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Herr Gruen denkt


 
 
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MrPink
Geschlecht:männlichLyromane

Alter: 53
Beiträge: 2431
Wohnort: Oberbayern
Der Bronzene Wegweiser


Beitrag19.09.2009 02:38
Herr Gruen denkt
von MrPink
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guten Morgen,

ich habe soeben Herrn Gruen das Licht der Welt erblicken lassen, der Gute erlebt so einiges und macht sich so seine ganz speziellen Gedanken dazu.
Hier ist mal der erste und Herr Gruen ist natürlich auch auf eure gespannt  Wink

Herr Gruen denkt-
Ein Leben neben der Überholspur


Gestern hatte ich es mal wieder verdammt eilig, mein Sohnemann wollte vom Kindergarten abgeholt werden und ich bin nicht rechtzeitig aus der Arbeit gekommen. Pünktlichkeit gehörte noch nie zu meinen Stärken. Meistens weiß ich dieses Manko jedoch durch schnelles Fahren und riskante Überholmanöver wettzumachen. Über zu hohes Verkehrsaufkommen kann ich in der Regel nicht klagen, im bayrischen Oberland beschränkt sich die Anzahl der Straßennutzer auf ein Minimum und ist eher
landwirtschaftlicher Natur. Zu erheblicher Geschwindigkeitsreduzierung werde ich nur gezwungen, wenn sich der Feierabend der hiesigen Milchviecher mit meinem deckt. Dann steh ich schon mal ne Viertelstunde und lass mir die Außenspiegel von braun-weiß-gefleckten Hüftlappen abledern, die apathisch vor sich hintrottend dem heimischen Gehöft entgegenstreben. Die Kuh an sich ist ja kein übermäßig lauter Zeitgenosse, und genau das wird im bajuwarischen Volksempfinden als überaus störend wahrgenommen. Diese Behinderung der Evolution wurde aber schon vor Äonen behoben, indem man die wiederkäuenden Vierbeiner mit schwerem Geläut behängte. Mir als Zugereistem konnte sich die Logik dieser Maßnahme bis heute nicht erschließen. Ich muss immer an meine Großtante Agnes denken, die hat ihrer Katze ein Glöckchen um den Hals gehängt, damit das mit dem lautlosen Heranpirschen nicht mehr so klappte. Zur Freude der Spatzen und Mäuse, die von nun an der hemmungslosen Unzucht auf dem Anwesen von Tante Agnes frönten. Als ich noch ein kleiner Junge war, durfte ich ihre Katze streicheln, nachdem ich die zentimeterdicke Spatzenscheiße von den Gartenmöbeln gekratzt hatte. Aber wer um alles in der Welt muss vor Kühen beschützt werden? Die Grashalme auf der Weide? "Achtung Jungs, ich höre Kuhglocken, nix wie weg!" - "Tolle Idee, Alter. Zu dumm, dass wir Wurzeln haben und im Erdreich verwachsen sind!" - mampf, mampf.
Ich befand mich also auf der Strecke zwischen Apfeldorf und Apfeldorfhausen.
Die Straße ist auf diesem Teilabschnitt meiner Arbeitsroute genauso breit, gerade und eben, wie es sich für einen Asphaltstreifen gehört, der zwei so bedeutende Orte miteinander verbindet. Diese beiden Ansammlungen von ein paar unstrukturiert in die Botanik geschissenen Bauernhöfen als Dorf zu bezeichnen, wäre so als würde man den 1.FC Köln Titelaspirant nennen.

Gestern war es jedoch keine Herde von mobilen Milchfabriken, die meine Tachonadel veranlassten unterhalb der 30 zu verharren, wo sie doch normalerweise im Bereich zwischen 70 und 90 ihren Claim absteckte. Nein, es war ein Auto, ein richtiges stinknormales Auto, ein paar Jährchen älter wie meins, aber gesund und alles dran. Auch ein Nummernschild, welches die Buchstaben HH mit sich herumschleppte. Weder dichtes Auffahren, Blinkersetzen, Licht- und ohne Licht hupen, konnten den Wagen vor mir motivieren, einen Zahn zuzulegen. Bei Gegenverkehr hätte ich noch ein gewisses Maß an Verständnis für die Nichtgeschwindigkeit, die der Bolide vor mir präsentierte, aufbringen können. Aber da kam nichts und so weit das Auge reichte war auch nichts in Sicht, was einem herannahenden Auto, Motorrad, Fahrrad, Fußgänger oder gar einer Katze, ob mit oder ohne Glöckchen um den Hals, ähnelte. Das tränenüberströmte Gesicht meines
Sohnes auf dem Schoß der Kindergärtnerin vor meinem inneren Auge und der eh nicht vorhandene Geduldsfaden veranlassten mich, links auszuscheren und den Überholvorgang, unter reichlicher Ausnutzung des unbefestigten Seitenstreifens, einzuleiten. Als wir uns auf Augenhöhe befanden, schaute ich nach rechts und in dem Ausschnitt zwischen Türholm und erhobenen Mittelfinger erblickte ich ein altes Paar. Die Augen weit aufgerissen, dass mir der Grauen Star samt Nest förmlich entgegensprang,die buschigen weißen Augenbrauen standen da, wo sich vor vielen vielen Jahren der Haaransatz
befand. Dahinter erahnte ich noch ein von Todesangst gezeichnetes Gesicht, umrahmt von silbernen Locken mit einer Spur Lila. Vom Alter her sind die beiden da anzusiedeln,
wo sich der Claim meiner Tachonadel befindet, oberes Drittel.

Der Rest der Fahrt verlief ohne weitere Vorkommnisse und ich hatte Zeit mir über die entscheidenden Fragen Gedanken zu machen: Wenn ein älteres Paar in Zeitlupe durch die Walachei gondelt, die sich auch noch fast 1.000km fern der Heimat befindet, wie in Dreikuckucksnamen, sind die hierher gekommen? Und vor allem, wie lange haben sie dafür gebraucht? Ich vermute, sie sind nach ihrer Hochzeit losgefahren, Flitterwochen in Bayern. Silberhochzeit wurde in einer kleinen Pension bei Würzburg gefeiert, da hat man sich auch ein neues Auto gegönnt, einen Toyota Camry, Stufenheck. Die Kinder durften nach den Feierlichkeiten zurück nach Hamburg, zum ersten Mal in die Stadt ihrer Eltern, nach 18 bzw. 21 Jahren on the road. Die Fahrt ging weiter und pünktlich zur Goldenen hat man die Turtel-Suite des Hotels zur Post im schönen Landsberg am Lech erreicht. Stellt sich noch die Frage nach dem Rückweg; ich tippe, sie schaffen es noch bis Ulm, dann gibt es wieder ein neues Auto, einen schicken anthrazitfarbenen Mercedes, Kombi. Diesmal sogar mit Chauffeur.  



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BlueNote
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Wohnort: NBY



Beitrag19.09.2009 08:55

von BlueNote
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Wenn es dein Ziel war, H. Grün besonders unsympathisch darzustellen, dann ist dir dies hervorragend gelungen. Dessen Borniertheit ist ja wirklich nicht mehr zu toppen. Er weiß von nix Bescheid (Kühe und Glocken), ist rücksischtslos, überheblich (den alten Menschen gegenüber) und verächtlich (Grauer Star). Den Komperativ beherrscht er, wie die meisten Oberbayern, übrigens auch nicht. Allerdings ist der Ausgang der Geschichte allzu vorhersehbar (angedeutet im Titel), denn die "Strafe" mittels Unfall folgt sicherlich auf dem Fuße. Auch wird das Unheil bereits durch die etwas sperrige Formulierung (riskantes Überholmanöver) angekündigt (so spricht übrigens kein Raser über sich selbst).

In deiner Geschichte merkt man meiner Meinung nach zu wenig, dass es sich um eine Satire handelt, dass die Aussagen ironisch gemeint sind (liegt vielleicht auch an dem Ich-Erzähler). Man ist sich als Leser nie so sicher, ob nun der Autor nicht weiß, warum die Kühe mit Glocken herum laufen, oder ob das doch nur die Person in der Geschichte ist.

Nun, locker geschrieben ist das allemal. Ich schätze, dass die Fortsetzung noch kommt. Im Moment kann ich mir noch nicht vorstellen, wie du die Geschichte auflöst, vor allem wie der "Sohnemann" ins Spiel kommt. Ich fürchte, zum Schluss muss man doch wieder Mitleid für deinen Protagonisten aufbringen.

Ich bin gespannt, wie es weiter geht.
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Canyamel
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Beitrag19.09.2009 09:29

von Canyamel
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@ MrPink

Ich finde es ziemlich gut. Man weiß noch nicht genau, wohin die Reise mit der Geschichte geht, aber die Hauptfigur ist interessant, zynisch, politisch unkorrekt - und das finde ich durchaus nicht unsympathisch. Ich kann mich jedenfalls gut mit jemand identifizieren, der während Autofahrten von Rentnern und mit Glocken behängten Kühen aufgehalten wird!

Was mir auffällt ist, wie Du die Textpassagen aufbaust, das hat fast etwas von Standup-Comedy. Du führst den Leser in ein Problem ein, das jeder kennt, verortest das ganze recht originell und hast am Ende immer eine kleine Punch-Line parat, einen witzigen Vergleich, mit dem Du abschließt (das Dorf mit dem FC Köln, das Alter der Rentner mit dem oberen Drittel der Tachonadel). Und funny Word last, das kommt auch gut!

Der Titel ist ebenfalls gut gewählt. Man denkt bei "Leben auf der Überholspur" sofort an Manager, Rockstars oder so was. Aber ganz bestimmt nicht an einen Normalo, der auf dem Lande Kühe und Rentner überholen muss. Ich würde gerne mehr von Herr Gruen lesen, mich hast Du überzeugt!


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Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur die langweilige nicht. (Voltaire)
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BlueNote
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Beitrag19.09.2009 09:54

von BlueNote
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Hieße der Titel Leben "auf" der Überholspur, würde nicht so viel von der Geschichte im Titel bereits vorweg genommen werden - allerdings wäre dieser Titel dann auch nicht mehr so originell.

Wenn ihr im bayerischen Raum unterwegs seid, könnt ihr euch die Radiosatire von Bruno Jonas (Rosstäuscher(?) anhören. Hier werden auch aus der Sichtweise des "Rasers" satirische Spitzen verschossen - aber hier spürt man die Ironie. Zu einer Comedian-Rhetorik würde ich in literarischen Texten übrigens nicht greifen - davon gibt es einfach schon zu viel Müll auf den Fernsehkanälen.
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MrPink
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Der Bronzene Wegweiser


Beitrag19.09.2009 11:00

von MrPink
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Moin Bluenote,
du meintest bestimmt den Komparativ. Nicht schlimm, man kann sich ja mal verschreiben, so wie man sich auch verlesen kann Wink

Zum Titel; das Leben neben der Überholspur bezieht sich nicht auf Herrn Gruen und in dieser Geschichte wird auch kein Unfall beschrieben, zumindest keiner im Straßenverkehr.

Claus E. Rosstäuscher ist mir natürlich ein Begriff, leider mag ich Bayern 3 nicht sonderlich, darum komme ich auch zu selten in den Genuß dieser hervorragenden Politsatire. Beeinflußt hat er mich bei dieser Geschichte allerdings nicht. Dann schon eher Frank Goosen.

Es wird mit Sicherheit noch ein paar Anekdoten aus dem Leben des Herrn Gruen geben, diese Geschichte ist allerdings abgeschlossen.

 Moin Canyamel,
es freut mich, dass du die Geschichte so verstanden hast, wie sie auch gedacht war und dass sie dir gefällt, gleich doppelt.

schönen Samstag und vielen Dank euch Beiden.

andi


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BlueNote
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Beitrag19.09.2009 11:20

von BlueNote
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Verschreiben kann man sich schon mal, vor allem wenn so gute Aufpasser hat, so wie du einer bist Wink

Ich dachte tatsächlich, dass dein Text noch eine "Wendung" nehmen würde und du eine Fortsetzung anhängen würdest.

Wenn du also deine ganze Intention bereits in diesen Text gepackt hast, sage ich besser nichts mehr dazu - du könntest empfindlich darauf reagieren  Cool

Schönen Sonnentag noch (und nicht zu schnell fahren)!
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MrPink
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Der Bronzene Wegweiser


Beitrag19.09.2009 14:11

von MrPink
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BlueNote hat Folgendes geschrieben:
Verschreiben kann man sich schon mal, vor allem wenn so gute Aufpasser hat, so wie du einer bist Wink


Na ja, so gut pass ich auch nicht immer auf, trotzdem danke. Wink

Zitat:
Ich dachte tatsächlich, dass dein Text noch eine "Wendung" nehmen würde und du eine Fortsetzung anhängen würdest.

Wenn du also deine ganze Intention bereits in diesen Text gepackt hast, sage ich besser nichts mehr dazu - du könntest empfindlich darauf reagieren  Cool


Meine ganze Intention war die Lust am Schreiben, es hat Spaß gemacht, mehr nicht, in diesem Fall. Mir gings hauptsächlich drum, dem ein oder anderen Leser ein Lächeln, vielleicht sogar ein Lachen abzuringen. Dass mir das nicht bei jedem gelingen würde, war mir natürlich klar. Außerdem geht es mir drum, ein wenig mehr Routine im Schreiben zu bekommen; Wiederholungen vermeiden, Stimmungen erzeugen, etc.
Herr Gruen wird weiterhin durch die Welt ballern und sich Gedanken machen, mit der Zeit wird dann auch Bild von ihm entstehen.

Das Teil steht in der Talentschmiede, deshalb wird hier auch noch weiter geschmiedet. Hilfreiche Unterstützung (und damit meine ich nicht nur Lobhudelei) ist natürlich willkommen. Meine empfindsame Schreiberseele wird es verkraften.

Zitat:
Schönen Sonnentag noch (und nicht zu schnell fahren)!


Danke, und ich fahr nie zu schnell, die anderen höchstens zu langsam.

schönen Tach auch

andi


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Noelia
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Beitrag28.09.2009 18:25

von Noelia
Antworten mit Zitat

Der Wunsch des Verfassers sei mir Befehl!

Akrakadabra, nun steht das Werk im Trash..
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Valeska
Waldohreule

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Beitrag28.09.2009 21:52

von Valeska
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Moin MrPink,

also was mich angeht, würde ich sagen: Mission erfüllt! Ich hatte in Lächeln auf dem Gesicht. Locker und unterhaltsam geschrieben.

Nur zweieinhalb Anmerkungen:

Zitat:
Auch ein Nummernschild, welches die Buchstaben HH mit sich herumschleppte. Weder dichtes Auffahren, Blinkersetzen, Licht- und ohne Licht hupen, konnten den Wagen vor mir motivieren, einen Zahn zuzulegen.


Im 1. Satz: Welches klingt ungelenkt, mach vielleicht lieber ein das draus.

Im 2. Satz: Du beginnst mit Weder ..., das wir alle gut aus der Wendung weder ... noch kennen. Nur leider hab ich bei dir vergebens auf das noch gewartet. Könnte man noch ändern. Außerdem ist das Komma hinter hupen falsch. Weg damit.


Zitat:
Dahinter erahnte ich noch ein von Todesangst gezeichnetes Gesicht, umrahmt von silbernen Locken mit einer Spur Lila. Vom Alter her sind die beiden da anzusiedeln,
wo sich der Claim meiner Tachonadel befindet, oberes Drittel.


Hier wechselt du einmal die Zeit ... plötzlich Präsens. Mach ein waren draus.


So long ... ein paar merkwürdige Zeilenumbrüche sind noch drin, weiß nicht, ob das am Forum liegt, vielleicht beim Rüberkopieren passiert oder so.

Ich freu mich auf weitere Gruen-Gedanken

LG
Vale


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MrPink
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Der Bronzene Wegweiser


Beitrag28.09.2009 23:51

von MrPink
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Hi Valeska,
danke für die Anmerkungen. Werd ich verbessern. Jetzt gehts weiter:

Herr Gruen denkt - Neues Leben und alte Probleme


"Junge, wenn man eine ernsthafte Beziehung eingeht, gibt es da einige Kriterien zu erfüllen: Heiraten und Nachwuchs zeugen. Für einen Mann bedeutet eine Heirat ja nicht nur, dass man seine Angetraute mit seinem Nachnamen brandmarkt, und somit den Besitzanspruch rechtmäßig und unwiederbringlich erwirbt, nein, auch auf anderen Dokumenten wird der Status Quo zum nahezu existenziellen Statussymbol der Männlichkeit. Auf der Lohnsteuerkarte muss die 3 vermerkt sein. Diese Lohnsteuerklasse bezeugt, dass Mann alles richtig gemacht hat. Diese 3 steht für die männliche Dreifaltigkeit in der Ehe: Ernährer, Oberhaupt und Fahrer. Letzteres kann unter gewissen Umständen für einen absehbaren Zeitraum an das Weib abgetreten werden, auch da spielt die 3 wieder eine wichtige Rolle: 3 Promille."

 Kirsten saß rechts neben mir auf dem grünen Canapé. Vor Entgeisterung entglitt ihr beinahe die Meißener Porzellantasse mit dem blauen Zwiebelmuster. Das Geschirr holte Mutter nur für besondere Anlässe aus dem alten Kirschholzbuffet, wie z.B. die Vorstellung der neuen Freundin des sechzehnjährigen Sprösslings. Eigentlich wollten wir noch ins Kino, La Boum - Die Fete, was bessers gab es damals nicht um die zarten Bande des Verliebtseins zu knüpfen. Etwas schlechteres wie Vaters Ratschläge bei Pflaumenkuchen und Kaffe Hag leider auch nicht. Jedenfalls hatte ich nun eine Kinokarte zuviel und eine Freundin zuwenig. Dreams are my Reality klang noch durch die Sperrholztür des Lichtspielhauses, während mein Kumpel Pete und ich unsanft und begleitet von Buh-rufen aus dem Foyer befördert wurden. Einer, dem gerade das Herz mit einem Vorschlaghammer zertrümmert wurde sollte nicht mit einem, der Popcorn aus dem linken Nasenloch schießt und Romantik für ein eitriges Forunkel am Arsch der Coolness hält, in einen Liebesfilm gehen.

Mein Vater hatte noch einen Spruch in Bezug auf Frauen parat: "Frauen sehen anders als Männer." So richtig einleuchtend erschien mir der Satz erst seit letzter Woche, 20 Jahre nach jenem apokalyptischen Ereignis.           Ich hatte mittlerweile die Kriterien einer ernsthaften Beziehung erfüllt. Jenny, meine Frau ließ sich sogar ohne Umschweife von meinem Nachnamen überzeugen. Der ihre wurde ihr durch spöttische Anzüglichkeiten in Bezug auf ein politisches Schwergewicht, über Jahre hinweg, reichlich madig gemacht und ein Doppelname disqualifizierte sich quasi von selbst, Jenny Gruen - Kohl. Und seit letzter Woche haben wir auch die Gewissheit, dass unser trauter Mikrokosmos durch einen neuen kleinen Stern erhellt werden sollte.

"Was sehen sie?" Die Frage von Dr. Kast beunruhigte mich etwas. Mir war klar, dass ich etwas Großes, etwas Erhabenes, ein Wunder eben, vor Augen haben musste. Ich sah erstmal ein paar helle und ein paar dunkle Flecken, die ständig Form und Position veränderten, wenn er mit dem Scanner durch die glitschige Quaste glitt, die er großzügig auf dem Bauch meiner Frau verteilt hatte. Meine Hochdefinitions-200Hz-flimmerfrei trainierten Augen gwöhnten sich nur ungern an die verrauschten Schwarz-Weiß-Organismen auf dem mickrigen Monitor. Ich ließ mir mit der Antwort reichlich Zeit, ich dachte nach, wohl etwas zu laut: "Australien." Die Stille, die mich umgab, veranlasste mich zu weiteren, diesmal lautlosen, Interpretationsversuchen: Ein gewaltiger Tiefausläufer über der Biscaya, München bei Nacht, Moment, das könnte es sein, eine Aufnahme mit dem Nachtsichtgerät: Das Olympiastadion von oben, diese einmalige Zeltkonstruktion. Ich sehe mich in der Südkurve stehen, Bayern gegen die Sechziger, Derbyzeit. Den Schal in den Händen, die Arme gen Himmel gereckt, skandiere ich den Stern des Südens, der niemals untergeht, sechzigtausendfach verstärkt. Wir wohnen noch nicht lange in der Nähe von München, aber Bayern-Fan war ich, seit ich denken kann. Daheim in Gütersloh brachte mir das kübelweise Hohn und Spott ein. Nun bin ich da, in meinem Wohnzimmer. Kein grünes Canapé, kein Meißener Porzellan stattdessen Plastiksitzschalen und Mehrwegbierbecher.

Viel Spaß, hoffe ich, und es geht weiter...


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Maria
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Ei 4


Beitrag29.09.2009 12:41

von Maria
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Servus,

mich hast Du auch erreicht, den Spaß hatte ich.
Mit dem zweiten Text noch ein µ mehr, als mit dem ersten, der scheint mir noch feiner. viele Kleinigkeiten die Salz in alte Verwundungen streuen: das Zwiebelmuster, La Boum,
Ernäher, Oberhaupt und Fahrer... sagt "er" auch immer Laughing

Kein Wort zuviel, keins zuwenig.

Beide Teile sind jene Gedanken die einem eben in den (meist) entspannten Kopf schießen und die man ungefiltert exakt so wieder rauslässt. Einen anderen Anspruch würde ich nicht suchen, naja, einige missmutige Parallelen ziehe ich und nicke grinsend. Genau. Klasse 3.


Schön ruhig, keine überflüssigen oder ausgelutschten Kalauer: Ich mag den Grün und bin auf jeden Fall weiter dabei.

Gruß
'd Mare


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Beitrag05.10.2009 13:42

von MrPink
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Teil zwo:

Vier schön gewachsene und perfekt manikürte Fingernägel bohrten sich tief in die Innenseite meines rechten Handgelenkes. "Was siehst du, Schatz?! Ihre Stimme zischte, einem Pfeil gleich, durch das weite Rund, von Menschenmassen und bengalischen Feuern und ließ den Stern des Südens in einer Supernova ersterben. Zurück blieb ein popliger Monitor, der mir pulsierende organische Lavalampenkreaturen pränsentierte, schwarz-weiß. Und Vier Augen, die mich sezieren, mein Hirn in Scheiben schneiden wollten, auf der gnadenlosen Suche nach Antworten, die ich selber nicht kannte. "Ein Kind!" stöhne ich. Wie schön es ist, wenn der Schmerz nachlässt. Ich ließ mir vom Gynäkologen die Hand verbinden und legte den Arm fürsorglich und auch ein bisschen ängstlich um die Schultern meiner Frau. Beseelt vom neuen Leben, dass uns in den Mutterboden der Zweisamkeit gepflanzt wurde, machten wir uns auf den Heimweg. "Wie war das mit Australien?" wollte sie dann aber doch noch wissen. "Ach weißt du, ich war so verzückt und überwältigt, da konnte mir nur dieser phantastische Kontinent einfallen, mit seinen lebensfrohen Einwohnern, den romantischen Sonnenuntergängen, der unendlichen Weite. Ja Schatz, diese Sekunden, der Monitor, der Frauenarzt, das Bild und du; das war für mich Australien."


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yt
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Beitrag05.10.2009 14:16

von yt
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Moin,

herrlich.

Mir sind die Familienverhaeltnisse noch nicht ganz eindeutig klar.
Im ersten Text hat er einen Sohnemann, den er abholen muss.
Unten wird ein Kind erwartet.

Das ist natuerlich kein Problem, letzteres kann ja eine Zeit vor dem ersten Teil darstellen smile Ich mags jedoch lieber der Reihe nach oder mit Hinweis auf eine Rueckblende.

Pass auf das du ihn nicht zu unsympathisch machst, sonst koennte es galub ich schnell langweilig werden. Ich zumindest wuerde mir keine 50 Seiten mit der Beschreibung meiner ehmaligen Nachbarschaft antun ...
*hust*

Mit amuesierten Gruessen,
yt
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