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Hart am Wind


 
 
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Fuchsia
Geschlecht:weiblichKlammeraffe
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Alter: 47
Beiträge: 779



F
Beitrag23.01.2011 11:33
Hart am Wind
von Fuchsia
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Hallo, bin neu hier, habe schon viel von euch gelesen, und traue mich jetzt mal eine Geschichte einzustellen.
Freue mich über Verbesserungsvorschläge und weiterbringende Kritik!


Hart am Wind

Ich hasse segeln.
 Als wir losfuhren war es noch sonnig gewesen, doch dann hatten sich Wolken zusammengeballt und ein böiger, scharfer Wind hatte die Segel gefüllt, so das das Boot schneller und schneller wurde. Das hatte Spaß gemacht, wir hatten die Segel noch straffer gezogen, waren hart am Wind aus dem flachen Gewässer bis über die Fahrwasserbegrenzung hinausgeschossen, hatten eine so starke Neigung gehabt, dass wir uns weiter und weiter aus dem Boot hinauslehnen mussten, um nicht umzukippen…
Dann war plötzlich alles ganz schnell gegangen, ein falscher Schlenker von mir mit dem Ruder, und wir wurden nass.
Der Schreck saß mir noch in den Gliedern.
Das kalte Ostseewasser schwappte mir ins Gesicht und ich hielt mich krampfhaft am Schwert fest, der haifischflossenartigen Verlängerung unterhalb des Bootes, das jetzt auf der Seite lag.
„Kletter rauf!“
Das war mein Segelpartner, „Franzmann“. So nannten ihn alle in der Segelschule, weil er nun mal Franzose war, und nur gebrochen Deutsch konnte. Das war vielleicht nicht nett, aber weil ihn alle so nannten, nannte ich ihn auch so. Seinen richtigen Namen habe ich vergessen.
„Kletter rauf!“ Franzmann schwamm auf der anderen Seite des kleinen Bootes.
Ja. Raufklettern, auf das Schwert, um das Boot mit dem eigenen Gewicht wieder zum aufrichten zu bringen, während der Partner auf der anderen Seite reinklettert. Das habe ich doch gelernt, diese Woche im Kentertraining. In der Segelschule. In den Sommerferien. Es ist schwer wieder in das Boot zu klettern, der Partner läßt sich beim Aufrichten in das Boot rollen, während derjenige am Schwert aufpassen muß, nicht unter das Boot zu geraten.
Mein Alptraum.
Unter das Boot geraten.
Ich hasse es, wenn mein Kopf unter Wasser gerät, dann verliere ich die Orientierung, weiß nicht mehr wo oben und wo unten ist. Ja, ja, ich weiß. Hat Angst vorm tauchen, kann nicht richtig schwimmen und geht in eine Segelschule. Wieso tue ich mir das an?
Wegen Dad.
Weil Dad segelt.
Weil Dad sich vom Verkauf des Hauses eine Yacht gekauft hat, nach der Scheidung. Weil er seine Wochenenden auf der Yacht verbringt. Weil segeln der einzige Weg ist, Zeit mit ihm zu verbringen.
Wenn ich meinen Schein gemacht habe, will er mich mitnehmen, auf große Tour, nach Dänemark, bis nach Kopenhagen. Die ganzen Sommerferien werde ich also auf einem Boot verbringen.
Es ist kalt, das Wasser schwappt mir ins Gesicht und ich versuche mich auf das Schwert zu ziehen, wie ein Surfer aufs Surfbrett. Es ist rutschig, schmal und glatt. Die Schwimmweste hält mich oben, zum Glück, während meine vollgesogene Kleidung mich nach unten zieht. Is` nicht leicht, mit voller Kleidung zu schwimmen, glaubt mir. Probiert es mal. Fühlt sich komisch an.
Schwimmen mit Turnschuhen.
Ich ziehe mich auf das Schwert, mein Herz klopft. Aber das Boot richtet sich nicht wieder auf, ich bin zu leicht.
Wo ist Franzmann? Ich kann ihn nicht sehen.
„Franzmann?“
„Oui, mach… mach schnell. Fähre kommt!“
Fähre?
Ich seh mich um.
Wir sind im Fahrwasser gekentert, ausgerechnet.
Hier sollten wir eigentlich gar nicht sein, wir sollten da drüben bleiben, wo es flacher ist, wo der Steg ist und die Segelschule. Hier haben wir nichts zu suchen, hier ist der Berufsverkehr, hier ist es viele Meter tief, damit die großen Tanker durch können. Die Tanker, und die Fähre nach Dänemark.
Das Fahrwasser ist breit, markiert durch grüne und rote Tonnen. Franzmann hat recht. Die Fähre kommt. So groß wie eine Häuserwand schiebt sie sich auf uns zu.
Wie weit ist sie noch weg?
Entfernungen sind auf dem Wasser so schwer zu schätzen…
„Mach… die Fähre!“
Ja, ja, oh, scheiße. Mein Herz klopft schneller. Wie schnell wird die Fähre hier sein? Was, wenn sie uns nicht sieht? Wieso kippt das Ding nicht, ich liege auf dem Schwert, ich bin zu leicht, ich krieg das Boot nicht zum aufrichten, die Segel sind voller Wasser, mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich rutsche nach hinten, weiter weg vom Rumpf des Bootes, richte mich auf, versuche, das Schwert unter Wasser zu drücken, spüre, wie es gelingt, wie der Bootsrumpf auf mich zu kippt…
Das ist er, der schwierige Moment, wo es passieren kann, daß man unter Wasser gedrückt wird, dass das Boot einen unter sich begräbt, dass man hinunter gedrückt wird, dann muss man tauchen, nein bitte nicht, dann muss man sich merken, wo oben und wo unten ist, alles sieht so verkehrt herum aus, das Boot liegt auf der Seite, der Rumpf ragt über mir auf, kommt auf mich zu, das Salzwasser brennt in den Augen, die Schuhe fühlen sich falsch an am Fuß, die Kleidung zieht nach unten, die Schwimmweste drückt gegen das Kinn…
„Achtung!“ Franzmann krallt sich an die Seite des Bootes, ich muss mit meinem Gewicht sein Gewicht zusätzlich ausgleichen, sein Gewicht und das der Segel, die im Wasser liegen, aber das Schwert ist wie ein Hebel, deswegen funktioniert das trotzdem. Hebelgesetze. Hatte ich doch gerade in Physik. Habe aber kaum zugehört, hat mich nicht interessiert.
Ich bin fünfzehn.
Das Boot kippt, ich rutsche vom Schwert und paddele panisch vom Rumpf weg, als es sich klatschend wieder aufrichtet.
Jetzt sehe ich Franzmann, der sich wie ein nasser Sack über den Rand ins Boot wälzt.
Geschafft!
Hastig strample ich mich an das Boot heran, kralle mich an die Reling. Es ist so hoch! Wie soll ich da rein kommen?
Die Fähre hupt, ein langer warnender Ton. Er bedeutet: aus dem Weg.
Sie können nicht bremsen.
Wir müssen weg.
Panisch versucht Franzmann die Segel wieder flott zu kriegen, die heftig im Wind schlagen.
 „Mach! Grouille-toi !“, keucht Franzmann, als das tiefe dunkle Warnhorn der Fähre ertönt. Aus dem Weg.
Ich versuche mich hochzuziehen.
Ich habe nicht genug Kraft.
Franzmann will mir helfen, mich am Gürtel packen und hineinziehen, dabei bringt er das Boot fast wieder zum kentern. Hastig weicht er auf die Backbordseite zurück.
Er sieht mich an.
Was, wenn ich es nicht schaffe hineinzuklettern?, denken wir beide.
Meine Arme zittern, die Finger tun schon weh.
Franzmann hält die Taue fest, die wild um sich schlagen, die Segel knattern hart im Wind, schlagen in den Böen.
 „Du schaffen das. Komm!“
Franzmann sieht mich an, es soll aufmunternd wirken, aber ich sehe die Angst in seinen Augen.
Die Fähre klingt jetzt ganz nah.
Irgendwo das Geräusch eines Motorbootes. Der Segellehrer, er hat bemerkt, das wir in Schwierigkeiten stecken, aber so wie ich hier hänge, kann ich nicht sehen, wie weit er entfernt ist, oder die Fähre, kann nicht einschätzen, was ich jetzt tun soll, hier warten, gar nichts tun? Warten, bis einer mich abholt? Schwimmen? Bin ich schneller, wenn ich schwimme?
Ganz bestimmt nicht.
Und Franzmann kann ohne mich nicht segeln, man braucht zwei Leute, außerdem bin ich ein miserabler Schwimmer, überhaupt bin ich unsportlich, kann nicht klettern, habe keine Kraft in den Armen, komme nicht in das Boot hinein.
Meine Arme zittern inzwischen, ich strample mit den Beinen, wühle das Wasser um mich auf, mir ist kalt und wieder und wieder versuche ich, mich in das verdammte Boot zu ziehen.
Scheiß Segelkurs, Scheiß Boot, Scheiß Fähre, scheißkaltes Ostseewasser!
Ich hüpfe auf und ab, um Schwung zu kriegen, ignoriere das ängstliche Gefühl im Magen, das mir sagt, dass da kein Boden unter meinen vollgesogenen Turnschuhen ist, sondern nur bodenlose kalte Tiefe, ignoriere das salzige Ostseewasser, dass mir ins Gesicht schwappt, ignoriere, dass meine Arme keine Kraft mehr haben, meine Nackenhaare sich vor Furcht aufstellen, weil ich spüre wie hinter mir sich eine Häuserwand aus Stahl näher und näher schiebt mit einer Bugwelle, die das ganze Boot überspülen könnte, ignoriere Franzmanns ängstliches Atmen und katapultiere mich mit aller Kraft, mit ganz viel Schwung so weit und so hoch, dass ich es schaffe den Oberkörper über die Kante zu ziehen, mich halb in das Boot zu schmeißen.
Franzmann reagiert zum Glück schnell und gleicht geschickt den Schwung aus, indem er sich gegenüber aus dem Boot lehnt.
Ich bringe einen Schwall Wasser mit, aber ich liege, liege im Boot!
Einen Moment brauche ich, um zu Atem zu kommen, doch auch wenn ich am ganzen Körper zittere, so helfe ich doch Franzmann sofort, das Boot flott zu kriegen.
Ohne uns absprechen zu müssen, schnappt er sich die Vorschot und ich übernehme das Ruder, stemme meine Füße gegen die Reling und ziehe die Segel an. Wir müssen uns nicht absprechen, so war die Aufteilung auch vorher. Trotz der Panne überlässt Franzmann mir weiterhin das Ruder.
Das Steuer wieder in der Hand zu haben, fühlt sich gut an.
Ich gebe das Kommando, dass ich jetzt aus dem Wind drehe, er nickt stumm, und mit einem Schlag knallt der Baum mit dem Hauptsegel zur Seite, wir ducken uns synchron unterdurch, und nehmen rasch an Geschwindigkeit auf.
Das kleine Boot zischt davon und ich gehe wieder hart an den Wind.
Ein Blick über die Schulter. Bloß weg hier.
Die Fähre läßt noch einmal das Horn ertönen, ein Gruß, eine Warnung, wir wissen es nicht, wir grinsen.
In meinem Bauch ist ein köstliches Kribbeln als wir aus der Fahrrinne schießen, das Motorboot des Segellehrers neben uns aufholt und der Lehrer hinüberruft, wütend, was wir im Fahrwasser zu suchen gehabt hätten, das sei gefährlich, wir dürfen dort nicht hin, doch Franzmann und ich antworten nichts, grinsen nur blöde, nass und zitternd, mit klammen Fingern ans Ruder und an die Schot gekrallt.

Eigentlich macht segeln doch Spaß.


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Rheinsberg
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Bronzenes Messer


Beitrag23.01.2011 12:18

von Rheinsberg
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Schöner Einstand.
Da könnte man sicher noch einiges ändern - ich habe aber wenig Lust, den Text auseinanderzunehmen, jedenfalls nicht gleich - weil er mir viel zu gut gefällt.
Besonders gut gelungen ist dir meiner Meinung nach die Spannung, während das Segelboot da in der Fahrrinne der Fähre treibt.

Den Anfang würde ich ändern. Der erste Satz als Kontrapunkt zum letzten - gut. Die kurze Rückblende gefällt mir hier nicht so recht, vielleicht könntest du darauf verzichten oder sie an eine andere Stelle schieben. Eventuell die Geschichte früher anfangen lassen - na ja, musst du wissen. Wink
Erstmal: herzlich willkommen.


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"Die größte Gefahr ist die Selbstzensur. Dass ich Texte zu bestimmten Themen gar nicht schreibe, weil ich ahnen kann, welche Reaktionen sie hervorrufen." - Ingrid Brodnig
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Icre84u
Erklärbär
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Beiträge: 3



I
Beitrag23.01.2011 13:21

von Icre84u
Antworten mit Zitat

Hallo,

auch mit gefällt der Text. Er hält die Spannung - das ist sehr gut.

Anderes finde ich weniger gut:

Du hältst die Spannung durch Einschübe - Rückblenden - Erinnerungsfetzen; auch das gefällt mir. Du könntest aber überlegen, ob es die Protagonistin nicht runder machen würde, wenn sie die Fetzen (z.B. Dad) wieder aufgreift? So sollen sie die Protagonistin zwar charakterisieren (ambivalentes Verhältnis zum Vater - Wunsch nach Liebe - Verwechslung von Liebe und Stolz - Stolz als Einziges, was sie bekommen kann) spielen, dann aber für die weiteren Handlungen keine Rolle. Ich finde es besser gerade bei einem kurzen Text, wenn jedes eingeführte Element eine 'tragende' Rolle spielt. Dadurch entsteht tiefe, wie ich finde.
Außerdem stören mich einige Zeilenbrüche, z.B.:"nicht unter das Boot zu geraten.
Mein Alptraum.
Unter das Boot geraten."
Besser: Mein Alptraum - unter das Boot geraten. (Du willst keine lange Pause zwischen den Sätzen und ­das Tempo rausnehmen - erst der Punkt und dann auch noch der Zeilenbruch - sondern den Zusammenhang aufzeigen und akzentuieren.)
Als Vorschlag: vielleicht auch der Gedanke, was genau ist der Alptraum daran, beschreibe die Vorstellung - die Panik.

Zum Einstieg:
"Ich hasse segeln.
Als wir losfuhren war es noch sonnig gewesen, doch dann hatten sich Wolken zusammengeballt und ein böiger, scharfer Wind hatte die Segel gefüllt, so das das Boot schneller und schneller wurde. Das hatte Spaß gemacht, wir hatten die Segel noch straffer gezogen, waren hart am Wind aus dem flachen Gewässer bis über die Fahrwasserbegrenzung hinausgeschossen, hatten eine so starke Neigung gehabt, dass wir uns weiter und weiter aus dem Boot hinauslehnen mussten, um nicht umzukippen… "

Streichen und aktiver schreiben. Orientiere dich an zusammengeballt und hinausgeschossen. (Übrigens finde ich, die Geschichte wäre noch spannender im Präsenz.)

Ein Vorschlag:

Ich hasse segeln.
Erst schien die Sonne, aber dann ballten sich Wolken zusammen, ein böiger scharfer Wind kam auf und blähte die Segel - der Wind trieb das Boot schneller und schneller.
Ich genoss es!
Wir strafften die Segel weiter - schneller, schneller - und mussten uns weit aus dem Boot lehnen, als wir aus dem flachen Gewässer bis über die Fahrwasserbregenzung hinausschossen.

Oder eben so ähnlich. Aktiv - starke, ungewöhnliche Wörter so setzen, dass sie noch mehr betont werden und den Satz zusammen mit dem Schiff fahrt aufnehmen lassen.

Dies als Beispiel, was mir gefällt und was anders besser wäre.

Freue mich darauf mehr von dir zu lesen.

Viel Grüße.
Icre84u.
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seitenlinie
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1829

Pokapro 2015


Beitrag23.01.2011 20:34

von seitenlinie
Antworten mit Zitat

Hallo Fuchsia,

Dein Text zeigt, dass Du Talent hast. Aber Du schöpfst Deine Möglichkeiten noch lange nicht aus.

Mir gefallen Stil und Rhythmus. Es wird klar, was Du erreichen möchtest.
Die Geschichte ist schlicht und hat einen tieferen Hintergrund.  
Sie ist noch nicht optimal umgesetzt.

Fangen wir beim Schluss an. Der gefällt mir gar nicht. Vom Hass bis zur Begeisterung geht es zu schnell.
Freude und Genugtuung würde ich am Ende andeuten, mehr nicht.
Bei den Bedürfnissen der Helden unterscheidet man zwischen „Want“ und „Need“.
„Want“ wäre die Oberfläche – hier: ihr Wunsch, Segeln zu lernen.
Dahinter steckt das tiefere Bedürfnis nach Nähe zum Vater und Anerkennung durch
ihren Dad. Die Heldin hat ihre Angst besiegt und ist über sich hinausgewachsen.
Die Seite des Vaters kommt mir zu kurz.

Alternative Schluss-Szene:
Der Lehrer kommt mit seinem Motorboot heran und hält den beiden eine Standpauke.
Sein Handy klingelt. Er spricht kurz und dann sagt er zu ihr: “Dein Dad“ und gibt ihr das Handy …

Diese Geschichte würde ich auch im Präsenz erzählen. Doch Du mogelst Dich aus der kurzen Rückblende vom Präteritum
ins Präsenz. Das gefällt mir nicht, weil es nicht eindeutig genug ist.
Du bist zu schnell im dramatischen Teil. Der Leser ist noch gar nicht richtig drin im „Film“… er weiß nicht genau wo er ist,
kann sich die dramatische Szene nicht richtig vorstellen, kennt die Fachbegriffe nicht. Hier braucht es noch mehr Fingerspitzengefühl.
Der gefährliche Abschnitt ist mir dann zu lang, um die Spannung zu halten.
Die Gefahr spitzt sich immer mehr zu und wird zu umständlich beschrieben. Dadurch wird die gespürte Bedrohung aufgeweicht.
Vielleicht kannst Du einen Teil der Erklärungen vorziehen und die Klimax (extreme Steigerung / Höhepunkt) stärker zuspitzen.
  

Abschließend noch ein paar Textbeispiele und Vorschläge:

Zitat:
Ja. Raufklettern, auf das Schwert, um das Boot mit dem eigenen Gewicht wieder zum aufrichten zu bringen, während der Partner auf der anderen Seite reinklettert. Das habe ich doch gelernt, diese Woche im Kentertraining. In der Segelschule. In den Sommerferien.

Einen Gedankengang in kurze Sätze aufzusplitten, kann wirkungvoll sein. Hier gibt es keinen vernünftigen Grund,
das stört eher beim Lesen.

Zitat:
In den Sommerferien. Es ist schwer wieder in das Boot zu klettern, der Partner läßt sich beim Aufrichten in das Boot rollen, während derjenige am Schwert aufpassen muß, nicht unter das Boot zu geraten.
Mein Alptraum.
Unter das Boot geraten.

Hier funktioniert es, wenn die Reihefolge getauscht wird. Zuerst „Unter das Boot geraten.“ dann „Mein Alptraum“.
Damit schließt Du diesen Gedanken wirkungsvoll ab.

Zitat:
Wieso tue ich mir das an?
Wegen Dad.
Weil Dad segelt.
Weil Dad sich vom Verkauf des Hauses eine Yacht gekauft hat, nach der Scheidung. Weil er seine Wochenenden auf der Yacht verbringt. Weil segeln der einzige Weg ist, Zeit mit ihm zu verbringen.

Hier erzeugst Du eine Spannung über mehrere Sätze, die am Ende aufgelöst wird.
Gut gemacht, nur das erste „Wegen Dad“ sollte raus – es deutet die Auflösung zu früh an.

So wäre die Wirkung stärker:
Wieso tue ich mir das an?
Weil Dad segelt. Weil Dad die Yacht gekauft hat nach der Scheidung.
Weil er das Haus verkauft hat und Segeln der einzige Weg ist, mit ihm zusammen zu sein.

Zitat:
Das ist er, der schwierige Moment, wo es passieren kann, daß man unter Wasser gedrückt wird, dass das Boot einen unter sich begräbt, dass man hinunter gedrückt wird, dann muss man tauchen, nein bitte nicht, dann muss man sich merken, wo oben und wo unten ist, alles sieht so verkehrt herum aus, das Boot liegt auf der Seite, der Rumpf ragt über mir auf, kommt auf mich zu, das Salzwasser brennt in den Augen, die Schuhe fühlen sich falsch an am Fuß, die Kleidung zieht nach unten, die Schwimmweste drückt gegen das Kinn…


Du möchtest hier die ganze Dramatik in einen Satz packen. Aber ich finde, der Satz ist überfrachtet, zu unübersichtlich.
Der Leser hat Mühe, das zu erfassen und dadurch ist der Effekt weg. Versuche, es gefälliger aufzusplitten.

Zitat:
Die Fähre läßt noch einmal das Horn ertönen, ein Gruß, eine Warnung, wir wissen es nicht, wir grinsen.
In meinem Bauch ist ein köstliches Kribbeln
Der Anfang gefällt mir sehr gut. Die Wirkung wird verwässert durch: „wir wissen es nicht, wir grinsen.“

So wäre es besser:
Die Fähre lässt noch einmal das Horn ertönen. Ein Gruß ? Eine Warnung?
Egal.
In meinem Bauch ist ein köstliches Kribbeln …

Gruß,
Carsten
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Fuchsia
Geschlecht:weiblichKlammeraffe
F

Alter: 47
Beiträge: 779



F
Beitrag25.01.2011 12:59

von Fuchsia
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Vielen Dank fürs Lesen und für eure Kommentare!

@ Rheinsberg: Ich freue mich sehr, daß dir der Text gefällt !

Mit einer Rückblende anzufangen ist evtl. tatsächlich nicht der beste Weg. Ich wollte damit zeigen, daß es sich um eine Erinnerung handelt; deswegen beginne ich im Präteritum und wechsele dann später, als es spannend wird ins Präsens – um die Spannung zu erhöhen und den Leser dichter in das Geschehen hineinzuziehen.
Das Präsens ist auf alle Fälle der richtige Ton; eher würde ich am Anfang auf die Vergangenheitsform verzichten, und alles im Präsens schreiben.
Oder würde eine einleitende Formulierung wie „Ich erinnere mich noch, daß die Sonne geschienen hat, als wir losfuhren….“ es besser machen?

@ Icre84U: Freut mich sehr, daß es auch dir gefällt, und das du meine Einschübe-Rückblende-Erinnerungsfetzen magst!

Der Vater:
Auch Seitenlinie /Carsten findet, ich sollte den Vater am Ende noch einmal thematisieren.
Letztendlich ist der Kampf der Ich-Erzählerin mit dem Boot ja auch ein Kampf mit dem Vater: Sie geht nur in den Segelkurs, um ihrem Vater näher sein zu können.
Das Boot kentert durch ihre Schuld, dadurch bringt sie sich und ihren Segelpartner Franzmann in Gefahr. Aber sie schafft es, sich aus eigener Kraft zurück in das Boot zu wuchten, und bringt das Boot aus der Fahrrinnne. Das gibt ihr ein gutes Gefühl, beinahe euphorisch, ein Adrenalinschub (muß ich das stärker klar machen?), der dazu führt, daß sie nun segeln „doch ganz gut findet“.
Der Vater wird dadurch für mich in dem Sinne wieder aufgegriffen, daß sie nun, mit einer neuen Einstellung zum Segeln sich auch ihrem Vater neu nähern kann (immerhin wartet eine Tour mit ihm in Anschluß an den Kurs:


Wenn ich meinen Schein gemacht habe, will er mich mitnehmen, auf große Tour, nach Dänemark, bis nach Kopenhagen. Die ganzen Sommerferien werde ich also auf einem Boot verbringen.

Im Schlußsatz „Segeln macht eigentlich doch Spaß“ liegt meiner Meinung nach nun das Versprechen auf eine gute Zeit mit ihrem Vater.
Ich möchte das eigentlich nicht noch genauer ausformulieren, in der Art von :“Abends erzählte ich die Geschichte meinem Vater und der war stolz auf mich“ ect.

Vielleicht könnte ich mir vorstellen, einen anderen Schlußsatz zu finden, in der Form von: „Ich weiß jetzt, warum mein Vater gerne segelt…“ oder :“Eigentlich macht segeln doch Spaß. Mein Dad wird stolz auf mich sein.“

Außerdem stören mich einige Zeilenbrüche, z.B.:"nicht unter das Boot zu geraten.
Mein Alptraum.
Unter das Boot geraten."
Besser: Mein Alptraum - unter das Boot geraten. (Du willst keine lange Pause zwischen den Sätzen und ­das Tempo rausnehmen - erst der Punkt und dann auch noch der Zeilenbruch - sondern den Zusammenhang aufzeigen und akzentuieren.)
Als Vorschlag: vielleicht auch der Gedanke, was genau ist der Alptraum daran, beschreibe die Vorstellung - die Panik.

Du hast recht, danke für den Hinweis.

@ Seitenlinie/Carsten:

Vielen Dank für das Lob, es bedeutet mir viel, vor allem aus deinem Munde!

Eure Kommentare helfen mir sehr, mich zu verbessern!


Fangen wir beim Schluss an. Der gefällt mir gar nicht. Vom Hass bis zur Begeisterung geht es zu schnell.
Die Crux mit den ersten Sätzen. „Ich hasse Segeln“ ist in der Tat eine harsche Aussage und vielleicht zu viel. Ich wollte aber nicht „Ich mag nicht segeln“ oder „Segeln macht keinen Spaß“ schreiben, das ist mir zu lau. „Ich hasse Segeln“ ist natürlich dagegen sehr reißerisch, soll ja aber zum Lesen anregen, mit einem „Knalleffekt beginnen“.
Vom echten Hass ginge es dann bis zur Begeisterung tatsächlich zu schnell.
Aber muß man hier nicht relativieren? Immerhin kommt die Aussage von einer Fünfzehnjährigen, die außerdem gerade in kaltem Ostseewasser schwimmt. Teenies ändern ihre Meinung mithin sehr schnell, bzw. sind schnell mal dabei, ihren Aussagen zu übertreiben.
Dennoch: die Wandlung kommt wohl zu schnell.


Aber immerhin kommt die Freude und Genugtuung bei dir rüber; ebenso wie das „Über sich hinauswachsen“. Und davon erzählt ja die Geschichte eigentlich ! Der Vater ist nur der Motor dahinter, das „need“. Aber in diesem kleinen Moment – dem „slice-of-life“- geht es darum, die Ängste zu besiegen und aus eigener Kraft eine Hürde zu meistern. Das Verhältnis zum Vater sind dann Zukunftsaussichten, die in dieser Geschichte nicht mehr erzählt werden sollen; wenn auch diese kleine Episode etwas im Verhältnis zum Vater ändert.
( Siehe auch meine Antwort an Icre84U)
 Sollte ich mich hier irren,( bitte belehrt mich!!)

Diese Geschichte würde ich auch im Präsenz erzählen. Doch Du mogelst Dich aus der kurzen Rückblende vom Präteritum
ins Präsenz. Das gefällt mir nicht, weil es nicht eindeutig genug ist.

Siehe Antwort an Rheinsberg oben.



Du bist zu schnell im dramatischen Teil. Der Leser ist noch gar nicht richtig drin im „Film“… er weiß nicht genau wo er ist,
kann sich die dramatische Szene nicht richtig vorstellen, kennt die Fachbegriffe nicht. Hier braucht es noch mehr Fingerspitzengefühl.
Der gefährliche Abschnitt ist mir dann zu lang, um die Spannung zu halten.

Hm, dir geht es zu schnell, Rheinsberg würde den Anfang kürzen und lieber die Geschichte früher anfangen lassen. Und der Spannende Abschnitt ist dir dann zu lang.
Ok, ich merke, es stimmt etwas mit der Gewichtung noch nicht!

Der Leser   kennt die Fachbegriffe nicht.

Ja, Fachbegriffe sind ein Problem. Ich dachte eigentlich, sie halten sich im Rahmen, oder sidn erklärt. Wichtig ist eigentlich auch nur der Fachbegriff „Hart am Wind“. Immerhin titelgebend: Es bedeutet, daß man sehr schnell fährt, mit erhöhtem Risiko umzukippen.
Die Ich-Erzählerin geht am Ende, trotz der Erlebnisse, wieder Hart an den Wind.
Das kleine Boot zischt davon und ich gehe wieder hart an den Wind.
Das ist so, als wäre man in vollem Galopp vom Pferd gefallen, steigt wieder auf und galoppiert weiter, anstatt erst einmal ein wenig langsamer zu reiten.
Diese Stelle sollte natürlich erkannt werden; vielleicht muß ich den Begriff erklären?

Vielleicht kannst Du einen Teil der Erklärungen vorziehen und die Klimax (extreme Steigerung / Höhepunkt) stärker zuspitzen.

Da bin ich mir uneins. Absicht war, gerade durch die Unterbrechungen Spannung zu erzeugen, indem man den Leser hinhält. Außerdem sollte es aufzeigen, wie die Gedanken der Ich-Erzählerin durcheinanderpurzeln, während sie im kalten Wasser hängt und sich eigentlich darauf konzentrieren sollte, in das Boot zu klettern.
Säuberlich die Gedanken von der Handlung zu trennen, also zuerst alles über Umstände und Hintergrund zu erzählen, und dann in die Action, das Treiben auf dem Wasser, einzusteigen, machte es meiner Meinung nach kaputt. Ich wollte gerade beides miteinander verweben.
Aber natürlich nehme ich zur Kenntnis, daß mir das wohl noch nicht souverän gelungen ist, danke für deine Meinung !

Abschließend noch ein paar Textbeispiele und Vorschläge:

Vielen Dank für deine Vorschläge, sie sind alle berechtigt und richtig und besser und ich werde sie übernehmen!


Ganz liebe Grüße an euch und vielen Dank, daß ihr euch die Zeit genommen habt, meinen Text zu kritisieren, ihr seid eine große Hilfe!

Herzlich
Fuchsia
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Fuchsia
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F
Beitrag25.01.2011 13:01
Zitieren ?!
von Fuchsia
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Sorry, habe noch einmal versucht, mit dem "Zitat"- Button zu arbeiten.
Funktioniert nicht  Mad

In dem Fenster, das man hat zum Antwort erstellen, ist der Zitat Button dann nicht mehr vorhanden....
Hilfe, wie macht man das, stehe auf dem Schlauch.
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seitenlinie
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Beiträge: 1829

Pokapro 2015


Beitrag25.01.2011 20:15

von seitenlinie
Antworten mit Zitat

Hallo Fuchsia,

Du hast Dich ja gründlich mit den Hinweisen beschäftigt.

Grundsätzlich wäre nichts gegen eine Rückblende zu sagen. So ist der Leser direkt im Geschehen.
Die Rückblende würde ich nicht in dem Moment einsetzen, wo die Lage so kritisch ist.
Vielleicht versuchst Du, das als Szene zu gestalten und im einfachen Präteritum zu halten.
Jetzt ist es ein innerer Monolog. Der Leser sollte Szenenwechsel und Zeitsprung erfassen können.

Du möchtest das Geschehen verdichten und gleichzeitig viele Informationen einstreuen.
Die Erzählerin befindet sich bereits in Gefahr - wir erfahren von ihrer Angst, dem Kampf
und gleichzeitig gibt es die ständigen Reflexionen. Dass Du das bewusst so gestaltest,
ist mir klar. Aber ich frage mich, ob der Effekt oder die Verwirrung größer ist.

Bei einem Film sieht man was geschieht. Trotzdem kommt es bei rasanten Szenen zu
Kameraeinstellungen, wo der Zuschauer leider nicht mehr weiß, was los ist.
Beim Lesen ist es viel schwieriger, das umzusetzen. Dann kommt hinzu, dass viele Leser
das Metier nicht kennen.

Deshalb habe ich mich gefragt, ob man es nicht so gestalten könnte, dass man zuerst den Leser
in die konkrete Situation einführt, die „Location“ beschreibt, die mögliche Gefahr darstellt
und sich dann in der Klimax auf ihre Angst, die Bedrohung und den Überlebenskampf konzentriert.

Auf den ersten Blick mag es langweiliger erscheinen. Die beabsichtigte Spannung verpufft
aber auch, wenn der Leser nicht mehr mitgenommen wird.

Der kleine Moment aus dem Leben der Protagonistin steht für weit mehr.
Der Leser bekommt den Hinweis auf die Hintergründe und den eigentlichen Konflikt. Da dieses Thema
in der Geschichte keine Rolle spielt, „vergisst“ er es wieder. Deshalb würde ich die tiefere Ebene
stärker betonen und in irgendeiner Form am Ende darauf zurückkommen.

Zitat:
Vielleicht könnte ich mir vorstellen, einen anderen Schlußsatz zu finden, in der Form von: „Ich weiß jetzt, warum mein Vater gerne segelt…“ oder :“Eigentlich macht segeln doch Spaß. Mein Dad wird stolz auf mich sein.“


Das wäre eine banale Verlegenheitsformel, finde ich.

Wirkungsvoller wäre ein Anstoß von außen, nicht von ihr selbst.
Ich hatte das Handy vorgeschlagen. Wenn Dir das nicht gefällt, könnte es z.B. eine Schluss-Szene oder einen
Epilog geben, wo sie ihren Vater triff.
Oder Du wählst eine Rahmenhandlung, dann erzählt sie die ganze Geschichte ihrem Dad.

Gruß,
Casten

PS: Das Häkchen bei BBCode entfernen, dann sollte es mit dem Zitat klappen.
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Fuchsia
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Alter: 47
Beiträge: 779



F
Beitrag31.01.2011 19:03
Leicht korrigierte Fassung
von Fuchsia
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Hart am Wind

Ich hasse segeln.
Den Wind, die Nässe, die Kälte … alles.
Als wir losfuhren, war es noch sonnig gewesen, doch dann hatten sich Wolken zusammengeballt und ein böiger, scharfer Wind hatte die Segel gefüllt, so dass das Boot schneller und schneller wurde. Wir zogen die Segel noch straffer, gingen hart an den Wind, und schossen aus dem flacheren Gewässer in Ufernähe bis über die Fahrwasserbegrenzung hinaus. Dabei legte sich das kleine Boot in eine so starke Neigung, dass wir uns weiter und weiter über den Rand hinauslehnen mussten, mit dem Hintern über dem Wasser. Unser Körpergewicht war das Einzige, das das Boot nun noch am Kentern hinderte…
Dann war plötzlich alles ganz schnell gegangen, ein falscher Schlenker von mir mit dem Ruder, und wir lagen im Wasser.
Der Schreck saß mir noch in den Gliedern.
Das kalte Ostseewasser schwappte mir ins Gesicht und ich hielt mich krampfhaft am Schwert fest, der haifischflossenartigen Verlängerung unterhalb des Bootes, das jetzt auf der Seite lag.
„Kletter rauf!“
Das war mein Segelpartner, „Franzmann“. So nannten ihn alle in der Segelschule, weil er nun mal Franzose war und nur gebrochen Deutsch konnte. Das war vielleicht nicht nett, aber weil ihn alle so nannten, nannte ich ihn auch so. Seinen richtigen Namen habe ich vergessen.
„Kletter rauf!“ Franzmann schwamm auf der anderen Seite des kleinen Segelbootes.
Das hatte ich gelernt, diese Woche erst, im Kentertraining in der Segelschule. Man muss auf das Schwert steigen, um das Boot mit dem eigenen Gewicht wieder zum Aufrichten zu bringen, während der Partner auf der anderen Seite reinklettert. Das ist gar nicht leicht, der Partner lässt sich beim Aufrichten in das Boot rollen, während derjenige am Schwert aufpassen muss, nicht unter das Boot zu geraten.
Unter das Boot geraten.
Mein Alptraum.
Ich hasse es, wenn mein Kopf unter Wasser gerät, dann verliere ich die Orientierung, weiß nicht mehr wo oben und wo unten ist und gerate in Panik. Ja, ja, ich weiß. Hat Angst vorm Tauchen, kann nicht richtig schwimmen und geht in eine Segelschule.
Wieso tue ich mir das an?
Weil Dad sich eine Yacht gekauft hat nach der Scheidung. Weil er seine Wochenenden auf dem Wasser verbringt.
Weil er das Haus verkauft hat und Segeln der einzige Weg ist, mit ihm zusammen zu sein. Wenn ich meinen Schein gemacht habe, will er mich mitnehmen, auf große Tour, nach Dänemark, bis nach Kopenhagen. Die ganzen Sommerferien werde ich also auf einem Boot verbringen.
Es ist immer noch kalt, das Wasser schwappt mir ins Gesicht und ich versuche mich auf das Schwert zu ziehen, wie ein Surfer aufs Surfbrett. Es ist rutschig, schmal und glatt. Die Schwimmweste hält mich oben, zum Glück, während meine vollgesogene Kleidung mich nach unten zieht. Is` nicht leicht, mit voller Kleidung zu schwimmen, glaubt mir. Probiert es mal. Fühlt sich komisch an.
Schwimmen mit Turnschuhen.
Ich ziehe mich auf das Schwert, mein Herz klopft. Aber das Boot richtet sich nicht wieder auf, ich bin zu leicht.
Wo ist Franzmann? Ich kann ihn nicht sehen.
„Franzmann?“
„Oui, mach… mach schnell. Fähre kommt!“
Fähre?
Ich seh mich um.
Wir sind im Fahrwasser gekentert, ausgerechnet.
Hier sollten wir eigentlich gar nicht sein, wir sollten da drüben bleiben, wo es flacher ist, wo der Steg ist und die Segelschule. Hier haben wir nichts zu suchen, hier ist der Berufsverkehr, hier ist es viele Meter tief, damit die großen Tanker durch können. Die Tanker und die Fähren nach Dänemark.
Das Fahrwasser ist breit, markiert durch grüne und rote Tonnen. Franzmann hat Recht. Die Fähre kommt. So groß wie eine Häuserwand schiebt sie sich auf uns zu.
Wie weit ist sie noch weg?
Entfernungen sind auf dem Wasser so schwer zu schätzen…
„Mach… die Fähre!“
Ja, ja, oh, scheiße. Mein Herz klopft schneller. Wie schnell wird die Fähre hier sein? Was, wenn sie uns nicht sieht? Wieso kippt das Ding nicht?
Ich liege auf dem Schwert, ich bin zu leicht, ich krieg` das Boot nicht zum aufrichten. Die Segel sind voller Wasser, mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich rutsche nach hinten, weiter weg vom Rumpf des Bootes, richte mich auf, versuche, das Schwert unter Wasser zu drücken, spüre, wie es gelingt, wie der Bootsrumpf langsam auf mich zu kippt…
Das ist er, der schwierige Moment, wo es passieren kann, dass man unter Wasser gedrückt wird. Dass das Boot einen unter sich begräbt, dass man hinunter gedrückt wird, in die Tiefe. Dann muss man tauchen. Nein, bitte nicht. Dann muss man durchblicken, wo oben und wo unten ist. Alles sieht so verkehrt herum aus, das Boot liegt auf der Seite, der Rumpf ragt über mir auf, kommt auf mich zu, das Salzwasser brennt in den Augen…
 „Achtung!“ Franzmann krallt sich an die Seite des Bootes. Ich muss mit meinem Gewicht sein Gewicht zusätzlich ausgleichen. Sein Gewicht und das der Segel, die im Wasser liegen. Aber das Schwert ist wie ein Hebel, deswegen funktioniert das trotzdem. Hebelgesetze. Hatte ich doch gerade in Physik. Habe aber kaum zugehört, hat mich nicht interessiert.
Ich bin fünfzehn.
Das Boot kippt, ich rutsche vom Schwert und paddele panisch vom Rumpf weg, als es sich klatschend wieder aufrichtet.
Jetzt kann ich Franzmann sehen, der sich wie ein nasser Sack über den Rand ins Boot wälzt.
Geschafft!
Aber der schwierige Teil kommt für mich noch.
Hastig strample ich mich zurück an das Boot heran, kralle mich an den Rand. Es ist so hoch! Wie soll ich da bloß rein kommen?
Die Fähre hupt, ein langer warnender Ton. Er bedeutet: aus dem Weg.
Sie kann nicht bremsen.
Wir müssen weg.
Panisch versucht Franzmann die Segel wieder flottzukriegen, die heftig im Wind schlagen.
 „Mach! Grouille-toi !“, keucht Franzmann, als das tiefe dunkle Warnhorn der Fähre ertönt. Aus dem Weg.
Ich versuche mich hochzuziehen, aber ich habe nicht genug Kraft. Franzmann will mir helfen, mich am Gürtel packen und hineinziehen, aber dabei bringt er das Boot fast wieder zum kentern. Hastig weicht er auf die Backbordseite zurück.
Er sieht mich an.
Was, wenn ich es nicht schaffe hineinzuklettern?, denken wir beide.
Meine Arme zittern, die Finger tun schon weh.
Franzmann hält die Taue fest, die wild in den Böen um sich schlagen. Die Segel knattern laut im Wind.
 „Du schaffen das. Komm!“
Franzmann sieht mich an. Es soll aufmunternd wirken, aber ich sehe die Angst in seinen Augen.
Die Fähre klingt jetzt ganz nah.
Irgendwo das Geräusch eines Motorbootes. Der Segellehrer, er hat bemerkt, daß wir in Schwierigkeiten stecken, aber so wie ich hier hänge, kann ich nicht sehen, wie weit er entfernt ist, oder die Fähre, kann nicht einschätzen, was ich jetzt tun soll. Hier warten und gar nichts tun? Warten, bis einer mich abholt? Schwimmen? Bin ich schneller, wenn ich schwimme?
Ganz bestimmt nicht.
Und Franzmann kann ohne mich nicht segeln, man braucht zwei Leute. Außerdem bin ich ein miserabler Schwimmer. Überhaupt bin ich unsportlich, kann nicht klettern, habe keine Kraft in den Armen, komme nicht in das Boot hinein.
Die Muskeln in meinen Armen zittern inzwischen, ich strample mit den Beinen, wühle das Wasser um mich auf. Mir ist kalt und wieder und wieder versuche ich, mich in das verdammte Boot zu ziehen.
Scheiß Segelkurs, Scheiß Boot, Scheiß Fähre, Scheißkaltes Ostseewasser!
Ich hüpfe auf und ab, um Schwung zu kriegen, ignoriere das ängstliche Gefühl im Magen, das mir sagt, dass da kein Boden unter meinen vollgesogenen Turnschuhen ist, sondern nur endlose kalte Tiefe, ignoriere das salzige Ostseewasser, dass mir ins Gesicht schwappt, ignoriere, dass meine Arme keine Kraft mehr haben, meine Nackenhaare sich vor Furcht aufstellen, weil ich spüre wie hinter mir sich eine Häuserwand aus Stahl näher schiebt mit einer Bugwelle, die das ganze Boot überspülen könnte. Ignoriere Franzmanns ängstliches Atmen und katapultiere mich mit aller Kraft, mit ganz viel Schwung so weit und so hoch, dass ich es schaffe den Oberkörper über die Kante zu ziehen, mich halb in das Boot zu schmeißen.
Franzmann reagiert zum Glück schnell und gleicht geschickt den Schwung aus.
Ich bringe einen Schwall Wasser mit, aber ich liege, liege im Boot!
Einen Moment brauche ich, um zu Atem zu kommen, doch auch wenn ich am ganzen Körper zittere, so helfe ich doch Franzmann sofort, die Segel wieder flott zu kriegen.
Ohne uns absprechen zu müssen, schnappt er sich die Vorschot und ich übernehme das Ruder. Ich stemme meine Füße gegen die Reling und ziehe die Segel an. Wir müssen uns nicht absprechen, so war die Aufteilung auch vorher. Trotz der Panne überlässt Franzmann mir weiterhin das Ruder.
Das Steuer wieder in der Hand zu haben, ist ein gutes Gefühl.
Ich gebe ein Kommando, weil ich jetzt aus dem Wind drehe, er nickt stumm, und mit einem Schlag knallt der Baum mit dem Hauptsegel zur Seite, wir ducken uns synchron unterdurch, und das Boot nimmt rasch an Geschwindigkeit auf.
Das kleine Boot zischt davon und ich gehe wieder hart an den Wind.
Ein Blick über die Schulter. Bloß weg hier.
Die Fähre lässt noch einmal das Horn ertönen. Ein Gruß? Eine Warnung? Wir wissen es nicht, wir grinsen.
In meinem Bauch ist ein köstliches Kribbeln, als wir aus der Fahrrinne schießen, das Motorboot des Segellehrers neben uns aufholt und der Lehrer hinüberruft, wütend, was wir im Fahrwasser zu suchen gehabt hätten. Das sei gefährlich, wir dürfen dort nicht hin. Doch Franzmann und ich antworten nichts, grinsen nur blöde. Nass und zitternd krallen wir uns mit klammen Fingern ans Ruder und an die Taue.

Eigentlich macht segeln doch Spaß.
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Pütchen
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Beitrag05.05.2013 05:23

von Pütchen
Antworten mit Zitat

Hallo Fuchsia,

ich weiß, eigentlich sollte man alte Geschichten nicht ausgraben, aber ich bin gerade zufällig über den Titel gestolpert und musste natürlich gleich reinlesen Very Happy

Ich habe mich köstlich amüsiert und mit großer Spannung mitgefiebert! Du hast es gut aufgebaut und sehr fesselnd beschrieben, ich hatte es bildlich vor Augen. Auch deine Prota war mir sehr sympathisch. Daumen hoch

Vielleicht hätte ich ein paar Erbsen - aber die sind es wirklich nicht wert (wenn du willst, suche ich sie dir natürlich raus). Tolle Geschichte, hat mir wirklich gut gefallen.

Liebe Grüße, Pütchen


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(Isaac Newton, 1642-1726)

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Fuchsia
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F
Beitrag06.05.2013 09:42

von Fuchsia
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Puh, äh, alten Kram hervorholen ...

bin erleichtert, dass es dir gefällt, ich trau`mich selbst jetzt gar nicht noch einmal durchzulesen, bin sicher, dass man das besser machen kann und meine Verbesserungsversuche damals waren glaueb ich marginal ...  Rolling Eyes Da würde ich heute radikaler rangehen.

Danke fürs Lesen und fürs Lob hinterlassen.
Aber jetzt kann die Geschichte gerne wieder in der Versenkung verschwinden.  Wink
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