriegst hier gerade noch die Kurve aber das könnte man auch anders sehen.

Grüße
Martin

[BlueNote]

Guten Morgen Soraja,

dein Text ist (bis auf Ausnahmen) gut geschrieben. Es schwingt für mich aber auch ein Tonfall mit, den ich als unangenehm empfinde. Man muss es nicht, kann es aber so lesen: Die angebliche Zurückhaltung der Protagonistin wirkt auf mich weniger verständnisvoll, eher überheblich, heuchlerisch und falsch. Fast schon ... ausländerfeindlich und intolerant. Die Asiatinnen werden grundsätzlich als Zwerginnen bezeichnet, haben einen völlig abwegigen (billigen) Geschmack. Ihr Umfeld, ihr Bemühen, ihr Handeln wird mit meist negativen Umschreibungen abgekanzelt. Die Protagonistin tut so, als ob sie Verständnis für die Mentalität der Frauen aus einer anderen Kultur aufbringt, aber im Grunde verkörpert ihre ganze Haltung, dass sie glaubt, nur sie alleine weiß, was richtige Nägel sind bzw. was gut und was schlecht ist.
Als männlicher Leser erschließt sich einem die Notwendigkeit eines Erwerbs von künstlichen Nägeln sowieso wenig. Ich kenne jedenfalls nur unglaublich hässliche Exemplare, die sehr künstlich aussehen und deren Trägerinnen ich grundsätzlich eine gewisse Form von Geschmacksverirrung unterstelle. Für mich ist in dem Text nicht die Asiatin die Unperson, sondern die hölzerne, etwas borniert wirkende Protagonistin.

Öhmmm ... ja ... eigentlich wollte ich ja schreiben, dass du recht ansprechend schreibst. Beim nächsten Thema bin ich vielleicht wieder dabei!

BN

[Soraja]

Hallo Jack Burns,

ja das mit den Absätzen erklärt sich mir auch noch nicht so ganz. In meinem ursprünglichen Text, den ich hier hinein kopiert habe, gab es eine sinnvolle Absatzformatierung. Allerdings steht immer noch zu befürchten, dass ich tatsächlich nicht Absatzsicher bin.

Was die Geschichte ausdrücken sollte, war die Unzulänglichkeit der Protagonistin sich trotz großer Freundlichkeit klar abzugrenzen.

Danke für das lesen und für die Kritik.

[Soraja]

Hallo BlueNote,

vielen Dank für die klaren Worte und beim nächsten Mal werde ich meine Geschichte auch darauf überprüfen, ob eine politisch korrekte Haltung eigehalten wird.

In Berlin gibt es über achtzig Nationalitäten und ich lebe mitten drin und wirklich auch sehr gerne!

[Rheinsberg]

Eine Reaktion wie diese vorausahnend, hatte ich mir meinen Kommentar gespart. Ich sehe es aber genauso wie Blue Note - Jack Burns schreibt ja Ähnliches.

Stilistisch ist der Text gut, keine Frage.