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Traumkind


 
 
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Scritoressa
Geschlecht:weiblichGraue Hexe

Alter: 29
Beiträge: 686



Beitrag30.09.2012 21:30
Traumkind
von Scritoressa
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallöchen Leute smile
ich meld mich auch mal wieder zurück und wage mich in die Prosa.
Hoffe euch gefällt der Text smile

Das Piepen des Herzmonitors holte Lydia zurück aus ihrem Traum. Sie spürte das Kissen unter ihrem Kopf, die Decken über ihrer Brust. Hörte Schritte im Gang. Dann die Tür, ein kurzes Intervall, in dem das Leben in ihr Zimmer eindrang: Gesprächsfetzen, ein rollendes Krankenbett. Wie Geister in Lydias persönlicher Hölle.
Jemand trat an ihr Bett. Sie konnte die andere Person fühlen, wie sie neben ihrem Gefängnis stand, ihr Handgelenk hielt und wieder fallen liess, seufzte.
„Wie geht es Ihnen, Frau Wagner?“
Lydia wollte antworten, wollte erklären, was das für eine dumme Frage war. Sie öffnete den Mund und sprach und…Doch das tat sie nicht. Sie wollte es tun, wenigstens die Augen öffnen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie versank wieder.  

Ein Schmetterling landete auf ihrer Hand, und sie lachte. Bewegte die Finger und sah ihm zu, wie er davon flatterte. Sie machte einen Schritt, setzte ihre nackten Zehen in feuchtes Gras. Atmete ein. Aus. Lächelte. Dann rannte sie über die Wiese,  ohne dass etwas sie aufgehalten hätte. Sie wurde nicht müde, rannte weiter und weiter und tanzte im Kreis. Ihr Kleid wirbelte um sie herum, hellgelb wie die Sonne um Mittag. Der Saum war feucht von Tau, feucht von Regentropfen, die sie nicht fallen gesehen hatte. Sie schaute nach oben in den Himmel.

„Lydia?“, eine Hand strich ihr über den Arm „Lydia, ich bin’s. Ich weiss, du kannst mich hören aber…“ Die Stimme brach ab.
„Mama!“, wollte Lydia rufen. „Ich bin hier!“ Doch ihr Körper blieb unbeweglich. Sie war ein Geist, gefangen in einer Flasche. Hilflos.
„Wie geht es dir, Kind? Der Doktor hat gesagt, es täte dir gut, wenn ich mit dir rede. Aber…“ Sie stockte, schnäuzte sich die Nase. „…aber ich fühle mich so dumm dabei. Ich…“
Die Tür ging auf. Irgendwo weinte ein Kind. Kinder sollten nicht im Spital sein, dachte Lydia. Sie waren so voller Leben, und dies war ein Ort des stillen Todes.
„Frau Wagner, Sie besuchen sie wieder? Wie schön.“
Zur Antwort nur ein Schluchzen. Dann: „Wie lange noch?“
Schritte, das Quietschen von Turnschuhen. Dann ein Klappern. Vielleicht die Infusionsstange? Sicher war da eine Infusion, da war immer eine Infusion, so viel wusste Lydia. Wie sie wohl aussah, so auf dem Bett, mit Schläuchen und Kabeln? Lydia hätte es zu gern gesehen, einfach, um irgendetwas zu sehen ausser Dunkelheit und den Schatten ungeweinter Tränen.
„Ich weiss es nicht. Sie könnte morgen schon aufwachen oder…“
„Oder genau jetzt zuhören, wie mein Schicksal besprochen wird“, dachte Lydia. Die Hand tätschelte wieder ihren Arm.
„Ich muss gehen, Kind.“
Schnelle Schritte, die Tür. Lärm und ein Schluchzen. Dann das Piepen des Herzmonitors und das Rascheln, das die Bewegungen des Arztes auslösten.
Schliesslich ging auch er. Als sich die Tür wieder öffnete, hörte sie seine Stimme.
„Ich weiss nicht, ob sie je…“ Das Gemurmel einer Krankenschwester. Dann Stille und Fragen, die ihr niemand beantworten konnte.

Das Gras war nass vom Regen. Über Lydia trieben silberne Wolken dahin. Ihr Kleid war nass, doch sie fror nicht. Während die feinen Tröpfchen über sie rieselten, trat sie einen Schritt vor, dann noch einen. Ihre Arme hielt sie ausgebreitet, als würde sie den Himmel umarmen. Sie lächelte und liess sich nach hinten fallen. Obwohl sie keinen Versuch unternommen hatte, sich abzufangen, landete sie federweich im Gras. Der Boden schien sich ihrem Körper leicht anzupassen. Wie eine seltsame, grün bewachsene Matratze. Lydia öffnete den Mund und liess Regentropfen auf ihre Zunge fallen. Sie schmeckten bitter, und sie schloss den Mund wieder.
„Es ist schön hier, hm?“, fragte eine Stimme. Lydia sah auf. Sah in die schwarzen Augen des Mädchens, das über ihr stand. Ihr weisses Kleid war trocken, ihr langes Haar floss mit dem leichten Wind wie Wasser.
„Ja“, antwortete Lydia, kein bisschen über die Anwesenheit des Kindes verwundert.
„Ich heisse Nox. Du?“, fragte das Mädchen. Es setzte sich auf das Gras, direkt neben Lydias Kopf. Dabei bewegte sie sich umständlich, wie um ihr Kleid nicht zu beschmutzen.
„Lydia. Glaube ich zumindest.“
„Wieso glaubst du es nur? Willst du Lydia heissen?“
Lydia zuckte mit den Schultern. „Ich denke schon. Ich weiss nicht.“
Das Mädchen hob eine Augenbraue. Die Geste sah auf ihrem zarten Gesicht irgendwie seltsam aus. „Lydia also. Bist du schon lange hier?“
„Ich – „

 „Lydia? Wie geht es dir? Ich bin’s, Eva. Ich kam, sobald ich von…“
Die Stimme ihrer Freundin brach ab. Lydia war ihr dafür dankbar. Sie wollte nicht an das denken, das ihr geschehen war. Das sie zu einer Gefangenen ihrer Gedanken gemacht hatte. Wollte es am liebsten vergessen, wie sie alles vergessen wollte. Das Piepen, die Stimmen ohne Körper.
„Es tut mir so leid! Hörst du mich?“
„Ja“, wollte Lydia flüstern. Konnte es nicht.
„Ich Idiotin. Natürlich hörst du mich nicht, du schläfst ja. Ich hab dir Blumen gebracht, auch wenn du sie nicht sehen kannst…es sind Orchideen. Magst du – “
Sie brach ab. Der Stuhl scharrte. „Was rede ich auch? Du bist nicht da und alles, was hier liegt ist eine leere Hülle die…Ich kann das nicht. Es tut mir leid, Lydia!“
Ihre Stimme klang tränenerstickt. Dann öffnete sich die Tür, und das Klicken von Evas Absätzen verhallte, ging unter in dem Lärm draussen. Die Tür rastete ein, um Lydia in ihrem Gefängnis zurückzulassen. „Ich kann nicht mehr“, hauchte sie in die Dunkelheit hinter ihren Augenlidern.

„Was kannst du nicht mehr?“, fragte das Mädchen neben ihr. Ihr Kleid war noch immer trocken, und sie trug eine Orchidee im Haar. Lydia öffnete den Mund, doch der Regen füllte ihren Rachen, bevor sie etwas sagen konnte. Sie setzte sich auf und spuckte ins Gras.
„Eine Gefangene sein“, antwortete sie dann. „Ich will endlich aufwachen, verstehst du?“
Nox nickte ernst mit dem Kopf. Dann lächelte sie sanft. „Wieso willst du aufwachen?“, fragte sie dann.
„Weil ich leben will. Ich bin kein Gemüse.“ Lydia senkte den Kopf. War sie das wirklich nicht?
„Und Gemüse lebt nicht?“ Nox lachte leise und zeigte spitze Zähne, die nicht in ihr Kindergesicht passen wollten.
„Ich weiss nicht“, sagte Lydia.
„Das sagst du immer. Wieso lügst du?“, fragte das Mädchen. Dann stand sie auf, blickte sie noch einmal traurig an. „Wieso lügst du, Lydia?“ Damit drehte sie sich um und ging langsam davon. Lydia blinzelte, und sie war spurlos verschwunden. Ein Schmetterling kämpfte sich durch den Regen, taumelte auf eine der Blüten neben ihr. Sie war versucht, ihn zu schlagen. Zu zerquetschen, einfach, weil er kleiner war als sie. Vielleicht auch, weil er fliegen konnte. Der Regen hörte auf und sie blickte nach oben. Es war keine Sonne zu sehen, nur ein weisser Himmel.
„Es ist ein Traum“, flüsterte sie zu dem Schmetterling. „Hier ist alles möglich.“ Sie schloss die Augen und weinte.

Lydia lag still da und lauschte dem regelmässigen Piepen des Herzmonitors. Manchmal konnte sie Schritte im Gang erahnen. Ihr war kalt. Hatte jemand das Fenster offen gelassen? Gab es überhaupt ein Fenster in ihrem Zimmer? Plötzlich fürchtete sie sich. Konnte sie nicht sehen, weil ihr Körper ihr nicht gehorchte, oder weil jemand ihr die Augen zuhielt? Ein Mann vielleicht, sein Gesicht verborgen durch eine schwere Kapuze?

 „Du bist wieder da“, sagte Lydia und strich über die Flügel des Schmetterlings, der auf ihrer Hand sass. Das Mädchen stand vor ihr, in ihrem weissen Kleid und der Orchidee im Haar über den leeren Augen.
„Warum bist du hier?“, fragte Nox.
„Ich weiss es nicht.“
Das Mädchen schüttelte den Kopf und griff nach dem Schmetterling, zog an einem seiner bebenden Flügel und riss ihn aus. Das Insekt zerfiel zu Staub, wurde vom Wind davon getragen. „Du lügst, Lydia. Du lügst.“
„Was soll ich dir denn sagen?“, fragte Lydia. Sie schlang die Arme um sich. Zum ersten Mal fror sie an diesem zeitlosen Ort. Wünschte sich eine Decke. Eine Umarmung.
„Sag mir, was du willst.“
„Ich will aufwachen.“
„Das kannst du nicht“, sagte Nox, ihre Stimme kühl wie Schnee. Lydia fröstelte wieder.
„Ich weiss“, hauchte sie dann. Ihre Beine gaben unter ihr nach, und sie sank ins Gras. „Ich weiss“, wiederholte sie. Das Mädchen blickte sie schweigend an.
„Es tut mir leid, weißt du. Wenn das hilft.“
„Tut es nicht“, flüsterte Lydia.
Das Mädchen nickte. „Weißt du, wer ich bin?“, fragte sie dann.
„Nox.“
„Ja. Aber was bin ich? Sag mir, wieso ich hier bin.“

„Sie atmet nicht!“, rief eine Stimme am Rand ihres Bewusstseins. Das ihr so vertraute Piepen raste, überschlug sich, raste weiter. Lydia bekam keine Luft, wollte um sich schlagen, konnte nicht. Eilige Schritte ertönten, dann Stimmen, denen sie nicht zuhören konnte. Dann Schmerz, Schmerz in ihrer Brust. Das Piepen wurde regelmässiger.

„Ich weiss es nicht“, antwortete Lydia dem Mädchen, das enttäuscht den Kopf schüttelte.
„Ich bin der Ausweg. Ich kann dich mitnehmen, wenn du willst.“
„Auch, wenn ich nicht will?“, erwiderte Lydia.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Willst du?“
Lydia senkte den Blick und betrachtete ihre Hand. Strich über die Stelle, auf der der Schmetterling gelandet war. Zitterte. „Ich habe keine Wahl, oder?“
„Es ist nur eine Frage der Zeit.“

Lydia schlug die Augen auf und sah nur Dunkelheit. Dann erst merkte sie, dass sie die Augen nicht öffnen konnte, dass sich nichts verändert hatte. Jemand fühlte ihr den Puls, obwohl das leise Piepen bereits seine Regelmässigkeit verkündete. Sie könnte so weiter machen, dachte sie. Hier liegen und warten, bis sie aufwachte. Aber sie war schon wach. So wach, wie sie es jemals wieder sein würde. Sie war kein Gemüse.
Das Piepen ging kurz schneller, stockte dann. Wurde wieder regelmässig. Lydia lächelte innerlich. Mehr konnte sie ja nicht. Die Krankenschwester – es musste fast eine Schwester sein – seufzte. „Wie geht es Ihnen, Frau Wagner?“, fragte sie dann, wie um die Stille zu vertreiben.

Das Mädchen stand vor Lydia, streckte ihr die Hand hin. Hielt den Kopf schräg. Lydia nickte. Der Geruch von Asche stieg ihr in die Nase. Sie lächelte.



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Fahrender Gaukler
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Beitrag04.10.2012 07:24

von Fahrender Gaukler
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Guten Morgen!

Also ich schleiche mich ja schon seit einiger Zeit um deinen Text, habe immer mal wieder versucht, mich reinzulesen und dann nach Worten gesucht, warum mir das nicht so recht gelingen wollte. Insgeheim hatte ich gehofft, dass sich da vorher noch jemand anderes melden würde, bei dem ich dann vielleicht sagen könnte: "Jau, das meine ich!". Da der Text aber nun schon ein paar Tage da steht und noch niemand geantwortet hat, will ich mich mal nicht länger drücken, denn ich kann mir vorstellen, wie quälend die Warterei für dich sein muss. wink

Also zunächst mal denke ich, dass die Idee sehr schön ist, habe dazu aber auch die ein oder andere Frage, weil ich mir nicht sicher bin, dass ich auch alles wirklich genauso verstanden habe, wie du es dir gedacht hast. Sehe ich das richtig, dass die Geschichte mehrere Jahre, vielleicht sogar Dekaden abdeckt? Dass Lydia zu Anfang noch ein Kind ist und gegen Ende eine alte Frau? Was mich zu der Annahme verleitete, war folgender Satz:

Zitat:
„Wie geht es Ihnen, Frau Wagner?“, fragte sie dann, wie um die Stille zu vertreiben.


Damit meint die Schwester doch nicht die Mutter, die neben dem Bett sitzt, sondern Lydia, oder? Also vielleicht stehe ich gerade auch völlig auf dem Schlauch, aber falls ich richtig liege, fände ich die Idee dahinter interessant. Ein Koma-Patient, der hin und wieder bei Bewusstsein ist und seit dem letzten Mal sind Jahre vergangen und sie merkt es nicht einmal. Dazwischen ist sie immer in ihrer eigenen Welt. Das hat was, ist irgendwie versöhnlicher, sprich tröstlicher, als wenn nur der eine oder der andere Zustand dauerhaft vorherrschen würde.

Apropos auf dem Schlauch stehen; was hat es mit dem Gemüse auf sich? Da blickte ich irgendwie gar nicht durch und fand die jeweiligen Stellen ehrlich gesagt auch eher unfreiwillig komisch. Habe ich etwas überlesen? Ist mir ein versteckter oder vielleicht auch nicht ganz so versteckter Sinn abhanden gekommen? Generell fand ich es eher schwierig, dem Text zu jedem Zeitpunkt zu folgen, da er sich auf seiner eigenen Meta-Ebene abzuspielen scheint, die hier und da und dort mehr auf Symbolik setzt als auf klare Ansagen. Nox, der Schmetterling, der Geruch von Asche ... alles sehr geheimnisumwoben, unwirklich, nicht greifbar. Das passt zwar zur Thematik, aber ... tja, womit ich wieder nach den passenden Worten suche. Ich denke, der Text ist mir einfach zu "verschwurbelt", besser kann ich es im Moment leider nicht ausdrücken. Echt hilfreich, hm? Surprised

Stilistisch ist es nicht ganz so meins, dennoch denke ich, dass der Schreibstil generell ein guter ist, der ob seiner relativen Schlichtheit sehr gut zur Geschichte passt. Ich finde allerdings auch, dass es noch Luft nach oben gibt, was manche Formulierungen betrifft. Viele der Sätze lesen sich für meine Begriffe roh und ungeschliffen, fast sperrig. Daneben gibt es aber auch solch schöne Formulierungen wie etwa diese hier, von denen ich mir mehr wünschen würde:

Zitat:
Lydia hätte es zu gern gesehen, einfach, um irgendetwas zu sehen ausser Dunkelheit und den Schatten ungeweinter Tränen.


Das ist gar wunderfein! Allerdings ist mein Geschmack auch eher speziell. Ich mag es, wenn der Autor sich dem Hang zum Fabulieren hingibt. So richtig schön verschnörkelt und mit Bordüren und so. Laughing Aber damit will ich nicht sagen, dass du ganz anders schreiben solltest, nur ich würde mir ein paar mehr solcher Formulierungen wünschen, sofern sie denn passen.

Tja, jetzt hab ich so viel gelabert und trotzdem so wenig gesagt. Viel Konstruktives wirst du dir wohl nicht aus meiner Kritik herausziehen können, aber ich habe mal versucht, in Worte zu fassen, warum ich so schwer in den Text hinein fand. Vielleicht wirkt mein Kommentar ja auch als Dosenöffner und animiert weitere Leser dazu, mir entweder zu widersprechen oder Recht zu geben. Dann wird vielleicht doch noch was aus konstruktiv und hilfreich. smile


Einstweilen schöne Grüße,

~~Der Gaukler
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kane
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Beiträge: 13



K
Beitrag04.10.2012 11:41

von kane
Antworten mit Zitat

Schönen Guten Morgen!

Ich werde mich dann auch mal an eine Kritik versuchen und hoffe dass ich etwas Hilfreiches zustande bekomme. smile

Ich muss mich meinem Vorredner erst mal anschließen, der Text scheint mir einerseits eine runde Sache zu sein (viele schöne Elemente/Bilder die mir gefallen) und doch bin ich irgendwie verwirrt.  

Was mir fehlt ist, das ich nicht eindeutig erkennen kann, welche Emotionen Lydia bewegen. Sie wirkt einerseits genervt, ein wenig resigniert, dann doch wieder einen Hauch verzweifelt, aber das kommt nicht eindeutig an und hängt letztendlich mit der Tatsache/Frage zusammen - wie fahrender Gaukler auch schon erwähnte - wie lange sich Lydia schon in diesem Zustand befindet. Lydias Verhalten ist der einzige Anhaltspunkt um einschätzen zu können wie lange sie schon komatös ist (das ist sie doch, oder?) und sie verhält sich da ein wenig unlogisch. Einerseits so, als sei alles schon totaler Alltag und dann doch wieder als sei ihr die Situation neu.
Die Angabe eines genauen Zeitraumes wäre natürlich unpassend und sollte keinesfalls im Vordergrund stehen. Lydia ist nicht in der Lage Stunden, Tage oder Wochen auszumachen; aber es wäre schon hilfreich, eine ungefähre Einschätzung zu erhalten, denn davon hängt Lydias Verhalten/Gefühlswelt ab und wirkt sich auf den bekannten roten Faden der Story aus.
 
Nehmen wir mal folgenden Satz, vom ersten Absatz (sorry, ich hab das mit dem Zitieren noch nicht raus):

Lydia wollte antworten, wollte erklären, was das für eine dumme Frage war. Sie öffnete den Mund und sprach und…Doch das tat sie nicht. Sie wollte es tun, wenigstens die Augen öffnen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie versank wieder.

Das Lydia erklären will, was das für eine dumme Frage der Schwester sei, zeugt von einen Sarkasmus bei dem man davon ausgeht, das Lydia die Situation bereits ziemlich gut kennt. Andererseits würde man doch innerlich vollkommen durchdrehen. Schreien, toben usw. Sie befindet sich schließlich in einer sehr beängstigenden Lage.
Man weiß nicht was Lydia zugestoßen ist - muss auch nicht erwähnt werden - aber hier wäre der Hinweis, das Lydia diesen Zustand bereits kennt und nicht gerade erst nach ihrem Unfall (oder was auch immer) zum ersten Mal erwacht ist sinnvoll, denn das würde erklären warum sie so "locker" bleibt.
Ich mache mal ganz vorsichtig einen Vorschlag:  

Sie wollte es tun, wenigstens die Augen öffnen, doch ihr Körper gehorchte nicht. Das tat er schon so lange nicht mehr.

oder

Sie wollte es tun, wenigstens die Augen öffnen, doch ihr Körper gehorchte nicht. Sie versank wieder, wie immer.

Vielleicht habe ich das jetzt auch falsch verstanden und Lydia ist noch garnicht lange komatös?!?! Dann müsste zumindest ihre Reaktion anders ausfallen. Gehe ich den Text weiterdurch, erhalte ich nämlich wieder den Eindruck als sei die Situation doch ganz frisch.
Ein Beispiel dafür, dritter Absatz:

„Lydia?“, eine Hand strich ihr über den Arm „Lydia, ich bin’s. Ich weiss, du kannst mich hören aber…“ Die Stimme brach ab.
„Mama!“, wollte Lydia rufen. „Ich bin hier!“ Doch ihr Körper blieb unbeweglich. Sie war ein Geist, gefangen in einer Flasche. Hilflos.


Ist die Sache doch erst gestern passiert? Wäre es schon länger her, würde Lydia da nicht eher etwas in der Art denken, wie: "Mama, ich wünschte ich könnte dir endlich antworten!"
Und abgesehen davon: Warum ist sich die Mutter/der Arzt so sicher, das Lydia ihr Umfeld wahrnehmen kann? Da drängen sich mir unbeabsichtigt Fragen über ihren medizinischen Zustand auf, die nicht erwähnt werden - auch nicht erwähnt werden müssen - aber sie reißen einem aus dem Lesefluss. Würde die Mutter hier mit dem Zweifel kämpfen, ob Lydia sie wohl wahrnehmen kann, wäre es nicht nur sinngemäßer, sondern würde auch die Stimmung zusätzlich unterstreichen.   

Nun... lange Rede, kurzer Sinn: Du könntest um es zu verbessern, Lydias Verhalten und Gefühle auf einen festen Fixpunkt hinaus klarer ausarbeiten. Auf ihre Verzweiflung und ihren Wunsch weiter zu leben oder auch vielleicht auf ihre Resignation, die bereits angedeutet wird. Je nach dem welche Message du beabsichtigst smile
Da ist dieser Kontrast zwischen dem beängstigendem Leben in einem gefangenen Körper und dem plötzlich "sonnigem" Jenseits,  der nicht ganz deutlich hervortritt, aber wohl zu dem Ergebnis führen könnte oder soll, das der Leser sich fragt für welche Seite er sich entscheiden würde. Zumindest glaube ich das dies Deine Intention ist? *schmunzel* kann natürlich sein das ich da gerade völlig falsch liege...

Und da fällt mir noch ein: Die Metapher mit dem Geist in der Flasche oder auch mit dem Gemüse an späterer Textstelle, nehmen der Atmosphäre die Schärfe. Ist für mich fragwürdig, aber das ist Geschmackssache Wink

Hoffe das ich Nichts falsch gedeutet habe, ansonsten  Daumen hoch

Liebe Grüße
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Fahrender Gaukler
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Beiträge: 2697
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Beitrag04.10.2012 16:45

von Fahrender Gaukler
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Hoppla! Meine Theorie scheint falsch zu sein, denn:

Zitat:
„Wie geht es Ihnen, Frau Wagner?“


stand ja auch schon ganz am Anfang einmal. So viel zum "aufmerksamen Lesen", Herr Gaukler! Embarassed

Ich nehme daher mal an, dass Lydia zwar erwachsen, aber noch jung ist. Etwa in deinem Alter?
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weizn
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Beitrag04.10.2012 16:57

von weizn
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Mir ist es ähnlich gegangen wie Fahrender Gaukler, was die späte Antwort betrifft.

Zuerst wollte ich den Text nur kurz anlesen, da es schon sehr spät war. Nach dem ersten Absatz war ich aber gefesselt und hab's doch zu Ende gebracht. Ein sehr guter Anfang also für mich.

Der Gesamteindruck ist sehr positiv, die Stimmung, der Schreibstil, die passenden Vergleiche und Metaphern (Gemüse, Flaschengeist, etc). Bei Lydias Aussage "Ich bin kein Gemüse" musste ich sogar lachen - und es trifft den Nagel auf den Kopf.

Gut fand ich auch, wie du reale Ereignisse fließend in die Traumwelt übernimmst, also konkret gesagt die Orchidee. Vielleicht kannst du davon noch mehr einstreuen, ganz dezent natürlich.

Darüber, wie viel Zeit im Text vergeht, hatte ich gar nicht nachgedacht, bis ich die Gedanken von Gaukler und kane las.
Nach dem ersten Lesen war Lydia für mich jung, vielleicht im Teenageralter, sie lag schon eine Weile im Koma und der Text selbst deckt maximal eine Woche ab. Darauf, dass sie am Schluss schon eine alte Frau oder erwachsen ist, wäre ich nicht gekommen.
Das könnte aber ein Hinweis darauf sein, da junge Mädchen selten Herzinfarkte bekommen:

Zitat:

Dann Schmerz, Schmerz in ihrer Brust.


Zitat:

„Und Gemüse lebt nicht?“


Hier hätte ich mir zumindest einen kurzen Schlagabtausch erwartet, da Nox meiner Meinung nach mit dieser provozierenden Frage auf eine Argumentation hinaus will... Stattdessen würgt Lydia den Dialog einfach mit "Ich weiß nicht" ab. (<- kommt mir generell ein bisschen zu oft vor).

Zu guter Letzt noch eine "technische" Kritik:

Zitat:

Sie konnte die andere Person fühlen, wie sie neben ihrem Gefängnis stand, ihr Handgelenk hielt und wieder fallen liess, seufzte.


Ich denke das "seufzte" solltest du nicht in diesen Satz packen. Das würde für mich bedeuten, dass sie ihr Seufzen fühlte.

Bin sehr gespannt auf deine Antwort zu unseren Vermutungen!

lg
weizn
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anuphti
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Beitrag04.10.2012 23:01

von anuphti
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Liebste Scrito,

dieser Text erinnert mich stark an meinen Beitrag zum 10000 Zeichen Wettbewerb, da schrieb ich auch über eine Patientin allerdings im Locked In Syndrom.

Bei Dir geht es offensichtlich um ein echtes Koma, auch nicht um ein sogenanntes Wachkoma.

Was mich ganz am Anfang rausgerissen hat, waren zwei Worte, seufzte und fallenlassen.

Nachdem Schwestern (oder Ärzte) das Handgelenk üblicherweise nicht aufheben, lassen sie es hinterher schon gar nicht fallen. Und warum sollte eine Schwester bei der Pulskontrolle seufzen. Das passt nicht.

Abgesehen davon versuchst Du den Übergang in ein Totenreich zu schildern, leider kommen bei mir überhaupt keine Gefühle an, weder positive noch negative.

Ich kann mich weder mit Lydia, noch dem anderen Mädchen identifizieren, ich würde mir ein paar mehr und persönlichere Details wünschen ...

LG
Nuff


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Scritoressa
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Alter: 29
Beiträge: 686



Beitrag13.10.2012 16:31

von Scritoressa
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sooo jetzt komm ich auch endlich zum antworten smile sorry, dass es so lange gedauert hat.

Gaukler:
Ich glaube, du interpretierst zu viel hinein, was allerdings für mich interessant ist. Ich lege die Dinge halt immer so aus, wie ich sie schreibe beziehungsweise umgekehrt smile
Lydia ist nicht allzu lange im Koma, ich dachte mal eine Woche, dann stirbt sie. In meinem Kopf hatte sie einen Unfall, bei dem sie sehr schwer verletzt wurde.
Das mit dem Gemüse...naja das war auch etwas witzig gemeint. Ich habe einen seltsamen Humor  Embarassed Mir drängt sich bei Komapatienten und ähnlichem einfach immer der Vergleich mit Pflanzen oder eben Gemüse auf, sie leben eigentlich, aber sind "nicht richtig da", soweit wir das halt wissen können.
Danke für die Kritik, muss ja nicht immer konstruktiv sein smile Schön, dass dir das Bild mit den Tränen gefällt. Hatte Angst, dass ich damit über das Ziel hinausschiesse.
Ach ja: Lydia ist so in den frühen Zwanzigern, also noch etwas älter als ich.

kane:
Das mit dem Satz, den du angestrichen hast, dass sie nicht durchdreht. Es ist schon so, dass sie schon eine gewisse Zeit feststeckt und sie es akzeptiert, es aber immer noch manchmal vergisst. Das mit dem "wie immer" mag ich nicht, weil es dann so alltäglich klingt...für mich geht dann ein bisschen die Luft raus.
Das mit dem "man soll mit der Person reden" habe ich von meiner Nachbarin, deren Tochter im Koma lag. Man geht davon aus, dass die Person unbewusst gewisse Dinge wahrnimmt, natürlich je nach Tiefe des Komas. Dass Lydia so denkt/ spricht...ich weiss auch nicht, irgendwie passt es zu der Art, wie ich Lydia "kenne". Unklare Antwort, ich weiss. Aber ein "Mama..." kann ich mir bei ihr schlecht vorstellen. Auch wenn es realistischer wäre, womit du wohl recht hast.
Das mit dem "sonnigen" Jenseits hast du falsch verstanden smile Es ist einfach eine Art "Komatraum", eigentlich wie ein normaler Traum (keine Ahnung, ob es das gibt, da lehne ich  mich aus dem Fenster), weshalb alles ein bisschen unklar und schwammig ist...diese Wiese versinnbildlicht für Lydia einfach die Freiheit, nach der sie sich sehnt, so eingesperrt im eigenen Körper. Nox dringt dann in diesen Traum ein, beginnt, ihn zu verändern. Sie ist eine Art Verkörperung des TOdes, aber der Rest kommt von Lydias Unterbewusstsein.

weizn:
Erstmal super, dass dir der Anfang gefallen hat smile ...gleich zum fehlenden Schlagabtausch: Du hast recht, das ist ein Fehler. Aber wie gesagt war es für einen Wettbewerb mit beschränkter Zeichenzahl und da hab ich am Ende damit begonnen, alles nicht lebensnotwendige herauszustreichen...armer Text. Dann hab ich halt "ich weiss nicht" hingemacht weil es wenig Worte braucht.

Nuff:
Oh, mist. Wirklich professionelles Verhalten ist das nicht. Ich wollte damit nur die Hoffnungslosigkeit der Situation zum Ausdruck bringen und hab dabei die Realität vergessen:oops: Leider sagen Ärzte wohl selten zu ihren (Koma-) Patienten "ach ich weiss nicht, was ich mit dir machen soll". Da kam mir nur das in den Sinn mit den Seufzen...vielleicht kann ich einfach eine Berührung und ein Seufzen machen? Ohne fallen lassen?
Das mit den Details liegt zum einen daran, dass mir Gefühlsschilderungen schwerfallen. Zum anderen weil ich am Ende nach Twain verfahren bin: "Wenn du ein Adjektiv findest, schlage es tot." ...sollte ja auf 8000 Zeichen runterkommen, was trotzdem nicht gelungen ist.

So, ich hoffe, ich habe alles halbwegs hinreichend beantwortet smile Wenn ich was vergessen habe, tut es mir leid.
Hauptpunkt ist halt, dass ich mich kurz fassen musste, weshalb einige Dinge vielleicht unfertig wirken.

lg Scrito


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