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Annabell und Leander

 
 
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Lore
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 90
Beiträge: 932
Wohnort: Düsseldorf


Code Philomele
Frauenschicksale in einer Großstadt
Beitrag28.12.2007 23:14
Annabell und Leander
von Lore
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

(ein modernes Märchen)





Beide, Annabell ebenso wie Leander, waren Nichtsesshafte,
im Volksmund schlicht und einfach Penner genannt. Die Großstadt war ihr Revier.
Natürlich hießen sie auch nicht Annabell und Leander, diese blumigen
Namen hatten sie sich gegenseitig nach der ersten, gemeinsam
verbrachten Nacht gegeben.
Heißt es nicht, Verliebte können über einen Regenbogen gehen,
der Regenbogen sei die Brücke der Sehnsucht?

Der Regenbogen, über den Annabell und Leander sich hätten
näherkommen können, fiel schon deswegen aus, weil diese fragile
Konstruktion beide nicht getragen hätte.
Annabell wog etwa 80 kg , war also eher Walküre als Elfe
und Leander hätte ohnehin in seinem zumeist
angesäuselten Zustand keine drei Sekunden die Balance
auf einer Regenbogenbrücke halten können.

Anna Gehlen bezog ihre Einkünfte aus dem täglichen Verkauf einer
Obdachlosenzeitung, mit der sie sich vor den Aldi-Läden die Beine in
den Bauch stand und darauf wartete, dass die eine oder andere eilige
Hausfrau, ihr den Euro aus einem der Einkaufswagen überließ.

Leo Drossel dagegen war ein Künstler. Zumindest wenn er seine Fiedel
unters Kinn klemmte und in den Fußgängerzonen Improvisiertes aus
dem Repertoire Ich-weiß-nicht-was-soll-es-bedeuten zum Besten gab, immer gewärtig,
vor den Ordnungshütern flüchten zu müssen, denn eine Erlaubnis für
diesen Dienst an der Menschheit hatte er natürlich nicht.

Anna fiel ihm zum erstenmal auf, als er einen Teil seines
Verdienstes in Aldi-Schnaps umsetzte und  ihren mißbilligenden
Blick spürte, als er gleich vor der Tür die Buddel gierig ansetzte.
"Is wat Mächen?"
Er grinste sie fröhlich an, war ja propper die Deern. Vielleicht eine
Spur zu üppig, aber blitzsauber.

Na ja, runtergekommen und dreckig hätte man sie wohl kaum für
diesen Zeitungsjob zugelassen, sie war also das, was er eine
Edelpennerin nannte, wahrscheinlich auf dem Weg, sich ganz aus der
Szene zu lösen, wenn sie es denn schaffte.

"Machse auch mal," er hielt ihr auffordernd die Flasche hin und
lachte, als sie angewidert den Kopf abwandte.
"Na na, Fräulein, nimm schon, zaubert Rosen in Dein Leben und
Wärme in den Bauch,
Du siehst aus, als könnteste beides gebrauchen."

"Scher Dich weg, Du vermasselst mir das Geschäft," zischte sie und
presste die Lippen mißbilligend aufeinander.

"Zicke," murmelte er, "Leo hat sich noch niemandem aufgedrängt und
wird in seinen alten Tagen damit nicht anfangen". Er sah sie mit
hochgezogenen Augenbrauen an, Spottlust in den Augen und sagte ,
"Gestatten Gnädigste mich vorzustellen und gleichzeitig zu
verabschieden.
Mein Name ist Leo Drossel, was - ich bitte um Beachtung -
nicht bedeutet, dass ich aus dem Hause derer von und zu
Schnapsdrossel stamme , also bitte keine Wortwitze."

Er lüftete heiter seine speckige Mütze und wollte sich schon abwenden,
als er den Anflug eines Lächelns in ihren braunen Augen sah.
Er machte eine elegante Kehrtwendung , betrachtete sie aufmerksam und
die Lachfältchen um seine Augen vertieften sich.
" Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit Ihr
anzutragen?"
" Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn"
erwiderte sie und sah ihn keck an.

"Potzblitz, wir sind ja belesen und wie, Leo strahlte. " Literarischer
Schaumschläger oder Schauspielerin ohne Rolle, dafür aber auf der Rolle?“

„Letzteres,“ sie grinste jetzt übers ganze Gesicht und Leo sah mit Entzücken,
dass ihr Gebiss lückenlos war, keine Spur von Verfall oder Vernachlässigung,
er war hingerissen.

„Hoppla, wann war denn Dein letztes Engagement, ich wette, Dich hätte
ich gerne gesehen, als ich noch durch den Vordereingang des
Schauspielhauses durfte.“

Ihr Gesicht verdüsterte sich, als habe sie bereits unfreiwillig zuviel
von sich preisgegeben.

"Pardon Schönste, ich hatte nicht vor, auf dem Parkplatz bei Aldi Deine
Vergangenheit aufzurollen. Dazu gehört mehr Atmosphäre, wie wär's bei
einer Pizza mit dem Belag Deiner Wahl, zelebriert bei Kerzenschein und
einem süffigen Aldi-Sekt, mitten auf der nächtlichen Yachthafenbrücke.?

"Was? Das liebe ich ja, das Angebot meines Lebens unmittelbar vor dem
endgültigen Absturz ins Matronenzeitalter". Jetzt lachte sie übers
ganze Gesicht, und die Sommersprossen auf ihrer Nase tanzten.
" Zumindest Dein Timing ist bemerkenswert".

"Ich weiß, ich weiß," er schwenkte fröhlich seine Buddel.
"Meinereiner war mal einer von der Sorte für die Zeit Geld ist",
sagte Leo, sah aber nicht so aus, als betrübe ihn der Blick auf seine
Vergangenheit sonderlich.

"Obendrein ist der Spruch ein Ideen-Klau aus der Fernsehwerbung.
Man stiehlt eben wo man kann und ein besserer Trick,
Dir gleichzeitig mein Domizil zur Besichtigung  anzubieten,
fiel mir nicht rechtzeitig ein.
Allerdings ist meine Behausung nicht vor 24 Uhr vorzeigbar,
dann erst gehört mir die kleine Brücke ganz.
Vor allem aber der Schlafplatz darunter."

" Ach so," sie zog süffisant die Augenbrauen hoch, "Berbermilieu.
Nein danke, das ist nicht unbedingt meine Welt."
Jetzt hatte ihr Gesichtsausdruck etwas so Ablehnendes, dass Leo
Drossel in gespieltem Entsetzen einen kleine Hüpfer rückwärts machte.
" Um Himmelswillen, willst Dich wohl als Edelpennerin versuchen.
Na dann, ich verkneife mir lieber mal die Frage, der wievielte Anlauf das gerade ist."

Leo wandte sich ab, als sei sein Interesse an ihr erloschen .
Seltsamerweise passte ihr das gar nicht. Sie hätte nicht sagen können,
wieso ihr so daran lag, ihn zu überzeugen, sie wusste nicht einmal
genau, ob sie nicht doch eher sich selbst überzeugen wollte, als sie
hinter ihm herrief; " Den einen trägt, den anderen ersäuft die Woge
des Schicksals."
Ohne sich umzudrehen, sprang Leo Drossel mit einem komisch wirkenden
Sprung in die Luft, schlug die Hacken zusammen und rief fröhlich,
"Aber pass trotzdem auf, dass Dich die Schicksalswoge nicht genau dann
unter sich begräbt, wenn Du am wenigsten damit rechnest."

Das war die erste Begegnung der beiden und die nächste ließ nicht
lange auf sich warten.
Es regnete seit Tagen. Das naßkalte Sauwetter war geeignet, jegliche
Lust am Aufenthalt auf der Straße im Keim zu ersticken.
Anna Gehlen konnte sich allerdings um die Launen des Wettergottes
nicht kümmern. Sie hatte Dienst vor der Stadtbibliothek in der ab dem
frühen Abend eine Lesung bedeutender Literaten vor wohlsituiertem
Publikum stattfand.
Das hieß abkassieren, denn die Besucher - zumeist Mitglieder der
stadtbekannten Oberschicht, die sich zur gemeinsamen Wohltätigkeit
anläßlich wechselnder Events zusammenfand - waren bereits auf einen
karitativen Abend eingestellt. Annas bescheidener Wunsch, sich ein
Stück vom Kuchen der Mildtätigkeit zu sichern, wurde erwartet und
zumeist auch erfüllt.
Doch diesmal war alles anders.
Die Besucher hasteten aus ihren feudalen Limousinen, einzig bemüht,
ins Trockene zu kommen. Niemand nahm sich die Zeit, der weiblichen
Gestalt neben dem Eingang, die unter einem überdimensionalen
Regenmantel mit Kapuze fast verschwand, auch nur einen Blick zu
gönnen.
Anna sah alle Felle davonschwimmen. Das würde ein absoluter
Reinfall werden. Sie konnte sich die Enttäuschung ihrer Gruppe
schon vorstellen.
Inzwischen fror sie bis ins Gedärm und war zitternd bemüht, ihre
Zeitschrift so im Licht der Portalbeleuchtung zu präsentieren,
dass wenigstens einige der Vorbeieilenden bemerken würden, dass
Wohltätigkeit nicht erst im Inneren der Bibliothek beginnen musste.

" Das klappt so nie" sagte plötzlich eine heitere Stimme neben ihr.
Leo Drossel nahm ihr den Packen Zeitschriften aus der Hand, drängte die
widerstrebende Anna unter den Vorbau der Bibliothek, damit sie wenigstens
mit dem Rücken im trockenen Bereich stand und schrie;
" Hi Leute, was ist denn los mit Euch, blind, taub, uninteressiert?
Das wollen wir doch gar nicht erst einreißen lassen .
Es ist zwar der Sinn der Ideale, dass sie nicht verwirklicht werden können,
sagt Fontane, aber hier meine verehrten Herrschaften, dürfen Sie Ihre Ideale verwirklichen.
Sorgen sie dafür, dass diese nasskalte kleine Schönheit
nicht erst einen Striptease hinlegen muss, um Ihrer Aufmersamkeit sicher zu sein.
Wie wärs also mit einer Spur weniger Egoismus und einem Hauch mehr
Einfühlungsvermögen?"

" Lieber Himmel," eine ältere Dame blieb abrupt stehen und wandte sich
erzürnt an ihren Begleiter.
"Wieso siehst Du sowas nicht Theo."
Theo sah etwas bedeppert aus, klaubte aber pflichtschuldigst seine Brieftasche
aus dem Kaschmirmantel.
Er balancierte seinen Schirm ungeschickt über dem wohlfrisierten Haupt seiner Dame,
wobei ein Schwall Regenwasser sich in deren hochgetürmte Frisur ergoß und dann
gelang es ihm unter ihrem wütenden Protest doch noch, ein paar Scheine in Leo Drossels
hingehaltene Mütze zu werfen.

" Güte steckt an meine Herrschaften, wie wärs, wenn Sie sich infizieren ließen"

Leo wedelte mit seiner Mütze vor einer weiteren Gruppe die eilig aus dem Regen
ins Trockene strebte und es dauerte keine zehn Minuten , bis er mit munteren Sprüchen
und Zitaten auch die Eiligsten davon überzeugt hatte, dass es vor der Bibliothek
wahrscheinlich nicht halb so teuer für sie werden würde, wie drinnen.

Als sich die hohen Flügeltüren hinter dem letzten Gast schlossen,
wandte Leo sich zufrieden grinsend um und hielt Anna, die seine muntere
Vorstellung staunend beobachtet hatte, die mit Geldscheinen gefüllte Kappe hin.
"Nimm schon", er strahlte übers ganze Gesicht.
Unbeeindruckt wischte er sich das Regenwasser aus den Augen,
sah an sich herunter und wagte dann ein paar beschwingte Tanzschritte,
bei denen das Wasser in seinen Schuhen quietschte.

Anna zögerte den Bruchteil einer Sekunde , doch dann ergriff sie entschlossen das
gefüllte Käppi .
"Komm mit, bevor sich einer von uns eine Lungenentzündung holt.
Ich hause seit zwei Monaten in einer WG und wir haben uns vor kurzem
den Luxus eines Wäschetrockners geleistet.
Wenn Du versprichst, nicht darauf zu bestehen, eine Tabledance-Nummer
bei uns abzuziehen, mußt Du zumindest diese Nacht unter Deiner Brücke
nicht in nassen Sachen verbringen."

Leo strahlte.
Gleich darauf aber kam die etwas beklommen klingende Frage;
" Wer ist UNS? Hast Du einen Lover?"

"Ich habe Freunde und die wollen Dich und Deine literarische Ader
garantiert kennenlernen.
Du wirst schon sehen. Wir wohnen zwei Straßen hinter der Bibliothek und heute
ist Gründungsabend.
Du kommst also gerade richtig. Heissen Tee gibt’s bei uns für jeden.
Aber rechne nicht mit Alk, den schminke Dir ab, da läuft nichts.

Gründungsabend? Leo seufzte komisch.
" Ich hoffe Ihr gründet keinen Verein geläuterter Penner."
Dann jedoch ließ er sich gottergeben von Anna mitziehen.

Und so kam Leo Drossel zur *Brücke * und erwies sich als
absoluter Glücksfall für das Unternehmen.
Bis zu seinem Auftauchen war *Die Brücke* nur ein Plan.

Eine Gruppe von literarisch und künstlerisch interessierten Menschen
aus Ämtern, Firmen, Literatur- und Theaterbetrieben war dabei,
zusammen mit Nichtsesshaften das Projekt * Kultur am Rande*, das bereits in
vielen Städten erfolgreich lief, zu übernehmen.
Niemand lebt in einem Vakuum hieß das Motto, und die Akteure
beider Seiten sollten die Grenze zwischen den Etablierten
und denen auf der Straße überwinden.

Wer Mitglied werden wollte, der hatte sich mitgestaltend einzubringen,
oder er war für das Projekt unbrauchbar.

In dieser Szene tauchte also unversehens Leo Drossel auf.
Nicht mehr jung, nicht immer nüchtern , stets mit einem flotten Zitat
auf den Lippen und so kreativ wie die Besten unter den Mitwirkenden.
Sein Potential war offensichtlich.
Es galt also nur, ihn einzubinden und bei der Stange zu halten,
denn Leos Schwäche war nun mal der Alkohol und die Unbeständigkeit.

Es konnte durchaus passieren, dass er wochenlang nicht aufzutreiben war .
Dann hatte er lediglich einen Teil des Sommers unter einer Hafenbrücke
im Süden verbracht und wenn er wie aus dem Nichts wieder auftauchte,
war er voller skurriler Geschichten und Erlebnisse.
Und er tauchte immer wieder auf, denn er liebte Anna.

Daran hatte niemand den geringsten Zweifel, außer Anna selbst.

Anna war der Magnet, der ihn magisch anzog und
dann auch in immer kleineren Intervallen hielt.
Sie gab ihm zwar keine Chance ihr näher zu kommen, aber er wusste,
dass sie es liebte, wenn er das Füllhorn seiner Kreativität in das Projekt einbrachte.
Er löste Probleme aller Art im Handumdrehen und wurde immer mehr
zum allseits geachteten Verbindungsglied zwischen den Berbern und der Kunstszene .
In seinen kreativen Phasen schrieb Leo beachtenswerte Treatments und,
er war ein begnadeter Tänzer , der für viele gelungene Choreographien
verantwortlich war, durch die das Team immer bekannter wurde.

Längst hatte man ihm einen Dauerposten angeboten,
aber Leo war so nicht zu halten. Er liebte seine Freiheit und die Buntheit der Welt.

Nur mit Anna kam er nicht weiter.
Sie entzog sich ihm mit einer Penetranz, die ihn oft genug, wütende Flüche murmelnd,
vertrieb und er kam nur wieder, weil er genau wusste,
da war niemand sonst in ihrem Leben, den sie ihm vorgezogen hätte.

Sie war wie das berühmte Kräutlein Rührmichnichtan.
Sobald er ihr zu nahe kam und seis auch nur zufällig, wich sie zurück
und verschloss sich wie eine Auster.
Leo hatte längst das Mitgefühl aller, aber es war offensichtlich,
dass Anna in den Fängen ihrer Vergangenheit ebenso litt,
ohne sich aber daraus lösen zu können.

Männer waren eine Spezies, der sie nicht vertraute, nicht vertrauen konnte.

Und dann stellte das Schicksal die Weichen.

Die Lösung bot sich sozusagen auf dem Silbertablett.
Leo hatte das Treatment für eine Boulevardkomödie geschrieben,
die demnächst auf dem Spielplan der *Brücke* stehen würde und die Proben,
mit Anna als Souffleuse, liefen ausgezeichnet.

Die Premiere nahte und die beiden Hauptdarsteller, ein Pärchen mittleren Alters,
war ausgezeichnet in Form. Der Erfolg schien sicher.
Bis zum Abend der Generalprobe.
Da zeigte es sich, dass es immer ein Risiko bleiben würde,
Hauptrollen mit Nichtsesshaften zu besetzen.

Die beiden - längst clean und aus der Drogenszene ausgestiegen -
wurden wegen eines Deliktes aus ihrer Vergangenheit aufgegriffen
und kamen erst einmal in Untersuchungshaft.
Aus der Traum.
Wirklich?
Das wollte niemand hinnehmen.
Es gab nur eine einzige Lösung.
Anna und Leo.
Er hatte die Dialoge geschrieben, und sie hatte als Souffleuse den
Text ebenso drauf, wie die inhaftierte Hauptdarstellerin.

Gut, der Typ Salondame war Anna gewiß nicht.
Ihr Busen würde wahrscheinlich die Szene eher sprengen als ihre Spielfreude, unkten die Kollegen.
Aber, sie traute es sich zu, war hingerissen von der Vorstellung,
endlich mehr zu dem Projekt beizutragen, als nur die Requisiten zu verwalten und zu soufflieren.
Außerdem, das Team hatte keine Wahl.

Innerhalb von zwei Stunden avancierte Anna zu einer Schönheit des Rampenlichtes.
Die Kunst der Maskenbildnerin schuf eine hinreißende Beauty.
Die Crew staunte nicht schlecht, als sie sah, welche Verwandlung vor ihren Augen ablief.
Haltung, Bewegungen, Mimik, Anna passte sich ihrem Äußeren an
wie ein Chamäleon, es war verblüffend.
In Szene zwei der Kostümprobe betrat dann Leo die Bühne und hatte
- gemäß seiner Rolle - sofort auf Anna zuzugehen und sie leidenschaftlich in die Arme zu schließen.

Alle hielten den Atem an, konnte das gutgehen?

Und wie. Beide agierten, als hätten sie nie etwas anderes gemacht.
Anna schmiegte sich drehbuchgerecht in Leos Arme, zog alle Register
um ihn ins Bett zu kriegen, kurzum, sie spielte nicht nur die heißblütige,
zu allem entschlossene Verführerin, sie lebte sie auf offener Bühne mit einer Intensität,
die alle um Leos Beherrschung fürchten ließ.

Der bewegte sich wie in Trance, verpasste kein Stichwort,
schien von dieser Frau neben sich auf eine Weise fasziniert,
die jedem Zuschauer klarmachte, dieser Mann will diese Frau und er will sie sofort.
Das ganze Ensemble klatschte begeistert als die Schlußszene kam.
Die beiden Ersatzschauspieler waren unversehens in 90 Spielminuten zu
Darstellern der Extraklasse geworden, beide einander ebenbürtig
und beide völlig in ihren Rollen aufgehend.

Sie verbeugten sich gemeinsam, einander an den Händen haltend, erhitzt und glücklich.
Dann wandte sich Leo seiner Partnerin zu und ehe sie sich von ihm lösen konnte,
sagte er mitten in die eintretende Stille:
" Du wirst mir dieses Gefühl, diesen Moment, unverletzbar zu sein,
nie mehr zerstören können Anna, auch wenn Du mich jetzt wieder von Dir wegstößt,
es ist mir egal."
Sprachs, wandte sich auf dem Absatz um und ließ Anna einfach auf der Bühne stehen.

Premierenabend!

Wer bis dahin noch gezittert hatte, ob einer der Stars oder gar beide im letzten
Moment kalte Füße gekriegt haben könnte, wurde eines Besseren belehrt.
Beide saßen, den Rücken einander zugewandt, in der Gemeinschaftsgarderobe und
ließen sich schweigend für die Bühne zurechtmachen.
Plötzlich wandte Leo sich um und streckte seine Hand nach Anna aus.
"Ich bin bereit, überall hinzugehen, wenn es nur vorwärts ist, wie siehts mit Dir aus?"

" Du deklamierst schon wieder," antworte sie knapp und konzentriert, aber sie lächelte.

Der Abend wurde ein rauschender Erfolg.
Die beiden Hauptdarsteller schienen sich von Szene zu Szene zu steigern.
Sie waren hinreißend, sie überzeugten absolut und es gab immer wieder Szenenapplaus .
Die Vorstellung endete mit stehenden Ovationen für die Darsteller.
Es war ein Ereignis der Superlative geworden und alle Beteiligten in Hochform.
Hinter der Bühne, die Blumen noch im Arm, wandte sich Anna an ihren
Bühnenliebhaber ;
"Ehe ich es vergesse Leo, für die Premierenfeier wurde das Lokal umdisponiert.
In 15 Minuten werden wir erwartet, das Taxi holt uns am Bühnenausgang ab."
Sie wandte sich ab und verschwand hinter dem Paravent der Garderobe.

Das Taxi stand schon vor dem Bühnenausgang, als Leo auf die Straße trat,
aber Anna war nicht zu sehen.
"Wir warten noch auf die Dame", sagte er zu dem Fahrer, bevor er sich auf den Rücksitz fallen ließ.

" Das müssen wir nicht, antwortete der.
Sie sind mein einziger Fahrgast, die Dame kommt nicht mehr."
Und schon fuhr er los.
Leo sackte in sich zusammen, er sagte nichts, er fragte nicht, sondern schloß nur
unendlich enttäuscht und erschöpft die Augen.
Einige Minuten später fiel ihm auf, dass das Taxi die Innenstadt verlassen hatte
und in den Yachthafen einfuhr.
" Hier gibt’s aber nur das Fischrestaurant ", sagte er zu dem Fahrer
"und das hat um diese Zeit längst die Schotten dicht, Sie haben sich wohl verfahren."

" Nö, absolut nicht," antwortete der, "ich habe sehr genaue Anweisungen bekommen."
Er drosselte das Tempo und fuhr dann, immer langsamer werdend,
auf die kleine Brücke zu, unter der noch immer der alte Schäferwagen
stand, in dem Leo übernachtete.

Und dann, das Taxi hatte angehalten, rückte eine fantastische Kulisse in Leos Blickfeld.
Mitten auf der Brücke standen ein kleiner weißgedeckter Tisch und zwei Stühle.
Neben dem Tisch brannten auf sechs schlanken, hohen Kandelabern aus dem Bühnenfundus
Dutzende von Kerzen und beleuchteten die wundervolle Sommernachtsszenerie.

Ein fahrbarer Serviertisch unmittelbar neben dem Geländer war beladen
mit einem Sektkübel, und - Leo traute seinen Augen nicht - einer Pyramide von Pizzaschachteln.

Halb im Schatten der Brückenbeleuchtung aber wartete Anna.
Leo rannte los.
Das war die Nacht, in der aus Anna, Annabell und aus Leo Leander wurde.



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Beitrag28.12.2007 23:40

von Gabi
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Puuh Lore, das ist undendlich schön! Ich schmelze weg.
Sonst kann ich gar nichts sagen.
Nimm nur diese Worte und erfreue dich daran. Wink
L.G.
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Beitrag28.12.2007 23:50

von Lore
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Wusste ich es doch, Du romantische Seele...lach

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Beitrag28.12.2007 23:56

von Gabi
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Danke Lore, will mehr! Dann brauch ich mir keine Bücher mehr zu kaufen. Wink
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Beitrag29.12.2007 00:04

von Lore
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Witzboldin.....geh doch mal stöbern:

http://www.story-ecke.de

Lore


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Beitrag29.12.2007 00:08

von Gabi
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Bin schon am stöbern!
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Beitrag29.12.2007 00:13

von Gabi
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Habe diese Seite gerade meinen Favoriten zugefügt.

Und ich Idiot hab jahrelang Unmengen von Euros in Bücher umgewandelt.
*vordenkopfhau*
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Beitrag29.12.2007 00:33

von Lore
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Das solltest Du auch weiter tun, denn ich schreibe keine Bücher, sondern nur Kurzgeschichten, auch keine Lyrik.

Lore


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