Sechstes Kapitel (Intermezzo)

[Andi Fontäne]

Kapitel 6

„Oma, Oma. Ich will Schokolade haben!“
„Nein, mein Kleiner. Tut mir leid, aber deine Oma ist bettelarm!“
Ich war fünf Jahre alt und stand mit Oma Hilde an der Supermarktkasse. Bei der Kassiererin handelte es sich um die Mutter eines Klassenkameraden. Ich schämte mich zutiefst. Ist es da verwerflich, dass ich geworden war, was ich war?
Ich war schon immer ein Grenzgänger. Die Regeln der Gesellschaft interessierten mich einen Scheiß. Wenn man jung ist und begreift, dass es Schokolade im Supermarkt gibt, die sich aber nur die anderen Leisten können, dann tut man alles um dazu zu gehören!
Eigentlich mochte ich gar keine Schokolade. Tat ich noch nie. Ich wollte nur dazu gehören. Schnell merkte ich jedoch, dass man seine Zeit nicht verschwenden sollte mit Anbiederungsversuchen bei seinen Mitmenschen. Bewunderer bewundert keiner. So lernte ich meine eigenen Visionen zu haben.

Es muss Januar gewesen sein. Es war kalt und der Himmel noch rabenschwarz als ich mich mit sechs Jahren schon alleine auf den Schulweg machte. Ich musste sieben Kilometer weit laufen. Jeden Tag. Denn für eine Busfahrkarte hatten wir kein Geld. Es war kurz vor der Schule, als ich jemanden um Hilfe schreien hörte.
Dann, als ich weiterging, schien es immer näher zu kommen. Es waren die Villabacho-Brüder. Sie hielten einen Jungen meiner Altersgruppe an seiner Unterhose baumelnd in die Höhe und verspotteten ihn.
„Gib uns das Geld, Gringo!“
Der arme Junge aber hatte keinen Cent. Es war dieser Moment, als mir klar wurde, was Gerechtigkeit bedeutet. Wutentbrannt misshandelte ich die beiden Kerle, bis sie sich wünschten, den kleinen Jungen nie gesehen zu haben. Ab da an war ich, was ich bin: Bodyguard!