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NUR EIN SCHRITT - Geschichte eines Selbstmords - KGE

 
 
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Enfant Terrible
Geschlecht:weiblichalte Motzbirne

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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag15.08.2007 11:14
NUR EIN SCHRITT - Geschichte eines Selbstmords - KGE
von Enfant Terrible
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Nur ein Schritt. Ein winzig kleiner Schritt.

Ein Schritt, wie ihn tagtäglich jeder Mensch unzählige Male tut, es sei denn, er sitzt im Rollstuhl.

Warum fiel ihm dieser verdammte Schritt so schwer?

Es war so einfach. Es war das, was er wollte… und es war wirklich keine große Sache.

Nein, er log sich etwas vor!

Dieser Schritt war anders. Nach diesem Schritt würde es kein Zurück mehr geben… aber was machte es denn schon? Er wollte doch nicht zurück, sonst wäre er nicht hier.

Hier, am Ende seines Weges. Am Gipfel der Welt, von wo aus selbst die Millionenstadt so winzig klein aussah, und ihre Sorgen so nichtig.

Aber wären nicht diese „kleinen“ Sorgen, hätte er diesen Gipfel nicht erklimmen wollen beziehungsweise müssen. Menschen, die von hier aus wie Ameisen aussahen, hatten ihn im Grunde diesen hässlichen Wolkenkratzer hinauf gejagt.

Der Ort, den er irrtümlicherweise immer „Zuhause“ genannt hatte, entpuppte sich als genau das: Ein schnöder Ameisenhaufen, in dessen Inneren der Hass brodelte.  

Und nun stand er hier, an der Spitze dieses Ameisenhaufens; über der Stadt, deren zweiter Name „Ignoranz“ war. Von seinem einsamen Standpunkt aus erkannte er umso deutlicher, dass es eine sinnlose Maschine war. Ein perpetuum mobile, erschaffen von einem wahnsinnigen Wissenschaftler, der anscheinend schon beim Bau von diesem Mechanismus den Sinn und Zweck des Ganzen wieder vergessen hatte.

Dort unten herrschte Tag und Nacht reges Treiben. Die immerwährende Eile, die das Leben zu einem Wettlauf gegen die Zeit machte – die Zeit, die keiner hatte. Ein Leben lang Höchstgeschwindigkeit, so als wären die Menschen mit einem Terminkalender im Hinterkopf geboren, als wären ihre Atemzüge ein Countdown. Tröstlich war der Gedanke, es bald nicht mehr so eilig zu haben. Nie mehr, um genauer zu sein.

Doch wenn er das erreichen wollte, musste er sich jetzt umso mehr beeilen! Ein Augenblick des Zögerns – und seine Chance würde davon flattern. Sein Mut würde ihm den Stinkefinger zeigen, bevor sich das letzte Bisschen davon auflöste.

Dann würde dem Verzweifelten nichts übrig bleiben als zurückzukehren, sich wieder in diesen sinnlosen Mechanismus einzufügen.

Autos und Menschen, die sich stetig ihren Weg durch das Leben bahnten, durch dieses Labyrinth, wo es keinen Ausweg gab, dafür aber umso mehr Sackgassen. Und es schien, als sei er gerade in eine dieser Sackgassen getappt…

Der einzige Ausweg war der Sturz in den Abgrund… Nein! Da unten lauerte kein Abgrund, sondern wartete nur die Seligkeit. Umso besser, oder nicht?

Warum reichte dann allein schon ein Blick nach unten, damit sich seine Knie in Gelatine verwandelten? Er wusste nicht, wie viele Meter ihn von der Freiheit trennten. Kein Weg war ihm zu weit, wenn am Ende die ewige Ruhe winkte. Hier galt sogar: Je weiter, desto besser.

Er legte den Kopf in den Nacken und schaute ein letztes Mal zum Himmel hinauf. Zum Himmel, der ihn bestimmt nicht haben wollte. Aber wenn der Himmel immer so sein würde, wie er ihm jetzt erschien, dann wollte er selbst da nicht hin. Als Kind hatte er immer versucht, Bilder in den Wolken zu erkennen. Das Einzige, was er jetzt in den grauen Schleiern sah, die sich wie ein schmutziges Leichentuch über das Dach der Welt spannten, war ein abweisendes Gesicht. Eine verkniffene Miene (seiner eigenen nicht ganz unähnlich), die hinter zusammengepressten Lippen zu sagen schien: Du kommst hier nicht rein, du Verlierer.

Doch Angst vor der Alternative hatte er nicht, denn schon sein Leben war die Hölle, also kein Unterschied. Andererseits: War es denn nicht töricht, eine Hölle gegen eine andere auszutauschen? Nein, es war schlichtweg egal. Lediglich ein wenig Abwechslung.

Aber was brachten ihm diese ganzen philosophischen Überlegungen? Mit dieser Demagogie verschwendete er wohl nur seine Zeit! Hinter wichtig klingenden Gedanken versteckte er sich vor sich selbst, vor der Entscheidung.

Er rannte seinem Glück davon – typisch, wie einige böse Zungen sagen würden. Doch waren sie wirklich böse? Viel mehr ehrlich; das Urteil von einigen wenigen, die ihn halbwegs kannten. Nicht wirklich natürlich, nur gut genug, um ihn als den Feigling zu entlarven, der er war.
So war er immer gewesen. Zu feige zum Leben, zu feige zum…

Sein Magen drehte sich um, allein schon bei dem Gedanken. Seltsam, wenn sich „Erlösung“ so anfühlte, dann war dieser Begriff nur eine weitere Lüge. Eine von den vielen, mit denen Menschen leben, weil sie es nicht anders wissen – nicht anders können.

Lügen: klebrige, durchsichtige Fäden, die sich durch das Leben zogen und die man nicht loswurde, hatten sie sich einmal in die eigene Geschichte eingewoben. Scheinbar überflüssig, dennoch war für manch einen dieses Netz ein stabiles Gerüst, ohne das sein Leben zusammenbrechen würde wie ein Kartenhaus.

Konnte es einen schlimmeren Schock geben, als sich urplötzlich selbst in diesem Kartenhaus wieder zu finden? Noch dazu in einem, das nur noch ein Ruin war. Trümmer lagen überall, zerbrochene Träume und die Splitter, in die sein Herz zersprang. Wie leicht mussten es Leute haben, die seines zerstört hatten – denn sie selbst hatten keins!

Sein Leben war eine einzige Lüge. Der Tod blieb als der einzige Weg, die Wahrheit zu erkennen. Der Tod war die Wahrheit.

Aber woher wusste er, dass er sich nicht wieder etwas vormachte?

Inzwischen konnte er mit den Lügen, diesen Tentakeln, die sich um seine Seele geschlungen hatten, so verwachsen sein, dass er nicht mehr klar zwischen Wahrheit und… erwünschter Wahrheit unterscheiden konnte. Schwarz und Weiß gab es nur in Kindermärchen und schlechten Filmen, doch jetzt würde er das auf jedem Fall dem allgegenwärtigen Grau bevorzugen: Grau der Himmel, grau die Gebäude, grau die Gesichter der Robotermenschen, die sich unten tummelten – ebenso wie ihre Seelen. Noch ein Grund für seine Flucht.

Doch war Flucht die richtige Lösung? Was stimmte überhaupt noch in seiner kaputten Welt, wem konnte er noch sein Vertrauen schenken? In wessen Hände sein Leben legen? Er selbst würde es doch jeden Augenblick fallen lassen…

Verdammt, warum mussten sich ausgerechnet im entscheidenden Moment die Fragen in seinen leeren Kopf einschleichen?! Schwindlig war ihm doch ohnehin schon (Höhenangst: nur ein weiteres Symptom der Krankheit „Feiglingsein“), da ließen auch noch Zweifel seinen Kopf schwirren!

Er musste schnell handeln, ein einziges Mal in seinem beschissenen Leben Entschlossenheit zeigen, sonst würde dieser Albtraum ewig so weitergehen. Wenn er jetzt stehen blieb, diesen einen Schritt nicht wagte, würde er wieder, einem Hamster gleich, in das sich ewig drehende Rad steigen. In das Karussell der Verzweiflung.

Loslassen… darin war er sonst doch so gut, warum fiel ihm das dann jetzt so schwer? „Verlieren“ und „einstecken“, wie stark prägten diese Verben doch sein Leben. Dabei waren es nicht mal richtige Tätigkeiten. Noch ein Beweis dafür, dass er sein ganzes Leben lang im Kreis gerannt war.
Eine Linie, die sich für immer unterbrach, war besser als ein Kreis. Oder nicht?

Ihm wurde noch schwindliger. Zu schwindlig, um diesen Schritt zu wagen. Er hasste sich dafür, dass er sich selbst in Stich ließ.

Doch vielleicht war diese Art von Verrat – genau wie die Lüge freilich nur einer von vielen, die ihm das Leben zugemutet hatte – eine Ausnahme, etwas Gutes? Etwas, wofür er sich irgendwann womöglich sogar bedanken würde… bei wem eigentlich? Bei sich selbst, für seine Feigheit? Bei einem höheren Wesen, das ihm diese Zweifel eingeflüstert hatte? Die Macht, die seine Knie so weich werden ließ, dass sogar dieser eine Schritt zu anstrengend war?

Die Kraft verließ ihn. Stattdessen wirbelten immer neue Fragen in seinem Kopf, ein Kaleidoskop der Rhetorik. Sinnlos, gewiss, doch ließen sie ihn nicht in Ruhe. Weitere Dämonen, die sich in seine terrorisierte Seele krallen wollten, sie auseinander reißen und ihn verwirren, bis er nicht mehr wusste, wer er und was noch richtig war.

Die einzige Erlösung war eine Antwort, das wusste er wohl. Aber eine Antwort war zu schwer zu finden. Die Frage – ja, sie selbst war schon fast die Antwort. War denn ein Bewohner dieses Ameisenhaufens, der sich „Leben“ schimpfte, wirklich gut damit beraten, von dessen Spitze zu stürzen? Er war bestimmt nicht die einzige verwirrte Ameise, vielleicht war es besser, wenn wenigstens er zurückkehrte.

Ohne es zu merken, war er zurückgetreten vom Rande des Abgrunds. Die Entscheidung war unbewusst gefällt, und die Ameise machte sich auf den Heimweg.

Ja, er würde sich nach unten begeben. Aber nicht für einen, sondern für noch viele Schritte.



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Brynhilda
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Edgar Allan Poe (1809 bis 1849) - Zum 200. Geburtstag
Beitrag16.08.2007 14:15

von Brynhilda
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Ich beuge mich dem Terror des Krümels und kann gar nicht anders, als diese Geschichte zu rezensieren!
Wink
Aber: Ich übernehme dafür keine Verantwortung. (In der Lyrik fühle ich mich noch immer mehr zu Hause.)

Ich beginne damit zu sagen, daß mir die Geschichte gefällt. Du hast die Betrachtungen und Gedanken des Protagonisten gut eingefangen und eigentlich eine Kurzgeschichte wie aus dem Lehrbuch geschrieben. Also, meiner Ansicht nach sind alle Formmerkmale erfüllt.
Es ist wirklich eine innere Handlung, und weil wir in einer Zeit leben, in der innere Aktion nicht mehr als Aktion betrachtet wird (ein Fluch dem Zeitgeist!) finde ich es gut, daß diese noch in der Literatur ein Zuhause hat. Literatur lebt ja von Reflexion und Betrachtung.
Auch das Ende ist gut. Der Protagonist hat seine lebensfeindliche Einstellung überwunden und sich umgewandt. Er hat mit seiner Hinwendung zum Leben eine wirklich mutige Tat begangen.
Und der Leser wird am Ende hoffnungsvoll zurückgelassen.

So, ich hoffe, damit kannst du was anfangen. Ich finde deine Geschichte sehr gut. Sie ist ausgezeichnet geschrieben und auch sonst in jeder Beziehung herausragend.
Volle Punktzahl dafür von mir.


Liebe Grüße,
Ilka
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Beitrag16.08.2007 14:22

von Ralphie
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Auch von mir die volle Punktzahl.  Shocked  Shocked  Regina, wo zum Teufel warst du, als diese PISA-Studien durchgeführt wurden?

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SylviaB
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Beitrag16.08.2007 14:35

von SylviaB
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Sie war noch zu klein...!
Hab ich mich auch schon mal gefragt Ralphie.

Zum einen schreibt sie sauber und korrekt. Zum andern hat sie einen vortrefflichen Stil. Zumindest in ihren Geschichten. Ob jetzt SiFi oder auch in solchen Kurzgeschichten.


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Ralphie
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Beitrag16.08.2007 14:41

von Ralphie
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@Sylvia, der Stil ist nicht vortrefflich, er ist brillant.
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SylviaB
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Beitrag16.08.2007 14:53

von SylviaB
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Geschichten jeder Art liegen ihr und ich neige dazu dir recht zu geben. Auch wenn "brillant" ein Wenig übertrieben wirkt.

Sie wird ihren Weg machen, davon bin ich überzeugt.
 Cool


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Enfant Terrible
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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag16.08.2007 15:03

von Enfant Terrible
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SylviaB hat Folgendes geschrieben:
Auch wenn "brillant" ein Wenig übertrieben wirkt.

Spielverderberin!  Rolling Eyes  Laughing  Very Happy


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SylviaB
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Beitrag16.08.2007 15:14

von SylviaB
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*kicher*

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Packard
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Beitrag16.08.2007 16:07

von Packard
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Hallo Terrorkrümel,
herrlich geschrieben, gefällt mir!

Hab es mir jetzt dreimal durchgelesen, was an sich schon eine Seltenheit ist und jedes Mal stört mich das Wort “Demagogie”.
Frag mich nicht warum, aber irgendwie unterbricht es meinen Lesefluss.

gruß
Packard
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Enfant Terrible
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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag16.08.2007 17:29

von Enfant Terrible
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Packard hat Folgendes geschrieben:
jedes Mal stört mich das Wort “Demagogie”.
Frag mich nicht warum, aber irgendwie unterbricht es meinen Lesefluss.

Wohl weil es zu kompliziert ist, fürchte ich  Embarassed OK, da hab ich die Klugscheißerin raushängen lassen  Laughing  Razz Findest du einen besseren Begriff?


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Packard
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Beiträge: 12



Beitrag16.08.2007 18:37

von Packard
Antworten mit Zitat

Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:

Wohl weil es zu kompliziert ist, fürchte ich  Embarassed OK, da hab ich die Klugscheißerin raushängen lassen  Laughing  Razz Findest du einen besseren Begriff?


Das ist es ja, mir fällt auch kein passenderer ein.
Mir gefällt das Wort "Demagogie" nicht, so wie es einige Wörter gibt, die mir einfach nicht gefallen.
Liegt nicht an deiner Geschichte  Wink
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Kino Vollbart
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Beiträge: 236



Beitrag20.08.2007 10:50
Re: NUR EIN SCHRITT - Geschichte eines Selbstmords - KGE
von Kino Vollbart
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Hi.

Wie versprochen, Rezension:

Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:
Nur ein Schritt. Ein winzig kleiner Schritt.

Erinnert mich an einen meiner (scheiß) Texte. ("100 Meter", glaube ich. Du hast doch wohl nicht geklaut? Wink


Dein Text ist nett geschrieben. Was mich als aller erstes gestört hat, ist Folgendes:

Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:

die von hier aus wie Ameisen aussahen ... Ein schnöder Ameisenhaufen ... Spitze dieses Ameisenhaufens ... sinnlose Maschine/Mechanismus ... Ein Leben lang Höchstgeschwindigkeit ... Labyrinth ... Sackgassen ... Knie in Gelatine verwandelten ... schmutziges Leichentuch über das Dach der Welt ... Lügen: klebrige, durchsichtige Fäden, die sich durch das Leben zogen und die man nicht loswurde ... Schwarz und Weiß gab es nur in Kindermärchen und schlechten Filmen ... Hamster gleich, in das sich ewig drehende Rad steigen. In das Karussell der Verzweiflung
usw

Eine schier unendliche Ansammlung ausgehöhlter Phrasen, keine neues Tertium Komperationis, keine ausgefallene Sichtweise - alles gute alte Hausmannskost. Das höhlt den Text von innen her aus.


Dann einge semantische Defizite:

Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:
Einzige Ausweg war der Abgrund
Ausweg wovor? Das kommt nicht klar raus.

Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:
Seligkeit - „Erlösung“ - War es denn nicht töricht, eine Hölle gegen eine andere auszutauschen?

Ja! Das ist töricht! Und außerdem: Was nun: Erlösung, Seligkeit oder Hölle. Das ist der Konfusion des Proatagonisten zuviel. Es ist nicht stimmig.

Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:
Lüge ... Kartenhaus ... Ruine

Lügen halten das Kartenhaus des Lebens zusammen. Sein Leben war eine einzige Lüge. Er in den Ruinen des eigenen Lebens. - Wie passt das denn zusammen?

Und ein für mein Geschmack ein gravierender weil psychologischer Fehler:
Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:
Loslassen… darin war er sonst doch so gut, warum fiel ihm das dann jetzt so schwer?

Einem "Verlierer" und "Feigling" fällt loslassen leicht?! Das ist mir neu!

Pipifax:
Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:
Stinkefinger

Nicht gut. Passt hier nicht rein.

Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:
Demagogie

ist "verführerische Hetze, Aufhetzung" ich denke nicht, dass Du das meinst, wie ich aus der Verbindung mit "philosophische Überlegungen" schließe. Falls doch, rate ich Dir, die Suche nach Synonymen auf beschreibende Sätze auszuweiten.

Fazit: Ambivalent. Der Stil ist nicht schlecht, aber nicht briliant. Er schöpft für mich zu sehr aus dem Fundus altbewährter Formulierungen und ist nicht inovativ und somit auch nicht "spannend". Zudem noch zu holprig und nicht immer rund.
Das Innenleben des Protagonisten berührt mich nicht. Sein Erleben ist zu verkopft und zu wenig erlebt. Es ist nicht authentisch.
Und das ist das Hauptproblem: Ich schrieb es schon ein paar Mal:

Selbstmord ist von solch psychischer und psychotischer Dichte, dass ihm dieser Text nicht gerecht wird, werden kann.
Selbstmord ist literarisch beliebt, besonders bei jüngeren Semestern. (Auch mein Text (am Anfang erwähnt) entstand so.)
Aber das ist Mist. Das Innenleben eines (potentiellen) Selbstmörders kann nur ein (potentieller) Selbstmörder beschreiben.

Aber ich schließe mich jener Meinung an: Du wirst Deinen Weg machen. Du hast ein großes Potential.

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Enfant Terrible
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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag20.08.2007 11:09

von Enfant Terrible
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Bin mit deinen Ausführungen komplett einverstanden außer diesem einen Statement

Zitat:
Aber das ist Mist. Das Innenleben eines (potentiellen) Selbstmörders kann nur ein (potentieller) Selbstmörder beschreiben.


Glaub mir, ich weiß, wovon ich schreibe. Ich bin selbst einmal fast gesprungen!

Und ich habe extra keine Gründe angegeben, den Text so "unpersönlich" gemacht, um zu unterstreichen, dass das jedem passieren kann... dass sich Selbstmörder ähneln. Ist mir vielleicht nicht ganz gelungen - umso dankbarer bin ich für deine Kritik!


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Beitrag20.08.2007 11:36

von Kino Vollbart
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Hi.

Auch auf die Gefahr hin wie ein Arsch zu klingen. Und es liegt mir fern, den Grad Deiner Verzweifung zu schätzen. Aber:

Fast gesprungen und fast gesprungen sind zwei verschiedene Dinge. Ich selbst bin auch schon mal fast gesprungen. Und ich würde soweit gehen zu behaupten, fast jeder Mensch ist auf die ein oder andere Art schon mal fast gesprungen.
Die wenigsten sind deswegen (potentielle) Selbstmörder.

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Enfant Terrible
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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag20.08.2007 11:37

von Enfant Terrible
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Ich meinte fast gesprungen im Sinne von "Ich stand schon auf der Fensterbank und jemand hielt mich zurück" Kapito? Kannst du das Gleiche von dir oder jedem anderen Menschen behaupten?

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Beitrag20.08.2007 11:58

von Kino Vollbart
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Hi.

Jedem seine Selbstmorderfahrungen. Der Psychologe denkt sich seinen Teil.

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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag31.08.2007 13:36

von Enfant Terrible
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Wie ich einigen Meinungen entnehmen kann, sollte ich das also in die Tonne hauen und etwas anderes schreiben?

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Beitrag31.08.2007 13:43

von SylviaB
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Nein! Werd selbstsicherer. Wenn du seiner Meinung bist, ändere die Sätze aber nicht in die Tonne kloppen.
Wenn du nicht seiner Meinung bist, ist seine Meinung eben eine von vielen anderen Meinungen die sich vielleicht nicht gleichen.

 smile


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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag31.08.2007 13:47

von Enfant Terrible
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Das ist so genial... *aufschreib*  Very Happy

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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag01.10.2007 11:16

von Enfant Terrible
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So. Hab die Story gestern überarbeitet und an den Wettbewerb eingeschickt. Drückt mir die Daumen  Wink

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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag01.10.2007 11:19

von Enfant Terrible
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Hier die verbesserte Fassung:

Nur ein Schritt. Ein winzig kleiner Schritt.
Ein Schritt, wie ihn tagtäglich jeder Mensch unzählige Male tut.
Warum fiel ihm dieser verdammte Schritt so schwer?
Es war so einfach. Es war das, was er wollte… wirklich keine große Sache.
Nein, er log sich etwas vor!
Dieser Schritt war anders. Nach diesem Schritt gäbe es kein Zurück mehr… aber was machte es denn schon? Er wollte doch nicht zurück, sonst wäre er nicht hier.
Hier, am Ende seines Weges. Am Gipfel der Welt, von wo aus selbst die Millionenstadt so winzig klein aussah, ihre Sorgen so nichtig.
Aber ohne diese „kleinen“ Sorgen hätte er diesen Gipfel nicht erklimmen wollen beziehungsweise müssen. Menschen, die von hier aus wie Ameisen aussahen, hatten diesen hässlichen Wolkenkratzer hinauf gejagt. Der Ort, den er irrtümlicherweise immer „Zuhause“ genannt hatte, entpuppte sich als genau das: Ein schnöder Ameisenhaufen, in dessen Inneren der Hass brodelte.  
Und nun stand er hier, an der Spitze dieses Ameisenhaufens; über der Stadt, deren zweiter Name „Ignoranz“ war. Von seinem einsamen Standpunkt aus erkannte er umso deutlicher, dass es eine sinnlose Maschine war. Ein perpetuum mobile, erschaffen von einem wahnsinnigen Wissenschaftler, der schon beim Bau von diesem Mechanismus den Sinn und Zweck des Ganzen wieder vergessen hatte.
Dort unten herrschte Tag und Nacht reges Treiben. Die immerwährende Eile, die das Leben zu einem Wettlauf gegen die Zeit machte – die Zeit, die keiner hatte. Ein Leben lang Höchstgeschwindigkeit, so als wären die Menschen mit einem Terminkalender im Hinterkopf geboren, als wären ihre Atemzüge ein Countdown. Tröstlich war der Gedanke, es bald nicht mehr so eilig zu haben. Nie mehr.
Doch wenn er das erreichen wollte, musste er sich jetzt umso mehr beeilen! Ein Augenblick des Zögerns – und seine Chance flatterte davon. Sein Mut würde ihm den Stinkefinger zeigen, bevor sich das letzte Bisschen davon auflöste.
Dann würde ihm nichts übrig bleiben als zurückzukehren, sich wieder in diesen sinnlosen Mechanismus einzufügen.
Autos und Menschen, die sich stetig ihren Weg durch das Leben bahnten, durch dieses Labyrinth, wo es keinen Ausweg gab, dafür aber umso mehr Sackgassen. Und es schien, als sei er gerade in eine dieser Sackgassen getappt…
Der einzige Ausweg war der Sturz in den Abgrund… Nein! Da unten lauerte kein Abgrund, sondern wartete nur die Seligkeit. Einladend, so als würde er in die Arme einer geliebten Person fallen. Da es kein Mensch tat, würde ihn die Dunkelheit umso fester umarmen…
Doch warum reichte allein schon ein Blick nach unten, um seine Knie in Gelatine zu verwandeln? Er wusste nicht, wie viele Meter ihn von der Freiheit trennten. Kein Weg war ihm zu weit, wenn am Ende die ewige Ruhe winkte. Hier galt sogar: Je weiter, desto besser.
Er legte den Kopf in den Nacken, um ein letztes Mal in den Himmel zu sehen. Zum Himmel, der ihn bestimmt nicht haben wollte. Aber wenn der Himmel immer so sein würde, wie er ihm jetzt erschien, dann wollte er selbst da nicht hin. Als Kind hatte er immer versucht, Bilder in den Wolken zu erkennen. Das Einzige, was er jetzt in den grauen Schleiern sah, die sich wie ein schmutziges Leichentuch über das Dach der Welt spannten, war ein abweisendes Gesicht. Eine verkniffene Miene – seiner eigenen nicht ganz unähnlich – die hinter zusammengepressten Lippen zu sagen schien: Du kommst hier nicht rein, du Verlierer.
Doch Angst vor der Alternative hatte er nicht, denn schon sein Leben war die Hölle, also kein Unterschied. Andererseits: War es denn nicht töricht, eine Hölle gegen eine andere auszutauschen? Nein, es war schlichtweg egal. Lediglich ein wenig Abwechslung.
Aber was brachten ihm diese ganzen philosophischen Überlegungen? Er verschwendete nur seine Zeit! Hinter wichtig klingenden Gedanken versteckte er sich vor sich selbst, vor der Entscheidung. Er rannte seinem Schicksal davon – typisch, wie einige böse Zungen sagen würden.
Böse – oder ehrlich? So war zumindest das Urteil von einigen wenigen, die ihn halbwegs kannten. Natürlich nicht wirklich, aber gut genug, um ihn als den Feigling zu entlarven, der er war. Zu feige zum Leben, zu feige zum…
Sein Magen drehte sich allein schon bei dem Gedanken um. Seltsam, wenn sich „Erlösung“ so anfühlte, dann war dieser Begriff nur eine weitere Lüge. Eine von den vielen, mit denen Menschen leben, weil sie es nicht anders wissen – nicht anders können.
Lügen: klebrige, durchsichtige Fäden, die sich durch das Leben zogen und die man nicht loswurde, hatten sie sich einmal in die eigene Geschichte eingewoben. Scheinbar überflüssig, dennoch war für manch einen dieses Netz ein stabiles Gerüst, ohne das sein Leben zusammenbrechen würde wie ein Kartenhaus.
Konnte es einen schlimmeren Schock geben, als sich urplötzlich selbst in diesem Kartenhaus wieder zu finden? Noch dazu in einem, das nur noch eine Ruine war. Trümmer lagen überall, zerbrochene Träume und die Splitter, in die sein Herz zersprungen war. Wie leicht mussten es Leute haben, die seines zerstört hatten – denn sie selbst hatten kein Herz!
Sein Leben war eine Lüge. Der Tod war für ihn der einzige Weg, die Wahrheit zu erkennen. Der Tod war die Wahrheit.
Aber woher wusste er, dass er sich nicht wieder etwas vormachte? Inzwischen war er mit den Lügen, diesen Tentakeln, die sich um seine Seele geschlungen hatten, so verwachsen, dass er nicht mehr klar zwischen Wahrheit und erwünschter Wahrheit unterscheiden konnte.
Schwarz und Weiß gab es nur in Kindermärchen und schlechten Filmen, doch jetzt würde er diese Farben dem allgegenwärtigen Grau bevorzugen: Grau der Himmel, grau die Gebäude, grau die Gesichter der Robotermenschen, die sich unten tummelten – ebenso wie ihre Seelen. Noch ein Grund für seine Flucht.
Doch war Flucht die richtige Lösung? Was stimmte überhaupt noch in seiner kaputten Welt, wem konnte er noch sein Vertrauen schenken? In wessen Hände sein Leben legen? Er selbst wollte es doch jeden Augenblick fallen lassen…
Verdammt, warum mussten sich ausgerechnet im entscheidenden Moment solche Fragen in seinen leeren Kopf einschleichen?! Höhenangst gehörte als Symptom zu seiner Krankheit „Feiglingsein“. Und nun ließen auch noch Zweifel seinen Kopf schwirren…
Er musste schnell handeln, ein einziges Mal in seinem beschissenen Leben Entschlossenheit zeigen, sonst würde dieser Albtraum ewig so weitergehen. Wenn er jetzt stehen blieb, diesen einen Schritt nicht wagte, würde er wieder, einem Hamster gleich, in das sich ewig drehende Rad steigen. In das Karussell der Verzweiflung.
Loslassen… darin war er sonst doch so gut, warum fiel ihm das dann jetzt so schwer? „Verlieren“ und „einstecken“, wie stark prägten diese Verben doch sein Leben. Dabei waren es nicht mal richtige Tätigkeiten. Noch ein Beweis dafür, dass er sein ganzes Leben lang im Kreis gerannt war.
Eine Linie, die sich für immer unterbrach, war besser als ein Kreis. Oder nicht?
Ihm wurde noch schwindliger. Zu schwindlig, um diesen Schritt zu wagen. Er hasste sich dafür, dass er sich selbst in Stich ließ.
Doch vielleicht war diese Art von Verrat – genau wie die Lüge freilich nur einer von vielen, die ihm das Leben zugemutet hatte – eine Ausnahme, etwas Gutes? Etwas, wofür er sich irgendwann womöglich sogar bedanken würde… bei wem eigentlich? Bei sich selbst, für seine Feigheit? Bei einem höheren Wesen, das ihm diese Zweifel eingeflüstert hatte? Bei der Macht, die seine Knie so weich werden ließ, dass sogar dieser eine Schritt zu anstrengend war?
Die Kraft verließ ihn. Stattdessen wirbelten immer neue Fragen in seinem Kopf, ein rhetorisches Kaleidoskop. Sinnlos, gewiss, doch ließen sie ihn nicht in Ruhe. Weitere Dämonen, die sich in seine terrorisierte Seele krallen wollten, sie auseinander reißen und ihn verwirren, bis er nicht mehr wusste, wer er und was noch richtig war.
Die einzige Erlösung war eine Antwort, das wusste er wohl. Aber eine Antwort ließ sich schwer finden. Die Frage – ja, sie selbst war fast schon die Antwort.
War denn ein Bewohner dieses Ameisenhaufens, der sich „Leben“ schimpfte, wirklich gut beraten, von dessen Spitze zu stürzen? Er war bestimmt nicht die einzige verwirrte Ameise, vielleicht war es besser, wenn wenigstens er zurückkehrte.
Ohne es zu merken, war er zurückgetreten vom Rande des Abgrunds. Die Entscheidung war unbewusst gefällt, und die Ameise machte sich auf den Heimweg.
Ja, er würde sich nach unten begeben. Aber nicht für einen, sondern für noch viele Schritte.


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um die Dunkelheit zu sehen"
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Beiträge: 43
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Beitrag01.10.2007 11:26

von DumPf!
Antworten mit Zitat

Also ich finde die Geschichte, mal wieder, sehr gut.
Die beste Redewendung die ich bis jetzt gelesen habe, egal ob hie roder ein richtiges Buch war das mit den Atemzügen=Countdown, einfach super verglichen.


Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:
Einzige Ausweg war der Abgrund
Ausweg wovor? Das kommt nicht klar raus.

Es muss ja gar nicht richtig rauskommen, für mcih wäre es dann keien Kurz(e)geschichte mehr. Der Charakter wird ja insgesamt auch nicht richtig beschrieben.



Terrorkrümel hat Folgendes geschrieben:
Lüge ... Kartenhaus ... Ruine

Lügen halten das Kartenhaus des Lebens zusammen. Sein Leben war eine einzige Lüge. Er in den Ruinen des eigenen Lebens. - Wie passt das denn zusammen?


Für mich paast diese Redewendung genau zusammen!


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