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III. a) Die Versform

 
 
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jim-knopf
Geschlecht:männlichDichter und Trinker

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Beiträge: 3974
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Goldene Feder Lyrik


Beitrag13.09.2009 03:43
III. a) Die Versform
von jim-knopf
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Die Versform

Als Vers bezeichnet man die Abschnitte eines Gedichts, die durch Zeilenumbrüche voneinander getrennt sind. Ein Gedicht besteht also (sieht man einmal von der Kategorie der Prosagedichte ab) aus einzelnen Versen, die meist für sich eine eigene Zeile bilden (Verszeilen). Allerdings gibt es auch Verse, die über mehrere Zeilen hinausgehen.

Beispiel 1:

Wer wie die Biene wäre,
die die Sonne
auch durch den Wolkenhimmel fühlt,
die den Weg zur Blüte findet
und nie die Richtung verliert,
dem lägen die Felder in ewigem Glanz,
wie kurz er auch lebte,
er würde selten
weinen.

(Quelle: Hilde Domin. Sämtliche Gedichte. S Fischer Verlag. Frankfurt a.M. 2009)


Dieses Gedicht von Hilde Domin besteht also aus neun Versen. Betrachtet man hierbei die Versformen, so fällt auf, dass die Zeilen sehr unterschiedlich aufgebaut sind. Der sechste Vers beinhaltet sieben Wörter, der letzte Vers dagegen nur eines. Eine einheitliche Versform ist also nicht vorhanden.
Es handelt sich bei obigem Beispiel um so genannte „freie Verse“ (eine genauere Beschreibung dazu findet sich in einem der folgenden Kapitel), d.h., der Autor nimmt weniger oder keine Rücksicht auf Metrik. Zwar finden sich auch in diesem Texte Hebungen und Senkungen und somit ein „Rhythmus“ der Sprache, doch wird dabei kein durchgehendes Schema verfolgt und so tritt die Bedeutung der Metrik hier in den Hintergrund. Es handelt sich um ein typisches Gedicht der Moderne, in der Metrik und vor allem Metrik mit einem durchgehenden Schema immer mehr in den Hintergrund tritt. Daher auch der Begriff der „freien“, ungebundenen Versform.
Ein anderes Beispiel:

Beispiel 2:

Schreitest unter deinen Frau´n
Und du lächelst oft beklommen:
Sind so bange Tage kommen
Weiß verblüht der Mohn am Zaun.

Wie dein Leib so schön geschwellt
Golden reift der Wein am Hügel
Ferne glänzt des Weihers Spiegel
Und die Sense klirrt im Feld.

(Quelle: Georg Trakl. Das dichterische Werk. dtv Verlag. München. 2008)


Bei diesem Text von Georg Trakl springt sofort ins Auge, dass hier wesentlich mehr Wert auf Metrik gelegt wurde, als in obigem Domin-Text. Da wir uns ja mit metrischen Versfüßen (Jambus, Trochäus, …) schon beschäftigt haben, dürfte es uns nicht schwer fallen, zu bestimmen, worum es sich hier handelt.

Wer sich noch nicht sicher ist, wie genau sich ein Vers bestimmen lässt, der ließt ihm am besten laut und übertrieben betont vor. Man kann gerne im Takt dazu mitklopfen.

Schrei– test     un – ter     dei – nen     Frau´n

Die fett hervorgehobenen Silben dabei sind ganz klar die betonten Silben. Diejenigen, auf die im Normalfall beim Taktschlagen der Schlag erfolgen sollte. Zwischen den betonten Silben liegt jeweils immer genau eine unbetonte Silbe. Die Versform in diesem Beispiel wäre folglich:

betont – unbetont – betont – unbetont – betont – unbetont – betont  

anders ausgedrückt:

 – v – v – v –  

Gliedert man den Versfuß auf in vier Mal – v, so erhält man Trochäen. Der Vers ist also ein vierhebiger (vier Mal betont) Trochäus. Der vierhebige Trochäus ist dabei gleichzeitig die Versform. Dieselbe Versform besitzen im Übrigen auch alle anderen Verse des Beispiels:

Und      du      läch – elst      oft      be – klom – men:
Sind      so      bang – e     Ta – ge      kom – men

usw.

Trakl hat also eine sehr einheitliche Form benutzt. Für jeden Vers die Selbe Versform. Wir sprechen dabei salopp gerne von „klassischer Dichtung“, weil wir es aus der modernen Lyrik heute kaum mehr gewohnt sind.
Ein drittes Beispiel:

Bespiel 3:

Wenn der Schimmer von dem Monde nun herab
In die Wälder sich ergießt, und Gerüche
Mit den Düften von der Linde
In den Kühlungen wehn;

(Quelle: Friedrich Gottlieb Klopstock. Aus: Deutsche Lyrik vom Barock bis zur Gegenwart. dtv Verlag. München 2007)


Vergleichen wir dieses Gedicht von Klopstock mit dem ersten Beispiel von Hilde Domin: Beide ungereimt, beide auch offensichtlich ohne durchgehende Versform, wie es beides in Trakls Gedicht zu finden ist. Was aber  unterscheidet nun den Klopstock- vom Domintext? Keine einfache Frage, auch wenn man länger darüber nachdenkt. Auch gibt es meiner Meinung nach auch keine eindeutige Antwort darauf. Zwar kann auch dieser Text den „freien Versen“ zugeordnet werden. Allerdings spricht man bei derartigen Texten aus den Epochen vor dem 20. Jahrhundert eher von „freien Rhythmen“. Diese Unterscheidung ist zwar erst einmal eine rein historische (freie Verse und freie Rhythmen sind im Grunde das Selbe), vielleicht kann man doch genau hier den Unterschied suchen. Als Klopstock den obigen Text schrieb, waren die freien Rhythmen etwas sehr neues. Zuvor hatte man sehr großen Wert auf metrische Gleichmäßigkeit gelegt. So kann man behaupten, dass die Metrik in Klopstocks Text aus dem 18. Jahrhundert noch einen sehr viel höheren Stellenwert genießt, als sie es bei Hilde Domin im 20. Jahrhundert tut. Dies lässt sich gut zeigen, wenn man den Text metrisch untersucht.
(Hebungen sind wieder fett hervorgehoben:)

Wenn     der     Schim – mer   von      dem      Mon – de   nun      her – ab
In     die      Wäl – der   sich     er – gießt  und     Ge – – che
Mit     den     Düf – ten   von     der     Lin – de
In     den     Kühl – ung – en     wehn;


Untersucht man nun die zweite Strophe desselben Gedichts, …

So umschatten mich Gedanken an das Grab
Der Geliebten, und ich seh in dem Walde
Nur es dämmern, und es weht mir
Von der Blüthe nicht her.

 (Quelle: Friedrich Gottlieb Klopstock. Aus: Deutsche Lyrik vom Barock bis zur Gegenwart. dtv Verlag. München 2007)


…dann erkannt man bald: Metrisch sind die beiden Strophen absolut identisch. Das beweist deutlich, dass Klopstock hier doch großen Wert auf die Metrik und Versform gelegt hat. Wobei Domins Augenmerk ganz klar dem Inhalt galt.


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