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Kindheitstraum(a)

 
 
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Chablis
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 67
Beiträge: 269
Wohnort: Leipzig


Beitrag28.08.2007 10:56
Kindheitstraum(a)
von Chablis
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich war 12 damals, und meine Noten auf dem Zwischenzeugnis der Quinta (6. Klasse) waren dazu angetan, mich gleich von der Schule zu nehmen.

Aber mein früherer Grundschullehrer hatte meinen Eltern mit beschwörenden Worten klar gemacht, dass ich auf jeden Fall auf das Gymnasium müsste. Kein Wunder eigentlich, denn bis zur 4. Klasse hatte ich nicht die geringste Mühe, den Stoff zu lernen.

Ich war in einer kleinen Dorfschule in der Eifel. Von der 1. bis zur 8. Klasse saßen alle in einem Raum. Der Lehrer wäre hoffnungslos überfordert gewesen, einen für jede Klasse adäquaten Unterricht abzuhalten. So hatte ich es viel zu leicht und musste kaum etwas tun. Im Ergebnis hieß das, dass ich zu dieser Zeit nie meine Hausaufgaben machte. Ich wurde auch nicht kontrolliert, da ich eh alles wusste, was so verlangt wurde.
 
Auf dem Gymnasium war das eine völlig andere Sache. Vom ersten Tag an musste man voll bei der Sache sein, und wer nicht gelernt hatte zu lernen, wie ich, war eigentlich schon verloren. Die Sexta hatte ich noch so grade halbwegs vernünftig hinter mich gebracht, ohne das meine Eltern ob der schlechter gewordenen Noten stutzig geworden waren. Sie waren viel zu sehr mit dem Aufbau einer eigenen Existenz beschäftigt, um mich zu kontrollieren. Außerdem waren da noch drei weitere Geschwister, die versorgt werden mussten. Erst das Halbjahreszeugnis ließ sie aufwachen.

Nachdem mein Vater sein übliches Donnerwetter über mir losgelassen hatte und meine Mutter die ganze Zeit über verzweifelt auf einem Stuhl gesessen hatte, mein Zeugnis in der Hand, wurde die Entscheidung gefällt: Der Junge muss ins Internat. Dort ist er unter Aufsicht, muss lernen und kommt so nicht auf dumme Gedanken.
 
So wurde es auch gemacht. Ich möchte noch erwähnen, dass es sich bei diesem Internat um ein sogenanntes Konvikt handelte. Eine katholische Einrichtung, die mit harter Hand geleitet wurde. Da gab es zunächst einmal Priester, die die Leitung der Einrichtung inne hatten. Desweiteren war da ein Heer von Nonnen, die in der Küche und an anderen Plätzen eingesetzt wurden.

Das Schlimmste für mich jedoch waren die Aufseher, Präfekten genannt. Sie kontrollierten alles, was mit den Internatsschülern zusammenhing. Von der Schule gekommen, führten sie die Aufsicht im Speisesaal, später bei den Hausaufgaben. Sie waren immer präsent und noch mehr gefürchtet. Schläge oder andere Bestrafungen gehörten zu ihren erzieherischen Maßnahmen.
 
Meine Eltern, die mich auf diese Weise bequem losgeworden waren konnten sicher sein, dass sich um mich gekümmert wurde. Dem war auch so. Wer in irgendeinem Schulfach eine Note 4 oder schlechter war, bekam von oben genannten Präfekten Nachhilfe. Dies war direkt im Anschluss an die festgelegte Zeit für die Erledigung der Hausaufgaben. Freizeit gab es demnach bis zum Abendessen keine, da ich in mehreren Fächern Nachhilfeunterricht genoss.

Meine Noten verbesserten sich in gleichem Maße, wie sich mein Allgemeinzustand verschlechterte. Ich wurde ängstlich und kuschte. Oft ging es mir schlecht. Doch fielen die äußerlichen Signale niemandem auf. Und dann kam dieser Morgen, den ich im Leben nicht wieder vergessen werde.

Hierzu muss ich im Vorfeld erklären, wie es morgens auf den Zimmern und Fluren im Internat zuging. Ein Präfekt weckte uns, indem er sich auf unseren Flur stellte und mit Soldatenstimme zum Aufstehen aufforderte. Sofort standen alle senkrecht im Bett und beeilten sich, im Schlafanzug zu den Waschräumen zu gelangen. Auch dort waren die Aufseher stets anwesend und kontrollierten unsere Morgentoilette. Danach zogen wir uns an und machten unsere Betten. Auch das wurde immer überprüft. Nur in der eigentlichen Schulzeit morgens waren wir so etwas wie frei. Darum gingen wir alle auch gerne zur Schule.

Ich wurde an besagtem Morgen ausnahmsweise schon vor dem Weckkommando wach. Ich hatte geträumt. Schlecht geträumt. Normalerweise vergesse ich Träume sehr schnell, doch dieser war so plastisch gewesen, dass ich mich heute noch ziemlich genau daran erinnere. Irgendwann träumte ich, dass ich zur Toilette gehe und mich erleichtere. Das war der Augenblick, als ich wach wurde. Das Bett unter meinem Po war nass und warm. Ein Riesenschreck durchfuhr mich. Es war noch dunkel und so konnte ich nur mit der Hand fühlen, was ich da angerichtet hatte.

Meine Gedanken rasten. Was mache ich jetzt? Wenn wir geweckt werden, müssen wir unsere Betten lüften und in die Waschräume gehen. Der sicherlich nicht kleine Fleck würde sofort auffallen, geschweige denn der an meiner Schlafanzughose. Verzweiflung beherrschte mich. Ich musste einen Weg finden, mein Dilemma zu verbergen. Auch vor den anderen fünf Kindern im Schlafsaal. Wie schnell wüssten alle Bescheid, dass ich mit zwölf Jahren wieder zum Bettnässer geworden bin.

Leise rollte ich mich aus dem Bett, deckte das Oberbett auf und versuchte zu ertasten, wie groß der Fleck ist. Dabei kam mir die Idee, diesen mit dem Kopfkissen abzudecken, während ich im Waschraum bin. Gedacht, getan. Gegen den Geruch, der von meinem Bett ausging, konnte ich jedoch kaum etwas tun. Jetzt schlich ich zu meinem Schrank und fischte einen anderen Schlafanzug raus.

Ich hatte mich gerade umgezogen, als die Stimme auf dem Flur uns aufforderte, aufzustehen. Mit klopfendem Herzen begab ich mich zur Morgentoilette. Jeden Moment erwartete ich, dass einer der Aufseher zu mir kommen würde, oder dass einer meiner Zimmergenossen etwas sagte. Doch nichts geschah. Mein Herz drehte immer noch durch, als ich wieder zurück ging. Ich hatte mich sehr beeilt und war der erste im Zimmer.

Niemandem schien etwas aufgefallen zu sein. Schnell machte ich mein Bett, noch bevor ich mich anzog. Soweit war alles glimpflich ausgegangen. Doch schon auf dem Weg zum Speisesaal kamen wieder schlimme Gedanken. Unsere Bett- und sonstige Wäsche wurde an jedem zweiten Wochenende von den Eltern abgeholt und gewaschen. Spätestens dann würde es herauskommen, das wusste ich.

An den Rest des Tages erinnere ich mich nicht mehr, wie an so vieles, dass ich wohl verdrängt habe. Aber es kam die nächste Nacht, die das gleiche Ergebnis zeigte. Wieder hatte ich mich erleichtert, und wieder ging morgens alles gut.

Doch nach mehreren Tagen, noch bevor meine Mutter die Wäsche holen konnte, fiel es auf. Ich weiß heute nicht mehr, ob es der mittlerweile unerträgliche Geruch gewesen war, oder ob der inzwischen große, gelbe Fleck aufgefallen war. Jedenfalls war ich ertappt. Die anderen Schüler reagierten, wie ich es befürchtet hatte. Ich war nur noch der Pisser, der sich in die Hosen macht.

Über die Reaktion der Internatsleitung, einschließlich der Präfekten war ich jedoch erstaunt. Kein böses Wort, keine Bestrafung, nichts. Stattdessen wurden meine Eltern informiert und mit mir zum Arzt geschickt. Nach eingehender Untersuchung bekam ich ein Medikament verschrieben, das den Harndrang unterbindet.

Fortan spielte sich morgens ein anderes Drama im Schlafsaal ab. Ich machte nicht mehr ins Bett, was mich sehr erleichterte. Doch hatte ich jetzt morgens höllische Schmerzen in der Blasengegend. Es war kaum möglich, auf der Toilette Wasser zu lassen, so weh tat es.

Aber wen interessierte das. Für die Beteiligten waren alle Probleme vom Tisch. Ich war wieder gesund.



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Rennschnitzel
Geschlecht:männlichFestmahl

Alter: 33
Beiträge: 1010
Wohnort: Württemberg


Sir Winterblast
Beitrag28.08.2007 17:12

von Rennschnitzel
Antworten mit Zitat

das ist so ziemlich das aufrichtigste, was ich in diesem forum jemals gelesen habe. ich bin ehrlich beeindruckt von dir. ich hätte es nicht geschafft, so einen text über meine kindheitstraumata zu schreiben, geschweige denn, hier zu veröffentlichen. ich zolle dir mein maximum an respekt für diesen seelenstriptease.

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Ralphie
Geschlecht:männlichForenonkel

Alter: 71
Beiträge: 6403
Wohnort: 50189 Elsdorf
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Beitrag28.08.2007 17:17

von Ralphie
Antworten mit Zitat

Rin Ereignis hat mein ganzes Leben geprägt: Ich war etwa zehn oder elf. Wir hatten meine Großmutter zu Besuch, und ich musste bei meinen Eltern schlafen. Dann wurde ich mitten in der Nacht wach und sah, wie meine Eltern miteinander kopulierten. Ich bin mein ganzes Leben Junggeselle geblieben.
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Chablis
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 67
Beiträge: 269
Wohnort: Leipzig


Beitrag28.08.2007 17:29

von Chablis
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Ralphie, ich weiß heute nicht, inwieweit mich meine Internatszeit geprägt hat. Aber ich kann mir vorstellen, dass sowas einen größeren Einfluss auf das spätere Leben hat, als man es sich zugestehen mag.
Solange Du Dein Junggesellendasein nicht bereut hast, ist es ja noch halbwegs in Ordnung.
Chablis


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