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Letzte Frühlingstage (in Erinnerung an E.)


 
 
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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7304
Wohnort: NBY



Beitrag29.04.2010 14:49
Letzte Frühlingstage (in Erinnerung an E.)
von BlueNote
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Letzte Frühlingstage
(in Erinnerung an E.)

Ein flutendes Grün strahlt durch die vom Morgentau schimmernden Blätter
direkt in dein weit offenes Herz. Der Morgen ist ruhig. Da sind nur Vögel,
die früh ihr Tagwerk beginnen. Ein gutes Gefühl schwingt mit.
Es ist wie ein Schweben im Raum. Du glaubst fest daran, dass sich alles zum Guten wenden wird.
Energie durchströmt die Morgenluft und du denkst an Batterien,
die tief in deinem Inneren sitzen und mit aller Lebenskraft geladen werden.
Jetzt wäre der Zeitpunkt richtig für einen Morgenkuss.

Lichtpunkte blitzen auf, von allen Wassertropfen her.
Der Tag ist hellwach, jedoch noch nicht mit der Schwere des Mittags beladen.
Im Garten die Tiere - deine über alles geliebten Ersatzfreunde.
Versonnen siehst du ihnen zu bei ihrem emsigen Tun.
Du hast Zeit. Du hast Ruhe. Jetzt mischst du noch mit,
ehe dich die anderen im Tagesverlauf alle wieder rechts überholen werden.
Die Hektik kann warten. Das Leben fließt langsam vorbei.

Die Temperatur ist so, wie es angenehm für dich ist.
Denn da bist du anspruchsvoll:
Du magst nicht die flirrende Hitze des Südens
und auch nicht die klirrende Kälte des Nordens.
Du liebst den Morgen und du liebst den Abend.
Wenn andere darauf warten, dass etwas endet oder etwas beginnt,
stehst du auf und genießt dein kleines bisschen Leben dazwischen.

Ebenso liebst du den Frühling, den Herbst - abseits der dunklen Regentage.
Und wenn dein Frühling zum Herbst wird, spürst du, dass es allmählich zu Ende geht mit dir,
dass du dich wie ein verletztes Tier zurückziehen musst in dein sicheres Haus.
Sie haben dich auf ihre Liste gesetzt, obwohl du doch dein Leben
erst gerade begonnen hast, vor neunundvierzig Jahren.
Morgen fangen wir an! Das war immer dein Gedanke.
Aber dies war ein großer Irrtum. Denn morgen hörst du schon auf.

Was dir bleibt ist die Kühle des Morgens
und die Vorstellung an all die Schönheiten dieser Welt,
die auch noch nach dir weiterbestehen werden.
Irgendwann kommen die Schmerzen dazu.
Dann ist es die Erinnerung an deinen letzten Frühling
und an das satte Grün frischer Blätter
die dich noch ein kleines Stückchen am Leben erhalten wird.

An den Herbst denken wir nie, an Tagen wie heute,
oder daran, dass wir all die Blätter wieder wegräumen müssen,
so dass sie von irgendeinem  Müllwagen irgendwohin abtransportiert werden können.
Wenn die Apfelbäume blühen unter einem strahlend blauen Morgenhimmel
machen wir uns über das Sterben keine Gedanken.
Darüber, dass alles zerfällt und zu Kompost wird, den wir – oder andere Menschen nach uns –
wieder in die Hände nehmen, um neuem Leben auf die Sprünge zu helfen.

Der Gedanke an den ewigen Kreislauf der Welt macht uns traurig.
Nur das Hier und Jetzt halten wir für real.
Alles andere übersteigt unsere Vorstellungskraft.
Das Andere malen wir uns aus in völlig falschen Farben,
bis unsere Lebenslüge,
unsere Todeslüge
komplett ist.

Dann ist unser Leben vollbracht.

Und wenn der Tod viel zu früh kommt,
denken wir an das flutende Grün sonniger Frühlingstage
und dass wir so gerne noch ein paar dieser
vor Leben strotzenden Augenblicke
zusammen mit dir erlebt hätten.

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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7304
Wohnort: NBY



Beitrag01.05.2010 00:28

von BlueNote
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ist der Text vielleicht ohne den Flattersatz leichter lesbar? Ich habe ja kürzlich einen ganzen Roman  ("Der fliegende Berg") im Flattersatz gelesen und fand das hervorragend. Oder ist der Text generell zu ... lyrisch? Jetzt weiß ich es selber nicht ...

Bei diesem Text habe ich mehrere Experimente gewagt:
Die Erzählzeit im Präsens
Ein "Du"-Protagonist
Der Flattersatz (=lyrische Prosa)
Das zugrunde liegende Ereignis liegt erst wenige Tage zurück

Ich fand das interessant, den Text in siebenzeilige Absätze zu gliedern und so dem Text, den Gedanken einen lyrischen Touch zu verleihen. Und da sich ja niemand unter diesen Beitrag setzt, kann ich in diesem Artikel weiter lustig Selbstgespräche führen. Vielleicht liest das ja noch wer.
Für Trauer die richtigen Worte zu finden ist schwierig. Auch für Menschen, die einen nicht sehr nahe gestanden waren. Der "Verlust an Leben" ist immer erschütternd, das Erleben, wie ein Körper mit der Zeit zu Grunde gerichtet wird, immer deprimierend. Durch das Küchenfenster scheint gerade die Sonne ... Ich nehme mir heute fest vor, wenigstens heute einmal das flutende Grün der Blätter zu genießen.



Letzte Frühlingstage
(in Erinnerung an E.)

Ein flutendes Grün strahlt durch die vom Morgentau schimmernden Blätter direkt in dein weit offenes Herz. Der Morgen ist ruhig. Da sind nur Vögel, die früh ihr Tagwerk beginnen. Ein gutes Gefühl schwingt mit. Es ist wie ein Schweben im Raum. Du glaubst fest daran, dass sich alles zum Guten wenden wird. Energie durchströmt die Morgenluft und du denkst an Batterien, die tief in deinem Inneren sitzen und mit aller Lebenskraft geladen werden. Jetzt wäre der Zeitpunkt richtig für einen Morgenkuss.

Lichtpunkte blitzen auf, von allen Wassertropfen her. Der Tag ist hellwach, jedoch noch nicht mit der Schwere des Mittags beladen. Im Garten die Tiere - deine über alles geliebten Ersatzfreunde. Versonnen siehst du ihnen zu bei ihrem emsigen Tun. Du hast Zeit. Du hast Ruhe. Jetzt mischst du noch mit, ehe dich die anderen im Tagesverlauf alle wieder rechts überholen werden. Die Hektik kann warten. Das Leben fließt langsam vorbei. Die Temperatur ist so, wie es angenehm für dich ist. Denn da bist du anspruchsvoll: Du magst nicht die flirrende Hitze des Südens und auch nicht die klirrende Kälte des Nordens. Du liebst den Morgen und du liebst den Abend. Wenn andere darauf warten, dass etwas endet oder etwas beginnt, stehst du auf und genießt dein kleines bisschen Leben dazwischen. Ebenso liebst du den Frühling, den Herbst - abseits der dunklen Regentage. Und wenn dein Frühling zum Herbst wird, spürst du, dass es allmählich zu Ende geht mit dir, dass du dich wie ein verletztes Tier zurückziehen musst in dein sicheres Haus. Sie haben dich auf ihre Liste gesetzt, obwohl du doch dein Leben erst gerade begonnen hast, vor neunundvierzig Jahren. Morgen fangen wir an! Das war immer dein Gedanke. Aber dies war ein großer Irrtum. Denn morgen hörst du schon auf.

Was dir bleibt ist die Kühle des Morgens und die Vorstellung an all die Schönheiten dieser Welt, die auch noch nach dir weiterbestehen werden. Irgendwann kommen die Schmerzen dazu. Dann ist es die Erinnerung an deinen letzten Frühling und an das satte Grün frischer Blätter, die dich noch ein kleines Stückchen am Leben erhalten wird. An den Herbst denken wir nie, an Tagen wie heute, oder daran, dass wir all die Blätter wieder wegräumen müssen, so dass sie von irgendeinem Müllwagen irgendwohin abtransportiert werden können. Wenn die Apfelbäume blühen unter einem strahlend blauen Morgenhimmel, machen wir uns über das Sterben keine Gedanken. Darüber, dass alles zerfällt und zu Kompost wird, den wir – oder andere Menschen nach uns – wieder in die Hände nehmen, um neuem Leben auf die Sprünge zu helfen.

Der Gedanke an den ewigen Kreislauf der Welt macht uns traurig. Nur das Hier und Jetzt halten wir für real. Alles andere übersteigt unsere Vorstellungskraft. Das Andere malen wir uns aus in völlig falschen Farben, bis unsere Lebenslüge, unsere Todeslüge komplett ist. Dann ist unser Leben vollbracht. Und wenn der Tod viel zu früh kommt, denken wir an das flutende Grün sonniger Frühlingstage und dass wir so gerne noch ein paar dieser vor Leben strotzenden Augenblicke zusammen mit dir erlebt hätten.
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Murmel
Geschlecht:weiblichSchlichter und Stänker

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Beiträge: 6380
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Beitrag01.05.2010 14:41

von Murmel
Antworten mit Zitat

Ich halte die Anwendung des 'du' Erzählers, der am Ende in das 'Wir' hinein schwingt für gut gelungen, und auch die Tiefe des Schmerzes kommt sehr gut herüber.

Mir gefällt die Flattersatzversion besser.  Die andere geht auch, allerdings solltest du bei dem Übergang vom Du zum Wir einen Absatz machen. Es läse sich besser.

Zitat:
Ein flutendes Grün strahlt durch die vom Morgentau schimmernden Blätter direkt in dein weit offenes Herz.

Nur der allererste Satz bereitet mir Schwierigkeiten. Er ist zu viel im Vergleich zu dem Anderen. Zuviele Adjektive vielleicht? Brauche ich die Erklärung fürs Schimmern? Muss das Grün fluten und strahlen? Ich finde fluten schön... Grün flutet... Irgendwie sehe ich dann das Strahlen gleichzeitig mit.

Ansonsten kann ich die Gefühle, die in dem Werk stecken, gut nachvollziehen. Schön.


_________________
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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7304
Wohnort: NBY



Beitrag02.05.2010 00:09

von BlueNote
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi Murmel,

Zitat:

Mir gefällt die Flattersatzversion besser.

Mir auch! Flatterprosa ist wirklich zu empfehlen (siehe Buchhinweis!).

Zitat:

allerdings solltest du bei dem Übergang vom Du zum Wir einen Absatz machen. Es läse sich besser.

Gute Idee! In der ersten Variante wäre dieser Absatz ja bereits vorhanden.
Zitat:

Nur der allererste Satz bereitet mir Schwierigkeiten.

Wahrscheinlich ist der Satz zu sperrig. Zuerst hatte ich geschrieben "direkt in dein offenes Herz" - aber das hörte sich dann doch etwas zu "medizinisch" an. Im ersten Satz muss nicht so viel auf einmal gesagt werden.
Zitat:

Ansonsten kann ich die Gefühle, die in dem Werk stecken, gut nachvollziehen. Schön.

Danke für deine Reaktion. Ich bin mir bei der "Existenzberechtigung" dieses Textes eher unsicher. Aber Themen dieser Art beschäftigen einen (zwangsläufig) zunehmend.

Guten Abend

BlueNote
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Ilona
Klammeraffe
I


Beiträge: 558
Wohnort: irgendwo in Hessen


I
Beitrag02.05.2010 19:42

von Ilona
Antworten mit Zitat

Ich kenne diese thematik durchaus und halte den Text daher für wichtig. Das Leben eines Todgezeichneten besteht ja nicht nur aus Drama sondern auch aus leiser Wehmut um nicht gelebtes Leben.

Sprachlich haben mich ein paar Sachen gestört:

Zitat:
Ein gutes Gefühl schwingt mit.


finde ich nicht aussagekäftig

Zitat:
Es ist wie ein Schweben im Raum


klingt in meinen Ohren sperrig

Zitat:
Morgen fangen wir an! Das war immer dein Gedanke.
Aber dies war ein großer Irrtum. Denn morgen hörst du schon auf.


Der Gedanke hat mir gut gefallen, vertrödelte Zeit die jetzt fehlt.

Grüße

Ilona
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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7304
Wohnort: NBY



Beitrag04.05.2010 20:47

von BlueNote
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi Ilona,

deine Hinweise sind hilfreich. Beim Überarbeiten werde ich sie beachten.
Ich danke dir sehr.

BlueNote
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