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Autor Nachricht
Tenny
Geschlecht:weiblichErklärbär
T

Alter: 34
Beiträge: 3



T
Beitrag15.08.2012 22:47
Noctaria
von Tenny
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Liebes dsfo-Forum,

wie aufgeregt ich bin, ist kaum zu beschreiben und das, obwohl ich, wie wohl alle hier, nur selten keine Worte finde. Wie auch immer.
Ich poste hier einmal die erste Szene des Fantasy-Epos, an dem ich nun schon einige Monate schreibe und bin wirklich sehr gespannt auf die Kritiken, die ich möglicherweise bekomme.
Ich danke schon einmal im Vorraus allen, die sich die Mühe machen, diesen Text zu lesen und auseinanderzunehmen.

Viel Spaß beim Sezieren!


Akt I
Unschuld


Sie war tot.
Das wusste sie. Und sie hatte Angst. Doch obwohl ihre Füße vom langen Stehen schmerzten und ihre Handgelenke von den rauen Seilen schon bluteten, gab sie keinen Laut der Klage von sich, keine Träne rann über ihr ebenmäßiges Gesicht.
Um sie herum, jedoch einige Meter entfernt von ihr, standen alle Dorfbewohner. Ihre Eltern, ihre Schwester, ihre Freunde, alle vertrauten Personen.
Sie würde keinen von ihnen je wieder sehen.
Man hatte sie geopfert.
Jedes Jahr verlangte das Untier eine Jungfrau. Ein Kind. Jung und unverdorben, frei vom Leid der Welt. Es durfte keine Angst kennen, keinen Schmerz. Aus diesem Grund waren auch die Kinder, die jünger waren als sie, bei der Opferzeremonie nicht anwesend.
Sie sollten rein bleiben.
Taiga aber hatte von dem Brauch gewusst. Sie hatte, neugierig, wie sie immer gewesen war, des Nachts heimlich in den Büchern ihres Vaters gelesen. Und in dem Buch der Opfer ihrer Familie hatte ihr Name gestanden.
Sie hatte sich gefürchtet. Doch gehasst hatte sie weder ihre Eltern noch ihre jüngere Schwester Toluca, die auch anwesend war. Sie würde leben und hatte das weitaus schwerere Los gezogen. Eines Tages würde sie eine ihrer Töchter opfern müssen.
Eine ihrer Töchter würde einst das reinweiße Kleid tragen, das sie nun trug und ebenso den Kranz aus Rosen auf dem Haar tragen, wie Taiga jetzt.
Sie hatte gewusst, was geschah und doch hatte sie kein Wort darüber verloren.
Und nun wartete sie, genau wie alle Anderen.
Sie warteten auf das Monster.
Und es kam.
Das Brüllen schallte weit über die Ebene, lauter noch als das Geheul der Wölfe, die Taiga so sehr liebte. Die Dorfbewohner wichen noch weiter zurück, denn sie wussten, was nun geschehen würde. Taiga sah ein letztes Mal zu ihrer Familie. Ihre kleine, geliebte Schwester weinte bittere Tränen, ihre Eltern aber hatten den Blick abgewandt.
Auch Taiga schloss nun die Augen und beruhigte ihr schlagendes Herz. Sie fürchtete sich, nicht wissend, wie sie sterben würde. Und doch blieb sie ruhig.
Erneut brüllte das riesige Wesen, wieder wichen die Dorfbewohner zurück.
Taiga blickte in den Himmel.
Und für einen Moment stand die Zeit für das junge Mädchen still.
Sie sah ihren Tod nahen.
Unmessbar groß, die Flügel weit gespannt glitt er durch die Luft. Seine Schuppen waren so dunkel, dass nicht einmal das Sonnenlicht sie zum schimmern brachte. Sein Schweif war mit Dornen versehen, zwei geschwungene Hörner zierten seinen Kopf, den er nun hob, um eine Stichflamme auszuspeien. Dann fixierten seine Augen für einen Moment die von Taiga.
Und in dem Mädchen regte sich etwas.
Er flog rasend schnell über den Ort des Geschehens hinweg und verdunkelte die Sonne mit seinem massigen Leib eine Sekunde.
Sie folgte ihm mit Blicken, während der Flugwind des Untiers über den Platz fegte.
Was war das für ein Gefühl in ihr?
Der Drache wendete, kam immer näher und landete schließlich direkt vor dem jungen Mädchen, das seinen Blick nicht von ihm nehmen konnte. Dann baute er sich zu seiner vollen Größe auf und ließ erneut ein Brüllen hören. Er war Taiga so nah, dass sie sehen konnte, wie seine Kehle dabei zitterte - ebenso wie der Boden, in dem er seine Klauen versengte. Dann war es still.
Zitternd und voller Furcht, gar in Todesangst, trat das Oberhaupt des Dorfes vor das riesige Wesen und ließ sich auf die Knie fallen.
»Mächtiger Drache, erhaben über alle anderen Wesen dieser Welt, nimm' unser Opfer an und gewähre uns weiterhin deinen unüberwindbaren Schutz! Ein Mädchen, rein und unverdorben, die Tochter einer liebenden Mutter! Sie soll …«
»Schweig still, sterblicher Narr!«
Die Stimme des Drachen war tief und rau, doch ebenso mächtig wie sein Ruf, den er angestimmt hatte. Sie spürte, wie die Angst durch ihren Körper kroch, fühlte, wie sie schreien wollte. Doch sie tat es nicht.
Das Oberhaupt war augenblicklich verstummt. Der Drache ließ seinen Blick über die Dorfbewohner schweifen und blieb an der weinenden Toluca hängen.
Er senkte den Kopf in ihre Richtung und Taiga erwachte aus ihrer lähmenden Trance. Das erste Mal, seitdem sie gefesselt worden war, bewegte sie sich und reckte ihren Hals, um zu sehen, was der Drache tat.
Die Dorfbewohner waren zurückgeschreckt wie wilde Tiere. Ihr Vater aber wollte sein verbleibendes Kind eilig auf die Arme nehmen, der Drache jedoch fauchte mahnend. Sofort wurde er von zwei anderen Männern gepackt, die ihn zurückhielten.
»Lasst mich los! Er bekommt schon Taiga! Er soll uns nicht noch Toluca wegnehmen!«
Das Oberhaupt sah ihn wütend an.
»Wie kannst du es wagen, den Willen unseres mächtigen Beschützers …«
»Ich habe dir gesagt, du sollst schweigen!«, polterte der Drache und das Oberhaupt verstummte abermals. Dann wandte sich das riesige Wesen Tolucas Vater zu.
»Sei ohne Furcht. Wie du bereits sagtest, nehme ich dir bereits eine deiner Töchter. Ich werde keine Zweite verlangen.«
Während des Streits stand Toluca noch immer am ganzen Leib zitternd und erbärmlich weinend da. Nun wandte sich der Drache ihr zu. Langsam und mit einer Zärtlichkeit, die man einem derart riesigen Wesen niemals zutrauen würde, berührte er das Mädchen mit seinem Fang und beide wurden still.
Taiga ahnte, dass er ihr irgendetwas sagte. Sie hatte, seitdem sie von dem Opferritual wusste, soviel über Drachen gelesen, wie sie hatte finden können. Ihnen wurden die großartigsten Fähigkeiten zugeschrieben, jedoch auch Brutalität und grausame Wildheit. In den Augen der Menschen waren sie bösartig.
Sie aber sah gerade das genaue Gegenteil. Toluca hatte aufgehört zu weinen. Ihre kleine Schwester war nun ganz ruhig und sah noch einmal zu ihr. Der Blick war irgendwie tröstend und Taiga lächelte ihr noch ein letztes Mal zu.
»Und jetzt hinfort mit euch, sterbliches Gewürm! Ich werde mich der Jungfrau allein annehmen!«
Tolucas Vater rettete sein Kind auf seine schützenden Arme. Ihre Mutter eilte zu ihnen. Und dann verschwanden die Dorfbewohner nach und nach.
Der Drache wartete, bis auch der letzte außer Sicht war.
Dann seufzte er und wandte sich seiner Opfergabe zu. Ohne ein Wort kam er ihr immer näher. Sein warmer Atem streichelte die Haut des Mädchens. Und obwohl er bestialisch nach Schwefel stank, verzog sie keinen Muskel, obwohl ihr seine faustgroßen Zähne immer näher kamen.
Er biss zu, doch der erwartete Schmerz blieb aus.
Er hatte sie von den Fesseln befreit.
Sie blinzelte zu ihm hinauf, doch der Drache zeigte keinerlei Emotion. Er legte schlicht seine Pranke vor sie und Taiga verstand die Aufforderung, sich hineinzusetzen.
Er hob sie in die Höhe, nahe zu seiner Brust.
»Halt' dich fest.«
»Ich hatte nicht vor, unterwegs loszulassen …«
Nun war es der Drache, der blinzelte.
»Du hast Mut«, sprach er ruhig. »Doch Mut kann manchmal tödlich sein.«
Mit diesen Worten erhob er sich mit wenigen Flügelschlägen in die Luft. Taiga umklammerte eines seiner Fingerglieder, um nicht herunterzufallen, denn der Drache flog unglaublich schnell.
Mut konnte manchmal tödlich sein? Spielte er gerade mit ihrer mehr als geringen Hoffnung, doch nicht zu sterben? Sie schob den Gedanken beiseite. Noch lebte sie: Und sie flog!
Mit staunenden Kinderaugen blickte sie auf die Welt unter sich. Sie sah die Felder, die noch grün waren, sah den Wald, in dem sie mit ihrer Schwester so oft gespielt hatte, sah den See, den Fluss, all die vertrauten Dinge ihrer Heimat.
Und schließlich näherten sie sich der Bergkette, die Taigas Blick zum Horizont immer begrenzt hatten. Würde sie sehen, was dahinter lag?
Der Drache flog in vollkommener Ruhe. Seine Schwingen bewegten sich regelmäßig auf und ab und als die Ohren des Mädchens sich an das Rauschen des Flugwindes gewöhnt hatten, hörte sie sogar sein Herz schlagen. Doch es schlug anders, als sie es erwartet hatte. Nicht stark und kräftig, nein. Es wirkte schwach.
Die Reise nahm ein recht schnelles Ende, doch Taiga war zufrieden. Sie hatte die Welt von oben gesehen. Ein Traum, den sie schon oft geträumt hatte, war in Erfüllung gegangen. So würde sie an etwas Schönes denken können, wenn sie starb.
Der Drache landete erneut, nicht weniger gezielt und geschickt wie vorher. Dann senkte er seine Pranke und Taigas nackte Füße berührten das graue Gestein unter sich. Es war ungewöhnlich warm.
»Ein ruhender Vulkan«, erklärte der Drache, ohne gefragt zu werden. »Das Magma brodelt noch immer im Herzen des Berges und wärmt sogar die höchsten Bergspitzen.«
Er ging einfach an ihr vorbei. Jeder seiner Schritte ließ den Boden ein wenig erzittern, doch Taiga folgte ihm. Sie traten in einen Höhleneingang, der gut verborgen hinter einem Vorsprung lag, sodass man ihn von Weitem nicht sah. Der Drache führte sie und wartete geduldig, wenn sie nicht Schritt halten konnte. Immer tiefer gingen sie in den Berg hinein, schweigend und das junge Mädchen kam nicht umhin, sich das riesige Wesen näher anzusehen.
Seine Schuppen waren wahrlich so schwarz wie Obsidian. Sie konnte die Muskeln darunter erkennen, wenn er einen Schritt voranging. Seine Flügel lagen nun eng an seinem Körper und sie entdeckte, dass sie Haut zwischen den Gliedern teilweise eingerissen war. Sie fragte sich, ob die alten Wunden von Kämpfen stammten oder mit seinem Alter einhergingen.
Als sie um eine Kurve bogen, senkte der Drache seinen Kopf, um sich nicht an einem der Stalagmiten zu stoßen.
Und Taiga sah, dass sein linkes Auge blind war.
Eine breite Narbe zog sich von seiner Stirn bis hin zu seinem Mundwinkel und kreuzte das milchig weiße Auge, in dem das Mädchen sich nicht spiegeln konnte. Ihr schwirrten tausend Fragen im Kopf herum. Sie hätte ihm ihr Leben vermutlich sogar freiwillig gegeben, wenn er ihr nur eine einzige davon beantwortet hätte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie ihr Ziel.
Die große Haupthöhle, tief im Herzen des Berges.
Und Taigas blaue Augen staunten obgleich der Farbenpacht, die sich ihr offenbarte.
Die Felswände waren über und über mit Juwelen geschmückt, durch die Licht von außen hindurch fiel. Sie tauchten die nestartige Vertiefung in der Mitte der Höhle in einen wunderschönen Schein. Es wirkte beinahe, als sammle sich alles Licht darin.
Der Drache ging voran, während das Mädchen seinen Hort bestaunte. Er beobachtete sie einen langen Moment dabei. Jedes Mädchen, das er bisher hierher gebracht hatte, hatte in seiner panischen Angst vor ihm die Schönheit völlig übersehen. Sie alle hatten gezittert und geweint, ihn teilweise um sein Leben angefleht.
Dieses Mädchen aber war anders als alle Anderen. Zumindest schien es so. Er wollte sie prüfen. Vielleicht war sie endlich die Mühe wert.
Er legte sich in die Vertiefung. Taiga blinzelte, als sie sah, dass die schwarzen Schuppen vom Licht unberührt zu bleiben schienen.
»Komm her.«
Sie gehorchte. Und er beobachtete sie genau. Sie ging aufrecht und stolz und für ein Kind schon recht grazil. Sie versprach dem geneigten Betrachter, einst eine Schönheit zu werden.
Ruhig blickte er zu ihr herunter, als sie direkt vor ihm stand.
»Sag' mir, warum du hier bist.«
Sie atmete tief durch. Ein Zeichen der Angst. Das Einzige, das sie bisher offen gezeigt hatte.
»Ich soll Euch, mächtiger Drache, als Speise dienen, um Eure Lebenskraft zu erneuern.«
Der Schwarze hob die Schuppen über seinem blinden Auge an. Sie wusste um das Opferritual? Das änderte seinen Blickwinkel vollkommen. Er wollte ihr gerade antworten, doch sie kam ihm zuvor.
»Ich will Euch danken.«
»Danken?«, fragte er verwundert. »Wofür?«
»Dafür, dass Ihr die Tränen meiner kleinen Schwester gestillt habt.«
Er musterte sie. Sah ihr in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand. Er las tatsächliche Dankbarkeit darin, doch auch große Unsicherheit und Furcht. Trotzdem blickte weiter, tiefer, forschte in der Seele des Kindes, was ihm ein Leichtes war.
Und er fand großen Mut. Unmessbare Stärke, die sie selbst noch nicht erkannt hatte. Sie erinnerte ihn an jemanden. Jemanden, den er schmerzlich vermisste.
Er brauchte einen Moment, um sich aus ihr zurückzuziehen. Zu intensiv waren die Eindrücke gewesen, die er bekommen hatte. Doch schließlich sprach er zu ihr.
»Du stehst vor dem Wesen, das dich töten soll, aufrecht und stolz und verbirgst deine Furcht. Eine wahrhaft königliche Haltung für eine Zwölfjährige.«
Taiga blickte noch immer zu ihm hinauf.
»Es würde nichts ändern, würde ich mich offen fürchten. Keine meiner Vorgängerinnen kehrte je zurück, also ist es zwecklos, zu flehen, was sie zweifelsohne taten, denn Euer Erscheinungsbild ist wahrlich furchteinflößend, schwarzer Leviathan.«
»Du nennst mich Leviathan?«
»Ich las dieses Wort in den Büchern meines Vaters. Es beschrieb Eure Rasse, die Drachen.«
Nun legte der Schwarze seinen Kopf schief. Wieder etwas, das Taiga von den anderen Mädchen unterschied. Sie konnte offenbar lesen. Nur zu selten wurden Mädchen in solch elementaren Dingen unterrichtet.
Er beschloss, dass sie die Mühe wirklich wert war.
»Nun, auch wir Drachen haben Namen. Meiner lautet Sarkirion.«
Er senkte den Kopf und näherte sich ihr. Erneut blieb sie stehen.
»Vergiss deine Angst, Taiga. Das, wovor du dich fürchtest, wird nicht geschehen.«
Sie sah zu ihm, ihre Blicke trafen sich einmal mehr und das junge Mädchen legte, nun von ihrer Angst befreit, eine ihrer Hände auf den Fang des riesigen Wesens. Doch dieser Moment war nicht dazu bestimmt, das Gegenüber zu erforschen. Er hatte etwas Magisches an sich. Etwas, das diese beiden Seelen, so unterschiedlich sie auch sein mochten, miteinander verband.
Taiga brach das Schweigen erst nach einem langen Augenblick.
»Warum bin ich dann hier?«, hauchte sie leise.
Sarkirion antwortete nicht. Stattdessen befreite der Drache ein sonores, beruhigendes Summen aus seiner Kehle, das in den Ohren des Kindes wiederhallte. Die Töne verschmolzen miteinander und woben eine Melodie, schöner als jedes Lied, das sie je gehört hatte. Und ihre Augenlider wurden mit jeder Note schwerer …

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Nicki
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Beitrag15.08.2012 23:09

von Nicki
Antworten mit Zitat

Hallo Tenny, ich bin bei deiner Geschichte hängengeblieben, obwohl ich sonst gar keine Fantasy lese. Aber was ich gelesen habe, hat mich dann doch über die ersten Zeilen hinaus gefesselt und ich würde dann auch gerne wissen wie es weiter geht.
Da es schon spät ist, werde ich deinen Text nicht nach "Zerpflückbarem" durchsuchen, eigentlich ist er bis auf einige Stellen ganz gut geschrieben. Einzig das fiel mir sofort auf:

Zitat:
Als sie um eine Kurve bogen, senkte der Drache seinen Kopf, um sich nicht an einem der Stalagmiten zu stoßen.

Ich nehme an, wenn er sich bückt, weicht er denen aus, die von der Decke herabwachsen, das sind dann die Stalagtiten.

Da dies dein erster Text ist, würde ich dir noch raten, dich auf dem roten Teppich vorzustellen, damit wir auch wissen, mit wem wir es zu tun haben. Aber von mir schon ein herzliches Willkommen im Forum Laughing


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MfG
Nicki

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MosesBob
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Beitrag16.08.2012 10:24

von MosesBob
Antworten mit Zitat

Hallo und herzlich willkommen im dsfo! smile

Vorweg: Ich lese sehr wenig Fantasy. Trotzdem bin ich an deiner Geschichte hängengeblieben. Das ist weniger der beschriebenen Szene zuzusprechen, als vielmehr dem knackigen Schreibstil. Du überfettest deine Sätze nicht mit übermäßig vielen Adjektiven oder sonstigem Ballast. Jedoch: Es gibt Passagen, die für meinen Geschmack zu pathetisch klingen. Am Anfang war ich gelegentlich kurz irritiert, ob die Geschichte nun vom "Geist" einer bereits Geopferten erzählt wird oder vom aktuellen Opfer. Nichts gegen ein bisschen Irritation, das heizt die Stimmung an, aber hier sehe ich tatsächlich ein Problem. Knackpunkt:

Tenny hat Folgendes geschrieben:
Sie war tot.
Das wusste sie. Und sie hatte Angst. Doch obwohl ihre Füße vom langen Stehen schmerzten und ihre Handgelenke von den rauen Seilen schon bluteten, gab sie keinen Laut der Klage von sich, keine Träne rann über ihr ebenmäßiges Gesicht.
Um sie herum, jedoch einige Meter entfernt von ihr, standen alle Dorfbewohner. Ihre Eltern, ihre Schwester, ihre Freunde, alle vertrauten Personen.
Sie würde keinen von ihnen je wieder sehen.
Man hatte sie geopfert.

Man hatte sie nicht geopfert. Man opferte sie jetzt gerade. Ob es darüber hinaus dienlich ist, ihr Gesicht als ebenmäßig zu bezeichnen? Nun, das Wort an sich ist schön. An der richtigen Stelle platziert, kann man viel damit ausdrücken. An dieser Stelle jedoch hat es mich zum ersten Mal aus dem Lesefluss rausgeschmissen. Mit Ebenmäßigkeit als erstem und einzigem Hinweis auf das Äußere der Frau kann ich wenig bis gar nichts anfangen. Frau? Ja. Denn dass es sich in Wahrheit um ein Kind handelt, erfahre ich erst einige Sätze später. Triebgesteuerter, primitiv denkender Mann, der ich bin, habe ich mir als Erstes natürlich eine vollbusige Jungfrau im gebärfähigen Alter vorgestellt, was nettes Blondes, was für's Auge, hilflose Schönheit in schneidenden Fesseln, die ihr noch genug Bewegungsraum lassen, sich beim Schreien die Hände vors Gesicht zu schlagen – eine Geste, die zwangsläufig dazu beiträgt, dass sich ihr Dekolleté zusammendrückt und nach oben verschiebt. Synchrone Ballspiele unter durchscheinenendem Stoff. Rette mich, MosesBob, rette mich! Von solchen Szenen träume ich, nachdem ich ausgeschlafen habe. Aber Spaß beiseite: Wenn schon ein Wort das Gesicht des weiblichen Parts beschreiben soll, würde ich eines nehmen, das für sich allein genommen mehr Aussagekraft hat oder beispielsweise schon mal auf ihr Alter schließen lässt.

Weitere Irritationen entstehen hierdurch:

Tenny hat Folgendes geschrieben:
Taiga aber hatte von dem Brauch gewusst. Sie hatte, neugierig, wie sie immer gewesen war, des Nachts heimlich in den Büchern ihres Vaters gelesen. Und in dem Buch der Opfer ihrer Familie hatte ihr Name gestanden.
Sie hatte sich gefürchtet. Doch gehasst hatte sie weder ihre Eltern noch ihre jüngere Schwester Toluca, die auch anwesend war. Sie würde leben und hatte das weitaus schwerere Los gezogen. Eines Tages würde sie eine ihrer Töchter opfern müssen.
Eine ihrer Töchter würde einst das reinweiße Kleid tragen, das sie nun trug und ebenso den Kranz aus Rosen auf dem Haar tragen, wie Taiga jetzt.
Sie hatte gewusst, was geschah und doch hatte sie kein Wort darüber verloren.

Du wirst vielleicht darüber hinweglesen, weil du weißt, worum es geht und was gemeint ist. Aber vom reinen grammatikalischen Aufbau her ist mit dem ersten rot markierten "sie" Tolucas Kleid gemeint, nicht Taigas. Beim zweiten rot markierten "sie" hingegen ist es genau umgekehrt. Diejenige, die gewusst hatte, was geschah (geschah, dazu komme ich gleich noch), ist in diesem Fall Taiga, deren Name du direkt davor erwähnst. Gemeint ist aber Toluca – und die würde ich nicht wissen lassen, was geschah, sondern was geschehen würde, denn das, was passieren soll, passiert ja jetzt gerade. Es ist noch nicht vorbei. Es geht erst richtig los. Im Prinzip ist es derselbe Punkt wie weiter oben bei dem Satz "Man hatte sie geopfert".

Bis hierhin sind das strenggenommen nur kleine Probleme, die man schnell ausbügeln kann. Jetzt wird's etwas kniffliger. Als Beispiele (nur als Beispiele) picke ich mir zwei Absätze heraus:

Tenny hat Folgendes geschrieben:
Und nun wartete sie, genau wie alle Anderen.
Sie warteten auf das Monster.
Und es kam.
Das Brüllen schallte weit über die Ebene, lauter noch als das Geheul der Wölfe, die Taiga so sehr liebte. Die Dorfbewohner wichen noch weiter zurück, denn sie wussten, was nun geschehen würde. Taiga sah ein letztes Mal zu ihrer Familie. Ihre kleine, geliebte Schwester weinte bittere Tränen, ihre Eltern aber hatten den Blick abgewandt.

Durch deinen knackigen Schreibstil – und dass er knackig ist, gefällt mir nach wie vor gut! – vernachlässigst du leider ein bisschen das atmosphärische Drumherum. Das Brüllen schallt über die Ebene. So weit, so gut. Diese Ankündigung des Monsters ist dir gelungen, nicht zuletzt auch wegen des knackigen Stils. "Sie warteten auf das Monster. Und es kam." So erzeugt man ohne viel Brimborium Spannung. Jedoch: Nimm's mir bitte nicht übel, aber ich kriege beim Lesen deiner Geschichte einfach nicht die King-Kong-Filme aus dem Kopf. Eigentlich fehlen nur der Dschungel, die Basstrommeln mit den wilden Rhythmen und die Eingeborenen mit den Hühnerknochen in den Nasen. Und so lächrlich das im ersten Moment auch klingt: Genau an diesen Punkten mangelt es deiner Geschichte. Nein, natürlich nicht wortwörtlich. Du brauchst keinen Dschungel, keine Basstrommeln und keine Eingeborenen mit Hang zur Selbstverstümmelung. Was du hingegen brauchst, ist a) eine Umgebung mit der b) entsprechenden Kulisse und c) Dorfbewohner, die mehr sind als nur Statisten. Kommen wir also nochmal aufs Brüllen zurück: Es schallt über die Ebene. Frage 1: Was für eine Ebene? Wo findet denn die Opferung statt? Was ist die Ebene für eine Landschaft, wie hört sie sich an, wie riecht sie, wie schmeckt sie, welche Gefühle lässt sie entstehen? Jetzt knöpfen wir uns die Dorfbewohner vor: Wovon sprechen wir hier überhaupt, wieviele sind es, was machen sie? Die Anspannung, die sie empfinden, ist nicht greifbar, nicht spürbar. Sollen sie überhaupt Anspannung empfinden? Ich gehe davon aus, denn wer weiß schon, welche Bandagen so ein Drache aufzieht, wenn das Opfer nicht in sein bevorzugtes Beuteschema passen sollte. Was auch immer die Dorfbewohner auch empfinden – es kommt nicht rüber. Theoretisch greifst du mit der Familie schon in die richtige Richtung: Man beschreibt die allgemeine Stimmung, danach pickt man sich ein paar signifikante Beispiele aus der Gruppe heraus, die die Stimmung unterstreichen oder, ganz pfiffig, ihr sogar krass widersprechen. Lass deinen Blick über deine Dorfbewohner schweifen! Knips die Röntgenaugen an! Wie reagieren diese Statisten, was sagen ihre Gesichter aus, was lässt ihre Gestik für Schlüsse zu, wie fühlt es sich an, dabeizusein?

Behalten wir diese Kritikpunkte also im Hinterkopf. Und jetzt lies dir  mal diesen Absatz durch:

Tenny hat Folgendes geschrieben:
Der Drache wendete, kam immer näher und landete schließlich direkt vor dem jungen Mädchen, das seinen Blick nicht von ihm nehmen konnte. Dann baute er sich zu seiner vollen Größe auf und ließ erneut ein Brüllen hören. Er war Taiga so nah, dass sie sehen konnte, wie seine Kehle dabei zitterte - ebenso wie der Boden, in dem er seine Klauen versengte. Dann war es still.
Zitternd und voller Furcht, gar in Todesangst, trat das Oberhaupt des Dorfes vor das riesige Wesen und ließ sich auf die Knie fallen.

Merkst du, worauf ich hinausmöchte? Das alles liest sich ein bisschen mau und passiv. Schau mal:

Tenny hat Folgendes geschrieben:
Der Drache wendete, kam immer näher und landete schließlich direkt vor dem jungen Mädchen, das seinen Blick nicht von ihm nehmen konnte. Dann baute er sich zu seiner vollen Größe auf und ließ erneut ein Brüllen hören. Er war Taiga so nah, dass sie sehen konnte, wie seine Kehle dabei zitterte - ebenso wie der Boden, in dem er seine Klauen versengte. Dann war es still.
Zitternd und voller Furcht, gar in Todesangst, trat das Oberhaupt des Dorfes vor das riesige Wesen und ließ sich auf die Knie fallen.

Der Drache landete. Nach einer majestätischen, ehrfurchtgebietenden Flugbahn am Himmel landet er. Es hört sich an, als hätte er eine federleichte, liebliche Landung hingelegt. Bloß keinen Lärm machen, bloß nicht zu doll aufkommen, damit im Dorf die Vasen nicht von den Fensterbänken fallen. Desgleichen das Brüllen: Er ließ ein Brüllen hören. Ja Sakra, wenn so ein Viech brüllt, dann klappern mir doch die Knochen – und zwar nicht nur aus Ehrfurcht, sondern auch wegen der Druckwelle. Wie fühllen sich diese Landung, das Aufbäumen und das Brüllen an? Lass mal deine Fantasie spielen. Dieser Flugsaurier bäumt sich vor den Dorfbewohnern auf, die Flügel sind noch gespreizt, gigantische Segel, die die Umgebung in Schatten hüllen. Dann der Schrei. Scheiß auf den zitternden Kehlkopf! Zittern tut direkt im Anschluss schon das Dorfoberhaupt. Versuch mal, andere Sinne ins Spiel zu bringen, als nur die Augen und das Gehör. Der Scheißdrache ist gerade mit einem Mörderspeed gelandet, Piste 2, Windrichtung Nord-Nord-Ost, Tower Ende, der Boden erbebt unter seinem Gewicht, über das Mädchen und die umstehenden Statisten rollt eine Druckwelle hinweg, darauf folgt das Brüllen mit Drohgebärde: So ein Drache riecht bestimmt nicht nach Penaten-Babycreme und Mentos. Schwefel soll es sein, schreibst du später. Na gut, meinetwegen. Jetzt ist die Zeit dafür, dieses charmante Odeur nach Güllegrube zumindest schon mal zu erwähnen. Wenn sich der Drache später dem Mädchen nähert, um es von seinem Bondage zu befreien, kannst du die Wirkung dieser lieblichen Note noch intensivieren – und zwar bis kurz vorm Erbrechen. Bestialisch, schreibst du, mockert das Tier nach Schwefel. Bei einer solchen Intensität wühlt sich doch die Übelkeit durch unsere Eingeweide. Da haut's einem doch glatt das Mittagessen die Speiseröhre hinauf. By the way: Du erzählst aus Sicht des jungen Mädchens. Kann sie wissen, wie Schwefel riecht? Ist es vielleicht ratsam, diesem Schwefelgeruch noch eine andere Note beizumengen, die auch dem Leser einen empathischeren Eindruck davon vermittelt? Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal Schwefel gerochen habe. Aber das nur nebenbei. Back to basic:

Beklemmend muss die Gegenwart des Drachens auf die Dorfbewohner wirken, wenn selbst ihrem Oberhaupt, gelinde gesagt, der Stift geht. Er hat Todesangst, schreibst du! Schau dir das Oberhaupt an. Welches Bild hast du vor Augen? Ungelenkiges Dickerchen mit souverän sitzender Toga und Halbglatze? Wodurch macht sich seine Todesangst bemerkbar, wie ansteckend ist das, was das Oberhaupt tut – Körpersprache, Mimik, Rhetorik –, auf seine Untergebenen? Bring mal ein bisschen Leben in die Versammlung aus Zombies!

Dezente Anmerkung noch zum Schluss: Das Wörtchen "doch" hat es dir angetan, nicht wahr? Besonders am Anfang und im Mittelteil ist es omnipräsent. Das ist aus zweierlei Gründen nicht gut, weil sich dadurch nicht nur das Wort an sich wiederholt, sondern streckenweise auch der Satzaufbau. Das bringt Eintönigkeit.

Tenny hat Folgendes geschrieben:
Akt I
Unschuld


Sie war tot.
Das wusste sie. Und sie hatte Angst. DOCH obwohl ihre Füße vom langen Stehen schmerzten und ihre Handgelenke von den rauen Seilen schon bluteten, gab sie keinen Laut der Klage von sich, keine Träne rann über ihr ebenmäßiges Gesicht.
Um sie herum, jedoch einige Meter entfernt von ihr, standen alle Dorfbewohner. Ihre Eltern, ihre Schwester, ihre Freunde, alle vertrauten Personen.
Sie würde keinen von ihnen je wieder sehen.
Man hatte sie geopfert.
Jedes Jahr verlangte das Untier eine Jungfrau. Ein Kind. Jung und unverdorben, frei vom Leid der Welt. Es durfte keine Angst kennen, keinen Schmerz. Aus diesem Grund waren auch die Kinder, die jünger waren als sie, bei der Opferzeremonie nicht anwesend.
Sie sollten rein bleiben.
Taiga aber hatte von dem Brauch gewusst. Sie hatte, neugierig, wie sie immer gewesen war, des Nachts heimlich in den Büchern ihres Vaters gelesen. Und in dem Buch der Opfer ihrer Familie hatte ihr Name gestanden.
Sie hatte sich gefürchtet. DOCH gehasst hatte sie weder ihre Eltern noch ihre jüngere Schwester Toluca, die auch anwesend war. Sie würde leben und hatte das weitaus schwerere Los gezogen. Eines Tages würde sie eine ihrer Töchter opfern müssen.
Eine ihrer Töchter würde einst das reinweiße Kleid tragen, das sie nun trug und ebenso den Kranz aus Rosen auf dem Haar tragen, wie Taiga jetzt.
Sie hatte gewusst, was geschah und DOCH hatte sie kein Wort darüber verloren.
Und nun wartete sie, genau wie alle Anderen.
Sie warteten auf das Monster.
Und es kam.
Das Brüllen schallte weit über die Ebene, lauter noch als das Geheul der Wölfe, die Taiga so sehr liebte. Die Dorfbewohner wichen noch weiter zurück, denn sie wussten, was nun geschehen würde. Taiga sah ein letztes Mal zu ihrer Familie. Ihre kleine, geliebte Schwester weinte bittere Tränen, ihre Eltern aber hatten den Blick abgewandt.
Auch Taiga schloss nun die Augen und beruhigte ihr schlagendes Herz. Sie fürchtete sich, nicht wissend, wie sie sterben würde. Und DOCH blieb sie ruhig.
Erneut brüllte das riesige Wesen, wieder wichen die Dorfbewohner zurück.
Taiga blickte in den Himmel.
Und für einen Moment stand die Zeit für das junge Mädchen still.
Sie sah ihren Tod nahen.
Unmessbar groß, die Flügel weit gespannt glitt er durch die Luft. Seine Schuppen waren so dunkel, dass nicht einmal das Sonnenlicht sie zum schimmern brachte. Sein Schweif war mit Dornen versehen, zwei geschwungene Hörner zierten seinen Kopf, den er nun hob, um eine Stichflamme auszuspeien. Dann fixierten seine Augen für einen Moment die von Taiga.
Und in dem Mädchen regte sich etwas.
Er flog rasend schnell über den Ort des Geschehens hinweg und verdunkelte die Sonne mit seinem massigen Leib eine Sekunde.
Sie folgte ihm mit Blicken, während der Flugwind des Untiers über den Platz fegte.
Was war das für ein Gefühl in ihr?
Der Drache wendete, kam immer näher und landete schließlich direkt vor dem jungen Mädchen, das seinen Blick nicht von ihm nehmen konnte. Dann baute er sich zu seiner vollen Größe auf und ließ erneut ein Brüllen hören. Er war Taiga so nah, dass sie sehen konnte, wie seine Kehle dabei zitterte - ebenso wie der Boden, in dem er seine Klauen versengte. Dann war es still.
Zitternd und voller Furcht, gar in Todesangst, trat das Oberhaupt des Dorfes vor das riesige Wesen und ließ sich auf die Knie fallen.
»Mächtiger Drache, erhaben über alle anderen Wesen dieser Welt, nimm' unser Opfer an und gewähre uns weiterhin deinen unüberwindbaren Schutz! Ein Mädchen, rein und unverdorben, die Tochter einer liebenden Mutter! Sie soll …«
»Schweig still, sterblicher Narr!«
Die Stimme des Drachen war tief und rau, DOCH ebenso mächtig wie sein Ruf, den er angestimmt hatte. Sie spürte, wie die Angst durch ihren Körper kroch, fühlte, wie sie schreien wollte. DOCH sie tat es nicht.
Das Oberhaupt war augenblicklich verstummt. Der Drache ließ seinen Blick über die Dorfbewohner schweifen und blieb an der weinenden Toluca hängen.
Er senkte den Kopf in ihre Richtung und Taiga erwachte aus ihrer lähmenden Trance. Das erste Mal, seitdem sie gefesselt worden war, bewegte sie sich und reckte ihren Hals, um zu sehen, was der Drache tat.
Die Dorfbewohner waren zurückgeschreckt wie wilde Tiere. Ihr Vater aber wollte sein verbleibendes Kind eilig auf die Arme nehmen, der Drache jedoch fauchte mahnend. Sofort wurde er von zwei anderen Männern gepackt, die ihn zurückhielten.
»Lasst mich los! Er bekommt schon Taiga! Er soll uns nicht noch Toluca wegnehmen!«
Das Oberhaupt sah ihn wütend an.
»Wie kannst du es wagen, den Willen unseres mächtigen Beschützers …«
»Ich habe dir gesagt, du sollst schweigen!«, polterte der Drache und das Oberhaupt verstummte abermals. Dann wandte sich das riesige Wesen Tolucas Vater zu.
»Sei ohne Furcht. Wie du bereits sagtest, nehme ich dir bereits eine deiner Töchter. Ich werde keine Zweite verlangen.«
Während des Streits stand Toluca noch immer am ganzen Leib zitternd und erbärmlich weinend da. Nun wandte sich der Drache ihr zu. Langsam und mit einer Zärtlichkeit, die man einem derart riesigen Wesen niemals zutrauen würde, berührte er das Mädchen mit seinem Fang und beide wurden still.
Taiga ahnte, dass er ihr irgendetwas sagte. Sie hatte, seitdem sie von dem Opferritual wusste, soviel über Drachen gelesen, wie sie hatte finden können. Ihnen wurden die großartigsten Fähigkeiten zugeschrieben, jedoch auch Brutalität und grausame Wildheit. In den Augen der Menschen waren sie bösartig.
Sie aber sah gerade das genaue Gegenteil. Toluca hatte aufgehört zu weinen. Ihre kleine Schwester war nun ganz ruhig und sah noch einmal zu ihr. Der Blick war irgendwie tröstend und Taiga lächelte ihr noch ein letztes Mal zu.
»Und jetzt hinfort mit euch, sterbliches Gewürm! Ich werde mich der Jungfrau allein annehmen!«
Tolucas Vater rettete sein Kind auf seine schützenden Arme. Ihre Mutter eilte zu ihnen. Und dann verschwanden die Dorfbewohner nach und nach.
Der Drache wartete, bis auch der letzte außer Sicht war.
Dann seufzte er und wandte sich seiner Opfergabe zu. Ohne ein Wort kam er ihr immer näher. Sein warmer Atem streichelte die Haut des Mädchens. Und obwohl er bestialisch nach Schwefel stank, verzog sie keinen Muskel, obwohl ihr seine faustgroßen Zähne immer näher kamen.
Er biss zu, DOCH der erwartete Schmerz blieb aus.
Er hatte sie von den Fesseln befreit.
Sie blinzelte zu ihm hinauf, DOCH der Drache zeigte keinerlei Emotion. Er legte schlicht seine Pranke vor sie und Taiga verstand die Aufforderung, sich hineinzusetzen.
Er hob sie in die Höhe, nahe zu seiner Brust.
»Halt' dich fest.«
»Ich hatte nicht vor, unterwegs loszulassen …«
Nun war es der Drache, der blinzelte.
»Du hast Mut«, sprach er ruhig. »DOCH Mut kann manchmal tödlich sein.«
Mit diesen Worten erhob er sich mit wenigen Flügelschlägen in die Luft. Taiga umklammerte eines seiner Fingerglieder, um nicht herunterzufallen, denn der Drache flog unglaublich schnell.
Mut konnte manchmal tödlich sein? Spielte er gerade mit ihrer mehr als geringen Hoffnung, DOCH nicht zu sterben? Sie schob den Gedanken beiseite. Noch lebte sie: Und sie flog!
Mit staunenden Kinderaugen blickte sie auf die Welt unter sich. Sie sah die Felder, die noch grün waren, sah den Wald, in dem sie mit ihrer Schwester so oft gespielt hatte, sah den See, den Fluss, all die vertrauten Dinge ihrer Heimat.
Und schließlich näherten sie sich der Bergkette, die Taigas Blick zum Horizont immer begrenzt hatten. Würde sie sehen, was dahinter lag?
Der Drache flog in vollkommener Ruhe. Seine Schwingen bewegten sich regelmäßig auf und ab und als die Ohren des Mädchens sich an das Rauschen des Flugwindes gewöhnt hatten, hörte sie sogar sein Herz schlagen. DOCH es schlug anders, als sie es erwartet hatte. Nicht stark und kräftig, nein. Es wirkte schwach.
Die Reise nahm ein recht schnelles Ende, DOCH Taiga war zufrieden. Sie hatte die Welt von oben gesehen. Ein Traum, den sie schon oft geträumt hatte, war in Erfüllung gegangen. So würde sie an etwas Schönes denken können, wenn sie starb.
Der Drache landete erneut, nicht weniger gezielt und geschickt wie vorher. Dann senkte er seine Pranke und Taigas nackte Füße berührten das graue Gestein unter sich. Es war ungewöhnlich warm.
»Ein ruhender Vulkan«, erklärte der Drache, ohne gefragt zu werden. »Das Magma brodelt noch immer im Herzen des Berges und wärmt sogar die höchsten Bergspitzen.«
Er ging einfach an ihr vorbei. Jeder seiner Schritte ließ den Boden ein wenig erzittern, DOCH Taiga folgte ihm. Sie traten in einen Höhleneingang, der gut verborgen hinter einem Vorsprung lag, sodass man ihn von Weitem nicht sah. Der Drache führte sie und wartete geduldig, wenn sie nicht Schritt halten konnte. Immer tiefer gingen sie in den Berg hinein, schweigend und das junge Mädchen kam nicht umhin, sich das riesige Wesen näher anzusehen.
Seine Schuppen waren wahrlich so schwarz wie Obsidian. Sie konnte die Muskeln darunter erkennen, wenn er einen Schritt voranging. Seine Flügel lagen nun eng an seinem Körper und sie entdeckte, dass sie Haut zwischen den Gliedern teilweise eingerissen war. Sie fragte sich, ob die alten Wunden von Kämpfen stammten oder mit seinem Alter einhergingen.
Als sie um eine Kurve bogen, senkte der Drache seinen Kopf, um sich nicht an einem der Stalagmiten zu stoßen.
Und Taiga sah, dass sein linkes Auge blind war.
Eine breite Narbe zog sich von seiner Stirn bis hin zu seinem Mundwinkel und kreuzte das milchig weiße Auge, in dem das Mädchen sich nicht spiegeln konnte. Ihr schwirrten tausend Fragen im Kopf herum. Sie hätte ihm ihr Leben vermutlich sogar freiwillig gegeben, wenn er ihr nur eine einzige davon beantwortet hätte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie ihr Ziel.
Die große Haupthöhle, tief im Herzen des Berges.
Und Taigas blaue Augen staunten obgleich der Farbenpacht, die sich ihr offenbarte.
Die Felswände waren über und über mit Juwelen geschmückt, durch die Licht von außen hindurch fiel. Sie tauchten die nestartige Vertiefung in der Mitte der Höhle in einen wunderschönen Schein. Es wirkte beinahe, als sammle sich alles Licht darin.
Der Drache ging voran, während das Mädchen seinen Hort bestaunte. Er beobachtete sie einen langen Moment dabei. Jedes Mädchen, das er bisher hierher gebracht hatte, hatte in seiner panischen Angst vor ihm die Schönheit völlig übersehen. Sie alle hatten gezittert und geweint, ihn teilweise um sein Leben angefleht.
Dieses Mädchen aber war anders als alle Anderen. Zumindest schien es so. Er wollte sie prüfen. Vielleicht war sie endlich die Mühe wert.
Er legte sich in die Vertiefung. Taiga blinzelte, als sie sah, dass die schwarzen Schuppen vom Licht unberührt zu bleiben schienen.
»Komm her.«
Sie gehorchte. Und er beobachtete sie genau. Sie ging aufrecht und stolz und für ein Kind schon recht grazil. Sie versprach dem geneigten Betrachter, einst eine Schönheit zu werden.
Ruhig blickte er zu ihr herunter, als sie direkt vor ihm stand.
»Sag' mir, warum du hier bist.«
Sie atmete tief durch. Ein Zeichen der Angst. Das Einzige, das sie bisher offen gezeigt hatte.
»Ich soll Euch, mächtiger Drache, als Speise dienen, um Eure Lebenskraft zu erneuern.«
Der Schwarze hob die Schuppen über seinem blinden Auge an. Sie wusste um das Opferritual? Das änderte seinen Blickwinkel vollkommen. Er wollte ihr gerade antworten, DOCH sie kam ihm zuvor.
»Ich will Euch danken.«
»Danken?«, fragte er verwundert. »Wofür?«
»Dafür, dass Ihr die Tränen meiner kleinen Schwester gestillt habt.«
Er musterte sie. Sah ihr in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand. Er las tatsächliche Dankbarkeit darin, DOCH auch große Unsicherheit und Furcht. Trotzdem blickte weiter, tiefer, forschte in der Seele des Kindes, was ihm ein Leichtes war.
Und er fand großen Mut. Unmessbare Stärke, die sie selbst noch nicht erkannt hatte. Sie erinnerte ihn an jemanden. Jemanden, den er schmerzlich vermisste.
Er brauchte einen Moment, um sich aus ihr zurückzuziehen. Zu intensiv waren die Eindrücke gewesen, die er bekommen hatte. DOCH schließlich sprach er zu ihr.
»Du stehst vor dem Wesen, das dich töten soll, aufrecht und stolz und verbirgst deine Furcht. Eine wahrhaft königliche Haltung für eine Zwölfjährige.«
Taiga blickte noch immer zu ihm hinauf.
»Es würde nichts ändern, würde ich mich offen fürchten. Keine meiner Vorgängerinnen kehrte je zurück, also ist es zwecklos, zu flehen, was sie zweifelsohne taten, denn Euer Erscheinungsbild ist wahrlich furchteinflößend, schwarzer Leviathan.«
»Du nennst mich Leviathan?«
»Ich las dieses Wort in den Büchern meines Vaters. Es beschrieb Eure Rasse, die Drachen.«
Nun legte der Schwarze seinen Kopf schief. Wieder etwas, das Taiga von den anderen Mädchen unterschied. Sie konnte offenbar lesen. Nur zu selten wurden Mädchen in solch elementaren Dingen unterrichtet.
Er beschloss, dass sie die Mühe wirklich wert war.
»Nun, auch wir Drachen haben Namen. Meiner lautet Sarkirion.«
Er senkte den Kopf und näherte sich ihr. Erneut blieb sie stehen.
»Vergiss deine Angst, Taiga. Das, wovor du dich fürchtest, wird nicht geschehen.«
Sie sah zu ihm, ihre Blicke trafen sich einmal mehr und das junge Mädchen legte, nun von ihrer Angst befreit, eine ihrer Hände auf den Fang des riesigen Wesens. DOCH dieser Moment war nicht dazu bestimmt, das Gegenüber zu erforschen. Er hatte etwas Magisches an sich. Etwas, das diese beiden Seelen, so unterschiedlich sie auch sein mochten, miteinander verband.
Taiga brach das Schweigen erst nach einem langen Augenblick.
»Warum bin ich dann hier?«, hauchte sie leise.
Sarkirion antwortete nicht. Stattdessen befreite der Drache ein sonores, beruhigendes Summen aus seiner Kehle, das in den Ohren des Kindes wiederhallte. Die Töne verschmolzen miteinander und woben eine Melodie, schöner als jedes Lied, das sie je gehört hatte. Und ihre Augenlider wurden mit jeder Note schwerer …


Ich bin übrigens bei den theatralischen wörtlichen Reden mental ausgestiegen ("sterblicher Narr"). Das ist einfach nicht meine Welt. Zu ölig für meinen Geschmack. Das soll übrigens keine Kritik sein. Sowas ist einfach nicht mein Ding.

Nichtsdestotrotz: Alles, was ich hier zu bemängeln habe, waren Punkte, die man mit Fingerspitzengefühl, Fleiß und ordentlich Bock am Schreiben begradigen kann. Meiner Ansicht nach bist du auf einem richtig guten Weg.

Viele Grüße,

Martin


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Das Leben geht weiter – das tut es immer.
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Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
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Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
(Laotse)
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MSchneider
Geschlecht:männlichWortedrechsler

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Beiträge: 71



Beitrag16.08.2012 11:48

von MSchneider
Antworten mit Zitat

Sehr gute Kritik, Martin, die sich im Wesentlichen mit meinem Empfinden deckt, dabei aber den in meinen Augen wichtigsten Teil außer Acht lässt: Es gibt in diesem Roman / Epos schlicht und ergreifend keine Einleitung, keine Orientierung, so dass mir als Leser die näheren Umstände dieser Begebenheit verborgen bleiben. Du, Tenny, beabsichtigst anscheinend, den Leser direkt mit dem Konflikt der Protagonistin zu konfrontieren und damit einen rasanten Beginn zu ermöglichen, wobei du deiner Geschichte nicht im entscheidenden Moment den Wind aus den Segeln nimmst - das "Opfern" der Protagonistin hätte zum Beispiel durch die Bewohner verhindert werden können, so dass sich die anfängliche Aufregung beruhigt und die Geschichte ein Maß an Ordnung erhält -, sondern das grundlegende Tempo ohne Zweifel beinahe bis zum Ende dieses Auszuges beibehälst. Das gefällt mir ehrlich gesagt nicht. Im Prinzip weiß ich überhaupt nichts über die Protagonistin, muss aber erleben, wie sie die letzten Funken Angst - die ohnehin sehr rar gesät waren -  im Angesicht des Drachen verliert, auf diesem reitet und sich auch durch die Höhle jenes Drachen nicht beeindrucken lässt - wie lässt sich das begründen? Bisher überhaupt nicht. Es ist unglaubwürdig, was sich aber unter Umständen durch eine Einleitung, wie sie nun einmal berechtigterweise üblich ist, beheben ließe. Wieso fügst du nicht zum Beispiel die Umstände um den Fund des Buches durch die Protagonistin mit ein - die du leider nur angerissen hast - und beschreibst präziser Land und Leute - schließlich handelt es sich hier um eine dem Leser unbekannte, fiktionale Welt -, sofern diese in den zukünftigen Ereignissen noch eine Rolle spielen? Die Geschichte sollte meiner Ansicht nach eher einer idyllischen Atmosphäre - kein Paradies, aber schon recht ansehnlich, was sich über bereits angesprochene Land und Leute definieren kann - entwachsen, die durch den Fund des Buches durch die Protagonistin eine Trübung erhält, möglicherweise gar eine Auseinandersetzung zwischen der Familie und dem Rest des Dorfes bedingt, die dann aber schließlich in das in diesem Auszug beschriebene Geschehen mündet. So, wie es da nun steht, setzt du Informationen über die Landschaft, die Atmosphäre, die Dorfbewohner - die hier tatsächlich wie von Martin angemerkt wie Statisten agieren -, das Ritual und nicht zuletzt über die Protagonistin selbst voraus.

Die Sprache ist ansehnlich, keine Frage - wenn es eben auch an Bildern mangelt -, aber die kann diesen Aspekt, der weit mehr ist als ein bloßer Schnitzer, nicht kaschieren.

Gruß,

MSchneider
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Berti_Baum
Reißwolf


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Beitrag16.08.2012 14:35

von Berti_Baum
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Also mir hat der Text und der Schreibstil grundsätzlich gefallen. Die Neugier wurde stetig gesteigert.

Und im Gegensatz zu MSchneider (Sorry) rate ich dringend von einer "Einleitung" ab. Der Einstieg ist richtig gewählt. Stattdessen solltst du kleine "Hinweisschilder" zu deiner Welt, ganz unauffällig einstreuen. Also: Was passiert um die Protagonistin drumherum? Was bekommt sie mit?

Am Anfang hatte ich nicht das Gefühl, dass es sich um ein Kind handelt. Zudem empfinde ich ihr Verhalten als zu taff, was mMn nicht authentisch wirkt.
Gleichfalls wird mMn dem Drachen zu schnell sein Schrecken genommen.

Ich würde den Namen der Protagonistin zudem innerhalb der ersten beiden Sätze nennen. Vermutlich auch das Alter mit einfließen lassen.

Ansonsten sieht das schon ganz gut aus.


_________________
Der Junge, der Glück brachte (Jugendbuch/2013)
Das Mädchen, das Hoffnung brachte (Jugendbuch/ November 2014)
Tod und tiefer Fall (Thriller/18. Mai 2015)
Rache und roter Schnee (Thriller/Oktober 2015)
Blut und böser Mann (Thriller/März 2016)
Asche und alter Zorn (Thriller/August 2016)
Ein kleines Verbrechen (Thriller/Dezember 2016)
Blinde Krähen (Thriller/März 2017)
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Eimerian
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E

Alter: 38
Beiträge: 193



E
Beitrag17.08.2012 13:46

von Eimerian
Antworten mit Zitat

Hallo Tenny

Dein Text hat mir gefallen. Es ist nicht oft so, das man am Ende einer Leseprobe enttäuscht ist, dass es nicht mehr weiter geht.

+) Mir gefällt, dass du gleich zur Sache kommst. Viel zu oft quälen uns Fantasyautoren mit zu vielen Einleitungen und Prologen, in denen wir "die Bibel" dieser Fantasywelt erzählt bekommen.
Die wichtigen Infos, die man braucht, um diesen Text zu verstehen sind alle da: Es gibt mächtige Drachen. Die Bewohner des Dorfes haben ein Bündnis mit einem Drachen geschlossen. Der Drache beschützt das Dorf und bekommt dafür Menschenopfer. usw...
Aber sie sind in die Handlung eingebaut und lesen sich nicht wie ein Wikipediaeintrag.

-)Was mich etwas gestört hat, sind die vielen "unnötigen Füllwörter". Das "doch" wurde ja schon erwähnt.
Daneben: jedoch, aber, schließlich, gar...

-) Teilweise komplizierte Formulierungen (siehe unten)

-) Aus welchem Blickwinkel erzählst du? Wir sind teilweise im Kopf von Taiga dann kurz im Drachen. Das ist in Ordnung, wenn du deine Geschichte von einem allwissenden Erzähler erzählt haben willst (third person omniscient), aber wenn du aus Taigas Blickwinkel erzählen willst (third person limited), dann solltest du alle Gedanken des Drachen und der Dorfbewohner, sowie alle Beschreibungen von Taiga "von außen" entfernen.

Hier die gewünschte Sektion:

Zitat:
Sie war tot.
Das wusste sie. Und sie hatte Angst. Doch obwohl ihre Füße vom langen Stehen schmerzten und ihre Handgelenke von den rauen Seilen schon bluteten, gab sie keinen Laut der Klage von sich, keine Träne rann über ihr ebenmäßiges Gesicht.


Ich verstehe,was du ausdrücken willst, aber hier gibt es noch viel zu tun:
Warum machst du einen Absatz lang ein Geheimnis daraus, dass das Mädchen Taiga heißt? Ich war mir beim ersten Durchlesen nicht einmal sicher, ob Taiga das gefesselte Mädchen sein soll. Gib ihr gleich einen Namen.
Wenn du aus ihrem Blickwinkel schreibst, dann weiß sie alles was du schreibst und Sätze wie "Das wusste sie." sind unnötige Füller.
"Doch obwohl..." am Beginn eines Satzes, "Laut der Klage" statt stöhnen oder weinen sind beides holprige Konstruktionen.
"Ihr ebenmäßiges Gesicht" ist so eine Beschreibung von außen, die unpassend ist, wenn das Taigas Blickwinkel sein soll. Sie selbst denkt wohl kaum über die Symmetrie ihres Gesichts nach, wenn sie kurz davor ist getötet zu werden!

Außerdem stellt sich die Frage, warum sie nicht weint? Will sie Mut zeigen? Hat sie ihr Schicksal akzeptiert? Will sie sich für ihr Dorf opfern? Ihre Pflicht erfüllen? Will sie es einfacher für ihre Familie machen?
Das wäre eine tolle Gelegenheit, mehr über Taiga zu erfahren.

Zitat:
Um sie herum, jedoch einige Meter entfernt von ihr, standen alle Dorfbewohner.

Jedoch-Konstruktion weg. Schreib doch lieber wo sie ist: Auf einer Plattform, oder einem kleinen Hügel oder mitten am Dorfplatz.

Zitat:
Jedes Jahr verlangte das Untier eine Jungfrau. Ein Kind. Jung und unverdorben, frei vom Leid der Welt. Es durfte keine Angst kennen, keinen Schmerz. Aus diesem Grund waren auch die Kinder, die jünger waren als sie, bei der Opferzeremonie nicht anwesend.
Sie sollten rein bleiben.
Taiga aber hatte von dem Brauch gewusst. Sie hatte, neugierig, wie sie immer gewesen war, des Nachts heimlich in den Büchern ihres Vaters gelesen. Und in dem Buch der Opfer ihrer Familie hatte ihr Name gestanden.

Dieser Absatz wäre, finde ich, ein super Anfang für diese Stelle.

Zitat:
Sie hatte sich gefürchtet. Doch gehasst hatte sie weder ihre Eltern noch ihre jüngere Schwester Toluca, die auch anwesend war.

Moment, ich dachte die jüngeren Kinder sind nicht anwesend? Und "anwesend sein" ist Beamtendeutsch, würde ich in Fantasy eher vermeiden.
Schreib zB dass Taiga ihre Schwester in der Menge sieht.

Zitat:
Eine ihrer Töchter würde einst das reinweiße Kleid tragen, das sie nun trug und ebenso den Kranz aus Rosen auf dem Haar tragen, wie Taiga jetzt.

Kleinigkeit: Weil du im Präteritum schreibst, klingt "jetzt" komisch. Vielleicht besser: So wie Taiga in dieser Nacht.

Zitat:
Sie hatte gewusst, was geschah und doch hatte sie kein Wort darüber verloren.

Nocheinmal: Sie findet heraus, dass sie getötet werden soll, aber sie flieht nicht, sagt nichts, versucht nicht irgendetwas daran zu ändern. Warum?

Zitat:
Und nun wartete sie, genau wie alle Anderen.

Hier und an einer späteren Stelle schreibst du "alle anderen" falsch groß.
Und nun wartete sie, genau wie alle Aanderen.
Dieses Mädchen aber war anders als alle Aanderen.

Zitat:
Das Brüllen schallte weit über die Ebene, lauter noch als das Geheul der Wölfe, die Taiga so sehr liebte. Die Dorfbewohner wichen noch weiter zurück, denn sie wussten, was nun geschehen würde. Taiga sah ein letztes Mal zu ihrer Familie. Ihre kleine, geliebte Schwester weinte bittere Tränen, ihre Eltern aber hatten den Blick abgewandt.

Wenn das Taigas Blickwinkel ist, dann weiß sie nicht, was die Dorfbewohner wissen.
Und sie sieht nicht das letzte mal zu ihrer Familie! Sie sieht ja gleich wie der Drache mit ihrem Vater und ihrer Schwester spricht.

Zitat:
Der Drache wendete, kam immer näher und landete schließlich direkt vor dem jungen Mädchen, das seinen Blick nicht von ihm nehmen konnte.

"Wendete" schreibt man, wenn jemand ein Fahrzeug oder Reittier lenkt. Also müsste es hier "Der Drache wandte sich" heißen oder besser "drehte um".

Zitat:
Zitternd und voller Furcht, gar in Todesangst, trat das Oberhaupt des Dorfes vor das riesige Wesen und ließ sich auf die Knie fallen.

"Gar in Todesangst" bitte streichen. Und nocheinmal, Taiga würde nur das Zittern sehen.

Zitat:
»Schweig still, sterblicher Narr!«

Sterblicher Narr ist etwas zu viel. Genauso wie das Gewürm später.
Außer natürlich der Drache "verstellt" sich vor den Dorfbewohnern? Und spielt den bösen bösen Drachen? Dann würde er vielleicht in so einer übertriebenen Bösewichtsprache sprechen.

Zitat:
Dann wandte sich das riesige Wesen Tolucas Vater zu.

Eher Taigas Vater schreiben, oder?

Zitat:
Tolucas Vater rettete sein Kind auf seine schützenden Arme. Ihre Mutter eilte zu ihnen. Und dann verschwanden die Dorfbewohner nach und nach.

Hier sieht sie ihre Eltern das letzte mal.

Zitat:
Der Drache ging voran, während das Mädchen seinen Hort bestaunte. Er beobachtete sie einen langen Moment dabei. Jedes Mädchen, das er bisher hierher gebracht hatte, hatte in seiner panischen Angst vor ihm die Schönheit völlig übersehen. Sie alle hatten gezittert und geweint, ihn teilweise um sein Leben angefleht.
Dieses Mädchen aber war anders als alle Anderen. Zumindest schien es so. Er wollte sie prüfen. Vielleicht war sie endlich die Mühe wert.

Wieder eine Stelle, die ich streichen würde, wenn das Taigas Geschichte sein soll.

Zitat:
Sie atmete tief durch. Ein Zeichen der Angst. Das Einzige, das sie bisher offen gezeigt hatte.

Äh nein tiefe Atemzüge sind normalerweise Zeichen von Entspanntheit.
Meinst du: Sie musste tief durchatmen bevor sie ein Wort herausbringen konnte.

lg Eimerian
[/quote]
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Tenny
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Alter: 34
Beiträge: 3



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Beitrag17.08.2012 19:40

von Tenny
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo an alle!

Erstmal ganz, ganz lieben Dank für eure Resonanzen. Besonders an MosesBob. Ich habe bei einer Kritik an meinem Geschreibsel selten so gelacht. *grinst*
Ich setze mich die Tage an die Szene und überarbeite sie in den Punkten, in denen ich mit euch übereinstimme - und das sind die meisten.
Das wird zwar ein wenig dauern, aber ich freue mich schon, euch die neue Version vorstellen zu dürfen.
Ganz lieben Dank nochmal!

Tenny
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Tenny
Geschlecht:weiblichErklärbär
T

Alter: 34
Beiträge: 3



T
Beitrag01.12.2012 23:28
Die Überarbeitung
von Tenny
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Nach schier endlosen Monaten bin ich endlich dazu gekommen, es zu überarbeiten!
Einige Vorschläge habe ich mir zu Herzen genommen, andere aus später im Buch befindlichen Gründen nicht wink
Nun bin ich mal gespannt!





Akt I
Unschuld


Mächtiger Leviathan!
Wie die Nacht, so schwarz die Schwingen.
Verloren tief im dunklen Wahn,
sollst du mich zum Sterben zwingen.

Sieh' nur, Drache! Sieh' mich Kind!
Das mit Mut dir widersteht!
Ich bin dir nicht bös' gesinnt,
hast du doch die Furcht verweht.

Schwarzer Drache, sieh' mich an!
Bin nicht blind, seh' deine Pein.
Lässt niemanden an dich heran …
Was kann nur dein Geheimnis sein?


Kapitel I
Vom Schicksal geführt

Taiga starb.
Das wusste sie. Und sie hatte Angst. Gefesselt an einen Pfahl, der in der Mitte eines Podestes, das allein für diesen Tag gebaut worden war. Bemalt mit kryptischen Symbolen, die das junge Mädchen nicht zu entziffern vermochte und die sich doch in ihr Gedächtnis einbrannten. Denn sie verrieten auch ohne ihre Bedeutung zu kennen, was nun geschehen würde und was das junge Mädchen schon seit langer Zeit wusste.
Sie wurde geopfert.
Voller Furcht blickte sie auf die Männer, die in langen, rituellen Gewandungen vor dem Podest standen und sie ansahen, auch, wenn bemalte Masken ihre Gesichter verbargen. Taiga wusste, dass ihr Vater unter ihnen war, doch sie erkannte ihn nicht.
Sie alle waren still. Denn sie warteten auf das Ungeheuer.
Und es kam.
Für eine Sekunde verdunkelte sich die Sonne, als der massige Leib des riesigen Wesens über sie hinweg flog.
Der Flugwind peitschte über die weite Ebene, auf der das Ritual stattfand. Und das Brüllen des Ungetüms erklang tausendmal mächtiger als der Donner des schlimmsten Gewitters.
Taiga schloss die Augen …

Es war eine stürmische Nacht, die über die kleine Stadt hinwegfegte. Die Geister des Windes, des Wassers und des Donners schienen sich zu bekriegen, denn es regnete so sehr, dass die Straßen teilweise überflutet wurden, die Blitze durschnitten die Nacht wie ein Schwert die Kehle seines Opfers und der Wind peitschte mit einer unbändigen Kraft über das Land hinweg.
Doch dieses Unwetter war nichts gegen das Martyrium, das Taiga in dieser Nacht durchlebte. Sie kämpfte ihren ganz eigenen Kampf, denn ihr Verstand verweigerte ihr den Dienst.
Sie saß im Arbeitszimmer ihres Vaters, wie fast jede Nacht. Immer schlich sie sich hinein, um die vielen Bücher zu lesen, die er besaß, um mehr Wissen anzuhäufen, das ihr in der kleinen Schule, die sie jeden Tag besuchte, nicht zu Teil wurde.
Aber das Buch, das gerade auf ihrem Schoß lag und dessen Seiten vom Schein der kleinen Öllampe erhellt wurden, hätte sie am liebsten niemals aufgeschlagen.
Es hatte so verheißungsvoll begonnen. Eine Geschichte über die Wächter ihrer Welt. Eine Geschichte über die Wesen, die beinahe so sehr verehrt wurden wie das Schicksal selbst.
Doch je weiter sie gelesen hatte, desto bleicher war das hübsche Gesicht geworden.
Die Unsterblichkeit der Wächter hatte ihren Preis.
Sie brauchten Leben, um zu überleben.
Das Leben junger Mädchen.
Jedes Jahr an der Frühlingstagundnachtgleiche wurde dem Drachen eine Jungfrau geopfert.
Und auf der letzten, beschriebenen Seite des Buches, wo alle Opfergaben, alle Mädchen genannt wurden, hatte ihr Name gestanden.
Taiga.


Sie hatte es gewusst. Seit einem halben Jahr hatte sie gewusst, dass sie das nächste Opfer war. Doch sie hatte kein Wort über dieses Wissen verloren, denn die verlaufene Tinte hatte ihr die Tränen ihres Vaters, dem Schriftgelehrten, verraten.
Nicht einmal am Morgen dieses Tages, an dem ihr Vater sie dem Hohepriester übergeben hatte. Sie hatte kein Wort gesprochen, hatte sich stillschweigend das weiße Opferkleid mit der roten Schärpe, die ihre Unschuld bekundete anziehen lassen. Sie hatte nicht gefragt, als man ihr Rosen in das lange, schwarze Haar geflochten hatte. Sie hatte sich nicht gewehrt, als man sie aus der kleinen Stadt fortgebracht und an den Pfahl gefesselt hatte, an dem sie nun stand.
Erneut verdunkelte sich die Sonne für einen Moment, als der Drache zurückkehrte und zur Landung ansetzte. Sofort wichen die Männer zurück. Taigas Blick aber war auf das Wesen gerichtet, das sie töten sollte.
Der Boden erbebte, als der massige Leib aufkam und die dunklen Krallen sich tief in die Erde gruben. Die riesigen Schwingen tauchten den gesamten Platz in Schatten, der lange Hals reckte sich und erzitterte, als der Drache erneut das Brüllen aus seiner Kehle befreite. Der ohrenbetäubende Lärm aber schmerzte in Taigas Ohren nicht.
Der Ruf des Drachen hatte etwas unfassbar Kraftvolles in sich, das ihr durch Mark und Bein ging. Und doch blieb die Furcht im Herzen des jungen Mädchens, als sie zu ihm hinaufsah und das riesige Wesen den Blick erwiderte. Und sein Antlitz war furchtbar zu schauen.
Qualm stieg aus den Nüstern und dem Maul des schwarzen Drachens, riesige, vergilbte Zahnreihen waren zu sehen und über das linke, milchweiße Auge zog sich eine Narbe quer über die Kopfhälfte.
Das rechte Auge aber war in die Farbe des Bernsteins getaucht. Und der Ausdruck, der darin lag, ließ Taiga für einen Moment ihre lähmende Angst vergessen.
Schmerz, Verzweiflung und Trauer lagen darin, doch so sehr ihr Verstand auch suchte, sie fand nichts, was aggressiv oder wild wirkte.
Doch als der Wind sich legte und ihr der beißende Gestank von Schwefel in die Nase stieg, begann ihr Magen zu rebellieren und riss sie wieder in die Realität zurück.
Sie würde sterben.
»Mächtiger Drache, erhaben über alle anderen Wesen dieser Welt!«, begann eine der Gestalten zu sprechen und Taiga erkannte die Stimme des Hohepriesters wieder. »Heute ist die Frühlingstagundnachtgleiche. Die Natur erwacht zu neuem Leben und auch dein Leben soll ewig währen, wie das Schicksal es bestimmt hat! Nimm' unser Opfer an und gewähre uns weiterhin deinen unüberwindbaren Schutz! Ein Mädchen, rein und unverdorben, die Tochter einer liebenden Mutter, soll …«
»Schweig' still, Sterblicher!«
Die Stimme des Drachen war tief und rau, doch ebenso mächtig wie sein Ruf, den er angestimmt hatte. Erneut erschauerte Taigas gesamter Körper und die Angst kam zurück.
»Warum lügst du mich an?«, fragte der schwarze Leviathan dunkel und beugte seinen langen Hals zum Hohepriester herunter.
»I-ich … ich … verstehe nicht …«, stotterte der Kleriker und seine Stimme überschlug sich vor Furcht. Der Drache zog seinen massigen Schädel zurück.
»Rein mag sie sein, doch unverdorben ist sie nicht! Sie weiß um ihr Schicksal und sie fürchtet es mehr als mich selbst!«, donnerte das riesige Wesen. Eine Stille, die der einer Gruft gleichkam, trat ein und Taigas Herz blieb für einen Moment stehen. Seitdem sie von dem Ritus des Opfers gewusst hatte, hatte sie jedes Buch über Drachen gelesen, das sie hatte finden können. Ihnen wurden die unglaublichsten Fähigkeiten zugeschrieben - unter anderem auch die des Gedankenlesens.
Eine der Gestalten, die dem Ritus beiwohnten, wandte seinen Kopf zu Taiga. Und da wusste sie, dass es ihr Vater war, denn die anderen blieben wie gelähmt hinter dem Hohepriester stehen und rührten sich keinen Millimeter.
»M-Mächtiger Leviathan …«, begann der Kleriker. »Ich … ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht … das schwöre ich bei … bei allem, was mir heilig ist …!«
»Ach, tust du das?«, fragte der schwarze Drache schon beinahe spöttelnd. »Und was ist dir heilig, Pfaffe? Etwa dein Weib, das du getötet hast, weil es dir eine geisteskranke Tochter gebar, die du ins Waisenhaus gabst?«
Erneut trat eiskaltes Schweigen ein, nur unterbrochen vom zornigen Schnauben des riesigen Leviathans. Der Hohepriester zitterte, während alle Augen auf ihn gerichtet waren.
»Ist es nicht die heiligste Pflicht, das Schicksal anzunehmen? Es zu ehren und seine Prüfungen zu bestehen?«, wollte der Drache wissen. »Mein Schutz für eure Stadt und euer Land ist verwirkt. Und jetzt geht! Ich werde mich der Jungfrau allein annehmen!«
Für einen Moment rührte sich keiner der Anwesenden. Trotz der Masken konnte Taiga die fassungslosen Blicke erahnen, die dem Hohepriester zu Teil wurden - ihr eigener gehörte auch dazu.
»Ich sagte: Geht!«, donnerte der Drache und so eilig es ihre langen Gewänder erlaubten, verschwanden die Männer. Der Schweif des schwarzen Wesens peitschte und er streckte seine Flügel, sich zu seiner vollen Größe aufbauend. Dieses Mal brüllte er nicht; er fauchte. Und nun sah Taiga zweifelsohne Zorn und Wut in seinem gesunden Auge und ihre Angst erreichte ihren Höhepunkt. Sie schrie auf und presste sich an den Pfahl, ihr ganzer Körper spannte sich an und zitterte wie Espenlaub. Als der Drache sich ihr zuwandte, kniff sie die Augen zusammen.
Es war soweit.
Noch einige Male schnaubte er zornerfüllt. Dann wurde es wieder still. Sie konnte hören, wie er sich bewegte. Seine Schuppen rieben aneinander und sein Atem war deutlich zu hören. Und sie spürte und roch ihn auch, denn der Drache kam ihr näher. Wieder rebellierte ihr Magen gegen den scheußlichen Schwefelgestank.
Doch ihre Gedanken gehörten nicht ihm und nicht der Furcht vor ihrem Tod.
Sie gehörten ihrer kleinen Schwester.
»Toluca …«
Irgendetwas geschah mit ihr, doch sie spürte keinen Schmerz. Der Boden verschwand unter ihren Füßen, aber sie fiel nicht. Es fühlte sich an, als würde sie schweben. Der Wind verebbte und es wurde warm um sie herum. Ihre Fesseln verschwanden und ihre nackten Füße kamen auf einem harten, warmen Untergrund auf, ganz sanft und langsam.
»Sieh' mich an.«
Der Drache hatte gesprochen. Sie war nicht tot. Noch nicht. Ihr wild schlagendes Herz beruhigte sich nicht, sie atmete noch immer, nur war die Luft jetzt schwül und erfüllt von fremden, undefinierbaren Gerüchen.
Nur langsam öffnete sie ihre blauen Augen. Und sie begannen zu leuchten, ob der Farben, die sie schauten.
Wie auch immer sie an diesen Ort gekommen war, niemals zuvor hatte sie etwas Prachtvolleres gesehen.
Sie waren in einer Höhle, ja vielmehr einem ausgehöhlten Berg. Und überall an den dunklen Felswänden waren Edelsteine zu finden, durch die Licht in allen Farben und Facetten schien. Es wirkte, als seien an diesem Ort das Morgenrot, die Abenddämmerung, der Mondschein und die Polarlichter versammelt. Und sie alle schienen auf ihn.
Den schwarzen Drachen, dessen dunkle Schuppen all dieses Licht verschlangen.
Er sah zu ihr herunter. Und sein Blick war wieder frei von Zorn und Wut, jedoch brannte in dem jungen Mädchen noch immer die Angst.
»Sag' mir, warum du hier bist.«
Da war sie wieder. Diese tiefe, sonore Stimme, die Taiga durch den gesamten Körper fuhr. Sie hörte diese Stimme nicht nur. Sie fühlte die Worte.
»Ich soll Euch, mächtiger Drache, als Speise dienen, um Eure Lebenskraft zu erneuern«, antwortete sie leise.
Das riesige Wesen blickte sie einen langen Moment an und sie erwiderte das Augenspiel. Sie wusste, was geschah. Sie hatte sich lang genug darauf vorbereiten können.
Es war ihr Schicksal. Und sie nahm es an.
»Du stehst vor dem Wesen, das dich töten soll aufrecht und stolz, trotz deiner Furcht. Eine wahrhaft königliche Haltung für ein zwölfjähriges Menschenkind«, sprach der Drache ruhig, seinen Blick nicht von ihr nehmend.
»Es würde nichts ändern, würde ich mich offen fürchten. Keine meiner Vorgängerinnen kehrte je zurück, also ist es zwecklos, zu flehen, was sie zweifelsohne taten, denn Euer Erscheinungsbild ist wahrlich furchteinflößend, schwarzer Leviathan«, antwortete Taiga, wobei sie ihren ganzen Mut zusammennahm, um eben dies nicht zu tun. Sie atmete tief durch. Es war ihr Schicksal. Ein ehrenvolles Schicksal. Ihr Leben würde einem Wächter ihrer Welt zu neuer Lebenskraft verhelfen.
»Komm' her zu mir«, verlangte der Drache.
Und das Mädchen gehorchte. Langsam, in dem Bewusstsein, ihre letzten Schritte zu tun, ging sie auf den Drachen zu. Der Stein unter ihren nackten Füßen war so glatt wie Glas, so schwarz wie Obsidian und so warm wie die Umarmung eines lieben Menschen.
Mit jedem Schritt, den sie tat, zog ihr kurzes, aber schönes Leben an ihrem geistigen Auge vorbei. Sie sah ihre Eltern, ihre Schwester, ihre Freunde. Sie erinnerte sich an all die schönen Sommertage und Winterabende. An jede kleine Freude, sogar an jeden Schmetterling …
Der Drache hatte sich niedergelegt und sein Opfer tat den letzten Schritt. Nun trennte sie nur noch eine knappe Armeslänge voneinander.
»Vergiss' deine Angst, Taiga. Das, wovor du dich fürchtest, wird nicht geschehen.«
Sie blinzelte, während sie ihren Ohren nicht mehr traute. Dieser Satz … ihr Verstand verweigerte seine Bedeutung. Sie war bereit gewesen. Bereit, zu gehen und ihr junges Leben hinzugeben, zu schenken!
»Wieso …?«, fragte sie leise.
Der Drache brummte. Das Geräusch erinnerte entfernt an ein Seufzen. Und Taiga war der Meinung, Mitleid daraus hören zu können.
»Noch ist die Zeit nicht reif für die Antwort auf diese Frage. Auch nicht auf die anderen Fragen, die sich dir nun mit Sicherheit stellen.«
Er sah sie an, ohne zu blinzeln. Es war ein Blick, dem wohl kein sterbliches Wesen widerstehen konnte. Das junge Mädchen verlor sich völlig in dem bernsteinfarbenen Auge des Drachen, denn es zeigte ihr Spiegelbild nicht, zeigte nicht die Wirklichkeit. Sie verlor sich in diesem goldenen Meer, das schöner war als alles, was auf der Welt existierte.
Sie sprachen nicht mehr. Der Drache lag einfach da und sah sie an, während sie den Blick erwiderte und immer tiefer darin versank, bis sie irgendwann völlig vergaß, wo sie war. Das schwarze Gestein verschwamm, die Edelsteine glühten wie Sterne am nächtlichen Firmament. Obwohl sie in einer Welt voller Magie lebte, erschien Taiga dieser Moment märchenhaft, erfüllt von einem Zauber, den sie nicht kannte.
Irgendwann spürte sie, wie ihr Arm sich langsam hob und ihre Hand sich nach ihm ausstreckte.
Und sie berührte seine schwarzen Schuppen.
Diese Sekunde erschien ihr wie eine Ewigkeit. Etwas durchfloss ihren Körper, etwas warmes, wundersames, das sie nicht beschreiben konnte. Eine Kraft von unmessbarer Stärke.
Und dann kam ihr ein Wort in den Sinn. Nur eines, doch es durchschnitt diesen Rausch wie ein Blitz die dunkle Nacht.
Sie wusste seinen Namen.
»Sarkirion …«



Anmerkung: Ist natürlich nicht das ganze Kapitel, sondern nur die erste Szene. Die, die den Leser fesseln soll.
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nothingisreal
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Beitrag02.12.2012 19:22

von nothingisreal
Antworten mit Zitat

Hallo Tenny.

Erstmal vorweg: Eine sehr schöne Geschichte.
Ich gehe zuerst auf die erste Version ein:

Ich will lediglich eine Sache an deiner Geschichte kritisieren, die mir in gewisser Weise missfallen hat. Die vorhersehbare Wendung... Vielleicht liegts an meinen eigenen Stil, durch den ich gerne den Leser verwirre, ihn erst eines glauben lasse, um ihn dann eines besseren zu belehren. Vielleicht lag es auch an deinen Stil.  Doch was es auch war, für mich war es ab an einem Moment so offensichtlich, dass ich von dir am Höhepunkt, kurz vor der Wendung des Geschehens, mehr erwartet hatte.

Ich hätte die Schnauze des Untiers beschrieben, seinen Atem, wohin seine Augen sahen... Was machte das Mädchen in diesen Moment, welche Gedanken hatte sie und und und... Ich hab es gern detailliert, was an diesen so wichtigen Moment, in meinen Augen, es nicht war.

Um einiges besser war die zweite Version, was diese Stelle betraf.

Sehr schön fand ich in der ersten Version die ersten beiden Satz. "Sie war tot. Das wusste sie." Das baut sofort Spannung auf. Das ist klasse. Nun gut, wenn du mit einen Namen beginnst, ist es auch nicht schlecht. Aber das verleiht der Figur sofort einen Charakter und gibt, finde ich, den Leser bereits zu viele Informationen für den ersten Satz.

Schade finde ich, dass du den Dorfbewohnern Geschichte es Mädchens offenbarst, das ist meiner Ansicht nach ein Vorblick.

Hoffe auf das endgültige Resultat, vielleicht sehe ich es ja in der Buchhandlung. Bin, wenn auch nicht ein sonderlich begeisterter, so doch ein Fan von Fantasy-Geschichten smile
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Venia
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V
Beitrag19.12.2012 15:18

von Venia
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hi,

ich finde deinen Anfang sehr spannend, aber bitte suche einen anderen Namen für die Hauptperson aus. Ich muss bei "Taiga" immer an "Tundra und Taiga" denken...  und es kommt irgendwie komisch, wenn plötzlich eine Landschaft handelt. Vielleicht benennst du die Hauptperson einfach um, oder du versuchst eine andere Schreibweise z.b. Tayka oder so etwas in der Art.

"Aus diesem Grund waren auch die Kinder, die jünger waren als sie, bei der Opferzeremonie nicht anwesend."

passt nicht zu:

"Taiga sah ein letztes Mal zu ihrer Familie. Ihre kleine, geliebte Schwester weinte bittere Tränen, ihre Eltern aber hatten den Blick abgewandt."

Warum darf die kleine Schwester dabei sein, wo doch die jüngeren Kinder alle nicht dabei sind?



-> Trotzdem spannend geschrieben! Weiter so!
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Gast







Beitrag19.12.2012 16:47

von Gast
Antworten mit Zitat

Ich möchte hier nur einen einzigen Satz herausgreifen und kritisch befragen:

"…keine Träne rann über ihr ebenmäßiges Gesicht."


Wenn ich eine solche Formulierung lese, springe ich ab. Deine Story beginnt mit einer sehr grenzgängerischen, spektakulären, fantastischen Setzung: dem Wissen um den eigenen Tod, ein seit Edgar A. Poe beliebter, häufig verwendeter, doch noch immer recht origineller Topos des Fantastik-Genres.

Alles dreht sich sodann darum, uns Lesern das Unwahrscheinliche dieser Setzung plausibel zu machen (nicht unbedingt physikalisch als vielmehr psychologisch). Das heißt: Wie fühlt sich eine(r), der/die tot ist und davon "weiß"? Spannende Sache. Was ist das für ein Bewusstsein, das sich da äußert, spielt Angst überhaupt noch eine Rolle, usw.? Vieles ist hier denkbar und möglich.

Nur eben kein "ebenmäßiges Gesicht". Das nämlich spielt angesichts des Todes ÜBERHAUPT keine Rolle. Wozu wird es dann überhaupt erwähnt? Damit wir wissen, dass es sich um hübsche Tote handelt? Damit wir uns besser mit ihr identifizieren können? Für mich als Leserin sind solche Hinweise eigentlich nur ärgerlich, störend, unpassend und reißen mich heraus, weil ich das Gemachte und Gewollte dahinter sehe, d.h. die Autorin, die sich ein möglichst attraktives Alter Ego zurechtschreibt (sorry, das ist ein wenig polemisch, aber manchmal muss man die Dinge etwas spitzer auf den Punkt bringen…).

Mein Rat: Überlege Dir bei jedem Adjektiv genau, WAS Du damit sagen willst.
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