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Warten auf „Warten auf Godot“


 
 
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Ernst Clemens
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 77
Beiträge: 594
Wohnort: München


Beitrag05.09.2013 18:31
Warten auf „Warten auf Godot“
von Ernst Clemens
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Nach langer Zeit wieder mal eine Geschichte von mir. ich bin auf Eure Reaktionen gespannt!

Ernst





Warten auf Godot

„Zu früh. Wie immer“, grummelte ich, als wir durch die Eingangstüre gingen. Die Luft, die uns aus dem Vorraum entgegenschlug, war angenehm warm, aber sie roch abgestanden.

„Man weiß ja nie, wann und wo man einen Parkplatz bekommt.“ Der gereizte Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

„Wir hätten mit dem Fahrrad herkommen können, dann hätten wir keinen Parkplatz gebraucht“, giftete ich zurück. Mir war klar, dass sie sich bei dieser kühlen Witterung niemals aufs Fahrrad gesetzt hätte.

„Es gäbe auch die öffentlichen Verkehrsmittel, aber die sind Dir nicht fein genug“.

Sie konnte es nicht lassen. Einfach ignorieren, sagte ich mir, und ging in Richtung Garderobe. Den Mantel zog ich mir im Gehen aus und schob den Schal in den rechten Ärmel. Weit und breit noch keine Garderobefrau zu sehen. Die Vorhänge an den Annahmestellen sprachen eine deutliche Sprache: ‚geschlossen’. Ich legte meinen Mantel trotzdem auf den Tresen und half meiner besseren Hälfte aus ihrem Kamelhaarmantel. Da lagen sie nun, unsere beiden Mäntel, einträchtig beieinander auf der abgewetzten Oberfläche des Tresens. Ihr eleganter Mantel mit seidenem Innenfutter und mein dunkleres, schon etwas abgetragenes, Exemplar. So als ob die Mäntel nichts von der Spannung in unserer Beziehung spüren würden.

„Ich muss noch für kleine Mädchen.“ Ohne weiteren Kommentar ließ sie mich stehen und verschwand in Richtung Toiletten.

Die erste Garderobefrau schlurfte heran. Im vorbeigehen drückte sie die Zigarette im Abfalleimer aus, obwohl Plakate im ganzen Haus das Rauchverbot an jeder passenden und unpassenden Stelle verkündeten. Gelangweilt schob sie den schweren Samtvorhang zur Seite. Ein Vorgeschmack auf das richtigen Theater, wenn sich der Vorhang öffnet. Ihren massigen Körper zwängte sie in eine blaue Dienstjacke. Die Knöpfe rissen fast aus den Knopflöchern. Ohne Eile hing sie unsere beiden Mäntel an die vordersten Haken und schob mir die Plastikschildchen mit den Garderobenummern über den Tresen. „Macht vier Euro“, murmelt sie, ohne mich anzuschauen. Mit der Zunge pulte sie die Reste ihres Abendessens aus den Zähnen, als sie darauf wartete, bis ich das Geld auf den Tresen zählte. Ein Extratrinkgeld bekam sie von mir nicht, denn Unfreundlichkeit sollte man nicht belohnen, fand ich.

Die Technik schaltete einen zusätzlichen Deckenfluter ein, der die Stuckaturen über uns in effektvolles Licht tauchte . Als ob sie auf dieses Zeichen gewartet hätten, stiegen jetzt die anderen Garderobefrauen  aus den Katakomben des Theaters empor und öffneten die Vorhänge über ihren Theken. Alle in den gleichen blauen Dienstkitteln. Alle im Alter jenseits von 50 und in der Gewichtsklasse über 60.

Meine Frau war noch nicht am Ende des Ganges, wo es zu den Toiletten geht, auszumachen. Also warten. Eigenartig: normalerweise dauert es nur lange, wenn sich in den Pausen eine Schlange vor der Türe mit der Aufschrift ‚Damen’ gebildet hat. Ich lehnte mich an eine Säule zwischen den Garderobenischen und beobachtete die ersten Zuschauer, die frierend den Vorraum betraten. An die üble Luft hier drin hatte ich mich schon gewöhnt, aber die Neueintretenden rümpften sichtlich die Nase.

Ein Pärchen steuerte zielstrebig auf die Garderobe links von mir zu. Er mit ausladenden Schritten und sie mit kleinen. Ich zählte mit: Sie brauchte drei Schritte, um den gleichen Weg zurückzulegen, für den er nur einen benötigte. Ein ungleiches Paar!

„Zu früh! Wie immer“, hörte ich ihn brummeln und musste leise vor mich hin grinsen. Er legte zuerst eine große Plastiktüte von ALDI auf den Garderobentisch. Ich wartete gespannt auf die Reaktion der Dame.

„Oh Schatz, ich warte so gerne. Das hebt die Spannung vor dem eigentlichen Theater. Ich bin immer ganz kribbelig!“ Sie sah ihn mit einem feuchten Dackelblick von unten an. Er nahm ihr den Mantel ab und legte den seinen dazu auf den Tresen. Ohne Mantel war klar, warum es kleine Schritte sein mussten: Der Rock war lang und eng. Dafür das Oberteil um so kürzer. Jedenfalls oben - schulterfrei. Sie massierte fröstelnd ihre Oberarme. Dann tauschte sie ihre Stiefel gegen elegante, rote Schuhe, mit hohen Absätzen, die sie aus der Plastiktüte gefischt hatte. Ein kesser Kontrast zum schwarzen Kleid. Auch sie machte sich auf den Weg zur Toilette. Ihr Gang wirkte mit den Abendschuhen leichter und beschwingter, obwohl die Schritte nicht länger wurden.

Meine Frau war noch immer nicht in Sicht.

Der junge Mann lehnte sich in lässiger Haltung ebenfalls an die Wand. Mit einem Fuß stützte er sich dagegen ab. Die Arme hielt er vor der Brust verschränkt. Das dadurch leicht angehobene Revers der Anzugsjacke drückte die dunkelrote Fliege an seinem Hemdkragen schief. Er machte keinerlei Anstalten, das zu korrigieren. So wie ich verlegte er sich auf das Beobachten der weiteren Theaterbesucher, die jetzt zahlreicher durch die Eingangstüre strömten. Offensichtlich hatte es angefangen zu regnen. Einzelne Männer schüttelten mit Vehemenz die nassen Schirme aus, ohne darauf zu achten, dass alles auf den frisch gebohnerten Theaterfußboden tropfte. Ob sie das zu Hause auch so gemacht hätten? Ihre Ehefrauen, die hier keinerlei Zeichen von Entrüstung zeigten, hätten daheim sicher anders reagiert!

Die Garderobefrauen erwachten langsam aus ihrer Lethargie. Das erste Läuten der Theaterglocke schien sie zum Leben zu erwecken. Aber ein freundliches Lächeln konnte auch die Glocke nicht auf ihre Gesichter zaubern. Ich bedaure es weiterhin nicht, kein Trinkgeld gegeben zu haben.

Immer noch keine Spur von meiner Frau. Auch von der jungen Dame im engen Schwarzen war nichts zu sehen. Der Mann blinzelte mir kumpelhaft zu und zuckte mit den Schultern. Das bedeutete so viel wie ‚dann warten wir halt weiter, da kann man nichts machen!’

Stimmt. Da konnte man nichts machen. Aber warum dauerte es so lange? Ich wurde langsam unruhig, trat von einem Fuß auf den anderen. Um Zeit zu gewinnen warf ich einen Kontrollblick in den Wandspiegel, der gegenüber angebracht war. Sitzt die Krawatte korrekt? Alles passte – nur meine Frau fehlte immer noch.

Die Theaterglocke schellte zum zweiten Mal.

Eine etwas fülligere Frau rempelte mich aus Versehen an. Sie entschuldigte sich umständlich dafür, hatte dabei aber offensichtlich nicht bemerkt, dass sie mir mit einem ihrer spitzen Absätze auf den Fuß getreten war. Es schmerzte höllisch. Meine Reaktion im schmerzverzerrten Gesicht missdeutete sie. Sie Wiederholte, wie unangenehm es ihr sei, mich angestoßen zu haben. Als ob das etwas gegen den Schmerz helfen würde! Dabei war am Zwinkern in ihren Augen deutlich abzulesen, dass es ihr keinesfalls unangenehm war. Im Gegenteil. Sie war ohne Begleitung da – und ich auch, musste sie vermuten. Was rechnete sie sich aus?

Ich sah am Ende des Korridors die nackten Schultern über roten Schuhen auftauchen. Ihr Galan löste sich von der Wand und ging ihr entgegen.

Verdammt, wo blieb meine Frau? Meine Hände wurden feucht. Gleich schrillte die Glocke zum dritten und letzten Mal. Der Geräuschpegel im Vorraum hatte sich fast auf Null gesenkt. Alle Besucher hatten ihre Plätze im Theatersaal eingenommen. Auch die Füllige ging hinein, nachdem sie mir noch einen schmachtenden Blick zugeworfen hatte. Einige Türen wurden schon geräuschlos geschlossen.

Da, endlich tauchte sie auf.

„Hast Du vielleicht auf mich gewartet? Ich habe noch jemanden getroffen“, sagte sie mit einem unschuldsvollen Lächeln auf dem Gesicht. Meinen Ärger im Gesicht ignorierte sie gekonnt.  Dann nahmen auch wir unsere Plätze in der Mitte der siebten Reihe ein. Die anderen Zuschauer in der Reihe lächelten uns mit zusammengebissenen Zähnen zu, als sie alle aufstehen mussten, um uns durch zu lassen. Kaum saßen wir auf den harten Klappstühlen des kleinen Theaters, ging der Vorhang auf und das Saallicht wurde langsam zurückgefahren. Riesige Spots tauchten die Bühne in gelbliches Licht, das in den Augen schmerzte. Zwei Landstreicher, Estragon und Wladimir, standen sich dort bewegungs- und wortlos gegenüber.

Sie warteten auf Godot.







Nc

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Iknim
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 27
Beiträge: 77
Wohnort: südlich von München


Beitrag07.09.2013 09:49

von Iknim
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Hallo Ernst Clemens,

Den mittleren Teil habe ich nur überflogen - ich gehöre wahrscheinlich nicht zur Zielgruppe, denn ich lese nicht so gerne Alltagssituationen (die erlebe ich schon zur genüge in meiner "realen" Welt).

Eine Logikfrage:
Zitat:
„Wir hätten mit dem Fahrrad herkommen können, dann hätten wir keinen Parkplatz gebraucht“, giftete ich zurück. Mir war klar, dass sie sich bei dieser kühlen Witterung niemals aufs Fahrrad gesetzt hätte.

„Es gäbe auch die öffentlichen Verkehrsmittel, aber die sind Dir nicht fein genug“.

Wie können die öffentlichen Verkehrsmittel ihm zu "fein" sein, wenn er gerne mit dem Fahrrad gefahren wäre? Sind die öffentlichen Verkehrsmittel nicht "feiner" als das Fahrrad?

Sonst finde ich keine weiteren Kritikpunkte Wink

Liebe Grüße,
Iknim


_________________
"Konfuzius schrieb, mann müsse gegen den Strom schwimmen, um an die Quelle zu gelangen."
Aber wollen wir nicht alle ans Meer?
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Ernst Clemens
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 77
Beiträge: 594
Wohnort: München


Beitrag07.09.2013 11:35

von Ernst Clemens
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hallo Iknim,

danke für Deine Rückmeldung. Natürlich sind "Alltagssituationen" nicht jedermanns Sache. Die Geschichte ist rund um das Verb "warten" entstanden.

Zu Deinem Hinweis: es gibt viele Menschen, die lieber ein Fahrrad benützen, als sich in die öffentlichen Verkehrsmittel zu quetschen. Aus dieser Sicht ist der ÖVV nicht "fein" genug.

Dir ein schönes Wochenende

Ernst
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Merlinor
Geschlecht:männlichArt & Brain

Alter: 72
Beiträge: 8676
Wohnort: Bayern
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Beitrag07.09.2013 12:28

von Merlinor
Antworten mit Zitat

Hallo Ernst Clemens

„Warten auf Godot“ ist ein bekannter Titel der Weltliteratur, der vermutlich auch heute noch Titelschutz genießt.
Auch wenn der Gedanke verführerisch ist, halte ich es für sinnvoll, den Titel Deiner kleinen Geschichte nicht eins zu eins von Samuel Beckett zu übernehmen.
Damit könntest Du Probleme mit den Haltern des Titels bekommen.
Aber selbst wenn der Titel mittlerweile frei sein sollte, was ich offen gestanden bezweifle, würde das Publikum diesen „Gag“ vermutlich nicht honorieren.

Ein paar Worte zu Deiner Geschichte: Es ist ein Text, der mit verschiedenen Variationen des Themas „Warten“ spielt, vor dem Hintergrund eines Besuches eben dieses Stückes von Samuel Beckett, was als Grundidee an und für sich ganz reizvoll ist.

Insgesamt ist er sauber geschrieben, allerdings gibt es kleine handwerkliche Fehler.
Zum Beispiel sollte der Satz „... Ich bedaure es weiterhin nicht, kein Trinkgeld gegeben zu haben ...“ im Präteritum stehen. Das Präsens fällt hier aus der Zeit.
Es gibt noch andere, ähnliche, sprachliche Unsauberkeiten, die ich im Einzelnen jetzt aber nicht aufführen will.
Mich interessieren im Rahmen einer Rezension andere Dinge, die ich für wichtiger halte, als solche, leicht auszumerzende, handwerkliche Flüchtigkeitsfehler.

Der Aufbau der Geschichte ist prinzipiell in Ordnung, sie läuft geradlinig auf die anvisierte Schlusspointe zu.
Allerdings zieht sie sich beim Lesen gefühlt in die Länge, weil die einzelnen Beobachtungen nicht in ein schlüssiges Konzept von ineinandergreifenden und sich gegenseitig bestärkenden Spannungsbögen eingearbeitet sind.
Auch in Kurzgeschichten ist der dramatische Aufbau von großer Bedeutung.

Hier ein paar Gedanken, um zu verdeutlichen, worauf ich damit abziele: Ein Tenor der Geschichte ist beispielsweise, dass der Protagonist offenbar sowohl mit dem Ablauf, als auch mit den ganzen Umständen dieses Theaterbesuches unzufrieden ist.
Er hat Differenzen mit seiner Ehefrau, das Theaterfoyer riecht muffig, die Damen hinter der Garderobe empfindet er als unfreundlich und hässlich und warten mag er ohnehin nicht.
Das ist ein Thema der von Dir ausgearbeiteten Beobachtungen, die der Mann unter anderem während des Wartens auf seine Frau macht.
Alle diese Beobachtungen, so interessant und treffend sie auch sein mögen, stehen eine jede für sich, treiben aber nicht wirklich die Geschichte an, indem sie ihr zusätzliche Spannungselemente schaffen.

Hier wäre aber ein erster Spannungsbogen, mit dem wunderbar gespielt werden kann.
Hier kann man zum Beispiel die Frage ins Spiel bringen und langsam aufbauen, ob der zunehmend genervte Protagonist am Ende nicht möglicherweise den ganzen Theaterbesuch in einem Eklat enden lässt und abbricht.
Einen guten Teil dieser Beobachtungen kann man also sehr gut in die Zuspitzung dieses Teilkonflikts integrieren.
Jeder Spannungsbogen steuert auf einen Gipfel zu, an dem die Spannung aufgelöst wird, entweder im positiven, oder aber im negativen Sinn.

Ein weiterer Spannungsbogen ist das Warten auf seine Frau selbst, was Du im Grundzug ja so auch realisiert hast.
Allerdings glaube ich, dass man auch das wesentlich deutlicher darstellen kann.
Da geht es doch darum, ob sie überhaupt noch rechtzeitig zu Beginn des Stückes im Saal sein können und die Sorge des Protagonisten gehört meiner Meinung nach schärfer und deutlicher herausgearbeitet.
Es könnte ihr etwas passiert sein, oder er ärgert sich, weil sie in solchen Situationen oft so lange braucht, oder, oder ...

So, wie Du schreibst, geht es in der Flut der allgemeinen Beobachtungen unter, die alle dramatisch gesehen, völlig eigenständig und alleine nebeneinander stehen, anstatt sich miteinander zu verbünden, um den Leser in Atem zu halten.
Dass die beiden wartenden Männer eine kurze Komplizenschaft verbindet, kann man  zum Beispiel viel gezielter in das dramatische Konzept einbinden, als Du dies hier getan hast.
An diesem Punkt könnten dann auch erste Sorgen des Protagonisten um die Gesundheit seine Frau ins Spiel kommen und ein weiteres Spannungsfeld eröffnen: Warum ist die andere Frau schon wieder zurück, die seine aber nicht?
Ist ihr womöglich etwas passiert, und so weiter und so fort.

Vor dem Eintritt in den Saal am Ende dieser Wartezeit, müsste sich im Protagonisten jedenfalls eine große Erleichterung ausbreiten, dass die Frau noch rechtzeitig vor der dritten Klingel zurück ist, womöglich gar mit einer guten Bekannten, die auch des Protagonisten sonst eher negative Perzeption dieses Theaterbesuches und seiner Begleitumstände aufheitert und ihn dazu veranlasst, nun doch frohen Mutes auf seinen Platz zu gehen.

Eben um die Pointe stärker zu betonen, wenn er plötzlich mit Entsetzen erleben muss, dass in diesem Stück zwei Landstreicher ebenfalls nichts anderes tun als … endlos zu warten.
Die Pointe selbst könnte übrigens ebenfalls wesentlich deutlicher gezeichnet werden, als du es getan hast.
Mit persönlich jedenfalls kommt das Ende zu beiläufig.

Auch so eine kleine Geschichte hält viele Möglichkeiten bereit, den Leser zu fesseln und in ihm eine große Spannung zu erzeugen.
Leider ist das in Deiner Geschichte für meinen Geschmack viel zu wenig und zu wenig bewusst geschehen.
Du arbeitest Dich zwar schon auf die Pointe zu, aber leider nur „irgendwie“, wo Du eigentlich mit klarer Hand hättest meißeln können.

Ich hoffe, Du kannst mit meinen Worten etwas anfangen und nimmst mir die Kritik nicht übel.

LG Merlinor


_________________
„Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“

MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942
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Bawali
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 80
Beiträge: 538
Wohnort: Wettingen, Schweiz


Beitrag07.09.2013 17:29

von Bawali
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Hallo Ernst,

Auch wenn du zwar schon von einem Foren-Schwergewicht einen kompetenten Kommentar erhalten hast, möchte ich dir trotzdem auch aus meiner eher unerfahrenen Sicht, noch einige Punkte zu deiner Geschichte schreiben.

Ich habe deine Kurzgeschichte mit einigem Genuss gelesen. Mir hat sie gut gefallen und dies nicht zuletzt deshalb, weil sie ohne viele unnötige Schnörkel und Ausschweifungen klar herübergekommen ist. Im Gegensatz zu Merlinor's Ansicht betreffend Spannungsaufbau/Spannungserhalt finde ich, dass gerade bei deiner Geschichte dies fehl am Platze wäre. Das Thema ist 'warten', und dies wird durch die Art wie du geschrieben hast, sehr gut getroffen. Da würden schmückende Ausschweifungen um den Text 'spannender' zu gestalten kontraproduktiv dagegen wirken, man würde als Leser die Thematik WARTEN gar nicht mehr so richtig fühlen. Soweit meine Sicht dazu.

Dann ist mir noch folgendes an deinem Schreibstil aufgefallen:
Du verwendest gelegentlich Wortwiederholungen innerhalb eines kurzen Textabschnittes oder verwendest in kurzem Abstand Wörter wie machen, hätte usw. Beides ist nicht nicht sehr schön zu lesen und wirkt im Gesamteindruck eher negativ. Zwei stellvertretende Beispiele aus deinem Text:

Zitat:
„Wir hätten mit dem Fahrrad herkommen können, dann hätten wir keinen Parkplatz gebraucht“, giftete ich zurück. Mir war klar, dass sie sich bei dieser kühlen Witterung niemals aufs Fahrrad gesetzt hätte.

Zitat:
Sie konnte es nicht lassen. Einfach ignorieren, sagte ich mir, und ging in Richtung Garderobe. Den Mantel zog ich mir im Gehen aus und schob den Schal in den rechten Ärmel. Weit und breit noch keine Garderobefrau zu sehen. Die Vorhänge an den Annahmestellen sprachen eine deutliche Sprache: ‚geschlossen’. Ich legte meinen Mantel trotzdem auf den Tresen und half meiner besseren Hälfte aus ihrem Kamelhaarmantel. Da lagen sie nun, unsere beiden Mäntel, einträchtig beieinander auf der abgewetzten Oberfläche des Tresens. Ihr eleganter Mantel mit seidenem Innenfutter und mein dunkleres, schon etwas abgetragenes, Exemplar. So als ob die Mäntel nichts von der Spannung in unserer Beziehung spüren würden.

Ich würde versuchen, die Wiederholungen durch etwas Satzumbau zu minimieren. Eine Minderung wäre aber schon durch bloßes Streichen erreichbar. Schau dir doch den ganzen Text nochmals kritisch daraufhin an.

Dann noch diese Dinge hier, welche mich beim lesen etwas verunsichert haben:
Zitat:
Die erste Garderobefrau schlurfte heran. Im vorbeigehen drückte sie die Zigarette im Abfalleimer aus, obwohl Plakate im ganzen Haus das Rauchverbot an jeder passenden und unpassenden Stelle verkündeten.
War die Zigarette schon dort oder war es ihre? Ich würde schreiben "... drückte sie ihre Zigarette ..."

Zitat:
Ein Pärchen steuerte zielstrebig auf die Garderobe links von mir zu. Er mit ausladenden Schritten und sie mit kleinen. Ich zählte mit: Sie brauchte drei Schritte, um den gleichen Weg zurückzulegen, für den er nur einen benötigte. Ein ungleiches Paar!
Dieser Satz gefällt mir nicht so richtig. Wie wäre: Er mit ausladenden, sie mit kleinen Schritten.

Zitat:
„Zu früh! Wie immer“, hörte ich ihn brummeln und musste leise vor mich hin grinsen. Er legte zuerst eine große Plastiktüte von ALDI auf den Garderobentisch. Ich wartete gespannt auf die Reaktion der Dame.
Auf Reaktion der Dame auf was wartet er? Darauf, dass er die Plastiktüte auf den Tisch legte? Das liest man ja gleich vorher. -- Natürlich merkt man es dann beim Weiterlesen, aber mir kommt es hier nicht ganz so stimmig vor.
Außerdem, ist es wohl kaum von Bedeutung, dass die Tüte von ALDI ist. Es sei denn, du willst Werbung machen. Wink
Zitat:
„Oh Schatz, ich warte so gerne. Das hebt die Spannung vor dem eigentlichen Theater.
Warum 'eigentlichen'? Ich würde es streichen oder schreiben: " ... Spannung, bevor sich der Vorhang dann hebt"
Zitat:
Um Zeit zu gewinnen warf ich einen Kontrollblick in den Wandspiegel, der gegenüber angebracht war.
Oder etwas einfacher: Um Zeit zu gewinnen, warf ich einen Kontrollblick in den mir gegenüber angebrachten Wandspiegel.

Soweit meine Anmerkungen. Sie sind natürlich subjektiv geprägt, aber vielleicht gibt dir das eine oder andere Anstoß zu weiteren Verbesserungen.
Ich hoffe, du nimmst mir die Kritik nicht übel. Sie ist von mir konstruktiv gemeint und kommt nicht zuletzt daher, dass ich bei meinem Schreiben oft mit Gleichem oder Ähnlichem konfrontiert bin.

Mit herzlichem Gruss
Walter


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schlumpfine
Gänsefüßchen
S


Beiträge: 38



S
Beitrag07.09.2013 19:50

von schlumpfine
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Hallo Ernst Clemens,

hier möchte ich Merlinor zustimmen:
Zitat:
Allerdings zieht sie sich beim Lesen gefühlt in die Länge, ...

Für mich aber nicht wegen mangelnder Spannungsbögen, sondern einfach, weil du stellenweise kürzen könntest. So nehmen mir z. B. die Garderobefrauen insgesamt zu viel Raum ein. Auch den Zusammenstoß mit der fülligen Frau bräuchte es für mich nicht.

Mir scheint dein Erzählstil sehr gut zu der Geschichte zu passen.
Die beiden haben sich nicht mehr viel zu sagen, leben nebeneinander her. Sie verschwindet auf der Toilette, er wundert sich, dass sie nicht kommt, wirkt ärgerlich, bewegt sich aber auch nicht vom Fleck, um zu sehen, ob evtl. etwas passiert ist. Sie unterhält sich derweil, ohne daran zu denken, dass er sich evtl. Sorgen machen könnte. Beide gehen recht gleichgültig miteinander um, und das finde ich, kommt sehr gut heraus.

Woran du eher noch ein wenig feilen könntest, ist stellenweise auf sprachlicher Ebene.
Zum Beispiel hier:
Zitat:
Ich legte meinen Mantel trotzdem auf den Tresen und half meiner besseren Hälfte aus ihrem Kamelhaarmantel. Da lagen sie nun, unsere beiden Mäntel, einträchtig beieinander auf der abgewetzten Oberfläche des Tresens. Ihr eleganter Mantel mit seidenem Innenfutter und mein dunkleres, schon etwas abgetragenes, Exemplar. So als ob die Mäntel nichts von der Spannung in unserer Beziehung spüren würden.

Das ist zu viel Mantel, zudem wohl eher unwahrscheinlich, dass die Mäntel etwas von den Spannungen zwischen dem Paar spüren Smile

Zitat:
Alle im Alter jenseits von 50 und in der Gewichtsklasse über 60.

Ich würde wie gesagt das mit den Garderobefrauen ziemlich abspecken, auch diesen Satz streichen. Wenn du aber dran hängst, dann mach mehr als 60 kg, wenn das Gewicht eine negative Rolle spielen soll.

Zitat:
Meine Frau war noch nicht am Ende des Ganges, wo es zu den Toiletten geht, auszumachen.

Der Satz ist schon etwas umständlich. Es würde auch "Von meiner Frau war immer noch nichts zu sehen." reichen.

Der Schlusssatz gefällt mir gut, wäre für mich jetzt aber noch wirkungsvoller gewesen, wenn ich das nicht schon im Titel erfahren hätte und wenn evtl. deutlich wäre, dass dem Mann vorher gar nicht bewusst war, welches Theaterstück sie sich da ansehen werden, weil er einfach von ihr mitgeschleift worden ist.

Ein paar Fehler sind noch enthalten, die sich aber leicht ausbessern lassen.


_________________
freundliche Grüße
von schlumpfine
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Jenni
Geschlecht:weiblichBücherwurm


Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag07.09.2013 20:31

von Jenni
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Merlinor hat Folgendes geschrieben:
Aber selbst wenn der Titel mittlerweile frei sein sollte, was ich offen gestanden bezweifle, würde das Publikum diesen „Gag“ vermutlich nicht honorieren.

Laughing
Hier ist das honorierende Publikum. Ich habe den Thread nur angeklickt, weil ich "Warten auf Godot" (als Theaterstück und sicherlich hervorragend inszeniert in den Kammerspielen - ist lange her, aber ich habe Beckett nie mehr eine zweite Chance gegeben) in so schrecklicher Erinnerung habe, und mich fragte, was jemand damit sagen will, sich ausgerechnet darauf zu beziehen. Dann fand ich den Text recht kurzweilig zu lesen und den Bezug auf das Godot-Stück sehr treffend.

Von dieser Szene bin ich wohl auch die perfekte Zielgruppe, denn ich hasse es, zu warten, noch mehr in Situationen, wo ich die Zeit nicht anders nutzen kann, noch mehr in einer größeren Ansammlung von Menschen, und noch viel mehr, auf jemanden zu warten, der mich aus Rücksichtslosigkeit Schrägstrich in voller Absicht warten lässt.
Und dieses Warten finde ich sehr treffend beschrieben. Ich finde auch nicht, dass die Nervfaktoren unzusammenhängend sind. Denn genauso ist es, wenn man wartet und sich immer mehr darüber ärgert, dann fällt einem erst auf, wie bescheuert die Menschen rundum sich verhalten (inkl. Details wie die teuren Schuhe in der Aldi-Tüte), dass es unangenehm riecht etc. und überhaupt die ganze Veranstaltung nervt. Ich finde das sehr plausibel geschildert.

Auch finde ich, dass die typische Atmosphäre im Theater bevor das Stück beginnt super eingefangen ist.

Ein paar Formulierungen fand ich unschön/falsch/unexakt, da sind auch Wörter fälschlicherweise kleingeschrieben, Schludrigkeits-Fehler ... aber wir sind ja hier nicht in der Werkstatt, denn die gibt's ja nicht mehr. (Und überhaupt habe ich gerade keine Lust dazu, sorry.)

Aber sonst ganz gern gelesen. smile
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Ernst Clemens
Geschlecht:männlichKlammeraffe

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Beitrag10.09.2013 12:26

von Ernst Clemens
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lieber Merlinor,
Du hast Dir ja mit meinem kurzen Text eine Menge Arbeit gemacht. Vielen Dank dafür. Ich versuche zu den einzelnen Punkten Stellung zu nehmen:

Titel: natürlich ist mir bekannt, dass "Warten auf Godot" der Titel des Theaterstücks von Beckett ist und als solcher geschützt ist. Da es aber hier nicht um eine 'große' Veröffentlichung der Kurzgeschichte geht und da darin weder etwas Negatives über Beckett, noch über das Stück steht, dürfte das Risiko angegriffen zu werden äußerst gering sein.

Mein Text ist nach der Vorgabe des Verbes 'warten' entstanden. Mir scheint die Verbindung zum Titel des Theaterstücks gut. Ich möchte meinen Titel deshalb stehen lassen.

Trinkgeld: aus heutiger Sicht ist der Protagonist immer noch der Meinung, dass es richtig war, kein Trinkgeld gegeben zu haben. Deshalb habe ich diese Form gewählt. Ist das grammatikalisch falsch? (Die Zeitenfolge ist in meinen Geschichten immer ein Problem!)

Schlüssiges Konzept: Deine Aussage ist richtig: es sind eine Menge Beobachtungen. Aber alle sind aus dem einen Grund gemacht worden: Weil der Protagonist WARTEN musste. Das war mein Hintergedanke dabei. Wie würdest Du die einzelnen Beobachtungen verzahnen? Kannst Du mir ein Beispiel nennen?

Sorge des Protagonisten herausarbeiten: fällt mir schwer, denn in Wirklichkeit macht er sich gar keine Sorgen. Es ist ihm gleichgültig. Selbst wenn sie den Anfang des Theaterstücks verpassen sollten, wäre ihm das egal. Und Sorgen um seine Frau? Fehlanzeige. Die beiden hatten grad einen Ehekrach hinter sich.

Text mit klarer Hand meißeln: da hast Du auf jeden Fall recht. Ich werde ihn nochmals überarbeiten und dabei Unnötiges herausnehmen, Wortwiederholungen vermeiden und einige Sätze schärfer formulieren.

Nochmals vielen Dank für Deine Anregungen. Wie sollte ich Deine gute Kritik übel nehmen?

Herzliche Grüße
Ernst
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Ernst Clemens
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 77
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Wohnort: München


Beitrag10.09.2013 14:55

von Ernst Clemens
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Hallo Bawali - Du auch Aargauer!

danke auch Dir für Deinen Kommentar. Es freut mich, dass Du ähnlich denkst wie ich, wenn es um den Aufbau der Geschichte geht.

Besonders wertvoll für mich waren Deine Hinweise auf Wiederholungen. Meist sieht man ja als Schreiberling vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr.

Ich habe im Text einiges verbessern können.

Nochmals vielen Dank und einen schönen Tag

Ernst
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Merlinor
Geschlecht:männlichArt & Brain

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Beiträge: 8676
Wohnort: Bayern
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Beitrag10.09.2013 14:58

von Merlinor
Antworten mit Zitat

Hallo Ernst Clemens

Ein kurzes Wort noch zu Titel und eventuellem Titelschutz:

Einen Text hier im Forum vorzustellen ist tatsächlich keine „große“ Veröffentlichung, aber de jure eben schon eine Veröffentlichung, denn ein eventueller Titelschutz greift auch bei kleinsten „Auflagen“, oder solchen Veröffentlichungen im Internet wie hier.
Vermutlich wird kein Hahn danach krähen, aber da Du nicht einmal die Option „Nur für registrierte Mitglieder sichtbar“ gewählt hast, kann der Titel auch von den Suchmaschinen im Internet leicht gefunden werden.

Offen gestanden würde ich mich an Deiner Stelle damit nicht wirklich wohlfühlen, und fühle ich mich als Moderator des Forums damit auch nicht gut.
Ich habe die Frage daher Boro und in der Moderation vorgelegt, um zu klären, ob hier ein eventueller Rechtsverstoß nicht auch das Forum als Plattform der Veröffentlichung betrifft.
Möglicherweise dürfen wir eine Beibehaltung des Titels aus rechtlichen Gründen gar nicht zulassen.
Dann müssten wir das Werk zurückstellen, bzw. zwingend von Dir verlangen, dass Du den Titel änderst.

Ich bitte Dich, das jetzt nicht als Böswilligkeit oder übertriebene Pingeligkeit zu verstehen.
Wir sind an rechtliche Vorgaben gebunden und dazu gehört ganz besonders auch die Einhaltung von Urheberrechten und artverwandter Rechte.
Ich habe jetzt nicht konkret überprüft, ob da noch Titelrechte bei Verlagen liegen und falls ja, bei welchen und bin rechtlich gesehen auch nicht sattelfest genug, um zu sagen, ob hier nicht sogar für den Titel das Urheberrecht des Autors betroffen ist, aber meine Sorge ist hier schon recht groß.

Die einfachste Lösung wäre daher eine Änderung des Titels. Warum nicht ganz einfach: Warten auf „Warten auf Godot“ oder etwas Ähnliches? Dadurch wird der Originaltitel zum Zitat und das sollte durch die künstlerische Freiheit gedeckt sein.

Soweit zum Thema „Titel“.
Nun noch einmal kurz zurück zum eigentlichen Text:

Ich bitte Dich, mich da nicht misszuverstehen.
Ich mag die Art, wie Du beobachtest und auch, wie Du dieses Beobachtungen in Worte fasst, nämlich ziemlich gern.
Sie sind gut geschrieben und treffend gesehen.

Mir geht es darum, dass ich ein Verfechter des Leitsatzes bin, dass jede Geschichte, aber auch jeder Sachtext, einem dramaturgischen Konzept unterliegen sollte.
Schreiben ist – zumindest für mich – immer auch Erzählen, ist daher in jedem Fall ein gezieltes „sich an den Leser/Zuhörer wenden“ und unterliegt daher didaktischen Anforderungen.

Du schreibst:
Ernst Clemens hat Folgendes geschrieben:
Sorge des Protagonisten herausarbeiten: fällt mir schwer, denn in Wirklichkeit macht er sich gar keine Sorgen. Es ist ihm gleichgültig.“


Dann solltest Du das im Text auch so umsetzen, denn das wird mir hier zum Beispiel als Leser eben gerade nicht deutlich:

Ernst Clemens hat Folgendes geschrieben:
„Verdammt, wo blieb meine Frau? Meine Hände wurden feucht. Gleich schrillte die Glocke zum dritten und letzten Mal.“


Mit diesem Satz spielst Du eben mit genau dieser Spannung, die Du eigentlich gar nicht erzeugen möchtest.

Der Leser muss wissen, wohin die Reise geht und wenn sich da Brüche zeigen, bemerkt er dies, fühlt sich unwohl oder gelangweilt.
Wenn Du aber durchgehend klar herausarbeitest, wie der Mann unwillig und gelangweilt in dem Theater aufschlägt, seine Frau auf die Toilette verabschiedet und sich dann mit Häme, oder eben einfach nur tödlich gelangweilt, den Betrieb im – zumindest für ihn – stinkenden Theaterfoyer reinzieht, dann hat eben genau dieses Thema seine ganz eigene Dramatik und kann dem Leser durchaus interessant, abwechslungsreich und eben auch spannend dargeboten werden.

Das ist was ich meine, wenn ich von einem eindeutigen dramaturgischen Konzept spreche.
Wenn den Protagonisten eigentlich alles an diesem Theaterbesuch langweilt und egal ist, dann zeig uns das und mach eine in sich schlüssige und sich steigernde Geschichte daraus.
Mit solchen Sätzen wie oben konterkarierst Du hingegen das eigentlich anvisierte Spiel und verwischst das Bild.

Die Begriffe „Spannungsbogen“ und „dramaturgisches Konzept“ müssen nicht das geringste mit einer „spannenden“ – und wie viele Menschen das dann missverstehen – mit einer „aktionsreichen“ Handlung zu tun haben.
Hier geht es um Erzähltechniken und die kann und sollte man meiner Meinung selbst bei knochentrockenen philosophischen Abhandlungen umsetzen.

Ernst Bloch zum Beispiel war ein leuchtendes Beispiel für einen Philosophen, der auch „schön“ schreiben konnte und wollte.
Er hat gezeigt, dass auch tiefgründigste Texte in eine schöne und eben auch spannende Form gebracht werden können.

Aber das sind natürlich nur meine ganz persönlichen Ideen und Ambitionen und ganz sicher keine irgendwie allgemeingültigen Regeln oder was auch immer.
Ich glaube halt fest daran, dass man jedes Thema spannend und didaktisch interessant aufbereiten kann.

LG Merlinor


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Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
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Ernst Clemens
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Beitrag10.09.2013 15:04

von Ernst Clemens
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Hallo Schlumpfine und Jenni,

schön, dass Ihr Euch mit meiner Geschichte befasst habt. Vielen Dank dafür.

@ Schlumpfine:
die Garderobefrauen (Du hast recht, eigentlich ganz unwichtig!) wurden deshalb so wichtig, weil der Protagonist WARTEN musste. Er hatte einfach nichts anderes zu tun, als diese Damen bei ihrer Arbeit zu beobachten.

Du hast den Inhalt der Geschichte (so wie ich ihn verstehe!) sehr gut erfasst, wenn Du schreibst:

Zitat:
Die beiden haben sich nicht mehr viel zu sagen, leben nebeneinander her. Sie verschwindet auf der Toilette, er wundert sich, dass sie nicht kommt, wirkt ärgerlich, bewegt sich aber auch nicht vom Fleck, um zu sehen, ob evtl. etwas passiert ist. Sie unterhält sich derweil, ohne daran zu denken, dass er sich evtl. Sorgen machen könnte. Beide gehen recht gleichgültig miteinander um


@ Jenni: sind wir Schwestern/Brüder im Geiste? Warten ist für mich genau so problematisch wie für Dich. Und das Theaterstück habe ich ca. 1968 in Paris gesehen - ich habe mich tödlich gelangweilt!

Herzliche Grüße
Ernst
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Ernst Clemens
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Beitrag10.09.2013 15:12

von Ernst Clemens
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Lieber Merlinor,

toll, Deine Idee mit dem geänderten Titel - Warten auf „Warten auf Godot“! Das gefällt mir ausßerordentlich gut. Kannst Du als Moderator den Titel für mich ändern? Damit wären mit einem Schlag alle Probleme vom Tisch.

Und danke auch für Deine konkreten Beispiele zum Aufbau der Story. Ich werde mich hinsetzen und weiter daran arbeiten!

Herzliche Grüße
Ernst
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Merlinor
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Beitrag10.09.2013 15:17

von Merlinor
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Ernst Clemens hat Folgendes geschrieben:
... - Warten auf „Warten auf Godot“! Das gefällt mir ausßerordentlich gut. Kannst Du als Moderator den Titel für mich ändern? Damit wären mit einem Schlag alle Probleme vom Tisch ...


Erledigt ... smile

LG Merlinor


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Ernst Clemens
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Beitrag10.09.2013 15:46

von Ernst Clemens
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dank Dir, Merlinor!

Ernst
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lilli.vostry
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Beitrag11.09.2013 13:28
aw:WartenaufWartenaufGodot
von lilli.vostry
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Hallo Ernst,

Ich mag Beckett und seine Stücke sehr und muss daher auch meine Meinung zu diesem Text loswerden.
Deine Geschichte finde ich - und dafür kann das Stück "Warten auf Godot" nun wirklich nichts! - weder unterhaltsam, sondern originell. Sondern Du nimmst einseitig und eindimensional das Warten wörtlich: undzwar rein als leere Zeit, wo Warten an sich doch so viel mehr umfasst...

Doch derart flach betrachtet unhd die schöne Metapher nicht weiter entwickelnd, liest sich Dein Text ebenso langweilig, langatmig, klischeehaft und oberflächlich. Und benutzt lediglich den berühmten Stücktitel, während die beschriebene Warterei im Foyer nicht im geringsten den Witz, die Verschlagenheit und rührende Tragikomik der beiden wartenden Landstreicher erreicht, die während dessen über das Leben, Wunder und Glück (deren Erfüllung bekanntlich in jedem selbst liegen) äußerst kurzweilig und teifsinnig philosophieren!!
 
Wie viel mehr hätte man das Warten auf das Stück komisch dramatisch auf die Spitze treiben können. Stattdessen bleibt es bei rein äußerlichen wenig spannenden Beobachtungen und auch die vermeintliche Pointe zündet nicht. Sondern schließt nur einen Text über das Warten eines aus verschiedenen Gründen verdrießlichen Theaterbesuchers.
Das hat aber mit dem eigentlichen Stück nichts zu tun und "Warten auf Godot" allein auf Langeweile zu reduzieren, wird dem Stück nicht gerecht und tut ihm irrtümlich Unrecht!

Dan sollte man solche geflügelten Worte entweder hinterfragen, was sie wirklich meinen oder zu anderen passenderen Vergleichen greifen. Doch Warten auf Godot wirkt natürlich griffiger und klingt nach mehr...

Grüße,
Lilli


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lilli.vostry
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Beitrag11.09.2013 13:33
aw:godot
von lilli.vostry
Antworten mit Zitat

... kleine Korrektur meinerseits zum Kommentar: Ich meinte weder unterhaltsam noch originell (anstatt: sondern originell).
Denn das ist es m.M. nach leider auch nicht, denn es passiert ja während des Wartens nichts Außergewöhnliches. Dem Mann ist es ja gar herzlich egal, wo seine Frau steckt... Dieser Aspekt könnte noch viel stärker herausgearbeitet werden - dann würde das Warten wirklich widersinnig-absurd!

Grüße,
Lilli


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Ernst Clemens
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Beitrag11.09.2013 14:41

von Ernst Clemens
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Grüß Dich Lilli,

wie gesagt, das Stück hatte ich ca. 1968 im Rahmen einer Diplomreise nach Paris gesehen. Vielleicht hatte ich es damals als junger Mensch nicht verstanden. Aber leider hatte ich in den letzten 45 Jahren auch nicht den Wunsch, mich nochmals damit zu befassen. Du meinst, man sollte es tun?

Du hast recht: Mir ging es um die LEERE Zeit in der man nichts VERNÜNFTIGES in Angriff nehmen kann. Genau das wollte ich zeigen. Und das war auch einer der wichtigsten Gründe für die Verdrossenheit des Protagonisten.

Ich habe mal Deine Homepage angeschaut. Respekt, wie Du mit Worten und Bildern umgehen kannst und wie Du es schaffst, die beiden Elemente zu verbinden. Man könnte direkt neidisch werden!

Herzliche Grüße und vielen Dank für Deinen Kommentar!

Ernst
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