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Schreiben - Mittel zum Zweck oder Selbstzweck?

 
 
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nemesus
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 49
Beiträge: 23
Wohnort: Berlin


Beitrag23.01.2011 13:34
Schreiben - Mittel zum Zweck oder Selbstzweck?
von nemesus
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Liebe Leser dieses Forums,

manchmal scheint es mir, als sei ich der einzige Mensch auf diesem Planeten. Dementsprechend ist für mich das Schreiben eher Mittel zu diversen Zwecken als Selbstzweck. Ich hatte in meinem bisherigen Leben nur sehr wenige Gesprächspartner, bei denen ich mich wirklich gut aufgehoben fühlte. Zu allem Überfluss musste ich feststellen, dass selbst diese mit der Zeit immer weniger wurden. Ich erinnere mich an Gespräche, die mit der Abenddämmerung begannen und am nächsten Morgen noch lange nicht abgeschlossen waren. Treffe ich heute auf sie, scheinen alle Erinnerungen an die damaligen Inhalte ausgelöscht.
Lerne ich "neue" Menschen kennen, fällt mir oft auf, dass sie sich an bestimmte Aussagen von mir schon wenig später nicht mehr erinnern können. Die Steigerung ist dann, wenn ich darauf hinweisen muss, dass sich meine Gesprächspartner nicht mehr daran erinnern können, was sie selbst von sich gaben.

Meine Beobachtungen in diesem Bereich zeigen mir, dass es gewisse "Schlüsselsätze" gibt. z.B. :"Bin ma´schwanger", "Hab ´nen neuen Partner." oder "Bin ma´ heiraten."
In diesen Momenten geht meistens meine Phantasie mit mir durch. Ein imaginärer Cowboy mit tiefer Stimme und finsterem Blick sagt langsam und bedeutungsschwer:"Und sie waren nie mehr gesehen." - Dann verschwindet er wieder. - Meistens hat der Cowboy Recht. Sehe ich sie dennoch wieder, ist das für mich eher traumatisch. Mein Eindruck: Keine Tiefe, kein Charme, kein Inhalt außer dem von Windeln. Und natürlich werden sie nicht müde, mir weitere Einzelheiten des Papa+Mama-Daseins zu vermitteln.

Meine Motive, zu schreiben lassen sich somit in zwei Punkte quetschen:
1) Ich habe eine wahnsinnige Angst davor, selbst zu verfallen, abzustumpfen, nicht mehr intensiv zu fühlen, banal zu werden.
2) Ich habe Sehnsucht und gebe mich der Hoffnung hin, irgendwann durch mein Schreiben Menschen kennen zu lernen, bei denen ich mich wieder wohl fühle.

Meine Fragen Euch:
Bin ich wirklich alleine auf dem Planeten oder findet Ihr Euch wenigstens teilweise in diesem Post wieder?

Welche Motive habt Ihr zu schreiben?

Habt Ihr die selben Ängste wie ich?

Machtet Ihr ähnliche Beobachtungen wie ich?

Und wenn Ihr schreibt... Fragt Ihr Euch auch manchmal, ob der imaginäre Leser sich noch an Seite 2 erinnert, wenn er auf Seite 4 angekommen ist?

Lieben Gruß,
nemesus
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Miranda Juni
Geschlecht:weiblichWortedrechsler


Beiträge: 55



Beitrag23.01.2011 14:46

von Miranda Juni
Antworten mit Zitat

Lieber Nemesus,

da ich auch dazu zähle muss ich die jungen Eltern verteidigen: Kleine Kinder haben die Eigenschaft einen vollständig zu vereinnahmen. Vor allem in der ersten Zeit, aber irgendwann wird das besser.

Aber zum Thema: Wie ich dich verstehe, meinst du nicht, dass die Leute, mit denen du tiefsinnige Gespräche geführt hast plötzlich vollkommen oberflächlich geworden sind, sondern eher, dass ihr Wesen unter einer Schicht - für dich oberflächlicher Dinge - verschüttet ist.

Was das Schreiben betrifft mag das stimmen. Meine Beobachtung ist auch, dass es viele schreibende Schüler/Studenten und dann Senioren gibt. Die Menschen in der Lebensmitte sind oft mit Familie und/oder Job beschäftigt. (Wenn es nicht professionelle Schriftsteller sind.)
Es ist eben schwer sich Zeit (und Energie) für künstlerische Dinge zu reservieren.

Meine Motive zu schreiben: Ich mag Geschichten, ich lese sie gerne und ich möchte, dass es noch mehr davon gibt. Es geht um den Versuch die Welt zu ordnen und das Streben aller Kunst nach Schönheit. Ich möchte etwas schaffen, von dem ich (oder Andere) sagen können: Es ist richtig. Da das ein praktisch unerreichbares Ziel ist, mache ich immer weiter.

Ob sich der Leser auf Seite 4 noch an Seite 2 erinnert? Detailwissen ist mir nicht wichtig, ich möchte ein Gefühl zurücklassen oder vielleicht ein kleines Häkchen im Bewusstsein. Ich denke nicht, dass ich die am besten gebildete Autorin der Welt bin, darum habe ich auch nicht den Anspruch, zitiert zu werden.

LG,
Anda
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Canyamel
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 350
Wohnort: Saargemünd


Beitrag23.01.2011 15:20

von Canyamel
Antworten mit Zitat

Ich kann verstehen, was Du meinst, nemesus.

Aber was Miranda Juni über Menschen mit Familie sagt, stimmt einfach. Kleine Kinder sorgen (zum Glück) für eine emotionale Kurskorrektur bei den meisten Eltern. Sie geben unheimlich viel, sind aber eben auch wie kleine Vampire, die ständig Energie saugen. Sie verlangen nach Aufmerksamkeit und Sensibilität, denn Kinder kommunizieren über Gefühle. Nicht zuletzt deshalb konzentrieren Eltern ihre Emotionen auf den Nachwuchs, für mehr fehlt dann oft halt auch einfach die Kraft.

Was das Schreiben angeht, dafür brauche ich auch die Tiefe, die Sensibilität. Aber im alltäglichen Leben will ich sie nicht ständig als solche empfinden. Ganz ehrlich, Oberflächigkeit kann auch gut sein, als Schutz für mich und meine Gefühle, meine Gedanken. Ich genieße anspruchsvolle Gespräche mit Familie und Freunden bei einem Glas Wein und gutem Essen, aber genau so genieße ich auch manchmal den Small Talk auf einer Party von Geschäftsfreunden.

Anders ausgedrückt:

Wenn ich sechs Stunden lang an einer Szene geschrieben habe, in der sich zwei als Kinder missbrauchte Menschen auf das Rollenspiel einer Luxus-Sexagentur einlassen, um als Surfer und Meerjungfrau verkleidet in einer künstlichen Poollandschaft ihre gescheiterte Beziehung zu retten, dabei jede Menge Drogen und Alkohol konsumieren und sich am Ende fast gegenseitig umbringen, dann bin ich fix und fertig.

Dann will ich keine tiefgreifenden Gespräche mehr, dann reicht mir ein Bier und das Dschungelcamp, und ich bin glücklich!

VG

Canya


_________________
Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur die langweilige nicht. (Voltaire)
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nemesus
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 49
Beiträge: 23
Wohnort: Berlin


Beitrag23.01.2011 18:24
re:
von nemesus
pdf-Datei Antworten mit Zitat

@Miranda Juni

Zitat:
Wie ich dich verstehe, meinst du nicht, dass die Leute, mit denen du tiefsinnige Gespräche geführt hast plötzlich vollkommen oberflächlich geworden sind, sondern eher, dass ihr Wesen unter einer Schicht - für dich oberflächlicher Dinge - verschüttet ist.


Das würde ich sehr gerne glauben, bedeutete es doch, man könne die Tiefe "reanimieren". Leider gibt es immer mehr Indizien, die mich daran zweifeln lassen. Mit anderen Worten: Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. - Aber natürlich hoffe ich und vielleicht hast Du diese Hoffnung aus meinem ersten Post gelesen.

@Miranda Juni + Canyamel:
Eure Worte über Nachwuchs und Familie klingen bei Euch so selbstverständlich. Es ist genau diese Selbstverständlichkeit, die ich schon oft gesehen habe und die mich immer wieder verunsichert und zutiefst verwundert. Ich fühle mich fremd, wenn ich das hören, denn ich glaubte immer daran, dass es sinnvoll wäre, Dinge zu hinterfragen, selbst oder gerade wenn sie als "ganz normal" gelten.

Habt Ihr Euch, bevor Ihr "Eltern" wurdet und "Familie" gründetet, nie gefragt ob die "Familienstruktur", wie wir sie heute (und seit über 1000 Jahren) kennen,  tatsächlich das einzig "WAHRE" ist?
Es muss doch eine Zeit gegeben haben, in der Ihr weder Ehe noch Kinder hattet. Und wenn meine Beobachtungen richtig sind, müssen damals junge Eltern auf Euch halbwegs so erschreckend gewirkt haben, wie sie heute auf mich wirken. Und wenn Ihr keine kanntet, dann müsstet Ihr doch wenigstens an Eure Eltern gedacht haben, oder nicht?

Kam Euch nie der Gedanke, dass Dinge, wie der Wegfall von Freunden und das "Abdriften" ins Banale, vielleicht gar nicht an den Kindern liegen, die die Eltern vereinnahmen, sondern daran, dass das "Konzept Familie" schwere "Systemfehler" aufweist?

Ich meine, wenn die römisch katholische Kirche vorschreibt, dass ihre Priester im Zölibat leben müssen, wundere ich mich nicht, wenn Messdiener nicht nur in der Messe dienen müssen.

Wenn ich von Seitensprung-Agenturen, der Scheidungsrate, Bordellen, dem nicht vorhandenen Charme eines Ehevertrages und der Tatsache weiß, dass in Ehen mehr gelogen wird als beim Finanzamt (Studie der Zeitschrift Psychology Today), wundere ich mich nicht über das Ausbleiben von tiefen Gesprächen.

Und wenn ich weiß, dass Kinder im Alter von 2 Jahren doppelt so viele Synapsen im Kopf haben, wie ihre Eltern, ist es für mich kein Wunder, dass 2 "Erziehende" , die es mit einem Kleinkind zu haben, völlig überfordert sind und alleine von der Anzahl eigentlich nicht reichen können.

Wo sind die Menschen, die Alternativen leben, danach suchen oder zumindest Zweifel haben?

Gruß,
nemesus
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Wirbi
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 41
Beiträge: 232
Wohnort: Dinslaken


Beitrag23.01.2011 19:26

von Wirbi
Antworten mit Zitat

Ich muss sagen, dass ich mich in deinem Post teilweise wiederfinden kann.

Schreiben ist für mich eine Methode, mit diesen Problemen klarzukommen.
Meine allergrößte Angst ist die Angst vor Veränderung, brrr, das ist richtig beklemmend. Ich kann es nicht ausstehen, wenn sich Dinge verändern, ich trauere immer alten Zeiten nach.  Geschriebenes bleibt, und deshalb mag ich es.
Als meine Schwester geheiratet hat und ihr Kind bekommen hat, ist sie für mich als Freundin auch weggefallen. Es ist genau das, was du beschrieben hast. Sie ist mir entglitten, einfach weg. Klar, ich sehe sie immernoch regelmäßig, aber die Gesprächsbasis ist komplett weg. Sie ist mir fremd. Und ich selbst komme mir auch wie ein Alien vor unter all den Menschen, die ihr Glück in der Familie finden. Ich gebe zu, ich möchte keine Kinder. Niemals. Ich möchte nicht mein ganzes Leben dafür opfern, weil ich viel zu gerne spontan bin, mich mit (Gott sei Dank kinderlosen) Freunden treffe, meine Ruhe habe. Und mich natürlich stundenlang wegschließe, um zu schreiben. Darin finde ich Ruhe und Erfüllung. Alles um mich herum wandelt sich, nur ich weigere mich irgendwie vehement. Da bleibt es nicht aus, dass einem die Freunde aus den Händen gleiten.
Mir ist bewusst, dass es diese Welt in dieser Form nicht gäbe, wenn alle Menschen so denken würden wie ich. Dann würde es mich selbst ja auch nicht geben. Trotzdem kann ich mich mit diesem Lebensmodell nicht anfreunden, es passt einfach nicht zu mir. Dagegen kann ich einfach nichts machen. Habe mir oft gewünscht, so zu sein wie alle anderen, nur um nicht unglücklich zu sein. Aber es funktioniert leider einfach nicht.
Ich bin gerade noch dabei zu lernen, das zu akzeptieren.
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nemesus
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 49
Beiträge: 23
Wohnort: Berlin


Beitrag23.01.2011 21:02
5 Jahre Stockholm?
von nemesus
pdf-Datei Antworten mit Zitat

@Wirbi:
Schön, dass Du mir geschrieben hast. Ich bin dankbar für jeden Hoffnungsschimmer.

Der Verlust von Menschen ist sicher ein guter Antrieb zu schreiben. Aber Antrieb ist eine Sache, die Ausrichtung und Blockaden ganz andere.

Du schreibst, Du bist gerade dabei, zu lernen, wie Du die geschilderten Umständen akzeptieren kannst.

Bist Du sicher, dass diese Tätigkeit nicht genau in die Falle führt, die Du bisher umgehen konntest?

Diverse Aussagen Deines Posts scheinen mir zu pauschal andere naiv.
Ich bin mir zum Beispiel ziemlich sicher, dass Du die Veränderung, wieder persönlicher mit Deiner Schwester reden zu können, begrüßen würdest. Du hättest keine Angst davor sondern scheinst mir, geprägt durch Deine Erfahrungen, nur deshalb Angst vor Veränderungen zu haben, weil es Dir wahrscheinlicher scheint, dass Veränderungen "schlecht" ausgehen werden.
Und um ein Beispiel für das zu nennen, was ich naiv nenne: Du schreibst, dass viele Menschen in Familien ihr Glück finden würden. Was auch immer sie Dir erzählen, sie suchen lediglich nach Glück und wollen das Unglück ausblenden. Das ist "menschlich", macht es aber nicht besser. - Wenn es doch wenigstens eine bewusste Lüge wäre.


Das Gespann Leary/Wilson entwickelte in den 1960er Jahren einige neue Termini der Psychologie. Unter anderem waren das die Begriffe "Realitätstunnel", "Prägungsempfindlichkeit", "Neophilie", "Neophobie" und "Stockholm-Syndrom".

Die Idee war, dass Kinder von ihrem 0 - 5 Lebensjahr die höchste Prägungsempfindlichkeit aufweisen. Das Kind passt seine Sicht auf Realität oder seinen Realitätstunnel den Eltern an, weil es intuitiv merkt, dass sein Überleben am Wohlwollen der Eltern hängt. (Alice Miller kam übrigens in den 1980ern auf ganz ähnliche Ideen.)

Je nachdem, was uns traumatisierte, werden wir "das Neue liebend" oder "das Neue abstoßend."
Letztendlich gibt es auch nach dem 5. Lebensjahr die Möglichkeit, die Prägungsempfindlichkeit kurz zu erhöhen und so dem alten Realitätstunnel zu entkommen, um einen neuen zu bauen oder den alten zu erweitern, damit unser Leben besser geschützt ist.

Als in Stockholm ein Flugzeug gehijackt wurde, begannen die Passagiere sich nach kurzer Zeit auf die Seite der Entführer zu stellen.

In der Psychologie nach Leary und Wilson sieht das dann so aus: Die Situation an Board wich von der gewohnten ab. Also musste ein Realitätstunnel her, der ein besseres Überleben sicherstellte. Die Prägungsempfindlichkeit war hoch. Und durch den Einfluss der Geiselnehmer wurde der Realitätstunnel der Opfer neu geprägt.

Ich schreibe Dir das in dieser Ausführlichkeit, weil aus diesem Wissen eine weitere meiner "Schreibblockaden" resultiert.  

Die meisten von uns hatten das zweifelhafte Glück in typischen Familien aufzuwachsen, und zwar in den Jahren, in denen ihre Prägungsempfindlichkeit am größten war. (W. Reich vermutete in konventionellen Familien übrigens den Ursprung zu faschistoiden Tendenzen.)

Für Menschen gibt es meistens eine kleine zweite Chance in der Pubertät und/oder Adoleszenz. Hier sind es die Hormone, die die Prägungsempfindlichkeit kurzzeitig erhöhen. Doch die meisten fallen wieder zurück, nachdem der hormonelle Treibstoff verbraucht ist. Die Anziehung an die Vergangenheit und auch an die Norm ist zu hoch. - Vielleicht sind es zu viele Menschen, die lernen, all das zu akzeptieren.

Wenn ich denn irgendwann ein Buch über das Thema schreibe... Kann ich wirklich davon ausgehen, dass es irgendjemanden gibt, der diese Ideen nicht nur versteht, sondern sie auch auf sich anwendet?

In diesem Thread gab es bisher Deine Antwort und zwei weitere von Eltern. Beide Eltern hatten das Anliegen, Eltern zu verteidigen.
Kleine Kinder nehmen immer ihre Eltern in Schutz. Sie würden eher sich die Schuld geben als allen anderen. Und dieser Wahnsinn wird von Generation zu Generation weiter getragen und ist meist ein Leben lang aktiv.

Glaubst Du, dass Schreiben dennoch etwas bewirken kann?
Ich möchte es glauben. Aber wenn ich ehrlich bin, fällt mir im Moment nur nichts besseres ein.

Mit meinen besten Wünschen,
nemesus
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Canyamel
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Beitrag24.01.2011 00:17
Re: re:
von Canyamel
Antworten mit Zitat

nemesus hat Folgendes geschrieben:
Habt Ihr Euch, bevor Ihr "Eltern" wurdet und "Familie" gründetet, nie gefragt ob die "Familienstruktur", wie wir sie heute (und seit über 1000 Jahren) kennen,  tatsächlich das einzig "WAHRE" ist?
Es muss doch eine Zeit gegeben haben, in der Ihr weder Ehe noch Kinder hattet. Und wenn meine Beobachtungen richtig sind, müssen damals junge Eltern auf Euch halbwegs so erschreckend gewirkt haben, wie sie heute auf mich wirken. Und wenn Ihr keine kanntet, dann müsstet Ihr doch wenigstens an Eure Eltern gedacht haben, oder nicht?


Ja, es gab eine Zeit, in der Familie für mich kein funktionierendes Modell war. Aber was bringt es mir, wenn ich mein Familienbild an meiner Kindheit festmache? An endlosen Alpträumen und Pissflecken in Bettlaken? An das Einschlafen während der Schulstunden? An das Gefühl, nie irgendwo dazu zu gehören, während draußen die anderen Kinder spielen und sich zu normalen Jugendlichen entwickeln?

Auch meine Prägung in Bezug auf Familie ist negativ, und natürlich habe auch ich mich mal lustig gemacht über Klassenkameraden, die mit zwanzig glücklich Vater oder Mutter wurden und mit fünfundzwanzig unglücklich geschieden waren. Die eigene Erfahrung war negativ, die bei anderen beobachtete auch. Aber all das ändert sich in dem Moment, in dem man einen Menschen kennen lernt, den man wirklich liebt. Liebe entsteht aus Vertrauen, aber im Grunde ist es emotionale Magie. Und wenn aus dieser Magie eine eigene neue Familie entsteht, dann ist das etwas Wunderschönes. Und wenn sie scheitert, dann scheitert sie. Liebe ist vergänglich, wenn man sich ihrer nicht ständig bewusst ist. Es ist sehr schwer, jemand zu lieben und noch schwerer, eine funktionierende Beziehung zu führen, die mehr als ein paar Jahre überdauert. Aber ich glaube, dass es möglich ist. Und deshalb glaube ich auch an das Modell der Familie. Dass Egoismus, Sprachlosigkeit und mangelnde Empathie die größten Feinde der Menschheit sind, unterschreibe ich sofort. Aber Menschen sind einfach so. Die Psychologen können tausend kluge Modelle bauen, letztendlich dreht sich alles um Anerkennung, Geborgenheit und Fortpflanzung.

nemesus hat Folgendes geschrieben:
Kam Euch nie der Gedanke, dass Dinge, wie der Wegfall von Freunden und das "Abdriften" ins Banale, vielleicht gar nicht an den Kindern liegen, die die Eltern vereinnahmen, sondern daran, dass das "Konzept Familie" schwere "Systemfehler" aufweist?


Ich glaube, der Systemfehler liegt nicht in der Familie, sondern im unfertigen Menschen selbst. Ein Kind hat eine unglaubliche Phantasie, ist hochsensibel, jedes Erlebnis hinterlässt einen Fingerabdruck auf seiner Seele. Gleichzeitig spürt das Kind von dem Moment an, da es auf der Welt ist, seine Hilflosigkeit. Und irgendwo in diesem Gegensatz zwischen erfahrener Wehrlosigkeit und emotionaler Intelligenz und Phantasie steht der Altar, auf dem unzählige Kinderseelen geopfert werden. In gewissem Sinne ist der Mensch als logisch denkendes Wesen einer Fehlkonstruktion von Kindheit ausgesetzt, die ihn emotional in jeder Sekunde zu überfordern droht. Aber ich sehe keine Möglichkeit, wie dieses Problem zu lösen ist. Was soll anstelle von Eltern stehen? Der Staat? Nee, jeder der Kinder hat, kann nur versuchen, sie an der Hand zu nehmen und so behutsam wie möglich durch die verwundbarste Zeit zu begleiten und ihnen Stärke, Zuversicht und Liebe zu vermitteln. Es gibt niemand außer den Eltern, der das tun kann.

Übrigens schreibe ich genau aus oben genannten Gründen so gerne. Das Leben ist eine Aneinanderreihung von glücklichen und brutalen Momenten, die es verdienen, künstlerisch verarbeitet zu werden. Ich bin nicht interessiert an hochtrabender Philosophie, ich versuche hinter die Szenen des Alltags zu schauen, den Schmerz, die Angst, die Einsamkeit, aber auch die Freude und die Orgasmen des Lebens. Anders kann ich es nicht ausdrücken.


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nemesus
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Beitrag24.01.2011 11:28
re:
von nemesus
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Zitat:

Ich glaube, der Systemfehler liegt nicht in der Familie, sondern im unfertigen Menschen selbst.


Alice Miller kam übrigens zu dem Schluss, dass Kinder die fertigen und Eltern die nicht mehr richtig tickenden Menschen sind. Dies ähnelt diversen Aussagen S. Freuds, bevor er, aus Angst vor Konsequenzen, seine Texte komplett änderte.

Und was das Glauben anbelangt:
Priester, die krank werden, belassen es nicht beim Beten, sie gehen zum Arzt. - Und jede Kirche auf diesem Planeten hat einen Blitzableiter.
Worauf ich hinaus möchte: Es wäre ein riesiger Fortschritt der Menschheit, wenn jeder das Wissen anwenden würde, was heute zur Verfügung steht, anstatt "einfach mal" zu glauben.

Was mich dazu bringt, ein kleines Wissensfragment  einzuwerfen:

Zitat:

...Monogamie (Einehe) ist ein so unnatürlicher und der menschlichen Natur so fremder Zustand, dass es beinahe unmöglich ist, in der gesamten Geschichte der Menschheit eine Zivilisation zu finden, die sie in einem so engen Sinne praktiziert, wie wir sie predigen - obwohl auch wir keineswegs praktizieren, was wir predigen. ...Es ist unmöglich, sich mit diesen Zahlen zu beschäftigen, ohne zu dem Schluss zu kommen, dass sexuelle Monogamie biologisch ungesund ist...


Diese Worte stammen von Dr. Med. B. Bross, Vorsitzende, des "Human Area Projects" der Yale-Universität aus den 2000ern. handelt es sich um den bislang einzigen Versuch, die sexuellen Gewohnheiten einer gesamten Geschichtsperiode zu erforschen. Von 185 untersuchten Gesellschaften erwiesen sich lediglich 9 als strikt monogam. Weniger als 5% aller untersuchten Gesellschaften verboten den Männern außerehelichen Sex.

Zitat:

Das Leben ist eine Aneinanderreihung von glücklichen und brutalen Momenten, die es verdienen, künstlerisch verarbeitet zu werden. Ich bin nicht interessiert an hochtrabender Philosophie, ich versuche hinter die Szenen des Alltags zu schauen, den Schmerz, die Angst, die Einsamkeit, aber auch die Freude und die Orgasmen des Lebens.


Wenn ich das richtig verstehe, setzt Du also mehr auf die Kreativität, die wahren Stories und die Wortkunst des Schriftstellers? Hier ein paar Stories, die das Leben schrieben:
In den 1980er Jahren entwickelte sich die "Polyamory-Bewegung." Ihre grundlegende Haltung besteht in der Idee, dass Ehe nicht zwangsläufig der einzige Weg zum Glück sein müsse. Stattdessen sei es möglich, mehrere romantische Beziehungen gleichzeitig zu führen, und zwar im Wissen und gegenseitigem Einverständnis aller Beteiligten.
Die Queer-Theorie stellt die Frage, inwiefern unsere sexuellen Vorlieben, unser Glauben und unsere sexuelle Ausrichtung Resultat der Prägung sind und achtet dabei auch auf den Kontext, wie Worte verwendet werden.

Gegenständlicher: "Mein Haus, mein Hund, mein Kind, meine Frau." -  Mein und Dein sind besitzanzeigende Für-Worte. Und so ein ganz klein wenig könnte man den Ehering auch als Überbleibsel von Keuschheitsgürteln und Beschneidungs-Ritualen ansehen.

In Anbetracht meines Posts ist es unmöglich, davon zu reden, dass es keine Alternative zur Familienstruktur gäbe. - Und das BESTE:  Wir brauchen weder einen Staat dafür, noch eine Kirche. Eigentlich bräuchten wir nicht einmal Wissen, sondern die Kreativität und den Mut, etwas anders zu machen, als die Eltern, deren Eltern und deren Großeltern.

Wo ist denn da auch der Fortschritt?

In diesem Sinne:
nemesus

"The path of excess leads to the tower of wisdom." William Blake
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Roydarren73
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Beitrag24.01.2011 12:11

von Roydarren73
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Canyamel :

" Ich glaube, der Systemfehler liegt nicht in der Familie, sondern im unfertigen Menschen selbst. "

 Shocked

Amüsant. Da hat Gott wieder mal schlecht gewürfelt...


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"Der Anfang von allem, also der Urknall, fand wohl in völliger Dunkelheit statt, da Licht ja noch nicht existierte."

- Stephen Hawking -
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Wirbi
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Beitrag24.01.2011 15:37

von Wirbi
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Danke für deine Ausführliche Antwort.
Aber ich bin ja nun nicht hier, um mir psychologischen Beistand zu suchen Wink Ich wollte nur generell sagen, dass du nicht allein bist mit solchen Problemen.
Ob Schreiben jetzt eine Art Selbsttherapie ist oder nicht - darüber habe ich mir vor meinem ersten Post gar keine Gedanken gemacht. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, hat es mir vielleicht geholfen, meine Probleme zu "umgehen". Für mich war das immer etwas Selbstverständliches. Es war jedenfalls keine bewusste Entscheidung.

Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich dazu neige, mich in mein Schicksal zu fügen, es einfach zu ertragen. Deshalb habe ich auch nie den Versuch unternommen, mit meiner Schwester wieder mehr Kontakt zu haben. Ich akzeptiere Dinge lieber, als sie zu ändern. Ich weiß selbst, dass das nicht immer der richtige Weg ist, wohl aber der bequemste
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nemesus
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Beitrag26.01.2011 06:15
re: Wirbi
von nemesus
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Nicht jeder bequeme Weg führt zu einem gemütlichen Ziel.

Ich versuche lieber falsche Dinge zu ändern, anstatt sie zu akzeptieren. Allerdings bin noch immer sehr ratlos, wie ich das "Richtige" tun kann.
Ich habe schon vieles versucht. Doch bisher, so aufrichtig muss ich mir selbst gegenüber sein, haben alle meine Anstrengungen nie zu zufriedenstellenden Ergebnissen geführt.

Aber noch gebe nicht auf.

Gruß,
N.
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Wirbi
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Beitrag27.01.2011 21:22

von Wirbi
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Also liege ich doch gar nicht so falsch mit meiner Strategie: ich habe ohne Anstrengungen dasselbe Resultat erzielt, nämlich nichts. Nun, das ist wahrscheinlich jetzt so etwas wie Galgenhumor.
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nemesus
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Beitrag28.01.2011 13:49
re: Wirbi
von nemesus
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Ich sprach davon, mit meinen (vorhandenen) Ergebnissen nicht zufrieden zu sein. Inwiefern ein Mensch mit seinen Leistungen zufrieden ist, hängt maßgeblich davon ab, wie hart er mit sich ins Gericht geht. Und wenn ich mir den Spaß mache, meine Maßstäbe auf Deinen Kommentar anzuwenden, kommt in etwa folgendes dabei heraus:

"Also liege ich doch gar nicht so falsch mit meiner Strategie" = Wunsch nach Bestätigung bzw. Selbstbestätigung.

"ich habe ohne Anstrengungen dasselbe Resultat erzielt, nämlich nichts." = Versuch der Gleichsetzung von Ungleichheit.

"Nun, das ist wahrscheinlich jetzt so etwas wie Galgenhumor." = Oder die Manifestation des Wunsches, nicht genauer hinzusehen, weil es zu sehr schmerzen würde.

Die "Anstrengung" besteht zum Großteil darin, sich der Masse entgegenzustellen, anstatt ihr blind zu folgen. Die Masse wird mit jedem Mitläufer größer.

Wohin mangelnde Zivilcourage führen kann, zeigen folgende Beispiele:
http://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment
http://de.wikipedia.org/wiki/Stanford-Prison-Experiment
http://de.wikipedia.org/wiki/The_Third_Wave
Und nein, diese Beispiele gehören noch lange nicht zur Spitze des Eisbergs.

Gruß,
nemi
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SIH
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Beiträge: 254



Beitrag28.01.2011 14:14

von SIH
Antworten mit Zitat

Zitat:
manchmal scheint es mir, als sei ich der einzige Mensch auf diesem Planeten


Manchmal reicht es, die Position zu ändern, um besser zu sehen Wink
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nemesus
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Beitrag28.01.2011 14:35
re: sih
von nemesus
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Zitat:
Manchmal reicht es, die Position zu ändern, um besser zu sehen


... Oder nicht mehr zu sehen.  Schlafen
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SIH
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Beiträge: 254



Beitrag28.01.2011 14:37

von SIH
Antworten mit Zitat

Ja, das kann passieren
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