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Weihnachten im Sommer - gegen den Strom


 
 
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Isa
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 153
Wohnort: München


Beitrag14.07.2013 10:16
Weihnachten im Sommer - gegen den Strom
von Isa
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo liebe Foristen,

die Stimmung passt, die letzten Feiern vor der Sommerpause finden statt, vielleicht Zeit ein wenig zu resümieren...
Ich habe Kurzprosa angekreuzt, weiß aber nicht, ob es die Kriterien erfüllt.


„Jetzt muss ich mal ein Hühnchen rupfen mit dir“, polterte Emily in ihrer letzten Mail an die Freundin.
Julia hielt kurz die Luft an und überflog die Zeilen, während ihre Gedanken voraus eilten. Oder zurück?
„Du bist nicht anders wie die Anderen, du bist genauso gleich wie sie“, prangerte ihr lautes Gegenüber sie an. „Du hast Kinder, einen Beruf, kennst Liebe, Freude, Leid und Sehnsüchte..., nur, Julia..., du teilst vielleicht ein paar andere Vorlieben als die Menschen in deinem Umfeld.“

„Muss sie denn immer das letzte Wort behalten“, murmelte Julia leicht gereizt und löschte mit einem Anflug von Genugtuung die Mail. „Aus den Augen, aus dem Sinn“, sie wollte keinen Streit anzetteln und schon gar nicht in der Vorweihnachtszeit.
Dennoch, ihre jüngste Erkenntnis, dass sie anders tickte, hatte etwas Tröstliches für sie. Kein Wunder, dass sie manchmal nach Worten ringen musste, um sich überhaupt verständlich zu machen. Klang sie so anders?

Die letzten sieben Jahre waren voller Überraschungen gewesen und sie hatte sich mindestens sieben Mal vom Scheitel bis zu den Spitzen der Zehen gehäutet. War in bunte Gewänder geschlüpft, hatte Masken ausgetauscht, Schuppen gewechselt und sie wie kleine Miniaturschilde zum Schutz vor sich oder vor den anderen getragen.

„Eine Schlange, die sich nicht häutet, stirbt“, sagte Nietzsche. Sieben Mal war Julia gerade so mit heiler Haut entkommen, gefällig drehte und wendete sie sich vor dem Spiegel. Denn das was sie sah, behagte ihr.
Schuppe für Schuppe schmiegte sich eng an ihren Körper und schimmerte in der Abenddämmerung, geheimnisvoll grün wie der Seerosenteich, den sie vor ein paar Wochen im Schlosspark abgelichtet hatte.

„Eingebildetes Ding“, schalt sie laut und überlegte, wann der Häutungsprozess begonnen hatte. Damals vielleicht, als ihr Mann einen neuen Posten übernommen hatte, was voraussetzte, dass sie als geduldiges Anhängsel repräsentierte? Manchmal hatte sie Marc einfach alleine losgeschickt.
Und wann war die Metamorphose zumindest fürs Erste abgeschlossen gewesen? Nachdenklich strich Julia strich eine Strähne aus der Stirn. Ihr stockte der Atem, wenn sie an die letzte Weihnachtsfreier im Betrieb ihres Mannes dachte. Sie hatte sinnigerweise mitten im Sommer stattgefunden und Julia hatte ein leichtes Kostüm gewählt, um sich den heißen Temperaturen anzupassen.

Sie wurden durch die Räumlichkeiten der Automobilfirma geführt, drangen in das Herzstück der Entwicklungsabteilung ein, durften einen Blick auf den Erlkönig erhaschen, der mit Stoff verhüllt war, landeten vor dem Klimawindkanal, wo sie mit warmen Jacken ausgestattet wurden.
Julia fröstelte jetzt noch, wenn sie an ihre dünnen Schuppen dachte.
Sie hatte darauf verzichtet, in den eisigen Raum zu treten, da sie Kälte noch nie mochte. Einsam, ein wenig verloren, stand sie im Computerraum, der durch dicke Scheiben von der Kammer getrennt wurde.

Die Damen kreischten unbeherrscht, wie sie in Stöckelschuhen und engen Röcken auf die Motorräder kletterten, um sich im simulierten Wind die Haare stromlinienförmig aus dem Gesicht blasen zu lassen. Schnee quoll aus einer Düse und puderte die Modells dick ein.
Das Gelächter entfernte sich, dumpf starrte Julia auf die Bildschirme, die mit glitzernden roten Kugeln geschmückt waren und ein Lichterbaum blinkte im Sekundentakt. Weihnachtszauber im Hochsommer...

Überrascht hörte sie leises Schluchzen, sie war doch nicht alleine. Die andere Frau hatte auch keine Jacke genommen, putzte sich verzweifelt die Nase. Julia wusste, dass ihr Sohn vor ein paar Wochen verstorben war und zwei kleine Kinder hinterlassen hatte. Sie bewunderte die tapfere Haltung, mit der die Frau die Feierlichkeiten ertrug.
Julia trat zu ihr hin, wand einen Arm um die Schulter, strich ihr sanft über den Nacken und spürte winzige Schuppen, die noch ganz weich waren und sich wie ein hauchdünner Panzer um den Oberkörper legten.
„Um die Seele zu schützen, damit sie leichter mit dem Verlust fertig wird“, flüsterte Julia beruhigt, da sie einen scharfen Blick dafür entwickelt hatte, wer Schuppen trug und wer nicht.

Es war zu einer Art Hobby für sie geworden, auf einer imaginären Liste flüchtig zwei Spalten zu skizzieren und Menschen einzuteilen in Schuppenträger und in Normalhäuter.
„Du brauchst keinen neuen Job, du brauchst eine dickere Haut!“, hörte sie ihren Papa energisch tönen, der überzeugt davon war, dass eine Lederhaut sie vor unsinnigen Gedanken schützen konnte.

Beim anschließenden Buffet schüttelte Julia die Beklommenheit ab, die sie ergriffen hatte, stieß mit ihrem Tischnachbarn bei einem Glas Champagner an.
Sie hatte die Ehre neben dem Chef zu sitzen, sie mochte ihn und hatte mit Überraschung seine Rede verfolgt, in der enorme Leidenschaft mitschwang, was Seele verriet und was die trockenen Fakten der Firmenbilanz so unendlich auflockerte.

Er blickte ihr tief in die Augen, Julias Pupillen glitten unwillkürlich ein Stückchen nach unten zum Ausschnitt seines Polohemdes, sie sah eine hellgrüne Schuppe aufblitzen, lächelte ihm verschwörerisch zu...

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Grendel
Geschlecht:weiblichEselsohr
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Alter: 60
Beiträge: 243



G
Beitrag19.07.2013 09:23

von Grendel
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Hallo Isa,

nein, Kurzprosa passt nicht, Kurzgeschichte wär's.

Die Idee finde ich klasse. Wer fühlt, verletzbar ist, benötigt Schutz. Normale Haut mit ihrer Nachgiebigkeit kann die Seele darunter nicht genügend wappnen. Auch die Glamourwelt passt als Kontrast sehr schön ins Bild.

Schwierigkeiten habe ich mit den ersten Absätzen. Die Einschätzung der Freundin ist mir zu allgemein und nichtssagend, Julias Reaktion wirkt pubertär (sie tickt anders). Dann kommt die körperliche Metarmorphose, die mich durch ihre deutliche Darstellung nicht mehr an ein anderes Verhalten bzw. ein inneres Geschehen denken lässt. Der Einstieg wirkt auf mich, als wolltest Du vorab erklären, dass es sich beim Folgenden nicht um ein reales Geschehen, sondern um eine Metapher handelt. Wäre nicht nötig gewesen. Für meinen Geschmack könnte die Geschichte mit dme Nietzsche-Zitat beginnen.

LG
Grendel
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Isa
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 153
Wohnort: München


Beitrag19.07.2013 11:45

von Isa
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Grendel,

vielen Dank für deinen Kommentar, ich weiß ihn sehr zu schätzen!

Ich habe mich ja im Forum damals gemeldet, um an „wörtlicher  Rede“ zu üben, da ich am liebsten ohne auskommen würde. Offenbar ist das eine meiner Schwachstellen.
Ich werde mir überlegen, wie ich den Anfang anders gestalten könnte, vielleicht wirklich  mit dem Zitat...

Ich denke, die Protagonistin lebt tatsächlich ein wenig zwischen Wirklichkeit und Traum, vielleicht um manches dadurch zu „verklären“,  was ihr zu hart erscheint.  
„Anpassungsstörung“ – kommt häufig vor, nicht immer wirken die gängigen Methoden, sie musste sich anders behelfen…, wobei  nebenbei  auch noch ein zweiter Faktor zum Tragen kommt, die Komik, sich sein Gegenüber mit verändertem Aussehen vorzustellen… Bestimmt auch heilsam.

LG, Isa
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Grendel
Geschlecht:weiblichEselsohr
G

Alter: 60
Beiträge: 243



G
Beitrag20.07.2013 12:29

von Grendel
Antworten mit Zitat

Hallo Isa,

die Komik in dem veränderten Aussehen habe ich in dieser speziellen Geschichte nicht wahrgenommen. Vielleicht, weil Schlangen nicht lächerlich wirken und auch weil sie sich zuerst selbst mit Schuppen sieht. Schlangenhaut, Schlangenleder hat etwas Edles, Glattes, wenn Du es dann noch als Schutz betrachtest, gehen meine Gedanken eher Richtung Drache.

Wenn Du die Geschichte überarbeitest, kannst Du vielleicht auch die Weihnachtsfeier überdenken. Mitten im Sommer? Durch diesen ungewöhnlichen Zeitpunkt hänge ich dort etwas beim Lesen. Warum ist das wichtig? Ganz habe ich das nicht verstanden. Es könnte für mich genausogut eine Betriebsfeier oder die Präsentation eines neuen Modells sein, für mein Verständnis der Geschichte ergäbe das keinen Unterschied. Mir scheint der Schwerpunkt, unabhängig vom Titel, viel mehr auf dem Überwinden von Empfindlichkeit, auf einer Verhärtung gegen die Anforderungen der Außenwelt und gleichzeitig einem Bewahren der Sensibilität zu liegen. Aber das kann natürlich an Deinen Absichten komplett vorbeigehen.

Die Geschichte hat sich mir auf jeden Fall eingeprägt und regt zum Nachdenken an.

LG
Grendel
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Isa
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 153
Wohnort: München


Beitrag20.07.2013 15:05

von Isa
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Grendel,

Zitat:
Überwinden von Empfindlichkeit, auf einer Verhärtung gegen die Anforderungen der Außenwelt und gleichzeitig einem Bewahren der Sensibilität zu liegen


Genau das wollte ich ausdrücken!!!
Ich hatte ein bestimmtes Bild vor Augen, gebe aber zu, dass dieses überhaupt nicht logisch durchdacht ist.

Mit gings darum, jemanden aufzuzeigen, der mit der Realität nicht mehr klarkommt. Wie gesagt, massiv sozialer Aufstieg des Ehemannes, „sie“ hat wiederum ganz andere Dinge im Sinn, wird  aber mehr oder weniger genötigt, dieses in ihren Augen total oberflächliche "Spiel" mitzumachen. In der ganzen Bandbreite.

Was bleibt ihr anderes übrig, als sich anzupassen, zu verwandeln, sich zu häuten, um „gewappnet“ zu sein.  

Ich hatte immer eine Nixe vor Augen, ein Lebewesen,  das zwei Wesen in sich vereint - darum auch der Seerosenteich… ein Wesen mit schwach schillerndem Schuppenkleid, vielleicht als Sinnbild für „Verkleidung, Maskerade,  Glimmer“, nur diesmal  in einer etwas anderen Ausführung.   

Warum mitten im Sommer?
Da fand ich den Kontrast so schön, diese kurzen Röcke und Topps mit viel nackter Haut (und Schuppen) und dann der künstlich erzeugte Schnee, Weihnachtskugeln,… all der Aufwand, und das wofür??? (ich habe solche "Events" im  Sommer schon erlebt...) auch das Frösteln, das dadurch entsteht. Frösteln für "sich unwohl fühlen in einer illustren Welt"...

Komik? (naütrlich nur aus meiner  Sicht)
Zitat:
Er blickte ihr tief in die Augen, Julias Pupillen glitten unwillkürlich ein Stückchen nach unten zum Ausschnitt seines Polohemdes, sie sah eine hellgrüne Schuppe aufblitzen, lächelte ihm verschwörerisch zu...

Vielleicht an dieser Stelle die umgekehrte Sichtweise. Normalerweise ist es doch so, dass die Augen eines Mannes nach unten gleiten…. Und natürlich die (belustigte) Freude darüber, dass sie einen „Gleichgesinnten“ erkannt hat.

Ich sehe schon, ich muss da nochmal ran,
Danke für deine Überlegungen!!
Isa
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