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Askeron
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 39
Beiträge: 11
Wohnort: Fulda


Beitrag04.12.2007 17:58
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von Askeron
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In Nomine



„73“

Woher kommen wir? Warum existieren wir? Zwei einfache Fragen, mit deren Beantwortung sich schon allzu viele Scharlatane befasst haben. Gläubige, Wissenschaftler, Sektenführer, Wahnsinnige, ihre Antworten sind vielfältig und verstörend zugleich.
Glaubt man Darwin, stammen wir salopp gesagt von fischigen Einzellern ab, während uns andere Theorien ins Wunderland zu Adam und Eva führen oder als lustiges Sandkastenexperiment höherer Mächte bezeichnen.
Wieso zweifeln wir? Im Grunde hat niemand Unrecht. Wie man es auch dreht und wendet, alles ist theoretisch möglich, nur beweisbar ist dummerweise nichts.
Laut unserer Zeitrechnung existieren die Menschen mehr als 4000 Jahre. Und wie haben wir dieses Geschenk genutzt? Mehr als doppelt so viele Wege uns gegenseitig auszurotten stellen überhaupt kein Problem dar, aber gab es nur einen über jeden Zweifel erhabenen Beweis für die Existenz höherer Mächte?
Sicher, glaubt man den diversen Religionen und den meisten ihrer Abarten, ist der Mensch blind für das Göttliche. Glauben heißt sehen, anfassen und verstehen, alles andere kann man getrost als naiv belächeln.
Nicht mal die Fragen aller Fragen konnte man so beantworten. Gibt es einen Gott? Gab es seinen Sohn, diesen Jesus - Menschen? In der Bibel heißt es: „Gott spricht zu uns, ganz gleich wie stark unser Glaube ist, er ist überall und umschließt uns mit seiner Herrlichkeit.“ Erzählt das mal jemanden, der beim elften September in der ersten Reihe saß.
Von diesen Geschichtensammlungen unseres so genannten Glaubens sollte man nicht allzu viel halten. Fakten oder Fiktionen, was bringen sie uns? Im Wesentlichen liefern sie gut dosierte Hoffnung, die einzig wahre Droge des Lebens.
Das Leben hat einen Sinn. Welchen muss jeder für sich selbst erfahren. Gib dich einfach blind deinem Glauben hin. Wir sind nicht einfach nur ein verrückter Unfall der Evolution, wir sind Gegenwart und Zukunft, und am Ende werden wir alle das Licht sehen und die einzige, unumstößliche Wahrheit im großen schwarzen Nichts erkennen. Bis dahin heißt es nur: „Fressen oder gefressen werden.“ Gott ist tot.



Willkommen auf meiner Seite des Spiegels…






I

Die lange Nacht



„An manchen Tagen sehe ich die Zukunft. An manchen Tagen sehe ich noch weiter. Ich weiß nicht was ich glauben soll. Ich war so lange fort.“



1

‚Ins Dunkel’

Ich hatte mich entschlossen mit meinem ach so nutzlosen Leben abzuschließen, hierbei gab es für mich viele Optionen dem tristen Dasein auf Erden ein Ende zu bereiten.
Mir eine Waffe besorgen und der schier endlosen Wut auf Gott und das Leben freien Lauf lassen? Warum alleine sterben, wenn man ein paar Unschuldige mitnehmen kann? Ein kleines Massaker in der Familie oder im Supermarkt.
Wieso nicht? Ich konnte meine Verwandtschaft noch nie leiden. Zum Abschluss noch das ersehnte Treffen mit dem Sondereinsatzkommando der örtlichen Polizei, welches ein gut gezielter Kopfschuss nur allzu schnell beenden kann. Es würde keinen wirklichen Unterschied machen. Die Alternative liefe auf dasselbe hinaus, nur dass es mehr Papierkram für die Beamten gäbe.
Heimlich, still und leise aus der Welt treten wäre auch eine Möglichkeit. Die überdosierte Portion Schlafmittel oder ein paar richtig aufgeschnittene Pulsschlagadern sind hier eindeutige Dauerfavoriten. Nicht dieser eintönige Hilfeschreimist mit Rasierklinge, Abschiedsbrief und Badewanne. Wochen später wirst du dann gefunden und auf deiner Beerdigung von allen bedauert. Man hat dich doch so gern gehabt und niemand hätte dir so etwas zugetraut. Ich hatte persönlich noch nie viel für Heuchelei auf tränenreichen Beerdigungen übrig.
Die klassische Variante ist, seit alters her, aber immer noch der Sprung in den Tod. Hierbei sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Überall finden sich Orte für den freien Fall, an dessen Ende man sich alle Knochen und selbstverständlich das Genick zu brechen hofft. Laut einer Studie der New York Times sind die beliebtesten Orte Brücken und Häuserdächer. Wenn ich mich wirklich so umbringen wollte, würde ich in der großen Pause von einem Schuldach springen. Nichts wäre auf dem Weg in die Hölle beruhigender, als die Gewissheit ein paar kleine Seelen für immer traumatisiert zu haben.
Aber genug davon, die Vergangenheit ist tot und begraben. Schließlich folgte ich in gewisser Weise doch dem ersten Pfad, wenn auch bei mir im Vergleich zu den meisten meiner Leidensgenossen nur eine kleine Modifikation nötig war um meinem Leben wieder einen Sinn zu geben. Nur wer alles verloren hat, besitzt die Freiheit alles zu tun. Amoklaufen und im Kugelhagel krepieren konnte jeder.
Was stattdessen folgte war ein langer blutiger Weg, der mich schließlich in dieser Nacht hierher geführt hatte, in den fast leeren Raucherwaggon des ICE 782 von Hamburg/Altona nach Basel. Meine aktuelle Zielperson hieß Walter von Hagens und hatte den Zug wie jeden Freitagabend in Kassel/Wilhelmshöhe um 23:17 betreten, sich auf den nächst besten freien Platz gesetzt und eine seiner Lieblingszigarren der Marke PS angezündet. Wir alle kennen diese drei Euro Billigzigarren oder Leute, die mit leeren Aktenkoffern durch die Gegend rennen, um sich wichtiger zu fühlen. Von Hagens war genau so ein kleinbürgerlicher Spießer.
Er arbeitete in Kassel für die dortige Filiale der Allianz Versicherungsgesellschaft und hatte meinen Auftraggeber und die Jakavetta-Familie um ihren Anteil bei einem größeren Versicherungsbetrug erleichtert. Mehr brauchte ich nicht zu wissen, nur dass er deswegen sterben musste.

Walter hatte seine Zigarre gerade erst angezündet und sich nur ein paar Minuten dem Genuss selbiger hingegeben, als er auch schon jäh unterbrochen wurde. Zwei fette Trampel kaukasischer Abstammung in langen braunen Mänteln kamen den Mittelgang des Waggons heran. Sie hatten die wenigen anderen Fahrgäste auf dieser Seite schon hinter sich gelassen und auch an mir waren sie problemlos vorbeigekommen. Kurz vor Walters Platz schienen beide Männer jedoch in einen heftigen Streit zu geraten und der schmächtigere wurde mehr an ihm vorbei gestoßen, als dass er ging. Dabei wurde von Hagens die Zigarre aus der Hand geschlagen, und das qualmende Mistding landete mitten auf seinem teuren Billiganzug, der kurz darauf zu kokeln anfing. Während er fluchend die Funken mit einer Bahnzeitung auszuklopfen versuchte, schienen die Beiden das Missgeschick nicht einmal bemerkt zu haben und setzten ihren Weg zur Mitte des Waggons fort. Walter erhob sich von seinem Platz und bewegte sich in Richtung des Abteilbereichs sowie der Toilette. Scheinbar wollte er die Ascheflecken mit einfachem Leitungswasser auswaschen. Das kam mehr als gelegen.
Von Hagens genoss jedoch nur einen Teil meiner Aufmerksamkeit. Die andere Hälfte gehörte vollends den zwei Trampeln und der Maschinenpistole, welche kurz unter dem Mantel des kräftigeren Mannes zu sehen gewesen war, als er seinen Begleiter an Walter vorbei gestoßen hatte. Das könnte alles unnötig verkomplizieren oder um einiges interessanter machen. Kaum hatte von Hagens meinen Platz passiert, stand ich auf und folgte ihm.

„Nächster Halt Fulda! Der Ausstieg befindet sich in Fahrtrichtung links. Allen Fahrgästen, die in Fulda aussteigen, wünschen wir noch einen schönen Abend.“ Dieses mechanisch kalt runter geleierte Gerede sägte schon die letzten drei Haltestellen an meinen Nerven. Zum Glück würde ich in Fulda endlich aussteigen. Der Sprecher hatte seine wichtige Nachricht beendet, und von Hagens die Toilette schon fast erreicht. Die Hand am Türgriff schien er zu zögern. Womöglich hatte er etwas Wichtiges vergessen oder es sich einfach anders überlegt.
Mit einem harten Schlag in den Nacken und einer gleichzeitigen Vorwärtsbewegung schob ich von Hagens durch die halbgeöffnete Tür und schlug ihn mit dem Kopf gegen die Wand. „We...Wer sind Sie?!“ Walter sank leicht benommen auf den Thron und schien dennoch nur mühsam wieder zu klarem Verstand zu kommen.
 „Hab Sie wohl härter erwischt als eigentlich gedacht. Das tut mir ehrlich gesagt Leid. Aber es ist wohl auch nicht mehr zu ändern. Sei’s drum.“ Ein kurzer Blick aus dem Fenster. Tunnelbeleuchtung. Der letzte große Tunnel vor Fulda. „Die Wahl liegt bei Ihnen. Ich persönlich bevorzuge Messer.“
„Was wollen Sie? Was zur Hölle wollen Sie?!“ Stille. „Hat Sie Tony geschickt? Wollen Sie Geld?! Hier, Sie können alles haben.“ Von Hagens wollte seine Brieftasche aus der Innentasche seines Jacketts hervorholen.
„Ich will Ihr schmutziges Geld nicht und auch sonst hätten Sie nichts, was mich interessieren könnte, bis auf eines.“
Walter war wieder bei Verstand und schien dennoch nicht zu begreifen. Für gewöhnlich war es ein Hochgenuss solche Momente tiefer auszukosten, doch so faszinierend sie auch waren auf Dauer hasste ich diese „Frage-Antwortspiele“ einfach.
Die Klinge des Butterflys blitzte nur kurz im schalen Licht der gammligen Beleuchtung auf, bevor sie in Walters rechtem Auge und der dahinter liegenden Augenhöhle verschwand. Glaskörper quoll aus dem durchbohrten Augapfel, gefolgt von Blut und Hirnwasser, während die Klinge weiter in seinen Schädel vordrang und Walter von Hagens sein Leben aushauchte. Das verbliebene Auge starrte leblos mit einer Mischung aus Zorn und blankem Entsetzen ins Leere.
Es war getan. Schon in wenigen Tagen würde der Rest der vereinbarten Summe auf mein Schweizer Nummernkonto überwiesen werden. Ich hielt noch einen Moment inne, um mein Werk genauer zu betrachten, aber irgendetwas stimmte nicht. Draußen war es viel zu ruhig.

Ein Schuss durchbrach die bedrohliche Stille. „Niemand rührt sich! Alle nehmen sofort die Hände hoch, und wenn keiner irgendwelche Dummheiten macht, wird niemandem etwas passieren! Wir sind nur hier, um einem alten Freund „Hallo“ zu sagen.“ Diese Stimme. Nein das konnte nicht sein. Sie konnte es nicht überlebt haben. Es war einfach nicht möglich. Niemals! Wie auch immer. Der Job war erledigt, und der Rest theoretisch gesehen simpel. Etwas zur Ablenkung und dann nichts wie weg hier. Eine Ladung C4 in von Hagens linker Innentasche sollte den gewünschten Effekt haben. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, dem Fernzünder in der linken und einer Beretta 92 in der anderen Hand verließ ich die Toilette.
Ohne ihre Mäntel sahen die beiden lange nicht so fett aus. Sie trugen kugelsichere Westen, aber nur einer hatte die Maschinenpistole. Der andere hatte einen älteren Mann im Würgegriff, welchem ein C4-Gürtel um den Oberkörper geschnallt worden war. Er hatte ihn wohl vorher unter dem Mantel getragen und ihn der nächst besten potentiellen Geisel angelegt, die er nun mit einem 47er Colt an der Schläfe bedrohte, eines dieser Drecks Sechs-Schuss-Teile. Beide standen in der Mitte des Waggons, direkt bei den Kleiderhaken, und hielten von dort aus die übrigen Passagiere in Schach. Ich sah mich auch nach ihr um, doch konnte ich sie nicht finden.
Im allgemeinen Chaos aus Angst, Verwirrung und Neugier der wenigen anderen Fahrgäste war es sicher ein Leichtes die Sache zu Ende zu bringen. Diese beiden waren keine Gefahr. Sie waren Training. Nach ein paar Schritten ging ich in die Hocke und wartete ab. “Das mit den Händen gilt auch für dich! Los hoch damit und komm hier rüber!“ Zittrig zielte er mit der Maschinenpistole auf mich. Irgendetwas schien ihn nervös zu machen. Seine letzten Worte waren auch nicht gut gewählt. Das sind sie wohl nie.
Für einen Moment schien alles still zu stehen, dann schnellten meine Hände nach oben und eröffneten die erste Ballade der Gewalt in dieser Nacht.



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Enfant Terrible
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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag04.12.2007 18:18

von Enfant Terrible
Antworten mit Zitat

Erst mal was zu deiner Einleitung. Will ja nicht radikal klingen, aber: Ich würde sie streichen. Restlos und ohne den Inhalt oder den passablen Schreibstil zu berücksichtigen. Schriftliche Überlegungen dieser Art, wie du sie anstellst, gab es schon viel zu oft in ähnlicher Form, sodass es nur überflüssig wirkt. Geht es nur mir so, dass ich nach dieser Philosophiererei am Anfang kaum weiterlesen wollte?

Zitat:
Woher kommen wir? Warum existieren wir? Zwei einfache Fragen, mit deren Beantwortung sich schon allzu viele Scharlatane befasst haben. Gläubige, Wissenschaftler, Sektenführer, Wahnsinnige

und auch du?  Wink  Nimms mir nicht übel, aber allein schon die beiden Fragen, die du am Anfang angibst, werden so oft wiederkäut, dass sie so niederzuschreiben nicht viel bringt.

Zitat:
Ich hatte mich entschlossen mit meinem ach so nutzlosen Lebenabzuschließen, hierbei gab es für mich viele Optionen dem tristen Dasein auf Erden ein Ende zu bereiten.

Auch das: Nicht gerade neu, kaum interessant. Der kursive Teil weckt jedoch den Verdacht, dass der Erzähler seinem Selbstmord ironisch gegenübersteht. Trotzdem, so würde ich das nicht stehen lassen.  

Zitat:
Warum alleine sterben, wenn man ein paar Unschuldige mitnehmen kann? Ein kleines Massaker in der Familie oder im Supermarkt.
Wieso nicht? Ich konnte meine Verwandtschaft noch nie leiden. Zum Abschluss noch das ersehnte Treffen mit dem Sondereinsatzkommando der örtlichen Polizei, welches ein gut gezielter Kopfschuss nur allzu schnell beenden kann. Es würde keinen wirklichen Unterschied machen. Die Alternative liefe auf dasselbe hinaus, nur dass es mehr Papierkram für die Beamten gäbe.

Yeah! Schön böse! Ab hier war ich richtig drin im Text! Daumen hoch

Zitat:
Heimlich, still und leise aus der Welt treten wäre auch eine Möglichkeit. Die überdosierte Portion Schlafmittel oder ein paar richtig aufgeschnittene Pulsschlagadern sind hier eindeutige Dauerfavoriten. Nicht dieser eintönige Hilfeschreimist mit Rasierklinge, Abschiedsbrief und Badewanne. Wochen später wirst du dann gefunden und auf deiner Beerdigung von allen bedauert. Man hat dich doch so gern gehabt und niemand hätte dir so etwas zugetraut. Ich hatte persönlich noch nie viel für Heuchelei auf tränenreichen Beerdigungen übrig.

Auch das liest sich ironisch und damit auf eine morbide Weise amüsant.

Zitat:
Was stattdessen folgte war ein langer blutiger Weg

Kein Pathos, keine Klischees bitte! Streichen!

Zitat:
Zwei fette Trampel

Sorry, aber dieser Ausdruck passt so gar nicht in deinen übrigen, intellektuellen Stil, dass ich beim Lesen hochgeschreckt bin. Mir ist schon klar, dass du evtl. einen Kontrast schaffen musst, aber so ein krasser Stilwechsel wirkt wie ein Fehler. Ebenso:
Zitat:
der gammligen Beleuchtung


Fazit: Nicht böse sein, aber ich würde das gesamte theoretische Gesülze um den Selbstmord streichen. Das langweilt. Beschreib einfach das Massaker, die Action! Und die ganze "Theorie" kannst du ja am Schluss bringen, als Epilog oder so. Oder am besten gar nicht.
Zum Stil: Achte noch ein wenig auf die Rechtschreibung. Abgesehen davon und von den mitunter unpassenden umgangssprachlichen Worten fand ich deinen Stil echt gut, verschwende ihn nicht für Klischees wie oben!


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Askeron
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Beitrag04.12.2007 19:33

von Askeron
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Hallo Terrorkrümel,

erstmal Danke für deinen Kommentar. War wirklich gespannt wie die Geschichte in dieser Zielgruppe ankommt und wie sich zeigt sind die Geschmäcker auf dieser Basis sehr verschieden, aber kommen wir doch ohne weiteres Geschwafel zu deiner Kritik.

Zitat:
Erst mal was zu deiner Einleitung. Will ja nicht radikal klingen, aber: Ich würde sie streichen. Restlos und ohne den Inhalt oder den passablen Schreibstil zu berücksichtigen. Schriftliche Überlegungen dieser Art, wie du sie anstellst, gab es schon viel zu oft in ähnlicher Form, sodass es nur überflüssig wirkt.


Sicher, das Thema ist uralt und x-fach durchgekaut. Über meinen Stil mag ich auch gar nicht urteilen, deinen kenne ich nur vom überfliegen, für dein Alter doch recht solide, aber hey nobody's perfect.
Streichen werde ich die Einleitung sicher nicht. Für manche mag sie wohl störend langwierig bzw. nichts Neues sein. Für mich ist sie jedoch ein guter Einstimmer auf die nachfolgende Geschichte.

Zitat:
Geht es nur mir so, dass ich nach dieser Philosophiererei am Anfang kaum weiterlesen wollte?


Witzigerweise bist Du bisher tatsächlich die Einzige, die die Einleitung bemängelt hat. wink

Zitat:
und auch du? Wink Nimms mir nicht übel, aber allein schon die beiden Fragen, die du am Anfang angibst, werden so oft wiederkäut, dass sie so niederzuschreiben nicht viel bringt.


Jep ich auch. Und ich bin auch kein bisschen müde diese Philopsophieleiche immer wieder zurück ans Tageslicht zu schleifen.

Zitat:
Auch das: Nicht gerade neu, kaum interessant. Der kursive Teil weckt jedoch den Verdacht, dass der Erzähler seinem Selbstmord ironisch gegenübersteht. Trotzdem, so würde ich das nicht stehen lassen.


Das Rad neu erfinden hatte ich eigentlich erst für 2008 geplant. Mittlerweile lassen sich kaum noch interessante Themen finden, die nicht schonmal irgendwie irgendwo von irgendwem aufgegriffen wurden. Wenigstens hebt die Ironie das Ganze ein wenig nach oben.

Zitat:
Kein Pathos, keine Klischees bitte! Streichen!


Zu Befehl!

"fette Trampel" und "gammelig" Da sollte ich den Kontrast noch etwas deutlicher hervorarbeiten.

Zitat:
Fazit: Nicht böse sein,


Ok ein bisschen böse Twisted Evil, aber nicht so sehr Mr. Green

Zitat:
... aber ich würde das gesamte theoretische Gesülze um den Selbstmord streichen.


Theorie muss sein. Sicher könnte man es noch einen Tick böser gestalten. Vielleicht werde ich das in der nächsten Überarbeitung nochmal nachreichen.

Zitat:
Das langweilt. Beschreib einfach das Massaker, die Action! Und die ganze "Theorie" kannst du ja am Schluss bringen, als Epilog oder so. Oder am besten gar nicht.


Schrecklich oder? Ein Massaker wäre sicher der Superstart überhaupt und dummerweise auch ein weiteres total klischeehaftes Stück Text gewesen. wink Naja, es kommt, aber erst später. angel

Zitat:
Zum Stil: Achte noch ein wenig auf die Rechtschreibung. Abgesehen davon und von den mitunter unpassenden umgangssprachlichen Worten fand ich deinen Stil echt gut, verschwende ihn nicht für Klischees wie oben!


Zum Schluss nochmal danke für das Lob und die Kritik.

MfG

Askeron


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Enfant Terrible
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Beitrag04.12.2007 19:40

von Enfant Terrible
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Ich hoffe, du konntest mit meiner subjektiven Meinung wenigstens ein bisschen was anfangen.
Du musst den Massaker nicht unbedingt als Aufhänger nehmen, aber seitenweise Gelaber über Selbstmordmöglichkeiten... ugh.
Zitat:
Für mich ist sie jedoch ein guter Einstimmer auf die nachfolgende Geschichte.

Dieses Argument MUSSTE ich einfach angreifen. Dein Geschmack spielt eine Rolle... aber ebenso oder sogar viel mehr der der Leser, oder? Na ja, mal schauen was andere sagen.
Zitat:
Theorie muss sein

Für Hintermondler vielleicht, die net wissen, wozu ein Strick gut ist  Wink  Aber hier sind alle aufgeklärt  Very Happy
Zitat:
Zum Schluss nochmal danke für das Lob und die Kritik.

Gern geschehen!


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Eireena
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Beiträge: 360



Beitrag05.12.2007 11:49

von Eireena
Antworten mit Zitat

Stil und Aufbau der Geschichte finde ich sehr gelungen. Wenigstens ein wenig zu verstehen, warum Dein Prota nun Auftragskiller ist, ist gut. Fände es blöd, wenn es direkt mit der Acitonszene im Zug losgehen würde.

Was mich allerdings genauso wie Krümel stört ist der langatmige Prolog.
Von mir aus kann eine philosophische Betrachtung oder ein Plädoyer gerne am Anfang stehen, aber dann sollte er mir auch irgendetwas neues ungewöhnliches aus den bekannten Argumenten und Theorien hervorzaubern, ansonsten ist es überflüssig.

Das Neue konnte ich nicht entdecken, eher, dass Du Dinge nicht genau genug betrachtest, gerade weil Du sie nur ganz kurz anreißt.

Hier verstehe ich Deinen Gedankengan nicht:

Zitat:

Sicher, glaubt man den diversen Religionen und den meisten ihrer Abarten, ist der Mensch blind für das Göttliche. Glauben heißt sehen, anfassen und verstehen, alles andere kann man getrost als naiv belächeln.

Was soll das alles andere sein?

Zitat:

Nicht mal die Fragen aller Fragen konnte man so beantworten. Gibt es einen Gott? Gab es seinen Sohn, diesen Jesus - Menschen?

Gibt viele interessante Texte dazu, warum man Gottesexistenz weder beweisen noch widerlegen kann, da es etwas ist - wenn es denn existiert - was außerhalb unserer Welt mit ihren uns bekannten physikalischen Gesetzen etc. da ist...
Verstehe also nicht, wie Du aus dem vorhergesagten dazu kommst, Zu sagen, dass man "so" nicht mal das beantworten kann.... Worauf genau bezieht sich das so?

Zitat:

In der Bibel heißt es: „Gott spricht zu uns, ganz gleich wie stark unser Glaube ist, er ist überall und umschließt uns mit seiner Herrlichkeit.“ Erzählt das mal jemanden, der beim elften September in der ersten Reihe saß.

Finde ich auch etwas zu gewöhnlich? Ist doch immer das Erste, was kommt, warum Gott nicht Krieg und Elend auf der Erde verhindert, wenn es ihn denn gibt.

Zitat:
Das Leben hat einen Sinn. Welchen muss jeder für sich selbst erfahren. Gib dich einfach blind deinem Glauben hin. Wir sind nicht einfach nur ein verrückter Unfall der Evolution, wir sind Gegenwart und Zukunft, und am Ende werden wir alle das Licht sehen und die einzige, unumstößliche Wahrheit im großen schwarzen Nichts erkennen. Bis dahin heißt es nur: „Fressen oder gefressen werden.“ Gott ist tot.

Was willst Du zum Schluss eigentlich sagen? Ein Plädoyer für den Glauben, gegen den Glauben? Und dann "Gott ist tot".

Meiner Meinung nach springst Du durch verschiedene Aussagen zum Thema Glaube, ohne, dass Du es schaffst einen roten Faden und eine logische aufgebaute Meinung dazu rüberzubringen.


O.K., soviel zum Prolog.
Danach gefällt mir Deine Story richtig gut, auch wenn ich persönlcih weder ein Freund von reinen Splatterfilmen und roher Gewalt bin, gefällt es mir.

Beim Einstieg ist mir nur eine Kleinigkeit aufgefallen:

Zitat:

Ich hatte mich entschlossen mit meinem ach so nutzlosen Leben abzuschließen, hierbei gab es für mich viele Optionen dem tristen Dasein auf Erden ein Ende zu bereiten.

hierbei ist eine Todsünde, jedenfalls meine Meinung! Tiefstes Behördendeutsch  Wink

LG
Eireena


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JimSlade
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Beitrag05.12.2007 13:06

von JimSlade
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Auch ich finde den Prolog schlecht. Z.B. das "es gibt soviel Gewalt deswegen ist Gott ein Sadist oder existiert nicht" - Argument ist schon lange überholt. Wenn Gott eine metaphysische Entität ist, die sich der Vorstellung empirischer Wesen (also uns) entzieht, können solche Schlüsse höchstens eingeschränkt gelten. Ist einfach zu kurz gesacht. Die Kirche kann sich immer in die Metaphysik flüchten und sowas sagen, wie: "Gottes Wege sind unergründlich." Das machen die aber auch nicht mehr so inflationär wie früher. Die entgegnen dann eher mit einem Dualismus von Gut und Böse, dass dem Menschen das Leben und die Erde anvertraut hat und Gott ihm nur unter die Arme greift. Sowieso: Wenn Gott permanent in die Geschicke des Menschen eingreifen würde, wäre der freie Wille ziemlich in Frage gestellt, oder nicht? Deshalb unterhält sich heutzutage eigentlich niemand mehr darüber. Alter Hut. Insofern gebe ich Eireena vollkommen recht.

Wenn schon Kirche und philosophieren, dann würde ich mir ein konkretes Thema aussuchen, wie z.B. das Töten oder die Menschenwürde. Mit Gott würde ich gar nicht kommen.

Der Rest macht Lust auf mehr. Ich stehe auf etwas pulpige Action-Schreibe. Das macht einfach Spaß.

Ich hab allerdings ein Problem mit deinem Protagonisten: Ist er jetzt ein Profi oder ein Neuling im Geschäft? Schweizer Nummernkonto, seine angedeuteten Skills im Umgang mit Waffen etc. lassen auf ersteres schließen. Aber wäre er ein Profi, würde er nicht mit seinem Opfer einen Smalltalk veranstalten, oder? Das ist entweder ein Klischee oder er hat noch nicht die Erfahrung gemacht, dass geschenkte Reaktionszeit den Tod bedeuten kann. Was, wenn Von Hagens einfach anfängt zu schreien? Blöde Situation... das führt unweigerlich zu Zeugen, Täterbeschreibungen usw. Hinter Hagens in die Toilette gehen, ihm fix das Messer in die Rübe rammen, einmal spülen und Hände waschen und wieder raus. So seh ich das.

Der psychologische Unterbau kommt eigentlich ganz gut. Schön zynisch und böse, da stimme ich dem Krümel zu.


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Askeron
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Beitrag05.12.2007 16:49

von Askeron
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Hallo ihr beiden wink

erstmal Danke fürs Lesen und Kommentieren.

@Eireena

Zitat:

Was mich allerdings genauso wie Krümel stört ist der langatmige Prolog.
Von mir aus kann eine philosophische Betrachtung oder ein Plädoyer gerne am Anfang stehen, aber dann sollte er mir auch irgendetwas neues ungewöhnliches aus den bekannten Argumenten und Theorien hervorzaubern, ansonsten ist es überflüssig


So wies scheint scheiden sich beim Prolog immernoch die Geister. Für die einen ist er passend und stimmig. Anderen geht das xte Gefasel über Gott und Glauben auf den Senkel. Denke ich werde ihn nochmal in die Werkstatt schieben und was Neues basteln, was beide Seiten zufrieden stellt.

Zitat:
hierbei ist eine Todsünde, jedenfalls meine Meinung! Tiefstes Behördendeutsch


Behördendeutsch? Oki doki, werd ich nochmal drauf schaun.

@Jens-Christian Seele

Zitat:
Auch ich finde den Prolog schlecht. Z.B. das "es gibt soviel Gewalt deswegen ist Gott ein Sadist oder existiert nicht" - Argument ist schon lange überholt. Wenn Gott eine metaphysische Entität ist, die sich der Vorstellung empirischer Wesen (also uns) entzieht, können solche Schlüsse höchstens eingeschränkt gelten. Ist einfach zu kurz gesacht. Die Kirche kann sich immer in die Metaphysik flüchten und sowas sagen, wie: "Gottes Wege sind unergründlich." Das machen die aber auch nicht mehr so inflationär wie früher. Die entgegnen dann eher mit einem Dualismus von Gut und Böse, dass dem Menschen das Leben und die Erde anvertraut hat und Gott ihm nur unter die Arme greift. Sowieso: Wenn Gott permanent in die Geschicke des Menschen eingreifen würde, wäre der freie Wille ziemlich in Frage gestellt, oder nicht? Deshalb unterhält sich heutzutage eigentlich niemand mehr darüber. Alter Hut. Insofern gebe ich Eireena vollkommen recht.


Jep, neuer Prolog wird gebastelt smile

Zitat:
Ich hab allerdings ein Problem mit deinem Protagonisten: Ist er jetzt ein Profi oder ein Neuling im Geschäft? Schweizer Nummernkonto, seine angedeuteten Skills im Umgang mit Waffen etc. lassen auf ersteres schließen. Aber wäre er ein Profi, würde er nicht mit seinem Opfer einen Smalltalk veranstalten, oder? Das ist entweder ein Klischee oder er hat noch nicht die Erfahrung gemacht, dass geschenkte Reaktionszeit den Tod bedeuten kann. Was, wenn Von Hagens einfach anfängt zu schreien? Blöde Situation... das führt unweigerlich zu Zeugen, Täterbeschreibungen usw. Hinter Hagens in die Toilette gehen, ihm fix das Messer in die Rübe rammen, einmal spülen und Hände waschen und wieder raus. So seh ich das.


Er ist ein schizophrener Sadist, um es spoilerfrei zu sagen. Sicher schnell rein, töten und wieder raus ist der professionelle Weg, aber etwas Spaß am Rande scheint in manchen Kreisen, sofern es die Umgebung erlaubt durchaus nicht unüblich zu sein.



Nochmal Danke für die Anmerkungen und die Kritik.

MfG

Askeron


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Beitrag05.12.2007 16:52

von Askeron
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2

‚Kain’

Friedhof. Ort der letzten Ruhe. Für viele aber doch nur ein umzäunter Park mit ach so heiligem Boden, in dem viele hundert Leichen verscharrt werden.
Friedhof. Ort des Gedenkens. Anstatt sie einfach in einem Loch mit kalter Erde zu versenken und sie in Frieden ruhen zu lassen, erstickt man in den meisten Religionen ihre Gräber mit Gedenksteinen und einem schier endlosen Meer teurer Blumen.
Friedhof. Ort der Jagd. In unserer heutigen Gesellschaft gibt es kaum Orte, an denen sich Menschen verschiedener Alters- und Interessengruppen in regelmäßigen Abständen einfinden, um ihrer Lieben zu gedenken, die ihr Gott leider meist viel zu früh von ihnen genommen hat. Viele dieser Menschen haben vier Dinge gemeinsam. Sie alle haben jemanden verloren, der ihnen etwas bedeutet hat. Sie alle kommen um zu trauern. Sie alle fühlen sich sicher, zu sicher. Sie alle wissen nicht, dass sie, sobald sie die Pforte durchschritten haben, in einem höchst verletzlichen Zustand sind - allein.

Jonas Kain ging gerne auf Friedhöfe. Er war kein gläubiger Christ und auch sonst interessierten ihn die Kirche und ihre - seiner Meinung nach - ketzerischen Ansichten wenig. Es gab für ihn auch niemanden, um den es sich zu trauern gelohnt hätte. Jedenfalls nicht auf dem Friedhof, den er in letzter Zeit regelmäßig besuchte. Er kam einzig und allein aus einem Grund dorthin. Er wollte Menschen kennen lernen. Menschen, die trauerten und eine mitreißende Geschichte zu erzählen hatten.
Jonas Kain war ein Seelenfresser. Zu Beginn seines Wahns ernährte er sich nur von den Leiden und der Qual derer, die er auf seinen nächtlichen Wanderungen traf. Doch mit der Zeit dürstete es ihn nach mehr, und er begann, sie von ihren irdischen Gefängnissen zu lösen und ihre leblosen Hüllen in sich aufzunehmen.
In all den Jahren nach seiner anfänglichen Entwicklung hatte Jonas eine besondere Vorliebe für einsame Frauen mittleren Alters und insbesondere junge Witwen entwickelt. Bei ihnen fand er neben einer herzzerreißenden Geschichte und frischem Fleisch auch die Chance auf Erlösung.
Damals hatte er noch geglaubt, dass eine die Richtige sein würde. Die eine, welche ihn von seinem unstillbaren Hunger nach mehr ein für allemal befreien könnte. Doch im Hier und Jetzt - sieben Jahre und sechzehn auf mysteriöse Weise verschwundene Frauen später - wusste er, dass es diese Frau nicht noch einmal auf dieser Welt gab. Diese Tatsache war für ihn jedoch kein Hindernis sondern eher eine Herausforderung.
Und so war Jonas auch an diesem leicht bewölkten Freitagabend zum Zentralfriedhof in Fulda gekommen, um zu jagen. Es fühlte sich wieder wie einer dieser besonderen Tage an, die er nur allzu gerne bis zum letzten Tropfen auskostete. Schon seit über drei Wochen fanden sich nur überaus unbefriedigende Beute sowie ein paar bedingt ergreifende Geschichten.
Jemand verendete mit siebzehn Jahren qualvoll an einem Gehirntumor, einer achtzigjährigen Frau hatte ein Aufzug bei lebendigem Leibe beide Beine abgetrennt, und ein kleiner Junge war beim Spielen vor einen Laster gerannt. Eine Beerdigung ohne offenen Sarg aber sonst nichts Weltbewegendes.
Aus lauter Frust hätte er in der vergangenen Woche beinahe einen alten Mann angefahren. Jonas konnte sich gerade noch beherrschen. Er hatte schon seit Tagen die Todesanzeigen der Fuldaer Zeitung verschlungen. Immer auf der Suche nach etwas Besonderem. Am Mittwochmorgen wurden seine stillen Gebete schließlich erhört.
Ein gesuchter Serienvergewaltiger war zwei Tage zuvor bei einer dreiköpfigen Familie eingestiegen. Leider waren nur Vater und Sohn zu Hause. Aus lauter Enttäuschung darüber, dass die Mutter Nachtdienst im Städtischen Klinikum hatte, schlachtete er statt ihrer die beiden auf bestialische Weise. Vom grausamsten Ritualmord in der Geschichte Fuldas war da die Rede. Er musste gar nicht weiter lesen. Jonas konnte sich die Details sehr gut vorstellen. Dennoch weckten die Bilder des Tatorts und der verzweifelten Witwe sein Interesse. Sie war zwar noch zu frisch, aber er hatte keine Wahl. Noch eine Woche würde er so nicht durchstehen können. Dazu war das letzte Mal schon zu lange her.
Die Beerdigung hatte gestern am frühen Abend im kleinen Kreise der Angehörigen stattgefunden. Er wäre gerne dabei gewesen. Berufliche Pflichten hatten dies jedoch verhindert. Für jemanden wie ihn gab es nichts Schöneres als eine Beerdigung. Von der Jagd und dem anschließenden psychischen und physischen Ausweiden der Beute mal abgesehen.
Jonas war verzweifelt genug. Der immer größer werdende Hunger raubte ihm langsam den Verstand.
Er hatte den ganzen Abend ungeduldig in seinem Wagen - einem dunkelblauen BMW 750i - vor dem Friedhof gewartet. Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr, fünf Minuten nach Mitternacht. Die Viertelstunde Vorsprung sollte genügen. Kräftige Hände glitten in die schwarzen Handschuhe, welche er normalerweise im Handschuhfach aufbewahrte. Gleich neben dem Kabelbinder und der Flasche mit Chloroform. Aus Erfahrung wusste er, dass die meisten Witwen in den ersten Nächten nach der Beisetzung ihres Geliebten an dessen Grab zurückkehrten, um ein letztes Mal mit ihm allein zu sein.
Jede hatte ihre persönlichen Gründe für diesen letzten Besuch. Sei es zum stillen Gedenken, sei es, um ihm ihre Sünden zu beichten, mit sich selbst ins Reine zu kommen, oder nur, um auf sein Grab zu spucken und danach einen Joint zu rauchen.
Jonas stieg aus und näherte sich langsam dem östlichen Eingangstor. Der Zentralfriedhof hatte vier Eingänge, aber nur der östliche hatte einen vernünftigen Parkplatz, an dem man nicht sofort eingesehen werden konnte. Weit und breit war niemand zu sehen. Wer geht auch an einem Freitagabend um diese Zeit schon aus normalen Gründen auf einen Friedhof?
Vorsichtig öffnete Jonas das rostige Tor, auf dem schon die zweite Generation geschmackloser dunkelgrüner Farbe abblätterte. Wäre es heller Tag gewesen, hätte man noch einen Hauch von Dunkelrot aus vergangenen Tagen erkannt.
Zum letzten Mal kontrollierte er seine MK23 im Schulterhalfter, prüfte, ob der Schalldämpfer auch fest genug saß. Alles in Ordnung. Mit seiner langjährigen Erfahrung zweifelte Jonas zwar nicht mehr an seinem Können, dennoch war es gut zu wissen, dass es auch einen Plan B gab. ‚Im hinteren Drittel, die zehnte Reihe von links, das fünfte Grab auf der rechten Seite.’ Stand auf dem Notizzettel, welchen er sich im letzten Licht des Tages gemacht hatte. Aber er war nicht mehr nötig. In seinem derzeitigen Zustand hätte Jonas den Weg auch blind gefunden.

Alleingelassen lag sie da und sah, wie grausam doch die Güte war. Sie war hergekommen, um sich nahe bei ihrem Liebsten das Leben zu nehmen, und nun war sie überwältigt, gefesselt, geknebelt und mit zahlreichen Schnittwunden massakriert worden.
Es war derselbe, der auch ihre Familie getötet hatte. So viel hatte er sie vorher wissen lassen. Was er mit ihr vorhatte, wusste sie genau, und sie würde sich mit jeder Faser ihres Körpers dagegen wehren. Wenn sie nur an das Klappmesser in ihrer Handtasche kommen könnte. Es ging nicht. Die Fesseln waren einfach zu fest. Unter Schmerzen drehte sie sich auf die Seite, um einen Blick auf das zu erhaschen, was er tat. Die komplett in Schwarz gekleidete Gestalt, die mit einer bizarren Holzmaske ihr Gesicht verdeckte, kniete am Boden und war fieberhaft damit beschäftigt, etwas um sie beide und das frische Grab ihres Mannes auf den Boden zu zeichnen. Neben ihm lag eine Tüte, in der sie rote Kerzen und einen kleinen Lederbeutel erkennen konnte. Was sich darin befand, würde sie wohl noch früh genug erfahren. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis es endlich vorbei sein würde. Auch wenn ihr die Art nicht gefiel, war sie im Nachhinein doch froh, auf diese Weise sterben zu können.
Was war das? Ein Schatten. Das konnte doch nicht sein? Oder doch? Ja, da war er wieder. Er war langsam den Weg entlanggekommen und hatte wohl die Lage, in der sie sich befand, richtig eingeschätzt. Nun schlich er sich von Grab zu Grab heran.
Das leise Knacken eines Astes. Der Maskenmann fuhr hoch und sah sich um. Ein instinktiver Blick nach links. Ein leises Rascheln im Gebüsch hinter ihm. Das Knacken eines weiteren Astes. Er drehte sich blitzartig um, griff in die Tüte und holte ein kleines Beil hervor. Vor Wut schnaubend sah er sich erneut nach allen Seiten um, dann fiel sein Blick zurück auf sein Opfer.
Wären das viele Blut und die Schnittwunden nicht gewesen, hätte man das schöne schwarze Kleid womöglich besser gesehen. Es war wirklich bedauerlich. Schließlich hatte sie es sich extra für diesen Anlass gekauft. Sie wollte doch eine schöne Leiche auf den Fotos sein, die in den nächsten Tagen die ersten Seiten der Zeitungen zieren würden. Und jetzt war dieser Moment für alle Zeit ruiniert worden. Wo einen das letzte Bisschen falscher Stolz manchmal hinführen kann, ist wirklich beeindruckend.

So wie sie jetzt war, gefiel sie ihm durchaus besser. Er hatte ihrem Lebenssaft in mühevoller Kleinarbeit unzählige Möglichkeiten gegeben hinaus ins Dunkel zu kommen. Sie war nun fast perfekt. Blickte man in seine Augen spürte man förmlich das Feuer seines unbändigen Verlangens. Endlich war es soweit, der Maskenmann konnte mit seinem Ritual des Blutes beginnen. Die Welt um ihn herum hörte auf zu existieren. Hier waren nur noch er und seine Beute. Er war schon im Begriff das Beil zur Seite zu legen, als die ersten gedämpften Schüsse abgefeuert wurden. Eine Kugel zerfetzte die Hand, in der er eben noch das Beil gehalten hatte. Zwei weitere durchschlugen den Brustkorb und die Letzte perforierte ihm die linke Kniescheibe.
Das Beil landete im Gras gefolgt von der maskierten Gestalt, die rücklings nach hinten auf das von ihr sorgsam präparierte Grab fiel. Jonas schnellte mit der Waffe im Anschlag aus seiner Deckung und gab dem blutüberströmten, wimmernden Häufchen Elend mit drei gezielten Schüssen den Rest, Genitalien, Herz und Kopf. Vergewaltiger und Kinderschänder haben nichts anderes verdient.
Soviel dazu. Er schraubte den Schalldämpfer von der MK23 und ließ ihn in seinem Mantel verschwinden, dann holsterte er sie wieder, hob das Beil auf und wandte sich der Frau am Boden zu.
„Alles in Ordnung?“ Ein schwaches Kopfschütteln. Vorsichtig entfernte Jonas ihren Knebel und durchschnitt die Fesseln mit dem Beil. „Mein Name ist Jonas Kain. Ich werde Ihnen helfen. Können Sie laufen?“ Ein leichtes Nicken. Er half ihr auf die Beine und schleppte sie ein Stück den Weg Richtung Osttor entlang, bis sie das Bewusstsein verloren hatte, und er sie mit beiden Händen den Rest des Weges zu seinem Wagen tragen musste.
Mit großem Bedacht wickelte er ihren geschundenen Körper in eine Decke und verstaute sie im Kofferraum. Nachdem Jonas diesen wieder geschlossen hatte, hielt er einen Moment inne.
Diese Stille. Herrlich! So konnte er am besten nachdenken. Er musste sich nur eine neue Zweitwaffe besorgen. Sonst dürfte er keine Spuren hinterlassen haben. Ob sie die Richtige war? Das würde er später herausfinden. Sofern sie dann noch am Leben war. Zufrieden stieg Jonas ins Auto und wollte sich eben noch eine Zigarette anzünden, als die Melodie von Beethovens Unvollendeter die Stille beendete.
Er drückte den Knopf für die Freisprechanlage und entzündete die Zigarette.
„Oberkommissar Kain?“
„Ja?“
„Hier ist die Zentrale. Es gab einen Zwischenfall am Bahnhof. Womöglich ist von einem terroristischen Anschlag auszugehen. Hauptkommissar Höfner verlangt ihre sofortige Anwesenheit!“
„Ach wirklich? Sagen Sie ihm, ich komme, so schnell ich kann. Muss vorher nur noch eine Freundin zu Hause absetzen.“
Jonas legte auf und startete den Wagen. Seine Nacht des Blutes hatte gerade erst begonnen.


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Enfant Terrible
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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag05.12.2007 17:36

von Enfant Terrible
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Stell doch nicht immer so dicke Brocken rein, du erschreckst Klein-Krümel  Crying or Very sad

Zitat:
Friedhof. Ort der letzten Ruhe. Für viele aber doch nur ein umzäunter Park mit ach so heiligem Boden, in dem viele hundert Leichen verscharrt werden.

Als ich das las, dachte ich: Juhu, der hat's kapiert! Das ist die Art zynischer Philosophie, die man immer gerne liest. Auch das zweite geht noch. Aber hierbei
Zitat:
Friedhof. Ort der Jagd. In unserer heutigen Gesellschaft gibt es kaum Orte, an denen sich Menschen verschiedener Alters- und Interessengruppen in regelmäßigen Abständen einfinden, um ihrer Lieben zu gedenken, die ihr Gott leider meist viel zu früh von ihnen genommen hat. Viele dieser Menschen haben vier Dinge gemeinsam. Sie alle haben jemanden verloren, der ihnen etwas bedeutet hat. Sie alle kommen um zu trauern. Sie alle fühlen sich sicher, zu sicher. Sie alle wissen nicht, dass sie, sobald sie die Pforte durchschritten haben, in einem höchst verletzlichen Zustand sind - allein.

bist du wieder zurück in dieses theoretische Gesülze (sorry, is so) verfallen. Es klingt pathetisch und abgehoben, spätestens mit dem kursiven Teil hast du mich enttäuscht. Lass doch einfach den ersten Absatz am Anfang stehen, du brauchst ihn nicht im Nachhinein durchzukauen! Dadurch geht ein bisschen von der Kraft und der Unterhaltsamkeit verloren.

Zitat:
Jonas Kain ging gerne auf Friedhöfe. Er war kein gläubiger Christ und auch sonst interessierten ihn die Kirche und ihre - seiner Meinung nach - ketzerischen Ansichten wenig. Es gab für ihn auch niemanden, um den es sich zu trauern gelohnt hätte. Jedenfalls nicht auf dem Friedhof, den er in letzter Zeit regelmäßig besuchte. Er kam einzig und allein aus einem Grund dorthin. Er wollte Menschen kennen lernen. Menschen, die trauerten und eine mitreißende Geschichte zu erzählen hatten.
Jonas Kain war ein Seelenfresser. Zu Beginn seines Wahns ernährte er sich nur von den Leiden und der Qual derer, die er auf seinen nächtlichen Wanderungen traf. Doch mit der Zeit dürstete es ihn nach mehr, und er begann, sie von ihren irdischen Gefängnissen zu lösen und ihre leblosen Hüllen in sich aufzunehmen.

Ich mag ihn jetzt schon. Kannst du mir Kains Nummer geben?  Laughing

Zitat:
Ein gesuchter Serienvergewaltiger war zwei Tage zuvor bei einer dreiköpfigen Familie eingestiegen. Leider waren nur Vater und Sohn zu Hause. Aus lauter Enttäuschung darüber, dass die Mutter Nachtdienst im Städtischen Klinikum hatte, schlachtete er statt ihrer die beiden auf bestialische Weise. Vom grausamsten Ritualmord in der Geschichte Fuldas war da die Rede.

Jup! Das ist, was wir lesen wollen!

Zitat:
Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr, fünf Minuten nach Mitternacht

Ich würde das ein wenig anders formulieren, weil es sonst etwas flapsig klingt.
Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr zeigte, dass es fünf Minuten nach Mitternacht war Oder so ähnlich

Zitat:
Was war das? Ein Schatten. Das konnte doch nicht sein? Oder doch? Ja, da war er wieder. Er war langsam den Weg entlanggekommen und hatte wohl die Lage, in der sie sich befand, richtig eingeschätzt. Nun schlich er sich von Grab zu Grab heran.
Das leise Knacken eines Astes. Der Maskenmann fuhr hoch und sah sich um. Ein instinktiver Blick nach links. Ein leises Rascheln im Gebüsch hinter ihm. Das Knacken eines weiteren Astes. Er drehte sich blitzartig um, griff in die Tüte und holte ein kleines Beil hervor. Vor Wut schnaubend sah er sich erneut nach allen Seiten um, dann fiel sein Blick zurück auf sein Opfer.

Wirkt ein klitzekleines bisschen klischeehaft

Zitat:
Wären das viele Blut und die Schnittwunden nicht gewesen, hätte man das schöne schwarze Kleid womöglich besser gesehen. Es war wirklich bedauerlich. Schließlich hatte sie es sich extra für diesen Anlass gekauft. Sie wollte doch eine schöne Leiche auf den Fotos sein, die in den nächsten Tagen die ersten Seiten der Zeitungen zieren würden. Und jetzt war dieser Moment für alle Zeit ruiniert worden. Wo einen das letzte Bisschen falscher Stolz manchmal hinführen kann, ist wirklich beeindruckend.

Ich liebe diese Boshaftigkeit!

Fazit: Eine enorme Verbesserung. Auch wenn bei dir kurzzeitig die Gefahr bestand, zu viel zu "labern", und dein Stil stellenweise viel zu sachlich und trocken war, fand ich diesen Text richtig geil! (liegt wohl an meinem bösen Ich  Cool ) Nein im Ernst, so spannend und böse zu schreiben ist auch eine Leistung!


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Beitrag06.12.2007 20:44

von Askeron
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Huhu Terrorkrümel,

freut mich das du trotz dem Gefasel weitergelesen hast wink Erstmal wieder Danke für Kommentar und Kritik.

Zitat:
Stell doch nicht immer so dicke Brocken rein, du erschreckst Klein-Krümel


Sorry. Ich weiß net, aber halbe Abschnitte finde ich dann doch irgendwie lästiger. Wobeis im ersten Kapitel eigentlich noch geht. Ab Kapitel 2 wirds deutlich länger.

Zitat:


bist du wieder zurück in dieses theoretische Gesülze (sorry, is so) verfallen. Es klingt pathetisch und abgehoben, spätestens mit dem kursiven Teil hast du mich enttäuscht. Lass doch einfach den ersten Absatz am Anfang stehen, du brauchst ihn nicht im Nachhinein durchzukauen! Dadurch geht ein bisschen von der Kraft und der Unterhaltsamkeit verloren.


Hm, mal sehen. Vielleicht stell ichs bei Zeiten nochmal um.

Zitat:
Ich mag ihn jetzt schon. Kannst du mir Kains Nummer geben?


Sicher das du ihn wirklich näher kennen möchtest?

Zitat:

Jup! Das ist, was wir lesen wollen!


Genug Gewalt oder noch nicht genug?

Zitat:

Wirkt ein klitzekleines bisschen klischeehaft


Aber nur ganz ganz wenig oder? Hin und wieder lassen sich Klischees nicht vermeiden.

Zitat:
Ich liebe diese Boshaftigkeit!

Fazit: Eine enorme Verbesserung. Auch wenn bei dir kurzzeitig die Gefahr bestand, zu viel zu "labern", und dein Stil stellenweise viel zu sachlich und trocken war, fand ich diesen Text richtig geil! (liegt wohl an meinem bösen Ich Cool ) Nein im Ernst, so spannend und böse zu schreiben ist auch eine Leistung!


Nochmal Danke für Lob und Anmerkungen. Und was sagt uns das? Prolog neu schreiben. Ersten Abschnitt zu Beginn böser und mit mehr Drive gestalten und der Laden läuft gleich etwas besser smile

MfG

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Beitrag06.12.2007 20:47

von Askeron
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3

‚Roter Sand’

Schon mal bis zur Unkenntlichkeit verbrannt worden? Sicher nicht. Lasst es mich kurz beschreiben. Bei zirka 2000 Grad schmilzt Stahl wie Butter in unbarmherziger Mittagsonne. Eine normale C4-Explosion brennt nicht so hoch, ist in ihrer verheerenden Wirkung aber durchaus ebenbürtig.
Zunächst spürt man nichts. Es ist einfach zu heiß. Das Feuer versengt Haare sowie die obere Hautschicht. Im Schnelldurchlauf kommt es zur Blasenbildung, Flüssigkeit tritt aus, verdampft in der nächsten Sekunde jedoch wieder, während sich die Flammen tiefer in deinen Körper fressen, um weitere Hautschichten samt Nervenbahnen hinab bis auf die Knochen zu verbrennen. Der Gestank deines brennenden Fleisches steigt dir in die Nase und unbeschreiblicher Schmerz wird dir durch die Impulse der letzten noch intakten Nerven vermittelt. Du willst schreien, kannst es aber nicht. Innerhalb weniger Sekunden, hast du dich von der aktuellen Spitze der Evolution zu einem dem Tod geweihten Stück Dreck zurückentwickelt, das nicht mal mehr um den Gnadenstoß betteln kann. Wenn dich diese Gewissheit nicht tötet, schaffen es sicher der Volumenmangelschock oder das durch die Giftstoffe deines verbrannten Fleisches verursachte Nierenversagen.

Stille. Ich öffnete die Augen. Ich war allein, ewige Finsternis umgab mich. Genauso wie die süße Qual des Schmerzes. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als hätte man mir die Haut bei lebendigem Leibe abgezogen, mich mit Honig eingerieben und auf einen Nesthügel Feuerameisen geworfen.
Ob es wahr ist, dass man im Augenblick des Todes sein ganzes Leben noch einmal vorm inneren Auge ablaufen sieht? In meinem Fall sicher eine interessante Erfahrung.
Jeden Augenblick rechnete ich mit Bildern aus meiner nicht gerade bilderbuchhaften Kindheit. Rückblicke in das Viertel, in dem ich aufgewachsen war. Die Schule, die ich einst besucht hatte. Freunde und Feinde, die ich mir dort gemacht hatte. Das Leben danach. Menschen, die mich auf meinem bisherigen Pfad begleitet hatten. Mein Bruder. Das Ende seiner Familie. Sicherlich auch jeder einzelne meiner Aufträge. Sie würden alle mit offenen Armen in der Hölle auf mich warten.
Alles blieb schwarz und nichts dergleichen geschah. Keine Bilder, keine Menschen. Hier waren nur die Dunkelheit und ich, zusammen, allein für immer.
War ich tot und dies ein Vorhof zur Hölle? Was war geschehen? Ich versuchte mich zu erinnern. Alles war so wirr. Und endlich kamen sie. Anfangs waren sie verschwommen, aber es reichte.

Der zerfetzte Oberkörper eines alten Mannes am Boden des Mittelganges in einem Passagierwaggon, überall sehe ich Blut und Gedärme. Etwas abseits liegen seine Beine und der restliche Unterkörper.
„Wie lange habe ich schon auf Dich gewartet?“ Diese Stimme, so vertraut. Wem gehörte sie?
Menschen, Sitze, Gepäck und Fenster werden von Kugeln zerstört. Ihr Geschrei und zweckloses Gewimmer sind wie Musik in meinen Ohren.
Ein Mann in kugelsichererer Weste schießt mit einer Maschinenpistole wild schreiend wahllos um sich.
Ich spüre eine Waffe in meiner Hand. Sie ist wie ein alter Freund, der mich zum Spielen einlädt. Ich hebe den Arm und drücke einmal ab, mehr ist nicht nötig.
Die Kugel trifft ihn am Hals. Blut spuckend sinkt er zu Boden krampfhaft seine Waffe umklammernd.
Ein harter Schlag auf den Hinterkopf wirft mich zu Boden. Die Welt wird wieder verschwommen, rötliche Wärme umfängt mich.
„Hoffst Du, dass es nun zu Ende sein wird?“
Das Geräusch des Entsicherns einer Pistole. Ich spüre ihren Lauf an meinem Hinterkopf.
„Dein Tod ist nur ein Anfang.“
Eine Explosion erschüttert den Waggon. Feuer durchbricht die gläserne Zwischentür und kommt immer näher, zerfrisst alles auf seinem Weg zu mir. Schüsse werden abgefeuert. Ich spüre die Treffer nicht mehr. Alles geschieht so schnell. Es ist da.

Ich war wieder zurück in der Dunkelheit. Schreien, danach war mir jetzt zumute, doch selbst Atmen viel mir schwer. Der Geschmack von kaltem Sand verstopfte meinen Mund und füllte meine Lungen. Verzweifelt versuchte ich mich zu bewegen, überall war dieser drückende Schmerz. Ich konnte ihn berühren, mich befreien. Nur noch weg von hier, weiter nach oben.
Mein linker Arm durchbrach das sandige Erdreich und stieß hinaus ins Freie. Sengende Hitze und schneidender Wind empfingen mich. Vorsichtig befreite ich den Rest meines Körpers.
Überall war dieses grelle Licht. Meine Augen schmerzten. Angewidert würgte ich den Sand aus meinem Hals. Frische Luft, frei Atmen und dieses kribbelnde Gefühl feiner Körner machte sich auf meiner Haut bemerkbar. Der Schmerz war fort.
Schließlich gewöhnten sich meine Augen an das Licht, und alles wurde klarer. Was war das? Roter Sand? Nein, dass konnte nicht sein. Wo war ich? Im Grunde war es nebensächlich. Ich lebte noch und war frei, dass war alles, was im Moment zählte. Erschöpft drehte ich mich um und mein Blick fiel auf den Himmel. Blau, herrliches, schönes Blau. Nirgends eine Wolke, die die schwarzen Sonnen verdeckte.


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Beitrag08.12.2007 10:15

von Enfant Terrible
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Zitat:
Schon mal bis zur Unkenntlichkeit verbrannt worden? Sicher nicht. Lasst es mich kurz beschreiben. Bei zirka 2000 Grad schmilzt Stahl wie Butter in unbarmherziger Mittagsonne. Eine normale C4-Explosion brennt nicht so hoch, ist in ihrer verheerenden Wirkung aber durchaus ebenbürtig.
Zunächst spürt man nichts. Es ist einfach zu heiß. Das Feuer versengt Haare sowie die obere Hautschicht. Im Schnelldurchlauf kommt es zur Blasenbildung, Flüssigkeit tritt aus, verdampft in der nächsten Sekunde jedoch wieder, während sich die Flammen tiefer in deinen Körper fressen, um weitere Hautschichten samt Nervenbahnen hinab bis auf die Knochen zu verbrennen. Der Gestank deines brennenden Fleisches steigt dir in die Nase und unbeschreiblicher Schmerz wird dir durch die Impulse der letzten noch intakten Nerven vermittelt. Du willst schreien, kannst es aber nicht. Innerhalb weniger Sekunden, hast du dich von der aktuellen Spitze der Evolution zu einem dem Tod geweihten Stück Dreck zurückentwickelt, das nicht mal mehr um den Gnadenstoß betteln kann. Wenn dich diese Gewissheit nicht tötet, schaffen es sicher der Volumenmangelschock oder das durch die Giftstoffe deines verbrannten Fleisches verursachte Nierenversagen.

DAS sind Theorien, die sich sehen lassen können, die auf eine morbide Art und Weise unheimlich Spaß machen! Es liest sich sooo wunderbar abartig, böse, kaltschnäuzig... hach, ich liebe deinen Protag.  Wink  Nee im Ernst, du kommst schon hin, wo du hinmusst, ich werd immer mehr ein Fan von dir und diesem Text!

Zitat:
Stille. Ich öffnete die Augen. Ich war allein, ewige Finsternis umgab mich. Genauso wie die süße Qual des Schmerzes.

Autsch. Das ist wieder bissl klischeehaft. Arg gothic-mäßig. Du findest sicherlich eine andere Umschreibung! Aber top ist dieser Vergleich
Zitat:
Mein ganzer Körper fühlte sich an, als hätte man mir die Haut bei lebendigem Leibe abgezogen, mich mit Honig eingerieben und auf einen Nesthügel Feuerameisen geworfen

Ich spür die Viecher schon krabbeln... Daumen hoch

Zitat:
Ob es wahr ist, dass man im Augenblick des Todes sein ganzes Leben noch einmal vorm inneren Auge ablaufen sieht? In meinem Fall sicher eine interessante Erfahrung.
Jeden Augenblick rechnete ich mit Bildern aus meiner nicht gerade bilderbuchhaften Kindheit. Rückblicke in das Viertel, in dem ich aufgewachsen war. Die Schule, die ich einst besucht hatte. Freunde und Feinde, die ich mir dort gemacht hatte. Das Leben danach. Menschen, die mich auf meinem bisherigen Pfad begleitet hatten. Mein Bruder. Das Ende seiner Familie. Sicherlich auch jeder einzelne meiner Aufträge. Sie würden alle mit offenen Armen in der Hölle auf mich warten.

Das mit der Hölle ist geil, allerdings könntest du in diesem Absatz ruhig noch etwas konkreter, böser werden. Hat dein Prota vielleicht einen Amoklauf gestartet, seinen Vater erschossen, seine Mutter vergewaltigt...? Das würde gut passen, denn sonst wirkt diese Textstelle, bis auf den Schluss, wie die Erinnerung eines guten Bürgers, wenn du verstehst, was ich meine. Schreib die bösen Erinnerungen so kaltschnäuzig wie deine "Theorie" oben, und es wird ein Knüller!

Fazit: Du wirst von Textteil zu Textteil immer besser, schön, dass du Ratschläge berücksichtigst. Hierbei kam fast nie Langeweile auf, und du hast einen vortrefflichen Schreibstil - Kompliment!


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Beitrag10.12.2007 00:46

von Askeron
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Hallo Terrorkrümel,

erstmal wieder Danke für Kommentar, Lob und Kritik. Hoffe das ich nächste Woche ab Mittwoch auch mal Zeit finde andere Geschichten zu kommentieren/mich zu revanchieren.

Zitat:
Autsch. Das ist wieder bissl klischeehaft. Arg gothic-mäßig. Du findest sicherlich eine andere Umschreibung! Aber top ist dieser Vergleich


Ein wenig Klischee läßt sich leider nicht immer vermeiden. Vielleicht fällt mir beim nächsten Update noch eine bessere Alternative hierzu ein.

Zitat:
Das mit der Hölle ist geil, allerdings könntest du in diesem Absatz ruhig noch etwas konkreter, böser werden. Hat dein Prota vielleicht einen Amoklauf gestartet, seinen Vater erschossen, seine Mutter vergewaltigt...? Das würde gut passen, denn sonst wirkt diese Textstelle, bis auf den Schluss, wie die Erinnerung eines guten Bürgers, wenn du verstehst, was ich meine. Schreib die bösen Erinnerungen so kaltschnäuzig wie deine "Theorie" oben, und es wird ein Knüller!


Oki doki. Setz ich auf die Liste.

Bis zum nächsten Mal

MfG

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Beitrag10.12.2007 00:49

von Askeron
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4

‚Pandora’

In der griechischen Mythologie wird sie als die erste Frau auf Erden bezeichnet und heute sogar in manchen Konfessionen mit der christlichen Eva gleichgesetzt.
Pandora wurde auf Geheiß des Göttervaters geschaffen und von den Göttern mit unglaublicher Schönheit versehen. Sie wurde auf die Erde gebracht, um die Menschheit für den Diebstahl des Feuers zu bestrafen.
Pandora wird auch als das schöne Übel bezeichnet, denn sie brachte eine unheilvolle Büchse mit sich, die ein törichter Narr neugierig öffnete und so aus ihr alle Schrecken und Seuchen befreite, welche fortan ungehindert über die Menschen herfielen.
Am Boden der Büchse lag noch die Hoffnung verborgen, doch bevor diese entweichen konnte, wurde sie wieder verschlossen.

Es war nur ein unbedeutendes Stück Plastik, in schlichtem Grün gehalten und etwa acht Zentimeter lang. Ein goldfarbener Streifen durchzog seine Mitte oberhalb eines kleinen Fensters, welche den Blick auf den dunkelblauen Inhalt freigab.
Stefan ließ den Füller fallen und wandte sich wieder dem Spiegel zu. Irgendwie war es seltsam, so ein kleines Ding konnte Welten verändern.
Dass es so beginnen würde, überraschte ihn nicht weiter, auf der anderen Seite war es eigentlich schon längst überfällig gewesen.
Fasziniert fuhr er mit dem Finger über das Antlitz seines blutbenetzten Ebenbildes. Er war immer noch derselbe, daran gab es keinen Zweifel, und dabei hatte der Abend so viel versprechend begonnen.

„Stefan Paul Dierkes! Wo steckst Du schon wieder?! Du elender Taugenichts! Du solltest mir doch im Keller helfen. Komm sofort hier runter!“
Stefan hatte derzeit drei Probleme. Dies war eines davon.
„Ja, Mutter. Ich bin gleich unten!“
Die letzten zwei Stunden hatte er auf seinem Bett gelegen und fieberhaft an einem Gedicht für seine Angebetete gearbeitet. Stefans Begabung in diesem Bereich war unglücklicherweise sehr beschränkt, aber was sollte man auch von jemandem erwarten, dessen Erfahrungen mit Gefühlen und dem anderen Geschlecht derart verkrüppelt waren. Leider war es nicht der einzige Grund, warum er so viel Zeit an diese paar Zeilen Gekritzel, die seine Empfindungen zum Ausdruck bringen sollten, verschwendet hatte.
Seine Gedanken schweiften immer wieder hinüber zum Schreibtisch und dem grauen Koffer, der davor auf dem Boden stand. Den Gedanken ihn zu öffnen und sicherzugehen, dass noch alles in Ordnung war, hatte Stefan schon längst verworfen. Es wäre auch unklug gewesen die Familie durch zu viel Neugier unnötig zu verärgern.
Ihre Familie, darum drehte sich derzeit alles. Er brauchte ihren Segen und dank des Koffers hatte er endlich einen Fuß in der Tür. Sein Inhalt war ein Preis, den er nur zu gerne bereit war zu zahlen.
Die Tür des Zimmers wurde unvermittelt aufgestoßen, und Stefans Mutter stürmte herein. „Was zur Hölle treibst Du hier so lange? Du solltest mir doch im Garten helfen!“
Was ein leichter Ansatz von Alzheimer und Demenz bei einem ehemals geistig gesunden Menschen anrichten kann, ist wirklich erstaunlich.
Wie vom Blitz getroffen schrak Stefan hoch. Aus seiner Gedankenwelt gerissen führten ihn seine ersten klaren Gedanken wieder zum Koffer. Ebenso wie den Blick seiner Mutter.
„Wo hast Du den denn her? Sicher geklaut, so einen teuren Koffer kannst Du dir gar nicht leisten! Was ist da drin?“
Die Gedanken rasten durch Stefans Kopf. Warum war er nur so unachtsam gewesen? Den Schlüssel für die Tür hatte sie ihm schon vor Jahren weggenommen, aber er hätte den Koffer besser verstecken sollen. Wieso hatte er es nicht sofort getan? Die Inspiration war über ihn gekommen, just in dem Moment, als er es tun wollte, und er hatte sie dankend angenommen, um komplett von ihr verschlungen zu werden und die Welt um sich herum dabei völlig zu vergessen.
„Nichts. Den bewahre ich nur für einen Freund auf“, entgegnete er ihr unsicher.
„Einen Freund also? Oder ist es etwa diese kleine Schlampe, von der Du immer redest? Dieses Flittchen, das dir den Kopf verdreht hat?“
Sie hatte den Koffer aufgehoben und auf den Schreibtisch gelegt. Stefan konnte ihr nur hilflos dabei zuschauen.
„Wollen doch mal sehen, was Ihr beiden Turteltäubchen Lasterhaftes da drin versteckt habt.“ Ungeduldig versuchte sie den Koffer zu öffnen. Wie erstarrt saß Stefan da und konnte sich nicht rühren. Der Schock saß zu tief. War er so leicht zu durchschauen? All diese Wochen der Vorbereitung waren kurz davor zunichte gemacht zu werden. Jeden Augenblick würde es soweit sein. Er musste handeln!
„Ja, jetzt schweigst Du wieder. Du elender Schwächling. Was würde nur dein armer Vater dazu sagen, wenn er noch bei uns wäre. Er würde genau wissen, wie man dir diese Flausen aus dem Kopf prügelt.“
„Ich weiß nicht. Vielleicht fragst Du ihn einfach, wenn Du ihn in der Hölle triffst?“ Stefan war aufgestanden und hatte seinen rechten Arm um ihren Hals geschlungen. Seine Gedanken waren noch nie so klar, wie in diesem Moment gewesen.
„Was fällt dir ein? Du undankbarer Bastard! Lass mich los! Lass mich sofort los!“ Er konnte die Überraschung in ihrer Stimme förmlich schmecken und das, was als nächstes geschah, war für Helena Dierkes auch mehr als überraschend.
Die erste Wunde, die ihr der Füller links am Hals zufügte, war nicht der Rede wert. Nichts desto trotz blutete sie mehr als ausreichend, und der Schmerz war sicher unerträglich.
Danach kam für Stefan eines zum anderen. Er konnte nur noch weiter nach vorne laufen, der Weg zurück war versperrt.
Verzweifelt versuchte seine Mutter, sich aus dem Griff zu befreien, was ihn dazu veranlasste, noch fester zuzugreifen und den Füller immer weiter in ihren Hals zu rammen. Immer und immer wieder stach er zu. Das Gefühl frisch vergossenen, warmen Blutes auf seinem Gesicht und an seinen Händen regte ihn nur mehr dazu an. Schließlich löste sich das Leben von ihr, und er ließ ihren Körper zu Boden gleiten.
Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Stefan hatte es schon so lange tun wollen. Es hätte schon längst passiert sein müssen. Sie war die letzte Hürde zwischen ihm und seinem neuen Leben gewesen. Heute hatte sie die schicksalhafte Linie einmal zu oft überschritten. Heute war alles egal. Heute hatte er den ersten Schritt auf einem Pfad in eine bessere Zukunft getan. Heute hatte er mit seinem alten Leben abgeschlossen, ein für allemal. Er war endlich frei.

Blut, überall war noch Blut, ihr Blut, der ganze Raum war voll davon. Was für ein einmaliges Kunstwerk er doch geschaffen hatte. Schwer atmend schaute Stefan hinüber zur ebenfalls besudelten Uhr an der Wand über dem Schreibtisch, 20:55, zwei Stunden noch. Er hatte sich geduscht und seine blutige Kleidung auf einen Haufen neben ihren leblosen Körper geworfen. Der Rausch des Tötens war vorüber und langsam kehrte sein Verstand wieder zu ihm zurück.
Er hätte alle Zeit der Welt hier aufzuräumen und sich zum Treffpunkt aufzumachen. Aber warum sollte er? Es war fast perfekt, und hierher zurückkehren würde er sicher nie wieder.
Großzügig verteilte er den Inhalt der kleinen Flasche Feuerzeugbenzin in seinem Zimmer und auf der Leiche seiner Mutter. Anschließend holte er seinen Mantel aus dem Schrank und warf ihn sich locker über. In der rechten Innentasche hatte er Zigaretten, Streichhölzer und ein Feuerzeug.
Mit etwas Klebeband befestigte Stefan die Zigarette an der Streichholzschachtel, legte selbige vorsichtig auf den benzingetränkten Haufen Kleider und entzündete die Zigarette mit dem Feuerzeug. Das sollte ihm den nötigen Vorsprung verschaffen.
Bevor Stefan den frisch gereinigten Koffer nahm und sein Elternhaus endgültig verließ, beugte er sich zu seiner Mutter hinunter und küsste sie sanft auf die Stirn.
„Danke für alles.“
Sein Abschied blieb unbeantwortet. Helena Dierkes schwieg während ihre leblosen Augen noch immer weit offen standen und ihm den gleichen verächtlichen Blick wie in all den Jahren zuvor zuwarfen.

Ein paar Straßen weiter fuhren diverse Feuerwehrwagen mit lautem Sirenengeheul an Stefan vorbei. Neugierig drehte er sich um und schaute noch mal für einen kurzen Moment zurück. Dunkle Rauchwolken stiegen in der Richtung auf, in der das Haus stand, in dem er so lange gewohnt und gelitten hatte.
Das letzte Aufflackern einer Person, die er nie wieder sein wollte. Stefan wandte sich endgültig davon ab. Es sollte ihn nicht mehr kümmern. Dieses Leben war vorbei, und doch würde ein kleiner Teil davon auf Ewig seine Seele beflecken.
Er ging weiter und mit jedem Schritt wurde ihr Bild immer strahlender. Es war wie eingebrannt in seinem Kopf, Pandora, wunderschöne Pandora. Bald bin ich bei dir mein Engel.

Kurz bevor seine Häscher Prometheus erreichten, konnte er noch die Hoffnung aus der Büchse befreien.


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Enfant Terrible
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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag10.12.2007 12:41

von Enfant Terrible
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Zitat:
Pandora’

In der griechischen Mythologie wird sie als die erste Frau auf Erden bezeichnet und heute sogar in manchen Konfessionen mit der christlichen Eva gleichgesetzt.

Keine Kritik, aber: Komisch, ich habe da eher an Lilith gedacht. Was beweist, wie geschenkt meine 1 in Religion ist  Cool

Zitat:
‚Pandora’

In der griechischen Mythologie wird sie als die erste Frau auf Erden bezeichnet und heute sogar in manchen Konfessionen mit der christlichen Eva gleichgesetzt.
Pandora wurde auf Geheiß des Göttervaters geschaffen und von den Göttern mit unglaublicher Schönheit versehen. Sie wurde auf die Erde gebracht, um die Menschheit für den Diebstahl des Feuers zu bestrafen.
Pandora wird auch als das schöne Übel bezeichnet, denn sie brachte eine unheilvolle Büchse mit sich, die ein törichter Narr neugierig öffnete und so aus ihr alle Schrecken und Seuchen befreite, welche fortan ungehindert über die Menschen herfielen.
Am Boden der Büchse lag noch die Hoffnung verborgen, doch bevor diese entweichen konnte, wurde sie wieder verschlossen.

Naja, so viel Theorie lässt sich gerade noch vertragen, zumal sie ganz gut geschrieben ist. Ich sehe allerdings noch nicht ganz ihren Zweck, außer dem, den Kapitelnamen zu erklären... mal sehen, ich lese weiter.

Zitat:
Irgendwie war es seltsam, so ein kleines Ding konnte Welten verändern.

Ganz kleiner Verbesserungsvorschlag, wahrscheinlich zu 95% Geschmackssache, aber trotzdem: Irgendwie seltsam, dass so ein kleines Ding Welten verändern konnte Passt, wie ich finde, besser in deinen Style.

Zitat:
aber was sollte man auch von jemandem erwarten, dessen Erfahrungen mit Gefühlen und dem anderen Geschlecht derart verkrüppelt waren

Ich weiß nicht, irgendwie stört es mich, dass du deinen Prota aus der 3rd-Person-Sicht so kritisierst. Als würde der Erzähler ihn verabscheuen, das erweckt einen fast schon parteiischen Eindruck.

Zitat:
Es wäre auch unklug gewesen die Familie durch zu viel Neugier unnötig zu verärgern.

Für sich genommen zeugen diese Un-s von einem passablen Stil, allerdings rate ich davon ab, gleich zwei davon in einem Satz zu verwenden. Es gibt auch andere Möglichkeiten, das, was du sagen willst, auszudrücken, ein Adjektiv zu verneigen, und sei es auch nur durch: Es wäre dumm (töricht, albern...)

Zitat:
nur zu gerne bereit war zu zahlen.

Auch hier stört die Wiederholung ein wenig, diese "zus". Kann man durch eine leichte Umschreibung beseitigen, damit der Satz vollkommen wirkt: Diesen Preis zahlte er nur zu gern oder so ähnlich - intellektueller Stil ist nicht schlecht, aber warum unnötig (uups, angesteckt  Wink ) verkomplizieren?

Zitat:
Was ein leichter Ansatz von Alzheimer und Demenz bei einem ehemals geistig gesunden Menschen anrichten kann, ist wirklich erstaunlich.

Herrlich gemein! Gefällt mir, zumal hier dieses "Parteiische" viel besser passt, weil ja aus Stefans Sicht geschildert wird.

Zitat:
Nichts desto trotz

Nichtsdestotrotz - cooles Wort!  Laughing

Zitat:
Er ging weiter und mit jedem Schritt wurde ihr Bild immer strahlender. Es war wie eingebrannt in seinem Kopf, Pandora, wunderschöne Pandora

Aha, jetzt verstehe ich den Zweck der "Theorie". Dennoch würde ich empfehlen, diese Beschreibung Pandoras, die du als Kapitelanfang nimmst, an diese Stelle zu verlagern, wo sie besser passt. Ist aber deine Entscheidung, ich denke, du hast dir auch was dabei gedacht. Ich möchte nicht was falsches raten.

Fazit: Nicht ganz so böse wie der vorangehende Teil, aber dennoch ein Lesegenuss! Du hast es drauf!


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Beitrag13.12.2007 13:27

von Askeron
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Moin Moin Terrorkrümel,

wie immer erstmal danke fürs Weiterlesen, Kommentieren sowie Lob und Kritik wink

Zitat:

Keine Kritik, aber: Komisch, ich habe da eher an Lilith gedacht. Was beweist, wie geschenkt meine 1 in Religion ist


Lilith? Ist doch mehr eine Dämonin der Antike. Hm und in der Bibel ist sie nicht mal ein Dämon. Nur ein Bewohner Edoms.

Zitat:
Ich weiß nicht, irgendwie stört es mich, dass du deinen Prota aus der 3rd-Person-Sicht so kritisierst. Als würde der Erzähler ihn verabscheuen, das erweckt einen fast schon parteiischen Eindruck.


Parteiisch und etwas selbstironisch gegenüber Stefan sollte es schon sein. Sicher hätte man netter ausdrücken können.

Zitat:
Aha, jetzt verstehe ich den Zweck der "Theorie". Dennoch würde ich empfehlen, diese Beschreibung Pandoras, die du als Kapitelanfang nimmst, an diese Stelle zu verlagern, wo sie besser passt. Ist aber deine Entscheidung, ich denke, du hast dir auch was dabei gedacht. Ich möchte nicht was falsches raten.


Ich denke es paßt am Anfang besser. So fragt sich der Leser die ganze Zeit warum zum Henker hat er nu Pandora am Anfang erläutert und am Schluss noch diesen Satz dazugepackt. Schiebt man das am Ende zusammen wirkt es wohl eher wien drangeklatschtes Info-Geschwafel.

Zitat:
Fazit: Nicht ganz so böse wie der vorangehende Teil, aber dennoch ein Lesegenuss! Du hast es drauf!


Danke wink Soll aber auch gar nicht immer böse sein, sonst nutzt sich das am Ende noch ab.

MfG

Askeron


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Beitrag13.12.2007 13:33

von Askeron
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5

‚Auf den Straßen der Nacht’

Jonas löste seinen Griff vom Unterarm der Frau. Der Puls war eindeutig zu hoch, aber in der aktuellen Situation erschien das durchaus angemessen. Zeit und die notdürftigen Verbände dürften ihr Übriges tun den Tod noch etwas zu vertrösten.
Nadja Klüber war wirklich etwas Besonderes, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Wie ein gefallener Engel lag sie aufgebahrt vor ihm auf dem sorgfältig mit Plastik verkleideten Tisch, bewusstlos und ihm vollkommen ausgeliefert.
So zugerichtet wie sie war, würde sie nirgendwohin kriechen, geschweige denn gehen können. Selbst wenn sie Gelegenheit zum Schreien gehabt hätte, wäre ein Knebel nicht nötig gewesen. Hier unten hatte man nicht mal das melodische Kreischen seiner Kettensäge und die Qualen ihrer ersten Opfer hören können, bei Nadja würde es nicht anders sein.
Es war mehr als angemessen für sie wieder zum Anfang zurückzukehren. Hier hatte alles begonnen, und hier könnte es auch ein für allemal enden. Endlich frei sein, ein normales Leben führen können, und das Gesicht nie wieder hinter einer bröckelnden Maske verstecken müssen. Solch eine Vorstellung war einfach zu schön um wahr zu sein.
Jonas konnte seinen Blick nur mit Mühe von ihr abwenden. In solchen Momenten hatte die böse Seite einen weitaus größeren Einfluss auf sein Denken, doch schließlich blieb die Vernunft wie so oft der alleinige Sieger.
Ein letztes Mal prüfte er den Sitz des Panzertapes, welches Nadjas Körper von der Stirn abwärts an den relevantesten Extremitäten umschloss, und sie mit dem Tisch eins werden ließ.
„Alles kommt wieder in Ordnung. Ich sehe es, und Du wirst es auch bald sehen.“

Wie der schleichende Tod kam die Nacht über die Stadt. Schlagartig verdichtete sich der Himmel über ihr, und dunkle Wolken stärkten den undurchdringlicher werdenden Wall am ehemals sternenklaren Firmament.
Weit unter ihnen erstreckte sich ein kaum enden wollendes Lichtermeer. In den verschiedensten Farben verteilte sich der helle Schein aus den Häusern, hinaus auf die unzähligen Straßen, auf denen die Autos wie das Blut durch die Adern eines Körpers ungleichmäßig dahin flossen, und ihre Menschen einen letzten Abend in der alten Welt genossen. Sie liebten es zu feiern, und so gingen die Menschen aus der Stadt, wie jeden Abend, ihren nächtlichen Beschäftigungen nach.
Da gab es einzelne Säufer und Landstreicher, die schon zu früh zu viel getrunken hatten und nun ziellos durch die Straßen irrten, Paare, die gerade das Kino verließen und sich in einer Bar oder Kneipe noch etwas mehr Anregung auf den restlichen Abend holen wollten, die vielen Gruppen Jugendlicher, die im Grunde dasselbe Ziel hatten, die Alten, die einfach nur in Ruhe etwas trinken und diesen ruhigen Tag friedlich ausklingen lassen wollten und letzten Endes der dreckige Rest, einsame Streuner, die einfach nur durch die Straßen zogen auf der Suche nach etwas.
Sei es ein freier Platz, um mit dem gemütlichen Teil des Abends beginnen zu können, sei es Streit um die aufgestauten Aggressionen der letzten Tage auf einmal raus zu lassen, und das nach Blut lechzende Tier in sich wieder für eine Weile ruhig zu stellen, oder sei es die Jagd nach dem schnellen Glück. So unterschiedlich sie auch waren, eines blieb ihnen allen doch gemein.
Schicksal würden es manche nennen, einen schrecklichen Zufall andere. Was sollte man schon dazu sagen? Es geschah, und das Leben ging einfach weiter. Niemanden kümmerte es. Wieso auch? Es hatte nichts mit ihnen zu tun und beeinträchtigte den weiteren Ablauf ihres Lebens in keinster Weise. Die grausame Gleichgültigkeit mancher Menschen ist wirklich bewundernswert.

Von weit oben schien alles so fern. Die gewaltigen Rauchwolken, die vom Hauptbahnhof aufstiegen, waren nicht wirklich nah. Man sah nur das flackernde Licht des Feuers und die Schatten, wie sie über die Wände der angrenzenden Häuser tanzten.
Eine bedrohliche Ruhe lag mit einem mal über der Stadt, die vom jäh einsetzenden Regen unterbrochen wurde. Tausende kleine Tropfen fielen vom Himmel auf sie hernieder. Es war, als wäre ein Dach über der Welt, und sie alle waren darunter gefangen, wie ein Schwarm Ameisen in einem dieser engen, mit Sand gefüllten Schaukästen, hilflos dem Willen ihres Besitzers ausgeliefert.

Der Regen hatte eingesetzt, als Jonas sich auf der Frankfurter Straße gerade durch den für Freitagabend ungewöhnlich dichten Verkehr gekämpft hatte. Etwas später erwarteten ihn in der Innenstadt jedoch menschenleere Straßen, die nur wie ein weiterer Nebeneffekt schienen, und als er in die Zufahrt zum Peterstor, einem kümmerlichen Rest der ehemaligen Stadtmauer, einbiegen wollte, traf er schon auf die erste Straßensperre.
Zwei Autos und etwas Stacheldraht. Nichts Wildes eigentlich, für Fuldaer Verhältnis jedoch Vorboten einer kleine Apokalypse.
Ein junger Polizist im orangefarbenen Regendress versuchte Jonas mit hektischem Umherschwingen seiner Signalkelle an der Weiterfahrt zu hindern. Er kannte sein Gesicht nur flüchtig vom Revier.
Pflichtbewusste Neulinge waren eine wahre Rarität in den örtlichen Berufskreisen. Für Jonas und die meisten seiner Kollegen waren sie nur unerfahrener Ballast. Wer seine Zeit nicht in Frankfurt begonnen hatte, hatte Fulda nicht verdient.
Wie ihm geheißen wurde hielt er den Wagen an und ließ das Automatikfenster herunter.
„Guten Abend. Dies ist zurzeit ein polizeiliches Sperrgebiet. Hier haben Zivilisten keinen Zutritt. Fahrzeugschein und Papiere bitte.“ Und dazu dieses diszipliniert aufgesetzt freundliche Lächeln. In ein paar Monaten würde er seinen ersten Flüchtigen erschießen müssen und die Welt auf einmal mit ganz anderen Augen sehen.
„Ich denke, das brauchen wir nicht.“ Noch ehe der junge Kollege zu seinem nächsten sicher schon hundertmal vorm Spiegel einstudierten Satz für solche Situationen ansetzen konnte, hatte Jonas auf die Ablage über dem Handschuhfach gegriffen und ihm seinen Dienstausweis gezeigt. Hätte man die Zeit nur für einen winzigen Augenblick verlangsamen können, hätte man das kurze Zucken im Gesicht des jungen Polizisten bemerkt. Er hatte also schon von Jonas „McLane“ Kain gehört - wie beruhigend. Die Sache im Holiday Inn von vor zwei Jahren schlug allem Anschein nach immer noch ihre kleinen Wellen.
„Oberkommissar Kain! Es ...es... es tut mir Leid. Ich habe Sie nicht sofort erkannt! Bitte entschuldigen Sie die unnötige Verzögerung, Hauptkommissar Höfner erwartet Sie schon.“
Peinliche Verlegenheit machte sich auf dem Gesicht des Polizisten bemerkbar. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren warf Jonas den Ausweis wieder auf die Ablage, schloss beim Anfahren das Fenster und fuhr weiter. Im Rückspiegel konnte er noch erkennen, wie der junge Kollege aufgeregt in sein Funkgerät redete.
Bis zum Uniplatz war es eine ruhige, ungestörte Fahrt vorbei an der durchwachsenen unteren Einkaufspromenade durch den stärker gewordenen Regen gewesen. Die Straßen waren wie ausgestorben. Einzig ein streunender Hund, der eiligst nach einem trockenen Plätzchen suchte, kreuzte seinen Weg. Nirgends gab es ein Anzeichen vom Trubel, der hier eigentlich um diese Zeit herrschen sollte.
Jonas bog in die Bahnhofstraße ein und zum ersten Mal seit Langem stockte ihm der Atem.
Die schwarze Rauchsäule war nicht gewaltig, keineswegs, jedenfalls dank des Regens nicht mehr. Dennoch zeichnete sie sich trotz des Wetters und der Tageszeit deutlich am Nachthimmel ab. Wie eine schwarze Schlange hatte sie sich ihren Weg aus dem Leib des kastenförmigen in diversen Gelbtönen gehaltenen Bahnhofsgebäudes gefressen, und streckte nun ihren Kopf huldigend dem Nachthimmel entgegen.
Im Schritttempo fuhr er weiter die Bahnhofstraße hinauf. Vorbei an Polizei-, Kranken- und einigen kleineren Feuerwehrwagen immer weiter auf die bunten Lichter im schwarzen Meer aus Blut und Tod zu.


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Beitrag19.12.2007 14:05

von Askeron
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6

‚Der Tod und das Mädchen’

Ein paar Straßen weiter hatte Sarah bereits mit ihrem Leben abgeschlossen. Sie bewohnte eine dieser schäbigen Drei-Zimmer-Wohnungen im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. Zwei Zimmer, Küche, Bad hatte in der Anzeige gestanden und eigentlich war genug Potential vorhanden, um aus der kleinen Wohnung etwas Gemütliches zu machen. Einen Ort, an den man sich zurückziehen konnte, um sich einfach nur wohl zu fühlen. Sie hatte sich nie richtig Zeit dafür genommen. „Macht euch keine Sorgen. Es ist ja nur vorübergehend, bis ich etwas Besseres finde“, hatte sie zu ihren Eltern gesagt und nun hätte sie schon fast das einjährige Bestehen ihres Haushalts feiern können. Im Leben läuft nun mal nicht immer alles so, wie man es sich vorgestellt oder langwierig geplant hat. Das Schicksal ist eine giftige Schlange, die nur schwer zu fassen ist und deren Biss für die wenigsten tödlich endet.
Sarah Schneider gehörte zu dieser kleinen Gruppe Auserwählter. Ihr Leben war von vorne bis hinten komplett durchgeplant gewesen. Nach der Grundschule direkt aufs Gymnasium, Abi mit 1,2 und dann direkt weiter zum mehrjährigen Latein- und Griechischstudium. Sie sollte mal Linguistin oder Lehrerin werden, es besser haben als ihre Eltern, die sich ja so für ihr einziges Kind aufgeopfert hatten, um ihr das alles zu ermöglichen. Sie solle sich nicht so anstellen, sie müsse da nun durch, um erfolgreich zu sein müsse man nun mal Opfer bringen. Für Freunde und Freizeit habe sie immer noch genug Zeit nach der Ausbildung. Manchmal ist es wirklich rührend, wenn Eltern ihre geplatzten Träume von einst auf ihre Kinder projizieren und dadurch deren Leben komplett kaputt machen.
Anfangs lief es wunderbar nach Plan, und ihre Eltern hätten nicht stolzer auf sie sein können. Doch dann mit einem Mal bewegte sich die übrige Welt weiter und Sarahs blieb stehen und zerbrach innerlich.

Es hätte alles so schön sein können. Ewige Liebe. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Liebe? Was war das überhaupt? Ein Gefühl für Narren und naive Dummchen. Soviel hatte sie mittlerweile gelernt. Das innere Verlangen nach Aufmerksamkeit und Nähe eines anderen, es war für sie ein Bedürfnis geworden, welches sie in den letzten Monaten regelmäßig gestillt hatte, nicht nur mit ihren ständig wechselnden Freunden. Alles nur aus Angst vor der Kälte und Einsamkeit? Wohl eher der Trieb, die eigene Art aufrecht zu erhalten. Sicher keine gute Ausrede für ihr Verhalten, aber immerhin versuchte sie es noch. Das Leben war hart und ungerecht. Genau wie die Liebe. Alles nur eine Frage des richtigen Timings.

Klick, Klick, Boom! Sie hatte den Schuss nicht gehört, und jetzt war es zu spät. Der Zug war abgefahren, ein für allemal. Oder doch nicht? Aus der Küche konnte sie das Vibrieren ihres auf lautlos gestellten Handys hören. Mehr tot als wach versuchte Sarah sich von ihrem Bett aufzurichten. Es war noch nicht zu spät, aber vielleicht hätte sie mit der Überdosis Schlafmittel doch noch etwas warten sollen.
Das Mittel hatte sich durch das lange Liegen zwar nur langsam in ihrem Körper verteilt, dennoch konnte sie seine Wirkung deutlich spüren. Ihre Beine waren schwer wie Blei geworden, und beim Versuch vom Bett aufzustehen und sich in die Küche zu schleppen, wäre sie beinahe gegen die noch offene Tür ihres geräumigen Kleiderschranks gestolpert. Der ganze Boden war übersäht mit Essensresten, zerrissener Kleidung, ein paar zertrümmerten Blumentöpfen und sonstigem Unrat, der sich die letzten Tage angesammelt hatte.
Der Streit war nötig gewesen. Nach so was beginnt man meist wieder bei Null. Sarah hatte mit der Sache jedoch nicht abschließen können. Die letzten Tage und Nächte bestanden für sie aus Nachdenken und den immer häufiger werdenden Anrufen bei ihm. Sie konnte seine Einstellung nicht verstehen. Es war der natürliche Lauf der Dinge, und sie hätte sich darüber gefreut, wenn er der Sache offener gegenübergestanden hätte.

In Gedanken versunken stand sie da, an den Schrank gestützt, blass, ungepflegt, nur in ihrer Unterwäsche. Ihr wurde immer schwindliger. Sie musste sich beeilen. Noch war es nicht zu spät. Mit jeder Sekunde, die verstrich, verteilte sich das Mittel schneller in ihrem Körper. Sie kam wieder in Bewegung. Sarah stützte sich an allem, was Halt versprach. Die Umrisse ihrer verwüsteten Wohnung wurden immer verschwommener.
„Komm schon, Mädchen, reiß dich zusammen, Du bist fast da. Nur noch ein kleines Stück.“ Es waren ihre Gedanken, aber irgendwie auch nicht, wie eine fremde Stimme in ihrem Kopf. Sie hatte Recht. Egal, wer dran war. Sie wollte nicht mehr sterben. Sie wollte Hilfe und von vorne beginnen.
Mit fünf schnellen Schritten schaffte Sarah es endlich in die Küche. Die Rettung war zum Greifen nahe. Sie musste nur noch die Hand danach ausstrecken und zugreifen. Das Klingeln verstummte mit einem Mal. Nein, das konnte nicht sein. Nicht jetzt. Sie musste schnell jemanden anrufen. Aber wo war ihr Handy? Sie hatte es auf den Tisch neben ihre Handtasche gelegt, da war sie sich sicher. Wie eine Irre durchwühlte sie ihre Handtasche, schüttete deren gesamten Inhalt auf den Küchentisch und setzte die Suche krankhaft fort. Es war nicht zu finden. Das war nicht fair. Es war einfach nicht fair. Erst jetzt bemerkte sie den schwarzen Schatten neben der Spüle.

Es hätten auch zwei oder drei sein können. Sarah blinzelte mehrmals. Sie versuchte sich zusammenzureißen, um wenigstens einen kurzen scharfen Blick auf den unbekannten Eindringling erhaschen zu können.
Einen Moment lang glaubte sie eine junge Frau in einem roten Kleid zu sehen. Ihre Haare sahen zerzaust aus, und überall auf ihrem Körper hatte sie Rußflecken und Brandwunden. Die linke Hälfte ihres Gesichts entstellten mehrere Brandblasen und Verbrennungen zweiten Grades, kein schöner Anblick.
Im nächsten Moment sah sie Matthias an derselben Stelle stehen, ihren Matthias, sein hübsches Gesicht, die strahlenden blauen Augen und die kunstvoll nach oben gegelten roten Haare. Er trug eine teure braune Lederjacke, eine dunkelblaue Jeans und das rosa Hemd, das sie so liebte. Mit einem Mal waren ihr Schwindel und ihr Leid verflogen. Sie wollte nur bei ihm sein, wollte ihm nahe sein. Unbekümmert lief Sarah auf ihn zu, umarmte und küsste ihn. „Matthias, endlich bist Du wieder bei mir.“ Sie stellte sich vor, dass alles wieder gut werden würde. Matthias würde sie in seine starken Arme nehmen, küssen und ihr sagen, dass er sich alles noch einmal überlegt hatte, seine Entscheidung falsch gewesen war und alles wieder gut werden würde.
Er hatte zunächst nur schweigend dagestanden, sie angelächelt und ihre Nähe ertragen. Seine Gesichtszüge veränderten sich nicht, als er ihre Umarmung und den Kuss erwiderte.
Er war hier, der Moment, den Sarah die letzten zwei Wochen so sehnlichst herbeigewünscht hatte. Endlich war er da. Es waren die schönsten zehn Sekunden ihres Lebens. Sie hätte vor lauter Glück weinen können.
Irgendetwas in diesem Bild stimmte nicht. Sein Geruch. Das war es. Sarah hatte es anfangs in ihrem überschwänglichen Liebestaumel nicht bemerkt. Jetzt zerbrach ihre rosarote Brille langsam und der beißende Gestank von verbranntem Fleisch und Asche wurde allgegenwärtig. Sie glitt wieder hinüber in die wirkliche Welt, und was dort auf sie wartete, war alles andere als glücklich.

Schwindel und Niedergeschlagenheit trafen sie wie ein harter Schlag. Sarah stand immer noch in der Küche. Matthias war fort, das wohlige Gefühl von Nähe und Wärme auch. Da war nur noch ein schwarzer Schatten. Undurchsichtig und pechschwarz umhüllte er ihren Körper wie eine dunkle Flamme. Sie versuchte zu schreien und sich loszureißen, aber es ging nicht. Ihre Lippen waren wie mit Wachs versiegelt. Sarah konnte sich nicht bewegen. Der Schatten hielt sie fest in seinem sanften Griff.
Auch wenn es dunkel in der Küche war und die flammengleiche Gestalt ständig flackerte und sich veränderte, glaubte sie das Gesicht der Frau, die sie vorhin kurz wahrgenommen hatte, vor sich zu sehen. Ihre Lippen waren auf Sarahs gepresst. Sie konnte es spüren. Kälte und Erschöpfung durchfuhren ihren Körper.
„Lass es sein. Kämpfe nicht dagegen an. Es hat keinen Sinn. Du machst es dadurch nur schlimmer.“
Da war sie wieder. Diese freundliche Stimme in ihrem Kopf. Vertrauensvoll und einfühlsam. Dieser Stimme würde sie durch die Hölle folgen. Es klang so einfach. So sinnvoll. Als gäbe es keinen anderen Ausweg. Sarah ließ sich fallen und gab sich der Kälte vollends hin. Jeder Widerstand war gebrochen, und der Schatten zwang sie in die Knie. Wann war dieser Alptraum endlich vorbei? Sie schloss die Augen und dachte sich an einen anderen Ort, einen Ort, an dem es kein Leid mehr geben würde, wo alle glücklich und zufrieden waren. So einen Ort gab es nicht, nicht für sie.
Sarah nahm ihren letzten Atemzug in dieser Welt und trat hinüber in eine andere. Ihr vom Leben gezeichneter Körper fiel nach vorne auf den Boden. Das schwarze Feuer stürzte sich noch einen Moment auf sie, dann ließ es von ihr ab und verharrte neben dem billigen Klapptisch, der schon bei Sarahs Einzug hier gestanden hatte. Rubinrote Augen funkelten in der Dunkelheit der Flammen. Stück für Stück nahm der Schatten wieder menschliche Züge an.

Ein Körper so unglaublich schön, dass er nicht von dieser Welt sein konnte, lange Haare, schwarz wie Ebenholz, die weit über die Schultern reichten, volle Lippen, rot wie Blut und die strahlenden, rubingleichen Augen. Wie von Göttern geschaffen stand dieses Wesen inmitten des schwarzen Feuers in Sarahs verwüsteter Küche und wurde mit jeder Sekunde, die verstrich, mehr und mehr Mensch.
Die Flammen, die eben noch ihren nackten Körper umhüllt hatten, schmiegten sich anmutig an ihre wohlgeformten Rundungen und wurden wieder zu dem roten Kleid, das sie vorher getragen hatte.
Sie war wieder makellos und schön, fast perfekt. Sie griff nach dem Lippenstift und dem Schminkspiegel in dem Chaos, das mal der wohlgeordnete Inhalt von Sarah Schneiders Handtasche gewesen war, und beseitigte den letzten Makel in ihrem Gesicht. Das Rubinrot in ihren Augen verblasste und wurde zu einem angenehmen Blaugrün. Es passte einfach besser zu ihrem Kleid.

Das Handy, welches die ganze Zeit auf der Arbeitsfläche neben der Spüle gelegen hatte, begann wieder zu vibrieren. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging Pandora hinüber und nahm den Anruf entgegen.


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