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Shabana Gänsefüßchen
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Beiträge: 31
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S 04.06.2013 12:32 Stürzende Idylle von Shabana
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Die Welt ist groß und will sich auf die Frau stürzen. Sie muss hier weg, sie darf nicht stehen bleiben. Blau, Grün, Weiß ist hinter ihr her. Das Blau hat ihr den Mund verschlossen, das Grün hat ihre Fesseln umklammert, das Weiß hat sich in ihr Gesicht gewürgt. Die müssen so tun. Als ob sie der Himmel, das Gras und die Bäume, der Schnee auf den Bergen wären. Die Frau will nichts sehen, nur fort, fort, fort. Die Sonne könnte lachen, aber jetzt muss sie ihr unbedingt auf Knie und Schenkel brennen. Die Frau sollte eigentlich eine Hose anhaben, aber die ist verschwunden. Sie darf nicht stolpern, aber die Beine wollen ihr nicht recht gehorchen. Sie versucht das Rosige auf dem Schotter nicht zu sehen.
Da sind Insekten, sie scheinen um sich selbst zu krabbeln. Nichts kann sich mehr von der Stelle bewegen. Die Frau wird zu einer Blume am Wegesrand, einer Blume mit Rot in der Mitte. Die anderen Blumen werden sich von ihr abwenden wollen.
Da ist Wasser, es darf über Steine hüpfen. Da ist Wald, er darf lange stehen und dunkel sein. Da sind Kühe, sie dürfen alles zerkauen. Sie will am ehesten das Wasser werden: Rein, klar, kalt.
Die Welt ist winzig, die Frau wird sie einfach in den Mund nehmen und schlucken. Dann wird alles wieder gut sein. Wenn sie am Wasser gewesen sein wird. Wenn sie den blutigen, zerrissenen Fetzen gewaschen haben wird. Dann wird sie im Wasser sitzen bleiben und langsam gefühllos werden.
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Goldlotos Gänsefüßchen
Alter: 57 Beiträge: 36 Wohnort: 83209Frauenchiemsee
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04.06.2013 20:33
von Goldlotos
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Die Frau wird aufstehen ,das Gesicht zum Himmel erhoben und ...Wie sie so dasitzt.........
_________________ Flämchen Kleine Fünkchen stieben über warmem Honigmund...Feuerelfen fliegen...knisternd heiß aus dem Kamin..wohin?...Sich zu vereinigen mit würzigem Kräuterduft. |
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Gast
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27.06.2013 16:01
von Gast
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Hallo Shabana,
Ich würde mich gern an eine Interpretation dieses kurzen Texten wagen, der hier so verloren zu gehen droht, wie die Frau selbst inmitten in einer sommerlichen Idylle.
Du hast eine Aufteilung vorgenommen, die den Text in drei Abschnitte gliedert.
Im ersten Abschnitt lese ich ein traumatisches Erlebnis, drei "Grundfarben" einer Naturlandschaft waren vor wenigen Augenblicken etwas anderem zugeordnet, etwas, das Gewalt ausgeübt hat, sie ist nun allein, oder auf der Flucht, versucht gleichzeitig, das Erlebte zu verdrängen, ist unter Schock.
Sie ist schwach, vielleicht verletzt, nicht vollständig bekleidet. Im zweiten Abschnitt lese ich Furcht vor dem Urteil anderer, die ihr schweigend die Schuld geben könnten, an dem, was passiert ist.
Die Welt um sie herum, die Idylle einer Landschaft mit einem Flüsschen, den Wiesen, Bergen kommt wieder ins Bewusstsein. Sie soll wählen unter den Möglichkeiten, das Geschehene in ein Weiterleben einzubauen.
Das Wasser, das hüpfende, sich über Steine im Flussbett, seinem Weg einfach hinwegsetzende Wasser, sie entscheidet sich hierfür, denn der schweigende Wald, der im Dunkel alles verbergende, langsam wachsende Wald ist Stagnation; die Kühe, lange wiederkäuende, gleichmütig-geduldig immer Gebenden und: demütige Zuchttiere, sie bedeuten duldhafte Analyse. Die Frau wählt das Wasser, es spült fort, es betäubt durch seine Kälte: Reinigung, Vergessen, Taubheit.
Und so will sie die erfahrene Zerstörung, die Farben der Gewalt, durch die Kraft der Kälte, die Gefühllosigkeit eines Starrezustands ganz klein und unbedeutend machen, sie zum Schweigen bringen. Die grosse Welt, die versucht hat, sie mit Urgewalt zu verletzen, gar zu zerstören soll so zur Winzigkeit werden können, die man hinunterschlucken, verdrängen und irgendwann verdauen kann.
Wenn sie es erst geschafft hat, bis zum Wasser. Gefühllos werden ist das Ziel, es wird alles wieder gut werden?
Was aber, wenn die Farben sich in Erinnerung rufen, irgendwann? Wenn Himmel, Gras und Schnee nie mehr die Idylle sein können, die sie waren?
*
Das war ein Versuch, sich deinem Text zu nähern. Ich will gar nicht zu konkret werden, aber doch sagen, dass sich mir hier das Bild einer Vergewaltigung aufdrängt, der Schock, in dem sich die Frau befindet, die Tiefe der Verletzung, die wohl unwiederbringliche Zerstörung einer Idylle sind für mich die zentralen Motive, die du umgesetzt hast.
Ich kann mich irren. Wie gesagt, das war ein Versuch und mich würde interessieren, ob meine Lesart sich mit deiner Intention trifft.
Mich hat die einfache Sprache, das Reduzieren komplexer Vorgänge auf dieses Konzentrat sehr beeindruckt.
Grüsse von
Lorraine
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Janoeh D. G. Leseratte
Alter: 41 Beiträge: 140 Wohnort: In der Seele des Künstlers
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27.06.2013 16:17
von Janoeh D. G.
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Hallo Shabana,
Zitat: | Mich hat die einfache Sprache, das Reduzieren komplexer Vorgänge auf dieses Konzentrat sehr beeindruckt. |
Lorraine hat schon alles gesagt, ich hatte das gleiche Bild vor Augen, ein sehr ergreifender Text.
LG
Janoeh
_________________ ...here is the deepest secret nobody knows
(here is the root of the root and the bud of the bud
and the sky of the sky of a tree called life;which grows
higher than soul can hope or mind can hide)
and this is the wonder that's keeping the stars apart
i carry your heart(i carry it in my heart)
by E.E. Cummings |
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Shabana Gänsefüßchen
S
Beiträge: 31
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S 27.06.2013 20:47
von Shabana
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Hallo Lorraine,
freut mich, dass dieser Text auch deine Beachtung gefunden hat.
Zitat: | Ich würde mich gern an eine Interpretation dieses kurzen Texten wagen, der hier so verloren zu gehen droht, wie die Frau selbst inmitten in einer sommerlichen Idylle. |
Nur zu, es ist ja ein für Interpretationen relativ offener Text.
Zitat: | Im ersten Abschnitt lese ich ein traumatisches Erlebnis, drei "Grundfarben" einer Naturlandschaft waren vor wenigen Augenblicken etwas anderem zugeordnet, etwas, das Gewalt ausgeübt hat, sie ist nun allein, oder auf der Flucht, versucht gleichzeitig, das Erlebte zu verdrängen, ist unter Schock. |
ja, "drei Grundfarben einer Naturlandschaft" ist gut gesehen, tatsächlich ist das ein experimenteller Text, bei denen ich ein Postkartenbild oder ein anderes Kitschbild mit schneebedeckten Bergen und Kühen und Bach vor Augen hatte. Und dem ein traumatisches Erleben entgegengesetzt werden und dadurch verschoben werden sollte.
Die zweite Aufgabe, die ich mir formal stellte, war, dass ich jedes Prädikat mit einem Hilfsverb bilden wollte.
Zitat: | Sie ist schwach, vielleicht verletzt, nicht vollständig bekleidet. Im zweiten Abschnitt lese ich Furcht vor dem Urteil anderer, die ihr schweigend die Schuld geben könnten, an dem, was passiert ist. |
"Die Blumen werden sich von ihr abwenden wollen" könnte man so verstehen, ja, war aber nicht intendiert, sie fällt einfach aus der Idylle raus, die um sie ist, alles ist verschoben, sie gehört nicht mehr dazu, und sie sieht jetzt natürlich auch alles anders.
Zitat: | Die Welt um sie herum, die Idylle einer Landschaft mit einem Flüsschen, den Wiesen, Bergen kommt wieder ins Bewusstsein. Sie soll wählen unter den Möglichkeiten, das Geschehene in ein Weiterleben einzubauen. |
Ja, sie versichert sich wieder ihrer Außenwelt, das hast du gut gesehen, ob es ein Weiterleben gibt, bleibt offen, denk ich.
Zitat: | Und so will sie die erfahrene Zerstörung, die Farben der Gewalt, durch die Kraft der Kälte, die Gefühllosigkeit eines Starrezustands ganz klein und unbedeutend machen, sie zum Schweigen bringen. Die grosse Welt, die versucht hat, sie mit Urgewalt zu verletzen, gar zu zerstören soll so zur Winzigkeit werden können, die man hinunterschlucken, verdrängen und irgendwann verdauen kann. |
Ja, danke für die schöne Interpretation!
Zitat: | Das war ein Versuch, sich deinem Text zu nähern. Ich will gar nicht zu konkret werden, aber doch sagen, dass sich mir hier das Bild einer Vergewaltigung aufdrängt, der Schock, in dem sich die Frau befindet, die Tiefe der Verletzung, die wohl unwiederbringliche Zerstörung einer Idylle sind für mich die zentralen Motive, die du umgesetzt hast. |
Ja, genau so ist es!
Ich danke dir für deine eingehende Beschäftigung mit meinem Text und für dein Lob!
Auch dir, Janoeh, danke fürs Lesen und es freut mich, dass es dir auch gefallen hat!
Gruß
Shabana
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