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Zeitgeist, 1934 - Prolog


 
 
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Albatros
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Alter: 38
Beiträge: 13



A
Beitrag20.03.2012 00:58
Zeitgeist, 1934 - Prolog
von Albatros
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi!

Ich möchte euch allen gerne den Prolog meines dreibändigen Romanes vorstellen, den ich vor zwei Jahren begann, ein Jahr entwickelte und ein Jahr Zeile für Zeile mit freundlicher Unterstützung durchknetete. Noch ist er natürlich alles, nur nicht fertig. Ich bin aber jetzt an einem Punkt angelangt, an dem ich selbst fast nichts mehr entdecken kann und spüre, dass ich auf Hilfe angewiesen bin.



Der Titel jedes der Bände ist schlicht "Zeitgeist", ergänzt um das Jahr und den Ort der Handlung. Für den ersten Band wäre das die Britische Hauptstadt London im Jahre 1934 einer Welt, die unserer nur auf den ersten Blick zu gleichen scheint.

Ein bisschen Vorgeschichte könnte dem besseren Verständnis dienen; wer will, kann natürlich auch gleich in den Prolog einsteigen.

Was hat es mit Zeitgeist auf sich?

Seit Jahren arbeiten wir - eine Gruppe von mittlerweile über einem Dutzend Menschen zwischen 18 und 57 Jahren - an einem Projekt mit Namen "Zeitgeist" ( www.facebook.com/zeitgeist1934 ). Ursprünglich sollte es um das Erzählen einer überschaubaren virtuellen Geschichte gehen, die in die 30er Jahre einer alternativen Zeitlinie montiert wurde; mich haben die architektonischen Kontraste dieser Zeit, Jugendstil, Gründerzeit, Barock und Renaissance mit oder gegen Bauhaus, Sichtbeton und Rationalismus auf alten Fotos fasziniert.

Sogar nach heutigem Empfinden noch supermoderne, hellerleuchtete Hochhäuser mit Neonreklamen inmitten von Altstadtkernen aus Fachwerk- und Bürgerhäusern waren ein visueller Leckerbissen für mich als (3D-) Gestalter von Videospielwelten. Umso spannender machte diesen Ansatz der Gedanke, eine von Abenteuer- und Mysteryelementen geprägte "Was-wäre-wenn"-Story im Stile von "The Eagle has landed" oder "Fatherland" in eine solche Umwelt hinein zu montieren.

Die extrem kreative Ära von Zeppelinen, Stromlinienform, Meitner, Bohr, Hahn, Metropolis und Bauhaus sowie vielen anderen künstlerischen und gesellschaftlichen Utopien fand in unserer Geschichte ja bekanntermaßen ein jähes und schreckliches Ende in einer Verwüstung, von der sie sich nie erholt hat. Ich war der Meinung, dass sie dieses Schicksal nicht verdient hat, und wollte wenigstens etwas gegen diese Verdrängung unternehmen. Deshalb veränderte ich den Lauf der Geschichte ein bisschen und nahm diese 'anderen' 30er als Schaubühne für meine bislang erste und einzige niedergeschriebene Geschichte.


Herausgekommen ist eine dreibändige Romanserie. Sie handelt von dem  deutschen Journalisten Richard Czerny, der in einem von fünfzehn Kriegsjahren verwüsteten Europa zum wichtigsten Zeugen eines grausamen Anschlags wird. Bald darauf wird er zum unschuldig Verfolgten, der von der Polizei und den tatsächlichen Urhebern des Attentats gnadenlos verfolgt wird. Der Versuch, sein Leben zu retten, zwingt Czerny auf eine Schnitzeljagd nach Hinweisen auf die Herkunft der Verschwörer. Sie führt ihn quer durch Europa, aus dem kriegszerstörten London in die Provence, nach Prag und Venedig, bis sich die Mosaikstückchen, die er findet, zu einem schier unglaublichen Bild zusammenfügen...

Den Prolog selbst setze ich der Lesbarkeit halber in den Folgebeitrag. Ihr tut euch und euren Augen sicher einen Gefallen, wenn ihr die "ebook"-Taste oben rechts verwendet.

Viele Grüße und danke im Voraus,

Til

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Albatros
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A

Alter: 38
Beiträge: 13



A
Beitrag20.03.2012 00:59

von Albatros
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Zeitgeist – London
Prolog

Der Palazzo lag mitten in Venedig, unweit der Rialtobrücke, welche die beiden Viertel San Marco und San Polo miteinander verband. Seine bleiche Fassade war über die Jahrhunderte zerfallen; immer wieder lösten sich Fladen aus Putz, sanken auf den Grund der Kanäle, die ihn an drei Seiten umflossen. Und der Palazzo sah so aus, als stünde er schon seit Jahrtausenden an dieser Stelle: eine schmutzigweiße Festung, die auf Eichenbohlen in der venezianischen Bucht ruhte, weil sie sich eines Tages dazu entschlossen hatte, hier die Ewigkeit zu überdauern. Die Butzenglasfenster waren blind vor Dreck, und die bleiernen Wasserspeier auf dem Dach längst von Efeu überzogen, das sich an den Wänden zum Himmel rankte bis es auch noch die Dachrinnen und die Verzierungen am Giebel verschluckte. Trotzdem war die Pracht vergangener Tage noch zu erahnen. Besonders dann, wenn das Spiegelbild des rechteckigen Baus im Abendrot auf dem Wasser glänzte, ließ sich seine einstige Wirkung erahnen. Manch ein Betrachter mochte dann sogar glauben, dass nicht etwa der Palazzo an einer Stelle Venedigs errichtet, sondern die Lagunenstadt um ihn herum gewachsen war: Haus für Haus, Gasse für Gasse, wie ein Rosenstock, der sich von der Wurzel bis zur Blüte um einen Grabstein wand. In seinem Inneren herrschte die gleiche triste Düsternis, kroch mit dem Einbruch der Dunkelheit durch Flure und Korridore und machte auch vor dem großen Saal nicht halt. Dort tupfte sie die Leere zwischen orientalischen Wandteppichen, Ebenholztäfelung und Gewölbe in ein rußiges Schwarz, und nur dort, wo Kerzen aus Talg mit ihren orangenen Flammen helle Inseln bildeten, traute sie sich nicht hin. Wasser bedeckte den Boden, und Schimmel und Stockflecken krochen über samtbezogene Sessel, Kredenzen, Sekretäre und windschiefe Kirschholztischchen, deren Verzierungen aus Blattgold in feinen Flocken vom verrottenden Holz herabhingen. Der Widerschein der Kerzen lag leblos im Wasser, gab ihm die Textur von glänzendem heißem Öl in einem Siedebottich. Die einzige Tür zum Salon öffnete sich. Sie machte einem Windhauch Platz, der die Flammen erzittern ließ. Ein Paar Stiefel watete durch das Wasser. Bleiche Hände, in denen die Furchen der unzähligen Lebensjahre ein Spiel aus Bergen und Tälern geschaffen hatten, griffen nach einem Papierbogen, so hauchdünn, dass sogar das wenige Licht genügte, die Schemen der Finger in ihm abzuzeichnen. Sie kritzelten mit einer Schreibfeder Worte in weit geschwungener Schrift darauf, von sorgsam gesetzten Punkten, Kreuzen, Bögen, Rhomben und allerlei anderen Symbolen unterbrochen. Als die kurze Botschaft vollendet war, ließen die Finger die Tinte in der Wärme einer der Kerzen trocknen. Dann watete die Gestalt auf dem Weg zurück, auf dem sie gekommen war, schloss die Tür mit einem Knarren, und die Spiegelbilder der Flammen erzitterten ein letztes Mal.

Doch wer entzündete die Kerzen, die Nacht für Nacht brannten, wer wohnte hier, allein von sich und vor der Welt versteckt? Niemand wusste es. Reiche Menschen, die mit dem Gedanken gespielt hatten, den Bau zu erwerben, wurden von Verfall und Verwahrlosung abgeschreckt. Kinder und ihre Eltern wurden von den Mahnungen der Großeltern ferngehalten, die sich noch daran erinnerten, in ihrer Kindheit Geschichten gehört zu haben. Geschichten darüber, dass das Böse an diesem verfluchten Ort stark sei, und dass jeder, der sich hineinwagte, seine Seele leichtfertig dem Teufel hinwarf. Für einige war das nichts als einfältiges Geschwätz, das nur aus den Mündern von Greisen stammen konnte, die zu viel Zeit und zu wenig Beschäftigung hatten. Sie wagten sich an die Mauern des Palazzos heran, bekamen es dann aber doch mit der Angst zu tun, kehrten um und verloren nie wieder ein Wort über das, was sie gesehen hatten. Andere, die weniger Mut und Tatkraft, dafür aber mehr Geld und Verstand besaßen, hatten es über die Aufzeichnungen der Stadt versucht. Als die venezianische Republik im Chaos unterging, waren die entsprechenden Seiten der Grundbücher aber verloren gegangen und nie wieder gefunden worden. So war der triste Bau den Bewohnern schon lange unheimlich geworden, als ein Ereignis zur Zeit des dreißigjährigen Krieges den Argwohn der Menschen in die Furcht verwandelte, die bis zum heutigen Tage anhielt.

Man hatte eine grandiose Prozession geplant, um die Heirat des Marchese von Montferrat zu feiern. Fassaden und Fenster wurden gereinigt und geschmückt, neue Farbe aufgetragen und sogar die Eichenbohlen der Anlegestellen des Canale Grande von Muscheln, Tang und Dreck befreit. Einzig der verfallene Palazzo stach aus dem farbenprächtigen Bild heraus, trübte den Blick hin zur elfenbeinfarbenen Rialtobrücke wie eine schwarz angelaufene Stelle den Glanz einer Silbermünze. Die Bürger und mit ihnen die Signoria, der kleine Rat der Stadt, störten sich an dem Schandfleck, der ihnen Angst machte und Fremde, vielleicht gar den Marchese abschreckte, die aus seinem Anblick schlossen, die Stadt verrotte und verfiele nicht nur in den Hinterhöfen sondern mitten in ihrem Herzen. Briefe der Verwaltung blieben ebenso unbeantwortet wie das zögerliche Klopfen von Stadtbeamten an den festverschlossenen Türen und Fenstern. So kam der Rat der venezianischen Bürger zusammen. Der Meister der Steinmetze forderte, die Warze aus dem edlen Antlitz zu entfernen, der Baurat verlangte, man müsse die Kanäle erweitern, und der Kommandeur der Wache sorgte sich, dass der verfallene Bau so kurz vor der Hochzeit sicherlich Kriminelle und Gesindel aller Art anzöge. Schließlich begab der Rat sich in den Dogenpalast, um den Dogen aufzufordern, den Palazzo mit Stumpf und Stiel aus dem Angesicht der Stadt zu reißen, doch ohne Erfolg: er schlug ihnen die Bitte ab.
Doch stand ihm ins Gesicht geschrieben, wie unangenehm ihm dabei zumute war. Alle Steuern für Grund und Besitz, erklärte er den erzürnten Räten, waren eines Tages samt und sonders beglichen worden; auf sechs Jahrhunderte im Voraus, eine Unsumme von Gold- und Silbermünzen aus aller Herren Länder, die in Säcken und Kisten ins Amt geschafft worden waren. Als Gegenleistung verlangte der Bewohner für sein Geschlecht nur das Recht, für alle Zeiten an dieser Stelle wohnen zu dürfen, ungestört und von allen Pflichten entbunden. Man hatte eingewilligt. Mit diesem Geld hatte die Stadt einen beträchtlichen Teil des Markusplatzes, den Dogenpalast und sogar das Fundament der Rialtobrücke mit ihren herrlichen Bögen erbauen können, und so wurde aus dem Palazzo ein rauer Kirschkern, den die Stadt an diesem unglückseligen Tag verschluckt hatte, der ihr später im Magen stach und den sie nie mehr loswurde. Alles, was der Doge dem Rat der Stadt nach langer Debatte zugestand, war es, dafür zu sorgen, dass die Adern durchtrennt wurden, die die Stadt mit dem düsteren Bauwerk verbanden.

In der folgenden Nacht wagten sich drei Maurer mit Mörtel und Backsteinen zum Fundament, auf dessen Eichenpfählen der Fußweg ruhte, der zum Eingangsportal führte. Und als die Sonne wieder aufging, trennte eine mannshohe Mauer den Fußweg in zwei Teile, schnitt den Palazzo und seinen Bewohner vom Rest der Lagunenstadt ab. In den Tagen darauf blieb das Gebäude in der Nacht dunkel. Ein einziges Mal beobachtete man die Gestalt dabei, wie sie den Palazzo verlassen und sich die Mauer betrachtet hatte; dann wurde auch sie nicht mehr gesehen. Lange Zeit lag das Haus einfach nur still im Wasser, und die Bürger der Stadt atmeten auf. Der Hausherr musste eines Nachts ein Boot angehalten und die Stadt für alle Zeit verlassen haben, mutmaßten sie, und es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis Maurer und Zimmerleute den Palazzo abreißen und den Schutt im Meer vor der Bucht versenken konnten, rechtzeitig, um die prachtvolle Hochzeit des Marchese stattfinden zu lassen. Dann verschwand der älteste Sohn des Dogen. Der Aufschrei ging durch die ganze Stadt, doch die Suche nach dem Jungen blieb erfolglos. Bald darauf trieb die Gondel des Meisters der Steinmetze herrenlos im Wasser; von ihrem Lenker und der Ehefrau des Meisters fehlte jede Spur. Das Haus des Baurats stand da bereits in Flammen, und der Kommandeur der Wache, der sich den Brand am einen Tag noch angesehen hatte, erschien am nächsten nicht mehr zum Dienst. Der Marchese, durch die Ereignisse aufgeschreckt, beschloss, die Hochzeit und die Prozession in Bologna und nicht in Venedig stattfinden zu lassen; eine letzte Nacht wollte er noch unter dem Dach des Dogenpalastes verbringen, bevor er sich mit seiner Gefolgschaft aufs Festland zurück begäbe. Und als die Diener des Dogen am folgenden Tage den Marchese und seine zukünftige Braut zum Aufbruch wecken wollten, fanden sie die Wachen mit durchschnittenen Kehlen, die Gemächer leer und die Fenster sperrangelweit geöffnet vor. Die Vermissten wurden erst Wochen später gefunden, eingemauert in einer verfallenen Kapelle auf der Friedhofsinsel. Ihr Geruch hatte einen Priester dorthin geführt und auf ihr grausames Schicksal aufmerksam gemacht.

Bald darauf brannten wieder die Kerzen hinter den Fenstern des düsteren Hauses. Der Bewohner wurde nicht mehr gesehen, dafür legte nun desnächtens ein Boot an der Stirnseite des Palazzos an, und die Kisten, Säcke, Fässer und Flaschen wurden durch den ursprünglichen Eingang hinein gereicht, einen kleinen Rundbogen an seiner westlichen Außenmauer. Furcht wurde zu Trauer und Trauer zu Wut, und Wut und Zorn ergriffen jeden Bürger der Stadt, vom Arbeiter in den Werften bis zum Adeligen, zum Senat und den Räten der Signoria. Die Bürger, Wachen des Marchese und Angehörige des Adels stürmten mit Fackeln, Lanzen und Musketen zum Dogenpalast, um mit seiner Einwilligung den Palazzo endlich und für alle Zeiten niederzubrennen. Der Doge war ein gebrochener Mann, aber sein Wort galt. Er verbot es den Venezianern unter Strafe ihres Lebens, sich dem Bau jemals wieder auf weniger als einen Fuß zu nähern. Stattdessen sollten sie im Dom Kerzen entzünden und Gebete an den Himmel schicken. Bald darauf starb auch der Doge, vor der Zeit schlohweiß geworden, ohne dass der Tod seines Sohnes, des Marchese und der Räte gesühnt wurde. Und so blieb der Bau unangetastet, während die Jahrhunderte über ihn hinweggingen, sein Geheimnis ungelüftet bis zum heutigen Tage. Weder das Ende der venezianischen Republik, noch die Erorberung Venedigs durch Napoleon oder die Herrschaft der Habsburger beeinflussten den Lauf der Dinge um den Palazzo, die brennenden Kerzen in der Nacht und die glühende Sonne über den Ziegeln des Daches an heißen Sommertagen. Noch immer steuerte in den Abendstunden ein Boot zum Eingang des alten Palazzos, und seine Ladung wurde in das düstere Gemäuer gereicht. Längst tuckerten Boote, angetrieben von Verbrennungsmotoren, über die Kanäle, spannten sich einzelne Telefonkabel zwischen den Giebeln, elektrisches Licht ersetzte die Laternen, und in den Wohnzimmern mancher Häuser spielten Radiogeräte das Programm, das jeden Tag für ein paar Stunden gesendet wurde.
Und dann nahm von hier aus alles seinen Lauf.

Der Mittag hatte der Lagunenstadt noch einmal hochsommerliche Temperaturen gebracht, aber an der Kühle der Nachtluft ließ sich erahnen, dass der Herbst bereits vor den Toren wartete. Weit oben auf dem Dach des Palazzos, dort, wo die Schornsteine Rauchwolken in den schwarzblauen Himmel schickten, erklang der Mechanismus eines Schlosses. Das metallene Fenster in einem der Erkertürme öffnete sich, und aus ihm hinaus glitt eine weiße Taube in den Nachthimmel, trug in dem Ringlein, das an ihrem Fuß baumelte, einen zusammengerollten Zettel. Sie stieg flatternd auf und gewann schnell an Höhe, erklomm Meter um Meter, und enggeschriebene Worte auf bleichem Seidenpapier wurden aus dem Palazzo in die Welt hinaus getragen. Wie schon so oft, seit Jahrhunderten, seit die ersten Händler und Kaufleute dem Beispiel des kühnen Mannes gefolgt waren, der den Mut besessen hatte, sein Haus nicht auf der Insel zu errichten, sondern auf Pfählen aus Holz, mitten im lehmigen Grund des Meeres. Sein großes, düsteres, von der Zeit vergessenes Haus mit den Türmen, den Wasserspeiern und Bleiglasfenstern, nicht weit von der Rialtobrücke in Venedig…
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Locard
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Beitrag20.03.2012 22:00

von Locard
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Hallo Albatros,

Respekt. Unheimlich gut geschrieben. Tolle Bilder und Metaphern. Sehr gute Wortwahl, sicher in Grammatik und Orthografie. Der Text weiß zu gefallen.

Zwar mag er sehr interessant sein, aber auch unfassbar langatmig. Der Text ist sehr verdichtet und dadurch nicht unbedingt locker herunter zu lesen. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine unmittelbare Handlung gibt, da es sich ja um die Wiedergabe der venezianischen Geschichte geht. Daher könnte man als Leser geneigt sein, den Prolog zu überblättern und direkt mit Kapitel eins ins Geschehen eintauchen.

Trotzdem: Chapeau!

Viele Grüße,
Locard


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"Komm, essen wir Opa!" - Pro Satzzeichen, denn sie retten Leben
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Johannhh
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Beitrag22.03.2012 11:34

von Johannhh
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Da es sich um einen dreibändigen Roman handelt, ist es schwer diesen anhand des Prologs zu bewerten, oder zu sagen, ob der Text vor einer Leserschaft standhält.

Mir hat der Prolog gefallen, da man iin jedem Satz merkt, wie sehr du um eine gute Sprache bemüht bist, aber eben das ist auch ein Problem, denn
zum Teil bleibt bei mir der Eindruck, dass dir die Mühe um Suche nach einer optimalen Formulierung wichtiger ist, als der Inhalt. An diesen Stellen wird mit der Autor zu sichtbar, und die Handlung verschwindet.

Klar ist auch, dass du dem Leser einiges zumutest, und wenn dieses Buch vielleicht erscheint. Wie Locard es bereits gesagt hat werden viele Leser diesen Prolog, wenn er so bleibt, überspringen, und dierekt das erste Kapitel und die Handlung suchen, denn im Prolog ist die Handlung, wie oben angedeutet, in der Sprache versteckt.

Mich würden ein Teil des Buches interessieren, in denen die Geschichte in Handlung aufgelöst ist, in dem man erfahren kan wie die handelnden Personen im Dialog agieren.

Beste Grüße,

Johann
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Albatros
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Beiträge: 13



A
Beitrag22.03.2012 23:25

von Albatros
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Hey,

nur als Zwischenmeldung: ich danke euch beiden sehr für eure Kommentare, die ich schon einige Male durchgelesen habe und die für mich definitiv von großem Nutzen sind.

Bevor ich konkret antworte, würde ich gerne noch einige weitere eventuelle Antworten abwarten. Vielleicht ersticke ich sonst den ein oder anderen wichtigen und unvoreingenommenen Eindruck.

Grüße und nochmals danke,

Til
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Albatros
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A

Alter: 38
Beiträge: 13



A
Beitrag25.03.2012 21:08

von Albatros
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So,

scheint als käme nichts mehr, was angesichts der Länge des Textes auch OK ist. Würde mich vermutlich auch abschrecken, ohne dass es zwingend Müll sein müsste : ), also hoffe ich einfach mal dass es an der Länge liegt.

@ Locard:

Danke für die Komplimente zur Schreibe. Ich hoffe, dass ich damit viele Schwierigkeiten wettmachen kann, besonders die von Dir angesprochenen:

Zitat:
Zwar mag er sehr interessant sein, aber auch unfassbar langatmig. Der Text ist sehr verdichtet und dadurch nicht unbedingt locker herunter zu lesen. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine unmittelbare Handlung gibt, da es sich ja um die Wiedergabe der venezianischen Geschichte geht. Daher könnte man als Leser geneigt sein, den Prolog zu überblättern und direkt mit Kapitel eins ins Geschehen eintauchen.


Interessanterweise hast Du ganz genau meine Bedenken aufgenommen und unabhängig von mir festgestellt. Der Prolog soll natürlich eine ganz spezielle, "Kummer gewohnte" Leserschaft ansprechen. Damit meine ich Leser, die bereit sind, sich auf eine umfangreiche Geschichte einzulassen.

Davon strikt zu trennen ist aber die Problematik eines Textes, auf den sich praktisch niemand einlassen kann, weil er zu verstockt, zu trocken und zu wenig unterhaltsam ist. Da konnte ich aus Deiner Beurteilung noch nicht herauslesen, welcher der beiden Gruppen Du den Text zuordnen würdest: für viele, aber nicht für jeden Leser geeignet, oder ungeeignet die meisten und nur für ganz wenige Menschen erträglich, da schlichtweg zu sperrig?

Selbst kann ich dazu natürlich fast nichts sagen. Ich stehe ja als Autor im Wald und sehe die Bäume nicht, deshalb wäre das echt wertvoller Input.

Johannhh:


Zitat:
Mir hat der Prolog gefallen, da man iin jedem Satz merkt, wie sehr du um eine gute Sprache bemüht bist, aber eben das ist auch ein Problem, denn
zum Teil bleibt bei mir der Eindruck, dass dir die Mühe um Suche nach einer optimalen Formulierung wichtiger ist, als der Inhalt. An diesen Stellen wird mit der Autor zu sichtbar, und die Handlung verschwindet.

Klar ist auch, dass du dem Leser einiges zumutest, und wenn dieses Buch vielleicht erscheint. Wie Locard es bereits gesagt hat werden viele Leser diesen Prolog, wenn er so bleibt, überspringen, und dierekt das erste Kapitel und die Handlung suchen, denn im Prolog ist die Handlung, wie oben angedeutet, in der Sprache versteckt.


Ich denke Du bist da ziemlich punktgenau auf einen wichtigen Aspekt gestoßen. Teile des Prologs ähneln eher einer Ausstellung als einer informativen Textpassage. Die Verwendung des mittelalterlichen Venedig und die ganze Bildersprache kommen nicht von ungefähr; tatsächlich tritt die Handlung hinter die Illustration zurück. Damit will ich nicht sagen, dass in diesem bildlich-situativen Rahmen ganz egal was passieren könnte, um die gleiche Wirkung zu entfalten. Natürlich ist der Inhalt wichtig, und ich mache etwas falsch, wenn der Inhalt gesucht werden muss und der Autor, also ich, sich in den Vordergrund drängt.

Es ist aber durchaus so, dass der Prolog nicht die Handlung anreissen, sondern eine Stimmung, einen Eindruck von der Atmosphäre transportieren soll. Ohne mich in irgendeiner Weise vergleichen zu wollen: beim Namen der Rose haben mich die nicht übersetzten Lateinpassagen, die Erwähnung von Personen, Büchern und Kunstwerken, die ich samt und sonders nicht kannte, und nicht der mir somit verschlüsselt gebliebene Inhalt in den Bann geschlagen. Kurz, obwohl mir vom Inhalt sicher ein großer Teil verborgen geblieben ist, habe ich die blumige, bildreiche Beschreibung oder auch nur den Klang der Worte genossen.

Es wäre wunderbar, wenn Du ungefähr wüsstest was ich samit sagen will und mir vielleicht noch eine Einschätzung dazu geben könntest.

Ferner stelle ich gleich das erste, sehr kurze Kapitel ein, gegen später - falls erwünscht - dann noch ein beispielhaftes Kapitel aus der Mitte des Buches, das Einblicke in Dialog und Interaktion gewährt.

Nochmals danke und viele Grüße,

Til
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Albatros
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A
Beitrag25.03.2012 21:39

von Albatros
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1.

Er holte tief Luft. Atmete aus, ein und wieder aus. Ein sicherer Gang ließ sich vortäuschen wenn er sich konzentrierte, wobei es ihm half, darauf zu achten, dass er jeden Fuß passgenau auf das Muster der Marmorkacheln setzte. Jeder Schritt trug ihn der Freiheit näher, der Freiheit eines Reichtums, dem er sein Leben lang hinterhergejagt war. Aber die Nervosität war ihm lästig, beinahe unerträglich. In dutzenden, es mochten sogar hunderte Gerichtsverhandlungen gewesen sein, hatte sie ihn geplagt, gepiesakt und gebissen, sobald die Aufmerksamkeit des Publikums auf ihm lag. Dann fühlte er sich beobachtet, von allen und jedem. Der meist mürrische Richter, der ihn öfter ermahnte als viele seiner Kollegen, und das grundlos; die wächsernen Geschworenen, die auf Fehler lauerten, feixten, wenn er sich versprach. Und in den Pausen – er war überzeugt davon – in den Pausen über seine dickliche, plumpe Figur lästerten, sein schütteres Haar, die schmalen Schultern und die Hasenscharte, die ein buschiger brauner Schnauzbart nur zum Teil vor den Blicken der Welt verstecken konnte.

Sicher, es war mit den Jahren besser geworden, denn der Mensch gewöhnte sich auch an die unangenehmsten Situationen. Am grundsätzlichen Problem hatte sich jedoch bis zum heutigen Tage nichts geändert: er fühlte sich unwohl, sobald er die wuchtige Türe seiner Kanzlei in der Fleet Street hinter sich abschloss, mied die Menschen, ob einzeln oder in Gruppen, und sie mieden ihn.
Archibald Lagosz sah in den Nebel, denn die Gläser seiner runden Brille beschlugen, als einzelne Schweißtropfen unter dem Rand seiner Melone hervorperlten. Er schwitzte und fror, hätte schwören können, niemals in seinem ganzen Leben einen größeren Nervenkitzel erlebt zu haben als in den vergangenen Minuten. Nun aber hatte er es so gut wie geschafft: die Aktentasche war an ihrem Platz, die Zünder scharf, die Kontakte blank und das Uhrwerk, ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, spulte Minute um Minute ab. Er hielt inne. Noch zwei Korridore, dann die geschwungene Freitreppe hinunter. Schließlich die Einlasskontrolle, durch die er das Lancaster Palace Hotel vor einer Viertelstunde betreten hatte.

Mit unsicheren Bewegungen suchte er ein Taschentuch in seiner rechten Anzugtasche, fand es in der linken und tupfte sich damit hastig die Stirn ab. Er lehnte auf einer Granitsäule; Sir Archibald wollte, musste etwas zur Ruhe kommen, bevor er zu seiner vorbereiteten Ausrede greifen und das Hotel durch ein Spalier von Wachmännern verlassen konnte, in seine Freiheit zurück. Das Klacken von Stiefelschritten drang an sein Ohr. Abrupt bogen zwei Militärpolizisten um die Ecke, Armbinden, Schusswaffen, keine Männer, zwei Eichenschränke in Uniform. Sie beäugten ihn, oder wenigstens meinte er es.
„Guten Morgen, Sir!“, grüßte ihn der ihm zugewandte Polizist.
„M… Morgen“, erwiderte Sir Archibald Lagosz, Notar und Rechtsanwalt, hob die Melone zum Gruß und setzte sich umgehend wieder in Bewegung, in die Richtung, aus der die Patrouille gerade gekommen war.
„Sir! Gehört das Ihnen?“
Eine Nadel schoss durch Archibald Lagosz.
War er beobachtet worden?
Hatte man ihn dabei gesehen, wie er die Aktentasche abstellte, hatte man sie womöglich geöffnet?

Dutzende Male hatte er diesen Moment durchgespielt, zuletzt in dem rostigen Taxi, das ihn später vor dem Haupteingang abgesetzt hatte. Etwas zu spät leider, weil der elektrische Anlasser gestreikt und der Fahrer den Motor mit der Kurbel hatte anwerfen müssen. Im goldenen Rahmen seiner Brille war ein Gewinde; schraubte er den rechten Bügel ab, so lag die giftige Klinge frei, ein Ritzer, und in Sekunden wäre alles vorbei. Jener Tod war der Alternative vorzuziehen. Abel wartete vor dem Haupteingang in den Schatten einer Seitengasse der Regent Street, beobachtete das Portal und erwartete Archibald Lagosz‘ Rückkehr. Wenn Lagosz abgeführt würde, bekäme Abel also Wind davon, und Stunden, vielleicht Tage später käme jemand, um ihn aus dem Gefängnis abzuholen. Ein bestochener Wächter, ein falscher Inspektor oder Arzt: alles war denkbar, denn der Einfluss des Venezianers kannte keine Grenzen. Ihn abzuholen, um herauszufinden, ob und was er der Polizei gestanden hatte, und selbst wenn er beteuerte, nichts verraten zu haben, so würde er doch das Tageslicht nie, nie wieder sehen.

Gewiss, dachte er, dann war der Gifttod vorzuziehen. Fast wie in Zeitlupe drehte Archibald Lagosz sich um, fixierte den Polizisten mit dem Blick und straffte seine Haltung. Der Beamte deutete auf das Taschentuch; Lagosz hatte es unachtsam auf der Säule abgelegt und dort vergessen.
„In der Tat. Danke!“, rief er vielleicht eine Spur zu heiter, wie er im nächsten Augenblick selbst bemerkte, doch der Militärpolizist nickte nur, tippte sich an die Mütze und setzte den Weg durch den Korridor neben seinem Kollegen fort. Von aller Angst befreit wie ein Vogel, der, aus dem Schlaf aufgeschreckt, der Katze auf dem Baum um Haaresbreite entkommen war, ging Archibald Lagosz nun weiter, bog mit festem, selbstbewusstem Schritt um die Ecke.
Nicht die Aktentasche, das Taschentuch. Mein Gott, das verdammte Taschentuch…

Er lief die Treppe hinunter, Stufe um Stufe klackerten die Absätze seiner schwarzen Mailänder Lackschuhe. Nahm die letzten zwei Stufen auf einmal, schritt eilig, aber ohne Hast, durch das repräsentative Foyer hindurch bis zur Einlasskontrolle, wo er seinen vorbereiteten Satz über die vergessenen Unterlagen aufsagte. Atmete ruhig und gleichmäßig, befreit von jeder Angst. Sogar ein kleiner, biederer Scherz über seine Schusseligkeit wollte ihm gelingen. Der Wachmann, der ihn nur der Vorschrift halber abtastete, lachte leise und wünschte ihm, rechtzeitig zum Konferenzbeginn wieder am Hotel einzutreffen. Lagosz‘ Blick traf sich mit dem eines anderen Wachmanns, dessen, der ihn zuvor mit der Bombe hatte passieren lassen. Wie eine Wachsfigur starrte ihn der Mann an, ließ nicht erkennen, ob er ihn nicht gesehen, nur zur Kenntnis genommen oder doch vom Scheitel bis zur Sohle gemustert hatte. Sir Archibald war dieser ausdruckslose Blick unheimlich; auch Abel, mit dem er sich gleich treffen würde, besaß ihn. Was immer die Männer des Venezianers zu ihren Taten trieb – im Gegensatz zu seinem eigenen Fall spielte Geld sicher nicht die entscheidende Rolle, nicht bei Abel, nicht bei dem Wachmann. Als Sir Archibald über die belebte Regent Street lief, die Melone unter den rechten Arm geklemmt und das lichte Haar vom stürmischen Wind zerzaust, zog er seine kleine, silberne Taschenuhr heraus. Er kniff die Augen zusammen.
Sieben Minuten.

Sieben Minuten, bis die Hölle auf Erden losbräche, bis die Konferenz des Friedens und mit ihr auch alle guten Absichten sich in einem Feuersturm erledigten. Noch nie war Archibald Lagosz der Freiheit, seiner Freiheit, so nahe gewesen.

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Johannhh
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J
Beitrag26.03.2012 20:55

von Johannhh
Antworten mit Zitat

Nabend,

Voab, ich finde es gut, wie du schreibst und beschreibst, und gerade eine futuristische Welt mit einer Art Deco-Kulisse hat seinen Reiz, substantielles bleibt, das ist ein bisschen so wie in Terry Gilliams Kinoklassiker Brazil, oder der alten Verfilmung vom Wüstenplaneten.

"Im Namen der Rose" ist bekannt, für mich wurden die von dir angesprochenen Passagen, und auch zum Beispiel die sprachlich eindrucksvolle Schilderung des Kirchenportals, nicht von der Sprache selbst, sondern von dem geschichtlichen Hintergrund getragen, bei jeder Zeile die man "Im Namen der Rose" liesst, "sieht" man im Vordergrund die Handlung und die Personen, und gleichzeitig im Hintergrund das mittelalterliche Klosterleben, die faszinierenden Figuren, die Inquisition, an fühlt sich praktisch bereits hineinversetzt. Umberto Eco hat es da natürlich auch "leichter", weil dem geneigten Leser all das bekannt ist, er braucht die Fantasie nur anzustossen, und schon bauen sich diese Bilder vor dem geistigen Auge auf.

In einen Roman, der in einer für dem Leser unbekannten Zeitlinie spielt ist das, denke ich, schwieriger, ich glaube, dass man in einem solchen Projekt erst die Kulisse "aufbauen" muss, um dann die Handlung vor diesem Hintergrund stattfinden lassen muss. Unglaublich gut gelingt das meiner Meinung Dan Simmons in einem der, wie ich finde, besten Science-Fiction Romane "Die Hyperion-Gesänge".

Ich weiss nicht, ob dein Prolog so gut gewählt ist, eben weil er das nicht kann, er spielt (wenn ich es richtig verstanden habe) in einer dem Leser bekannten Vergangenheit, die Zeitlinien teilen sich ja erst später.

Der zweite von Dir gepostete Textausschnitt ist schon spannend, aber zwischendurch lässt du dir immer wieder Zeit, du verlierst Tempo, z.B. durch eingebaute Nebensätze:

Zitat:

Nun aber hatte er es so gut wie geschafft: die Aktentasche war an ihrem Platz, die Zünder scharf, die Kontakte blank und das Uhrwerk, ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, spulte Minute um Minute ab.


Der Nebensatz wirft mich aus dem Satz, die Information ist mbmn nicht wichtig genug, um den Verlust an Tempo zu rechtfertigen.






Dann unterbrichst du Szenen, in denen Handlung geschieht durch lange Beschreibungen:





Zitat:
„Guten Morgen, Sir!“, grüßte ihn der ihm zugewandte Polizist.
„M… Morgen“, erwiderte Sir Archibald Lagosz, Notar und Rechtsanwalt, hob die Melone zum Gruß und setzte sich umgehend wieder in Bewegung, in die Richtung, aus der die Patrouille gerade gekommen war.
„Sir! Gehört das Ihnen?“
Eine Nadel schoss durch Archibald Lagosz.
War er beobachtet worden?
Hatte man ihn dabei gesehen, wie er die Aktentasche abstellte, hatte man sie womöglich geöffnet?

Dutzende Male hatte er diesen Moment durchgespielt, zuletzt in dem rostigen Taxi, das ihn später vor dem Haupteingang abgesetzt hatte. Etwas zu spät leider, weil der elektrische Anlasser gestreikt und der Fahrer den Motor mit der Kurbel hatte anwerfen müssen. Im goldenen Rahmen seiner Brille war ein Gewinde; schraubte er den rechten Bügel ab, so lag die giftige Klinge frei, ein Ritzer, und in Sekunden wäre alles vorbei. Jener Tod war der Alternative vorzuziehen. Abel wartete vor dem Haupteingang in den Schatten einer Seitengasse der Regent Street, beobachtete das Portal und erwartete Archibald Lagosz‘ Rückkehr. Wenn Lagosz abgeführt würde, bekäme Abel also Wind davon, und Stunden, vielleicht Tage später käme jemand, um ihn aus dem Gefängnis abzuholen. Ein bestochener Wächter, ein falscher Inspektor oder Arzt: alles war denkbar, denn der Einfluss des Venezianers kannte keine Grenzen. Ihn abzuholen, um herauszufinden, ob und was er der Polizei gestanden hatte, und selbst wenn er beteuerte, nichts verraten zu haben, so würde er doch das Tageslicht nie, nie wieder sehen.

Gewiss, dachte er, dann war der Gifttod vorzuziehen. Fast wie in Zeitlupe drehte Archibald Lagosz sich um, fixierte den Polizisten mit dem Blick und straffte seine Haltung. Der Beamte deutete auf das Taschentuch; Lagosz hatte es unachtsam auf der Säule abgelegt und dort vergessen.

„In der Tat. Danke!“, rief er vielleicht eine Spur zu heiter, wie er im nächsten Augenblick selbst bemerkte, doch der Militärpolizist nickte nur, tippte sich an die Mütze und setzte den Weg durch den Korridor neben seinem Kollegen fort.


Passagen mit reiner Information sind immer schwierig, und gerade in einer aktionsgeladenen Szene nimmt das beim Lesen die Spannung, ich mein du schilderst hier die Flucht eines Attentäters, und verlangst vom Leser erstmal eine Kaffeepause... tu das nicht, ich persönlich glaube, dass dich da jeder Lektor drauf hinweisen wird.

Dann ist mir noch eine Szene am Anfang aufgefallen:

Zitat:

In dutzenden, es mochten sogar hunderte Gerichtsverhandlungen gewesen sein, hatte sie ihn geplagt, gepiesakt und gebissen ehrlich? mir hätte hier geplagt gereicht, sobald die Aufmerksamkeit des Publikums auf ihm lag. Dann fühlte er sich beobachtet, von allen und jedem. Der meist mürrische Richter, der ihn öfter ermahnte als viele seiner Kollegen, und das grundlos; die wächsernen Geschworenen, die auf Fehler lauerten, feixten, wenn er sich versprach. Und in den Pausen – er war überzeugt davon – in den Pausen über seine dickliche, plumpe Figur lästerten, sein schütteres Haar, die schmalen Schultern und die Hasenscharte, die ein buschiger brauner Schnauzbart nur zum Teil vor den Blicken der Welt verstecken konnte.

Sicher, es war mit den Jahren besser geworden, denn der Mensch gewöhnte sich auch an die unangenehmsten Situationen. Am grundsätzlichen Problem hatte sich jedoch bis zum heutigen Tage nichts geändert: er fühlte sich unwohl, sobald er die wuchtige Türe seiner Kanzlei in der Fleet Street hinter sich abschloss, mied die Menschen, ob einzeln oder in Gruppen, und sie mieden ihn.


Du hältst dich meiner Meinung nach auch hier zu lange bei dem Protagonisten auf, die Information wiederholt sich, rechtfertigt den tempoverlust nicht.

So weit so gut, verstehe mich nicht falsch, mir gefällt die Art wie du schreibst und das Thema, aber auch wenn ich den Text gerne gelesen habe, haben mich die angesprochenen Punkte aus dem Text hinausbefördert.

Beste Grüße,

Johann
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