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Memotone Schneckenpost
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Beiträge: 6
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M 21.03.2012 18:11 Blind. Eine Kurzgeschichte von Memotone
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Lorine war die Liebe meines Lebens. Zum ersten Mal habe ich sie im Wartezimmer meiner Praxis gesehen. Ich war total übermüdet und arbeitete nur noch auf den Feierabend zu, als sie auf so unverschämt gewöhnliche Weise in mein Leben trat. Sie hatte sich eine Erkältung eingefangen und brauchte ein Attest. Natürlich verschrieb ich es ihr und notierte sicherheitshalber noch meine Nummer auf die Rückseite. Ich war auf der Stelle in sie verliebt. Ich konnte nichts machen, alles in mir zog sich zu ihr hin.
Als sie sich am nächsten Tag meldete war, ich so aufgeregt, dass ich fast kein Wort herausbrachte. Schließlich schaffte ich es doch noch und wir verabredeten uns zum Essen in einem kleinen traditionellen Restaurant in der Innenstadt. Ich fühlte mich, als sei ich mit 28 Jahren noch einmal geboren worden. Lorine lachte oft, sie war ein so lebensfroher Mensch. Ich konnte mir nicht vorstellen, was ich ohne sie machen würde. Wir verabredeten uns jetzt öfter, trafen uns zuerst zum Essen oder im Park. Danach gingen wir immer zu mir, nie zu ihr. Sie meinte, sie wäre einfach viel lieber bei mir.
Lorine war Schriftstellerin und las deshalb viel. Manchmal, wenn wir im Park saßen legte ich meinen Kopf auf ihren Bauch und sie begann mir aus Büchern vorzulesen. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich sie kennengelernt hatte, hatte ich mir aus Büchern nicht viel gemacht. Sie existierten und genügend Leute lasen sie auch, sodass die ganzen Schriftsteller ihr Gehalt bekamen. Mit der Zeit änderte sich meine Einstellung und ich erwischte mich dabei, wie ich mir irgendwann einen Mitgliedsausweis in der Bibliothek machte. Einmal saßen wir bei mir auf dem Ledersofa. Vor uns stand die zweite Flasche Wein und wir unterhielten uns über Hesse’s Steppenwolf. Sie war begeistert davon und versuchte mich gerade davon zu überzeugen, dass Hesse etwas absolut Großartiges sei. Ich sagte ich fände es total langweilig. Eigentlich hatte nur die Hälfte nicht verstanden, wollte das aber nicht zugeben. Sie musterte mich und versuchte meine Gedanken zu lesen. Ich schaute ihr fest in die Augen und ließ mich von ihrem bohrenden Blick nicht verunsichern. Schließlich gab sie auf und nahm einen Schluck aus ihrem Glas. Als sie mich wieder anschaute, hatte ich sie noch immer fixiert und schaute ihr tief in die Augen. Ich sagte ihr, dass ich sie liebe. Sie sagte mir sie liebe mich auch und ihr lief eine Träne über die Wange. Irgendwann zog sie bei mir ein. Wir kochten regelmäßig und während ich arbeitete ging sie öfter in ihr „Refugium“, wie sie es nannte. Sie meinte, sie könne nur dort schreiben und wolle nicht, dass sie von jemandem gestört würde. Sehr gerne hätte ich sie einmal begleitet, aber Lorine blieb stur und beharrte darauf, dass ihr das ganz allein gehörte. Das kränkte mich zwar, ich ließ es aber trotzdem irgendwann fallen. Ich liebte sie so sehr und wollte, dass sie glücklich war. Wenn sie Abstand brauchte, dann sollte sie ihn haben. Ungefähr dreimal die Woche blieb sie auch über Nacht weg und ich sah sie erst am nächsten Abend wieder.
Mittlerweile waren wir schon seit fünfzehn Jahren zusammen und ich liebte Lorine noch immer wie am ersten Tag. Jetzt lag sie tot vor mir. Ihr Kopf lag auf dem Küchentisch, daneben ein halbvolles Glas Wasser und zwei leere Plastikpackungen Schlaftabletten. Ich war gerade von der Arbeit gekommen und spürte, wie mein Herz auseinanderbrach. Schlaff schlug die eine Hälfte weiter, die andere vertrocknete und starb langsam ab. In meinem Kopf war ein Airbag geplatzt, der alles mit leerem Weiß ausfüllte. Wie in Trance lief ich zum Tisch und nahm ihr Handy aus ihrer Handtasche um irgendjemanden anzurufen. Ich wusste zwar nicht wen, aber irgendjemanden musste ich anrufen. Den Notarzt vielleicht. Als ich die Tastensperre ausschaltete blinkte auf dem Display der Anrufbeantworter. Ich wartete bis ich verbunden war und hörte die Nachricht ab. „Es tut mir Leid Schatz. Ich finde, wir sollten nochmal über alles sprechen. Ich will nicht, dass Ben und Julia ohne Mutter aufwachsen. Treffen wir uns heute Abend?“
Weitere Werke von Memotone:
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4292
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21.03.2012 19:19
von hobbes
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Hallo Neue(r) ,
tja. Ganz ordentlich. Schöner Titel, in dem Zusammenhang.
Ein verrückt Verliebter, eine Schriftstellerin, und Hesse kommt auch vor.
Die Pointe ist natürlich nicht sonderlich überraschend. Das trübt das Bild. Da müsste der Rest schon was besonderes sein, die Figuren oder sonstwas aus der Masse herausstechen. Tun sie nicht.
Schade.
Fällt dadurch leider in die Kategorie: "Gelesen. Na ja, ganz nett. (Schon) wieder vergessen."
_________________ Don't play what's there, play what's not there.
Miles Davis |
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Memotone Schneckenpost
M
Beiträge: 6
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4292
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21.03.2012 20:57
von hobbes
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Huch, so einsichtig?
(Und warum bin ich eigentlich immer so überrascht, wenn das passiert?)
Das "ganz ordentlich" bezog sich auf die Umsetzung. Soll heißen, das "wie" finde ich gut gemacht, es ist eher der Inhalt, der nun ja, mich nicht vom Hocker reißt.
Wobei, wo ist da eigentlich die Abgrenzung ...
Mal anders.
Ich kam nur einmal ins Stolpern. Nämlich hier:
Zitat: | Mit der Zeit änderte sich meine Einstellung und ich erwischte mich dabei, wie ich mir irgendwann einen Mitgliedsausweis in der Bibliothek machte. |
Er macht sich selbst einen Mitgliedsausweis? Das hört sich seltsam an. Wenn überhaupt, lässt er sich einen machen, aber das fände ich auch nicht sonderlich schön. Vielleicht erwischt er sich eher dabei, wie er einen Stapel Bücher aus der Bibliothek nach Hause trägt?
Ok, da war doch noch was:
Zitat: | Sie war begeistert davon und versuchte mich gerade davon zu überzeugen, dass Hesse etwas absolut Großartiges sei. Ich sagte ich fände es total langweilig. |
Hesse ist kein etwas. Der zweite Satz macht die Verwirrung komplett. Da springt man innerer Korrektor an und sagt "es müsste ihn heißen". Den muss ich dann erstmal beruhigen und darauf hinweisen, dass vermutlich das Buch gemeint ist und nicht Hesse selbst.
Aber das ist eigentlich völlig nebensächlich, denn selbst wenn Du das verbessern würdest, würde es auch nichts helfen. Es wäre immer noch eine eher fade Geschichte mit eher faden Figuren. Sorry.
Was macht Lorine so besonders? Was macht ihn so besonders? Warum verlieben sie sich, was macht ihre Liebe besonders, ...
Sowas zum Beispiel:
Zitat: | Ich fühlte mich, als sei ich mit 28 Jahren noch einmal geboren worden. Lorine lachte oft, sie war ein so lebensfroher Mensch. |
Das ist irgendwie so tot und leer und nichtssagend. Oder zumindest wie tausendmal gelesen.
Nein, stimmt so auch nicht. An manchen Stellen schaffst du es, dass ich kurz interessiert bin. Aber dann kommt wieder allgemeines Blabla und mein Interesse erlahmt wieder.
Mal als Beispiel:
Zitat: | Manchmal, wenn wir im Park saßen legte ich meinen Kopf auf ihren Bauch und sie begann mir aus Büchern vorzulesen. das gefällt mir Bis zu dem Zeitpunkt, als ich sie kennengelernt hatte, hatte ich mir aus Büchern nicht viel gemacht. Sie existierten und genügend Leute lasen sie auch, sodass die ganzen Schriftsteller ihr Gehalt bekamen. Mit der Zeit änderte sich meine Einstellung und ich erwischte mich dabei, wie ich mir irgendwann einen Mitgliedsausweis in der Bibliothek machte. Das ist zwar ganz witzig, aber die Geschichte bringt es nicht weiter. Unnötige Info. Einmal saßen wir bei mir auf dem Ledersofa. Vor uns stand die zweite Flasche Wein und wir unterhielten uns über Hesse’s Steppenwolf. Hier auch. Ledersofa, Wein - wozu? Es geht doch eigentlich um die beiden und ihr unterschiedliches Verhältnis zu Büchern. Sie war begeistert davon und versuchte mich gerade davon zu überzeugen, dass Hesse etwas absolut Großartiges sei. Allgemeines Blabla. Was begeistert sie daran? Wie (mit welchen Argumenten) will sie ihn überzeugen? |
Zitat: | Sollte der Text lieber in die Schreibwerkstatt? |
Für die Frage bin ich vielleicht der falsche Ansprechpartner. Außerdem haben andere das schon besser beschrieben: Prosa oder Werkstatt?
Was das Feedback angeht, mache ich da keine Unterschiede (andere schon).
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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21.03.2012 23:17
von firstoffertio
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Ich sehe/lese nichts von den 15 Jahren dazwischen.
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Jacaranda Eselsohr
Alter: 42 Beiträge: 245 Wohnort: Kölner Dunstkreis
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22.03.2012 00:22
von Jacaranda
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Das ist mir auch aufgefallen. Ich habe erst nicht verstanden, warum sie sich das Leben nimmt... und die Gruende in der fehlenden Vergangenheitsinfo gesucht, anstatt den Wink mit ihrem Handy zu kapieren... kannst du da noch ein paar weitere dezente Hinweise einarbeiten? Vielleicht ein oder zwei Ereignisse aus diesem Zeitraum. Kann aber auch sein, dass ich heute einfach zu tumb bin.
lg chris
_________________ Theobrominstatus auf kritisches Niveau gefallen. Dringend Schokolade einfüllen! |
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Memotone Schneckenpost
M
Beiträge: 6
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Maestro Eselsohr
Alter: 67 Beiträge: 338
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22.03.2012 15:30
von Maestro
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Hallo Memotone,
Das Fazit vorab: Mir persönlich gefällt deine KG nicht.
Gründe: Anfangs geht es im Eiltempo durch die Ereignisse. Ist mir zu einfach. Er schreibt seine Tel.-Nr. auf, sie ruft wirklich an und, und,und.
Hier hätte ich mir ein wenig mehr gewünscht, wie überhaupt deine gesamte Geschichte etwas ausführlicher sein könnte.
Einige deiner "Bilder" sind sehr unpassend. Ein 28jähriger wird sich wohl kaum wie neu geboren fühlen. "alles in mir zog sich zu ihr hin"?
Der Rest ist eigentlich vorhersehbar. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass ein solches Verhältnis 15 Jahre dauern kann, ohne das einer der Männer etwas unternimmt.
Dass Lorine verheiratet ist, ist wie gesagt vorhersehbar, warum sie sich das Leben nahm, ist dagegen vollkommen unverständlich. Schließlich hast du sie eingangs noch als lebensfrohen Menschen beschrieben.
Man müsste um es glaubhafter zu machen, nach der Entdeckung, die Reaktion beider Männer, und den daraus für Lorine folgenden Konflikt beschreiben. Allerdings würde dies wiederum den Rahmen einer Kurzgeschichte sprengen. Von daher ist der Plot sehr ungünstig gewählt.
Tut mir Leid
Grüße
Maestro
_________________ Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell |
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Memotone Schneckenpost
M
Beiträge: 6
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observer Gänsefüßchen
Alter: 71 Beiträge: 46 Wohnort: Münster/Westf.
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23.03.2012 01:01
von observer
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Hallo,
also ich kann der Sache so nicht viel abgewinnen. Nach einer länglichen Phase, die durch Gespräche über Hesse nicht wirklich gewinnt, und einer Frau gewidmet ist, deren Vorzüge sich nicht spontan erschliessen, folgt ein abrupter Schluss, der ohne jeden Übergang oder Vorgeschichte eher Rätsel hinterläßt.
Sorry...Observer
_________________ Gruß Observer |
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