Cosmo

[christof]

Über ihm läuft das zunehmende Licht in Wellen durch den Brückenbogen. Es klart auf. Der Wind trägt den Geruch nach Neuanfang über den Fluss und für einen Augenblick ist ihm, als müsse er lieben, was ihn umgibt, von dem er in diesem Moment glauben möchte, dass es wieder zur Welt gehört.

Als er aufbricht, um sich einen Kaffee und eine Kippe zu besorgen, schmerzt ihn das Licht in den Augen. Sie fangen an zu tränen, und die Reizung in den Augenwinkeln nimmt wieder zu. Mit den Händen schirmt er das Gesicht ab. Später, in der Toilette der Stadtmission, spült er seine Augen mit kaltem Wasser, um die Entzündung zu lindern. Darauf setzt er sich in den leeren Saal. Balken aus Sonnenlicht stehen schräg in der staubigen Stille, und die Minuten dehnen sich.

Dass es Leute gebe, denkt er, die sich jeden Tag eine Sonnenbrille kaufen würden, überlegt, ob es je etwas Wichtiges gegeben habe und sieht zu, wie sich seine Gedanken auflösen, als wären sie eine Kette, der man die Sehne genommen hat. Es wird warm und er nimmt seine Mütze ab. Mit den Händen streicht er sich durchs geringelte Haar, befühlt die neue Haut, die sich unter dem Grind einer Verletzung gebildet hat. Früher war sein Haar schwarz. Jetzt schaut es aus, als hätte sich Mehltau darübergelegt.

Schritte nähern sich und eine Missionsschwester tritt in den Raum. Sie geht durch die Tischreihen und verteilt kleine Teller mit Cookies. Als sie bei ihm ankommt, nickt ihr Cosmo zu. Sie stellt zu den Cookies einen Becher mit Kaffee zu ihm auf den Tisch.

“Ziemlich frisch heute”, sagt sie und geht weiter. Er bedankt sich, greift zu und lehnt sich zurück. Er bricht ein Stück von dem Gebäck ab, legt es sich auf die Zunge und schlürft den Kaffee darüber. Die feste Krume wird weich, gibt die eingebackenen Schokokrümel frei und schmilzt unter dem Gaumen. Wie köstlich, so eine Kleinigkeit! Vielfältig ist das Geliebte. Sie blendet, riecht nach einem neuen Anfang, schmeckt zuckersüß und umgibt zum gegebenen Zeitpunkt ihre Schätze mit genau dem richtigen Hauch Bitterkeit.
Er späht über seine Tasse in den herabschwebenden Staub und lässt ein Teil von sich mit ihm zu Boden sinken. Kommendes hat ihn lang nicht mehr beschäftigt. Das einzige was er fürchtet, ist die Angst der Menschen, die ihm begegnen. Sie kann verletzend sein und in Momenten zuschlagen in denen er es am wenigsten erwartet. Er sieht ihn noch, den Blick der Alten, als er sie nach der Zeit fragen will, um sich zu beweisen, dass er es noch wagt. Um sie einzuholen, muss er seine Schritte beschleunigen. Er kann die Angst in ihren Augen sehen, will ihr zurufen, dass sie sich nicht beunruhigen solle. Doch bevor es ihm über die Lippen kommt, fällt sie mit ihren alten Knochen in gehetzten Trab. Sie flieht vor ihm und er kann es nicht ändern. Lange hat ihn nichts so getroffen. Er zieht die Luft in seine Lungen, als könnte er beim Ausatmen die Erinnerung aus seinem Blut filtern. Dann denkt er an das Projekt, damit es die Erinnerungen überragt.

[MosesBob]

Guten Morgen, christof, und herzlich Willkommen im DSFo!

Diese Geschichte liest sich wunderbar. Deine Sprache ist selbstbewusst und gekonnt, abwechslungsreich, einfühlsam und packend. Die Sätze fließen angenehm dahin und greifen ineinander, als wären sie füreinander geschaffen. Kurzum: Ich bin begeistert, vielleicht sogar hellauf.

Ist die Geschichte Teil eines größeren Werkes oder Projektes?

Ich würde diesen Thread mit deiner Zustimmung gerne von der Talentschmiede in die Belletristik verschieben. Das hat er sich einfach verdient.

Am liebsten würde ich mir jetzt auch deine anderen Kostproben durchlesen, aber ich bin gerade auf der Arbeit und dürfte eigentlich gar nicht hier sein.

Beste Grüße,

Martin

[princess of night]

hallo christof..ich kann mich moses nur anschliessen und bin auch def. für verschieben!toll geschrieben und man ist enttäuscht das es schon zu ende ist!
princess

[SylviaB]

Auch ich stimme zu. Du hast einen sehr ausgereiften Stil zu schreiben. Obwohl ich die Gegenwartsform nicht so gern lese, habe ich deine Kostprobe mit Genuß lesen können. Die Sätze sind angenehm und ohne Logikfehler.

Ich wäre auch dafür ihn zu verschieben.

Lieben Gruß
Sylvia

[Ralphie]

Warum fängst du den Text nicht so an:

[Gast]

[MosesBob]

[M]

Die werden doch noch schwarz gestrichen, Mensch.

Ich finde Balken auch etwas unglücklich gewählt. Sie sind hart und schwer, Sonnenstrahlen haben doch eher genau gegenteilige Eigenschaften. Aber ansonsten gefällt mir das Stück. Es hat Atmosphäre und lässt vermuten, dass es der Anfang einer längeren Erzählung ist. Die würde ich gern lesen.

[christof]

hallo
Martin, Sylvia, Princess, Angela, Ralpie und M, ich hätte nicht so tolle Reaktionen erwartet, wie sie von Euch kamen. Vielen dank auch für Eure Anregungen. Ihr pflegt in Eurer Kritik einen sehr angenehmen und konstruktiven Ton, wie ich es in anderen Foren nicht kennen gelernt habe.

Die Lichtbalken, Cookies ect. werde ich mir noch mal vornehmen.
Der Text ist der Anfang einer Romanerzählung um die fünfhundert Seiten. Hab sie vergeblich versendet. Dadurch kam es nie zu einem Lektor. Um so größer ist meine Freude darüber, in Euch Lektoren zu finden, wie ich sie mir nicht besser denken könnte.
Vielen Dank noch mal.

Lieber Martin, ich würde mich freuen, wenn Du den Text in die Kategorie Belletristik verschieben würdest. Da ich neu in dem Forum bin, weiß ich noch nicht, was es damit auf sich hat, aber ich werde an mir arbeiten.

Liebe Grüße
Christof

[Ralphie]

Ich war mal so frei und habe es dorthin verschoben. wo es hingehört.

[christof]

Vielen Dank und
beste Grüße
Christof

[Ralphie]

Gern geschehen.

[MosesBob]

Nabend nochmals!

[christof]

hallo Martin,
auch Dir vielen Dank, freue mich unheimlich.
Viele Grüße Christof