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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Homecoming - Anfang Kapitel I


 
 
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Sammy58
Geschlecht:männlichErklärbär
S

Alter: 34
Beiträge: 4



S
Beitrag02.12.2010 17:17
Homecoming - Anfang Kapitel I
von Sammy58
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Die Tür schlägt mir vor der Nase zu. Scheiß Deutschland, fährt es mir durch den Kopf. Nur Probleme bringt es mit sich, und jetzt hat mich auch noch meine eigene Mutter zu Hause rausgeworfen. Zugegeben, „zu Hause“ ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, denn wohnen tu ich hier schon seit einem halben Jahr nicht mehr. Da haben die vom Jugendamt mir nämlich meine eigene Bude gegeben.
Klar habe ich es ab und zu schon bereut, diesen Schritt gegangen zu sein. Alleine leben ist eben auch nicht immer das Wahre. Doch grade in diesem Moment fühle ich mich nur wieder in meiner Entscheidung bestärkt, wo ich hier doch wie ein begossener Pudel im Nieselregen stehe und das Klingelschild der Wohnung anstarre, die ich früher mein zu Hause genannt habe.
„Okano /Schmidt“ steht dort. Schon komisch, dass meine Mutter nicht mal den gleichen Nachnamen trägt wie ich. Und dass dort trotzdem immer noch mein Name steht, kommt mir, obwohl ich schon lange nicht mehr hier wohne, auf eine Art und Weise befremdlich vor. Andererseits gibt es mir auch ein Gefühl der Hoffnung, denn vielleicht hat meine Mutter mich ja doch noch nicht komplett aufgegeben. Nichtsdestotrotz hat sie mich grade kommentarlos auf die Straße gesetzt. Alles nur wegen dieser nutzlosen Abendschule.
Scheiß Deutschland. Anderswo kann man sicher sein Geld verdienen, eine Zukunft aufbauen und glücklich werden ohne sowas wie eine Abendschule besuchen zu müssen. Der Begriff an sich ist mir schon zuwider. Abendschule. Abends trifft man sich mit der Freundin, geht ins Kino, einen Trinken, oder raucht sich gemütlich Joints mit den Kumpels. Aber abends in die Schule gehen? Ich bin mein Leben lang nicht mal morgens gerne in die Schule gegangen. Wie soll ich das dann bitte abends gebacken kriegen?
Und jetzt wollen die Spießer mich auch noch rausschmeißen, nur weil ich zu oft gefehlt habe. Sind sie doch selber schuld, die komischen Deutschen mit ihren komischen Erfindungen wie Abendschulen. Scheiß Deutschland.
Früher war das alles anders. Früher war ich nicht gezwungen hier zu leben. Gut, ich bin hier geboren, aber das muss ja wohl noch lange nichts heißen. Erinnern kann ich mich nämlich nicht mehr daran und weiß das Ganze also bloß aus Erzählungen.
Und dass ich einen deutschen Pass habe, ist für mich auch bloß eine Formalie. Denn aufgewachsen bin ich woanders. Zunächst in Laos, Nigeria. Der Heimat von meinem Vater. Der war in seiner Jugend einige Jahre in Deutschland, in Süddeutschland. Irgendein Kaff im Norden von Karlsruhe. Mein Vater arbeitete dort als Leiharbeiter, zu Zeiten der Wiedervereinigung. Genau da lief ihm dann meine Mutter über den Weg, die gerade kurz vor dem Abitur stand. Es kam, wie es kommen musste. Ein Sommer der Leidenschaft folgte, und das Resultat lag neun Monat später in den Armen von George Okano, meinem Vater.
Das Resultat war ich, Sammy Okano. Selbstverständlich waren die Eltern meiner Mutter alles andere als begeistert. Doch dass sie ganz und gar nicht bereit waren, die Beziehung zwischen meinen Eltern, und damit auch ihren Enkel, zu akzeptieren, damit hatte meine Mutter nicht gerechnet.


/Edit: Kurz etwas zu mir: Ich bin neu hier und habe mich jetzt einfach mal getraut, den Anfang meines Buches hier hinein zu setzen. Bitte sagt mir eure ehrliche Meinung, und deckt meine Fehler auf! Ich bin leider akut betriebsblind wink

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Gast







Beitrag02.12.2010 18:40

von Gast
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Hallo Sammy!

Bin gerade eben auf den Anfang deines (autobiographischen?) Buches gestossen und muss schon mal eines sagen: hab' ihn in einem Rutsch durchgelesen, war flüssig und schnell, ja und trotzdem mit genug "Haken" drin, die das Interesse auf mehr wecken (Jugend in Laos, (gestörte) Beziehung zur Familie der Mutter, z.B).

Also, ich würde hier jetzt weiterlesen wollen, wissen wollen, woher die Missgunst gegenüber Deutschland kommt und überhaupt: Prota (du) steht vor der Tür und wird offensichtlich eine (vorläufige) Bilanz ziehen. Und jemand, der eine "doppelte" Sicht auf sein Land (eines seiner Länder) hat, hat uns oft mehr zu sagen, als wir selbst es könnten (zwangsläufig)

Es gibt sicher Dinge, an denen du feilen müsstest, aber da gibt es Leute hier, die kompetenter sind, mir ist z.B. aufgefallen:

Zitat:
Sind sie doch selber schuld, die komischen Deutschen mit ihren komischen Erfindungen wie Abendschulen.


Müsste es nicht: "Sind doch selbst schuld, ..." heissen?

oder :
Zitat:
Zunächst in Laos, Nigeria. Der Heimat von meinem Vater.


Hier, glaube ich, wäre : "Nigeria, die Heimat meines Vaters" bzw.
"Zunächst in Laos, Nigeria, der Heimat meines Vaters" besser?

Also, wie gesagt, mich würde interessieren, was du zu erzählen hast, der Anfang klingt so, als hättest du ein zügiges Erzähltempo.

Gern gelesen
Gruss von

anja
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Nina
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Beitrag02.12.2010 23:03

von Nina
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hi sammy,

habe deine geschichte auch mit großem interesse gelesen. mir ist nichts negatives im text aufgefallen. einzig eine stelle gab es, an der ich eher ein komma, anstelle eines punktes gesetzt hätte. das wars aber auch schon.

eine fortsetzung würde mich auch interessieren. klingt vielversprechend der text, den du bislang hier ins forum gestellt hast.

lg
nina


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Rheinsberg
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Bronzenes Messer


Beitrag03.12.2010 08:20

von Rheinsberg
Antworten mit Zitat

Hallo Sammy, das hört sich an, als könnte es interessant werden.
Für den Anfang passabel - ich würde jedenfalls sehr gerne weiterlesen, zumal mich das Thema sehr interessiert.

Ein Fehler fiel mir auf: Lagos, Nigeria, denke ich, nicht Laos.


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Sammy58
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Beiträge: 4



S
Beitrag03.12.2010 16:54

von Sammy58
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Danke für die nette Kritik...die Fehler sind alle bereits korrigiert, besonderen Dank für die Hinweise! Ich setze jetzt hier einfach die Fortsetzung des Textes hinein. Wenn das Falsch ist und ich lieber einen neuen Thread aufmachen soll, dann lasst es mich wissen smile
Wie immer wieder mit der dringenden Bitte um jegliches Feedback! Danke.

Lieben Gruß,

Marcel.



MOD-Edit: Folgender Teil wurde überarbeitet und als Fortsetzung 2 eingesetzt.


Fortsetzung

Der Kontakt zu meinen Großeltern brach weitestgehend ab. Ich kenne sie bis heute nur von Fotos und aus Erzählungen. Nach zwei Jahren hin und her kam es dann zur unvermeidlichen Spannungsprobe. Die Aufenthaltsgenehmigung meines Vaters lief aus, eine neue war nicht in Sicht. Er musste also zurück nach Nigeria, in sein Heimatland, und seine junge Familie wohl oder übel alleine zurück lassen. Eine Heirat der Beiden wäre schließlich nicht von der Familie akzeptiert worden. Doch da hatte er die Rechnung ohne meine Mutter gemacht, die kurzerhand Ihre sieben Sachen packte, sich ein One-Way Ticket bei der nächstbesten Fluggesellschaft besorgte und ihre Zelte in Deutschland komplett abbrach. Sicher, dieser Schritt war voreilig und vermutlich das Produkt einer Kurzschlussreaktion.
Doch nicht nur sie hatte ihre Entscheidung sicherlich später mehr als nur einmal bereut, nein, auch ich musste erfahren, was es heißt, sein Leben lang anders zu sein als seine direkte Umgebung. Zwar war ich in Lagos nicht mehr der dunkelhäutige Exot unter den tausenden blonden, rothaarigen und hellhäutigen Nordeuropäern, der von allen Unbekannten zunächst als reiner Afrikaner eingeordnet wurde. Auf einmal fand ich mich wieder als der hellhäutigste von allen meinen Spielgefährten und hatte auf diese Weise wieder eine exklusive Rolle inne.
Es sind zwar nur bruchstückhafte Erinnerungen, die ich aus dieser Zeit habe, aber dennoch habe ich früh gelernt, was es heißt, sich abseits einer Gruppe andersartiger durchbeißen zu müssen. Schon damals habe ich diese Rolle gehasst. Doch dieses Gefühl hat mich, so klein ich auch war, nie mehr ganz los gelassen.
Die Jahre gingen ins Land, und ich hatte sogar einige Freunde gefunden, die nicht auf ursprünglicher Stammeszugehörigkeit oder helleren Teint achteten. Ich war akzeptiert in meiner Umgebung und sprach den Slang unseres Vorortstadtteils von Lagos fließend, führte das Leben eines ganz normalen Sechsjährigen. Ich war zufrieden mit mir und meinem Leben, soweit ich das heute noch beurteilen kann. Doch ich war dann in einem Alter, in dem man in Westeuropa üblicherweise damit begann, die Grundschule zu besuchen.
In Nigeria war das alles zu der Zeit leider nicht ganz so einfach, und so entschlossen sich meine Eltern, ihr Glück erneut in Europa zu suchen. Mein Vater, seit jeher besser dem Englischen als dem Deutschen mächtig, bekam ein Jobangebot aus Großbritannien, dass er nicht ausschlagen konnte, da es ihm ermöglichte, endlich einen großen Schritt in seiner Karriere zu machen.
Die Überzeugung meiner Mutter, dass es für mich das Beste wäre, in einer europäischen Zivilisation aufzuwachsen und die dortige Bildung zu genießen, war das eine Argument. Das andere war der Traum meines Vaters, mittels des neuen Jobs genug Geld zu verdienen, um seiner kleinen Familie ein eigenes Haus mit Garten bauen zu können.
Er hatte sich von ganz unten in seiner Firma nach oben gearbeitet und bald sollte er also bei wichtigen Verhandlungen auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzen. In stillen Momenten konnte er vielleicht sogar sein eigenes Namensschild samt Positionsbeschreibung aufpolieren, das blitzend und blinkend auf der Ecke seines Schreibtisches stand.
Die Entscheidung war gefallen, und ich musste die nächsten Jahre mit London statt Lagos vorlieb nehmen.
Die Vorteile, die solch ein Umzug mit sich brachte, waren nun mal nicht von der Hand zu weisen, und immerhin konnte ich auch in meiner neuen Umgebung meiner gewohnten Sprache treu bleiben. Diese war zu dem Zeitpunkt längst schon Englisch, Deutsch sprachen wir nur noch zu Hause, weil meine Mutter dies so wollte. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich heute noch ein einigermaßen passables Deutsch sprechen kann. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich das Deutsche noch mehr vernachlässigt, als ich es ohnehin getan habe. Es soll ja bekanntlich seine Vorteile haben, zweisprachig aufzuwachsen, doch ich war damals von so etwas lediglich gelangweilt. Wozu würde ich diese Sprache schon noch brauchen?
Ahnen konnte ich damals ja nicht, dass meine Mutter sich einige Jahre später von meinem Vater scheiden lassen würde, weil er den Karrieresprung nicht verkraftet hatte. Ob es das ungewohnt viele Geld war, das ihm zu Kopf stieg, oder die Verantwortung, die zu viel wurde, kann ich heute nicht mehr sagen.
Mein Vater ist relativ bald dem Alkohol verfallen, hat sich oft noch vor der Abenddämmerung besinnungslos betrunken. Doch damit nicht genug, besoffen ist er auch häufig handgreiflich geworden, zwar nie mir gegenüber, aber dafür umso häufiger gegenüber meiner Mutter. Ahnen konnte ich auch nicht, dass meine Mutter ausgerechnet auf die Idee kommen würde, mit mir nach Deutschland zurück zu kehren, in ihre Heimat. Weg von den Scherben ihres Lebenstraumes, zurück zu den Wurzeln.
Ihr Bruder, mein Onkel also, lebte zu dieser Zeit in Hamburg. Er war der Einzige, zu dem sie nach unserer Ausreise Richtung Afrika Kontakt gehalten hatte. Und er war derjenige, der uns aufnahm, als wir zurückkehrten. Aus Angst vor der Reaktion meines Vaters geriet unser Aufbruch zu einer echten Nacht und Nebel Aktion. Mit nichts in der Hand als dem, was in unsere Reisetaschen passte. Ein paar Klamotten unter dem Arm, ein paar Erinnerungen im Kopf, nicht weniger, nicht mehr.
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Ralphie
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Beitrag03.12.2010 16:58

von Ralphie
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Wessen Tür schlägt zu?
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Beitrag03.12.2010 17:05

von Rheinsberg
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Hm. Diese Rückblende schreibst du wie einen Bericht - farbiger fände ich es, wenn du versuchen könntest, einzelne Szenen auszuarbeiten. Aber das kommt natürlich darauf an, was du mit dem Anfang sonst noch vorhast.

Bei dem Gebrauch der Zeiten solltest du aufpassen:
Zitat:
Mein Vater ist relativ bald dem Alkohol verfallen, hat sich oft noch vor der Abenddämmerung besinnungslos betrunken. Doch damit nicht genug, besoffen ist er auch häufig handgreiflich geworden, zwar nie mir gegenüber, aber dafür umso häufiger gegenüber meiner Mutter.

Diesen Absatz hast du plötzlich im Perfekt geschrieben, obwohl du sonst im Imperfekt schreibst. Das solltest du verbessern.

Die Fortsetzung hier anzuhängen ist richtig, freuen würden wir uns sicher alle, wenn du dich im Forum unter der Rubrik "Der rote Teppich" noch vorstellen könntest. Ich bin bestimmt nicht die einzige, die neugierig ist.


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Sammy58
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S
Beitrag03.12.2010 19:37

von Sammy58
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Habe es mal versucht, besser zu machen...diese Passagen waren mir alle selber in der Tat zu fad.


Fortsetzung 2.0

So kam es beispielsweise niemals vor, dass meine Mutter in Begleitung meines Vaters zu Familienfeiern oder sonstigen Ereignissen erscheinen durfte. Nicht einmal an Weihnachten, dem Fest von Toleranz, Liebe und fröhlichem Miteinander, war es möglich, beide Parteien an einen Tisch zu kriegen. Natürlich fehlt mir heute etwas, wenn ich sagen muss, meine Großeltern nie kennen gelernt zu haben. Andererseits trauere ich dem nicht wirklich hinterher, denn wer meine Eltern derart schlecht behandelt, mit dem will ich auch nicht zu tun haben.
Nach und nach brach also der Kontakt zu meinen Großeltern ab. Ich kenne sie bis heute nur aus Erzählungen und von Fotos, habe keine eigene Erinnerung an sie.
Endgültig am Scheideweg angekommen war die Familienharmonie, als die Aufenthaltsgenehmigung meines Vaters auslief. Eine neue war nicht in Sicht, und auch die Alternativen waren rar. Er musste also zurück nach Nigeria, in sein Heimatland, und seine junge Familie wohl oder übel alleine zurück lassen. Eine Heirat der Beiden würde schließlich niemals von der Familie akzeptiert werden. So musste mein Vater sich darauf einstellen, bis auf weiteres mehrere tausend Kilometer getrennt von seinem hart erkämpften Familienglück zu leben.
Doch da hatte er die Rechnung ohne meine Mutter gemacht, die kurzerhand Ihre sieben Sachen packte, sich ein One-Way Ticket bei der nächstbesten Fluggesellschaft besorgte und ihre Zelte in Deutschland komplett abbrach. Sicher, dieser Schritt war voreilig und vermutlich das Produkt einer Kurzschlussreaktion. Dennoch besteht meine Mutter heute noch darauf, dass sie jederzeit wieder genauso handeln würde. Allein schon meinetwegen.
Nichtsdestotrotz war es am Anfang sehr schwer in der neuen Umgebung, einer völlig neuen Kultur, einem ganz anderen Land. Es sind zwar nur bruchstückhafte Erinnerungen, die ich aus dieser Zeit habe, aber dennoch habe ich früh gelernt, was es heißt, sich abseits einer Gruppe andersartiger durchbeißen zu müssen. Schon damals habe ich diese Rolle gehasst. Doch dieses Gefühl hat mich, so klein ich auch war, nie mehr ganz los gelassen.
Einige Jahre später, ich hatte sogar einige Freunde gefunden und mich mit der Lebensart akklimatisiert, wurde ich mit meinen jungen Jahren erneut vom Leben auf die Probe gestellt . Ich war zu der Zeit akzeptiert in meiner Umgebung und sprach den Slang unseres Vorortstadtteils von Lagos fließend, führte das Leben eines ganz normalen Sechsjährigen. Ich war zufrieden mit mir und meinem Leben, soweit ich das heute noch beurteilen kann. Doch ich kam dann in ein Alter, in dem man in Westeuropa üblicherweise damit begann, die Schule zu besuchen.
Eines Morgens rief meine Mutter mich zu sich und erklärte mir, dass wir unsere Sachen packen und wieder einmal auf große Reise gehen müssen. Dass die Entscheidung, Nigeria zu verlassen und nach Europa zurück zu kehren, schon lange gefallen war, davon erfuhr ich erst einmal nichts.
Selbstverständlich hatte diese Entscheidung gute Gründe, denn ich war nun in schulfähigem Alter, und meine Mutter war es sehr wichtig, mir den europäischen Bildungsstandard zu ermöglichen. In Nigeria war das alles zu der Zeit leider nicht ganz so einfach, und so entschlossen sich meine Eltern, ihr Glück erneut in Europa zu suchen. Mein Vater, seit jeher besser dem Englischen als dem Deutschen mächtig, bekam ein Jobangebot aus Großbritannien, dass er nicht ausschlagen konnte, da es ihm ermöglichte, endlich einen großen Schritt in seiner Karriere zu machen.
Die Entscheidung war gefallen, und ich musste die nächsten Jahre mit London statt Lagos vorlieb nehmen.
Die Vorteile, die solch ein Umzug mit sich brachte, waren nun mal nicht von der Hand zu weisen, und immerhin konnte ich auch in meiner neuen Umgebung meiner gewohnten Sprache treu bleiben. Diese war zu dem Zeitpunkt längst schon Englisch, Deutsch sprachen wir nur noch zu Hause, weil meine Mutter dies so wollte. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich heute noch ein einigermaßen passables Deutsch sprechen kann. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich das Deutsche noch mehr vernachlässigt, als ich es ohnehin getan habe. Es soll ja bekanntlich seine Vorteile haben, zweisprachig aufzuwachsen, doch ich war damals von so etwas lediglich gelangweilt. Wozu würde ich diese Sprache schon noch brauchen?
Ahnen konnte ich damals ja nicht, dass meine Mutter sich einige Jahre später von meinem Vater scheiden lassen würde, weil er den Karrieresprung nicht verkraftet hatte. Ob es das ungewohnt viele Geld war, das ihm zu Kopf stieg, oder die Verantwortung, die zu viel wurde, kann ich heute nicht mehr sagen.
Mein Vater verfiel relativ bald dem Alkohol, betrank sich oft noch vor der Abenddämmerung bis zur Besinnungslosigkeit. Doch damit nicht genug, besoffen wurde er auch häufig handgreiflich, zwar nie mir gegenüber, aber dafür umso häufiger gegenüber meiner Mutter. Ahnen konnte ich auch nicht, dass meine Mutter ausgerechnet auf die Idee kommen würde, mit mir nach Deutschland zurück zu kehren, in ihre Heimat. Weg von den Scherben ihres Lebenstraumes, zurück zu den Wurzeln.


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Soll ich den alten Beitrag jetzt löschen? Oder wie wird in so einem Fall hier verfahren?[/b]

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Pütchen
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Beitrag04.12.2010 21:59

von Pütchen
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Hallo Sammy,

zu deinen Fragen:

Ja, zusammengehörende Teile werden immer untereinander gepostet. Alte Teile bleiben stehen und werden als Überarbeitung markiert.


Deinen überarbeiteten Teil habe ich nun einfach mal als Fortsetzungen markiert. Dies kannst du normalerweise machen, indem du unter dem Eingabefeld ein Häkchen bei "Fortsetzung" setzt.

Dort kannst du auch neue Versionen als Überarbeitung markieren, doch nur für das Gesamte (wie ich gerade festgestellt habe).

Momentan hab ich es einfach mal im Text dazugeschrieben, dass die Fortsetzung überarbeitet wurde.



Zu deinem Text:

Gefällt mir sehr gut deine Geschichte in der Grundidee - sowas interessiert mich sehr. Auch dein Stil ist leicht und flüssig zu lesen.

Momentan fehlt mir die Zeit für eine ausführliche Zerfieselung, mir sind aber auch keine groben Schnitzer aktuell aufgefallen. Ich würde so auf jeden Fall noch gerne dran bleiben und weiterlesen smile


Liebe Grüße, Pütchen


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"Die Menschen bauen zu viele Mauern und zu wenig Brücken."
(Isaac Newton, 1642-1726)

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Sammy58
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S
Beitrag13.12.2010 15:53

von Sammy58
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Part III

Ihr Bruder, mein Onkel also, lebte zu dieser Zeit in Hamburg. Er war der Einzige, zu dem sie nach unserer Ausreise Richtung Afrika Kontakt gehalten hatte. Und er war derjenige, der uns aufnahm, als wir zurückkehrten. Aus Angst vor der Reaktion meines Vaters geriet unser Aufbruch zu einer echten Nacht und Nebel Aktion. Mit nichts in der Hand als dem, was in unsere Reisetaschen passte. Ein paar Klamotten unter dem Arm, ein paar Erinnerungen im Kopf, nicht weniger, nicht mehr.
Ja, es sollte der große Neuanfang sein, der alles gut machen sollte, der wieder einmal alles veränderte, was ich vorher gewohnt war. Der mich einmal mehr den Ort verlassen ließ, an dem meine Freunde waren und den ich nach einiger Zeit der Eingewöhnung mein zu Hause nannte. Und nein, all das war für mich vorher nicht zu ahnen.
Den Kontakt zu meinem Vater habe ich nicht mehr lange aufrecht erhalten. Am Anfang war es mir wichtig, doch leider musste ich feststellen, dass sich seine Prioritäten im Gegensatz zu meinen deutlich verschoben haben. Meine Briefe, die ich ihm zu Anfang schrieb, beantwortete er nur zögerlich, bei Anrufen war er nicht zu erreichen. Er schien sein Interesse an mir mehr und mehr zu verlieren, obwohl ich doch sein Fleisch und Blut bin. Es war und ist für mich einfach nicht nachzuvollziehen.
Trotzdem blieb er mein Vater, und ich beschloss sogar einmal ihn zu besuchen, doch das ist lange her. Und nachdem dieser Versuch mehr als kläglich gescheitert war, da mein Erzeuger mir eine Ausrede nach der Anderen präsentierte, gab ich es schließlich auf.
Auch meine Mutter spielte bei dieser Entscheidung eine Rolle, denn ich spürte, dass sie es alles andere als gerne sah, wenn ich die alten Wunden immer wieder erneut aufriss. Ihrer Meinung nach hätte ich schon viel früher aufhören sollen, immer wieder um Aufmerksamkeit zu buhlen, nur um jedes Mal auf ein Neues enttäuscht zu werden.
Hinzu kommt, dass meine Mutter seit diesem Erlebnis offensichtlich beziehungsunfähig war, denn ich habe seit unserer Rückkehr diverse Partner meiner Mutter ein und ausgehen sehen, mit mal mehr, mal weniger schmerzhaftem Ausgang. Ich habe für mich zumindest nach relativ kurzer Zeit gelernt, dass es sich überhaupt nicht lohnt, irgendwelche Bande zwischen mir und Ihren Partnern entstehen zu lassen, allein um mich von vorne herein vor späteren Enttäuschungen zu schützen.
Daher habe ich seit jeher zur Kenntnis genommen, wenn wieder einmal jemand das Herz meiner Mutter erobert hatte, allerdings habe ich nie wieder einen Partner wirklich akzeptiert, und trotzdem habe ich bis heute mit den Folgen zu kämpfen.
So stehe ich jetzt hier, in typischem Hamburger Frühjahrswetter, Nieselregen und gefühlten 4 Grad Außentemperatur, die Augen immer noch auf das Klingelschild meiner Mutter gerichtet, dass mich gerade abschweifen ließ.
Und genau wie ich damals nicht ahnte, was auf mich zu kommen sollte, habe ich nun keine Ahnung, was die Zukunft für mich bereit hält.
Im Moment scheint es jedenfalls alles andere als reichhaltig zu sein. Einen Job habe ich nicht bekommen, sonst wäre ich schon längst weg von der Abendschule und raus aus meiner 25 Quadratmeter Bude. Ich würde schon gerne ein dickes Auto fahren, in meinem eigenen Haus wohnen, eine hübsche Frau heiraten und meine Kinder aufwachsen sehen. Doch all das ist wohl nicht mehr als eine Zukunftsträumerei.
Die Realität sieht anders aus. Die Realität heißt Abendschule, Deutschland, kaltes Wetter, wenig Freunde. Sie birgt wenig Motivation für den Alltag, wenig Perspektive für die Zukunft. Die Realität lässt mich nun an der Bushaltestelle warten, die sich gegenüber von dem Haus befindet, in dem meine Mutter wohnt.
Wenn ich gefragt werde, warum ich auf der Abendschule gelandet bin, sage ich oft, dass ich früher Schwierigkeiten hatte, mich morgens zu konzentrieren, dass ich mit dem Stoff nicht klar kam, dass ich Schwierigkeiten mit der Sprache hatte. Das ist zwar alles wahr, aber der Hauptgrund dafür, dass ich nun auf Druck meiner Mutter die Abendschule besuchen muss, ist, dass ich von sämtlichen anderen Schulen abgehauen oder geflogen bin. Ich hatte keinen Bock mich anzupassen, den Erwartungen des Systems zu entsprechen und zu gehorchen. Im Prinzip ist das bis heute nicht anders.
Ich war fast dreizehn, als ich zurück nach Deutschland kam, und ich meinte zu wissen, was gut für mich ist. Ich entdeckte kiffen, abhängen und klauen für mich. Wer braucht da schon noch eine gute Schulbildung?
Ich blicke werfen einen kurzen Blick auf die Datumsanzeige meines Handys. Genau drei Wochen sind es noch bis zu meinem achtzehnten Geburtstag, dem fünften seit meiner Rückkehr nach Deutschland. In das Land, das eigentlich meine Heimat sein sollte, aber nicht mehr als ein Aufenthaltsort für mich geworden ist. Woran das liegt?

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