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Perspektivwechsel


 
 
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observer
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 71
Beiträge: 46
Wohnort: Münster/Westf.


Beitrag30.01.2013 21:43
Perspektivwechsel
von observer
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Benommen öffne ich die Schlafzimmertür. Im Wohnzimmer ist es hell. Ich schau auf die Küchenuhr neben dem Fenster. Es ist halb zwölf.
Ich habe also wohl nicht gefrühstückt. Du stehst an der Spülmaschine und räumst sie aus, schaust auf, siehst mich und kommst auf mich zu, nimmst mich in den Arm. Ich lasse es geschehen. Sollte das nicht schön sein, so begrüßt zu werden?
Aber alles ist wie in Watte gepackt. Ich schaue dich an. Du wirkst schmal, verhärmt, traurig. Ringe unter den Augen, Bedauern und Mitleid darin.
Mit mir? Warum bist Du traurig? Ich will das nicht, niemand soll Mitleid mit mir haben. Angeblich bin ich krank, dabei will ich doch nur Ruhe. Und die finde ich nur im Bett. Was ist schlimm daran? Warum bist Du so schmal? Isst Du nicht richtig? Und warum weiß ich das nicht? Koche ich denn nicht mehr?
Du flüsterst mir ins Ohr, dass Du mich liebst. Natürlich, wir sind ja verheiratet, Du bist mein Mann, da liebt man sich, oder? Ich liebe Dich doch auch. Denke ich jedenfalls. Das war doch immer so. Dann wird es auch jetzt wohl so sein.
Nein, ich möchte nichts essen. Wozu auch? Ich brauche ja keine Kraft. Du kümmerst Dich um alles. Vielleicht um zu vieles. Aber ich muss mir dann ja keine Sorgen machen, denn Du bist ja da.
Was hast Du gesagt? Ich soll duschen und mich fertigmachen? Wir sind eingeladen?
Aber du musst doch wissen, dass ich nicht duschen kann, auch nirgendwo hingehen kann, ich muss doch hier bleiben, in meinem Bett. Verstehst Du das denn nicht? Wohin überhaupt eingeladen? Wer lädt uns denn ein?
Ist aber auch egal, ich kann ja ohnehin nicht weg von hier.
Wieso bin ich überhaupt aufgestanden? Ach so, ja, irgendein Geräusch hat mich wohl geweckt. Jetzt könnte ich eine Zigarette rauchen und dann wieder gehen.
Wie, Du meinst, ich sollte nicht wieder ins Bett gehen? Das sei nicht gut für mich? Aber verstehst Du denn nicht? Es ist unerheblich, was gut für mich ist. Ich will nur Ruhe, nicht mehr nachdenken. Nie mehr.
Ganz entfernt, als sähe ich einen Film, kommt mir der Gedanke, dass  es eigentlich nicht gut ist, Dich so traurig zu sehen. Ist es meinetwegen? Tut mir Leid. Das habe ich nicht gewollt. Aber irgendwie kann ich es auch nicht ändern.
Du bist ja schon groß und kannst prima ohne mich leben. Ich kann das natürlich nicht, ich brauche Dich ja, aber Du bist ja auch um mich besorgt. Da kann mir ja nichts passieren. Ein beruhigender Gedanke.
Nein? Kein Schlafmittel jetzt? Warum nicht? Es ist doch für uns beide besser; ich schlafe, und Du hast Deine Ruhe.
Du willst diese Art von Ruhe nicht? Was ist daran schlimm? Es ist doch einfach nur friedlich, für uns beide.
Ich gehe dann mal wieder. Die Schlafzimmertür schließt sich hinter mir, ich ziehe die Decke über den Kopf und denke kurz an Dein schmales Gesicht, das mir einmal so vertraut war.



_________________
Gruß Observer Verstecken
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Mardii
Stiefmütterle

Alter: 64
Beiträge: 1774



Beitrag31.01.2013 22:34

von Mardii
Antworten mit Zitat

Hi observer,

ich denke, es handelt sich hier um die Innenperspektive einer Depressiven, die für eine kurze Weile aus ihrem Kokon, oder ihr Schlupfloch, das Bett, heraus kommt. In der Begegnung mit ihrem Mann versucht sie die Gedanken nachzuvollziehen, die sich dieser macht und aus ihren aufflackernden Wahrnehmungen ihrer Umgebung, zieht sie Schlussfolgerungen, wie sie sich ihr gegenüber verhält. Perspektivwechsel meint wohl den versuchten Rollenwechsel der Kranken. An dieser Stelle wird er deutlich:
observer hat Folgendes geschrieben:

Du bist ja schon groß und kannst prima ohne mich leben. Ich kann das natürlich nicht, ich brauche Dich ja, aber Du bist ja auch um mich besorgt. Da kann mir ja nichts passieren. Ein beruhigender Gedanke.


Mit der Du-Ansprache des Li-Ichs tue ich mich persönlich schwer, ich mag das nicht so an mich heran lassen. Ich finde den Text so weit O.K., nur glaube ich, die Sprache müsste weitaus monotoner sein, um den Zustand präzise wiederzugeben. Es ist eine sehr belebte Sprache und nicht sehr authentisch. Trotzdem kommt deine Idee rüber.

Grüße von Mardii


_________________
`bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully
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Alina.
Erklärbär
A


Beiträge: 4



A
Beitrag01.02.2013 20:55

von Alina.
Antworten mit Zitat

Hallo,

mein erster Gedanke war nicht "Depression" sondern "Demenz", wohl wegen diesem Satz hier:

Zitat:
Ich habe also wohl nicht gefrühstückt


Es hört sich zumindest so an, als ob die Protagonistin sich selbst nicht mehr daran erinnern kann, ob sie gefrühstückt hat, und möglicherweise erinnert sie sich auch an einiges andere nicht mehr. Ich hatte daher zunächst ein älteres Ehepaar vor meinem inneren Auge. Im weiteren Verlauf klingt es allerdings tatsächlich eher nach Depression.

Wenn es eine Depression ist, frage ich mich, ob die Depressive tatsächlich versuchen würde, sich in ihr Gegenüber zu versetzen? Oder erzählst du vielleicht genau diese außergewöhnliche Situation, als sie einmal versucht hat, alles aus seiner Perspektive zu sehen?

Die Sprache gefällt mir eigentlich ganz gut; kurze, klare Sätze frei von Emotionen. Es klingt ein wenig kindlich, als versucht jemand, möglichst einfach zu denken. Würdest du eine Erzählung in diesem Ton schreiben, würde ich sagen: Grundschulaufsatz. Aber so, da es nur um die Formulierung von Gedanken geht, zu denen sich jemand zwingt, der eigentlich nur im Bett liegen will, passt es.

Vielleicht könntest du etwas weniger oft ein "ja" reinpacken.
Hier z.B. kommen drei dicht hintereinander:

Zitat:
Du bist ja schon groß und kannst prima ohne mich leben. Ich kann das natürlich nicht, ich brauche Dich ja, aber Du bist ja auch um mich besorgt.

Gruß
Alina.
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Fleur de Sol
Geschlecht:weiblichWortedrechsler


Beiträge: 58
Wohnort: Im Geiste überall


Beitrag02.02.2013 12:12

von Fleur de Sol
Antworten mit Zitat

Hallo observer,
die Idee zu Deiner Geschichte gefällt mir sehr, das Thema spricht mich absolut an, allerdings nimmt mir die Beschreibung: 3 Türen, Geschirrspüler, Umarmung, duschen, ...  die Spannung.

Zitat:
Benommen öffne ich die Schlafzimmertür. Im Wohnzimmer ist es hell. Ich schau auf die Küchenuhr neben dem Fenster. Es ist halb zwölf.


Der Gang Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küchenuhr ist für mich zu lang oder, wenn auf dem Weg etwas passiert, eben deutlich zu kurz geraten. Aus meiner Sicht sind die Zimmerbeschreibungen aber gar nicht wichtig, daher wäre mein Verkürzungsvorschlag hier so etwas wie: Licht blendet, die Mittagszeiger ticken, ... da kann ich mir als Leser vorstellen, dass jemand lange geschlafen hat und noch nicht richtig wach ist; ich falle aber auch noch nicht gleich in das traurige Schicksal.
Zitat:
Ich schaue dich an. Du wirkst schmal, verhärmt, traurig. Ringe unter den Augen...

Ist es wichtig, wer wo aufeinander trifft? (Sie auf ihn, er auf sie in der Küche ...?) Wenn nicht, ließe es dem Leser mehr Raum für Interpretationen zum Thema. Mir würde an der Stelle reichen: "Deine Ringe unter den Augen dauern mich." Hier steigt die Spannung, denn der Leser fragt sich, wieso? Dazu kommt, dass die Watte im Kopf bei depressiven Menschen - wie Du es ja trefflich beschreibst - zu sehr verkürzten Denkstrengen führt. Daher habe ich versucht heraus zu filtern, was mich bei Deinen Denkpassagen wirklich angesprochen hat:  
[quote]Wie nicht wieder ins Bett gehen?... Nein, kein Schlafmittel jetzt?[/quote] Großartig!!!

Die Einladung und das Duschen und die daraus resultierenden Entschuldigungen brauchts da für mich nicht mehr ..., es ist alles gesagt!

Herzliche Grüße
Fleur


_________________
„Alles Gelingen hat sein Geheimnis, alles Mißlingen seine Gründe.“(J.Kaiser)
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Vogel
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 436

Goldene Neonzeit


Beitrag02.02.2013 22:52
Re: Perspektivwechsel
von Vogel
Antworten mit Zitat

Hallo Observer,

ich finde Deinen Text auch sehr intensiv und eindrucksvoll. Ich habe täglich mit depressiven Menschen zu tun und ich würde wetten, dass Du Erfahrungen hast, egal aus welcher Sicht. Im Gegensatz zu Fleur de Sol würde ich mir aber eher mehr Handlung, mehr Beschreibung wünschen. Klar, der Text ist eben dezidiert nur der Gedankengang der Protagonistin und keine "Geschichte" in dem Sinne. Da er so kurz ist, funktioniert das auch noch, ohne sonderlich zu nerven. Aber trotzdem hatte ich beim Lesen den Wunsch, diese toll beschriebenen Gedanken in einer packenderen, "raffinierteren" Form zu bekommen. So ist es eine Art Destillat und ich kann die Motivation dahinter verstehen. Ich denke aber auch, dass das was da destilliert ist, es wert wäre, in einer Geschichte mit mehr Handlung vorzukommen, in einer Geschichte, die den Leser mehr mitnimmt, indem sie ihn mit Beschreibungen einsaugt.
Andererseits gewinnt der Text auch gerade durch seine Prägnanz an Intensität. Insbesondere, dass am Ende keinerlei Pointe oder so kommt, fand ich überraschend (auch wenn es paradox klingt) und umso bezeichnender für das Trostlose einer Depression.
Ein paar Details:
 

Zitat:
Ich schau auf die Küchenuhr neben dem Fenster.

Hast Du bewusst "schau" und nicht "schaue" geschrieben?

Zitat:
Ich habe also wohl nicht gefrühstückt.

Das kommt mir seltsam vor. In den meisten Fällen würde ich erwarten, dass die Person kein Interesse am Frühstück hat, aber durchaus wissen müsste, ob sie es hinter sich hat oder nicht.

Zitat:
Du stehst an der Spülmaschine und räumst sie aus, schaust auf, siehst mich und kommst auf mich zu, nimmst mich in den Arm.

Ist mir etwas viel Aufzählung hintereinander.

Zitat:
Natürlich, wir sind ja verheiratet, Du bist mein Mann, da liebt man sich, oder? Ich liebe Dich doch auch. Denke ich jedenfalls. Das war doch immer so.

Die vielen "dochs". Hm, beim zweiten Lesen sind es nur zwei, klingen aber wie drei Rolling Eyes

Zitat:
Was hast Du gesagt? Ich soll duschen und mich fertigmachen? Wir sind eingeladen?

An der Stelle wird mir das "Du" etwas zu viel. Es ist ja, so wie ich es verstehe, keine wirkliche wörtliche Rede, sondern nur der Gedankengang. Dass man in Gedanken auch Formulierungen mit "Du" fasst, halte ich für richtig. Aber ich denke, in diesem Fall würde man eher denken: "Was hat er gesagt?" Wobei bei einem Wechsel dieser Art die Verständlichkeit natürlich leiden könnte.



Zitat:
Aber verstehst Du denn nicht? Es ist unerheblich, was gut für mich ist. Ich will nur Ruhe, nicht mehr nachdenken.

Das finde ich sehr gut auf den Punkt gebracht.

Zitat:
Du bist ja schon groß und kannst prima ohne mich leben.

Bei der Formulierung kam ich ins Stutzen, ob statt vom Mann vielleicht vom Kind die Rede ist (auch wenn es oben explizit erwähnt ist). "Großsein" allein klingt schon recht kindersprachlich, aber durch das "schon" klingt es mir, als hätte die Person, die das sagt, das Großwerden miterlebt.

Zitat:
Es ist doch für uns beide besser; ich schlafe, und Du hast Deine Ruhe.

Weil weiter oben der Wunsch nach "Ruhe" als ihr größtes Thema eingeführt wird, würde ich an dieser Stelle einen anderen Begriff wählen, für das, was der Mann sich wünscht.

Gruß
Vogel


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