Osterpapeterie

[Jocelyn]

Ich habe etliche Kindergartenjahre mit Tonkarton erlebt.

Im ersten Jahr hatte ich für die Wände kaum ein Auge.
Im zweiten Jahr lernte ich, dass fürs Ergebnis die Vorlage entscheidend ist.
Im dritten wusste ich, welcher Laden die meisten Grüntöne verkauft.
Im vierten lernte ich die Vorteile der Nagelschere kennen.
Im fünften entdeckte ich den karierten Gänselieselkarton.
Im sechsten hatte ich für den Elternbastelabend keine Zeit mehr.
Im siebenten kaufte ich perfekte Tonkartonbilder aus dem Eingangsbereich.
Im achten wäre ich am liebsten mit dem Müllbeutel durch die Einrichtung gezogen.

Heute basteln meine Kinder nicht.

Gestern habe ich unsere Wohnung geschmückt.
Im Fenster hängt mein weißer Papierhase mit karierter Aufhängschleife.
Dahinter ziehen die Blumenkohlwolken wie Hochseetanker vorbei.
Mal fliegt er über sie hinweg.
Mal lässt er sich auf ihnen treiben.
Mal kuschelt er sich in ihr Fell.

Etwas hat sich verändert.
Vielleicht waren neue Worte der Anfang.
Vielleicht waren sie gar nicht neu.

Vielleicht-
sind sie nur versteckt.

[BlueNote]

Guten Morgen Jocelyn,

ich habe deinen Text sehr gerne gelesen. Hört sich nach Insider(in) an. Am besten hat mit die Strophe mit den Blumenkohlwolken gefallen.
Jaaa ... an den Väterbastelabend erinnere ich mich auch noch. Am meisten irritierte die Väter da, dass es kein Bier gab.

BN

[Jocelyn]

Danke BlueNote,

in diesem Textchen stecken gemischte Gefühle. Eine Zeit, die vorbeigegangen ist. Einmal lässt sie unangenehme Gefühle zurück, da sie nicht das einhielt, was sie versprochen hat, einmal auch, weil sie unwiederbringlich vorbei ist, so wie ein zweites Stück Kindheit.

Nur der Hase hält den Nachklang. In einer Art Hasenfellhimmel liegt ein Stück Sehnsucht. Und vielleicht neue Hoffnung.

So ungefähr liest es sich für mich heute.

Ich hatte das Werk fast vergessen.

Lieben Gruß, Jocelyn