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KeTam Ungeduld
Alter: 49 Beiträge: 4947
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24.09.2013 20:00 Die Libelle von KeTam
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Die Libelle
Ein Sonnenstrahl stiehlt sich durch die graue Wolkendecke, findet seinen Weg zu einem Stück Metall, lässt es aufblitzen, nur für den Bruchteil einer Sekunde und verschwindet wieder.
Ein Aufspringen, eine Bewegung, quer über die Gleise.
Den Bruchteil einer Sekunde später, ein Aufheulen, Quietschen, ein dumpfer Schlag .
Und alles steht still.
Mir ist immer noch kalt, trotz der grauen Wolldecke, die man mir um die Schultern gelegt hat. Die die Kälte um mich einschließt, anstatt sie auszuschließen. Eigentlich müsste alles anhalten. Aber so viel Bewegung um mich herum. Sanitäter die von den Gleisen auf den Bahnsteig klettern, dazwischen Polizisten, einer steht da und schaut weg, hinüber auf den nächsten Bahnsteig. Auch dort Bewegung, Hektik, Gaffen.
Auf den Gleisen -auf den durch rotes Band abgesperrten Gleisen- weißes Tuch.
Und darunter-
„Können Sie sich erklären, warum sie auf die andere Seite wollte? Hat sie irgendetwas gesagt?“
-Wir habe es eilig, rennen los, vorbei an Menschen, die sich dicht auf dem Bahnsteig drängen. Sinas blonder Zopf wippt und hüpft im Takt ihrer Schritte. Der falsche Bahnsteig. Zurück durch die Menge, auf die andere Seite. Sina lacht, ihr Lachen sucht sich seinen Weg vorbei an Fremden, ist nur für mich bestimmt. Sie greift meine Hand, ihre warme Hand in meiner. Zieht mich vorwärts, zieht mich an. Ein flüchtiger Hauch von Haarshampoo mischt sich in ihr Lachen, in die Wärme ihrer Hand in meiner Hand. Und wieder einen Meter weiter, eine Bank.
„Nein, nichts.“
Sina streicht sich eine Strähne blonden Haars aus dem Gesicht, es ist windig.
Zugig sagt sie und lacht. Zugig, verstehst du?
Sie setzt sich auf die Bank, steckt sich eine Zigarette an. Bläst mir Rauch ins Gesicht aus halbgeöffneten Lippen.
Der Zug müsste gleich kommen, ich sehe, wie der Zeiger auf der großen Uhr-
Und ihre Lippen, und ihre Lippen. Öffnen sich, so süß und ich will- doch sie wendet sich ab, ihre Wange- und ihre Lippen formen ein Wort, einen Laut und ich höre sie nicht, denke nur an Zuckerwatte und alles steht still und ich ziehe sie zu mir und dann das unvermittelte Aufstehen.
Was hat sie gesagt?
„Und dann rannte sie quer über die Gleise?“
„Ja.“
Sie fliegt, ihre Füße berühren kaum den Boden. Und ihr Haar, wie Federn im Wind. Über ihrer Stirn. Ein flüchtiger Blick aus blauen Augen.
„Aber es muss doch einen Grund geben, warum sie dort hinüber wollte.“
Ein flüchtiger Blick aus blauen Augen. Es ist Sommer, heiß, zu heiß. Sina rennt quer über die Wiese, kennt keine Umwege, kennt nur ihr Ziel und das ist der flache Brunnen, abblätternde Farbe, Türkis und kühles Wasser. Los, ruft sie. Dann sitzen wir nebeneinander, ihre Schulter, nackte Haut, die meine berührt, das Wasser ist kalt und ich spüre nur dieses Stück Haut, Sinas Haut.
„Ich weiß es nicht.“
„Wie gut kannten sie sich?“
Sina mag Erdbeeren, steckt sie sich ganz in den Mund schnappt sich die letzte aus der Schüssel, steht auf, schubst mich aufs Bett. Sie schmeckt nach Erdbeeren, nach Sommer.
Und Zuckerwatte.
Auf dem Riesenrad und unter uns die Lichter, die Menschen, die Musik, die zu uns herauf weht und wieder unten und wir drehen uns und die Welt dreht sich und alles steht still und oben ein Kuss unser erster Kuss und die Musik und Sinas Lachen und ihr Duft und sie schmeckt nach Zuckerwatte und Erdbeeren und –
„Wir kannten uns, ich kenne Sina seit zwei Monaten.“
Wir wollten ans Meer. Ich liebe das Meer, sagt Sina und dreht mir ihren Rücken zu und ihr Nacken, die feinen Härchen und ich will sie –
Ich will ans Meer, sagt Sina.
Und das Meer ist so weit und was ist dort drüben, auf der anderen Seite? Wenn du einen Tropfen davon getrunken hast, kennst du es dann, das Meer?
Und wenn du jeden Tag-
„Wir wollen die Wahrheit herausfinden. Ich weiß, dass das schwer für sie ist, aber-
-Und wenn du jeden Tag einen Schluck davon trinkst. Und die vielen Ufer, Strände und was dort lebt, in der Tiefe. Und wenn du jeden Tag einen Schluck davon trinkst, kennst du es dann, das Meer?
„Wie gut kannten sie diese Frau?“
Und wenn du jeden Tag einen Schluck davon trinkst, kennst du es dann, das Meer?
Kennst du dann die Wahrheit über das Meer?
„Kann es sein, dass-
Ich trinke dich aus, sagt Sina. Ich trinke jeden Tag einen Schluck von dir, bis ich deiner Wahrheit ganz nahe bin.
Aber den letzten Schluck werde ich nicht trinken.
Warum, frage ich und ihre Stirn runzelt sich. Sina dreht sich auf den Rücken und starrt die Decke an.
„Gab es Anzeichen für-
Was mache ich dann, wenn ich Durst habe? Dann werde ich mir ein anderes Meer suchen, das ich austrinken kann. Aber ich will dich, sagt Sina und lacht.
Aber, wenn du den letzten Schluck nicht trinkst, dann kennst du mich nicht wirklich.
Ich lache und Sina lacht und sagt, wir wären beide Verrückt.
Und ich beginne aus ihr zu trinken, jeden Tag einen Schluck:
Ein Schluck ihr Lachen. Ein Schluck Zuckerwatte. Erdbeeren. Ihre Haut, kurz nach dem Aufwachen, noch überzogen von warmem Schlaf. Ihre Stimme, wenn sie flüstert, ich liebe dich. Ihr Haar im Wind, ihre Haar zu einem Zopf gebunden. Die Haarspange, geformt wie eine Libelle, blau, metallisch.
Diese Libelle ist ein Teil von mir, sagt Sina und blickt mich aus dunklen Augen an. Zieht sich die Spange aus dem Haar, dreht sie zwischen ihren Fingern, sodass sie das Sonnenlicht einfängt. Das Wasser ist türkis und die Libelle ist türkis. Sie legt sich die Spange auf die Handfläche, haucht sie an:
Sie lebt, sagt Sina.
Wenn ich sie verliere, dann sterbe ich. Dann steckt sie sie wieder in ihr Haar, beugt sich vor und spritzt mir Brunnenwasser ins Gesicht. Schau nicht so, sagt sie. Wie schau ich denn, frage ich. Du schaust, als dächtest du ich spinne, lacht sie. Das tust du ja auch, sag ich.
Mir wird schwindelig, der Bahnhof, die Menschen, die Gleise, das weiße Tuch auf den Gleisen-
„Hier, trinken sie einen Schluck Wasser!“
Das Wasser, die Libelle, Sinas Haar und es ist zugig. Sinas Haar, wie Federn im Wind.
Und wenn ich sie verliere, dann sterbe ich sagt sie und steckt sich die Spange wieder ins Haar …
Ein Sonnenstrahl stiehlt sich durch die graue Wolkendecke, findet seinen Weg zu einem Stück Metall, lässt es aufblitzen, nur für den Bruchteil einer Sekunde und verschwindet wieder.
Und bevor ich denken kann, bevor ich begreifen kann, springe ich auf, verschütte das Wasser und renne quer über die Gleise, vorbei an dem weißen Tuch. Ein Windhauch weht es zur Seite. Haare, wie Federn im Wind. Und jetzt sehe ich es, jetzt begreife ich es und –
Und dort, auf dem anderen Bahnsteig, liegt eine Libelle und auf den Gleisen ein weißes Tuch.
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lady-in-black Bitte nicht füttern
Beiträge: 1474 Wohnort: Killer Förde
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25.09.2013 12:52
von lady-in-black
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Moin,
dies ist ein Ichwillerstmalnurdiebewertungsfedernfreischaltenkommentar.
Später vielleicht noch einmal mehr.
_________________ - Ich würde mich gerne geistig mit Dir duellieren ... aber ich sehe Du bist leider unbewaffnet.
- Nein, Stil ist nicht das Ende vom Besen.
- Ich spreche fließend ironisch, auch im sarkastischen Dialekt. |
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KeTam Ungeduld
Alter: 49 Beiträge: 4947
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26.09.2013 17:27
von KeTam
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Text, ich lieb dich! Hör nicht auf das was andere sagen, falls sie was anderes sagen, als ich!
Du bist toll, so wie du bist!
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anuphti Trostkeks
Alter: 58 Beiträge: 4320 Wohnort: Isarstrand
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26.09.2013 21:35
von anuphti
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Eine sehr schöne Geschichte.
Das Thema ist klar umgesetzt, aber die Vorgabe, also die Auseinandersetzung mit dem Bernhard -Zitat sehe ich nicht als erfüllt.
Ein Unglück ist geschehen, weil eine junge Frau ihre Haarspange auf dem anderen Bahnsteig verloren hat. Die Polizei versucht herauszufinden, warum Sina über die Gleise gelaufen ist, und der Ich-Erzähler bemerkt ganz zuletzt, dass die Libelle auf dem anderen Bahnsteig liegt.
Ich sehe weder einen Wiederspruch, noch eine Zustimmung, noch eine Auseinandersetzung mit dem Zitat.
Der Prota kann der Polizei nur Vermutungen, Mumaßungen sagen, aber das sind keine Lügen.
Sina selbst ist tot, wenn sie überlebt hätte, hätte sie auch sagen können,warum sie plötzlich über die Gleise gelaufen ist.
Alles in allem eine sehr schöne Geschichte, die ich wirklich gerne gelesen habe. Aber trotzdem kommt mir die Vorgabe zu kurz.
Deshalb nur 5 Federn.
Das kann sich aber noch ändern.
LG
Nuff
_________________ Pronomen: sie/ihr
Learn from the mistakes of others. You don´t live long enough to make all of them yourself. (Eleanor Roosevelt)
You don´t have to fight to live as you wish; live as you wish and pay whatever price is required. (Richard Bach) |
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ash_p Wortedrechsler
Alter: 36 Beiträge: 51 Wohnort: Berlin
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26.09.2013 21:43
von ash_p
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Hier versteht jemand sein Handwerk. Stilistisch sehr schön geschriebener Text. Nur Vorsicht: Zu viel Technik ist nicht gut, da geht die Seele verloren. Es ist klar und durchschaubar, was du mit den eingeschobenen Rückblenden beim Leser für Gefühle wecken willst. Ist sicherlich auch Geschmackssache, aber mir ist die Absicht des Autors zu durchsichtig.
Aber vom Schreiberischen her, wie gesagt super.
_________________ Im Herzen haben wir alle unsere eigene kleine Welt. |
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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26.09.2013 23:58
von firstoffertio
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Das ist nicht schlecht aufgebaut. Dennoch trifft mich die in diesem Text erzählte Geschichte nirgends so recht. Der Haarspangen/Libellenaspekt, auf dem sie baut, erscheint mir, selbst wenn ich ihn als Bild nehme, doch zu artifiziell. Er führt mich vom vorgegebenen Thema und dem Zitat eher weg.
Es scheint darum zu gehen, wie wenig der Ich Erzähler von seiner Freundin wusste. Das ist nach so kurzer Bekanntschaft nicht sehr verwunderlich. Insgesamt baut mir der Text zu sehr auf Effekt.
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Kateli Eselsohr
Alter: 47 Beiträge: 256 Wohnort: D-Süd
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27.09.2013 15:22
von Kateli
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Sehr schön, gefällt mir wirklich gut, die Erzählmelodie, die Melancholie, die Farben, in denen der Erzähler diese Sina nachzeichnet. Gut aufgebaut auch, die Klammer mit der blitzenden Libelle, das stückchenweise Rekonstruieren, wie Sina war, warum sie sich auf die Gleise begeben hat ... ich verstehe es so, dass sie ihre Libelle verloren hat, sie holen wollte und damit - wahrscheinlich völlig unbeabsichtigt - genau das erfüllt hat, was sie immer behaupete: Wenn sie die Libelle verliert, stirbt sie. Die Auseinandersetzung mit der Wahrheit steckt hier einmal in dem schönen Bild vom Meer, aus dem man trinkt, um sein Wesen (seine Wahrheit) zu verstehen und in sich aufzunehmen, und dann noch auf sehr interessante und verblüffende Weise in der, so nenn ich's mal, "sich selbst erfüllenden Wahrheit".
Schöner Text, traurig, aber voller Wärme.
Nix zu meckern
LG
Nina
_________________ Zombies just want hugs |
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shao Leseratte
Alter: 41 Beiträge: 106 Wohnort: Norddeutschland
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29.09.2013 00:44
von shao
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Diese Geschichte ist schön... trotz des Themas.
Irgendwie ist man ganz nah dabei, in beiden Welten, in der glücklichen Erinnerung und der schrecklichen Realität.
Und wie die Beziehung der beiden beschrieben ist, das ist sehr intim und sehr schön.
Hat mir gut gefallen.
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gold Papiertiger
Beiträge: 4943 Wohnort: unter Wasser
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29.09.2013 18:12 Re: Die Libelle von gold
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hallo, Inko,
Guy Incognito hat Folgendes geschrieben: | Ein flüchtiger Hauch von Haarshampoo mischt sich in ihr Lachen, in die Wärme ihrer Hand in meiner Hand. [/i]
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eigentlich gefällt mir dein Text ganz gut, diese sinnliche Beschreibung.
Aber die oben zitierte Stelle finde ich sehr daneben. Für mich ist das ein Faux pas, der dich leider eine Feder kostet.
Lg gold
_________________ es sind die Krähen
die zetern
in wogenden Zedern
Make Tofu Not War (Goshka Macuga)
Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso) |
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adelbo Reißwolf
Beiträge: 1830 Wohnort: Im heiligen Hafen
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29.09.2013 18:35
von adelbo
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Hallo Inko
Eine junge Frau rennt über die Gleise, weil sie ihre Haarspange verloren hat, eine Libelle. Dabei wird sie vom Zug erfasst.
Das Thema quer über die Gleise ist eindeutig vorhanden, aber die Auseinandersetzung mit dem Text von Thomas Bernhard fehlt mir.
Ich finde die Geschichte auch sehr auf E-L. getrimmt. Die Wortspiele, die Wiederholungen usw. das ist mir eine Spur zu viel.
Zitat: | Und ihre Lippen, und ihre Lippen. Öffnen sich, so süß und ich will- doch sie wendet sich ab, ihre Wange- und ihre Lippen formen ein Wort, einen Laut und ich höre sie nicht, denke nur an Zuckerwatte und alles steht still und ich ziehe sie zu mir und dann das unvermittelte Aufstehen. |
Selbst unter dem Aspekt, das jemand unter Schock steht und Szenen an sich vorüberziehen lässt, ist das für mich zu viel. Es liest sich für mich gekünstelt.
LG
adelbo
_________________ „Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.“
Bertrand Russell |
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4295
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30.09.2013 11:55
von hobbes
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Hach. Das ist ja mal schön erzählt. Der Ton, die Stimmung, die Bilder, diese beiden Erzählebenen - gefällt mir richtig gut.
Dummerweise mischt sich am Ende mein Logikstimmchen in den Nachklang des schwelgenden Lesegenusses. Sie ist wegen einer Haarspange über die Gleise?, fragt es. Aber gut, das glaub ich. Sina ist so schön getroffen, so latent unwirklich andersweltig, die macht das. Dass es gerade eine Libelle ist, passt da richtig gut.
Aber warum lag die Haarspange überhaupt dort drüben?, fragt das Logikstimmchen weiter. Und das mag jetzt pingelig erscheinen (denn natürlich gibt es mögliche Lösungen für diese Frage), aber in dem Fall hätte ich mir ausnahmsweise eine Erklärung mehr gewünscht. Oder noch nicht mal eine Erklärung. Einen winzigen Hinweis, eine Nebensächlichkeit, in der die Lösung für diese Frage versteckt ist.
Vielleicht gab es die ja und ich hab sie überlesen. Dann tut's mir leid.
Na ja, tut sowieso nicht wirklich was zur Sache, das wäre mehr noch so ein zusätzlicher Sahneklecks gewesen.
Hat mir nämlich auch so richtig gut gefallen.
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Lapidar Exposéadler
Alter: 61 Beiträge: 2699 Wohnort: in der Diaspora
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30.09.2013 18:43
von Lapidar
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Tragisch und poetisch.
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Kara Eselsohr
K Alter: 46 Beiträge: 293
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K 01.10.2013 10:34
von Kara
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Hallo Inko!
Gefällt mir, habe nichts zu meckern. Federe im direkten Vergleich zu den anderen Texten. 7 Federn.
LG, Kara
_________________ ...nur wer sich bewegt, bewegt auch was...
... Gras wächst auch nicht schneller, wenn man dran zieht... |
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Herbert Blaser Eselsohr
Alter: 58 Beiträge: 313 Wohnort: Basel
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01.10.2013 16:15
von Herbert Blaser
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Es gab einen französischen Film "37° le matin". Eine amour fou mit tragischem Schluss. Die Geschichte erinnert mich daran. Schön.
_________________ Wie haben wir den Mut in einer Welt zu leben, in der die Liebe durch eine Lüge provoziert wird, die aus dem Bedürfnis besteht, unsere Leiden von denen mildern zu lassen, die uns zum Leiden brachten?
Marcel Proust |
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Akiragirl Dünnhäuterin
Alter: 33 Beiträge: 3632 Wohnort: Leipzig
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01.10.2013 22:08
von Akiragirl
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Hallo Inko,
dieser Text war einer von denen, die mir in diesem Wettbewerb am besten gefallen haben. Schon nach dem ersten Lesen hatte ich so ein ganz besonderes Gefühl im Bauch; die Geschichte hat mich berührt und das ist immer ein gutes Zeichen. Beim zweiten Lesen hat dieser positive Eindruck sich noch verstärkt.
Die Geschichte macht vieles richtig: Sie ist sehr nah an den beiden Hauptfiguren dran, zeichnet sie plastisch und schafft es, in der Kürze der vorhandenen Zeichen, sie mir ans Herz wachsen zu lassen. Das ist wirklich nicht einfach und hier sehr gut gelungen.
Beide Vorgaben wurden in meinen Augen gut erfüllt; klar – das „quer über die Gleise“ zu einem Zugunfall zu machen strotzt nicht gerade vor Originalität, aber dafür mochte ich deine Umsetzung des Bernhard-Zitates umso lieber. Beides fügt sich gut in die Geschichte ein und wirkt nicht dazwischen gequetscht, nur der Vorgaben wegen.
Du beginnst mit einer unklaren Szene, wirfst Fragen auf und machst dann einen Bogen, springst zwischen Zeitebenen hin und her, um am Ende wieder zu der Anfangsszene zurückzukehren und sie aufzulösen. Für mich hat das wunderbar funktioniert. Auch, dass Sina ihren eigenen Tod quasi selbst prophezeit hat, gibt der ganzen Geschichte noch einen gewissen „Nachhall“. Manchmal schrammst du haarscharf am Kitsch vorbei, aber du kriegst immer noch rechtzeitig die Kurve, sodass es nicht zu süß wird. Für mich eine gute Balance.
Einziger kleiner Kritikpunkt: Für E ist es mir an der einen oder anderen Stelle dann schon wieder zu gefällig. Klar, du springst munter zwischen den Zeitebenen und brichst immer wieder Sätze ab, aber der Aufbau, die Figurenzeichnung und insbesondere der Spannungsbogen und die (gelungene) „Pointe“ am Ende sind alles Elemente, die gezielt zur emotionalen Ansprache genutzt werden; das ist zweifellos sauber gearbeitet, aber ich hatte so ein bisschen das Gefühl, dass man hier gleichzeitig E- und U-Fans befriedigen wollte. Was ja von der Sache her nicht schlecht ist – nur, vielleicht wäre die Geschichte ohne die direkte Auflösung am Schluss noch einen Tick besser geworden. Wenn man nämlich den Anfang nochmal genau liest und dann den Titel und Sinas Aussagen zu der Haarspange, dann könnte man die Lösung selbst finden, auch ohne, dass es einem am Schluss nochmal extra gesagt wird. Das hätte (mir persönlich) etwas mehr Freude bereitet.
Nichtsdestotrotz gibt es von mir 8 Federn.
Liebe Grüße
Anne
_________________ "Man bereut nicht, was man getan hat, sondern das, was man nicht getan hat." (Mark Aurel) |
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holg Exposéadler
Moderator
Beiträge: 2396 Wohnort: knapp rechts von links
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02.10.2013 12:10
von holg
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Mir scheint, du legst dich darauf fest, das Bernhard-Zitat dergestalt umzusetzen, dass du die Erinnerungen und Gedankenbilder des Protagonisten seiner Sprachlosigkeit gegenüberstelltet.
So zeigst du seine Wirklichkeit ganz separat von den Vorgängen und der Motivation, die der Fragesteller zu ermitteln versucht.
Das gelingt dir. Ein bisschen mehr Wollen hätte dem Text allerdings angesichts der Konkurrenz hier im Wettbewerb besser getan. So ist er für mich - wegen seiner Eingleisigkeit und weil ich dieses tragische-Liebesbeziehungsgedöns nicht mag - unteres Mittelmaß.
Sprachlich ist das in meinen Augen solide und ich bin sicher, du wirst von einigen Bewerterinnen viele Federn kriegen.
holg
_________________ Why so testerical? |
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Bawali Klammeraffe
Alter: 80 Beiträge: 538 Wohnort: Wettingen, Schweiz
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02.10.2013 12:13
von Bawali
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Nachdem ich alle Beiträge aufmerksam durchgelesen habe, gibt es nun zu jedem eine kurze Anmerkung und eine erste vorläufige Einstufung. Aus meiner natürlich subjektiven Sicht stützt sich meine Einschätzung auf Aussage, Verständlichkeit, Schreibstil und das Handwerkliche des Textes sowie natürlich darauf, ob und wie gut Thema und Zitat umgesetzt wurden.
Eigentlich wäre dieser Beitrag für mich ein Favoritentext gewesen. Aber die mangelnde Rechtschreibung, Interpunktion und fehlender Dialogauszeichnungen bis hin zu Bindestrich anstelle von Auslassungspunkten bremsen den Höhenflug. Trotzdem wird der Beitrag wahrscheinlich eine Befederung knapp im obersten Drittel erhalten.
Die Befederung setze ich im obersten Drittel an. Die endgültige Federnzahl werde ich erst nach einem weiteren Durchgang, quer über alle Texte vergleichend, setzen.
_________________ Ein Freund ist ein Mensch der dich mag, auch wenn er dich kennt. (frei nach Elbert G. Hubbard) |
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Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
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02.10.2013 16:57
von Mardii
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Ein an sich interessanter Plot, von der Intention des Autors her, auf die Pointe zu geschrieben.
Aber der Text hat Längen und Wiederholungen bei den Zwischenfragen der Sanitäter und in den kursiven Rückblenden.
_________________ `bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully |
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Gast
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02.10.2013 18:14
von Gast
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Hallo
Schön. Und traurig. Das Jetzt, das Danach hervorragend abgesetzt vom Davor, dem Unwiederbringlichen. Sprachlich und formal so gut gelöst, dass man es kaum mitbekommt, die Übergänge sind fliessend, ohne jedoch verwirrend zu sein - es passt alles.
Ein Kurzfilm, der alles hat, was es braucht. Ich kann nicht mal sagen: Zu schön, zu gut, eine Spur Kitsch ... vielleicht ist es das, was es zu kritisieren gäbe? Keine Ahnung, Zuckerwatte, Erdbeeren, Riesenrad, vielleicht eine Unze zuviel? Vergiss es, ist schon in Ordnung so ...
Lorraine
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Fao wie Vendetta
Alter: 33 Beiträge: 1994
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02.10.2013 23:29
von Fao
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Mit Interesse habe ich die Geschichte gelesen und sie mag mir auch gefallen. Allerdings fehlt mir zum einen der doppelte Boden (er wird mir nicht offensichtlich, d.h. die Geschichte regt mich nicht wirklich an, weiter nachzudenken, zu forschen, zu assoziieren und zu interpretieren), zum anderen fand ich gegen Ende, dass der Autor sich ein wenig zu oft wiederholt.
Klar, es ist ein Stilmittel, aber irgendwann erschien es mir zu eintönig, immer wieder die gleichen Bauteile wiederzuentdecken.
Weshalb die Protagonistin so sehr an ihrer "Libelle" hängt, dass sie dafür ihr Leben riskiert und es verliert....ist mir nicht wirklich klar geworden. Ein Fakt, dass es anzunehmen gilt?
_________________ Begrüßt gerechte Kritik. Ihr erkennt sie leicht. Sie bestätigt euch in einem Zweifel, der an euch nagt. Von Kritik, die euer Gewissen nicht anerkennt, lasst euch nicht rühren.
Auguste Rodin - Die Kunst. |
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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03.10.2013 07:26
von BlueNote
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Tod auf den Bahngleisen. Ich hab es bei der Themenstellung befürchtet. Und dann immerzu Menschen, die über Bahngleise rennen (müssen). Von der Aufgabenstellung her so gewollt. So gesehen mag ich diese Aufgabenstellung einfach nicht.
Teilweise finde ich den Text ganz gut geschrieben, wobei das lyrische Element manchmal etwas holprig herüber kommt. Was ich dem Text anlaste ist, dass er in sehr konventioneller Weise versucht, allein aus dem Tod der Frau bzw. der Erinnerung an sie eine Dramatik zu erzeugen. Ja, das hat man schon sehr oft so gelesen, man erinnert sich an dies und das, was gewesen war ... sie wollte das Meer sehen ...
Sowohl vom Protagonisten, als auch von dem Mädchen erfährt man herzlich wenig. Es ist einfach nur der Tod der Frau, ein bisschen Wehmut und die Frage des Polizisten, wie es dazu kam und damit andeutungsweise das Motiv. Alles 0815 Elemente, in der altbekannten Weise zusammengemischt.
Ich habe übrigens mal einen Selbstmord auf den Bahngleisen beobachten müssen (zumindest die Beseitigung der Folgen). Der Körper wurde total zerfetzt, die Feuerwehr musste die Einzelteile im ganzen Feld mit Plastiktüten einsammeln. So viel zu deiner Leiche auf den Gleisen mit einem Tuch drüber. Der Zug braucht eine lange Stecke, um zum Stehen zu kommen. Der Aufprall hätte also viele Meter vor dem Bahnhof stattfinden müssen.
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Lupo Eselsohr
Beiträge: 364 Wohnort: Pegnesien
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03.10.2013 08:04 Calopteryx virgo von Lupo
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Dankbar lese ich gleich zu Beginn, was eigentlich los ist. In der weiteren Erzählung erfahre ich in kleinen Episoden, wie sich das Geschehen zum Finale hin entwickelt hat. Unaufdringlich spinnen Gedanken wie Zuckerwatte im Kontrast zu den plumpen Fragen des Ermittlers. Sagt mir zu!
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