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Nihil { }
Moderator Alter: 34 Beiträge: 6039
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08.05.2010 17:04
von Nihil
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Liebe/r Autor/in von „Würdenträger in Graslandschaft“,
dies waren die Kriterien, die meine Bewertung beeinflusst haben:
1) Umgang mit dem vorgegebenen Thema
(Einfallsreichtum, Bedeutung für die Geschichte, Einbindung in den Kontext)
2) Dramaturgie
(ansprechender und sinnvoller Titel, Organisation der Handlung, Spannung)
3) Form und Sprache
(Rechtschreib- und Grammatikfehler, Wortschatz, stringenter Stil, Perspektive)
4) Fazit
(Vergleich mit anderen Einsendungen, persönliche Meinung)
Du verarbeitest in deiner Geschichte das aktuelle Thema um die Sexualmissbräuche der katholischen Kirche und lässt einen Internatsleiter ans belgische Meer fliehen. Die Entscheidung selbst, diesen aktuellen Disput aufzugreifen, finde ich in Ordnung. Weniger gut gefällt mir jedoch, dass hier inhaltlich nichts anderes geboten wird als die Vorurteile, die die Medien immer weiter verbreiten. Ich sage dazu, ich bin weder Katholik noch würde ich mich als Christ bezeichnen. Aber deine Geschichte schürt Vorurteile, obwohl es ein Einzelschicksal darstellt. Wieder ist es ein hochrangiger Katholik, der sich an Minderjährigen vergangen hat und deswegen auf der Flucht ist. Noch schlimmer: Das bischöfliche Ordinariat hat es ihm sogar befohlen, es stecken also alle in dieser Sache drin. Mir stößt das sauer auf, weil es rechtschaffene Priester gibt, die unter dieser Medienhetze leiden müssen. Davon abgesehen spielt das Moor hier nur eine unwesentliche Rolle. Der Mönch hätte genau so gut in die Schweizer Berge fliehen können. Das ist aber nur ein Nebenkriterium.
Sehr gelungen finde ich, dass du dir die Zeit lässt, im ersten Absatz den Hintergrund für die Flucht zu erklären. Dabei nennst du alle wichtigen Informationen, ohne zu viel zu reden, so dass man der Geschichte auch folgen kann, wenn man in den letzten sechs Monaten weder Radio, Fernsehen oder Zeitung verfolgt hat. Im zweiten Absatz schwenkst du vom Schicksal des Präfekts zu dem der Reporterin, die ihn für seine Geschichte benötigt. Auch diesen Kniff finde ich gut durchdacht. Denn so lernt man nicht nur die Beweggründe der Journalistin kennen, gleichzeitig wird auch die Angst des Präfekten spürbar, da er sich ausmalt, dass beinahe jede Situation, in der er erwischt werden könnte, ihm schaden könnte. Im dritten Absatz wird die Spannung dadurch angezogen, dass der Flüchtling am Meer angelangt ist, die Flucht nach vorne bleibt ihm also verwehrt. Schließlich taucht trotz aller Vorsicht die gefürchtete Reporterin auf, schießt ihr Foto und mit der Schlagzeile, einem sauberen Höhepunkt, bricht die Geschichte am Punkt der höchsten Spannung ab. Hier gibt es aus meiner Sicht nichts zu kritisieren, denn der Handlungsaufbau und die Informationsvermittlung passen hervorragend zu dem 300-Wörter-Rahmen. Allein der Titel erscheint mir seltsam. Er klingt nach dem Titel eines impressionistischen Bildes und ich finde, das passt hier nicht. Natürlich ist er in jedem Fall besser als ein plakativer Titel wie „Auf der Flucht“, aber er ist im Vergleich zu den anderen Titel nicht positiv hervor gestochen.
Auch aus sprachlicher Sicht gefällt mir dein Text. Du verwendest einen angemessenen Wortschatz, baust einen Lesefluss auf und die Aufzählungen, die du immer mal wieder gebrauchst, erzeugen Spannung. Ich sehe noch nicht einmal Kleinigkeiten wie ungeschickte Satzkonstruktionen oder ungenaue Beschreibungen. Dafür gibt es andere Dinge, die ich kritisiere. Zum einen ist es der teilweise ironische Ton, der mir nicht gefällt (siehe auch den ersten Absatz). Zitat: | Zu Hause im Erzbistum jagten Presseorgane und selbsternannte Richter inzwischen ja jedem Mönchsrock hinterher. Gewissenlos beschmiss man selbst höchste geistliche Würdenträger mit Dreck oder stellte ihnen peinliche Fragen. |
Einerseits machst du dich über den Präfekten lustig, der andererseits wegen seiner Gedankengänge als lächerlich dargestellt wird (er hat Kinder belästigt, nennt aber die Reporter gewissenlos). Das ist nichts anderes als das typische Herziehen, das man wie gesagt auch aus den Medien schon zur Genüge kennt.
Was mir außerdem aufgefallen ist, ist die hohe Dichte an sprichwörtlichen oder Klischee-Wendungen. Du verwendest Formulierungen wie Nacht- und Nebelaktion, Gras über die Sache wachsen lassen, jemandem dicht auf den Fersen sein, von der Bildfläche verschwinden und jemandem zum Schweigen verpflichten. All diese Formulierungen drängen sich einem beim Schreiben und Reden auf und sollten deswegen vermieden werden. Denn auf der anderen Seite verwendest du keine originellen Metaphern oder andere Stilmittel, die positiv auffallen und die aufgebrauchten Formulierungen tilgen würden.
Vom Handwerk her hat mir deine Geschichte sehr gut gefallen, vom Thema her weniger. Es hätte noch ein paar Dinge gegeben, die sie noch besser gemacht hätten, aber dennoch ist sie eine der besten des Wettbewerbs und somit überdurchschnittlich gut.
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Don Met Gänsefüßchen
D Alter: 49 Beiträge: 39 Wohnort: NRW
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Traumtänzerin Fähnchen Fieselschreib
Alter: 30 Beiträge: 1178
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09.05.2010 18:32
von Traumtänzerin
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Aus Zeitgründen ist das hier lediglich ein neutraler Kommentar (als "Zugangsvoraussetzung" für's Bewerten).
Ausführliche Kritik folgt.
LG,
Traumtänzerin
_________________ Title sponsored by Boro, (c) by Alogius
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Es genügt nicht, keine Meinung zu haben. Man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.
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Eine spitze Zunge ist in manchen Ländern schon unerlaubter Waffenbesitz.
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Dem wird befohlen, der sich selbst nicht gehorchen kann. (Nietzsche)
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Inquisition war in der frühen Neuzeit der ganz große Burner. |
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Maria Evolutionsbremse
Alter: 52 Beiträge: 5998
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09.05.2010 20:26
von Maria
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Tach. Aus Zeitmangel nur stichwortartige Anmerkungen. Bei konkreten Fragen komm ich natürlich nochmal darauf zurück.
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Wenn das Exil die Verknüpfung zum Bild ist, dann ist es mir zu wenig. Wenn es das nicht ist, dann hab ich leider garkeine Assoziation verfolgen können. Gut formuliert, flüssig erzählt und aktuell. Aber auch hier : die Vorgabe für mich nicht erkennbar
Punkte schreib ich nicht hin, vielleicht werte ich nochmal um, frag mich einfach wenns interessiert
_________________ Give me sweet lies, and keep your bitter truths.
Tyrion Lannister |
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4297
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09.05.2010 21:06
von hobbes
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Gefällt mir, bringt gut diese „die sollen sich mal nicht so anstellen, ich hab doch nichts Schlimmes getan, ganz schön lästig diese Meute“-Einstellung rüber.
Manko: der Schluss. Der kommt so plötzlich. Ja ja, ich weiß, man durfte nur 300 Wörter… Trotzdem. Warum geht er überhaupt raus frag ich mich, wenn er überall Verfolger wähnt.
_________________ Don't play what's there, play what's not there.
Miles Davis |
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Homer Dr. Wunderlich
Alter: 33 Beiträge: 499 Wohnort: Nur eine Schattenbreite entfernt
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10.05.2010 15:25 ^^ von Homer
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Wieder eine ganz aktuelle Thematik und wieder sprachlich sehr gut umgesetzt, also kommt diese Geschichte auch auf meine Favoriten Liste.
_________________ Grüße aus der Paradoxbox.
...
Du kannst mich auch Narziß nennen.
...
VORSICHT SUBJEKTIVE SARKASTISCHE IRONISCHE ZYNISCHE ANSTÖSSIGE UNSINNIGE PARANOIDE NEUROTISCHE UND PSYCHOTISCHE INHALTE
...
Mein Kopf ist meine Heimat
und wir fühlen uns dort wohl.
...
Ich bin eine Nachteule: Schuhuu! |
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gepuzzelt Eselsohr
G
Beiträge: 289 Wohnort: Australien
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G 10.05.2010 15:46
von gepuzzelt
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ein Thema, das momentan die Presse beherrscht, und daher vielleicht nicht wirklich einer literarischen Verbratung bedarf, zumindest nicht in der Kürze, in der kaum Zeit für Subtilitäten ist.
puzz
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halcyonzocalo Einsamer Trancer
Alter: 34 Beiträge: 1202 Wohnort: Irgendwo im Nirgendwo
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10.05.2010 16:24
von halcyonzocalo
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Die Idee finde ich prinzipiell gut und auch die spürachliche Gestaltung ist über weite Strecken solide geraten. Allerdings fehlt dem text ein Überraschungsmoment. Er ist schlichtweg zu unspektakulät und vorhersehbar.
Insofern gibt es 5 Federn von mir.
_________________ Die minimaldeterministische Metaphernstruktur mit ihrer mytophoben Phrasierung spiegelt den ideeimmanent abwesenden Bedeutungsraum. |
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i-Punkt Klammeraffe
Alter: 46 Beiträge: 512 Wohnort: Baden-Württemberg
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10.05.2010 18:19
von i-Punkt
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Sauber geschriebene, bildhafte Geschichte. Aber sie packt mich nicht. Vielleicht weil du selbst eine zu große lakonisch-ironische Distanz zu den Vorgängen wahrst.
Der Präfekt mit seinen DVDs und wehendem Mönchsrock auf der Flucht vor Presseorganen und selbsternannten Richter, die ehrgeizige Lokalreporterin, die eingeschüchterten Opfer. Sie bleiben zweidimensional und stehen nur als Symbole nicht als richtige Charaktere.
I.
_________________ Schreiben ist einfach, man setzt sich nur hin, starrt auf ein weißes Blatt Papier, bis sich Blutstropfen auf der Stirn bilden. |
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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11.05.2010 16:30
von BlueNote
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Hi!
Bei meinem Text ist hauptsächlich bemängelt worden, dass er zu berichtemäßig abgefasst wurde. In der Aufgabenstellung hieß es:
Zitat: |
Du merkst schon, hier bist du gezwungen, ausufernde Beschreibungen, langatmige Dialoge und komplizierte Ereignisse gnadenlos auszumerzen und sowohl deine Idee als auch deinen Schreibstil auf ihre wahre, unverwässerte Essenz zu destillieren.
und
Welche Erzählperspektive und Genre im Bereich der Prosa sind euch freigestellt.
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Ich habe ein „Genre“ gewählt, das sich eher am Journalismus orientiert als an der Belletristik, da das Thema ja auch etwas mit einer Zeitung zu tun hatte. Ich würde behaupten, dass in meinem Text durchaus mit wenig Worten viel gesagt wurde und er keine „langatmigen Dialoge“ enthält. Außerdem sollte die Redewendung „Gras über die Sache wachsen“ den Bezug zum Bild darstellen. Warum dann der Kommentar „Themaverfehlung“?
Den Versuch, die Geschichte aus der Sicht des Täters zu beschreiben, wollte ich nicht unternehmen. Auch nicht aus der Sicht eines Opfers. Gerade das Fehlen des Opferstandpunktes macht den Sinn der Geschichte aus: Jeder Beteiligte hat nur seinen eigenen Vorteil im Sinn: der Präfekt und das Ordinariat die Vertuschung, die Zeitungsleute ihre Story. An die Opfer denkt tatsächlich niemand – genauso wie in der Realität.
Dem Text "Bild-Zeitungs-Stil" zu unterstellen, halte ich für ein starkes Stück. Danke Sir, für die großzügige Bewertung!
Da ich keine Fernsehreportagen über diese Thematik anschaue, ist das Thema für mich auch noch nicht durch – ich kenne es nur aus der Zeitung. Das Vergehen des Präfekten war es übrigens, pädophile Videoaufnahmen von seinen Internatskindern zu erstellen. Und da er diese selbst anfertigt, lädt er sie auch nicht (wie angemerkt) vom Internet herunter.
Diesen Kommentar fand ich seltsam:
Zitat: |
ich hätte gerne auf diesen Text verzichtet
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Das war nicht nett!
Wenigstens war der Nihil nett zu mir. Ihm gönne ich den Zusatzpreis von ganzem Herzen.
Heute nicht mehr ganz so niedergeschlagen
BN
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