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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Die Farbe Rot


 
 
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Elias B.
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Alter: 27
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Beitrag06.01.2012 16:53
Die Farbe Rot
von Elias B.
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Es ist einer dieser regnerischen Tage in London, wie sie klischeehafter nicht sein könnten. Ich sitze in meinem Appartement in Cartwright Gardens und beobachte die Regentropfen, die am Fenster hinab rinnen. Sie schlängeln sich auf ihren undurchschaubaren Wegen in Richtung Fenstersims, wo sie kurz am unteren Ende verweilen, um dann auf die Strasse unter mir zu tropfen. Ich blicke ihnen nach. Die Strasse quillt trotz - oder vielleicht gerade wegen -  des Regens fast über vor Autos. Alle haben es eilig, alle müssen irgendwohin, keiner hat genug Zeit; die Fussgänger drängen und schubsen. Das Wasser der Pfützen wird aufgewirbelt, als ein Windstoss durch die Strasse fegt. Ein Mann hechtet in ein wartendes Taxi, seinen Aktenkoffer schützend über dem Kopf gehalten, in dem sinnlosen Versuch, nicht nass zu werden. Eine Frau zieht ein weinendes, sich wehrendes Kind am Arm mit sich mit, während neben ihr ein junger Mann vor dem Regen in einen Hauseingang flüchtet. Das Taxi des Mannes mit dem Aktenkoffer fährt los und durchnässt die Frau und das Kind, als es durch eine Pfütze fährt. Und ich sitze hier oben und beobachte alles. Die vielen grauen Regenschirme unter mir drehen sich wie farblose Karusselle und vermischen sich zu einer einzigen grauen Masse; die verschiedenen Individuen werden eins, bilden ein einzelnes Wesen, bestehend aus Rücksichtslosigkeit und Eile. Die meisten Bestandteile dieses Wesens bewegen sich, als nähmen sie die anderen Leute gar nicht war. Und überall ist nur grau. Alles ist düster und grau. Der Himmel, die Gebäude und eben auch die Leute. Ich wende mich von dem geschäftigen Treiben ab, nehme meinen Mantel - ebenfalls grau -  vom Haken und verlasse die Wohnung. Auf der Strasse spannen ich meinen Regenschirm auf; er ist gelb. Er wirkt wie ein Versuch - für ein einziges Mal nur - der Tristheit meines Lebens zu trotzen. Aber es ist schlussendlich nur ein Schirm. Ich mache mich auf den Weg zu einem Café in der Nähe. Nach ein paar Blocks habe ich es erreicht. Ich setze mich und bestelle einen Espresso bei dem jungen Kellner mit dem gelangweilten Gesicht. Seit ich in dieser Stadt bin, habe ich ihn nie mit einem anderen Gesichtsausdruck gesehen. Der Espresso kommt und ich nehme einen kleinen Schluck. Ich stelle wieder einmal fest, dass man in England wohl keinen Kaffee trinken sollte. Ich nehme noch einen Schluck, denn ich brauche ihn, um mich wach zu halten. Genauso, wie ich den Alkohol brauche, um abends einzuschlafen. Denn sonst quälen mich die Gedanken, dass ich mein Leben verpfuscht habe, die ganze Nacht durch. Ich und Schriftsteller, niemals. Meine Träume sind zerflossen, wie der Regen, der am Bordstein entlang rinnt. Ich kippe den Rest des ungeniessbaren Gebräus hinunter, lege das Geld und ein wenig Trinkgeld, das der Kellner gar nicht verdient, auf den Tisch und will mich schon erheben. Doch in dem Moment sehe ich sie. Diese Frau sticht sofort aus der Menge heraus. Sie trägt einen roten Mantel und grüne Schuhe. Ihr Haar ist schwarz, schwärzer noch als die Gewitterwolken am Himmel über London. Ihre Lippen scheinen perfekt, als hätte ein Bildhauer stundenlang daran gearbeitet, nur damit sie ohne Makel sind. Irgendetwas an der Frau fasziniert mich und ich setze mich wieder hin. Ich beobachte sie eine Weile. Als sie ihren Tee ausgetrunken hat zahlt sie und geht. In dem Moment, in dem sie sich erhebt, wirkt ihr im Wind wallender Mantel so, als würden hundert rote Wellen über ihn hinübergleiten. Doch was ist das? Aus ihrer Tasche ist ein zusammengefalteter Zettel gefallen. Ich gehe zu ihrem Tisch hinüber und hebe ihn schnell auf, bevor der Regen ihn gänzlich durchnässt. Als ich wieder aufschaue, ist die Frau verschwunden. Wo ist sie hin? Da, an der Ecke. Ein roter Mantel. Schnell laufe ich hinter ihr her, den Zettel immer noch in der Hand. Ich rufe. "Ma'am, Sie haben etwas vergessen." Aber da ist sie schon wieder in der Menschenmenge verschwunden. Ich renne in die Richtung, in der ich sie vermute. Kurz glaube ich, sie verloren zu haben. Doch plötzlich sehe ich ein paar grüne Schuhe. Als ich die Frau mit den Schuhen erreicht habe, sehe ich, dass sie einen schwarzen Mantel trägt. Enttäuscht will ich schon wieder gehen, doch da erhasche ich einen Blick auf einen roten Mantel. Als ich das Gesicht der Mantelträgerin sehe, weiss ich, dass sie es ist. Sie steht am Ufer der Themse und blickt ins Wasser. Ich rufe wieder, aber sie scheint mich nicht zu hören, oder weiss nicht, dass sie gemeint ist. Ich gehe auf sie zu, aber kurz bevor ich sie erreiche, dreht sie sich um und ihr Gesicht verschwindet wieder zwischen den grauen Gestalten, die ich nur am Rande wahrnehme. Ich folge ihrem roten Mantel. Ich folge ihr immer weiter, bis ich mich in einem Stadtteil befinde, den ich gar nicht mehr kenne. Aber es ist mir egal. Ich muss der Frau mit dem roten Mantel folgen. Sie symbolisiert etwas, ich weiss nur noch nicht was. Kurz verschwindet der rote Mantel wieder aus meinem Blickfeld, dann sehe ich ihn wieder. Schnell folge ich ihr weiter. Doch irgendwann verliere ich sie, und diesmal finde ich den roten Mantel oder die grünen Schuhe nicht mehr. Niedergeschlagen knie ich mich auf den Boden. Der Regen rinnt durch mein Haar und tropft mir dann ins Gesicht. Den Schirm habe ich im Café gelassen. Plötzlich bemerke ich, dass ich mich auf einem Friedhof befinde. Der Highgate Cemetery. Ich knie vor einem Grab und als ich das Moos etwas wegwische sehe ich die Inschrift: Here lies the body of 'George Eliot' Mary Ann Cross. Ich erinnere mich daran, mit 16 Jahren ihre Bücher geradezu verschlungen zu haben. Erst jetzt kommt mir die Idee, den Zettel zu entfalten. Als ich lese, was darauf steht, muss ich unwillkürlich lächeln. Es ist ein Zitat von George Eliot: "Jeder Tag ist ein neuer Anfang." Ich lege den Zettel auf das Grab und erhebe mich. Dann verlasse ich langsam den Friedhof von Highgate. Mir scheint, als wäre der Himmel schon wieder etwas heller geworden.


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lhyz
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Beitrag06.01.2012 17:54

von lhyz
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Ich finde es irgendwie gut, aber irgendwie fehlt mir auch was...

also mal abgesehen von Absätzen. Mach unbedingt Absätze.

Bei der Geschichte finde ich nicht ganz stimmig, dass einerseits diese nachvollziehbare Tristesse dargestellt wird, und das Ganze sich dann plötzlich in eine irrwitzige, völlig surreale Verfolgungsjagd kippt. Mir fehlt ein bisschen der Zusammenhang.
Auch, dass eine weitere, scheinbar wichtige Figur völlig unerwartet in den letzten fünf Zeilen erst auftaucht.
Es würde vielleicht durchdachter und runder wirken, wenn du am Schluss nochmal irgendeinen Haken ziehen würdest, irgendwie erklären, worauf du eigentlich hinaus willst.

...und Absätze!

Aber wie gesagt, ganz verkehrt finde ich es nicht, nur noch etwas unausgereift!
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Elias B.
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Beitrag06.01.2012 21:18

von Elias B.
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Danke für deinen Kommentar. Die Figur, die in den letzten Zeilen unerwartet auftaucht, ist eine berühmte Schriftstellerin. Ich dachte, dass wüssten die meisten.
Bei der Verfolgungsjagd dachte ich mir, würde es - gerade weil sie ja ein wenig surreal wirkt - passen, wenn es so plötzlich wechselt, aber ich werde es vielleicht noch einmal überarbeiten.
Mit dem Schluss hast du schon recht. Crying or Very sad
Ich wollte zeigen, dass er wieder ein wenig Hoffnung hat, dass dieses Zitat am Schluss irgendwas ausgelöst hat in ihm.
Aber nur, dass der Himmel ihm etwas heller vorkommt, ist wohl wirklich ein bisschen zu wenig Embarassed

...und die Absätze werde ich natürlich machen Very Happy


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lhyz
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Beiträge: 9



Beitrag06.01.2012 23:47

von lhyz
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Es mag sein, dass jeder oder die meisten Leser die Schriftstellerin kennen, aber es ist nicht so gut, ganz am Schluss neue Symbole rein zu bringen.
Der Schluss ist ja der aufgeladenste Teil, wo Symbole schon mit besonderer Bedeutung versehen wurden, in deiner Geschichte das Grau, das Rot, die Frau.
Neue Symbole haben noch keine aufgeladene Bedeutung und flachen das Ende eher ab.

Wenn du z.B. einen Schluss bringen würdest, in dem er sieht, dass z.B. die Wolken "rot" sind oder so etwas, dann würde das viel tiefer wirken.
Nur so als Beispiel..
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Elias B.
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Beitrag07.01.2012 00:47

von Elias B.
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Danke nochmal, Ihyz. Deine Rezessionen sind wirklich hilfreich.

An alle möglichen Leser:
Ich bin neu und wollte diesen Text eigentlich noch gar nicht hier veröffentlichen, sondern in der Werkstatt, deswegen ist er natürlich auch noch fehlerhaft in einigen Dingen. Embarassed

Mfg Elias


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Elias B.
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Beitrag07.01.2012 00:49

von Elias B.
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P.S.: Kann mir vielleicht jemand sagen, wie man einen bereits veröffentlichten Text bearbeiten kann?
 
 - Elias


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Rufina
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Beitrag07.01.2012 05:07

von Rufina
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Hallo Elias,

du kannst einen der Moderatoren per PN bitten, dir den Text in die Werkstatt zu verschieben. Den bereits eingestellten Text kannst du selbst nicht mehr ändern, weil er bereits von anderen kommentiert wurde, aber du kannst ihn überarbeiten und dann im gleichen Thread nochmal einstellen. Unten bei den Kästchen unter dem Antwortfeld kannst du "neue Version" ankreuzen, dann erscheint neben deinem Ursprungstext ein Kasten mit "neue Version", sodass das für jeden neuen Leser sofort ersichtlich ist. Er kann dann den Kasten anclicken und gelangt so sofort dorthin, ohne den ganzen Faden lesen zu müssen.

Viele Grüße
Rufina


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sleepless_lives
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Beitrag07.01.2012 07:46

von sleepless_lives
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Hab es jetzt mal in die Werkstatt verschoben.

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Elias B.
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Beitrag07.01.2012 10:49

von Elias B.
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Vielen Dank  Smile
Meinst du mit "neue Version" "neues thema"?


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Elias B.
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Beitrag07.01.2012 11:21
Die Farbe Rot - Überarbeitete Version (mit Absätzen) ;)
von Elias B.
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Es ist einer dieser regnerischen Tage in London, wie sie klischeehafter nicht sein könnten. Ich sitze in meinem Appartement in Cartwright Gardens und beobachte die Regentropfen,
 die am Fenster hinab rinnen.
Sie schlängeln sich auf ihren undurchschaubaren Wegen in Richtung Fenstersims, wo sie kurz am unteren Ende verweilen, um dann auf die Strasse unter mir zu tropfen.
Ich blicke ihnen nach.
Die Strasse quillt trotz - oder vielleicht gerade wegen -  des Regens fast über vor Autos. Alle haben es eilig, alle müssen irgendwohin, keiner hat genug Zeit;
die Fussgänger drängen und schubsen. Das Wasser der Pfützen wird aufgewirbelt, als ein Windstoss durch die Strasse fegt.
 Ein Mann hechtet in ein wartendes Taxi, seinen Aktenkoffer schützend über dem Kopf gehalten, in dem sinnlosen Versuch, nicht nass zu werden.
     Eine Frau zieht ein weinendes, sich wehrendes Kind am Arm mit sich mit, während neben ihr ein junger Mann vor dem Regen in einen Hauseingang flüchtet.
 Das Taxi des Mannes mit dem Aktenkoffer fährt los und durchnässt die Frau und das Kind, als es durch eine Pfütze fährt.
 Und ich sitze hier oben und beobachte alles.
Die vielen grauen Regenschirme unter mir drehen sich wie farblose Karusselle und vermischen sich zu einer einzigen grauen Masse;
 die verschiedenen Individuen werden eins, bilden ein einzelnes Wesen, bestehend aus Rücksichtslosigkeit und Eile.
Die meisten Bestandteile dieses Wesens bewegen sich, als nähmen sie die anderen Leute gar nicht war.
 Und überall ist nur grau.
 Alles ist düster und grau. Der Himmel, die Gebäude und eben auch die Leute.
 Ich wende mich von dem geschäftigen Treiben ab, nehme meinen Mantel - ebenfalls grau -  vom Haken und verlasse die Wohnung.
 Auf der Strasse spannen ich meinen Regenschirm auf; er ist gelb.
 Er wirkt wie ein Versuch - für ein einziges Mal nur - der Tristheit meines Lebens zu trotzen. Aber es ist schlussendlich nur ein Schirm.
 Ich mache mich auf den Weg zu einem Café in der Nähe. Nach ein paar Blocks habe ich es erreicht.
 Ich setze mich und bestelle einen Espresso bei dem jungen Kellner mit dem gelangweilten Gesicht. Seit ich in dieser Stadt bin, habe ich ihn nie mit einem anderen Gesichtsausdruck gesehen.
Der Espresso kommt und ich nehme einen kleinen Schluck.
Ich stelle wieder einmal fest, dass man in England wohl keinen Kaffee trinken sollte.
Ich nehme noch einen Schluck, denn ich brauche ihn, um mich wach zu halten. Genauso, wie ich den Alkohol brauche, um abends einzuschlafen.    
Denn sonst quälen mich die Gedanken, dass ich mein Leben verpfuscht habe, die ganze Nacht durch.
Ich und Schriftsteller, niemals.
Meine Träume sind zerflossen, wie der Regen, der am Bordstein entlang rinnt. Ich kippe den Rest des ungeniessbaren Gebräus hinunter, lege das Geld und ein wenig Trinkgeld,
 das der Kellner gar nicht verdient, auf den Tisch und will mich schon erheben.
 Doch in dem Moment sehe ich sie.
 Diese Frau sticht sofort aus der Menge heraus. Sie trägt einen roten Mantel und grüne Schuhe. Ihr Haar ist schwarz, schwärzer noch als die Gewitterwolken am Himmel über London.
 Ihre Lippen scheinen perfekt, als hätte ein Bildhauer stundenlang daran gearbeitet, nur damit sie ohne Makel sind.
Irgendetwas an der Frau fasziniert mich und ich setze mich wieder hin.
Ich beobachte sie eine Weile. Als sie ihren Tee ausgetrunken hat zahlt sie und geht.
In dem Moment, in dem sie sich erhebt, wirkt ihr im Wind wallender Mantel so, als würden hundert rote Wellen über ihn hinübergleiten.
 Doch was ist das?
Aus ihrer Tasche ist ein zusammengefalteter Zettel gefallen.
Ich gehe zu ihrem Tisch hinüber und hebe ihn schnell auf, bevor der Regen ihn gänzlich durchnässt. Als ich wieder aufschaue, ist die Frau verschwunden.
 Wo ist sie hin?
 Da, an der Ecke.
Ein roter Mantel.
 Schnell laufe ich hinter ihr her, den Zettel immer noch in der Hand. Ich rufe. "Ma'am, Sie haben etwas vergessen."
 Aber da ist sie schon wieder in der Menschenmenge verschwunden. Ich renne in die Richtung, in der ich sie vermute. Kurz glaube ich, sie verloren zu haben. Doch plötzlich sehe ich ein paar grüne Schuhe.
 Als ich die Frau mit den Schuhen erreicht habe, sehe ich, dass sie einen schwarzen Mantel trägt.
 Enttäuscht will ich schon wieder gehen, doch da erhasche ich einen Blick auf einen roten Mantel. Als ich das Gesicht der Mantelträgerin sehe, weiss ich, dass sie es ist.
 Sie steht am Ufer der Themse und blickt ins Wasser. Ich rufe wieder, aber sie scheint mich nicht zu hören, oder weiss nicht, dass sie gemeint ist.
Ich gehe auf sie zu, aber kurz bevor ich sie erreiche, dreht sie sich um und ihr Gesicht verschwindet wieder zwischen den grauen Gestalten, die ich nur am Rande wahrnehme. Ich folge ihrem roten Mantel.
In meinem Kopf blitzt der Gedanke auf, wie absurd es ist, einer wildfremden Frau nur wegen irgendeines Zettels durch halb London nach zu rennen.
 Aber irgendetwas an ihr hat mich in ihren Bann geschlagen. Ich folge ihr immer weiter, bis ich mich in einem Stadtteil befinde, den ich gar nicht mehr kenne.
 Aber es ist mir egal. Ich muss der Frau mit dem roten Mantel folgen. Ich habe das starke Gefühl, dass sie irgendeine Rolle in meinem Leben spielen wird.
 Kurz verschwindet der rote Mantel wieder aus meinem Blickfeld, dann sehe ich ihn wieder. Schnell folge ich ihr weiter.
Doch irgendwann verliere ich sie, und diesmal finde ich den roten Mantel oder die grünen Schuhe nicht mehr.
 Niedergeschlagen knie ich mich auf den Boden. Der Regen rinnt durch mein Haar und tropft mir dann ins Gesicht.
Den Schirm habe ich im Café gelassen.
 Plötzlich bemerke ich, dass ich mich auf einem Friedhof befinde. Der Highgate Cemetery. Ich knie vor einem Grab und als ich das Moos etwas wegwische sehe ich die Inschrift:
 Here lies the body of 'George Eliot' Mary Ann Cross.
Ich erinnere mich daran, mit 16 Jahren ihre Bücher geradezu verschlungen zu haben.
 Erst jetzt kommt mir die Idee, den Zettel zu entfalten. Als ich lese, was darauf steht, muss ich unwillkürlich lächeln. Es ist ein Zitat von George Eliot:
 "Jeder Tag ist ein neuer Anfang."
 Ich lege den Zettel auf das Grab und erhebe mich. Dann verlasse ich langsam den Friedhof von Highgate.
 Mir scheint, als wäre der Himmel schon wieder etwas heller geworden. "Jeder Tag ist ein neuer Anfang", sage ich mir. Ich lächle.


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Fahrender Gaukler
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Beitrag07.01.2012 12:56

von Fahrender Gaukler
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Hi. smile

Also ich hoffe, das klingt jetzt nicht überheblich oder herablassend, aber: Für einen 14-Jährigen ist das nicht übel. Ich wünschte, ich hätte in dem Alter ein solches Auge fürs Detail gehabt. Oder überhaupt schon geschrieben. Mach was draus. Bleib am Ball und vielleicht hältst du irgendwann dein eigenes Buch in Händen.

Zum Text. Wie gesagt, sehr detailliert. Manchmal etwas zu detailverliebt, weshalb sich meiner Meinung nach der rote Faden etwas zu sehr verliert. Auch würde ich mir hin und wieder etwas weniger tell und mehr show wünschen. Natürlich muss eine Geschichte nicht durchgehend in bewegten Bildern erzählt werden, eine nüchterne Betrachtung ist manchmal ein nützlicher Kunstgriff und lockert einen zu bildhaften Text angenehm auf. Dennoch ist es meiner Meinung nach ratsam, sich Gedanken darüber zu machen, welche Bilder man lebhaft darstellen kann (und soll) und welche nicht. Mal zwei unterschiedliche Beispiele:

Zitat:
Das Taxi des Mannes mit dem Aktenkoffer fährt los und durchnässt die Frau und das Kind, als es durch eine Pfütze fährt.


Das ist tell (zu deutsch: beschreiben)

Zitat:
Die vielen grauen Regenschirme unter mir drehen sich wie farblose Karusselle und vermischen sich zu einer einzigen grauen Masse;


Das ist show (zu deutsch: zeigen). Schöner Satz, er vermittelt ein bewegtes und anschauliches Bild, nicht zuletzt aufgrund des Vergleichs, welcher eingeleitet wird durch "drehen sich wie". Eines der "grau" würde ich allerdings wieder streichen, da es redundant ist. Graue Regenschirme vermischen sich zwangsläufig auch zu einer grauen Masse. Anders wäre es, wenn die Schirme bunt wären. Auch dann können sie sich letztlich zu einer grauen Masse vermischen, aber in dem Fall läge eine Veränderung der bildlichen Wahrnehmung vor, von bunt zu grau.

Das erste Beispiel jedenfalls ist nicht sehr anschaulich. Es beinhaltet kein allzu starkes Verb, kein Adjektiv und kommt insgesamt sehr nüchtern daher. Hin und wieder ist das kein Problem und kann einen Text, wie gesagt, auch auflockern, es kommt aber meiner Meinung nach auf die Verhältnismäßigkeit an.

Noch ein Wort zur "Aktivität" von Sätzen. Auch hier gebe ich ein kurzes Beispiel:

Zitat:
Das Wasser der Pfützen wird aufgewirbelt, als ein Windstoss durch die Strasse fegt.


Durch den Satzteil "wird aufgewirbelt" ist der Satz passiv. Um ihn ins Aktiv zu setzen, müsstest du ihn nur umdrehen.

Ein Windstoß fegt durch/über die Straße und wirbelt das Wasser der Pfützen auf.

Siehst du den Unterschied? Der Satz wird greifbarer, das Bild vermittelt Bewegung. Du hast ein starkes Verb drin, nämlich "fegen", doch in deinem Beispiel verliert es aufgrund der Passivität seine Dynamik.

Auch hier gilt natürlich: Nicht jeder Satz muss aktiv zeigen, aber es lohnt sich immer abzuwägen, wo man noch etwas rausholen könnte. Versuche immer, bewusst an deine Texte ranzugehen. Nicht während du sie schreibst, sondern während du sie überarbeitest.

Eine ganz nützliche Website ist übrigens diese hier: stilversprechend. Natürlich sind derartige Seiten immer mit Vorsicht zu genießen und man darf ihnen nicht zu viel Bedeutung beimessen. Allerdings ist es auch ganz hilfreich, seinen Text ratzfatz auf die Anzahl (zu) langer Sätze zu überprüfen, oder auf Passivität, Floskeln, Füllwörter, etc. Es kann einem dabei helfen, seine Geschichten lebendiger zu gestalten.

So, genug des oberlehrerhaften Tons, den ich mir gar nicht anmaßen wollte. grr Ich hoffe, du kannst mit meinen Ausführungen etwas anfangen und wünsche dir weiterhin viel Erfolg.


Gruß,

~~Der Gaukler


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Trenne dich nicht von deinen Illusionen. Wenn sie verschwunden sind, wirst du weiter existieren, aber aufgehört haben zu leben.

(Mark Twain)
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Elias B.
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Alter: 27
Beiträge: 8



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Beitrag09.01.2012 19:24

von Elias B.
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Danke Very Happy
Deine Tipps waren echt hiflreich.
Lg Elias


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