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Inkognito Eselsohr
Beiträge: 464
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06.02.2010 10:13 Der Quotenclown von Inkognito
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Dieser Beitrag wurde auf Wunsch des Autors inkognito eingestellt.
Es gehört zu meinem Leben, dass ich es gelegentlich in Frage stelle. Es ist ein Hobby von mir.
Falsch, es ist eine Leidenschaft.
So war es kein Wunder, dass ich eines Tages völlig zugekifft auf einer Wiese an der Rheinpromenade lag und über mich und mein Leben nachdachte.
Ich erinnere mich nicht wie es begann.
Ich weiß nur, dass meine Eltern es damals sofort merkten; ich war nicht normal, nicht mehr als eine runzlige Nachgeburt. Etwas, das man nicht behalten will.
Ein Leben als Nachgeburt ist ein Albtraum. Einem solchen Leben will man nur entfliehen.
Heute liege ich hier, den Kopf voll zeitlosem Nebel. Die Nacht ist nicht mehr die Jüngste, aber ich glaube unendlich viel Zeit zu haben.
Nachdenklich lasse ich meinen Rücken kühlen, vom feuchten Rasen, und beobachte den Mond, erkenne wie er fast unmerklich seine Bahn zieht.
Meinem Leben fehlt es an Würze. Doch das Gewürz, das ich rauche, es macht mich nur noch träger.
Lethargie umgibt mich wie ein schützender Kokon.
Schützt vor Erfolg, vor Glück und allzu viel Selbstzufriedenheit.
Ich bin ein apathischer Mann geworden.
Eigentlich viel zu müde um eine Reise anzutreten.
Dennoch beschließe ich neue Wege zu beschreiten, mich selbst neu zu erschaffen. Doch ich schaffe es nicht mich aufzuraffen.
Ein affektiertes Kichern.
Zwei Frauen, attraktiv, wohlhabend und ziemlich betrunken.
Sie sprechen mich an.
Mich, eine mittellose Nachgeburt, die sich bekifft ihrem Selbstmitleid hinzugeben versucht.
Wir reden. Vom Leben, von Träumen, von Zielen, die wir anvisieren, aber niemals erreichen werden. Meine Ziele sind bescheidener als ihre.
Falsch, nicht bescheidener, realistisch.
Wir trinken, rauchen Zigaretten, langweilen uns gegenseitig auf eine angenehme Weise. Langweile ist gefährlich, so mache ich mich zu Clown. Sie lachen. Dann küssen wir uns, erst beide mich, nacheinander, dann die beiden sich gegenseitig. Lust, ein probates Mittel um Langweile zu verscheuchen. Ich ertaste ihre Brüste, ertaste noch ein wenig mehr aber nicht alles. Das Alles wird mir verwehrt. Die beiden Frauen langweilen sich wiederholt. Meine Libido beugt sich der Realität. Wieder einmal …
Ein wenig später: eine wilde Autofahrt.
Häuser, Menschen, Autos, sie alle huschen an mir vorbei, als wären sie nicht mehr Teil meiner Realität.
Ich werde eingeladen in diesen Club, mittendrin, direkt am Puls der Zeit, wo die angesagten Leute sind, die Schönen und die Reichen.
Sie riechen so gut, meine beiden attraktiven Frauen, nach sauberer Kleidung, nach Geld, nach unersättlicher Liebe, nach Macht und nach sanfter Gewalt. Und nach unerträglicher Arroganz, die mir tückisch zulächelt.
Sie langweilen sich erneut, anscheinend sind die falschen Menschen im Club. Obwohl ich die Menschen richtig fand. Die Langweile spornt die beiden Frauen an.
Eine weitere Autofahrt, genauso wild, aber weniger ausgelassen.
Ein prächtiges Haus, es spuckt mich nicht aus, als ich es betrete.
Es schluckt mich, lässt mich hinein in eine bezaubernde Welt.
Die Welt der Reichen.
Überall Musik, Menschen und eine Menge Rausch.
Es gibt viele Räume, ich suche die beiden Frauen, taumele umher, spiele sie gut, meine Rolle als exotischer Clown der Unterschicht, erfülle gehorsam die moralische Quote.
Menschen reden über Börsenkurse, lachen, machen Komplimente und hecken Pläne aus. Geschäftsideen werden geboren, Allianzen geschlossen.
Sie sprechen auch mit dem exotischen Clown der Unterschicht: Nein, sie arbeiten tatsächlich in einer Fabrik? Das muss aufregend sein. Sie waren wirklich schon einmal in eine Prügelei verwickelt? Sie haben ihren Chef verprügelt? Und ihr Vater hat Sie unentwegt verprügelt? Sie haben sich schon einmal selbst verprügelt? Sie waren schon im Gefängnis? Ihre Mutter war eine Hure? Meine Güte, ihr normalen Menschen führt ein Leben … wie aufregend … unglaublich … einfach beneidenswert.
Das Wort Versager fiel kein einziges Mal, sie sind rücksichtsvoll, die Reichen.
Die beiden Frauen sind weg.
Ihnen war mal wieder langweilig, haben sich davongestohlen, ohne ein Wort des Abschieds, mit Männern aus ihrer Liga.
Neue Menschen widmen sich der Nachgeburt, weisen ihr den Weg.
Ich folge neugierig der weißen Spur, die vor meiner Nase erscheint. Eine schneeweiße Welt, erstrahlt im vollen Glanz, ist zum Greifen nahe und scheint doch so unerreichbar für einen wie mich.
Ein Geldschein, zu einem Rohr gerollt, dient mir dann als Portal ins Glück.
Das weiße Pulver, es hilft gegen meine Lethargie.
Ich atme das Leben dieser Menschen, sauge es tief ein in meine Nase, bin dabei, Teil ihrer strahlenden Welt.
Ich tanze vor Glück.
Das Kastenleben wird zeitweilig eingestellt.
Für eine Nacht, sind wir scheinbar alle gleich. Der Börsenmakler, der Clown, der Rechtsanwalt, die Nachgeburt, die Geschäftsfrau, ein Brei aus Rausch und Persönlichkeiten.
Ein Mann, offenbar ein Reiseveranstalter, bietet mir ein Ticket an.
Schließlich nippe ich an ihrem Honig. Zuckerbitter und zugleich so gallesüß, kleine Papierfetzen, getüncht mit dem Pfad zum Glück.
Das Ticket zu einer lange überfälligen Reise.
Die Rhythmen der Musik werden leiser, verschwinden allmählich vollends.
Weichen einer Welt aus kräftigen Farben.
Die Welt dreht sich.
Ich kotze die Kloschüssel voll.
Wirklich prächtige Farben.
Ich kotzte das Leben aus mir heraus, bevor es mich auskotzt.
Dann plötzlich …
Die Welt, sie hört auf sich zu drehen.
Freude gefriert, Gespräche versiegen, etwas stimmt nicht.
Die Party, meine Güte, sie stirbt.
Mein Paradies, es geht verloren.
Die Welt dort draußen, meine Hölle, sie schluckt die Menschen. Ich sehe, wie sie durch diese Tür gehen und nicht wiederkehren.
Schreiten hinaus, in eine Welt, wo Reiche reich sind und exotische Unterklassenclowns lediglich zum Leben erwachte Nachgeburten.
Meine Hölle ist ihr Paradies.
Und doch gibt es Menschen, die nicht aufgeben einer längst verblichenen Party Leben einzuhauchen. Ich unterstütze sie. Die Party zuckt unmerklich im Todeskampf, Zombies tanzen einen traurigen Tanz, unkoordiniert, wankend, volltrunken, zugedröhnt, einsam.
Gedemütigt vom Rausch des Lebens.
Leute, so kann das nichts werden. Tote hauchen kein Leben ein.
In einem Spiegel erkenne ich, dass die Maske des Quotenclowns zerflossen ist, die Schminke gibt den Blick auf eine unappetitliche Nachgeburt frei.
Sehe mich um.
Im nahenden Morgenrot ist die weiße Spur verflogen vom Wehen einer übelgelaunten Realität, meiner Realität, wo es stets an gerollten Portalen fehlt.
Sie ist zornig, meine Realität.
Und ich bin wieder müde vom Leben.
Lethargie kriecht zurück in meinen Geist.
Ein Mann komplementiert mich aus dem Haus, das noch jüngst den Reichen als Bühne selbstgefälliger Eitelkeiten diente.
Und mir als flüchtiges Paradies.
Sie wissen zu feiern.
Sie wissen zu leben, die Reichen.
Auch der bittere Honig gibt nun sein wahres Ich preis. Wie ein Gift, das die Realität tötet. Nur um sie kurz darauf in doppelter Intensität wiederzubeleben, wie eine schreckliche Gewissheit.
Gewissheit?
Was ist gewiss?
Gewiss werde ich irgendwann einmal wiedergeboren, aber mein Lebenswille geht dabei zugrunde.
Eine wahrhafte Fehlgeburt.
Doch werde ich nicht einfach nur geboren, wie es bei den angesagten Leuten der Fall ist, bei den Schönen und Reichen, sondern vielmehr ausgekotzt aus dem Leben. Nein, ausgekotzt vom Leben.
Es überrascht mich nicht.
So ist das nun einmal, wenn man sich selbst neu erschafft und die gerollten Portale nicht hat, genauso wenig wie die Tickets zum Glück.
Ich nehme das neue Leben an, akzeptiere es. So wie ich es schon bei meinem alten tat. Auch das hatte mich einst ausgekotzt. Es gibt schließlich noch andere Portale, andere Leben, die einen auskotzen können. Bis dahin verkrieche ich mich in meinen Kokon aus Lethargie und Traurigkeit. Wenigstens der Kokon ist mit geblieben.
Er und der Rausch aus ordinären Glasflaschen.
Weitere Werke von Inkognito:
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Enfant Terrible alte Motzbirne
Alter: 30 Beiträge: 7278 Wohnort: München
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06.02.2010 10:43
von Enfant Terrible
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Seltam. Dieser Text erfüllt eigentlich alle Kriterien, um mir zu gefallen. Er scheint lebendig und persönlich geschrieben zu sein, schön chaotisch, mit vielen Bildern ... und dennoch, diese Geschichte lässt mich völlig kalt. Mehr noch, auf Dauer nervte mich der Stil, sodass ich, um bis zum Ende zu lesen, gegen starke Unlust kämpfen musste. Warum?
Die "Story" hat keine wirkliche Handlung, es ist eine Aneinanderreihung von kaum zusammenhängenden Gedanken-, Wahrnehmungs- und Handlungsfetzen, deren Reihenfolge weder überzeugend noch glaubwürdig ist. Sicher, es ist ein verbreiterer Kniff in der modernen Literatur, so "durcheinander" zu erzählen, aber hier wirkt er nicht, sondern verstärkt noch den schludrigen, ziellosen Eindruck, denn dieses Werk weckt. Erst liegt der Protagonist bekifft im Gras, dann kommen aus dem Nirgendwo zwei scharfe Frauen, er vergnügt sich mit ihnen, dann ist er plötzlich auf einer Party, dann kotzt er, dann ist er vor einem Spiegel, dann ist es schon Morgen ... Nein, ich verstehe genau, was mit dieser kaleidoskopischen Abfolge von Ereignissen erzielt werden sollte - aber es wirkt nicht.
Um zu berühren, den Leser aufzurütteln und echte Kritik zu äußern, ist der Erzählstil nämlich zu beliebig, und, ganz unangenehm: selbstmitleidig ohne Ende. Die böse reiche Gesellschaft, das Kiffen und ach, der arme Underdog-Prota ... Die Ausführungen sind viel zu suggestiv, kratzen dabei aber an der Oberfläche, weil all dieses Gejammer schon so oft und in besserer Form transportiert wurde. Die chaotischen Gedanken mit ihrem Anspruch auf Gesellschaftskritik kreisen um sich selbst, zerfasern, bieten nichts Neues - auch hier, wo es darauf ankommt, rächt sich das Fehlen eines echten roten Fadens. Das Durcheinander erzeugt keine echte Emotion.
Auch wenn die Story nicht schlecht geschrieben ist: Meines Erachtens reicht es nicht aus, uninspiriert in abgehackten Phrasen zu wiederholen, was schon so viele Autoren besser dargestellt haben. Und, ohne es böse zu meinen: Ich habe den Eindruck, als hätte der Autor nichts von dem hier Beschriebenen selbst erlebt - es wirkt konstruiert, "erzählt", trotz der erzwungenen Nähe zum Protagonisten.
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Inkognito Eselsohr
Beiträge: 464
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06.02.2010 11:00
von Inkognito
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Enfant Terrible hat Folgendes geschrieben: | Ich habe den Eindruck, als hätte der Autor nichts von dem hier Beschriebenen selbst erlebt - es wirkt konstruiert, "erzählt", trotz der erzwungenen Nähe zum Protagonisten. |
Ich bin beeindruckt, gut analysiert. Tatsächlich sind es nicht meine Erfahrungen. Außer vielleicht, dass ich früher tatsächlich so etwas wie der Party-Exot war. Der Arbeiterjunge mit den langen Haaren, der Heavy Metall hörte und sich prügelte, und der in Akademikerkreisen herumgezeigt wurde wie eine Trophäe (schau mal, ich kenne einen Proleten). Allerdings alles ohne Drogen. Heute bin ich assimiliert und gehöre dazu, eigentlich fühle ich mich sogar eher in meinen früheren Kreisen fremd, obwohl es mich immer wieder dorthin zieht.
Tatsächlich liegt dem Text eine Ansammlung von Stichworten zugrunde, aufblitzende Gedanken, die ich zu einer düsteren Stimmung ausarbeiten wollte:
Eingeladen in diesen Club
mitten am Puls der Zeit
wo die hippen Leute sind
die Schönen und die Reichen
Ich folge ihrer weißen Spur
die vor meiner Nase erscheint
Ein Geldschein, eingerollt
dient mir als Portal ins Glück
Ich atme ihr Leben, bin dabei
Teil ihrer strahlenden Welt
Im nächsten Morgenrot
ist die weiße Spur verflogen
vom Wehen meiner Realität
wo es stets an Portalen fehlt
Zitat: | EDIT: Vieles davon sind Originalaussagen, die ein früher Freund von mir machte, der letztendlich irgendwann bei Crack gelandet war. Ich weiß heute nicht einmal ob er noch lebt. Tatsächlich handelt die Geschichte von ihm.
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Enfant Terrible hat Folgendes geschrieben: | Nein, ich verstehe genau, was mit dieser kaleidoskopischen Abfolge von Ereignissen erzielt werden sollte |
Das ist seltsam. Eigentlich hatte ich sogar befürchtet, dass es schon zuviel Text ist und wollte nicht noch konkreter werden. Offenbar ist es mir auch nicht gelungen gerade das Selbstmitleid kritisch darzustellen – genau das war meine Absicht. Na gut, dann hat das wohl nicht ganz so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe.
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