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Den Himmel mit Händen fassen

 
 
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madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
Beiträge: 647



Beitrag05.07.2013 15:23
Den Himmel mit Händen fassen
von madrilena
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vorschau des neuen Themas
..."den Himmel mit Händen fassen
Hallo liebe Schreibgemeinde
Ich möchte hier jetzt mein erstes Buch "den Himmel Händen fassen", nachdem ich die drei anderen ins Board gestellt habe, als letztes vorstellen. Ich weiß auch nicht, warum ich die Reihenfolge umgedreht habe, es ergab sich halt so. Die einzelnen Abschnitte sind aus meinen Lesungen.
Grüße an alle Interessierten
madrilena (Hilde)


Zuerst mal einige Pressestimmen zu meinem Buch: "den Himmel mit Händen fassen" ISBN 3-934136-30-3 erschienen im Alkyon Verlag Marbach/Neckar. Das Buch ist in allen Buchhandlungen erhältlich, allerdings muss man auf das "Verzeichnis lieferbarer Bücher", kurz VlB genannt, hinweisen, weil mein Verleger nicht über Großhändler liefert. Ebenso ist es über Amazon Peter Reimer zu bestellen und auch bei mir privat. Da ich viele Lesungen gemacht habe, und mir dadurch einen Vorrat meiner Bücher zugelegt habe, sind noch ein paar übrig.
Jetzt aber zu den Pressestimmen:[/b]

Rheinzeitung
Stefanie Rüggeberger


"Den Himmel mit Händen fassen" hält nicht am Klischee des jungen Liebespärchens fest, sondern stellt zwei gereifte Persönlichkeiten jenseits der 60 in den Mittelpunkt"

Kreishaus Bad Ems in der Reihe:
Gegen das Vergessen.
"Das Werden von Schuld erkennen"
"Tiefgründig geht es um einen existentiellen Einschnitt im Leben der Protagonistin, ihr Bemühen, die Vergangenheit völlig draußen zu lassen, gleichwohl zu ergründen, woher dieses fast unverständliche Gefühl einer Bindung an Judentum und Israel kam"


Aar-Bote
Buch Hiob: "Zum Trauergesang wurde mein Harfenspiel und mein Singen zum Weinen" – diesem Weinen auf die Spur kommen, um vielleicht neben der Schuldfrage den Weg zur Versöhnung zu erkennen – in all dem sah Hilde Möller eine Möglichkeit, den inneren Himmel zu berühren.


Nastätten
Rolf Nölle
"Hilde Möller schreibt sehr empfindsam, geht ins Detail, vermittelt Nähe. So heißt es am Schluss ihres Romans: "Die Toten leben weiter im Andenken und in der Liebe und ihre Seelen weilen im großen Irgendwo."



Den Himmel mit Händen fassen
Lesung in Berlin

....Ich möchte leben.
Schau, das Leben ist so bunt.
Es sind so viele schöne Bälle drin.
Und viele Lippen warten, lachen, glühn
und tun ihre Freude kund.
Sieh nur die Straße, wie sie steigt:
so breit und hell, als warte sie auf mich.
Und ferne, irgendwo, da schluchzt und geigt
die Sehnsucht, die sich zieht durch mich und dich.
Der Wind rauscht rufend durch den Wald,
er sagt mir, dass das Leben singt.
Die Luft ist leise, zart und kalt,
die ferne Pappel winkt und winkt.
Ich möchte leben.
Ich möchte lachen und Lasten heben
und möchte kämpfen und lieben und hassen
und möchte den Himmel mit Händen fassen
                                    Selma Meerbaum-Eisinger

(Die Dichterin wurde kurz vor Kriegsende in Auschwitz umgebracht)

1. Kapitel
Leise drang die Melodie in meinen Traum. Wie immer tauchte ich rasch und unmittelbar aus tiefem Schlaf auf. Auch heute oder vielleicht… gerade heute, obgleich der Wecker sehr zeitig geläutet hat. 4 Uhr, Freitag, der 24. Februar.
In zwei Monaten werde ich 60, schoss es mir durch den Kopf, als ich wie jeden Morgen noch vor dem Duschen und Anziehen barfuß in die Küche lief, um die Kaffeemaschine anzustellen. Im Flur standen Koffer und Reisetasche. Ich musste mich beeilen, für den Flug nach Israel sollte ich drei Stunden vor Abflug der Maschine am Flughafen sein.
Als ich den Wagen aus der Garage lenkte und durch die einsam dunklen Straßen des kleinen Dorfes fuhr, fing ich an zu singen, ich spürte nicht die Kälte des Wintermorgens, nur dieses beschwingte Gefühl der Vorfreude auf meine Reise, das mir fast den Atem benahm.
Ich dachte daran, wie es früher gewesen war. Nie gab es eigene Reisen. Ich begleitete höchstens Ulrich bei einer seiner Geschäftsfahrten. Und dann noch die Urlaube mit unseren beiden Kindern Rebecca und David. Heute lebte Rebecca in Madrid als Lehrerin an der deutschen Schule, David war Entwicklungshelfer auf den Philippinen.
Und Ulrich? Vor acht Jahren die Scheidung.
Nach der Scheidung war ich in meinen Beruf als Fotografin zurückgekehrt. Ich stürzte mich damals voller Begeisterung in die Erfahrung dieses neuen Lebens und… dachte voll Trauer an die verlorenen Träume meiner Vergangenheit.
Kurz nach Weihnachten war Mutter gestorben. Seltsam war der Brief von Kristina, den ich Wochen danach erhielt. Sie lebte die letzten Jahre mit Mutter zusammen. Im Nachlass hatte sie einen dicken, fest verschlossenen Umschlag gefunden. Er war… an mich adressiert. Im Umschlag fand ich ein Schulheft, mehrfach mit einem Band umwickelt. Immer wieder hatte ich dieses Päckchen in die Hand genommen. Hatte es hin und her gedreht. Weggelegt und wieder hervorgeholt. Und… mich doch nicht getraut, das Band zu lösen. Wovor hatte ich Angst? Was wollte Mutter von mir? Drängende Fragen und dennoch öffnete ich das Heft nicht. Vielleicht wollte ich mich im Augenblick nicht mit anderen Erfahrungen und Erinnerungen belasten.
Dann hatte ich das dünne Buch doch ganz unten in den Koffer gelegt...
Nichts hielt mich hier. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich ungebunden. Ich habe Zeit, und ich habe einen Traum. Ich will Israel kennen lernen.
Als ich durch die kalte Februarnacht zum Flughafen fuhr, fragte ich mich wieder einmal, wie schon so oft zuvor, woher dieses fast unverständliche Gefühl einer Bindung an Judentum und Israel kam. War es der dumpfe Hass des Vaters auf alles Jüdische, gegen den sich schon das Kind auflehnte? Oder… war es die Mauer des Schweigens, an der alle Fragen abprallten, die ich erst Jahre nach dem Krieg stellte? Fragen nach Judenverfolgung, Konzentrationslagern und der Verantwortung dafür?
Und doch war es gerade dieses Schweigen der Eltern, das mein Interesse wach hielt.
Erst las ich die Geschichten aus dem Alten Testament, das Schicksal Abrahams, der seinen Sohn Isaac opfern sollte. Moses einsam auf dem Berg Nebo, von dem aus er das Gelobte Land sehen konnte, ohne es betreten zu dürfen.
Oder die Geschichten über die Arche Noah. Alles viel spannender für meine Kinderphantasie, als die Gleichnisse und Bibeltexte unseres Religionsunterrichts.


Als ich älter wurde, folgten die Dichter und Schriftsteller, deren Bücher auf großen Scheiterhaufen 1933 vom Pöbel verbrannt worden waren. Hatte Franz Werfel schon Jahre zuvor mit seiner Novelle die wirren Entschuldigungen und Ausflüchte der Nachkriegszeit vorweggenommen, als er ihr den Titel gab. „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig?“
Bis ich wieder zum Alten Testament zurückkehrte, zum Buch Hiob: „Zum Trauergesang wurde mein Harfenspiel, mein Flötenspiel zum Klagelied und mein Singen zum Weinen.“
Diesem Weinen auf die Spur kommen, um endlich nicht mehr nach verschwiegener Schuld fragen zu müssen?



_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
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Beitrag05.07.2013 15:41

von madrilena
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hier ist der zweite Teil des ersten Kapitels von "[b]den Himmel mit Händen fassen" Es war so viel Text mit den Pressestimmen, deshalb habe ich das Kapitel geteilt
LG madrilena

1. Kapitel zweiter Teil

Auf dem Frankfurter Flughafen wurde ich nach der deutschen Passkontrolle in einen von Israelis kontrollierten Seitenbau geführt. Überall Soldaten mit Maschinengewehren. Junge Frauen und Männer bei den Kontrollen. Ein Kreuzfeuer von Fragen prasselte auf die Reisenden nieder.
„Grund Ihrer Reise?“
Fast hätte ich erwidert. „Sehnsucht nach Israel.“
 „Wohin reisen Sie in Israel?“
Ich habe kein bestimmtes Ziel, ich fange bei Tel Aviv an und höre bei Eilat auf, hätte ich antworten mögen.
„Haben Sie Freunde in Israel?“
Nein, noch nicht! Aber hoffentlich kann ich in einem Monat anders antworten.
„Wer hat Sie an den Flughafen gebracht?“
Niemand, es ist ganz allein meine Reise.
„Haben Sie Ihre Koffer selbst gepackt?“
Aber natürlich. Und ich war sehr bemüht, die Vergangenheit völlig draußen zu lassen. Völlig…? Mir fiel das Heft meiner Mutter ein, aber das war jetzt nicht wichtig.
Geduldig beantwortete ich die Fragen, wenn auch nicht mit den Worten, die mir durch den Kopf gingen.
Und versuchte aufkommende Panik im hässlich-kahlen Warteraum zu unterdrücken, der wiederum streng von bewaffneten Soldaten bewacht war. Auch das schien Israel zu sein. Vielleicht… war es gut, dass ich schon zu Anfang der Fahrt die Wirklichkeit kennen lernte.

Ich suchte mir meinen Fensterplatz im Nichtraucherteil des Flugzeugs. Hoffentlich bekam ich keine aufdringliche Nachbarschaft. Der Flieger war nicht voll besetzt, und der Herr, der sich in meine Reihe zwängte, konnte den Platz zwischen uns freilassen. Er sah gut aus mit seinem weißen Haar und dem weißen gepflegten Vollbart.
‚Warum er wohl nach Israel fliegt‘, dachte ich flüchtig, aber im Grunde interessierte es mich wenig. Ich vergrub mich in meinen Sitz. Ertrug den erstickenden Moment, als die Maschine steil an Höhe gewann und mich tief gegen die Rückenlehne presste.
Wir überflogen Frankfurt und stießen in den von Großstadtlichtern erhellten Himmel.
„Waren Sie schon einmal in Israel?“ Die Stimme schreckte mich aus meinen Wachträumen auf. Nun hatte er doch die Grenze des leeren Sitzes zwischen uns überschritten.
Na gut, small talk, damit verging die Zeit schneller.
„Nein, ich fliege zum ersten Mal dorthin.“ Unwillkürlich fühlte ich mich an die Befragung auf dem Flughafen erinnert.
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche. Darf ich mich vorstellen? Jonas Ben-Yadin. Der Flug vergeht schneller, wenn wir uns ein wenig unterhalten.“ Seine Stimme war angenehm dunkel und warm.
„Ich bin Sophie Wenger.“ Ein bisschen knapp, diese Vorstellung, aber mehr erschien mir unnötig. Allerdings freute ich mich, dass sein Name jüdisch klang. Möglicherweise konnte er mir über Israel erzählen. Ich entschloss mich, das Gespräch nicht gleich wieder versanden zu lassen.
“Und Sie, wohnen Sie in Israel“?, fragte ich halbwegs interessiert.
„Nein, in London. Aber einmal im Jahr mache ich hier einen langen Urlaub.“
Daher also der leichte englische Akzent in seiner Sprache!
Er schien zu überlegen, bevor er langsam weiter sprach. „Leben ist in diesem Land sehr schwer. Ich bin einer der Juden in der Diaspora. Vielleicht… weil ich Schriftsteller bin. Israel ist so fordernd und unmittelbar, dass ich da nicht schreiben kann. Aber“, seine Stimme wurde fast weich, „zurückkehren muss ich immer wieder zu diesem ausgetrockneten Flecken Erde.“
Das konnte ich verstehen. Das waren Empfindungen, die ich – zwar noch nicht aus der Begegnung mit Israel – wohl   aber aus den langen Jahren meiner Sehnsucht kannte. Sehnsucht, geweckt durch die Auflehnung gegen den Vater. Durch den Wunsch, keine Kompromisse mehr zu schließen. Wissen zu wollen.
Leise antwortete ich: “Ich glaube, es ist viel mehr als nur ein ausgetrockneter Flecken Erde. Ich kenne Ihr Land nicht, aber...“ ach was, das ging ihn doch gar nichts an. Ich hatte plötzlich das Empfinden, als ginge diese Unterhaltung über small talk hinaus, deshalb beendete ich den Satz ein wenig lapidar, „das wird sich ja jetzt ändern.“
Er schaute mich erstaunt an. Sein Gesichtsausdruck verriet seine Verwunderung über meinen plötzlichen Rückzieher. Achselzuckend entnahm er aus einer Umhängetasche ein Buch. Ich konnte mit einem raschen Blick den Titel erkennen. „Wann, wenn nicht jetzt?“
Wir wechselten auf dem restlichen Flug noch ein paar Höflichkeitsfloskeln. Aber die zaghafte Vertrautheit, die ich bei seinen wenigen Worten über Israel und ihn selbst empfunden hatte, war verflogen.
Als wir uns am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv verabschiedeten, war ich erleichtert, aus der Nähe dieses Mannes wegzukommen, der mich, mir selbst verwunderlich, stark beeindruckt hatte.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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madrilena
Klammeraffe

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Beitrag06.07.2013 11:30

von madrilena
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Szenenwechsel
Zur Erklärung gebe ich vor den Kapiteln immer einige Stichworte:(Sophie begegnet Jonas doch wieder und zwar am Strand von Tel Aviv und als er von ihren Plänen hörte, allein nach Jerusalem zu fahren, war er so entsetzt, dass er ihr den Vorschlag machte, diese Fahrt mit ihm zusammen im Auto zu machen. Nach anfänglichem Zögern nimmt Sophie den Vorschlag von Jonas an. Wir treffen jetzt beide wieder in Tiberias. Auf dieser Fahrt nach Tiberias erzählt Sophie Jonas von dem mysteriösen Brief ihrer Mutter)

Am nächsten Morgen stand ich schon vor sechs Uhr auf dem kleinen Balkon meines Zimmers. Den Sonnenaufgang, den Jonas so bildhaft beschrieben hatte, wollte ich nicht versäumen. Ich wunderte mich wieder einmal, dass ich solche Worte, wie er sie gestern für den Sonnenaufgang über dem See Genezareth benutzt hatte, nicht übertrieben fand. Gefühlsäußerungen waren mir in den letzten Jahren so fremd geworden.
Ein leichter Wind hatte sich erhoben, der auf der Oberfläche des Wassers kleine, verspielte Wellen aufbaute. Langsam stieg der Sonnenball über dem Horizont auf. Färbte den Himmel in Rot und Blau, die Ränder kleiner Wolken leuchteten golden. Die Luft flimmerte in Farben und vergaß ihre nüchterne Lebensnotwendigkeit. Erste Sonnenstrahlen glitten zögernd über den See.
Das Wasser schien zu brennen und aus der Morgendämmerung stiegen die Hügel Tiberias zu beiden Seiten des Hotels empor. Die Hochhäuser konnte ich von meinem Balkon aus nicht sehen. Tiberias wurde für mich zu dieser Stunde zu dem Fischerdorf von vor zweitausend Jahren. Malerisch an diesem biblischen See gelegen.
Lange blieb ich auf dem Balkon stehen. In den Anblick der aufsteigenden Sonne versunken. Gefangen vom Wechselspiel der Farben. Ein leichter Dunst über der Landschaft verstärkte die verträumte Unwirklichkeit der morgendlichen Stimmung.
Endlich wandte ich mich ins Zimmer zurück und holte den Brief  meiner Mutter aus der Schublade meines Nachttisches, wo ich ihn gestern sorgsam aufbewahrt hatte. Langsam öffnete ich den Umschlag und löste das Band, das um das Heft geschlungen war. Auf einem kleinen weißen Schild stand "für Sophie".
Es war die steile Handschrift meiner Mutter. Ein Schatten wehte mich an, und ich meinte, ihren vertrauten Geruch zu atmen. Nun war sie schon monatelang tot und ich saß heute auf einem Balkon in Israel und hielt eine Botschaft von ihr in Händen...
Entschlossen öffnete ich das Heft. Auf der ersten Seite stand nur ein Datum, Mai 1990 und wieder "für Sophie".
Warum hatte sie gerade damals an mich geschrieben? Und warum hatte sie mir das Heft nicht persönlich übergeben? Wie viel Geheimnistuerei. Fast ärgerte ich mich. Aber dann siegte die Neugier. Und ich fing zögernd an zu lesen.


FORTSETZUNG FOLGT


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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madrilena
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Beitrag06.07.2013 14:07

von madrilena
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Und hier jetzt der erste Brief der Mutter - Briefe, die Sophies Leben völlig verändern werden.
LG madrilena


"Liebe Sophie, wenn Du diese Zeilen liest, werde ich bereits tot sein. Ich bat Kristina, Dir das Päckchen erst nach meinem Tod zu schicken. Warum? Vielleicht habe ich Angst davor, Rechenschaft ablegen, Fragen beantworten zu müssen. Vielleicht habe ich überhaupt Angst davor, mit Dir zu sprechen. Nähe zu meinen Kindern war mir nie gegeben. Heute tun mir diese Worte nicht mehr weh. Ich habe gelernt, mich zu akzeptieren. Vor allem weiß ich, dass ich nichts mehr ändern kann.  Aber es gibt Dinge, die möchte ich regeln, solange es nicht zu spät ist. Noch fühle ich mich, Gott sei Dank, im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte. Klingt das zu juristisch? Soll es wohl auch, damit Du eines Tages, wenn Du diese Zeilen lesen wirst, weißt, alles, was ich Dir hier mitteile, ist mir auch heute noch in allen Einzelheiten gegenwärtig. Ich erinnere mich daran, als sei es vor kurzem gewesen. Du weißt, alte Menschen erinnern sich eher an etwas lang Vergangenes als an das Telefongespräch von gestern. Ich bitte Dich, mir jedes Wort zu glauben. Du wirst mich vielleicht von einer Seite kennen lernen, die Du nie bei mir vermutet hast. Ich bitte Dich nicht um Verzeihung, noch nicht einmal um Dein Verständnis. Ich möchte nur ein wenig von Deiner Zeit. Denn was ich jetzt niederschreibe, habe ich noch nie jemandem gesagt, es betrifft nur Dich und mich."

Ein Klopfen an der Tür unterbrach mein Lesen.
Warum war ich nur so beunruhigt über diese paar Worte von Mutter? Das war nicht die energische Frau, die ich gekannt und nach deren Liebe ich mich so gesehnt hatte.
Dieser Brief sollte entschlossen und überzeugt klingen. Für mich war er eher ein Hilferuf.
Wieder klopfte es leise an die Tür. "Sophie, sind Sie schon auf? Ich möchte einen Morgenspaziergang machen. Gehen Sie mit?“
Jonas Stimme drang in meine Gedanken. Verwirrt kehrte ich in die Gegenwart zurück.
"Ja, ja… ich bin schon fertig, ich komme gleich."
Ich legte den Umschlag wieder zuunterst in die Schublade. Ich verstand jetzt mein wochenlanges Zögern. Meine Mutter sollte nicht in dieses Heute eindringen. Wo war denn das leichte, fliegende Gefühl der Freiheit geblieben
Rasch öffnete ich die Tür.
Jonas sah mich bestürzt an. "Was ist denn mit Ihnen los? Schlecht geschlafen? Alpträume?"
"Nein, nein", wehrte ich fast heftig ab. "Es ist nichts. Ein Morgenspaziergang ist gerade richtig."
So schnell ließ er sich nicht abweisen: "Sie haben den Umschlag Ihrer Mutter geöffnet?"
"Ja"
"Wollen Sie  darüber sprechen?"
"Nicht jetzt, Jonas. Lassen Sie uns gehen.“
Wie selbstverständlich hakte er sich jetzt bei mir ein. Wir gingen die Hashomer Straße hinunter und kamen über die Wingate Straße wieder auf den Weg zum Hotel. Kein Mensch begegnete uns. Eine sanfte Ruhe lag über dem Viertel. Wir redeten nicht viel. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Doch unversehens wurde mir bewusst, dss ich mich auf eine Nähe einließ, die mich erschreckte. Wann hatte mir zum letzten Mal körperliche Berührung so gut getan?  
Eine seltsame Sehnsucht war in mir. Fremd und heiß. Ein flüsterndes Begehren. Mein Körper erinnerte sich. Geruch nach Haut und Schweiß. Berührung. Ob… Jonas das gleiche empfand?
Abrupt machte ich mich von ihm los.
Zärtlich seine Stimme. "Keine Angst haben, Sophie. Wenn wir uns deshalb getroffen haben, geschieht es doch, ob Sie sich wehren oder nicht."
Mir wurde schwindlig. Eigentlich hatte ich geglaubt, mit fast 60 Jahren sind solche Gefühle doch nicht mehr erlebbar
"Jonas, ich bin fast sechzig! Habe ich Ihnen das noch nicht gesagt?"
"Eine sehr lebendige Sechzigjährige", entgegnete er lachend. "Machen Sie einen Unterschied zwischen Mann und Frau? Ich bin immerhin acht Jahre älter als Sie."
"Nein, das nicht." Ich antwortete sehr bestimmt. Zögerte dann doch. Wie viel Persönliches vertrug unsere Begegnung schon?
Leise bekannte ich: „Älterwerden ist für mich nicht problematisch Außerdem fühlte ich mich eigentlich immer jung.“
Er unterbrach mich. "Ja und! Fühlen Sie sich jetzt etwa alt?"
"Nein!" Ich zauderte. Wusste nicht, wie ich ihm meine Gedanken erklären sollte. Erst fünf Tage kannte ich ihn! Einfach unfassbar. Ich hatte in dieser kurzen Zeit eine innere Lebendigkeit wieder entdeckt, die ich verloren geglaubt hatte.
Entschlossen gab ich  mir einen Ruck:
"Nein, das ist es doch, was mich manchmal so wundert! Ich fühle mich so jung. Seit die Kinder aus dem Haus sind, denk’ ich sogar manchmal, ein neues Leben hätte begonnen. Natürlich hatte ich mit den Kindern auch ein Leben. Aber… es gehörte mir nur zum Teil."
Ich strich mir die Haare aus der Stirn. "Verstehen Sie? Neben der Liebe immer auch Verpflichtung und Forderung. Das engt ein.“
Ich hielt ein wenig atemlos inne, bevor ich weiter sprach. "Und heute stelle ich mir manchmal vor, ich brauchte nur die Arme auszubreiten, und könnte davonfliegen. Schwerelos. Ungebunden. Getragen von der Luft und meinen Wünschen. Aber dann… schau ich zufällig in den Spiegel und falle unbarmherzig auf die Erde zurück," ich lachte, "denn aus dem Glas schaut mich eine alte, nein, keinen Einwand, zumindest eine ältere Frau an und lächelt ziemlich spöttisch über mich. Und das ist noch nicht alles."
Wir gingen schweigend weiter, bis ich mich ihm wieder zuwandte. „Jonas, ich spreche so viel von mir, aber Sie sind sehr still geworden.“
Er war seltsam ernst, als er antwortete. "Wissen Sie überhaupt, wie viel Sie mir geben? Seit meine Frau tot ist, habe ich nie mehr mit irgend jemandem so geredet. Und nun kommen Sie und sprechen. Haben Vertrauen zu mir!  Unfassbar!“
Vertrauen? Warum fiel mir plötzlich der Brief ein? Ich wusste einfach, dass nach dem Lesen dieser Nachricht meiner Mutter mein Leben nicht mehr das gleiche sein würde. Ich konnte mir nicht erklären, woher ich diese Sicherheit nahm.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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madrilena
Klammeraffe

Alter: 87
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Beitrag08.07.2013 07:32

von madrilena
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Einen recht schönen Guten Morgen. Bei Sophie und Jonas in "den Himmel mit Händen fassen" geht es jetzt in meinem Lesetext, den ich bei den verschiedensten Lesungen vortrage, folgendermaßen weiter
Ich wünsche allen eine harmonische, stressfreie Woche
LG madrilena



Szenenwechsel
Es war Tage später: Ohne uns abgesprochen zu haben, bestellten wir auch heute Abend im Hotel wieder einen Drink und trafen uns auf Jonas' Balkon. Ich hatte mir aus meinem Zimmer eine Jacke geholt und spontan Mutters Heft eingesteckt. Ich wollte zusammen mit Jonas weiter lesen. Ich spürte eine eigentümliche Verbindung zwischen uns, so dass ich keine Scheu mehr davor empfand, diese Zeilen mit ihm zu teilen.
Als ich ihm das sagte, war das Aufleuchten in seinen Augen Antwort genug. Ich nahm das grüne Heft zur Hand und fasste mit wenigen Sätzen den Anfang des Briefes zusammen.
Er unterbrach mich: „Sind Sie wirklich sicher, dass Sie mir vorlesen wollen?“ Zögernd fuhr er fort: „Kann es nicht sein, dass Ihnen Ihre Mutter Dinge mitteilen wollte, die sie nicht mit in den Tod nehmen konnte. Und wenn Sie dann Ihr Vertrauen zu mir bereuen? Wird es nicht unser Zusammensein überschatten?"
Ich schaute nachdenklich auf die Lichter Tiberias. Am Horizont stieg langsam die zunehmende Sichel des Mondes auf. In wenigen Tagen würden wir Vollmond haben. Vielleicht… Vollmond über Jerusalem.
Leise fragte ich. "Haben Sie daran gedacht, Jonas, wie lange wir auf dieser Reise zusammen sein werden?“
"Wollen Sie mir nicht meine Frage beantworten", wunderte er sich.
"Das war eine Antwort. Ich wollte Ihnen sagen, dass ich nicht das Risiko eingehen möchte, dass die Geschichte meiner Mutter uns die Wochen, die uns bleiben, begleitet. Immer vorausgesetzt, dass Sie das überhaupt wollen."
"Ach Sophie, das ist doch nicht die Frage", antwortete er fast ungeduldig. Und dann zärtlich. "Sie wissen es doch auch längst, wir mussten uns begegnen. Dazu gehört alles, was den andern berührt. Sie sollen nur nicht eines Tages bereuen, Grenzen weggewischt zu haben, die Sie vielleicht niemals überschreiten wollten. Und... noch etwas: hätte denn Ihre Mutter nicht gewollt, dass Sie diese Blätter allein lesen"? , schloss er.
"Meine Mutter?" Ich lachte auf, aber es war kein frohes Lachen. "Ich glaube, ich habe meine Mutter sehr geliebt. Ich habe mich so nach ihr gesehnt. Sie war immer sehr stolz darauf, unsere Freundin zu sein. Dabei wollte ich keine Mutter-Freundin."
Ich hielt inne, als müsste ich die nächsten Worte sehr gut überlegen. "Mir gegenüber spürte ich oft von ihrer Seite eine Art… Schuldgefühl. Ich weiß nicht, ob es das richtige Wort ist. Ich hatte manchmal das Empfinden, als wollte sie etwas an mir gutmachen. Nachts, wenn sie dachte, dass ich schlief, nahm sie mich oft besonders zärtlich in den Arm. Aber… immer irgendwie versteckt. Und nun diese Lebensbeichte. Ja, ich weiß, es wäre am besten, ich würde einfach vorlesen, alles andere wird sich wohl von selbst ergeben. Aber ich muss Ihnen die Art meiner Mutter erklären. Nur so können Sie verstehen, warum ich Angst vor den Eröffnungen habe.“
Er stand auf und trat an die Balkonbrüstung. Seine Gestalt hob sich dunkel gegen den Abendhimmel ab. Er sah auf die Lichter der Stadt. Nach einer Weile meinte er.
„Ich muss an die Zeit denken, als es niemand in Israel gewagt hätte, nachts im Haus Licht anzumachen, ohne zuvor alle Fenster und Türen hermetisch verdunkelt zu haben. An meine Angst vor der Ungewissheit, wenn ich nachts allein in  irgendeinem Camp an der jordanischen Grenze Wache schob. Es ist schon so lange her, und doch fühle ich noch die Bedrohung aus dem Dunkel, das Unfassbare, das überall zu lauern schien. Wahrscheinlich geht es Ihnen jetzt ähnlich.“
Erneut überraschte mich seine selbstverständliche Offenheit. Es war eine Erfahrung, die ich noch nie gemacht habe. Und wieder benahm mir die Zärtlichkeit, die mich überkam, fast den Atem. Ich konnte auf seine Worte nicht antworten, deshalb schlug ich nur das Heft auf und fing an zu lesen.

SZENENWECHSEL erklärender Zwischentext
Die Mutter hatte in vorherigen Teilen des Briefes von ihrem Mann, dem gegenseitigen Kennenlernen, der Heirat und ihrer großen Enttäuschung in dieser Ehe geschrieben. Jetzt geht der Brief folgendermaßen weiter:)



Ich fing einige Monate nach Kristinas Geburt wieder mit meinem Tennisspiel an.
Eines Tages wurde meine Tennispartnerin und beste Freundin Johanna von einem jungen Mann begleitet. Später stellte es sich heraus, dass er gebürtiger Wiener war. Yoshua, so hieß Johannas Bekannter, war auf Besuch in Stuttgart. Wir verliebten uns sofort und mit einer ungeahnten Heftigkeit ineinander. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich überhaupt solcher Gefühle fähig wäre. Erst jetzt wusste ich, wie Liebe sein konnte, und was ich bei Wilhelm  nie empfunden hatte. Vor mir tat sich eine mir völlig unbekannte Welt auf und verschloss sich sogleich wieder. Denn neben mir trippelte meine zweijährige Tochter, am Ende der Tennisstunde wartete mein Mann auf mich, und hier stand Yoshua. Ich weiß, dass ich immer der Meinung gewesen war, Gefühle können einem nicht "geschehen", mit gutem Willen sei jede Situation zu meistern. Ach, Sophie, wie sehr irrte ich, und wie verzweifelt wehrte ich mich gegen diesen Ansturm. Es war, als würden Ursache und Wirkung ineinander stürzen. Als gäbe es keinen Anfang. Oder besser gesagt, vor dem Anfang bereits das Ende. Wir hatten kaum miteinander gesprochen. Wenn sich unsere Hände aus Versehen berührten, traf es uns wie ein Schlag. Ich muss es so schreiben, mag es auch übertrieben klingen. Kannst Du Dir vorstellen, welches Durcheinander in die Welt der unmündigen und irgendwie auch lebensfernen jungen Frau einbrach? Und wie schnell sie erwachsen wurde? Denn ich wehrte mich nicht lange. Wir trafen uns jeden Tag. Meine Freundin hatte sofort unsere Situation erkannt und ermöglichte mir die Treffen, da sie Wilhelm aus tiefstem Herzen ablehnte. Wilhelm war völlig unwissend. Es wäre ihm gar nicht in den Sinn gekommen, dass ein anderer Mann seine Friederike lieben könnte. Und noch viel weniger, dass ich solche Gefühle überhaupt erwidern konnte.

Ich hatte mit leiser Stimme gelesen. Jetzt ließ ich fassungslos das Heft sinken! „Meine Mutter! Eine Liebesgeschichte? Aber warum schreibt sie mir das alles? Das war ihr Leben. Sie braucht mir doch keine Rechenschaft abzulegen. Es geht mich nichts an, und… ich will es auch gar nicht wissen.“  Ich wandte mich an Jonas, fragte beinahe hilflos „ Verstehen Sie das, Jonas?"
Er hatte sehr aufmerksam zugehört. Jetzt legte er den Arm um meine Schultern, als wollte er mich halten.
"Ich weiß nichts von Ihrer Mutter. Sie sollten weiter lesen, weil die Antwort auf Ihre Fragen nur in diesem Brief liegen kann.“


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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Beitrag08.07.2013 17:27

von madrilena
pdf-Datei Antworten mit Zitat

(Sophie und Jonas fahren von Tiberias aus gemeinsam nach Jerusalem. Sie haben mittlerweile zum „Du“ gefunden,)


SZENENWECHSEL
Früh am nächsten Morgen verließen wir Tiberias. Wir fuhren am Jordanfluß entlang, der sich in winzigen Kurven und Kehren durch die Landschaft schlängelte.
Jonas hatte meine Hand ergriffen. "Es sind die fünfzehn schönsten Kilometer vom Jordan. Danach ist er von Stacheldraht umgeben. Nur das Militär hat noch Zutritt zu seinen Ufern."
"Habt ihr denn keinen Frieden mit Jordanien?"
"Ach, Sophie, was ist denn schon Friede in diesem Land? Wir fahren gleich durch ein Gebiet voller Kriegsruinen. Zerschossener Häuser. Ausgebrannter Panzer und ehemaliger Kriegsschauplätze. Du kannst noch nicht einmal die Straße verlassen, weil überall Minen vergraben sind. Reste der letzten Kriege. Welch ein Land, wo Panzer Denkmäler sind. Und dabei kann ich mein Land sogar verstehen. Jahrtausendelang haben sie sich wie die Lämmer zur Schlachtbank führen lassen, als hätten sie keine andere Wahl gehabt. Aber heute… heute hat Israel eine Wahl. Selbst wenn sie bedeutet, dass seine Menschen wie in einem Militärlager leben. So lange sie bis an die Zähne bewaffnet sind, fühlen sie sich sicher vor Verfolgung und Mord.“
Ich konnte ihn so gut verstehen. "Es muss furchtbar sein, erwählt zu sein. Immer zwischen Tod und Untergang zu leben. Das erwählte Volk! Ich frag mich wirklich, woher du deinen Glauben hast. Gott ist doch ungerecht zu seinem Volk, falls es das jüdische Volk ist."
"Ungerecht? Ich staune immer wieder, für was Gott alles verantwortlich gemacht wird. Er hat uns doch unseren Geist mitgegeben. Und du bist nicht die einzige, die so was fragt, vor allem seit Auschwitz.“
Wir schwiegen. Jeder in sich selbst vertieft.
Als wir weiterfuhren, tauchten unerwartet in dieser Landschaft die Türme eines Klosters auf. Es schien an der gegenüberliegenden Felswand zu kleben. Weiß leuchteten seine Mauern. Blau die Kuppeln. Unerreichbar für jeden Eindringling. Ein steiler Abgrund trennte die Mauern von ihrer Umwelt. Mir entfuhr ein Ausruf der Überraschung. Auf diesen Anblick war ich nicht gefasst. Wir hielten an... stiegen aus. Totenstille lag über der Ungeheuerlichkeit der Wüste. Nur manchmal das Poltern eines Steines, der sich unter unseren Sohlen löste und in die Tiefe stürzte. Wieder fasste ich nach Jonas. Meine Ergriffenheit konnte ich nur durch Berührung ertragen.
"Das St. Georgskloster," erklärte er. "Über tausend Jahre war es zerstört. Komm, wir setzen uns hierhin. Wir haben ja noch viel Zeit. Bis Jerusalem ist es nicht mehr weit.“
‚Eine seltsame Behauptung’, dachte ich, denn in der leeren Weite deutete nichts auf die Nähe einer Stadt hin.
Vorsichtig suchten wir uns einen festen Halt und setzten uns auf den weißen Kalksteinboden.
Schweigend ließen wir die Zeit verstreichen.
Es war mir, als strömten meine Gedanken ohne Worte. Meine Gefühle ohne Höhen und Tiefen. Ein schwebender Zustand der völligen Losgelöstheit. Plötzlich erschallte vom Turm des Klosters wie aus unirdischer Ferne der dünne Ton einer Glocke zu uns herüber.
"Findest du es seltsam, dass ich mir vorstellen kann, in einer solchen Einsamkeit zu leben?" Ich hatte geflüstert. Als sollten meine Worte nicht das Schweigen der Wüste brechen.
Und dachte: ‘Jeder hat eine Landschaft, die zu ihm passt. Für mich ist es die Wüste. Ob Jonas das verstehen kann?
Auch seine Stimme war sehr leise, als er jetzt antwortete.
"Mein Gott, Sophie, du bist so erfüllt von Lebenserwartung. Du hast vor Tagen von einem zweiten Leben gesprochen. Glaubst du, du könntest es hier verwirklichen? In dieser Endlosigkeit aus Stein, Hitze und Leere?"
"Ich weiß es nicht. Ich stelle es mir als endgültige Selbstfindung vor. Wobei das eigene Ich gar keine Rolle mehr spielt. Wo nichts Äußerliches mehr wichtig ist.“
Er nickte. Antwortete aber nicht.
Ich versuchte, Klarheit in meine Gedanken zu bringen. Ich wollte ihm unbedingt sagen, was ich empfand. Warum die Einsamkeit mich mit seltsamer Verführung anzog.
Doch dann wischte ich alle Grübeleien beiseite und wandte mich Jonas zu.
"Vielleicht hast du Recht…. Wollen wir hier das letzte Kapitel des Briefes lesen? Möglicherweise kann ich dann verstehen, warum ich so lange angelogen worden bin.“
Fast stolz blickte er mich an. "Du hast Mut, das finde ich toll. Ich wollte dich nicht danach fragen. Aber ich glaube, es ist ein guter Augenblick, um auch noch das Ende zu lesen.“
Ich nahm das Heft aus der Tasche. Ich hatte mir angewöhnt, es ständig bei mir zu tragen. Ich empfand es wie ein Testament, das Testament meiner Mutter für mich. Wie hatte sie am Anfang geschrieben: „es betrifft nur dich und mich“. Verwirrt schaute ich Jonas an.
"Mir ist fast andächtig zumute. So als würde die Tote bei uns sein. Darf ich noch etwas sagen, was mir gerade eingefallen ist, ohne dass du lachst?"
"Mut und Unsicherheit, bei dir liegen beide sehr nah beieinander. Ein bisschen kennst du mich doch schon, ich lache nicht über etwas, das dir wichtig ist.“
"Danke. Ich habe das Gefühl, als könnte meine Mutter keine Ruhe finden, bis ich diesen Brief zu Ende gelesen habe. Ich denke manchmal an sie wie an einen Menschen in Ketten, verstehst du? Die Hände und Füße sind gefesselt, und es ist mir", nun zögerte ich doch, bevor ich ganz leise hinzufügte "es ist, als würde sie mich anflehen, ihr endlich Frieden zu geben."
Ich begann zu lesen, und es war, als hallte meine Stimme von den weißen, heißen Felswänden wider, durcheilte das Tal der Todesschatten und stieg in die dicken Klostermauern hinab.


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Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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madrilena
Klammeraffe

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Beitrag09.07.2013 08:52

von madrilena
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Hier die Fortsetzung des Briefes der Mutter von Sophie aus dem Buch "den Himmel mit Händen fassen"
Ich wünsche einen wunderschönen Sommertag


Brief der Mutter
Du wirst jetzt mit einigem Recht fragen, warum ich mich nicht scheiden ließ? Religiöse Gründe waren es gewiss nicht. Der Gedanke an Scheidung war mir schlicht unvorstellbar. Ich hatte ein Kind. Ich hatte einen Mann, der mich liebte. Welche Scheidungsgründe hatte ich denn?
Und dann kam noch etwas dazu, was für mich völlig unwichtig war, nicht aber für unsere Zeit. Das war die Angst. Yoshua war Jude. Noch gab es keinen offenen Antisemitismus. Aber es gab die unheimliche Drohung, die man empfand, aber nicht in Worte fassen konnte. Hitler hatte im Januar 33 die Macht als Reichskanzler ergriffen. Wer hatte denn schon sein Buch "Mein Kampf" gelesen? Und dabei stand darin sein ganzes entsetzliches Programm. Am 22. März, hörst Du Sophie, nur knapp drei Monate nach seiner Wahl wurde das KZ Dachau errichtet. Und im April kam bereits ein Gesetz heraus, das jüdische Beamte aus dem Öffentlichen Dienst entfernte. Aber was kümmerte es mich, welchem Glauben Yoshua angehörte? Doch ich spürte diese Zeit der äußeren Unsicherheit, sie ließ mich zittern. Andererseits zählte für mich nur, dass Yoshua mein Geliebter war. Vielleicht sollte ich das dennoch nicht meiner Tochter schreiben. Aber, liebes Kind, ich bin jenseits von jeder Scham. Das war mein Leben, und heute stehe ich dazu.  
Siehst Du, und jetzt ist es mir doch wichtig, dass Du mich verstehst. Am Anfang schrieb ich Dir, ich wollte nur Deine Zeit. Ich weiß Kind, das war wieder einmal Selbstbetrug. Denn selbstverständlich möchte ich Dein Verständnis. Gerade von Dir ist es mir so wertvoll.

Nach ein paar Minuten ließ ich erschüttert das Heft sinken.
"Jonas, das erscheint mir alles wie ein grausiges Gespenst, das plötzlich hinter Vorhängen auftaucht, die vor der Vergangenheit zugezogen waren."
Jonas antwortete nicht. Er hatte den Kopf in beide Hände gestützt, als lauschte er der Stimme der Toten, die aus diesen Zeilen sprach. Lange saßen wir so, bis Jonas vorsichtig fragte: "Willst du weiter lesen? Wir haben noch Zeit. Deine erste Begegnung mit Jerusalem soll im Abendlicht sein."
"Gut!" Mühsam kehrte ich in die Gegenwart zurück. "Es sind nur noch ein paar Seiten.
Meine Stimme zitterte, als ich wieder anfing zu lesen:

Und dann geschah doch das Unfassbare. Ich glaube, es gibt Geschehnisse in unserem Leben, die wir nie überwinden können. Sie begleiten uns, zuerst stündlich und täglich und dann sind sie irgendwann schattenhaft  Teil unseres Selbst geworden.
Es war im Januar 1942, morgens gegen zehn Uhr. Es schellte, vor der Tür die SS . In seinem Zimmer heulte dein Bruder  Christoph. Im Radio spielten sie einen Walzer von Johann Strauss.“


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madrilena
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Beitrag09.07.2013 22:46

von madrilena
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Fortsetzung
Den Brief der Mutter setze ich jetzt nicht weiter hier rein, um Ihnen die Spannung beim eventuellen Lesen des Buches nicht vorher schon zu nehmen.
madrilena

Jonas saß wie erstarrt. Dann spürte ich seine Arme. Er umschlang mich, wiegte mich wie ein kleines Kind.
Viel später erst sagte er: „Arme Sophie, musstest du das alles erfahren? Warum hat deine Mutter nicht für immer geschwiegen.“
Er zögerte, überlegte. „Nein, das wäre schlimmer gewesen… Du musstest erfahren, was wirklich geschah.“
Seine Worte erreichten mich nicht wirklich. Sie umgaben mich wie hörbare Stille. Erst langsam wurde ich mir wieder meiner Umgebung und der Wärme von Jonas’ Nähe bewusst. Die Zeit war für mich stehen geblieben. Ich spürte die Leere der Wüste. Ihre Kargheit war für mich zu einem Ort der Wahrheit geworden. Es gab keinen Fluchtpunkt in ihr, an dem ich mich festhalten konnte. Ich musste mich meinen eigenen Gedanken und Gefühlen stellen. Und… fühlte mich entsetzlich verloren.
Nach einer Weile war es Jonas’ Stimme, die diese Verlorenheit durchdrang.
"Der Tod von Yoshua steht für so viele Tode.
Seine Stimme klang jetzt beinahe prophetisch. "Auschwitz wird - wie die Stätten des frühen Judentums - für alle Zeit mit dem jüdischen Volk in Verbindung gebracht werden.
Yoshua ist ein Teil dieses Leides, und um das nicht allein ertragen zu müssen, bist du nach Israel gekommen. Ich glaube, wenn du das, was in diesem Brief gesagt wird, annehmen kannst, wirst du dankbar sein."
"Dankbar?" Abrupt hatte ich mich von ihm gelöst. "Für was denn? Für das Leid? Für den Verrat? Für die Ermordung Yoshuas?
"Sophie, erinnerst du dich, du hast einmal gesagt, du seist als Suchende gekommen. Ich glaube, alles musste so geschehen, wie es geschehen ist. Vorbestimmung ist doch nicht unbedingt nur positiv.“
Ich schaute auf das nahe und doch so ferne Kloster St. Georg. Blickte über die hellen Wüstenhänge. Verlor mich einen Augenblick in der Endlosigkeit des Himmels, bevor ich mich Jonas zuwandte.
"Ich kann dir nicht folgen. Begreifst du denn nicht, es geht um Verrat und Mord. Ich habe das Urbild des Nazis kennen gelernt. Und die haben nicht nur die Juden, Russen oder Polen zu Untermenschen erklärt und ausgelöscht. Was haben sie denn mit meinem eigenen Land gemacht? Sie haben in nur zwölf Jahren Deutschland in diesen Abgrund der Unmenschlichkeit gerissen. Das erschüttert mich. Es macht mich aber auch grenzenlos wütend. Ich muss mich heute dafür entschuldigen, eine Deutsche zu sein! Hier, in deinem Land, habe ich mich nicht gewagt, deutsch zu sprechen! Das ist ein furchtbares Empfinden. Und immer wieder die bohrende Frage. Wie konnte das geschehen?“
Er schaute mich grübelnd an. „Es muss ein schreckliches Erbe sein, unschuldig verantwortlich gemacht zu werden für eine Vergangenheit, die einen immer wieder einholt. Vielleicht ist es für mich wirklich schwer, zu begreifen. Mein Volk war immer das verfolgte. Es ist irgendwie leichter, sich damit zu identifizieren.“


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madrilena
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Beitrag10.07.2013 10:33

von madrilena
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Hier eine weitere Fortsetzung im Lesungstext meines Buches "den Himmel mit Händen fassen" erschienen im Alkyon Verlag /Marbach ISBN 3-934136-30-3. Erhältlich in allen Buchhandlungen (bitte auf das Verzeichnis lieferbarer Bücher VlB hinweisen) bei Amazon über Peter Reimer und natürlich bei mir, ich habe noch Restbestände von den verschiedenen Lesungen
Ich wünsche einen angenehmen Sommertag
madrilena

FORTSETZUNG
Schweigend legten wir den Weg nach Jerusalem zurück. Die Straße stieg immer weiter an. Zu beiden Seiten Wüste. Stein und flimmernde Luft. Vor uns die ersten Anzeichen einer Stadt. Neben der Straße Steinhäuser, Schrebergärten und ein Kirchturm, mit einer schiefergedeckten Kuppel.
Und dann waren wir auf einer breiten Autobahnanfahrt mit hektischem Verkehr und Benzingestank.
"Ich fahre noch nicht zum Hotel“, unterbrach Jonas das Schweigen, "sondern zuerst zum Ölberg. Ich möchte dir Jerusalem so zeigen, dass du es nie mehr vergessen wirst.“
Ich konnte nur nicken, fühlte mich zweigeteilt. Noch war ich in der Wüste vor dem St. Georgskloster. Konnte mich nicht vom Brief der Mutter lösen. Duckte mich innerlich unter den Eröffnungen, denen ich mich so plötzlich ausgeliefert fühlte.
Andererseits war ich hier und hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit diesem Großstadtgewirr. Obgleich ich nicht genau wusste, was ich erwartet hatte..... Die Großartigkeit von El Kuds - der Heiligen?.... Die Andersartigkeit von Yerushalayim, der Stadt der Juden... oder Jerusalem, die Stätte der Christen mit Grabeskirche und Via Dolorosa?...
Ich hatte mir vorgestellt, dass das Einmalige, was Jerusalem in der ganzen Welt bedeutet, diese Stadt so geprägt habe, dass sie einfach nicht alltäglich wirken könnte. Wie wirklichkeitsfern waren meine Vorstellungen gewesen.
Und dann lag Jerusalem vor uns, und es war alles so, wie ich es mir erträumt hatte. Die Abendsonne tauchte die Stadt in ein Licht, das  verklärte und  gleichzeitig allem eine helle Deutlichkeit gab. Am Abhang des Ölbergs breitete sich der große jüdische Friedhof mit seinen blendend weißen Grabsteinen aus. Und auf diesen Gräbern lagen unzählige kleine Steine. Keine Blume. Kein Kranz. Keine Kerze. Nur die hellfarbigen Kiesel.
"Wir Juden legen keine Blumen auf unsere Gräber, sondern Steine." Jonas war hinter mich getreten, nachdem er mich einige Minuten allein gelassen hatte, damit ich den ersten Eindruck von dieser Stadt ungestört in mich aufnehmen konnte.
Gedankenverloren schaute ich den Menschen zu, die zwischen den Gräbern eine Trauerfeier abhielten. Schwarz gekleidete Gestalten mit breitkrempigen Hüten zwischen grell-weißen Gräbern. Ich zitterte.  
‘Yoshua hat kein Grab und für die vielen Millionen in den Lagern umgebrachten Juden gab es höchstens das Massengrab oder die Kalkgruben’, wollte ich sagen....
Aber,… ich schwieg.
Würde es mir je wieder möglich sein, mit meinem neuen Wissen so weiter zu leben wie bisher? Ich spürte, wie ich zu versinken drohte in dem Unfassbaren, das in mein Leben getreten war.
Ich war Jonas dankbar, das er jetzt im Ton eines Reiseführers meinte:
"Siehst du dort das Kidrontal? Der Tradition nach erschallen Posaunen, wenn der Tag der Auferstehung der Toten anbricht. In diesem Tal soll dann das Jüngste Gericht stattfinden."
Jonas deutete jetzt mit weiter Geste auf eine weiße Kirche. "Und dort? Der schwarzweiße Kirchenbau mit dem seltsamen Dach ist die Dominus flevit Kirche. Sie ist auf dem Felsen erbaut, auf dem Jesus über das Schicksal der Stadt geweint hat. Und gleich in der Nähe die ‘Todesangstkirche’."
Fragend schaute ich ihn an. "Warum Todesangstkirche?"...
Und dachte, ob Yoshua auch Todesangst gefühlt hat - damals? Wie lange sein Sterben gedauert haben mag? Auf was fiel sein letzter Blick? Vielleicht... auf eine kleine Blume, verirrt und einzeln in schwarzer Erde? Was war das letzte, was sein Ohr vernahm? Ein Schrei, ein Gebet, ein Befehl? Oder... war es der Wind?
Längst hatte ich meine Frage vergessen, als Jonas antwortete. "Du erinnerst dich an die Worte von Jesus. Vater nicht wie ich will - DEIN Wille geschehe! Nach einer Nacht der Auflehnung gegen den Tod soll er diesen Satz hier gesprochen haben."
Ich seufzte. "Das ist für mich der schwerste Satz im ganzen Vater Unser. Wenn ich ihn wirklich annehmen könnte, müsste ich ergeben in mein Schicksal sein. Das bin ich aber nicht."
Und leise für mich fragte ich, ob Yoshua wohl sein Schicksal angenommen hatte? Worte, wie ‘DEIN Wille geschehe’ oder ‘vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun’, waren mir schon von jeher schwer verständlich. Dazu gehörte eine Größe, die ich mir nicht zutraute. Oder... war es gar nicht Größe, sondern Glaube? Gottvertrauen?
Ich wandte mich Jonas zu: "Ob Yoshua zu solchen Gedanken fähig war? Seine Mörder wussten doch ganz genau, was sie taten. Es gibt keine unschuldigen Täter......"
Er legte sanft den Arm um meine Schultern. "Sophie, Du bist so unvorhergesehen in eine quälende Vergangenheit gestoßen worden. Erinnerst du dich an den See Genezareth und die Worte meines Freundes? Er meinte einmal. 'Gott ist unser Vater, doch bei so vielen Kindern kann er sich nicht gleichzeitig um alle kümmern.... Aber wenn du kommst und sagst, Vater, ich habe ein Problem, da wird ER sagen, entschuldige, dass ich mich nicht um dich gekümmert habe. Jetzt habe ich alle Zeit der Welt nur für dich, lass uns sprechen'."
Ich beherrschte mich nur mühsam. "Wir haben schon einmal davon gesprochen, aber ich frage wieder, wo war denn dieser Gott damals in Auschwitz? Was wurde seinen Kindern angetan! – und… er griff nicht ein. Da ist es leichter für mich, das zu glauben, was deine Rabbiner sagen, Gott ist nicht denkbar, er ist nicht erreichbar."


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madrilena
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Beitrag11.07.2013 10:35

von madrilena
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Ich würde mich über Rückmeldungen freuen, aber es ist auch schön zu merken, dass mein Text offensichtlich gelesen wird. Danke
Einen schönen Tag
LG madrilena


Szenenwechsel:
(Sophie und Jonas waren jetzt in ihrem Hotel in Mea Shearim angekommen.)

Ich wachte mitten in der Nacht von einem sonderbaren Geräusch auf. Es war dunkel im Zimmer. Aber… jemand hatte doch geweint. Tastend suchte ich nach der Nachttischlampe und spürte dabei, dass mein Kissen feucht war. Erstaunt strich ich mir über die Augen. Mein Gesicht war nass. Erschreckt setzte ich mich im Bett auf.
Der Traum!
Ich hatte ihn schon so oft in meinem Leben geträumt. Nur immer ein bisschen anders. Als würde von unsichtbarer Hand ein Puzzle zusammengesetzt. Ich musste mich erinnern. Musste unbedingt wissen, wie er diesmal gewesen war.
Am Anfang war eine Straße. Leer, kein Mensch weit und breit. Kein Laut zu hören. Graues Licht in der engen Gasse. Häuser bis zum Giebel rot geklinkert. Alle Fensterläden verschlossen. Die Türen fest verriegelt. Und ich inmitten dieser steinernen Einsamkeit.
Allein… Verlassen. Aber… verlassen von wem?
Im Traum irrte ich verzweifelt herum. Versuchte die Türen zu öffnen. Rief Namen – welche Namen? Ich weiß es nicht.
So viele Gefühle in diesem Traum. Angst. Verlust. Einsamkeit. Der Wunsch zu fliehen. Ein Wissen. Aber um was?
Ich hämmerte gegen die schweren Türen. Hohl der Klang in den Häusern. Ein leeres Echo aus leeren Räumen.
Und immer wachte ich weinend, manchmal sogar schreiend auf.
Was bedeuteten die leeren Häuser? Die verschlossenen Fensterläden? Die verriegelten Türen?
Heute war der Traum anders, beängstigender.
Wieder war ich durch die Straßen gelaufen. Hatte laut gerufen. Der graue Himmel hing tief zwischen den toten Häusern. Die Straße ein holpriges Kopfsteinpflaster. Die Häuser hatten keine Gärten. Es gab überhaupt nichts Lebendiges. Keinen Baum. Keine Blume. Keinen Strauch. Nur Stein. Als hätte sich das Grauen zu Stein verwandelt.
Als ich wieder gegen eine Tür schlug, verzagt, weil alles so hoffnungslos war, gab diese Tür plötzlich nach.
Erschrocken wich ich zurück, aber… die Neugier siegte. Ich drang in das Haus ein. Dumpfer Geruch hing in der Dunkelheit. Ich öffnete die mir zunächst liegende Tür. Stolperte über Gegenstände, die auf dem Boden verstreut lagen, zum Fenster und rüttelte an dem Laden, der nicht nachgeben wollte. Endlich löste sich der rostige Riegel. Weit stieß ich die Fensterläden auf.
Die Fenster hatten kein Glas…
Ich drehte mich ins Zimmer zurück.
Die Gegenstände, über die ich gestolpert war, waren umgestürzte Stühle. Verwelkte Blumen. Scherben. Ein zerbrochener Bilderrahmen. Der Raum nur spärlich möbliert. In der Ecke des Zimmers ein Kinderstuhl.
Was bedeutet dieser Traum?
Ich schlug die Hände vors Gesicht. Das gelbe Licht der Nachttischlampe blendete. Und plötzlich fing ich wieder an, krampfhaft zu weinen. Bilder drängten sich auf. Es nutzte nichts, die Augen zu schließen. Es waren keine äußeren Eindrücke. Keine Fotografien, die ich mit einer Handbewegung hätte wegwischen können.
In dem hohen Kinderstühlchen im Traum saß ein kleines Mädchen. Die blonden Haare waren zu zwei Zöpfen geflochten, die am Ende mit einer roten Schleife gehalten wurden. ‘Nie habe ich die Farbe Rot gemocht.’
Das Mädchen war außergewöhnlich hübsch. Ein zartes Gesicht. Volle rote Lippen. Eine winzige Nase. „Sophie, du hast gar keine Nase, das ist eine kleine Steckdose!“ Wer hatte das nur immer gesagt? Zwei riesengroße dunkle Augen. Und diese Augen - angefüllt mit Tränen - schauten mich mit so viel stummer Angst an, dass dieses stumm schon wieder ein Schrei war. Ein stummer Schrei von solcher Intensität, dass ich mich nicht von der Stelle rühren konnte.
Plötzlich entdeckte ich, dass das Kind nicht allein im Zimmer war. Neben ihr standen und saßen schemenhaft Gestalten. Ein Mann. Eine Frau. Vor denen das Kind ganz offensichtlich versuchte zu fliehen. Aber… es war noch so klein. Es konnte sich nicht allein aus dem Stuhl befreien. Nur seine großen Augen schrien.
Da war ich aus dem Zimmer gerannt. Aus dem Haus.
Die Straße entlang. Laut weinend.

Ich saß auf dem Bettrand und zitterte am ganzen Körper. Lieber Gott, was sollte dieser Traum nur bedeuten? Wer war der Mann? Wer die Frau und wer war das Mädchen? Was für eine Botschaft wurde mir aus meinem Unterbewusstsein übermittelt?
Und… warum hatte sich dieser Traum immer und immer wiederholt. Allerdings bis heute ohne das Kind. Warum war es jetzt, nach dem Brief der Mutter aufgetaucht?
Aus welchen Tiefen?


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1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
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Beitrag12.07.2013 14:11

von madrilena
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Mal wieder eine Rezension aus Amazon zu meinem Buch "den Himmel mit Händen fassen"

Tolles Buch Rezension von Ralph
Hilde Möller ist es gelungen, eine Liebesgeschichte zweier reifer Menschen mit den Beschreibungen eines Reisebuches über Israel, mit jüdischer Kultur und mit dem Holocaust zu verbinden, ohne das 200-seitige Buch dabei zu überfrachten. Ich finde, dass das Buch toll geschrieben ist. Es hat in mir die Sehnsucht geweckt, dieses Land zu bereisen.


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madrilena
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Beitrag12.07.2013 14:42

von madrilena
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Szenenwechsel
(Zwischen Sophie und Jonas hat sich eine Liebesbeziehung entwickelt.
Hier jetzt der erste Teil aus dem letzten Kapitel meines Lesungstextes, in dem Sophie allein durch Jerusalem streift.)


Ich hatte Stadtplan und Reiseführer im Hotel gelassen. Möchte Jerusalem durchstreifen. Riechen. Hören. Anfassen. Allein auf mich angewiesen.
Ich schlenderte durch Mea Shearim. Zuerst fiel mir der Schmutz auf. Weggeworfenes Papier. Lose Blätter alter Zeitungen. Eine Dose rollte scheppernd über das Pflaster. Bis jetzt hatte ich Israel als sehr sauber empfunden, so dass mich der Anblick überquellender Schmutzeimer und dreckiger Straßen überraschte.
Vor mir schob ein junger Mann einen Kinderwagen mit einem schlafenden Kind vorbei. Es musste ein Junge sein, denn auch bei diesem Winzling ließen sie bereits die Schläfenlocken wachsen. Neben dem Kinderwagen eine junge Frau. Sie hatte ein Tuch fest um den Kopf geschlungen. Ich hatte gelesen, dass sich jüdisch orthodoxe Frauen kahl scherten und auf der Straße entweder ein Tuch oder eine Perücke trugen.
Seltsam - ein trautes Bild - ein junges Paar mit Kinderwagen! Und doch ging nichts Frohes oder gar Jugendliches davon aus. Allmählich verzweifelt fragte ich mich, ob denn das Lachen bei den orthodoxen Juden verboten sei.
Ich ging weiter. Beobachtete Kinder, die keine waren. Erwachsene, die in einer anderen Welt zu leben schienen. Vermisste in den engen Straßen mit den schmalen grauen Häusern und den schwarz gekleideten Menschen die Farbigkeit des orientalischen Jerusalems.
Ich nahm ein Taxi zum Jaffator, tauchte ein in die Altstadt.
Ging die Via Dolorosa entlang. Unter dem Ecce-Homo-Bogen hindurch, wanderte über den Tempelplatz. Betrat nicht eine der vielen Kirchen oder Moscheen und bin dennoch eingebunden in eine religiöse Verzauberung, die in der Luft zu schwingen und keiner bestimmten Religion anzugehören schien.
So hatte ich mir Jerusalem gewünscht. Die Altstadt mit ihrem verhaltenen Licht, den kleinen Geschäften und Werkstätten. Der dunkelhäutige Priester oben auf dem Dach der Grabeskirche, wo die abessinische Gemeinde ihre kleinen, eng aneinander gelehnten Häuschen hatte.
Kreuz und Davidstern und der arabische Händler, der sein süßes Mandelgebäck anbot.
Ich merkte gar nicht, wie schnell der Morgen vergangen war, und erinnerte mich an ein Restaurant, von dem Jonas gesprochen hatte, hoch über dem Hinnomtal.
Es war ein Selbstbedienungsrestaurant, und obgleich es schien, als sei auch der letzte Platz schon besetzt, konnte ich mir an einem winzigen Tisch noch einen Stuhl ergattern.
Ich genoss die warme Mittagssonne und den Blick über das schmale schluchtartige Tal.
Voller Sehnsucht dachte ich an Jonas. Fragte mich, was er wohl mit diesem ersten Tag unseres neuen Lebens anfangen würde.
Aber... war es denn wirklich ein neues Leben?
Nein, nach Zukunft war mir auch nicht zumute...! Wir hatten noch genügend Zeit, darüber nachzudenken. Vor allem nachdem ich meinen Aufenthalt verlängert hatte.
Sonst.... hätte ich in der nächsten Woche schon zurückfahren müssen... ?
Entsetzt stellte ich mir Abreise und Trennung vor. Und damit meinte ich diesmal nicht nur die von Jonas. Fast trotzig begehrte ich auf: Noch konnte ich einfach nicht nach Deutschland zurück.


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madrilena
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Beitrag13.07.2013 11:30

von madrilena
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Mit diesen Szenen schließe ich normalerweise meine Lesungen. Dazwischen spiele ich israelische Musik von Feidmann und einigen mehr. Dadurch bekommen die Lesungen meines Buches "den Himmel mit Händen fassen" eine ganz besondere Stimmung, die sich auch auf meine Zuhörer/innen überträgt. Ich hoffe, ich habe Ihre Neugier geweckt, auf das, was Sophie jetzt machen wird und wie es mit Jonas weitergeht.
Ich wünsche allen ein angenehmes Wochenende.
Gruß madrilena


Letzter Teil meines Lesungstextes.

Was... hielt mich in Jerusalem?
Ich dachte an die letzten Tage, und ich wusste es. Yoshua! Ich konnte doch nicht so einfach sein Schicksal hinnehmen!
Vor der Gedenkstätte Yad Vashem war ich geflohen, hatte mich in Jonas Arm verborgen. Wollte nicht vergessen, aber... vielleicht hinauszögern, was mir doch so wichtig  war - die Begegnung mit Deutschlands Vergangenheit in Israel.
Ich beschloss, heute noch einmal nach Yad Vashem zu gehen - allein.
Entschlossen ließ ich mich von einem Taxi zum Herzl Berg bringen.
Doch dann erfasste mich eine ängstliche Beklommenheit. Wo sollte ich anfangen?
Ich ging eine breite Baumbestandene Allee entlang, las: Allee der Gerechten unter den Völkern. Legte mein erhitztes Gesicht an die raue Rinde eines Baumes, der ein Namensschild trug. Pierre Charrière. Einer der vielen Menschen, der einem Juden in der Nazizeit das Leben rettete. Hier hatte er einen Baum gepflanzt bekommen.
Ich ging an einem Relief entlang, auf dem Menschen abgebildet waren, die von Soldaten zusammengetrieben wurden. In Stein gehauenes Leid.... Die Soldaten hatten keine Gesichter....
Ob ich diese Stunden allein durchstehen werde?
Ich kam zu einer Gedenkhalle. Die Mauern aus gewaltigen Basaltsteinen.... Wie hatte Jonas gesagt. Basaltsteine sind zu Stein erstarrte Tränen. Die Worte begleiteten mich wie ein Refrain.
In der Mitte der Halle ein großer zerbrochener Bronzekelch. Das Metall schimmerte bräunlich-golden im Schein der ewigen Flamme. Licht zuckte in unruhigen Schatten über Mauern und Boden, in dem die  Namen der zweiundzwanzig größten Konzentrationslager eingelassen waren.
Neben dem Kelch eine Gruft mit Asche.... Gesammelt aus den Öfen verschiedener Lager.... Das Grab so vieler unzähliger Namenloser....
Ich kniete nieder. Legte meine beiden Hände auf die kalte Grabplatte. "Yoshua.... Wie bist du gestorben...? Vergast...? Verbrannt...?
Ist... vielleicht ein wenig Asche von dir hier aufbewahrt?“ So wenig weiß ich von dir.
Kein Bild und kein Grab. Trauer im Vakuum.
Ich taumelte aus der Halle. Das Sonnenlicht blendete. Ich suchte Halt, merkte, dass ich mich an ein Denkmal klammerte. Entzifferte die Schrift. Die trockenen Knochen. Blickte an den Säulen hoch. Und starrte in ein Gewirr von Armen, Beinen und zu Knochen abgemagerten Körpern. Die Gesichter in namenloser Qual emporgereckt.
Entsetzt wich ich zurück und ließ mich erschöpft mitten auf dem Weg nieder: ‘Das halt ich nicht aus. Das schaffe ich einfach nicht.’ Also... auch ich eine der vielen, die wegschauten, die verdrängten?
Ich hob einen rötlichen Kieselstein auf und hörte Jonas Stimme. Wir Juden legen keine Blumen auf die Gräber, nur Steine.
Mühsam erhob ich mich und legte den Kiesel in eine der steinernen Knochenhände.
Auf einem Wegweiser stand: Museum.
‘Ich bin so müde, so schrecklich müde.’
Wütend über meine eigene Schwäche, die mir so wenig berechtigt schien, ging ich in das Museum. Meine Augen gewöhnten sich langsam an das gedämpfte Licht. Ich erkannte Menschen, die stumm von Bildern zu Schaukästen gingen. Manche weinten leise vor sich hin.
Es gab viele Räume in diesem Museum mit Bildern, Berichten und Fotografien, die den Massenmord, die Todestransporte, Gaskammern und Krematorien aufzeigten....
Ich kam nur langsam vorwärts.
Immer wieder lähmte mich das Entsetzen.
Und... Fassungslosigkeit.
Ein innerer Zwang trieb mich weiter.
Ich stand vor großen Schaukästen... Hinter Glas gelbe Judensterne.... Gebisse.... Haare....
Und ich erinnere mich an die Bilder der riesigen Berge von Kinderschuhen, rote, schwarze, braune, Schnürschuhe und Sandalen und zierliche Halbschuhe. Alle ordentlich aufgehäuft im Lager von Auschwitz….
Ich spürte, wie mich alle Kraft verließ. Ich lehnte mich an eine Wand, zitternd und tränenüberströmt. Vor dieser Dimension des Grauens versagte mein Vorstellungsvermögen.
Jäh fühlte ich mich von zwei Armen umschlungen. Hörte Jonas’ Stimme, der flüsternd auf mich einsprach:
"Ich wusste, dass ich dich hier finden würde. Warum tust du dir das allein an. Warum lässt du mich dir nicht helfen?"
„Du!... Hier?...“ Ich barg mein verweintes Gesicht an seiner Schulter. "Ich hab mich doch heute so stark gefühlt."
Lange hielt er mich stumm umfangen. Bis seine Stimme in mein Weinen drang.
"Komm, ich zeige dir etwas, das kann dir vielleicht helfen.“
Erst wollte ich mich wehren. Ich konnte heute nichts mehr verkraften. Dann folgte ich ihm doch.
Am Abhang des Gedenkhügels, umgeben von Bäumen befindet sich eine Höhle.
"Was ist das…?" Ich zögerte, bevor ich Jonas folgte
"Es ist die Höhle des Gedenkens.... Wir wollen doch alle, dass unsere Toten begraben werden.“
Wieder hatte er fest den Arm um mich gelegt, als wir tiefer in den Raum eintraten, während er leise weiter sprach:
"Die ermordeten Juden haben aber kein Grab,... keinen Stein. Ihre Knochen, ihre Asche sind verstreut. Und... die Angehörigen haben keinen Ort, an dem sie ihre Gedanken festmachen können. Deshalb wurde diese Höhle geschaffen. Hunderte von Gedenksteinen wurden schon hierher gebracht, die den Namen der ermordeten Freunde und Verwandten tragen. Jeder, hörst du, jeder – auch Du kann einen solchen Gedenkstein hinterlegen“.
Stumm stand ich vor den vielen viereckigen oder runden Steinen, vor wertvollen Platten oder schlichten Natursteinen. Sie lagen auf dem Boden.... Lehnten am nackten Fels....
Schmerz stieg auf.... Füllte meine Zellen und Blut.... In meinen Adern wurde er in jeden Winkel meines  Körpers getragen.
Als ich glaubte, es nicht mehr auszuhalten, spürte ich unvermutet eine innere Helligkeit, ein weiches Licht, das mich einhüllte. Tröstlich und beschützend. Und erkannte, dass Tod nichts Sinnloses sein konnte... Dass er unmöglich das Ende des Lebens bedeutete, dass er Teil des Lebens ist, vielleicht... sogar seine Vollendung.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
Erhältlich bei Amazon über buchimport Peter Reimer + in Buchhandlungen
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madrilena
Klammeraffe

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Beitrag18.08.2013 10:31

von madrilena
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Rezension nach einer Veranstaltung im Landfrauenverein Nastätten
meines ersten Romans "den Himmel mit Händen fassen" ISBN 3-934136-30-3 erschienen im Alkyon Verlag Marbach



Hilde Möller liest aus ihrem Roman „den Himmel mit Händen fassen“.
„Den Himmel mit Händen fassen“, dieser Titel ist dem Gedicht von Selma Meerbaum entlehnt. Wohl kaum ein anderer Titel hätte behutsamer die Liebe zwischen zwei alternden Menschen beschreiben können. Und gleichzeitig schlossen diese Worte eine innere Entwicklung ein, welche die Hauptfigur Sophie in Israel durchmachte. Der Brief der toten Mutter, der ihr eröffnet, wer ihr Vater ist und was aus ihm wurde. Diesen Brief liest sie in Israel zusammen mit Jonas. Die erwachende Liebe zwischen Sophie und Jonas, in der eine 60jährige Frau miterleben lässt, wie z.T. schmerzliche Vergangenheit ausgehalten werden kann und eine bewusst gestaltete Zukunft auch im Alter noch möglich ist. Sophies Auseinandersetzung mit Tod und Glauben, vor allem mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit und nicht zuletzt das Erleben des Landes Israel, in all dem sah die Autorin eine Möglichkeit, den inneren Himmel zu berühren.
Die Zuhörer waren tief ergriffen und dankten später mit lang anhaltendem Beifall. Nach dem Gehörten waren wohl alle Anwesenden überzeugt, dass der Autorin hier ein großer Wurf gelungen sein dürfte.


_________________
Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
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madrilena
Klammeraffe

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Beiträge: 647



Beitrag13.09.2013 10:06

von madrilena
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Eine Kritik nach einer Lesung zu meinem Buch "den Himmel mit Händen fassen" erschienen im Alkyon Verlag


Rhein-Zeitung Nassau & Nastätten
 
Bücherland Nastätten

"Über den Staat Israel und noch viel mehr"

Es herrscht eine feierliche Atmosphäre im "Bücherland" in der Römerpassage. "Folksongs from Israel" tönen aus dem Lautsprecher. Den Besuchern wird je nach Wunsch Sekt oder Selters gereicht. Hilde Möller nimmt Platz, die Autorenlesung kann beginnen.
Die  Schriftstellerin, gebürtig aus Stuttgart, ist in der Welt zu Hause. So lebte sie 1956 in Isfahan, ein Jahr in Brüssel, zwei Jahre in Ankara und von 1964 bis 1992 mit ihrem Mann und ihren sieben Kindern in Madrid. Sie setzt sich schon früh mit dem Antisemitismus ihres Vaters auseinander und dem großen Schweigen der Generation ihrer Eltern nach dem Krieg, was letztlich zu ihrem Buch "den Himmel mit Händen fassen" führt. Ort des Geschehens ist Israel.
Einfühlsam schildert die Fotografin Sophie Wenger auf dem Flug von Frankfurt nach Israel die Bekanntschaft, die sie mit dem jüdischen Schriftsteller Jonas Ben-Yadin macht. "Und als wir uns am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv verabschiedeten, war ich erleichtert, aus der Nähe dieses Mannes wegzukommen, der mich, mir selbst verwunderlich, stark beeindruckt hatte."
Es sollte nicht die letzte Begegnung gewesen sein. An seiner Seite erschließt sich ihr das Land. Und hier sucht sie die Antworten auf den Hass ihres Vaters auf alles Jüdische.
Beim Blick aus einem schmalen Hotelfenster sieht sie zwei alte Männer, heftig aufeinander einredend und gestikulierend. Sophie Wenger erstarrt: "Denn plötzlich erinnere ich mich eines Zeitungsbildes, das ich in einem Museum gesehen hatte: zwei lachende deutsche Soldaten, Buben fast noch, wie sie einen alten Mann im langen Kaftan, schwarzen Hosen, Schläfenlocken und einem kläglich verrutschten steifen Hut zwangen, die Straße auf den Knien nach seiner zerbrochenen Brille abzusuchen. Die Nazis nannten die Judenvernichtung in den östlichen Ländern 'Flurbereinigung'!"
Hilde Möller schreibt sehr empfindsam, geht ins detail, vermittelt Nähe. So heißt es am Schluss ihres Romans: "Die toten leben weiter im Andenken und in der Liebe und ihren Seelen weilen im großen Irgendwo."
Die Zuhörer sind ergriffen von dem Gehörten und spenden verhaltenen Beifall.
Rolf Nölle


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Bücher im Alkyon Irmgard Keil Verlag/Marbach "Schatten umarmen" Kranichsteiner Literaturverlag.
1. "den Himmel mit Händen fassen" ISBN
10:3934136303
2. "Schatten umarmen ISBN 10:3929265133
3. "...und die Zeit stand still" ISBN 10: 3934136311
4."leben" ISBN 10:3934136656
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