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Ich krieg euch alle


 
 
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sleepless_lives
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Beitrag19.01.2011 14:12
Ich krieg euch alle
von sleepless_lives
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Diese Geschichte war ein Beitrag zum DSFo-Weihnachtskalender, aber ich brauch, glaub ich, doch ein bisschen Feedback, um zu sehen, wieviel von dem, was ich mir gedacht habe, tatsächlich beim Leser ankommt. Ich stell das brav in kleinen Stücken hier ein, wer schon weiß, wie es weitergeht, verrät halt nix.




Ich krieg euch alle


Noch zwei Tage bis Weihnachten. Nach dem Sturm gestern ist alles mit einer feinen rötlichen Staubschicht bedeckt. Die Zickaden machen einen Höllenlärm und am liebsten würde man sich überhaupt nicht bewegen, so heiß ist es, selbst hier im Schatten in der Scheune. Durch die Spalten zwischen den Brettern sehe ich John, unseren Nachbarn vom Sutherland-Hof, ein paar Kilometer Richtung Kirralooware. Er ist zurückgekommen, das Gewehr, mit dem er Kängurus jagt, in der Hand. Vor einer halben Stunde war er schon einmal da, ohne Gewehr, wollte Lissy mitnehmen, seine Frau, die kurz vorher mit ihrem alten, rostigen Holden bei uns aufgetaucht war. Eine Freundin von Mutter. Vater ist zu ihm herausgegangen und hat John nicht ins Haus gelassen. John hat geschrien und geflucht. Dann ist er wieder abgezogen. Etwas war passiert mit Lissy, aber Mutter wollte mir nicht sagen was genau. Sie meinte nur, dass sie Lissy zum Arzt bringen würde, und redete auf Vater ein, zur Polizei zu gehen. Bevor die drei sich in Vaters blauen Ute setzten, sagte Mutter zu mir: »Pass auf die anderen auf. Großvater wird nachmittags etwas schläfrig.«

Wir hatten die ganze Bande hier, Sue, Michael, Jen, Lischen, Lukas, und natürlich meine Schwestern Emilia und Anne. Emilia hat mit den Kleinen »Markt« gespielt, mit all den leeren Einmachgläsern, die wir im oberen Küchenregal hatten finden können. Ich hab mit Lukas versucht, sein Fahrrad zu reparieren. Dann hab ich Johns Auto gehört. Großvater ist von der Veranda aufgestanden und auf John zugegangen und hat etwas zu ihm gesagt. John hebt das Gewehr. Ein Krachen wie Donner. Großvater fällt vorneüber aufs Gesicht und steht nicht mehr auf. John verschwindet im Haus, Geräusche von Geschirr und anderen Dingen, wie sie zu Bruch gehen. Jetzt steht John auf dem kiesbebeckten Vorplatz und das Gras verdorrt in der Sonne und John brüllt: »Ich krieg euch alle! Ihr verdammten Wixer. Wo seid ihr Ärsche?«
Annes kleine Hand gräbt sich in meinen Unterarm.
John tritt nach einen Stein auf dem Boden und katapultiert ihn durch die Luft bis zum Scheunentor, an dem er mit einem lauten Knall abprallt, nur ein paar Meter von uns entfernt. Sue fängt an zu wimmern. Ich drehe mich um, sehe in sechs ängstliche Gesichter.
»Pssst«, sage ich, »wir müssen ganz, ganz leise sein.«
Das macht es nur noch schlimmer. Gott sei Dank übertönt das Zirpen der Zikaden alles.

John brüllt wieder: »Ich krieg euch alle.«
Zuckungen durchlaufen ihn, als würde er von Peitschenschlägen getroffen, und sein Hemd klebt durchnässt vom Schweiß am Körper wie ein zu groß geratener Waschlappen. Das Gesicht ist Tomaten-rot. Er hat keinen Hut auf.
»Die ganze verfluchte Brut.«
Hunde, die bellen, beißen nicht, sagt Mutter immer. So lange er brüllt, sucht er nicht.
Ich sage zu Emilia, dass sie die anderen in den hinteren Teil der Scheune mitnehmen soll.
»Da gibt es auch nichts zum Verstecken«, flüstert sie. Sie hat recht. Ein paar übrig gebliebene Düngersäcke, Vaters altes Motorrad, der Werkzeugtisch und ein bisschen Baumaterial, sonst ist die Scheune leer.
»Trotzdem«, sag ich und gebe Lukas, der auf der anderen Seite des Tors noch am Werkzeugtisch steht, ein Zeichen in unserer Zeichensprache. Emilia erfindet ein Pantomimenspiel, bei dem man schweigend und ganz vorsichtig rückwärts gehen muss. Sie machen alle mit, nur Anne steht schockstarr da und will meinen Arm nicht loslassen.



- wird fortgesetzt -

12345Wie es weitergeht »




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Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

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Jaelyn
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Beitrag19.01.2011 23:10

von Jaelyn
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Hallo du,

du musst unbedingt weiterschreiben. Ich kann alles vor mir sehen und bin mit den anderen in der Scheune und zittere.

Du hast nicht nur die Bedrohung gut geschrieben, sondern bist mit dem drumherum gut umgegangen. Nicht zuviel von der ländlichen Beschreibung, aber auch nicht zu wenig.

Mir hat es sehr gefallen und bin gespannt.  Smile

LG Jaelyn


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Diskussion ist die Kunst, wohlüberlegt aneinander vorbei zu reden.

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RUIZZ
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Beitrag20.01.2011 09:21

von RUIZZ
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Super Text, wann geht es weiter?

Beste Grüße


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Ich will nicht ins Paradies,
wenn der Weg dorthin so schwierig ist.
Ich stelle keinen Antrag auf Asyl,
meinetwegen bleib ich hier.
(Auszug Liedtext Tote Hosen, Paradies)
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sleepless_lives
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Beitrag20.01.2011 14:01

von sleepless_lives
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Hallo Jaelyn und RUIZZ,
danke für die freundlichen Kommentare. Mal sehen, ob es mir gelingt, die Spannung aufrechtzuerhalten.

Jetzt geht es nämlich weiter.

Grüsse

- sleepless_lives


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sleepless_lives
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Beitrag20.01.2011 14:16

von sleepless_lives
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John schreit nicht mehr, er sieht aus wie jemand, der vergessen hat, was er tun wollte. Er dreht sich bald hierhin, bald dorthin. Dann geht er los, als hätte ihn jemand geschubst, abgehackte Schritte, als würde ihn jemand treten.
»Mist«, entfährt es mir und Annes Finger bohren sich tiefer in meinen Arm.
Mein Herz rast, ich möchte laufen, aber ich kann mich nicht bewegen. Es ist sowieso zu spät zum Weglaufen. Es ist zu spät, um irgendetwas zu tun. Ein paar Schritte vor der Scheune bleibt John abrupt stehen. Ich kann seine blauen Augen sehen, die wild hin- und herflattern, wie Motten, vom Tageslicht überrascht. Da ist nichts übriggeblieben von seiner Freundlichkeit, den Scherzen, die Anne so liebt, oder von der ruhigen Ernsthaftigkeit, mit der er uns die Tiere im Busch und ihr Verhalten erklärt hat. Er wendet sich von der Scheune weg in Richtung des Fahrzeugschuppens und stapft wieder los.

Ich ziehe Anne mit mir nach hinten in den rückwärtigen Teil, wo die anderen warten. Irgendwo in der Wand ist ein loses Brett, wenn Vater es nicht schon wieder angenagelt hat. Ich drücke vorsichtig gegen eines nach dem anderen, finde schließlich das lose und erhöhe den Druck, so dass es nach draußen ins Gras fällt. Licht strömt herein, ein Schwall heißer Luft folgt ihm.
Emilia sieht mich mit großen Augen an, sie kommt zu mir.
»Wir müssen am Einarmigen Baum vorbei zum Haus«, flüstere ich. »Wir haben nicht viel Zeit.«
Der Einarmige Baum ist ein Eukalyptus, den ein Blitzschlag getroffen hat, als ich und Emilia noch ganz klein waren. Er brannte lichterloh, aber auf einer Seite ist er wieder ausgeschlagen, grüne Triebe, die aus einem verkohlten mächtigen Ast hervortrieben.
»Warum nicht den Hügel hoch in den Busch?«
»Nein, das geht nicht. Wenn er uns nicht schon vorher sieht, folgt er einfach unseren Spuren. Du weißt, wie gut er im Fährtensuchen ist.«
»Was willst du im Haus?«
»Das Telefon.«
»Aber dort findet er uns sofort.«
»Wir bleiben nicht da. Wir gehen zum kaputten Anhänger und verstecken uns darunter.«
»Spinnst du?!«
»Wieso, da wird er uns nicht suchen.«
»Aber da sind lauter Redbacks!« Emilia hasst Spinnen, egal ob sie gefährlich giftig sind, wie die Redbacks, oder völlig harmlos, wie die Schneider, die wir gerne im Haus behalten, weil sie die Redbacks jagen und fressen. »Da geh ich nicht drunter.«
»Emilia, es geht nicht anders.«
»Nie im Leben.«
»Wir müssen hier weg. Lass uns im Haus drüber reden.«
»Gut. Auch wenn es da nichts zu reden gibt.«
»Und wir müssen ganz leise sein. Du gehst voraus, dann die Kleinen, dann Lukas und dann Anne. Ich geh als Letzter.«
Emilia redet auf die Kleinen und Lukas ein und sie zwängen sich alle durch die Öffnung in der Scheunenwand. Anne will mich nicht loslassen.

Irgendwo draußen schreit John: »Wo seid ihr, verdammte Drecksbande.«
Es klingt nicht weit entfernt. Er muss vom Fahrzeugschuppen zurück sein. Ich schiebe Anne gegen ihren Widerstand mit Gewalt nach draußen, sie will anfangen, lauthals zu weinen, nur mein ärgerlicher Blick hält sie davon ab und es wird ein unterdrücktes Schluchzen. Beinahe schaffe ich es nicht durch die Bretterlücke, zu eng, zu niedrig. Ich muss mich verrenken und verbiegen, und am Schluss falle ich ins gelbe Gras draußen. Ich stehe auf, so schnell ich kann, lehne das lose Brett an den Querbalken an seine vorherige Stelle. Anne hat sich sofort wieder an meinen Arm geklammert. Ihr kleines Gesicht schaut mich voller Unverständnis an, aber sie gibt kein Wort von sich. Ich bereue es, so grob mit ihr gewesen zu sein und streiche ihr mit der Hand über den Kopf und einen Augenblick versucht ein Lächeln das aussichtslose Unterfangen, die Oberhand in ihrem Gesicht zu bekommen. Die anderen sind schon ein paar Schritte voraus, schleichen im Gänsemarsch durchs hohe Gras, ein Bataillon der Verzagten.



- wird fortgesetzt -

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RUIZZ
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Beitrag20.01.2011 14:18

von RUIZZ
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Genial! Super!

Weiter so!

Beste Grüße


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Maria
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Beitrag20.01.2011 14:33

von Maria
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Tach Sleepless,

ich meld mich zum Schluß nochmal. Bis hierher hab ich nichts zu bemeckern - weil ich ohnehin nicht weiß was noch kommt und dann als Meckerei überflüssig wäre. Was mir (bis jetzt) 'fehlt': evtl. Gedanken des Jungen. Überlege ob sich ihm nicht der Kopf schwirren würde, er nicht orakelt und überlegt, gedanklich flucht und John verwünscht; mit ein Grund warum ich sein Alter nicht einschätzen kann und daher ist mir der Junge (das Ich) noch nicht sehr nahe. Aber das kommt vielleicht noch, will nicht vorgreifen oder Infodumping verlangen. Auf jeden Fall spannend.

Bin jedenfalls gespannt mit dabei!

Gruß


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Murmel
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Beitrag20.01.2011 16:10

von Murmel
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Ich kommentiere am liebsten auch zum Schluss, aber trotzdem schon etwas Feedback.

Gewohnt sicher geschrieben, doch Frau vermisst Emotionen. Wirklich.

Bumm, macht's und der Grossvater ist tot, oder fällt zumindest um, und da gibt's kein Erschrecken, keine Angst, keine Reaktion?

Frau will Emotionen. Der Unterschied zwischen männlich orientiertem Schreiben: John legte seine M98 action Flinte, Kaliber 8x57, aber heute zog er den Trigger einfach so durch und traf den Grossvater zwischen der fünften und sechsten Rippe, zu der weiblichen Variante, John legte an, mein Herz blieb stehen, der Grossvater, oh Gott, er fällt.
Vielleicht irgendwo dazwischen?

Die fünf anderen Kinder sind Johns? Vermutlich.


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Gast







Beitrag21.01.2011 10:19

von Gast
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Hallo ...


John hat seine Frau misshandelt, die danach auf den Hof der Familie des jungen Erzählers gekommen ist, mit ihren fünf Kindern. Dem Jungen werden diese Kinder und noch dazu seine beiden Schwestern anvertraut, während seine Eltern die Frau ins Krankenhaus bringen. Der Grossvater bleibt bei den Kindern, aber offensichtlich muss die Mutter betonen, dass ihr Sohn für die Gruppe von Kindern verantwortlich ist, Grossvater ist schon ziemlich alt?

Warum kam niemand auf die Idee, dass John kommen und nach seiner Frau und den Kindern suchen würde, wusste niemand, dass er potentiell gefährlich werden konnte, war es sein erster "Ausrutscher"? Wenn ja, warum kam Lizzy gleich mit der ganzen Familie, um Schutz zu suchen?

Dass der Junge, dessen Namen und Alter wir nicht kennen, (ich schätze ihn so um die zehn bis elf) nun die Sorge um die Gruppe übernimmt und dabei die Emotionen über das, was mit dem Grossvater passiert, gar nicht wirklich in sein Bewusstsein dringen können, kann ich ganz gut nachvollziehen, er steht unter einer Art Schock und muss gleichzeitig versuchen, zu handeln, also muss er die Panik, die ihn sonst unweigerlich erfassen würde, irgendwie unterdrücken.

Deine Geschichte ist spannend, es könnte der Beginn eines Films sein, ich kann mir sehr gut vorstellen, was hier passiert und diese alptraumhafte Situation, das Wissen um diesen unberechenbaren John, dem sich die Kinder irgendwie entziehen müssen ist sehr gut beschrieben. Ich frage mich nun, wie es weitergeht und gleichzeitig, ob du mich als Leserin überraschen können wirst?
 
Ich bleibe dabei.
Anja
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sleepless_lives
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Beitrag21.01.2011 13:36

von sleepless_lives
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Vielen Dank an alle Rezensenten!


@Maria
Maria hat Folgendes geschrieben:
Was mir (bis jetzt) 'fehlt': evtl. Gedanken des Jungen.

Im Moment würde ich behaupten, das ergäbe einen anderen Stil, es würde wegführen von dem aufs Wesentliche reduzierten Ich-Erzähler. Das müssen wir aber unbedingt am Ende noch einmal aufgreifen, ich bin mir nicht sicher, ob die Informationen, die du speziell erwartest, noch kommen. Aber ich kann jetzt natürlich nicht vorausgreifend sagen, was denn noch alles beschrieben wird.

Es folgen übrigens noch drei Teile, übrigens.


@Murmel
Murmel hat Folgendes geschrieben:
doch Frau vermisst Emotionen. Wirklich.

Bumm, macht's und der Grossvater ist tot, oder fällt zumindest um, und da gibt's kein Erschrecken, keine Angst, keine Reaktion?

Die Großvaterepisode wird ja rückblickend erzählt, wie ein Bild das nochmal kurz aufflackert. Das nimmt deinem Argument allerdings nicht den Wind aus den Segeln, denn in der Situation in der Scheune gäbe es ja immer noch genug Gefühle, die wiedergegeben werden könnten/müssten.

Jetzt könnt ich mich natürlich einfach auf's männliche Schreiben "herausreden". Aber ich seh hier einen anderen Unterschied: den zwischen dem Schreiben, dass die Gefühle beim Leser erzeugt (oh, Gott, der Großvater des Jungen wurde erschossen) und  dem, welches sie dazu noch explizit beschreibt "Oh, Gott, Großvater wurde erschossen". Dabei geht es vielleicht mehr um Literaturstile und Erwartungshaltungen als männlich/weiblich. Da reden wir auch noch mal darüber am Ende.

Murmel hat Folgendes geschrieben:
Die fünf anderen Kinder sind Johns? Vermutlich.

Nein, dann hätte ich es gesagt. Meine Gedanke war, dass das die Kinder von anderen "Nachbarn" sind, die in die nächste richtige Stadt (180 km entfernt) fahren wollten, um Weihnachtsgeschenke einzukaufen, und jemand brauchten, der auf die Kinder aufpasst.
Wichtiger Kritikpunkt, das muss ich klar machen.



@Lorraine
Lorraine hat Folgendes geschrieben:
John hat seine Frau misshandelt, die danach auf den Hof der Familie des jungen Erzählers gekommen ist, mit ihren fünf Kindern.

Nicht ihre Kinder (siehe oben). John und Lissy sind (noch) kinderlos.

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
aber offensichtlich muss die Mutter betonen, dass ihr Sohn für die Gruppe von Kindern verantwortlich ist, Grossvater ist schon ziemlich alt?

Nicht soooo alt, aber Temperaturen über 40 Grad im Schatten können gewaltig auf den Kreislauf gehen.

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
wusste niemand, dass er potentiell gefährlich werden konnte, war es sein erster "Ausrutscher"?

Genau! Er hat vielleicht schon manchmal ein bisschen seltsame Entscheidungen getroffen, aber ist nie Amok gelaufen. In die Richtung kommt noch mehr an Erklärung im restlichen Text.

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
der Junge, dessen Namen und Alter wir nicht kennen, (ich schätze ihn so um die zehn bis elf)

Ja, ich hatte ihn mir 12 Jahre alt gedacht.

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
Ich frage mich nun, wie es weitergeht und gleichzeitig, ob du mich als Leserin überraschen können wirst?

Vielleicht muss ich das gar nicht. Aber ich sollte jetzt die Klappe halten und nicht seltsame Andeutungen vom Stapel lassen


Ansonsten ist der Eindruck, den du beschreibst, genau die Stimmung, die ich erzeugen wollte. Das ist schon mal ganz beruhigend.



@RUIZZ
RUIZZ hat Folgendes geschrieben:
Weiter so!

Dann machen wir doch gleich weiter.


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sleepless_lives
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Beitrag21.01.2011 13:44

von sleepless_lives
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Von drinnen kommt das Klirren von Glas. Er ist in der Scheune und ist in die auf dem Boden stehenden Einmachgläser gelaufen. Ich renne mit Anne ein paar Schritte, um zu den anderen aufzuschließen. Emilia versucht, soviel wie möglich über die flachen vom Wetter blank polierten Felsen zu gehen, nicht durchs Gras. In den Akazien um uns herum verstummen die Zikaden, wenn wir uns nähern. Ein Kakadu fliegt mit lautem Krächzen vom Einarmigen Baum. Da können wir auch gleich ein Schild hochhalten, Hier sind wir!, denke ich und sehe zurück zur Scheune, erwarte das Brett umfallen zu sehen und Johns wütendes Gesicht aus dem Dunkel dahinter auftauchen. Jenseits des Einarmigen Baums geht es in die Niederung herunter, bis zur Rückseite des Hauses sind wir dann vom Hof aus nicht zu sehen, nur vom rückwärtigen Küchenfenster im Erdgeschoss und Emilias und meinen Zimmern im ersten Stock. In der Niederung ist ein wenig grünes Gras übriggeblieben, am frühen Vormittag ist es hier kühler im Schatten des überhängenden Astes, aber jetzt am Mittag brennt die nördliche Mittagssonne ungehindert in die Senke. Emilia nennt es normalerweise nur die »Bratpfanne«.

»Lass mich vorgehen«, sag ich zu ihr an der Küchentür und öffne das Fliegengitter. Im Haus ist es still und ein angenehmer Luftzug kommt vom Ventilator an der Decke. John ist nirgendwo zu hören oder sehen. Im Wohnzimmer und Esszimmer regiert Zerstörung, als habe jemand ein bockendes Pferd im Haus losgelassen. Umgeworfene Möbel, auf- und abgerissene Schranktüren, Scherben, Splitter. Die Blumenvase, die so lange ich denken kann, auf dem kleinen Wohnzimmertisch gestanden hat, liegt zerbrochen auf dem Boden, die Fransenlilien-Zweige, die Emilia heute morgen hineingestellt hat, verlieren ihre violetten Blüten an eine Wasserlache. Unter einem gesplitterten Stuhl liegt das cremefarbene Kleid, das Lissys anhatte, als sie hier ankam. Ein paar Blutflecken bilden ein gesprenkeltes Muster, wie Inseln auf einer Landkarte, Inseln der Gewalt, Amokinseln.
»Und das alles nur, weil sie sich geweigert hat, Weihnachten mit seiner Familie zu verbringen«, hat Mutter zu Vater gesagt. »Das darf doch nicht wahr sein! Abschaffen sollte man Weihnachten.«
Dann hat sie Annes enttäuschtes Gesicht gesehen.
»So mein ich es nicht.«
Vater hat gesagt: »Ich denk, er ist einfach ausgerastet. Hat eh schon die ganzen Probleme, die Farm zu halten. Mit der Trockenheit jetzt.«
»Kein Grund, es an seiner Frau auszulassen. Außerdem arbeitet sie mindestens genauso hart wie er und sie hat ihn immer unterstützt, selbst bei seinen etwas komischen Entscheidungen. Ruf die Polizei an. Wer weiß, was er das nächste Mal macht, wenn er keinen Dämpfer bekommt.«
»Ne, nicht am Telefon. Das besprech ich lieber mit Bill unter vier Augen. Falls er Dienst hat.«
»Ich sag, ruf die Polizei. Ein bisschen Abkühlen in einer Zelle kann John nicht schaden. Vielleicht kommt er dann zur Besinnung.«

Das Satelliten-Telefon ist ein Splitterhaufen unter der ungekippten Kommode mit dem Silbergeschirr im Esszimmer. Gabeln und Messer mischen sich mit Platinen und Kabeln. Ich schiebe die heruntergelassenen und geschlossenen Holzjalousien das kleinste Bisschen zur Seite, um durch den Spalt zwischen Fensterrahmen und Jalousieende einen Blick auf die Scheune zu werfen und fahre sofort zurück. John kommt mit seinem stampfenden Schritt geradewegs auf das Haus zu. Das Gewehr in der Linken, während die Rechte Figuren in der Luft beschreibt, als diskutiere er mit jemanden und gestikuliere dabei, um den widersprechenden Anderen zu überzeugen.
»Raus hier«, rufe ich. »Sofort!«
Aus Johns Blickwinkel ist die Haustür und der Weg zum Anhänger noch ein Weile nicht zu sehen. Erst wenn er um die Hausecke biegt. Ich packe Anne, die auch hier drinnen keinen Schritt von meiner Seite gewichen ist, trage sie. Ich hatte ganz vergessen, wie schwer sie geworden ist, aber sie klammert sich mit allen ihren Kräften an mich, das macht es leichter. Emilia und Lukas scheuchen die Kleinen durch den Flur.



- wird fortgesetzt -

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Dienstwerk
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Beitrag21.01.2011 17:34

von Dienstwerk
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Jetzt im Gesamten gelesen.
Mit gefallen die Ortsbeschreibungen unheimlich gut, richtig kleine Sprach-Juwelen. Ja, gut einiges passt auch nicht, aber da sehe ich jetzt mal drüber hinweg.

LG, Ana
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Murmel
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Beitrag21.01.2011 17:38

von Murmel
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Zitat:
Ein paar Blutflecken bilden ein gesprenkeltes Muster, wie Inseln auf einer Landkarte, Inseln der Gewalt, Amokinseln.


Super!

(Obwohl eventuell nicht altersgerecht, hier spricht der Autor, aber trotzdem love)


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Gast







Beitrag22.01.2011 06:23

von Gast
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Hallo wieder ...

Sehr gut erzählt, ich weiss jetzt, warum Vater nicht einfach die Polizei gerufen hat, erfahre ganz einfach durch die (sehr anschauliche) Beschreibung des Chaos im Haus, dass die Kinder wirklich abgeschnitten sind von der Aussenwelt und ich weiss sogar um den Kontrast Hitze/Kühle, wirklich gut!

Mir ist nur zu Beginn des Abschnitts aufgefallen, dass du zwei Partizipbasteleien hintereinander benutzt, vielleicht ein kleiner "Dämpfer"?

 
Zitat:
... die auf dem Boden stehenden Einmachgläser ...

und
 
Zitat:
... über die flachen vom Wetter blank polierten Felsen zu gehen ...


Bei den "Amokinseln" war ich begeistert, hatte aber denselben Gedanken wie Murmel, wegen des Jungen smile extra

Das Ende des Absatzes, wieder sehr realistisch und "nachfühlbar" geschrieben, die Spannung wird aufrecht erhalten, gut!

Bis bald dann
Anja
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Pütchen
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Beitrag22.01.2011 07:03

von Pütchen
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Hallo Sleepless,

gefällt mir bisher super gut smile

Ich kann mich richtig in die Geschichte und die Gegend reinversetzen. Ein abschließendes Urteil kommt auch am Schluss.

Eine Anmerkung direkt:

Zitat:
Bevor die drei sich in Vaters blauen Ute setzten,


So sehr mir das Wort ja gefällt Very Happy - würde man in einer deutschen Geschichte nicht eher Pickup schreiben oder ist der Ausdruck auch schon in Deutschland geläufig (bin ich ja auch überfragt Laughing)?

Ansonsten aktuell nichts zu meckern.

Liebe Grüße, Pütchen


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"Die Menschen bauen zu viele Mauern und zu wenig Brücken."
(Isaac Newton, 1642-1726)

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sleepless_lives
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Beitrag22.01.2011 15:57

von sleepless_lives
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@Dienstwerk
Dienstwerk hat Folgendes geschrieben:
Jetzt im Gesamten gelesen.
Mit gefallen die Ortsbeschreibungen unheimlich gut, richtig kleine Sprach-Juwelen. Ja, gut einiges passt auch nicht, aber da sehe ich jetzt mal drüber hinweg.

Vielleicht kannst du da ganz am Schluss noch mal ein paar Sachen erwähnen, es sei denn es sind wirklich nur Kinkerlitzchen.


@Murmel
Klar, da spricht der Autor. Das ist, denk ich, immer eine Gratwanderung, denn wirklich wie ein Zwölfjähriger es beschreiben würde, es es ja nie. Das ist nochmal ein Punkt auf meiner Liste, auf die ich am Ende nochmal zurückkommen will.

 
@Lorraine
Lorraine hat Folgendes geschrieben:
Mir ist nur zu Beginn des Abschnitts aufgefallen, dass du zwei Partizipbasteleien hintereinander benutzt, vielleicht ein kleiner "Dämpfer"?

 
Zitat:
... die auf dem Boden stehenden Einmachgläser ...

und
 
Zitat:
... über die flachen vom Wetter blank polierten Felsen zu gehen ...

Generell versuch ich ja Partizipattribute sparsam einzusetzen (hängt aber immer ein bisschen vom Erzähler der Geschichte ab), hier hat ich mich wohl nicht mehr unter Kontrolle. wink


@Puetchen
Puetchen hat Folgendes geschrieben:
Ich kann mich richtig in die Geschichte und die Gegend reinversetzen. Ein abschließendes Urteil kommt auch am Schluss.

Ich muss mich hier dauernd zurückhalten, nicht irgendwelche Anspielungen auf das Ende zu machen, aber gerade, was das Ende angeht, bin ich am meisten gespannt auf die Meinungen der Leser.


Puetchen hat Folgendes geschrieben:

Zitat:
Bevor die drei sich in Vaters blauen Ute setzten,


So sehr mir das Wort ja gefällt Very Happy - würde man in einer deutschen Geschichte nicht eher Pickup schreiben oder ist der Ausdruck auch schon in Deutschland geläufig (bin ich ja auch überfragt Laughing)?

Nee, Ute kennt niemand in Deutschland. Ich mein natürlich das australische Ute, nicht den Namen. Oder irgendwelche Personen. Laughing Pickup, wenn auch viel bekannter in Deutschland, ist halt amerikanisches Englisch und das hab nicht über mich gebracht. "Ute" als typisch australischer Slang für Utility Vehicle oder Coupé utility und das Ganze ein wirklich typisch australischer Autotyp: das kann man einfach nicht ersetzen. Normalerweise würde ich das in einer Fußnote erklären, aber das funktioniert nicht so richtig im Forum.




Grüße an alle und danke für Kritik und Lob. Ach ja, sollte ich hier manchmal kurz angebunden rüberkommen, so ist es nur, weil ich fast immer vom restlichen Text auch reden müsste und das geht ja nicht.

Jetzt geht es weiter mit Teil 4 (von 5 insgesamt).


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Beitrag22.01.2011 16:06

von sleepless_lives
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Wir sind draußen, rennen zum Anhänger.
»Los, drunter«, sage ich.
Emilia bleibt einfach stehen, stemmt trotzig die Hände in die Hüften.
»Auf keinen Fall!«
»Emilia, wir haben keine Zeit.«
»Lieber soll John mich sehen, als dass ich da drunter gehe.«
»Du spinnst«, sag ich. »Anne und ich machen jetzt den Anfang.«
Anne schüttelt heftig den Kopf. Die anderen warten ab, wer sich durchsetzt, aber sie scharen sich um Emilia.
»Mist«, sage ich, »Verdammter Mist. Scheiße. Na gut, dann alle auf die andere Seite, hinter den Anhänger. Und hoffen wir, dass er ins Haus geht«, sage ich und gehe währenddessen mit Anne vorsichtig um den Anhänger herum, um jeden weiteren Protest im Keim zu ersticken. Hinter dem Anhänger steht hohes, verdorrtes Gras, eigentlich nicht besser, was die Redbacks angeht, aber man muss nicht kriechen und sieht, wo man hintritt.
»Gut«, sagt Emilia und kommt angestrengt auf den Boden starrend zu mir, die anderen folgen ihr. Lukas zieht Michael, der träumend auf halbem Wege neben dem Anhänger stehengeblieben ist, zu sich, im letzten Moment bevor John um die Hausecke biegt. Ich kann John durch eine Lücke im Grasbewuchs unter dem Anhänger beobachten. Er geht ins Haus, erscheint kurz danach wieder auf der Veranda, eine Plastik-Wasserflasche in der Hand. Er setzt sich auf einen Stuhl auf der Veranda.

Nichts passiert. Er wartet, hat es den Anschein. Er wartet, wird mir klar, er wartet auf Mutter und Vater. Vielleicht hat er in erster Linie gar nicht nach uns gesucht. Er will sich an Mutter und Vater rächen, er will sie erschießen und wir können nichts tun. Überhaupt nichts.
Wir sitzen mit dem Rücken an die Räder des Anhängers gelehnt, in der prallen Sonne, niemand hat einen Hut oder Kappe.
Emilia flüstert mir ins Ohr: »Das geht nicht. Wir können nicht hier bleiben. Wir müssen in den Schatten.«
»Unter dem Anhänger ist genug Schatten.«
»Fang nicht damit wieder an. Wenn das so toll ist, warum bist du dann nicht schon längst drunter.«
Sie hat recht. Ich verspür selbst nicht die geringste Lust, mich dorthin zu begeben.
»Was können wir tun?«, lenke ich ein. »Hier ist nichts, das man als Sonnenschutz benutzen kann, und weg können wir auf keinen Fall, solange er auf der Veranda sitzt.«
»Wir müssen aber etwas tun, sonst fängt demnächst einer von den Kleinen oder Anne an zu weinen. Ich mein, richtig. Nicht nur so ein bisschen wie in der Scheune. Garantiert. Die waren eh schon so tapfer bisher.«

»Solange er nicht ins Haus geht, sind wir hier gefangen«, sage ich.
Emilia sieht mich an und es ist klar, dass ihr selbst zum Heulen ist. Eine Träne stiehlt sich aus ihren geröteten Augen. Sie wischt sie sofort weg, sie war immer das starke Mädchen, will es auch jetzt bleiben, trotz dass die Welt in Hoffnungslosigkeit zusammenbricht.
»Es ist doch fast Weihnachten«, sagt sie, »geschehen da nicht Wunder?«
»Nicht im richtigen Leben, nicht, wenn man sie wirklich braucht«, sage ich und weiß, ich hätte etwas Aufmunterndes sagen sollen, aber ich kann es nicht. Emilia sieht mich an, mit noch traurigerem Blick, und dann weiten sich ihre Augen und der Kiefer fällt nach unten. Ich drehe den Kopf, um in die gleiche Richtung wie sie zu schauen, da steht John neben dem Anhänger, das Gewehr im Anschlag, schaut uns schweigend an. Wir schauen genauso schweigend zurück. Entgeistert.



- wird fortgesetzt -

« Was vorher geschah12345Wie es weitergeht »



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Beitrag22.01.2011 22:01

von Gast
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Bon, sleepless_lives, "Maître du Cliffhanger"? Ich habe hier nichts zu kritisieren, es ist nur spannend und ich möchte wissen, wie es ausgeht!! Shocked
Anja
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sleepless_lives
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Beitrag23.01.2011 05:04

von sleepless_lives
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Lorraine hat Folgendes geschrieben:
ich möchte wissen, wie es ausgeht!! Shocked


Dann stell ich jetzt doch gleich den letzten Teil ein.   Smile
Diskutieren kann man eh erst richtig danach.


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sleepless_lives
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Beitrag23.01.2011 05:18

von sleepless_lives
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Er nimmt die linke Hand vom Gewehr und wischt sich mit dem Unterarm den Schweiß aus dem Gesicht. Er dreht sich um und marschiert zurück zum Haus. Wie in Trance sind Emilia und ich aufgestanden und schauen John hinterher. Er setzt sich wieder auf den Stuhl, in der gleichen Haltung wie vorher, als sei er nie weggegangen.
»Was?«, sagt Emilia, aber ich kann nichts antworten. Der Schreck sitzt zu tief in meinen Gliedern, blockiert. John stiert vor sich hin, trinkt einen Schluck Wasser, sieht zu Großvaters regungslosem Körper auf dem Vorplatz. Er trinkt noch einen Schluck Wasser. Dann richtet er das Gewehr gegen sich selbst, die Mündung unter dem Kinn. Ein Schuss. Ein Krachen wie Donner. Ein Schwarm Arielschwalben fliegt zwitschernd auf aus einem Busch, nur ein paar Meter von uns entfernt.

Wir müssen uns nicht mehr verstecken. Wir gehen durch den Hintereingang ins Haus. Vater, Mutter und Lissy droht keine Gefahr mehr, als sie sich eine Stunde später - auf der staubigen Straße schon von Weitem ausmachbar - dem Hof nähern. Es ist vorbei, aber es wird nie ganz vorüber sein. Es wird nie wieder so wie früher sein, nicht für Emilia und mich zumindest. Ich fühle es in mir, es ist, als ob ich durch eine Tür in eine andere Welt getreten wäre, als ich John durch die Spalten zwischen den Brettern der Scheunenwand sah. Als er uns drohte, dass er uns kriegen werde. Etwas hat sich verändert. Ich sehe es in Emilias Augen, als wir allein am ramponierten Esszimmertisch sitzen, ein paar Schinkenbrote, die Mutter gemacht hat, vor uns auf einem Teller, aus dessen Rand ein großes Stück herausgebrochen ist. Später ist es, Stunden später, nachdem die Polizisten Protokolle aufgenommen haben und alles photographiert und wieder weggefahren sind, zwei Leichname in ihrem Kombi-Wagen mit den blauen und weißen Quadraten, Opfer und Täter nebeneinander liegend, nachdem Lissy aufgehört hat zu schreien und weinen, ein Bündel Elend auf dem Boden oder dem Sofa oder wo auch immer sie hinfiel oder man sie hinbrachte, nachdem sie ruhig geworden ist, im Gästezimmer schläft, wie Mutter gesagt hat, nachdem Lukas und die Kleinen abgeholt worden sind, nachdem Mutter Anne ins Bett gebracht hat und jetzt Vater tröstet, der die ganze Zeit gefasst gewesen ist, doch dann, als alles geregelt war, im Elternschlafzimmer verschwunden ist, mit Händen, die zitterten, als er die Türklinke herunterdrückte.

„Ich hab keinen Hunger“, sagt Emilia. Es klingt bestimmt, nicht wie Trotz, nicht wie Jammern. Es geht mir genauso. Sie sieht älter aus als heute morgen noch. Es ist nicht nur das gelbliche Licht der untergehenden Sonne, das durchs Wohnzimmerfenster bis ins Esszimmer strahlt.
Emilia sagt: »Es gibt keine Wunder im richtigen Leben. Auch nicht an Weihnachten. Auch nicht kurz vor Weihnachten.« Sie schüttelt energisch den Kopf. „Gibt es nicht.“
Ich nicke.
„Nur Abstufungen von Glück und Unglück“, sage ich, und einen Fluss von Traurigkeit, denke ich. Es scheint ihr sehr wichtig zu sein, denn sie wiederholt es lautlos, keine Wunder, nur Abstufungen von Glück und Unglück, und nickt dann mit dem Kopf zur Bestätigung.
„Jetzt kann ich essen“, sagt sie und nimmt sich ein Brot, wie immer langsam und abwägend, als gäbe es hundert Kriterien für die richtige Wahl zu beachten. Auf einmal bin ich auch sehr hungrig.



- Ende -

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Kolja
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Beitrag30.01.2011 17:20

von Kolja
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Hallo Sleepless,

da ist dir eine sehr gute, sehr spannende Geschichte gelungen. Eigentlich weiß ich recht schnell, wenn mir etwas nicht gefällt, aber in deiner Geschichte habe ich mich schnell zurecht gefunden (die Kängurus sind eine sehr gute Bemerkung am Anfang) und habe einfach gespannt gelesen ohne, dass mir irgendetwas aufgefallen wäre.

Sehr gelungen.
Smile

Eine Kleinigkeit vielleicht. Ich finde der Vater sollte noch sein Fett am Ende wegkriegen, weil er nicht auf seine Frau gehört hat. Wenn er das getan hätte, wäre es schließlich nicht so weit gekommen und der Großvater würde noch leben. Die Ruhe seiner Frau am Ende ist für mich also mindestens unverständlich, wenn nicht sogar unlogisch.

Also ich habe den Eltern gehasst, dass sie so unverantwortungsvoll all die Kinder mit dem schläfrigen Großvater alleine lassen.

Ich habe also eindeutig mitgefühlt Smile

Also noch einmal: eine sehr gute Geschichte!

Schöne Grüße
Kolja
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Gast







Beitrag30.01.2011 22:53

von Gast
Antworten mit Zitat

Guten Abend,

Ja, es ging aus, wie solche Dramen wirklich manchmal enden, aber trotzdem hat mich das Ende überrascht, vielleicht, weil ich Angst hatte, vor dem, was hätte kommen können?

Du beschreibst dieses verfrühte Erwachsenwerden - die Überlegungen, die diese Kinder anstellen - in einer verhaltenen Art, die ich sehr gut finde: nicht zu viel, aber doch so, dass man versteht, dass Kinder eben näher am Begreifen der Welt sind, als wir manchmal (noch) wissen.

Zitat:
„Nur Abstufungen von Glück und Unglück“, sage ich, und einen Fluss von Traurigkeit, denke ich. Es scheint ihr sehr wichtig zu sein, denn sie wiederholt es lautlos, keine Wunder, nur Abstufungen von Glück und Unglück, und nickt dann mit dem Kopf zur Bestätigung.


Er behält ihn für sich, den Gedanken an den Fluss von Traurigkeit, er weiss, es ist genug. Er hat sich um die anderen Kinder gekümmert, er sieht, wie sein Vater um Fassung ringt, er versteht vielleicht nicht, warum Erwachsene manchmal so sind wie John, aber ich glaube schon, dass er versteht, dass auch Erwachsene nicht immer mit dem Schlimmsten rechnen, und das ist eine der Erfahrungen, die er gemacht hat, ich finde, auch sie ist wichtig ...

Eine gute Geschichte, wirklich, ich weiss allerdings noch immer nicht, warum ich zu Beginn nicht verstanden habe, dass die kleineren Kinder weder zur einen noch zur anderen Familie gehören.

Oh, und noch etwas:

Zitat:
Später ist es, Stunden später, nachdem die Polizisten Protokolle aufgenommen haben und alles photographiert und wieder weggefahren sind, zwei Leichname in ihrem Kombi-Wagen mit den blauen und weißen Quadraten, Opfer und Täter nebeneinander liegend, nachdem Lissy aufgehört hat zu schreien und weinen, ein Bündel Elend auf dem Boden oder dem Sofa oder wo auch immer sie hinfiel oder man sie hinbrachte, nachdem sie ruhig geworden ist, im Gästezimmer schläft, wie Mutter gesagt hat, nachdem Lukas und die Kleinen abgeholt worden sind, nachdem Mutter Anne ins Bett gebracht hat und jetzt Vater tröstet, der die ganze Zeit gefasst gewesen ist, doch dann, als alles geregelt war, im Elternschlafzimmer verschwunden ist, mit Händen, die zitterten, als er die Türklinke herunterdrückte.



Meister der langen Sätze, es fällt eigentlich nicht auf, und trotzdem ensteht durch solche Konstruktionen eine ganz besondere Dynamik ...
(Ich gebe zu, jemand hat mich auf dein Talent für lange Sätze aufmerksam gemacht smile  )

Nochmals: Kompliment,

Anja
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